Ich bin nicht du - Erika Kuhn - E-Book

Ich bin nicht du E-Book

Erika Kühn

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  • Herausgeber: tredition
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2019
Beschreibung

Im Zeitalter der Massenkommunikation und der täglichen Informationsflut verlieren sich immer mehr Menschen im Dschungel der Ansichten, Meinungen und Ideen von anderen. Zahlreiche Ratgeber, Medien und Influencer erzählen uns, was wir alles tun oder lassen müssen, damit unser Leben erfolgreicher, gesünder, glücklicher und vieles mehr wird. So werden wir immer häufiger von Meinungsmachern manipuliert. In diesem Buch wird aufgezeigt, wie wir dieser Manipulationsfalle entkommen können, um so ein wirklich selbstbestimmtes und freies Leben zu führen. Wie dies gelingen könnte, erfährt der Leser nicht anhand von neuen Ratschlägen, sondern durch eine Mischung von rationalen Argumenten, praktischen Beispielen und gleichnishaften Geschichten.

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Seitenzahl: 207

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Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung der Autorin unzulässig. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

© 2019 Erika Kuhn

Satz & Layout: Gabi Schmid · www.buechermacherei.de

Covergestaltung: Gabi Schmid · www.buechermacherei.de

Bilder: #41245761, #76919356, #115489451 | Adobe Stock

Verlag: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg ·

www.tredition.de

2. Auflage (2019)

978-3-7497-0340-1 (Paperback)

978-3-7497-0342-5 (e-Book)

Für Renate

Zur Erinnerung an gemeinsame Zeiten

Inhaltsverzeichnis

Das Wort davor

1 Mensch sein will kein Schwein … und Schwein sein will kein Mensch

Vom Allesfresser zum Gourmet

2 Der Marathon des Lebens

Meine Ziele, Deine Ziele, Keine Ziele

Viele Wege führen nach Rom

Sollte-Ziele, der Vorhof zur Hölle

Der individuelle Weg

3 Erwartungen verderben die Freude

Erwartungen – unser Schicksal

Abschied von falschen Idealen

Erwartungen – aus der Distanz betrachtet

Das Eigenleben der Erwartungen

4 Der Vergleich hinkt

Selbstzweifel vor dem Spiegel

Das bestechliche Auge

Der passende Hut

5 Das Radio im Kopf

Die Gedanken sind Vagabunden

Der Glaube versetzt Berge

Die Wenn-Dann-Mentalität

Was du heute kannst besorgen …

Der kritische Untermieter

Der Verstand ist ein guter Diener, aber ein schlechter Herrscher

6 Was Hänschen nicht lernt

Wie man das Lernen erfolgreich behindert

Ich lerne nicht wie du

Nicht für das Leben, für die Schule lernen wir

7 Die Chamäleon-Strategie

Wandelbar wie ein Chamäleon

Wer oder was rüttelt an unseren Gewohnheiten?

Die Stärke der Schwäche

Kleider machen Leute

Der Neandertaler in uns

8 Das Verderben lauert überall

Meine Kuschelecke

Der Angriff auf die Kuschelecke

Die Geisterstunde – der Irrtum ist allgegenwärtig

Das Trommelfeuer fremder Einflüsterungen

Der Mensch als Zahl und Mittelwert

9 Das Unglück des Glücks

Der erfolgreich Glückliche oder der glücklich Erfolgreiche

Wie man das Geld glücklich macht

Das folgsame Glück

Schicksal oder Glück?

10 Das Wort danach und eine Geschichte zum Schluss

Danksagung

Anmerkungen

Literatur

Die Autorin

Man kann die Menschen nichts lehren, man kann ihnen nur helfen, es in sich selbst zu finden.

(Galileo Galilei)

Das Wort davor

Mit „Ich bin nicht du. Mut zur eigenen Meinung“ ist vor über zehn Jahren ein Buch für all jene entstanden, die den Meinungen und Ratschlägen anderer bisher mehr vertrauten als ihrem eigenen Wissen, ihrer Erfahrung und ihrer Intuition. Ebenso für Menschen, die es leid sind, Medien, Ratgeber, Freunde, Kollegen und andere für sich denken zu lassen. Die sich dadurch unsicher fühlen, sich leicht verführen oder gar manipulieren lassen und einen Weg suchen, dass dies nicht geschieht.

