Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Drei Dates mit Folgen ...
Männer spielen in Tess‘ Leben keine große Rolle. Zu oft wurde sie schon enttäuscht. Und als sie Cole, einen der Spieler der Ice Knights bei der Hochzeit ihrer Freundin kennenlernt, glaubt sie nicht, dass sie eine Chance bei ihm hat. Doch ihre Anziehungskraft ist unleugbar, und beide geben der Versuchung nach ... einmal, zweimal, dreimal . Aber dann müssen sie feststellen, dass ihre Affäre ungeahnte Folgen hat ...
"Eine quirky Heldin + ein heißer Eishockeyspieler = ein sexy und humorvoller Liebesroman." MONICA MURPHY, NEW-YORK-TIMES-BESTSELLER-AUTORIN
Band 2 der sexy Sportsromance-Serie von Bestseller-Autorin Avery Flynn
Das Hörbuch können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Titel
Zu diesem Buch
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
Epilog
Die Autorin
Die Romane von Avery Flynn bei LYX
Leseprobe
Impressum
AVERY FLYNN
Ice Knights
HAPPY END MIT MR WRONG
Roman
Ins Deutsche übertragen von Ralf Schmitz
Männer spielen in Tess Gardners Leben keine große Rolle. Zu oft wurde sie schon enttäuscht. Und als sie Cole Phillips, einen der Spieler der Ice Knights, bei der Hochzeit ihrer Freundin kennenlernt, glaubt sie nicht, dass sie eine Chance bei ihm hat. Doch ihre Anziehungskraft ist unleugbar, und beide geben der Versuchung nach … einmal, zweimal, dreimal. Aber dann müssen sie feststellen, dass ihre Affäre ungeahnte Folgen hat …
Für meine durchgeknallten, nerdigen Schwestern, die nie die richtigen Worte finden. Normal ist echt überschätzt. Xoxo
Tess Gardner fühlte sich von den vielen Menschen überfordert. Aber die Hochzeit ihrer Busenfreundin zu schwänzen kam leider nicht infrage.
Also stand sie im Schatten einer der Topfpalmen, die den Speisesaal des Hayes Resorts säumten, nippte an ihrem Wein und zählte die Minuten, bis sie auf ihr Zimmer zurückkehren, unter die geradezu lächerlich extravagante Bettdecke in diesem Luxushotel schlüpfen und sich wieder in ihr Buch vertiefen konnte. Aber der Nachtisch war kaum gereicht, und es würde weitere Trinksprüche und Tänze zur Feier von Lucys morgiger Hochzeit geben.
Es war nicht so, dass Tess sich nicht für Lucy und ihren Zukünftigen, Frankie, gefreut hätte – denn das tat sie durchaus. Aber im Lauf des letzten Jahres war Tess in ihrer Clique so etwas wie das siebente Rad am Wagen geworden. Jede einzelne ihrer drei besten Freundinnen war eine feste Beziehung eingegangen, sodass sie jetzt in einer schicken Ferienanlage in der Nähe von Harbor City im Abseits stand und zusah, wie Lucy und Frankie miteinander tanzten, Fallon mit Zack über irgendetwas lachte und Gina Ford küsste.
Das alles war gleichzeitig unglaublich und fantastisch und absolut furchtbar.
Ihre drei besten Freundinnen gingen ohne sie neue Wege.
Oh, das würde natürlich niemand laut aussprechen. Eigentlich sahen ihre Mädels nicht einmal, dass es so war, aber wenn man so wie Tess aufgewachsen und wie ein unerwünschtes Erbstück in der Familie herumgereicht worden war, hatte man einen sechsten Sinn dafür, wenn man nicht dazugehörte.
Klar, es gab noch den wöchentlichen Mädelsabend bei Paint-and-Sip, aber wie lange würde das noch so bleiben? Bestimmt nicht lange. Daher fand sie sich lieber mit ihrer neuen Lage ab, auch wenn sie morgen eine von Lucys Brautjungfern geben und sich aufrichtig für ihre Freundin freuen würde.
Alles hatte seine Zeit, so war das Leben nun mal.
Vielleicht sollte sie sich eine Katze oder ein Minischweinchen oder eine Ziege oder sonst irgendwas zulegen, um die unvermeidlich entstehende Lücke irgendwie zu füllen. Sie könnte das Tier Kahn nennen und, wann immer es gefüttert werden musste, Captain Kirks berühmten Schrei »Kahn!« nachahmen. Darth oder Rey ginge natürlich auch. Ein Hündchen mit Namen Boba Fetch wäre ebenfalls lustig.
»Gouda und Edam sind Städte in welchem Land?«, fragte einer der um den Nebentisch sitzenden Jungs.
Eine Handvoll Spieler der Ice Knights, für die Lucy als unangefochtene PR-Göttin arbeitete, hatte sich während der letzten zehn Minuten mit irgendeiner Trivia-App beschäftigt. Bisher hatten sie sich ganz ordentlich geschlagen – nun ja, zumindest der Typ, der allein gegen die drei anderen, aus je zwei Mann bestehenden Teams antrat –, aber die vielen selbstbewusst in die Runde geworfenen falschen Antworten bereiteten ihr körperliche Schmerzen.
Und diese Frage war dafür ein erstklassiges Beispiel. Die dem Einzelkämpfer gegenüberstehenden Teams gingen so ziemlich jede bekannte Stadt in Italien oder Frankreich durch, während piep-piep-piep, die von der App vorgegebene Zeit sich dem Ende zuneigte.
»Niederlande«, sagte sie leise zu sich selbst, während sie beobachtete, wie Frankie Lucy über die Tanzfläche wirbelte.
Da verkündete der Spieler, der die Fragen stellte, der Lockenkopf, den Lucy als Ian Petrov vorgestellt hatte, die richtige Antwort, »in den Niederlanden«, und stellte die nächste auf der App erscheinende Frage: »Wie nennt man die Sternfrucht auch?«
Auf einen Moment des Schweigens folgten brummige Kommentare wie »Was zum Henker ist eine Sternfrucht?« oder »Wieso gibt es keine Sportfragen?«
»Karambola.« Tess trank einen Schluck Wein, während alles, was sie über diese Frucht wusste, vor ihrem inneren Auge ablief, Wort für Wort, wie sie es schon ihr ganzes Leben kannte.
Die grüngelbe Frucht stammte ursprünglich aus Sri Lanka und wuchs an kleinen Bäumen, aus deren glockenförmigen Blüten sich die Sternfrucht entwickelte. Sie hätte zahllose weitere Fakten und Statistiken aufzählen können. Manchmal konnte sie ihren Verstand überhaupt nicht mehr abschalten. Das war schon immer so gewesen. Trivia landete tonnenweise auf ihrer riesigen inneren Festplatte, die ebenso unerschöpflich schien wie allzeit bereit, zum unpassendsten Zeitpunkt Wissen auszuspucken.
So wie jetzt.
Einer der Ice-Knights-Spieler, den sie noch nicht kannte und der wie Thor persönlich aussah, hatte anscheinend mitbekommen, wie sie die letzte Antwort murmelte, denn er lachte nicht mehr über seine Kameraden, wie er es in den letzten zehn Minuten unablässig getan hatte. Stattdessen sah er sie an, schätzte sie mit berechnenden Blicken ab, so cool wie das Eisblau seiner Augen. Dann zwinkerte er ihr zu.
Ihr Puls schaltete in einen höheren Gang, ihr Kopf fuhr herum, ihr Blick richtete sich wieder auf die Tanzfläche, ihre Aufmerksamkeit jedoch nicht.
Mist, Mist, Mist.
Die erste Regel, wenn man die Außenseiterin war, lautete, sich keinerlei Blöße zu geben, sodass niemand bemerken konnte, was los war. Und doch strich sie um eine Gruppe von Leuten herum, die sie nicht kannte, und beantworte wie eine Vollidiotin erster Güte die belanglosen Quizfragen eines Spiels, an dem sie nicht mal teilnahm. Und ließ sich auch noch dabei erwischen.
Sie holte das Handy aus ihrer Tasche und warf in der Hoffnung, den Eindruck zu erwecken, sie hätte gerade von irgendwem eine Nachricht erhalten, einen Blick darauf. War es schon spät genug, dass sie sich verdrücken konnte? Aber wie viel Aufmerksamkeit würde sie erregen, wenn sie, wie ihr Körper sie förmlich anschrie, die Beine in die Hand nahm und flüchtete?
