"Ich dachte, die Kleine wäre bei dir!?" - Sara Timothy - E-Book

"Ich dachte, die Kleine wäre bei dir!?" E-Book

Sara Timothy

0,0

Beschreibung

Mit hinreißendem Witz und liebenwsürdiger Ironie erzählt Sara Timothy von den Wirren und Freuden einer jungen Vollzeit-Mutter zwischen Windeln wechseln und Erziehungsratgeber lesen. Es sind Geschichten aus dem Alltag mit kleinen Kindern, gewöhnlich Situationen von verblüffender Absurdität. Von der ersten Schwangerschaft, mit der eine Blasenschwäche und seltsame Gelüste nach Zitronenwasser einhergehen, über Playmobilteile, die in der Kindernase verschwinden, bis hin zu nicht enden wollenden Autofahrten mit drei singenden und nörgelnden Kinder auf der Rückbank - die Leser sind immer hautnah dabei; Lachtränen garantiert!

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 258

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Sara Timothy

»Ich dachte,die Kleine wäre bei dir!?«

Von Familien- und anderen Stressgeschichten

Impressum

Originalausgabe

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2014

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlaggestaltung: Verlag Herder

Umschlagmotiv: Kathrin Keienburg-Rees

Illustrationen: Kathrin Keienburg-Rees

E-Book-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

ISBN (E-Book): 978-3-451-80084-9

ISBN (Buch): 978-3-451-06691-7

Für meine Kinder

Inhalt

Vorwort

Darf ich vorstellen: Herr Bauch

Geburtsvorbereitungskurs oder die Rituale indigener Völker

Im Land, wo Milch und Kolostrum fließen

Von Glassplittern und Schlafmitteln

Ruhe bitte, dies ist ein Familienhotel

Shake it up, Baby

Abschiedsgeschenk

Einkaufen oder die Entdeckung der Zentrifugalkraft

Goldgräber

Das Paradies habe ich mir immer als eine Art Bibliothek vorgestellt – bis jetzt

Freundlich und bestimmt …

Backe, backe Kuchen

Ferien auf dem Campingplatz

Tummelplatz der Pilzerkrankungen

Konsumrausch am Gabenberg

Tiegel und Tube

Zweckentfremdet

Pipifaxen oder die Reise in den Süden

Kindliche Fantasie und die verheerenden Folgen

Von Flugzeugen und Windpocken

Klettern verboten oder die Freuden eines Spielplatzbesuches

Indiskrete Fragen

Wie scharf Schweizer Taschenmesser wirklich sind …

Mädchen, die keine Röckchen mögen

Kloterdil und Baklisose oder der lange Weg zum Spracherwerb

Schlaf, Kindlein, schlaf (Himmeldonnerwetternochmal)

Nachwort

Danksagung

Vorwort

Ich habe drei Kinder. Drei wunderbare Wesen, die mich zum Lachen und Schluchzen bringen, mir die Sprache verschlagen, in mir den Wunsch wecken, implodieren zu dürfen und mich ins Sinnieren geraten lassen. Drei ungezähmte Kreaturen, die es zu lenken und erziehen gilt, ohne sie dabei dressieren oder drillen zu wollen. Drei eigenständige Persönlichkeiten, ausgestattet mit einem Freiheitsdrang, der an eine Herde schottischer Hochlandrinder erinnert. Ich liebe sie so sehr, dass es mir manchmal fast unheimlich erscheint.

Diese drei Kinder sind oft brav und anständig, geben Erwachsenen artig die Hand, sagen »Danke« und »Bitte«, können sich sehr wohl an Regeln halten, in gesellschaftliche Normen und städtische Förderungsanstalten einfügen. Aber davon berichtet dieses Buch nicht. Mal ganz ehrlich, wer würde ein Buch lesen, das Kapitel wie »Meine Kinder wollen nur grünes Gemüse, Quinoa und frische Sprossen essen – was soll ich tun?« oder »Wie meine Kinder sich geschlagene zwei Stunden lang alleine beschäftigen, während ich mit meiner Schwester telefoniere« beinhaltet? Nein, dieses Buch erzählt vielmehr von den Momenten, in denen alles drunter und drüber geht, in denen man als Eltern denkt, man sei mitten in einen chaotischen Protestmarsch geraten, und glaubt, gleich unterzugehen und nie mehr aufzutauchen. Starke Kinder sind anstrengend. In besonders strapazierenden Momenten wünsche ich mir manchmal einige Sekunden lang, sehr angepasste und vorsichtige Kinder zu haben, die wenig wagen, praktisch keine Risiken eingehen, zu allem Ja sagen, selten eigene Entscheidungen treffen, über eine kaum ausgebildete Fantasie verfügen und einen täglichen Mittagsschlaf machen, bis sie drei Jahre alt sind. (Doch, doch, solche Kinder gibt es tatsächlich.) Aber wo bliebe denn da der Spaß?