Ich habe mich zu einer Überarbeitung und Neuauflage entschlossen, da dieses Thema heute noch genauso aktuell, wenn nicht sogar noch aktueller ist. Wir befinden uns durch soziale Medien, damit einhergehenden möglichen Fake News und Influencern noch in einem größeren Dschungel von Ansichten, Meinungen und Ideen von anderen als je zuvor.

Aus verschiedenen Bereichen des Lebens wird in diesem Buch gezeigt, wie wir uns von den Meinungen anderer beeinflussen lassen und auf jeden vorbeifahrenden Zug aufspringen, ohne zu wissen, wohin uns dieser bringt.

Dieses Buch hebt sich von den herkömmlichen Lebenshilfebüchern und Ratgebern ab, indem aufgezeigt wird, wie man mit Ratschlägen und Meinungen anderer umgehen kann, ohne dabei unterzugehen. Wie dies gelingen könnte, erfährt der Leser nicht anhand von neuen Ratschlägen, sondern durch eine Mischung von rationalen Argumenten, praktischen Beispielen und gleichnishaften Geschichten. Einerseits werden Rationalität und Verstand angesprochen, andererseits zielen die Geschichten auf die Gefühle des Lesers und sollen seine Fantasie anregen.

Beispiele aus dem Leben führen humorvoll vor Augen, wie wir uns von den Meinungen und Ratschlägen anderer beeinflussen lassen. Der Leser behält dabei aber den Freiraum, seine eigenen Überlegungen anzustellen und das für sein Leben Passende herauszusuchen.

Es soll eine Anregung sein, einmal darüber nachzudenken, warum wir auf die Kamele springen, die durch die Manege öffentlicher Debatten und Diskussionen getrieben werden. Wie wäre es, ab und an aus der Manege herauszutreten, den ganzen Zirkus zu verlassen und mittels eigenen Denkens und eigner Erfahrung zu eigenen Erkenntnissen und Schlüssen zu kommen?

So ist ein Buch entstanden, welches dem Bedürfnis nach mehr Individualität gerecht zu werden versucht, dem einzelnen Leser Mut macht und ihn darin bestärkt, sich die Freiheit zu nehmen, eine eigene Meinung zu haben und so eine unverwechselbare Persönlichkeit zu sein.

Für den Text wurde die geschlechtsneutrale Personenbeschreibung gewählt, um die Lesbarkeit zu erleichtern. Selbstverständlich richten sich die Texte gleichermaßen an alle Geschlechter.

1  Mensch sein will kein Schwein … und Schwein sein will kein Mensch

Kein Tier ist so in aller Munde wie das Schwein. Dabei handelt es sich nicht um das Tier an sich, sondern um Redensarten, die das Schwein betreffen. Mütter beschweren sich über die Schweinerei im Kinderzimmer, Väter über das Ergebnis der Autowerkstatt, das unter aller Sau ist, Mitarbeiter werden von Vorgesetzten zur Sau gemacht, Kinder bekommen vom Lehrer zu hören, dass ihre Schrift kein Schwein lesen kann und Betrunkene werden mit „du volle Sau“ betitelt.

Der Mediennutzer beschwert sich über die neueste Schweinerei in Politik und Gesellschaft und zahllose Ratgeber auf dem Buchmarkt weisen darauf hin, wie wir unseren inneren Schweinehund überwinden können.

Das Schwein wird im negativen wie im positiven Sinn gebraucht, es begleitet unseren Alltag. Der Ausruf Schweinerei dient zweifelsohne dazu, sein moralisches Entsetzen und seine Entrüstung zum Ausdruck zu bringen wie nachfolgende Geschichte von Iwan Krylow sehr treffend zeigt.

Ein Schwein, das auf einem Bauernhof lebte, hörte, wie sich die Menschen stets mit seinem Namen beschimpften.

Die Magd sagte zum Knecht: „Du hast mich belogen, du bist ein Schwein!“

Der Bauer sagte: „Dieser Händler ist ein Schwein, er hat uns betrogen!“

Und die Bäuerin schalt die Magd: „Wie schmutzig und unordentlich ist die Küche. Das ist doch eine Schweinerei!“

So ging es fort und das Schwein kränkte sich immer mehr und mehr darüber. Eines Tages, als es wieder zuhören musste,wie man seinen Namen missbrauchte, legte es sich in seinem Koben nieder und weinte. Im Stall war aber auch ein munterer kleiner Esel.