Jedenfalls mehr als eine verletzte Gazelle, die im Zoo von Harbor City durchs Löwengehege humpelte.
Erst mal tief Luft holen. Dann die alten Nachrichten von Gina, Lucy und Fallon durchgehen. Lächle, als hättest du nicht gerade eine Panikattacke. Du kannst dich gleich in aller Ruhe vom Acker machen, ohne aller Welt zu demonstrieren, dass du komplett und ohne irgendwelche Abstriche peinlich und durchgeknallt bist.
»›Perfecto‹, ›Torpedo‹ und ›Parejo‹ sind alle drei was?«, las Ian die nächste Frage ab.
Ehe Tess antworten konnte – dieses Mal nur in Gedanken, weil sie nicht auf öffentliche Demütigungen stand –, rief Thors Ebenbild: »Zigarren!«
Nein, sie wollte ihn eigentlich nicht ansehen, es passierte einfach irgendwie. Und weil ihr Leben so war, wie es war, und sich darin eine unschöne Situation an die andere reihte, blickte er sie jetzt unverwandt an. Aber im Unterschied zu Tess schien er nicht das Geringste dagegen zu haben, dabei ertappt zu werden. Die anderen Männer am Tisch stöhnten, irgendwer rief ihm ein herzliches »Fick dich« zu. Doch er tat die Verwünschungen schulterzuckend ab und zeigte seinen Kumpanen den Mittelfinger, ohne sie dabei auch nur einen Moment aus den Augen zu lassen.
Es wäre gut, wenn du jetzt wegschauen könntest, Tess. Mach schon, wende den Kopf ab, einfach abwenden, Menschenskind!
Aber das tat sie nicht. Sie konnte es nicht. Vielleicht ließ der Wein sie irgendwie zur Salzsäule erstarren.
Ian fragte: »Wie hieß der echte Chef Boyardee mit Vornamen?«
Thors Ebenbild hob eine Braue und forderte sie zur Antwort heraus.
»Hector«, sagte sie, wobei sie den Namen nur zu flüstern glaubte, doch da die Tanzmusik gerade endete, der Wein seine Wirkung entfaltete und der Mann sie ansah wie die faszinierendste Person im ganzen Saal, klang ihre Stimme lauter als beabsichtigt.
»Heilige Scheiße, das stimmt sogar«, bemerkte Ian und drehte sich ganz zu ihr um – eine Bewegung, die alle am Tisch nachmachten, mit Ausnahme von Thors Ebenbild, der sie ja schon die ganze Zeit anglotzte. »Woher wissen Sie das?«
Wie oft im Leben hatte man ihr diese Frage schon gestellt? Zu häufig jedenfalls, um noch mitzählen zu können, und im Unterschied zu den Quizfragen, die Ian stellte, wusste sie darauf keine Antwort. Irgendwie hatte ihr Gehirn immer schon so funktioniert und ihr einen Ausweg gezeigt, wann immer sie etwas überwältigte oder schlicht aus dem Ruder lief.
»Machen wir es mal etwas spannender«, sagte Thors Ebenbild jetzt. »Miss Chef Boyardee und ich gegen euch sechs, die Besten aus drei Runden gewinnen.«
Moment. Was? Wie war sie da hineingeraten? Sie sah sich rasch nach einer Fluchtmöglichkeit um. Aber ihre Freundinnen hatten alle Hände voll mit den Männern zu tun, in die sie sich verliebt hatten, und alle, die sie an den anderen Tischen kannte, tanzten entweder oder saßen an ihren über das Parkett verteilten Tischen und lachten und machten Fotos. Sie war auf sich allein gestellt.
»Und worum spielen wir?«, wollte einer der Männer wissen.
Thors Ebenbild hob sein Glas. Der Inhalt sah aus wie Scotch auf Eis. »Die Verlierer zahlen am Wochenende die Getränke für das gesamte Team.«
Ein weiterer Spieler, den Lucy ihr als Alex Christensen vorgestellt hatte, ließ einen schrillen Pfiff hören. »Wenn man bedenkt, dass das eine unserer wenigen freien Wochen vor dem Saisonende ist, kommt da bestimmt einiges zusammen.«
»Machst du dir deshalb Sorgen, Christensen?«
Alex schnaubte verächtlich. »Ich will deiner berüchtigt verschlossenen Brieftasche bloß nicht das Wasser in die Augen treiben.«
»Wirst du nicht, weil wir nämlich nicht verlieren werden.« Thors Ebenbild sah sie an. Alles an ihm, von den schulterlangen blonden Haaren über die Grübchen in den Wangen bis hin zu seinen aus den aufgerollten Hemdsärmeln ragenden überirdisch muskulösen Unterarmen, verriet den superselbstbewussten Sex-Gott. »Alles klar?«
Sie war nicht die Sorte Frau, mit der Kerle wie Thors Ebenbild redeten. Sie gehörte eher zu der Sorte, die mit einem Fan-T-Shirt und schlichten Ohrringen in der Ecke stand.
Okay, heute Abend trug sie ein Kleid, und ihre unbändigen Locken kringelten sich mal nicht um ihr Gesicht und verfingen sich in ihrer Brille, sondern waren ordentlich hochgesteckt, trotzdem gehörte sie nicht mal annähernd zu der ersten Sorte Frau.
»Jeder verliert mal«, sagte sie. Die Worte entschlüpften ihr, bevor sie sie zurückhalten konnte. Ihre Nervosität und alte Gewohnheiten machten es fast unmöglich, dass in solch einem Moment nicht weitere Trivia einfach so aus ihr herausplatzten. »Stephen Kings Carrie wurde dreißigmal abgelehnt, bevor endlich ein Verlag zugriff.«
»Dann sind wir Nummer einunddreißig.« Damit stand er auf und rückte ihr einen freien Stuhl zuecht. »Kommen Sie, spielen Sie mit.«
Aber für sie war es nie ein Spiel, sich unters Volk zu mischen. Es war riskant und peinlich und ging mit der schweißfeuchten Gewissheit einher, dass sie einen großen Fehler beging – oder eine Million Fehler auf einmal. Es wäre besser, sie würde sich einfach umdrehen und gehen, aber das tat sie nicht, und sie hatte keine Ahnung, was sie davon halten sollte.
»Oh, mein Gott, Thor, wie können Sie wissen, dass der Mindestlohn 1938 bei fünfundzwanzig Cents pro Stunde lag, aber nicht, dass Lissabon die Hauptstadt von Portugal ist?«
Cole Phillips ließ ihr die Thor-Bemerkung durchgehen. Als Tess am Tisch Platz genommen hatte, wurden ihr reihum alle vorgestellt, trotzdem hatte sie an ihrem Spitznamen für ihn festgehalten. Und Cole hatte aufgehört, sie zu korrigieren, nachdem sie hintereinander weg zehn Fragen richtig beantwortet hatte. Schließlich war er nicht so dumm, sich darüber zu beklagen, wie es jemand anstellte, solange sie gewann und er am Ende des Tages nicht auf einer aller Voraussicht nach immensen Getränkerechnung sitzen blieb. Wenn es nach ihm ging, hätte Tess ihn sogar »Sahneschnitte« nennen und ihm dabei den Hintern versohlen dürfen.
Trotzdem konnte sein Ego ihren Kommentar nicht einfach so durchwinken – schon gar nicht, nachdem er vor einer Stunde beobachtet hatte, wie seine Verflossene, Marti, sich mit dem Wall-Street-Typen hinausschlich, mit dem sie seit einem Monat ging. Natürlich verletzte es seinen Stolz, machte ihm aber längst nicht so viel aus, wie er gedacht hatte, als er hörte, dass die beiden kommen wollten. Womöglich war diese Veränderung doch nicht der Teufel auf Rollerskates.
»Nicht jeder ist so ein Nerd und weiß, dass Cincinnati im 19. Jahrhundert als Pordo-, Porso-, äh, Portopolis bekannt war«, gab er, über das Wort stolpernd, zurück.