Es sind die stressigen und herausfordernden Augenblicke, die ich schriftlich festhalten musste, denn in zehn Jahren werde ich mich wahrscheinlich nur noch an sommerliche Nachmittage erinnern, an fröhliche Bootsfahrten, sonntägliche Familienspaziergänge durch schattige Buchenwälder und lachende Kindergesichter. Den Rest wird mein Gedächtnis irgendwo in den hintersten Winkel meines Gehirns verbannt haben. Zudem soll Schreiben ja therapeutisch wertvoll sein, eine gute Art also, jeglicher Stressstörung zuvorzukommen.

Und ja, die erzählten Geschichten sind wahr. Leider ohne Ausnahme.

Darf ich vorstellen: Herr Bauch

Ich bin im neunten Monat schwanger und mein Mann und ich freuen uns sehr auf unser erstes Kind. Es soll ja Frauen geben, die sich nichts Schöneres vorstellen können, als schwanger zu sein. Leider gehöre ich nicht zu dieser Kategorie. Ich nehme diese vierzig unendlich langen Wochen in Kauf, weil man nach dem sprichwörtlich dicken Ende reichlich belohnt wird für die Mühen. Aber genießen tue ich sie nicht sonderlich.

Zuerst fühlt man sich wochenlang hundeelend, will sich in den nächsten Abfalleimer übergeben, wenn man den rumpelnden Bus nur vorbeifahren hört und eine Sekunde zu lange an die zwischen den Sitzen hängenden Geruchsschwaden denkt. Das Spektrum reicht von Knoblauchwolken, gemischt mit Abgasen, ein wenig Zigarettenrauch – dürfen es dazu noch Schweißfüße sein? – bis hin zu Bierfahnen. Wenn es hoch kommt, sitzt noch ein junger Gel-Haar-Lümmel mit viel Goldschmuck und sehr lautem Handyklingelton neben dir, der offenbar Aktien hat bei Paco Rabanne. Gegen Gel-Haar-Lümmel und Goldschmuck habe ich gar nichts einzuwenden, aber dieses violette Parfumfläschchen richtet nun schon seit vielen Wochen verheerenden Schaden an in meinem Leben.

Wenn es nur die Gerüche wären, doch es kommt noch schlimmer. Von einem Tag auf den anderen habe ich Lust auf Zitronenwasser zum Frühstück. Ich, eine überzeugte Vertreterin von Nespresso – what else? –, habe momentan keine Lust mehr auf das schwarze Gebräu! Es kann natürlich auch sonst ein Kaffee sein, George Clooney ist einfach ein erfreulicher Bonus; aber gut muss er sein. Das Seltsame dabei ist, dass mir der Kaffee ungemein fehlt, obwohl ich keinen trinken mag. Mein Mann bemerkt dazu nur sehr trocken: »Das sind die Worte eines wahrhaft Süchtigen.« Er stammt aus Großbritannien, trockene Kommentare gehören also zu meinem Alltag wie die Pizza zu Neapel. Es ist das morgendliche Ritual, das ich schmerzlich vermisse. Die Freude, wenn das Lämpchen meiner Kaffeemaschine nicht mehr blinkt, sondern nur noch freundlich grün leuchtet und mir signalisiert: ich bin bereit, schwarzen, cremigen Saft für dich herauszupressen, sobald du mich mit einer Kapsel fütterst. Mir fehlt der hellbraune Schaum, der sich oben auf dem Kaffee bildet, das Geräusch, wenn der Stahllöffel die Milch in der Porzellantasse herumwirbelt, die Wärme, wenn der erste Schluck den Hals herunterrinnt. Ganz und gar nicht vergleichbar mit dem sauren Geschmack meines Zitronenwassers, dem Zischen, das man hört, wenn das gelbe Konzentratfläschen fast leer ist und ich versuche, noch genug Säure herauszudrücken, damit sich mein Wasser wenigstens ein klein wenig gelblich färbt. Doch ich weiß, die Lust nach Kaffee wird zurückkehren und somit auch das so unendlich tröstliche morgendliche Ritual der ersten Tasse.