„Warum weinst du?“ fragte er voll Anteilnahme das Schwein.

„An meiner Stelle würdest du auch weinen“, schluchzte das Schwein. Und es erzählte alles dem Esel.

Der Esel hörte mitfühlend zu und sagte: „Ja – das ist wirklich eine Schweinerei!“

Doch auch im positiven Sinn begleitet das Schwein unseren Alltag. Bei einigen Gelegenheiten besitzt das Schwein auch ein günstiges Image. Es soll ja Glück bringen, obwohl dem Schwein selbst davon nichts bekannt ist.

Das Glück, welches das Schwein zu geben vermag, ist zunächst einmal es selbst. Wer ein Schwein besitzt, hat besonders in wirtschaftlich armen und unterentwickelten Kulturen „Schwein“. Auch die Geschichte vom Hans im Glück weist darauf hin. Ein Schwein zu haben ist zwar weniger als eine Kuh, aber noch mehr als eine Gans. Schweineglück zu haben ist eigentlich unverdientes Glück. Entstanden ist es bei mittelalterlichen Wettspielen. Der letzte und eigentlich wertloseste Gewinn war ein Schwein. Also eigentlich ein Spottpreis. Wer einen Schweinepreis bekam, war des Spottes seiner Umgebung sicher.

Das Schwein kommt jedoch nicht nur in zahllosen Redensarten und Sprüchen vor, es dient dem chinesischem Horoskop als Tierkreiszeichen, spielt in Filmen mit und hat auch mit George Orwells „Farm der Tiere“ Berühmtheit erlangt, indem zwei Schweine die geistigen Führer dieser demokratischen Farm sind, wohl deshalb, weil sie nun einmal zu den intelligentesten Tieren gehören. Alle sind gleich, aber einige sind gleicher als die anderen.

Auch in den Liedern der Gruppe „Die Prinzen“ muss das Schwein als Metapher herhalten für negatives Handeln, Gemeinheit, Machoverhalten, Unehrlichkeit, Schlechtigkeit, Ellenbogenmentalität.

In der antiken Mythologie waren Schweine so, wie man sie sich gerne vorstellt: stark und gewalttätig, unheimlich und aggressiv, lebendig und wild – einfach Prachtstücke im Reich der Tiere. Damals waren Schweine allerdings noch wirklich Schweine.

Sie werden sich jetzt sicherlich fragen, was diese ganze Schweinerei mit dem Buchtitel „Ich bin nicht du“ zu tun hat, und dass das Schwein kein Mensch sein will und der Mensch kein Schwein. Die vielen Redensarten um und übers Schwein haben sich in unserem Alltag etabliert und das arme Schwein muss auch bei mir als Metapher dafür herhalten, dass sich Vorurteile und Meinungen einschleichen und verbreitet werden, ohne dass wir darüber genaueres wissen, diese aber ungeprüft übernehmen und auch noch glauben.

Die Meinung, dass Schweine dumm, faul, schmutzig und gefräßig sind, lässt sich bei ausführlicher Beschäftigung mit dem Schwein locker widerlegen. Schweine sind sehr intelligente Wesen, sie spielen in Filmen mit, treten im Zirkus auf und machen sogar als Schnüffler Karriere bei der Polizei. Ebenso verhält es sich mit der angeblichen Faulheit. Schweine bewegen sich sehr gerne, sie bekommen heutzutage nur keine Gelegenheit mehr dazu. Sie sind schnelle Tiere und nehmen sogar an richtigen Wettrennen teil. Schmutzig sind sie auch nicht, sie haben nur andere Reinigungsmethoden als der Mensch. Sie reinigen sich in der Suhle, welche als die Badewanne des Schweins bezeichnet werden kann und schaben sich dann den ganzen Dreck an einem Baum ab.

Die Reihe der Vorurteile ließe sich noch weiter fortsetzen, doch ich will hier kein Buch über Schweine schreiben, sondern über die Frage, was wissen wir wirklich und was glauben wir einfach nur.