»Porkopolis«, sagte sie mit einem Kichern, das ein wenig kesser klang als noch ein Glas Wein vorher. »Grunz, grunz.«
Verflixt, mit ihren großen Augen, die kaum hinter ihrer Brille verschwanden, war sie ziemlich süß. Nicht mal die aus ihrem streng zurückgebundenen Haar geschlüpften Locken und das hellblaue, auf ein Pin-up-Girl zugeschnittene Kleid änderten etwas an dem Umstand, dass Tess das menschliche Äquivalent einer Zimtschnecke war – Zucker und Gewürz, und alles hübsch gemischt. Wäre er der Typ, der auf süße Mädchen stand, wäre er in Versuchung geraten.
Aber er stand nicht auf süße Mädchen.
Genau genommen bevorzugte er einen einzigen Typ Frau, und ihr Name war Marti Peppers, aber sie hasste ihn. Sie waren zusammen gewesen und wieder getrennt und wieder zusammen, seit er vor sechs Jahren in die Liga aufgestiegen war. Seit sechs Monaten waren sie mal wieder auseinander, und dieses Mal würden sie gewiss nicht wieder zusammenkommen. Das hatte sie unmissverständlich klargemacht. Er hatte ihr sein Herz geschenkt, und sie hatte ihm, nun ja, zwar nicht gerade den Laufpass gegeben, dafür aber ungefähr ein Dutzend Schüsse in den Rücken und ihm zum Schluss den Finger gezeigt.
Christensen wandte sich an die übrigen Ice Knights, die über das Wochenende zu Lucys Hochzeit herausgekommen waren. »Wie können diese beiden Schnapsdrosseln uns schlagen?«
Tess protestierte kreischend. »Wir sind nicht betrunken, wir sind bloß fröhlich!«
Er nickte zustimmend. »Sie sagt es.«
Schön, wo sein Herz mal gesessen hatte, gab es noch viel zu viele Scherben mit gezackten Rändern, um wirklich fröhlich zu sein, aber betrunken war er definitiv nicht. Ein wenig neben der Spur? Ja, schon, aber hackedicht? Nein.
»Letzte Frage für die sechs«, sagte Ian mit seiner schönsten Stadionsprecherstimme, mit der er in der Kabine immer alle zum Lachen brachte. »Wenn ihr Dummbeutel danebenliegt, bekommt das Team Zweisam die Möglichkeit, davonzuziehen. Wenn sie falschliegen, habt ihr gewonnen. Wie auch immer, ich trinke sowieso mein Lebendgewicht in Bier und ihr Idioten zahlt die Rechnung dafür. Alles klar?«
Die anderen nickten.
»In welchem Land wurde Arthur Conan Doyle geboren?«
Svoboda legte den Kopf schief. »Wer?«
»Der Typ, der Sherlock Holmes geschrieben hat«, warf Christensen ein.
Thibault, einer der Neulinge, trank einen Schluck Bier und sagte: »Ich dachte, das ist eine Fernsehserie.«
»Zuerst war es ein Buch«, berichtigte Christensen. Und sah den Neuling an, als wollte er sagen: »Stell dich nicht so unterbelichtet an.« »England muss richtig sein; Holmes war der größte englische Detektiv.«
»Ist das euer letztes Wort?«, wollte Ian wissen und wartete, bis der andere Mann genickt hatte. »Falsch!«
Alle auf der anderen Tischseite stöhnten auf. Christensen versank fast in seinem Stuhl, während der Neue sich seine Schadenfreude verkneifen wollte, damit aber kläglich scheiterte. Nun wandte sich Ian Cole und Tess zu.
»Er war …« Tess zögerte. »Darf ich mich kurz mit meinem Partner beraten?«
Ian nickte.
Sie winkte Cole heran, der sich halb vom Stuhl warf, um sich mit ihr darüber unterhalten zu können, wer zum Teufel genau was wusste. Dabei war es nicht so, dass sie nicht beide genau gewusst hätten, dass Doyle in Schottland geboren worden war. Tess drehte sich so auf ihrem Platz, dass sie den Jungs auf der anderen Seite fast den Rücken zukehrte, um ihnen beiden ein Mindestmaß an Privatsphäre zu verschaffen. Die Bewegung gewährte ihm Ausblick auf die obere Rundung ihrer Brüste – oder hätte es wenigstens, wenn er hingesehen hätte. Aber das tat er nicht. Wenigstens nicht sehr lang.
»Der Mindestlohn in der Liga beträgt etwa 750 000 Dollar«, sagte sie leise. »Sie verdienen mindestens so viel, oder?«
»Mehr.« Viel mehr, aber das musste er ihr nicht auf die Nase binden.
»Oh«, sagte sie, mit vor Verblüffung hoher Stimme. »Dann sind Sie ein sehr guter Spieler?«
Vielleicht war er doch etwas mehr als bloß neben der Spur, weil ihm nicht einleuchten wollte, dass sie das nicht wusste. Es gab eine Werbetafel von ihm mitten in Harbor City, dort wo sich die Touristen tummelten, einen Vertrag mit Under Armour und er kam fast täglich in den Sportnachrichten vor. »Sie kennen das Liga-Minimum, wissen aber nicht, ob ich als Hockeyspieler was tauge?«
»Leute sind nicht so mein Ding.« Sie spielte mit dem Ende der Schleife, die ihr Kleid an Ort und Stelle hielt. »Und ein paar von den anderen sind Neulinge, die also viel weniger verdienen?«
Wäre er nicht so davon abgelenkt gewesen, wie sie mit der Schleife spielte, und hätte er sich nicht gefragt, ob sie wohl halten würde, hätte er sicher eher kapiert, worauf sie hinauswollte. »Sie denken doch nicht …«
Sie nickte. »Oh doch.«
Seine Brieftasche schrie im übertragenen Sinn protestierend auf, aber wie sollte er diesem Gesicht einen Wunsch abschlagen? »Sie sind ein schrecklicher Einfluss.«
»Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein.« Sie lächelte, dabei zeigte sie ein Grübchen, das so niedlich war, dass man davon Karies bekommen könnte. »Ich bin vollkommen harmlos.«
Aber das glaubte er ihr nicht mal für eine Sekunde.
»Sind Sie sicher?«, fragte sie, plötzlich wieder ernst.
Als er nickte, wurde ihr Lächeln sogar noch breiter; er vibrierte innerlich nicht weniger als beim Aufstieg des Teams in die Play-offs.
Nun wandte sich Tess wieder dem Tisch zu und rief mit lauter, klarer Stimme: »Auch wenn ich anderer Meinung bin, besteht mein Partner darauf, dass er recht hat und Arthur Conan Doyle aus Australien stammte.«
»Falsch«, verkündete Ian und knallte, um sein Urteil zu unterstreichen, die Hand auf den Tisch. »Er wurde in Schottland geboren.«
Cole konnte es nicht glauben. Sie hatte ihn dazu gebracht, die Getränke der Mannschaft zu bezahlen und ihn dabei auch noch den Wölfen zum Fraß vorgeworfen. Australien? Das lag nicht mal auf derselben Hemisphäre wie die korrekte Antwort, und das wusste sie ganz genau. Ihrer Süße war definitiv etwas Säuerliches beigemischt.
Während die anderen Spieler einander abklatschten und zu frotzeln begannen, schloss Cole die Finger um ihre Lehne und zog den Stuhl zu sich heran. »Das war aber nicht sehr nett.«
»Stimmt«, sagte sie, doch es schien ihr kein bisschen leidzutun. »Aber schauen Sie mal, wie glücklich Sie die anderen gemacht haben.«
Natürlich waren sie begeistert. Die Glückpilze würden sich das ganze Wochenende auf seine Kosten betrinken – und das würden sie ihm wahrscheinlich bis in alle Ewigkeit unter die Nase reiben. Christensen hatte bereits sein Gesicht aufgesetzt, das ausreichend Bullshit ankündigte, um sämtliche Kornfelder von Nebraska damit zu düngen.
»Aber Sie müssen sich jetzt einfallen lassen, wie ich hier herauskomme, ohne dass es so aussieht, als würde ich kneifen, damit ich mir den ganzen Sermon ersparen kann.« Er deutete auf das Freudentänzchen, das Christensen und Svoboda gerade aufzuführen versuchten. »Das wäre zusätzlich zu den Ausgaben auch noch eine grausame und außergewöhnlich harte Strafe.«
Sie sah drei Sekunden lang schuldbewusst aus, dann erhob sie sich und sagte: »Nun ja, wir haben vielleicht verloren, aber wenigstens müssen wir jetzt nicht tanzen oder irgendwas in der Art.«
Seine Mannschaftskameraden stiegen sofort darauf ein, obwohl sie das scheinbar nur so dahingesagt hatte.