Fast so schlimm wie die bei mir sechzehn Wochen andauernde Übelkeit finde ich die unsägliche Müdigkeit. Kaum setzt man sich aufs Sofa, breitet sich eine Schwere im eigenen Körper aus, die sich besonders in den Augenlidern manifestiert. Absolut nervig. Das geschieht tröstlicherweise nur in der ersten Schwangerschaft häufig, bei der zweiten und dritten hat man keine Zeit mehr zu sitzen. Denn dann hat man schon ein oder zwei Energiebomben, die etwa alle 30Minuten explodieren und eine Druckwelle erzeugen, die jegliches Sitzen ziemlich unmöglich macht. Ich kenne den Anfang einer ganzen Menge Filme, was sich in deren Mittelteil abspielt und wie die Geschichte ausgeht, kann ich aber leider beim besten Willen nicht sagen. Es ist, als fehlen mir die Abende von gut drei Monaten meines Lebens, verloren an die pränatale Schlafkrankheit des ersten Trimesters.

Wenn Müdigkeit und Übelkeit langsam nachlassen, folgen geschätzt zehn gute Tage. Man genießt die Rückkehr der alten Ess- und Trinkgewohnheiten, fühlt sich wieder fit und die abendlichen komatösen Zustände auf der Couch gehören der Vergangenheit an. Das Kind bewegt sich spürbar und nie wieder wird ein Fußtritt einen so mit Glück erfüllen wie jetzt. Wenn diese zehn Tage dann aber vorbei sind, ist das Baby schon so gewachsen, dass es nun auf die Blase drückt. Ständig erwache ich nachts, weil ich denke, dass ich auf die Toilette gehen muss. Halbwach taste ich mich also durch die dunkle Wohnung, nur um zu merken, dass der Inhalt meiner Blase in einem Fingerhut Platz hätte. Offenkundig entspricht das nun der neuen Größe meines zusammengedrückten Hohlorgans. Ich habe in diesen Monaten ein unglaubliches Mitgefühl für alle Männer mit Prostataleiden entwickelt – ihr seid nicht allein!

Doch anscheinend stirbt man nicht an einer Blasenquetschung, genauso wenig wie an einer Magenquetschung. Aber es ist dennoch unsäglich unangenehm, wenn man nach jeder Mahlzeit das Gefühl hat, die Spaghetti hingen alle noch in der Speiseröhre und dort drin sähe es aus wie in einem verstopften Siphon. Noch schlimmer ist es, wenn man spät abends etwas isst. Kaum im Bett, muss man den Mund ganz fest verschließen und so die Gefahr bannen, am nächsten Morgen auf einem Kissen aufzuwachen, das von der Kopfunterlage zum Präsentiertablett des unverdauten Mitternachtssnacks mutiert ist.

Nach den Freuden des zweiten Trimesters folgt nun die Krönung. Darf ich vorstellen: Herr Bauch. Es ist für mich wahrhaftig schwer nachvollziehbar, dass es tatsächlich Frauen gibt, die es wunderbar finden, die eigenen Knie nicht mehr sehen zu können, Hilfe anfordern zu müssen, um die Schuhe zuzubinden, beim Schwimmen dauernd das Gefühl zu haben, die eigene Wasserverdrängung entspräche der eines Hochseedampfers, den Ehemann davon zu überzeugen, dass er genauso gut ist in der Kunst der French Pedicure wie jemand, der jahrelange Übung hat im Ziehen des dünnen weißen Striches. Zu seiner Verteidigung muss ich sagen, das Resultat war ganz ansehnlich, wenn auch der Strich etwas dick ausfiel. Aber es ist nicht nur die ganz neue und ungewohnte Körperform, die Unbeweglichkeit und die Tatsache, dass man sich nur noch einigermaßen wohlfühlt in der Seitenlage, mit einem Kissen zwischen den Knien und einem unter dem Bauch. Dass ich nun zur Langsamkeit gezwungen bin, obwohl ich diese gar nicht entdecken wollte, könnte ich akzeptieren, auch an umständliche Umarmungen, bei denen man den Hintern rausstrecken und sich vornüber beugen muss, damit die eigenen Arme überhaupt die Schultern des Gegenübers erreichen, gewöhnt man sich. Doch an die unzähligen Kommentare bekannter und häufig auch gänzlich unbekannter Leute werde ich mich mit großer Wahrscheinlichkeit nie gewöhnen. Es scheint, als habe man plötzlich kein Gesicht mehr, sondern bestehe nur noch aus Bauch. Völlig fremde ältere Herren fragen einen, ob es denn ein Bub oder ein Mädchen sei, und wenn es ganz schlimm kommt, tätscheln sie gutmütig die geschwollene Leibesmitte. Die Sitznachbarin im Bus erkundigt sich, in welcher Woche man ist, und die Kassiererin im Lebensmittelgeschäft will den Namen des Ungeborenen wissen. Natürlich sind alle diese Fragen und Kommentare gut gemeint und ein Beweis für das Interesse der Mitmenschen. Wenn man aber nirgends mehr hingehen kann, ohne über seinen Bauch, das Baby oder den bisherigen Verlauf der Schwangerschaft zu reden, wird das Leben etwas eingleisig.