Tierpsychologen haben immer wieder darauf hingewiesen, dass kein Tier dem Menschen so ähnlich ist wie das Schwein. Es ist genauso stressempfindlich wie der Mensch, Schweineorgane sind transplantationsfähig und das Schwein ist ein geselliges Tier. Es sucht die Gemeinschaft und hier verhalten sie sich wie jede Gemeinschaft. Wenn eines von ihnen eher zum Außenseitertum neigt oder schwach und hilflos ist, ein sogenannter Kümmerling, dem wird das Leben schwer gemacht.

Das Schwein ist weiterhin ein Allesfresser wie der Mensch im Unterschied zu jenen Tierarten, die entweder nur Grünfutter oder Fleisch fressen. Angeblich sind Schweine nicht so wählerisch in ihrer Speisekarte wie der Mensch. Heute müssen sie allerdings das fressen, was sie vorgesetzt bekommen. Und hier erinnern sie mich etwas an den Menschen, welcher heute zu jedem Thema eine Meinung und Ratschläge vorgesetzt bekommt, die er häufig ungeprüft, nicht gerade wählerisch und vor allen Dingen fertig zubereitet übernimmt.

Wir kaufen Fertigbackmischungen, Fertigsuppen, Fertigmenüs, wir genießen den schnellen Genuss von Fast Food. Man spart sich das Denken, was muss ich einkaufen, wie muss ich die Zutaten abwiegen, wie muss ich mischen, wie würzen, damit ein schmackhaftes Mahl herauskommt. Vieles davon bleibt schwer verdaulich oder sogar unverdaut im Magen liegen.

Mit den vorgefertigten Meinungen und Ratschlägen ist es ähnlich. Wir sammeln fertig zusammengestellte Ratschläge, was bequem ist, da wir uns nicht um die Zutaten im einzelnen kümmern müssen. Mit anderen Worten, wir brauchen uns nicht spezifisches Wissen zu den einzelnen Disziplinen aneignen, da uns Ratgeber dieses bereits fertig gekocht und zum sofortigen Verzehr anbieten. Die Zutaten kennen wir häufig nicht und so verlieren wir oft den Blick für die Notwendigkeit und Bedeutung dieser Mahlzeit, sprich den eigentlichen Nutzen für unsere Person. Serviert wird uns Hilfe zum Selbstbewusstsein, Hilfe bei Partnerproblemen, Hilfe für den Beruf, Hilfe für zahllose andere Bereiche des Lebens. Andere haben für uns gedacht und gekocht und wir brauchen es nur noch essen. Es verhält sich wie mit einer Mahlzeit im Schnellimbiss. Man wird schnell satt, ist aber bald wieder hungrig. Bei vielen Fertigmenüs beschäftigen wir uns intensiv mit den angegebenen Ingredienzien auf den Verpackungen und überlegen, welche gesundheitlichen Schäden wir wieder mal von zu viel E 104, E 471, E 129, Antioxidationsmitteln, Konservierungsstoffen oder sonstigen Beimischungen davontragen könnten.

Verfahren wir mit Ratgebern auch so? Viele spielen mit der Unsicherheit und Unwissenheit der Leser und kochen aus alten Zutaten eine neue Suppe, ohne jedoch zu erwähnen, was sie alles dazugegeben haben. Noch genialer ist es, wenn manche Ideen als Ergebnis einer göttlichen Eingebung verkauft werden, denn dem hat man ja wirklich nichts entgegenzusetzen. Oder?

Tagtäglich werden wir mit Dutzenden, ja Hunderten von Informationen, Meinungen und Wertungen bombardiert, die vorgeben, wahr und relevant zu sein.

Es wird im wahrsten Sinne des Wortes jeden Tag eine andere Sau durchs Dorf getrieben. Einmal ist es die Rinderseuche, dann krebserregende Stoffe in den Lebensmitteln, dann verlängert Rotwein das Leben, am anderen Tag wird es durch ihn verkürzt. Einmal werden wir zu Essigtrinkern, weil dieser gerade in aller Munde ist und als äußerst gesundheitsförderlich dargestellt wird, dann zu Trennköstlern, Vitaminpillenschluckern, alles in allem, wir folgen brav den neuesten Presse- und Fernsehmeldungen, sozialen Medien und natürlich auch den Meinungen von Kollegen, Nachbarn und Freunden.