»Tanzen! Tanzen! Tanzen!«, stimmten sie einen Sprechchor an.
Nicht darüber zu lachen kam nicht infrage, also gestattete er sich eine in jüngster Zeit fremd gewordene Reaktion. »Was haben Sie getan?«
Da er beinahe brüllen musste, um seine idiotischen Teamkollegen zu überstimmen, war er nicht gerade überrascht, als sie nicht zurückschrie, sondern sich auf die Zehenspitzen stellte und sich zu ihm vorbeugte.
»Ich rette Sie aus einer prekären Lage«, sagte sie, ihre Lippen berührten fast sein Ohr. »Kommen Sie, einmal rund um die Tanzfläche, dann können wir uns durch den Wintergarten absetzen, ohne dass ihr zerbrechliches Männerego allzu sehr Schaden nimmt.«
Er warf einen Blick zur Tür auf der anderen Seite der gut gefüllten Tanzfläche. Es würde einiger Geschicklichkeit bedürfen, um sich durch die Tanzenden zu fädeln, ohne wie Flüchtende zu wirken. Andererseits war er daran gewöhnt, den Puck durch eine aus Profisportlern bestehende Abwehr zu spielen, die eine Menge Geld dafür bekamen, ihm den Puck mit dem Schläger oder durch eine Rempelei abzuluchsen. Das hier würde ihm daher leichtfallen.
Er grinste sie an und nahm ihre Hand. »Guter Plan.«
Der Plan war gut, bis sie die Tanzfläche betraten und sie in seinen Armen lag. Seine Schritte kamen einen halben Takt zu spät, was indes mehr von seiner Unfähigkeit zu tanzen als vom Scotch herrührte. Seine Hand lag in ihrem Kreuz auf der seidenweichen und dank des rückenfreien Kleides entblößten Haut, und ihr Kopf schmiegte sich an seine Achsel, denn – wie sollte es anders sein – kaum dass sie das Parkett betraten, begann ein langsames Stück.
Nichts an ihr entging ihm, als sie sich im Rhythmus wiegten: ihr beschleunigter Atem, als er mit dem Daumen über ihre Haut strich, wie sie näher kam, als sie über den Boden glitten, wie ihre Locken seinen Hals kitzelten. All das verband sich zu berauschender Vorfreude und einem Verlangen, das ihn sich nach dem Ausgang umsehen ließ, bevor er eine Dummheit machte, zum Beispiel dem Drang nachzugeben, sie mitten auf der Tanzfläche zu küssen.
Da blickte sie zu ihm auf, ihre vollen Lippen leicht geöffnet, und in ihren Augen lag unverstelltes Begehren. Und plötzlich schien es ihm eine prima Idee zu sein, eine Dummheit zu begehen.
»Bei drei verschwinden wir durch die Tür«, sagte er und zwang sich, den Satz beinahe alltäglich klingen zu lassen.
Und dann? Zum Teufel, er konnte es kaum erwarten, es herauszufinden.
Tess’ Kissen kitzelte ihr die Nase, als es sich, als würde es tief und gleichmäßig ein- und ausatmen, in einem sanften, stetigen Rhythmus auf und ab bewegte. Aber das ergab keinen Sinn, es sei denn – ihr blieb das Herz stehen, ihre Lunge stellte die Arbeit ein, als sie sich wie ein Klappmesser aufrichtete; sie kniff die Lider zusammen, denn sehen hätte erkennen bedeutet, was wiederum bedeutet hätte … sie riskierte einen Blick.
Oh, mein Gott. Sie hatte keinen feucht-heißen Traum gehabt. Sie hatte mit Cole Phillips gevögelt.
Cole.
Fucking.
Phillips.
Thors Ebenbild höchstpersönlich.
Und das mehrmals.
Im Wintergarten.
Im Vorraum seines riesigen Hotelzimmers.
Und schließlich in seinem gigantischen Bett, das sie jedoch nur zur Hälfte mit Beschlag belegten, weil sie sich bis vor etwa zehn Sekunden aneinandergekuschelt hatten.
Oh, mein Gott!
Sie hatte offensichtlich den Verstand verloren. Oh, na klar, sie konnte den drei Gläsern Wein oder der Hochzeitsstimmung die Schuld dafür geben, dass sie die Contenance verloren hatte, trotzdem … einer von Lucys Klienten? Ein Profisportler? Den sie gerade erst kennengelernt hatte?
Da begann sich Cole neben ihr zu rühren und einladend mit der Hand aufs Bett zu klopfen. »Es ist noch zu früh, um schon aufzustehen, Mar-« Er fuhr erschrocken auf.
Jetzt saßen sie beide aufrecht im Bett, starrten einander mit vor Entsetzen geweiteten Augen an und schnappten nach Luft, als wären sie gerade einer Horde Zombies entkommen.
Zum Glück war sie eine Frau, die akzeptierte, dass es das Schicksal auf sie abgesehen hatte. Wenn nicht, wäre sie in dem Moment, als über ihrem Kopf die sinnbildliche Glühbirne aufleuchtete und ihr klarmachte, dass der erste Mann, mit dem sie seit beinah einer Ewigkeit Sex gehabt hatte, sie nach dem Aufwachen für jemand anderen hielt, auf schmerzliche Weise eines Besseren belehrt worden. Was ziemlich schmerzhaft gewesen wäre.
»Tess«, klärte sie ihn auf, während sie sich die Bettdecke an die Brust drückte und, eine Pobacke nach der anderen, an die Bettkante rutschte. »Mein Name ist Tess.«
»Ja, klar …« Cole fuhr sich mit den Fingern durchs Haar, das wie von Zauberhand lose auf seine Schultern fiel, als würde er in einer Shampoo-Werbung mitspielen. »Ich war bloß noch nicht ganz wach.«
Das war einfach nicht fair – dass seine Haare schon morgens so perfekt lagen, nicht was er gesagt hatte. Es war ihr EGAL, in Großbuchstaben, dass er sie fast beim Namen einer anderen genannt hätte, schließlich machte sie sich keinerlei Illusionen darüber, wer sie war oder wer er war und was zur Hölle überhaupt passiert war. Nee, wenn es um ihren Verkehr mit gerade mal einer Handvoll Menschen ging, blickte sie der Wahrheit unerschrocken ins ungeschminkte Gesicht. Deshalb liebte sie Trivia. Fakten waren unkompliziert und eindeutig und leicht zu bestimmen. Menschen waren das alles überhaupt nicht. Nie. Was sie besser als irgendjemand sonst wusste und weshalb sie die unverblümte Wahrheit, dass sie dem Hochzeitsfluch zum Opfer gefallen war, umso übler traf. Und danach zu urteilen, wie der Blick von Thors Ebenbild gerade im Hotelzimmer umherschoss und an jedem Möbel zweimal hängen blieb, ohne sie auch nur ein einziges Mal anzusehen, hatte er nicht den geringsten Schimmer, was los war.
»Flipp nicht gleich aus«, sagte sie, indem sie einen Fuß auf den Boden setzte und samt Bettdecke aufstand. »Wir sind bloß verhochzeitet.«
Natürlich sah er sie jetzt an, während sie mit einer Hand die Bettdecke festzuhalten und sich gleichzeitig ihr Höschen anzuziehen versuchte, das sie sich mit der anderen Hand vom Teppich geangelt hatte. Linkisch, wie sie war, fiel es ihr alles andere als leicht, einhändig in ihren Slip zu steigen. Den Blick von dem Kerl im Bett ab- und der Zimmerdecke zuzuwenden, schien jedoch zu helfen, also machte sie es so, hüpfte auf einem Bein stehend herum und zerrte das Höschen dann schnell an Ort und Stelle.
»Verhochzeitet? Was soll das denn heißen?«, wollte Cole wissen.
»Wir haben uns irgendwie von dem glücklichen Anlass hinreißen lassen.« Sie schaute auf ihn hinunter. Das erwies sich als Fehler. Denn er war splitterfasernackt, bloß die um die Taille gewickelte Decke hinderte sie daran, ihn in seiner ganzen Pracht im morgendlichen Licht betrachten zu können. »Dann ist es passiert.«
»Verhochzeitet.« Am Ende hob er ein wenig die Stimme, als würde er die neue Vokabel zum späteren Gebrauch in einen geistigen Aktenschrank einsortieren.