Ganz besonders aufbauend sind Kommentare wie: »Dein Bauch ist ja riesig!« Nein, eine Frau will das nie, nie, nie hören, auch einen Tag vor dem Geburtstermin nicht. Einen Tag nach dem fröhlichen Ereignis noch viel weniger! Genauso wenig interessieren einen in den letzten Wochen scharfe Beobachtungen wie: »Dein Bauch ist aber spitz, weit vorne, immer noch sehr weit oben, schon nach unten gerutscht, sieht ja aus wie ein Fußball« – Tatsächlich? Du bist der Erste, der das sagt! Zudem möchte ich hier noch einmal festhalten, dass es völliger Humbug ist, wenn man glaubt, die Form des Bauches lasse irgendwelche Rückschlüsse auf das Geschlecht des Babys zu. Es ist ein Irrglaube, eine unsinnige Volksüberzeugung, kompletter Schwachsinn. Warum glaubt mir das nur niemand?

Schon etwa vier Wochen vor dem Geburtstermin fragen einen die immer gleichen Leute in regelmäßigen Abständen: »Na, bist du immer noch da?« »Nein, das, was du da vor dir siehst, ist das Phantom der Oper, hat ein wenig zugenommen, aber ist sonst unverkennbar.« Ich weiß, ich weiß, ich bin jetzt undifferenziert und mache einen Rundumschlag. Sicherlich werde ich auch hin und wieder eine Schwangere fragen, wann denn das Baby auf die Welt kommt, ob es ein Bub oder Mädchen ist, und völlig überflüssigerweise und sehr scharfsinnig feststellen, dass die werdende Mama ja »immer noch da ist«.

Doch meine Freundin pflegt zu sagen: »Es ist noch keines dringeblieben!«, und die Schwangerschaft, so mühsam sie auch ist, geht vorbei, auch wenn es scheint, als habe sie die Dauer einer kleinen Eiszeit. Und spätestens wenn das winzige Menschlein nass und glitschig, warm und zerknittert auf deiner Brust liegt, denkst du nicht mehr an gerissenes Bindegewebe, wochenlange Verstopfungen, Sodbrennen, geschwollene Füße und dreiste Fragen, sondern nur noch daran, was für ein unglaubliches Wunder ein neues Leben doch ist.

Geburtsvorbereitungskurs oder die Rituale indigener Völker

Wir sind erst vor ein paar Monaten aus dem Ausland zurück in meine Heimat, die Schweiz, gezogen und an unserem jetzigen Wohnort kenne ich noch nicht allzu viele Leute, besonders keine mit kleinen Kindern. Ich entschließe mich deshalb, einen Geburtsvorbereitungskurs im nahe gelegenen Krankenhaus zu besuchen. Nicht etwa weil ich herausfinden möchte, wie viele dokumentierte Schwangerschaftsbeschwerden es nun tatsächlich gibt, welche Gebärpositionen während den Presswehen besonders förderlich sind oder ich mich mit Begriffen wie »Mayahocker« und »Pezziball« vertraut machen möchte, sondern weil ich denke, dass es eine gute Gelegenheit ist, um andere werdende Eltern kennenzulernen.

Mein Mann und ich machen uns auf den Weg, nachdem wir die nötigen Sachen gepackt haben. Mitzubringen sind ein T-Shirt, eine praktische Turnhose, rutschfeste Socken und ein Badetuch. Ich frage mich insgeheim, ob ich mich wirklich für den pränatalen Kurs angemeldet habe oder ob ich aus Versehen beim postnatalen Rückbildungsturnen eingetragen worden bin, vor allem weil man sich um 19.00Uhr in der Krankenhausturnhalle einzufinden hat. Doch in den Umkleidekabinen bestätigen mir die verschiedenen Kugelbäuche sofort, dass meine Kursanmeldung problemlos und ohne Verwechslungen verlaufen ist.