Es geht hier nicht um Ratschläge, Meinungen, Hilfen von Freunden, Partnern und anderen Menschen, welche für uns bedeutsam, kompetent, glaubwürdig, vertrauenswürdig oder was auch immer sind. Die Annahme dieser Meinungen kann für uns eine große Hilfe sein. Es geht um die ungeprüfte Übernahme von schnelllebigen Ansichten und scheinbarem Wissen, welches nicht zu jedem passt. Es geht auch nicht um die Meinungsfreiheit, eine der besten Errungenschaften moderner und demokratischer Gesellschaften, sondern um die Möglichkeiten des einzelnen, aus der Unzahl von Informationen die für ihn passende auszuwählen und nicht jeder Meinung und jedem selbst ernannten Meister zu folgen.

Eines Tages kam ein Bekannter zum griechischen Philosophen Sokrates gelaufen.

„Höre, Sokrates, ich muss dir berichten, wie dein Freund …“

„Halt ein“, unterbrach ihn der Philosoph. „Hast du das, was du mir sagen willst, durch drei Siebe gesiebt?“

„Drei Siebe? Welche?“ fragte der andere verwundert.

„Ja! Drei Siebe! Das erste ist das Sieb der Wahrheit. Hast du das, was du mir berichten willst, geprüft ob es auch wahr ist?“

„Nein, ich hörte es erzählen, und …“

„Nun, so hast du sicher mit dem zweiten Sieb, dem Sieb der Güte, geprüft. Ist das, was du mir erzählen willst – wenn es schon nicht wahr ist – wenigstens gut?“

Der andere zögerte. „Nein, das ist es eigentlich nicht. Im Gegenteil …“

„Nun“, unterbrach ihn Sokrates, „so wollen wir noch das dritte Sieb nehmen und uns fragen, ob es notwendig ist, mir das zu erzählen, was dich so zu erregen scheint.“

„Notwendig gerade nicht …“

„Also“, lächelte der Weise, „wenn das, was du mir eben sagen wolltest, weder wahr noch gut noch notwendig ist, so lass es begraben sein und belaste weder dich noch mich damit.“

Die gesamte esoterische und auch andere Literatur behauptet heute, dass wir selbst Schöpfer unserer Wirklichkeit sind. Und trotzdem boomt der Ratgebermarkt – ob Hilfe bei Geld, Erfolg, Aussehen, Essen, Gesundheit, Kommunikation und vielen anderen Themen. Wir scheinen Gurus zu brauchen, die unsere Wirklichkeit erschaffen. Die uns erzählen, dass wir uns unsere eigene Realität zwar selbst aufbauen, uns dann aber in teueren Seminaren vermitteln, wie diese für uns auszusehen hat.

Mit Persönlichkeitstraining, Erfolgstraining, Gesundheitstraining ziehen wir uns mitunter einen Schuh an, der eine oder mehrere Nummern zu groß oder zu klein ist. Alles wird in die Nähe der Machbarkeit gerückt, alles ist für alle möglich, wenn es nicht unmöglich ist. Nie mehr X sein oder wie man erfolgreich Y wird.

Ich kritisiere an den Erfolgstrainern und an den Ratgebern für alle Lebensbereiche nicht ihre Versprechen, wovon einige tatsächlich möglich sind, sondern dass sie den Faktor Zeit klein schreiben und dabei vergessen, dass jede Veränderung ein längerer Entwicklungsprozess und individuell sehr verschieden ist.

Was bei dem einen wirkt, kann bei dem anderen völlig erfolglos sein. Menschen sind Individuen, die sich dagegen wehren, aufgeteilt und klassifiziert zu werden. Also macht es auch wenig Sinn, so sein zu wollen wie die anderen. Nicht jeder Hut passt auf jeden Kopf, nicht jeder Schuh auf jeden Fuß und ein Schwein ist kein Mensch und ein Mensch kein Schwein.

Schweine wurden domestiziert, Menschen werden sozialisiert. Die Domestikation war die Nutzbarmachung von Wesens- bzw. Körpermerkmalen bestimmter Tierarten. Die Sozialisation macht uns in ihrem Verlauf zu nützlichen Mitgliedern einer Gesellschaft.