»Ganz genau.« Sie presste sich die Bettdecke gegen ihre Brust, als hätte er nicht längst jeden Quadratmillimeter von ihr gesehen, berührt und geküsst, woran sie indes nicht denken wollte, als sie seitwärts zu einem Sessel watschelte, in dem in der Eile, sich auszuziehen, gestern Abend ihr Kleid gelandet war. »Hoffentlich ist es noch so früh, dass ich mich in mein Zimmer schleichen kann, ohne dass mich jemand sieht.«
Er nahm sein Handy vom Nachttisch. »Es ist zehn.«
»Was?« Panik traf sie wie ein elektrischer Schlag und fuhr ihr bis in die Zehen. Shit. Nein.
Nun gab sie die Bettdecke auf und lief den Rest des Weges zum Sessel, packte ihr Kleid und zog es sich über den Kopf, während sie bereits zur Tür eilte. »Ich hätte mir schon vor einer halben Stunde in Lucys Zimmer die Haare machen lassen sollen.« Sie griff nach ihrer Handtasche, stopfte den BH hinein und hob ihre Schuhe vom Boden neben der Zimmertür auf, wo sie sie gestern Abend abgestreift hatte. »Ich muss los.«
»Wir sehen uns dann auf der Hochzeit.«
Dann? Sie müsste ihm nach dieser Nacht noch mal gegenübertreten. Oh, ich komme in die Hölle!
Und da sie keine Ahnung hatte, was sie dazu sagen sollte, tat sie, was sie immer tat, und verließ sich auf ihre Freunde, die zufälligen, irrelevanten Fakten, ob sie es nun wollte oder nicht.
»Die Römer gaben Frischvermählten einen besonderen Brotlaib, den manche Ehegatten dann über dem Kopf der Braut brachen, was der Grund dafür ist, dass wir heute noch Hochzeitstorten haben«, platzte sie heraus.
Schweig still, verrücktes Hirn.
Cole gluckste. »Ich hoffe wirklich, dass Frankie das nicht bei Lucy probiert. Ich glaube nämlich nicht, dass das gut ankommt.«
Sie widersprach ihm nicht, traute sich aber durchaus zu, ihm einen Vortrag über die Herkunft dieser Redensart zu halten, und entschied sich deshalb für ein schlichtes: »Bye.«
Dann stürmte sie beinah aus dem Zimmer und die nahe Treppe hinunter in ihre Etage. Sie duschte in Rekordzeit, kleidete sich an, griff nach ihrem Brautjungfernkleid und eilte mit noch feuchten Locken in Lucys Suite.
Ihre Mädels waren vollständig versammelt. Lucy wurde gerade geschminkt. Gina saß auf einem Hocker, während eine Haarstylistin ihr Haar zu einer komplizierten Frisur auftürmte, die anscheinend nur von Hoffnung und Haarspray, wahrscheinlicher aber von einer Million Haarnadeln zusammengehalten wurde. Fallon hockte, schon vollständig angezogen, die Haare zum schlichten Zopf geflochten, in einer Ecke und sah sich auf ihrem Smartphone Eishockeyszenen an.
»Da schau her, wer endlich kommt«, rief Lucy lächelnd und musterte Tess neugierig.
Tess kam abrupt zum Stehen und biss sich in die Wange, um weder Geheimnisse noch Wissensperlen unters Volk zu streuen. Sie wollte nicht, dass die anderen erfuhren, was vorgefallen war. Cole würde sie noch vor dem Jawort vergessen haben, und damit war sie absolut einverstanden. Schließlich hatte sie genug Erfahrung damit, vergessen zu werden.
Was sie allerdings nicht wusste, war, wie sie damit umgehen sollte, dass ihre drei besten Freundinnen sie anstarrten wie einen Königskuchen, in dem eine Überraschung versteckt war.
Diese Frauen kannten sie. Einem Verhör durch sie konnte sie unmöglich standhalten. Womöglich war es das Beste, wenn sie die Visagistin anflehte, irgendetwas Drastisches mit ihrem Äußeren anzustellen, damit sie erst mal stillhalten musste und sich weder bewegen noch sprechen oder jemanden anschauen konnte. Aber war das ohne so eine Mission-Impossible-Maske überhaupt möglich? Vermutlich nicht. Damit war sie definitiv geliefert.
Gina gab ein erleichtertes Seufzen von sich. »Wir wollten schon einen Suchtrupp losschicken.«
»Das wäre dann wohl ich gewesen«, sagte Fallon und hob die Hand.
»Tut mir leid«, entschuldigte Tess sich und setzte sich für die Visagistin in den Liegestuhl. »Ich habe vergessen, den Wecker zu stellen.«
»Dann hat deine Verspätung nichts damit zu tun, dass du dich gestern mit Cole Phillips verdrückt hast?«, fragte Lucy.
»Wir wollten im Wintergarten nur ein bisschen Ruhe«, entgegnete Tess und verschränkte krampfhaft die Hände im Schoß. »Der DJ war so laut.«
»Armer Cole«, ließ sich Gina zwischen Haarspraystößen der Stylistin vernehmen. »Der Junge hat es nicht leicht. Danke, dass du ihm die Zeit vertrieben hast.«
»Nicht leicht? Inwiefern?« Nicht dass es sie interessierte, sie war bloß von Natur aus neugierig. Weiter nichts.
Gina schüttelte zum großen Verdruss der Stylistin den Kopf. »Seit gefühlt einer Million Jahren geht und geht er wieder nicht mit Coach Peppers Tochter Marti, aber sie hat vor Kurzem endgültig Schluss gemacht. Laut Online-Klatsch ist er total am Ende.«
»Ja«, sagte Lucy, ehe sie ihren leuchtend roten Lippenstift abtupfte. »Aber wird es diesmal dabei bleiben?«
»Das ist die Eine-Million-Dollar-Frage.« Gina rutschte vom Stuhl, während die Friseurin sie von allen Seiten begutachtete. »Allerdings scheint sie es dieses Mal ernst zu meinen, auch wenn er wohl nicht dazu bereit ist aufzugeben. Oh, ich hoffe jedenfalls, es haut noch mal hin.«
Genau so war Gina. Ganz gleich, wie sehr sie es geleugnet hatte, bevor sie Ford kennenlernte – im Herzen war sie eine unverbesserliche Romantikerin, deshalb war es auch keine Überraschung, dass sie Hochzeitsplanerin geworden war. Ihr ging es nur um Liebe auf immer und ewig.
Und Tess? Nicht mal annähernd.
»Ehrlich, Tess, du bist bestens geeignet, ihn vom Trübsal blasen abzuhalten«, meinte Lucy. »Also, bitte sofort Alarm schlagen, wenn irgendwer ihn bei der Hochzeit dabei erwischt, vor allem, wenn Marti in der Nähe ist. Der Junge kann alle Freunde gebrauchen, die er kriegen kann, weil er momentan nämlich ein Fiasko ist.«
»Auf jeden Fall spielt er so«, sagte Fallon, ihres Zeichens der größte Ice-Knights-Fan vor Ort. »Er ist abgelenkt, und das sieht man auf dem Eis.«
»Nicht jeder kriegt eine Glücksfee«, murmelte Tess, und Fallon verdrehte die Augen. »Vergiss es. Dass Zach jetzt besser spielt, hat mit mir überhaupt nichts zu tun.«
»Na, wie auch immer, wir Ice-Knights-Fans sind dir unendlich dankbar«, sagte Gina.
Tess schwirrte der Kopf. Für sie hatte sich alles von normal peinlich und durchgeknallt zu peinlich und durchgeknallt in einem wahrhaft monumentalen Ausmaß entwickelt, weil sie etwas getan hatte, das sonst einfach nicht ihre Art war, und mit einem Typen geschlafen, den sie nicht mal entfernt kannte. Und um alles noch unangenehmer zu machen, hing er noch an einem anderen Mädel, das genau wie er auf der Hochzeit erscheinen würde. Unmöglich, dass das in etwas anderem enden konnte als in einer totalen Katastrophe.
Cole war in der Hölle, und sie spielten »Electric Slide«.
Für so etwas gab es auf der ganzen Welt nicht genug Alkohol – was andererseits auch wieder gut war. Weil er immer noch die Mannschaft aushielt. Klar war irgendwo auch eine Bar, die umsonst ausschenkte, aber vor allem die Neuen fanden es lustiger, in die Hotelbar zu gehen und nicht an die Bar, wo die Getränke zur Hochzeitsfeier ausgeschenkt wurden. Arschgeigen. Sicher, falsch lagen sie nicht, es war tatsächlich lustiger, aber Arschgeigen waren sie trotzdem. Schlimmer konnte es unmöglich kommen.
»So.« Petrov zog das einsilbige Wort derart in die Länge, dass es mindestens wie vier Silben klang. »Du bist gestern Abend mit dem Lockenkopf verschwunden.«
Offenbar galt seine früher abgegebene Erklärung jetzt als zweifelhaft.
Als er von der Tanzfläche zu dem neben ihm sitzenden Mann blickte, sah er, dass der seine Fliege lose umhängen hatte, ein Glas allerfeinsten Single Malt in der Hand hielt und ein breites, dämliches Grinsen im Gesicht hatte. Womit sich seine Lage potenziell verschlechterte.
Cole zuckte die Achseln. »Wir haben getanzt.«
»Und dann seid ihr verschwunden.«
Ja, gefolgt von verflucht gutem Sex und – oh ja – dem grandiosen Zug, die Frau, mit der er im Bett lag, beim Aufwachen mit dem Namen seiner Ex anzusprechen. Ein echt beschissener Zug, auch wenn es für ihn nach dem Aufwachen eine Herausforderung bedeutete, sich an seinen eigenen Namen zu erinnern. Er hatte die letzten sechs Monate damit zugebracht, darauf zu warten, dass Marti ihm noch eine Chance gab – was sie bisher immer getan hatte –, und jede Gelegenheit, etwas mit einer anderen anzufangen, weit von sich gewiesen. Doch dann war er verhochzeitet worden, was der geistesgegenwärtige Center neben ihm nicht vergessen würde, also konnte er ebenso gut die Gelegenheit ergreifen und zurückschießen.
»Willst du mir irgendwas sagen, Petrov?«
»Nö, ich will dir nur mitteilen, was ich gesehen habe, und dir auf die Schulter klopfen, weil du endlich die Vergangenheit hinter dir lässt.« Darauf stieß Petrov sein Glas gegen Coles. »Ich habe dich seit Monaten, trotz der Bemühungen einiger besonders einfallsreicher Fans, mit keiner Frau mehr gesehen.«
»Ich muss überhaupt nichts hinter mir lassen.« Denn am Ende würde sich alles fügen und wieder die altgewohnten Pfade einschlagen. Solide. Sicher. Unwandelbar. So wie es ihm gefiel. Sie waren lediglich vorübergehend, nicht aber für immer vom rechten Weg abgekommen.
»Willst du mir etwa sagen, dass letzte Nacht nichts vorgefallen ist? Blödsinn. Ich habe doch gesehen, wie du sie angesehen hast.«
»Jedenfalls ist nichts von Bedeutung vorgefallen.« Innerlich wand er sich, weil er sich wie ein Volltrottel anhörte, aber das behielt er für sich, verborgen unter vierzehn Schichten Eis. Wenn er Petrov die geringste Andeutung zukommen ließ, dass da mehr gewesen war, würde der ihm das bis in alle Ewigkeit aufs Brot schmieren. »Aber es war nett.«
Sogar dreimal. Er hatte sein Hotelzimmer abgesucht, bis er die beiden aufgerissenen Kondompäckchen auf der Kommode und das eine in seiner Hosentasche gefunden hatte, das er schon im Wintergarten hineingestopft hatte – alles nur, um seiner Erinnerung auf die Sprünge zu helfen, dass sie es dreimal nett und gut geschützt miteinander getrieben hatten.
Alex Christensen, der zweite Angriffsspieler des Teams, hatte Cole Kondome für, wie er sich ausdrückte, »die erstklassigen Gelegenheiten, die eine Hochzeit bietet« in die Brieftasche gesteckt. Cole hatte darin die Schikane erkannt, die es auch tatsächlich war. Ihm war keinen Augenblick in den Sinn gekommen, sie auch zu benutzen, bis Tess ihn zu etwas überredet hatte, was er sonst niemals tat – nämlich verlieren. Was in aller Welt war bloß mit ihm los?
»Zuerst pflastert Christensen meine Brieftasche mit Kondomen, und jetzt träufelst du mir irgendwas von wegen Tess ins Ohr«, brummte er in sich hinein, bevor er den Blick abermals auf das gotterbärmliche Deckenfresko richtete, das irgendwelche griechischen Götter zeigte, ganz zu schweigen davon, dass Ikarus sich von der Sonne entfernte, statt darauf zuzufliegen.
»Vielleicht sind wir ja alle der Meinung, dass es Zeit für dich ist, neue Wege zu gehen«, sagte Petrov, ohne überhaupt mitzubekommen, dass Coles Bemerkung bloß rhetorisch gewesen war. »Hast du je daran gedacht, einfach zu gehen, nachdem Marti Schluss gemacht hat, auch wenn sie eines der coolsten Mädchen ist, das wir kennen? Ich meine, das ist jetzt sechs Monate her.« Er deutete auf die Tanzfläche. »Sie scheint jedenfalls neue Wege zu gehen. Mach es wie sie. Du hast die Frauen, die sich dir an den Hals werfen, monatelang nicht beachtet, aber gestern vergaffst du dich plötzlich in Tess? Das hört sich für mich an, als hättest du Bock auf was Neues.«
Cole richtete sein Augenmerk auf die Tanzfläche. Er musste nicht lange suchen, bis er sie gefunden hatte. Marti tanzte mit dem Wall-Street-Typen, der aussah, als könnte er sich nicht entscheiden, ob er ihr auf die Titten glotzen oder seine Finger in irgendeine Witwen-und-Waisen-Kasse stecken wollte. Wo hatte sie bloß diesen Schwachkopf aufgetrieben? Der Kerl war doch unter ihrer Würde.
»Wenn ich bitte mal um allgemeine Aufmerksamkeit bitten darf«, übertönte der DJ die Musik so laut, dass er auch Coles inneren Disput abwürgte. »Zeit, den Brautstrauß und das Strumpfband zu werfen!«
Ein Stuhl wurde auf die Tanzfläche getragen, und der rothaarige Riese namens Frankie, den Lucy geheiratet hatte, führte seine Braut dorthin. Als sie sich setzte, flüsterte Frankie ihr irgendetwas ins Ohr, das sogar die toughste, coolste PR-Krisenmanagerin im Haifischbecken rot werden ließ, dann griff er ihr unters Kleid und zog ihr das Spitzenstrumpfband vom Bein. »Wenn sich nun bitte alle alleinstehenden Männer auf der anderen Seite der Tanzfläche und die Singlefrauen hier auf meiner Seite aufstellen würden«, rief der DJ.
Cole hegte nicht die geringste Absicht, sich von seinem Platz fortzubewegen, doch Petrov und Christensen hakten ihn links und rechts unter, zogen ihn von seinem Stuhl und zwangen ihn dorthin, wo die alleinstehenden Kerle herumlungerten.
»Ich werde dieses Ding nicht fangen«, sagte Cole und vergrub demonstrativ die Hände in den Taschen.
Christensen zeigte grinsend seine Zähne, von denen er wie durch ein Wunder noch keinen eingebüßt hatte. »Keine Sorge, wir haben vor, es für dich zu fangen.«
»Ihr zwei seid Arschlöcher«, gab er seufzend zurück.
Petrov zuckte träge eine Achsel. »Was dir aber nicht unbedingt neu ist.«
»Eins«, begann der DJ den Countdown.
Frankie wirbelte das Strumpfband um einen Finger und beäugte dabei die Reihe der Single-Männer. Cole trat tiefer in die Menge zurück, aber ein paar Mannschaftskameraden, die dringend ein Hobby oder eine Freundin oder beides brauchten, schubsten ihn nicht sonderlich zartfühlend wieder nach vorne.