Die Domestizierung ist den Schweinen schlecht bekommen. Nicht nur, dass sie zum Massenartikel verkommen sind, sie haben sich auch dem Menschen anvertraut und sich ihm so sehr angepasst, dass sie, seit sich das Wildschwein als Hausschwein in der Nähe des Menschen befindet, ein Drittel ihrer Gehirnmasse eingebüßt haben.

Das heutige Schwein im Stall ist von seinem Halter abhängig. Es muss fressen, was ihm vorgesetzt wird, warten, bis geputzt ist und warten, bis es zur Wurst wird. Ein Schwein fragte einmal das andere: „Was willst du später einmal werden?“, „Ist doch Wurscht“ sagte das andere.

Verhaltensforscher haben in Versuchen festgestellt, dass Hausschweine, in die Freiheit ihrer natürlichen Umgebung gebracht, sehr schnell wieder ihre arteigenen Verhaltensmuster zeigen.

Auch unsere menschliche mentale Hygiene erfährt einen ungeheueren Auftrieb, wenn wir uns von den Zielen, Glaubenssätzen, Meinungen, Erwartungen und Vorstellungen anderer frei machen.

Gib dem Schwein die Freiheit wieder, wird es wieder zum Schwein. Gib dem Menschen wieder die Freiheit der eigenen Meinung zurück, wird er wieder zum …?

Vom Allesfresser zum Gourmet

Ob es dem Schwein bewusst ist, welcher Idylle es beraubt wurde, diese Frage kann und soll hier nicht beantwortet werden. Uns Menschen jedoch, die wir angeblich die Fähigkeit zum vorausplanenden Handeln und Denken haben, sollte bewusst sein, wie leicht wir oft ungeprüft die Meinungen anderer übernehmen.

Schopenhauer sagte einmal: „Glauben und Wissen verhalten sich wie die zwei Schalen einer Waage: In dem Maße, als die eine steigt, sinkt die andere.“ Oder wo das Wissen aufhört, fängt der Glaube an.

Es geht hier nicht um die Frage, wer unsere Meinungen und Einstellungen mitgestaltet, auch nicht um Massenkommunikation und Meinungsführer, sondern darum, inwieweit wir ungeprüft lediglich Spekulationen übernehmen.

Sicher kann man in einem Leben nicht alle Erfahrungen selbst machen und es ist schier unmöglich, aufgrund unseres Informationszeitalters alles zu wissen. Doch es ist möglich, nicht alles zu glauben oder, bevor man etwas ungeprüft als letzte Wahrheit übernimmt und in sein Leben integriert, dies etwas genauer zu untersuchen.

Aus einem Schwein kann man unwahrscheinlich viel machen. Schinken, Koteletts, Wurst, Eisbein, Tapezierpinsel, Koffer, Handtaschen und Schuhe; aus dem Menschen auch, wie z. B. Diätkünstler, Jogger, Millionäre, Schönheitsfanatiker, Erfolgsmenschen, unzufriedene Zeitgenossen, die ständig suchen, vieles ausprobieren und doch nie das Passende finden.

Wir werden zwar kein Schnitzel, jedoch vielleicht Jogger. Sie wollen nicht joggen? Kein Problem, auch dazu gibt es ein Buch, wie Sie Ihren inneren Schweinehund überwinden können. Wenn Sie dann immer noch nicht wollen, ja dann, dann sind Sie einfach selbst schuld und vielleicht schon auf dem besten Weg „Ich“ zu sein und nicht „Du“.

Es ist nicht so, dass man keine Diäten ausprobieren sollte. Auch andere Versprechungen sind reizvoll, wie in sieben Jahren Millionär werden, in 10 Schritten entspannen, mit bestimmten Maßnahmen und Produkten jünger aussehen, schneller denken und länger leben. Es geht immer um die Frage, ob wir diese, in vielen Ratgebern enthaltenen und veröffentlichten Meinungen ungefragt und für uns ungeprüft übernehmen wollen.

Ich wollte ein Buch schreiben, das dem Leser keine neuen Ratschläge oder Übungen gibt, sondern Mut macht, seine ureigenste Individualität zu entdecken, zu begreifen und zu fördern. An dieser Stelle möchte ich gerne Galileo Galilei zitieren: „Man kann die Menschen nichts lehren, man kann ihnen nur helfen, es in sich selbst zu finden.“

Aber suche nicht in dir selbst, indem du in alle möglichen Richtungen schaust, auf alle möglichen Ratgeber, Meinungen, Ansichten hörst, sondern indem du dich auf deine Person konzentrierst, deine Stärken und Schwächen, Wünsche, Ziele und vieles andere mehr analysierst.

Ich habe in diesem Buch natürlich auch selektiv Bereiche herausgegriffen, die mir besonders wichtig erscheinen und versucht, an diesen aufzuzeigen, wie man für sich selbst herausfinden kann, was für einen persönlich gut ist und wie das Verderben seinen Lauf nimmt, wenn man ungeprüft und unkritisch Meinungen anderer übernimmt.

Haben Sie schon einmal eine Schafherde beobachtet, wenn Sie daran vorbei gehen? Meistens betrachten sie einen mit befremdlichem Interesse. Wenn eines beschließt, sich abzuwenden, drehen sich alle anderen auch um und laufen geschlossen davon. Erinnert Sie dies nicht auch manchmal an Menschen, welche häufig in Rudeln das tun, was einer ihnen vormacht? Die Schafe merken nicht, wie sie täglich neue Wege beschreiten. Sie werden sich nicht bewusst, dass die Jahreszeiten und auch die Wiesen wechseln, weil sie einzig mit Wasser und Nahrung beschäftigt sind. So merken wir Menschen auch oft nicht, dass wir Wege beschreiten, die andere uns vorgegeben haben und Meinungen und Ratschläge wie die Jahreszeiten wechseln.

Nutzen Sie die Erkenntnisse anderer, aber machen Sie deren Worte nicht zu Ihren eigenen Erfahrungen, denn es ist noch immer so, dass man Erfahrungen in Worte fassen kann, aber Worte nicht in Erfahrungen.

Wer ständig auf seine Chance, die Gelegenheit oder den richtigen Augenblick wartet, dabei ständig noch nach den anderen schielt, verpasst eigentlich alle Gelegenheiten und vergisst, sich auf das Wesentliche, nämlich darauf zu konzentrieren, was man selbst erreichen kann.

Kennen Sie das Spiel Labyrinth? Durch Verschieben der einzelnen Karten kommt man immer einen Schritt näher zu den sogenannten Schätzen. Das gelingt allerdings nur, wenn man die Karten richtig verschiebt. Wie für das Leben gibt es bei diesem Spiel auch keine allgemeingültige Lösung, sondern jeder Spieler trifft für sich die Entscheidung, mit der er meint, ans Ziel und zu seinen persönlichen Schätzen zu gelangen.

Ich möchte hier nicht in den Verdacht geraten, den Menschen mit dem Schwein zu vergleichen. Vielmehr soll darauf hingewiesen werden, dass wir in unserem Alltag Schweineausdrücke und Schweinesprüche ständig unreflektiert benutzen, ohne ihre eigentliche Bedeutung, ihren Ursprung zu kennen. Dies ist jedoch nicht nur mit dem Schwein so, sondern auch mit vielen anderen Dingen. Wir erwähnen das Schwein, so wie wir die Aussage „Das stand in der Zeitung“, „Das kam im Fernsehen“, „Kollegin Y meinte“, „Buch X sagt“, ohne dass wir wissen, wo es herkommt, welches Fundament es besitzt und ob es für uns überhaupt brauchbar ist.

Themen werden ausgepresst wie Zitronen und auch wenn sie anfangs etwas sauer schmecken, man gewöhnt sich schnell daran.