»Zwei.«
Dann spannte Frankie das Strumpfband wie eine Schleuder und zielte damit auf einen Teil der Versammelten, die denkbar weit von Cole entfernt standen. Schmutzig grinsend warf er einen Blick über die Schulter auf Christensen und Petrov. Die beiden konnten ihn nur vorne festhalten, indem sie ihm den Rückweg abschnitten, aber wenn sie das Strumpfband, wie geplant, für ihn aus der Luft fangen wollten, blieben die übrigen Männer unbeobachtet. Der Fluch der doppelten Manndeckung.
»Drei.«
Aber im allerletzten Moment drehte sich Frankie und schoss das Strumpfband auf Cole ab. Es sauste durch die Luft wie ein Puck Richtung Tor. Er wollte die Hand nicht heben und nach der fliegenden Spitze greifen, aber Reflexe waren einfach eine höllische Erfindung. Schon hielt er das Ding in der Hand, ohne überhaupt bemerkt zu haben, dass er sich danach gestreckt hatte.
Dreckskerl!
Er schob das verfluchte Band, so schnell er konnte, in die Tasche und ignorierte das selbstzufriedene Gelächter der beiden Idioten hinter ihm. Vielleicht bekam es ja niemand mit.
»Und damit haben wir unseren Gewinner«, rief der DJ. »Und jetzt halten sich alle auf meiner Seite der Tanzfläche versammelten Damen für den Blumenstraß bereit!«
Lucy kehrte der Frauenschar den Rücken, deutete mehrmals an, den Strauß jetzt aber ganz bestimmt zu werfen, tat es aber nicht, und schließlich sausten die Blumen dann doch durch die Luft. Sie flogen im hohen Bogen über die Freifläche, trafen Tess dann mitten im Gesicht und landeten auf dem Boden, während alle ringsum kollektiv nach Luft schnappten.
»Es geht mir gut«, verkündete Tess, die sich Rosenblätter aus der Frisur klaubte. »Nur eine Fleischwunde.«
Die gute, alte Monty-Python-Schule. Cole musste trotz seines Ärgers über die Strumpfbandaffäre grinsen.
»Applaus für unsere glücklichen Gäste, die jetzt gemeinsam den Tanz eröffnen«, sagte der DJ, dessen sich überschlagende Stimme unüberhörbar sein Lachen kaschieren sollte.
Was zur Hölle? Tanzen? Nein. Schon abgedreht genug, dass er Lucys Strumpfband mit sich herumtrug. Dass er nun auch noch vor aller Augen mit einer Frau tanzen sollte, mit der er letzte Nacht unversehens verhochzeitet worden war, hatte ihm gerade noch gefehlt.
Er rührte sich nicht von der Stelle. Tess auch nicht. Stattdessen standen sie sich, jeder auf seiner Seite der Tanzfläche, wie angewurzelt gegenüber, wobei sie genauso entsetzt aussah, wie er sich fühlte.
»Mr Strumpfband und Miss Brautstrauß.« Der DJ lachte über seinen eigenen Scherz. »Sie sind dran!«
»Aber ich hab den Strauß gar nicht gefangen«, widersprach Tess mit beim letzten Wort schriller Stimme.
Aber keinen schien ihr berechtigter Einwand zu interessieren, stattdessen verhielt sich ihr Anhang so ziemlich genauso wie Coles – kaum begann ein langsames Stück, fühlte er sich ergriffen und auf die Tanzfläche geschoben. Letzte Nacht hatte er, ohne eine Sekunde zu zögern, seinen Arm um ihre Taille geschlungen und sie an sich gezogen. Nicht so heute. Ohne die Begeisterung nach dem Fragenspiel und dem Schmiermittel Alkohol schien alles viel langsamer, dafür aber mit einem erheblich höheren Maß an Peinlichkeit vonstattenzugehen.
»Ich werde dich jetzt aber nicht verfolgen«, sagte sie, als sie die linke Hand auf seine Schulter legte. »Deshalb musst du dir keine Sorgen machen.«
Toll gemacht, Vollpfosten, wegen dir fühlt sie sich jetzt beschissen. Du solltest dir dein Talent patentieren lassen. »Wer sagt, dass ich mir Sorgen mache?«
Sie hob den Blick zu ihm, als sie sich über die Tanzfläche zu schieben begannen, die sich allmählich mit weiteren Paaren füllte. »Also machst du so was häufig, ohne danach von irgendwelchen Verrückten verfolgt zu werden?«
»Was mache ich?« Wie hatte ihm in der vergangenen Nacht entgehen können, dass eines ihrer Augen blau und das andere grün war? Es war kaum zu sehen, die Farbe unterschied sich nur um Nuancen; außerdem trug sie eine Brille, eine zusätzliche Schutzschicht zwischen ihr und der Außenwelt, trotzdem hätte ihm der Unterschied auffallen müssen. »Du hast eine Iris-Heterochromie.«
»Das ist gar nicht so selten«, sagte sie und kniff die Augenlider zusammen. »Jedes Jahr werden mehr als zweihunderttausend Fälle diagnostiziert, aber wechsle nicht das Thema. Ich weiß, dass du noch an deiner Ex hängst. Deshalb bilde ich mir auch nicht ein, dass die vergangene Nacht etwas anderes bedeutet, als dass wir verhochzeitet wurden.«
Ihre nüchterne Erklärung traf ihn wie ein Stockschlag ins Gesicht. Aus unerfindlichen Gründen brannte und stach sie und hätte leicht einen blutigen Striemen hinterlassen können. Was andererseits aber keine Rolle spielte. Überhaupt keine. Schließlich war er ja nicht im Geringsten an ihr interessiert.
Weil er Bewegung brauchte, wirbelte er sie ein wenig schneller herum, als der Takt es vorgab. »Gut zu wissen.«
Danach hielten sie beide den Mund, was wohl auch besser so war.
Die letzte Nacht war eine zufällige Begebenheit gewesen. Seine Zukunft war bereits genauestens verplant, und zwar bis auf die alphabetisch geordneten Bücher in seinem Bau, das seit seinem zehnten Lebensjahr jeden Tag pünktlich und unveränderlich eingenommene Frühstück und die Frau, mit der er sein Leben verbringen würde. Und diese Frau war Marti. Die Frau, die, was auch geschehen mochte, immer für ihn da gewesen war. Sie würden schon wieder zueinanderfinden. Wie sie es immer taten.
»Wusstest du, dass der Strumpfbandwurf ursprünglich aus England und Frankreich stammt und dass die Hochzeitsgäste als Glücksbringer ein Stück vom Brautkleid ergattern wollten?«, fragte Tess, wobei ihre Hand seine Schulter ein wenig energischer fasste als bisher. »Also begannen die Bräutigame Teile des Brautkleids unter die Leute zu werfen, um die Menge zu beruhigen und damit die Braut bei der Vorstellung, ihr könnte das Kleid in Fetzen vom Leib gerissen werden, keinen Nervenzusammenbruch erlitt.«
»Wusste ich nicht.« Innerlich schüttelte er das Unbehagen ab, das ihn jedes Mal überkam, wenn eine Veränderung seiner täglichen Routine drohte, und grub in seinem Gedächtnis nach eigenem Wissen über Hochzeitsriten. Konkurrenzdenken? Er? Aber ja doch! »Und wusstest du, dass der Brautstrauß ursprünglich aus Knoblauch, Kräutern und Gewürzen bestand und böse Geister vertreiben sollte?«
Zum ersten Mal, seit sie ein Schwung Rosenknospen ins Gesicht getroffen hatte, konnte sich Tess ein Lächeln nicht verkneifen. »Das kommt mit auf meine Liste.«
Da fiel die Spannung in den Schultern von ihm ab, und obwohl er es gar nicht wollte, zog er sie näher an sich, und zu den letzten Takten schwebten sie über die Tanzfläche. Dann legte der DJ etwas Schnelleres auf und ermunterte die Menge, das Tanzbein zu schwingen. Tja, Cole war leider nicht im Besitz auch nur eines Tanzbeins, und so wie Tess dastand und Umschau hielt, galt dasselbe wohl für sie. Schließlich kehrte ihr Blick zu ihm zurück.