Mensch sein will kein Schwein. Menschen aber wollen vieles sein, vor allem aber häufig das, was andere ihnen einreden. Der Ratgebermarkt boomt mit zigtausend Erscheinungen zu den unterschiedlichsten Themen der Persönlichkeitsentwicklung und Lebenshilfe. Wir können unsere Schlagfertigkeit trainieren, unseren Arbeitsplatz besser organisieren, unsere Karriere konsequenter planen, unsere Angst überwinden, unsere Ernährung optimieren, unsere Kinder besser erziehen, schöner und jünger und immer besser aussehen. Kurz und gut, wir scheinen alle sehr hilfsbedürftig und – wie Gesellschaftskritiker den Boom begründen – auch sehr orientierungslos zu sein. Gegen eine Orientierung zur Lebenshilfe und den Erwerb von Wissen gibt es ja an sich nichts einzuwenden, sondern nur dagegen, dass wir vieles kritiklos und für uns ungeprüft übernehmen und alles glauben, was man uns vorsetzt.

Manchmal entsteht der Eindruck, dass die zahllosen Ratgeber und Lebenshilfen zu allen möglichen und unmöglichen Themen bei dem Interessierten das Gefühl erwecken, dass gerade auf diesem Gebiet ein großer Mangel herrscht, der mit dem Konsum beseitigt werden kann. So schaffen Ratgeber immer wieder neue Ratgeber und hinterlassen den Eindruck, dass der Mensch ständig der Hilfe von außen bedarf, um in unserer Gesellschaft als würdiges Mitglied zu bestehen.

Der Mensch ist scheinbar immer noch nicht reif, die Weisheit zu finden, welche die Götter möglicherweise doch gut versteckt haben.

Vor langer Zeit überlegten die Götter, dass es sehr schlecht wäre, wenn die Menschen die Weisheit des Universums finden würden, bevor sie tatsächlich reif genug dafür wären.

Also entschieden die Götter, die Weisheit des Universums an einem Ort zu verstecken, wo die Menschen sie so lange nicht finden würden, bis sie reif genug wären.

Einer der Götter schlug vor, die Weisheit auf dem höchsten Berg der Erde zu verstecken. Aber schnell erkannten dieGötter, dass der Mensch bald alle Berge erklimmen würde und die Weisheit dort nicht sicher genug versteckt wäre. Ein anderer schlug vor, die Weisheit an der tiefsten Stelle im Meer zu verstecken. Aber auch dort sahen die Götter die Gefahr, dass die Menschen die Weisheit zu früh finden würden.

Dann äußerte der weiseste aller Götter seinen Vorschlag:„Ich weiß, was zu tun ist. Lasst uns die Weisheit des Universums im Menschen selbst verstecken. Er wird dort erst dann danach suchen, wenn er reif genug ist, denn er muss dazu den Weg in sein Inneres gehen.“

Die anderen Götter waren von diesem Vorschlag begeistert und so versteckten sie die Weisheit des Universums im Menschen selbst.

Ich habe die Weisheit auch noch nicht gefunden, bin noch voller Hoffnung und habe mir zwischenzeitlich einige Gedanken zu verschiedenen Bereichen gemacht. Ich glaube, dass es sich lohnt, einmal darüber nachzudenken, inwieweit wir uns, wenn es um Meinungen und Ratschläge geht, wie Allesfresser verhalten und wie es gelingen könnte, zum Gourmet zu werden.

2  Der Marathon des Lebens

Meine Ziele, Deine Ziele, Keine Ziele

Stellen Sie sich vor, Sie laufen bei einem Marathon mit. Am Ende winkt das kleine Schildchen Ziel, welches Sie unbedingt erreichen möchten. Hunderte von Athleten auf der ganzen Welt trainieren jahraus, jahrein, um an dem legendären New York Marathon teilzunehmen. Keiner dieser Athleten wird sich mit der billigen Ausrede vor dem täglichen Training drücken: „Im entscheidenden Moment wird es schon klappen. Es dauert ja noch mehrere Monate bis zum Lauf. Ich weiß, worauf es ankommt und kann mir eine langsamere Gangart gestatten.“

Woher nehmen diese Sportler die Kraft, ein solch intensives Training über Jahre hinweg durchzustehen? Die Antwort ist einfach. Die Sportler haben ein Ziel, das ihnen den Einsatz, den ganzen Einsatz, wert ist.

Es gibt Menschen, die wissen, was sie wollen und Menschen, die nicht wissen, was sie wollen, weil sie nichts Bestimmtes wirklich wollen. Viele Menschen kennen ihre Ziele nicht, ändern häufig die Richtung und scheinen in einem Zustand der ständigen Verwirrung zu leben.