»Viel Glück mit ihr. Deiner Ex, meine ich …«, sagte sie, löste sich aus seinen Armen und trat einen Schritt zurück. »Ich hoffe, es geht gut aus für dich.«
Bevor er etwas darauf erwidern konnte, eilte sie von ihm fort und verschwand im Gedränge. Als er an sich hinunterblickte, sah er ein paar Blütenblätter, die, so unwahrscheinlich es auch sein mochte, an den Aufschlägen seines Abendanzugs hafteten. Wahrscheinlich würde er Tess nie wiedersehen, trotzdem schob er die Blütenblätter in seine Tasche, als er die Tanzfläche verließ und sich fragte, was sie ihm wohl über Rosen, den Ursprung des Smokings oder die beliebtesten Hochzeitslieder würde erzählen können. Nun würde er all das wohl selbst herausfinden müssen, denn sie hatte ja recht, sie waren lediglich verhochzeitet worden. Mal im Ernst, wie standen die Chancen, dass er Tess noch einmal begegnen würde? Null. Nada. Niente. Und das war auch gut so. Wirklich.
Aber warum starrte er dann noch immer auf die Stelle, an der sie verschwunden war, statt auf Marti und ihren bescheuerten Begleiter, wie er es sonst ganz sicher getan hätte? Woher zum Geier sollte er das wissen? Schließlich war er Eishockeyprofi und nicht Sigmund Freud.
Einen Monat später …
Wenn es etwas in ihrem Leben gab, worauf Tess sich verlassen konnte, dann war es ihre Periode, die sie alle achtundzwanzig Tage mit der Pünktlichkeit einer aus Krämpfen und dem Heißhunger auf Almond-Joy-Schokoriegel gefertigten Uhr überfiel. Und heute war, ihrer Tracking-App zufolge, bereits Tag neunundzwanzig, und sie hockte atemlos auf dem Rand der Badewanne in ihrem winzigen Badezimmer und starrte auf vier Schwangerschaftstests, die neben dem Waschbecken aufgereiht lagen, während ihr Kätzchen Kahn durchs Zimmer und um ihre Waden strich.
Waren vier Tests für ein zweifellos negatives Ergebnis nicht maßlos übertrieben? Wahrscheinlich. Schließlich hatten sie Kondome benutzt. Insgesamt drei. Und es hatte nur diese eine Nacht gegeben. Also lag es mehr als wahrscheinlich an dem Stress, den ihr Onkel und Vermieter, der Arsch, ihr machte, weil er ihr mit der Erhöhung der Miete für ihren Blumenladen und das darüber gelegene Apartment drohte. Endlich warf Forever in Bloom mal ordentlichen Gewinn ab und sie hatte vorgehabt, für das Geld einen Buchhalter anzuheuern, um die Buchführung nicht länger selbst machen zu müssen.
Kahn miaute und biss Tess mit seinen kleinen spitzen Zähnen ins Bein.
»Aua.« Sie rieb sich die schmerzende Stelle direkt über dem Knöchel. »Wofür war das denn?«
Das Kätzchen, ein schwarz-weißes Fellknäuel, schlenzte nur mit dem Schwanz und blickte zu Tess hoch, als hätte sie ihn schon mit der Frage irgendwie enttäuscht. Kahns Zähne waren kein Witz, und sie sah von den Knien abwärts längst aus wie ein Nadelkissen.
Da begann ihr Handy auf der Badezimmerkommode zu vibrieren, und sie richtete sich kerzengerade auf, vergaß den Biss und erinnerte sich stattdessen wieder an ihren nervös flatternden Magen. Wenn sie sich ein bestimmtes Testergebnis erhofft hätte, dann würde sich diese Erfahrung jetzt bestimmt anders anfühlen. Gelassener? Hoffnungsvoller? Stattdessen war sie ein Tohuwabohu widerstreitender Gefühle, die von »Bitte, lass es wahr sein« bis »Oh, du lieber Gott, nein« und allem Möglichen dazwischen reichten.
Bis sie ihre Mädels Lucy, Fallon und Gina kennenlernte, hatte sie so etwas wie eine Familie eigentlich nie gehabt. Ihre Mutter hatte in ihr meistens nur eine Unannehmlichkeit gesehen, derer sie sich, wann immer möglich und so lange wie möglich, bei diversen Verwandten entledigt hatte. Und ihre Tanten und Onkel ließen sie nie vergessen, dass sie ihnen zur Last fiel und dass sie das Kind nur aus Christenpflicht in ihren Häusern aufnahmen – wobei diese Aufnahme eher einer widerwilligen Duldung glich.
Aber ein Baby? Damit würde sie ihre eigene Familie in die Welt setzen. Sie würde dafür sorgen können, dass sie es richtig machte, weil sie am eigenen Leib erlebt hatte, was man alles falsch machen konnte.
Doch Zweifel gingen ihr im Kopf herum und zerstreuten und vertrieben ihre schönsten Hoffnungen, denn was sollte werden, wenn sie einfach nicht für eine Familie geschaffen war? Wie oft musste sie diese Lektion denn noch lernen? Selbst wenn sie das Kind bekam – wenn es überhaupt ein Kind geben würde –, glaubte sie denn, dass sie ihm als Alleinerziehende genügen könnte? Würde sie nicht vielmehr sämtliche Fehler wiederholen, denen sie als Kind ausgesetzt gewesen war?
Kahn holte nach ihrem Schienbein aus und sah sie aus seinen kleinen Augen neugierig an, als wollte er sagen: Na, guck schon nach!
»Und ich dachte immer, die Behauptung, Katzen würden die Menschen beherrschen, wäre total übertrieben«, sagte Tess, mehr zu sich selbst als zu dem Kätzchen, und stand auf, um sich über die Anzeigen aller vier Schwangerschaftstests beugen zu können.
Plus.
Sie glotzte, blinzelnd und verständnislos.
Plus.
Ihr Puls schoss in die Höhe.
Plus.
In ihrem Hals bildete sich ein Kloß. Freude? Angst? Erstaunen?
Plus.
Ehe sie gänzlich vergessen konnte, Luft zu holen, hatte sie erst einmal das Gefühl, überhaupt nicht mit dem Ein- und Ausatmen aufhören zu können, allerdings geschah es derart schnell, dass eigentlich gar kein Sauerstoff in ihre Lungen gelangte. Sie presste die Faust gegen ihren Bauch, ließ sie dort und nahm sie dann abrupt wieder fort.
Ein Baby.
Dort.
Also, nicht wirklich, es war ja noch gar kein Baby, sondern ein Fötus, so winzig, dass man beim Ultraschall vielleicht etwas einkreisen konnte, das Tess auf dem Monitor jedoch unmöglich als etwas würde erkennen können. Was aber nichts an der Tatsache änderte, dass es wahrhaftig geschah. Sie war schwanger.
Sie ließ sich wieder auf den Badewannenrand sinken, weil ihre Knie zu weich waren, um sie noch zu tragen, und konzentrierte sich auf ihre Atmung, um die von Panik getriebene Hyperventilation zu stoppen. Sie holte tief, langsam und stetig durch die Nase Luft und atmete durch den Mund wieder aus. Das wiederholte sie noch fünfmal, bevor sie dem unablässigen Brausen in ihrem Kopf nachgab und sich darüber klar zu werden versuchte, was sie als Nächstes tun sollte. Immerhin gab es verschiedene Optionen.
Für Plan B war es bereits zu spät, aber eine Abtreibung war noch drin.
Oder sie bekam das Kind und gab es zur Adoption frei.
Oder sie behielt es und gründete eine Familie.
Aber wie lautete, hier und jetzt und für sie, die richtige Antwort? Eine Abtreibung erschien ihr durchaus sinnvoll. Schließlich hatte sie, von ihren Mädels mal abgesehen, kein Netzwerk, das sie unterstützen würde. War sie wirklich bereit, ohne Unterstützung ein Kind großzuziehen? Wusste sie überhaupt, wie das ging, oder würde sie nur den Familienfluch fortsetzen? Sie hatte es im Leben ja kaum so weit gebracht, sich ausreichend qualifiziert für ein Haustier zu halten. Und ein Baby brauchte so viel mehr Zuwendung und Liebe, als sie zu geben können glaubte.
Und dann erst die logistischen Probleme. Die Anforderungen an die Inhaberin eines kleinen Ladens vertrugen sich nicht gut mit dem Lebensweg einer alleinerziehenden Mutter. Wer würde sich um ihren Blumenladen kümmern, wenn sie ihre vorgeburtlichen Termine wahrnehmen musste? Konnte sie sich überhaupt die Krankenversicherung für zwei leisten? Und die Kindertagesbetreuung? Das war leicht jedes Mal eine Rate für ihr Auto, wenn nicht mehr.