Nun sitzen wir alle in bequemer Jogginghose, obwohl uns Frauen nicht mehr nach Joggen zumute ist, in einem Halbkreis auf unseren Badetüchern auf dem Turnhallenboden. Es dauert eine ganze Weile, bis wir Schwangeren eine einigermaßen bequeme Position gefunden haben. Einige liegen auf der Seite, ein Kissen unter dem Bauch, eines zwischen den Knien. Andere sitzen im Schneidersitz, der Bauch so groß, dass sie ihn problemlos auf den Oberschenkeln abstützen können. Die Männer dagegen müssen sich mit ganz anderen Problemen herumschlagen. Sie beäugen sich gegenseitig und überlegen wahrscheinlich im Stillen, wer von ihnen denn nun die besten Turnschuhe anhat – natürlich trägt kein einziger von ihnen rutschfeste Socken, was ich gänzlich verstehen kann. Rutschfeste Socken sind etwa so en vogue wie die Mode der 80er-Jahre, ich denke da spontan an Schulterpolster der Größe einer südamerikanischen Mango und riesige geföhnte Dauerwellen à la Flashdance. Auch ich habe mich in diesem Punkt der Packliste widersetzt und bin barfuß. Ich riskiere lieber einen Fußpilz, als dass ich Socken mit roten Gummipunkten trage.

Die Kursleiterin, eine junge Hebamme mit burschikosem Kurzhaarschnitt, heißt uns herzlich willkommen und macht eine kurze Vorstellungsrunde, in der wir auch gleich noch sagen sollen, was für Erwartungen wir an den Kurs haben und welche Fragen wir geklärt haben möchten. Erwartungen? Fragen? Äh, darf man auch einfach zwecks geselligen Zusammenseins und Kontaktaufnahme mit Menschen in einer ähnlichen Lebenssituation teilnehmen? Doch Gebären scheint eine ernste Sache zu sein und schon sehr bald reden wir nicht mehr über die gegenseitige Befindlichkeit, sondern über Nabelschnurblut und Stammzellen, die Risiken einer Periduralanästhesie, Saugglocke und Sterngucker. Sterngucker? Was um alles in der Welt ist das denn? Ein an Astronomie interessiertes Neugeborenes wohl eher nicht. Ich hätte mich vielleicht besser bei einem einschlägigen Social-Media-Forum anmelden sollen, als einen Geburtsvorbereitungskurs zu besuchen.

Die nette Hebamme hört sich geduldig alle Fragen und Erwartungen an, macht fleißig Notizen und verspricht, später darauf zurückzukommen, beendet die Vorstellungsrunde dann aber gekonnt, indem sie einen Haufen blauer Kärtchen auf dem braunen Turnhallenboden verteilt. Mit zugekniffenen Augen versuche ich die Wörter zu lesen, die mit dunkelblauem Filzstift so sorgfältig und gleichmäßig auf die Kärtchen geschrieben worden sind, als handle es sich um die Gästenamen bei der Sitzordnung hochzeitlicher Feierlichkeiten. Doch als meine kurzsichtigen Augen die ersten paar Begriffe entziffern können, vergehen mir jegliche Assoziationen mit rauschenden Festen und kreativer Tischdekoration. Da stehen Wörter wie Übelkeit, Erbrechen, Sodbrennen, Zahnfleischbluten und unheilverkündende Fachausdrücke wie Ödeme, Varizen, Konstipation und Präeklampsie. Unsere Hebamme scheint nicht viel von der Kraft positiven Denkens zu halten und pflügt unbeirrt durch das große Feld der Schwangerschaftsbeschwerden. Nun dürfen wir Frauen die Kärtchen mit denjenigen Begriffen holen, die wir in den letzten Monaten am eigenen aufgequollenen Leib erfahren haben. Die Frau zu meiner Rechten hält einen Stapel Kärtchen in der Hand, so groß, man könnte meinen, sie bereite sich auf eine Vokabelprüfung in Französisch vor und nicht auf eine Geburt. Sie erzählt der Gruppe mit angespannter Miene vom Martyrium der letzten Wochen: Senkwehen, wilde Wehen, Ödeme, sie könne keinen Ring mehr tragen, geschweige denn geschlossene Schuhe, permanente Verstopfung und folglich schmerzhafte Hämorrhoiden. Die Arme! Als ich an der Reihe bin, ist es mir fast etwas peinlich, dass ich nur ein einziges lausiges blaues Kärtchen vor mir liegen habe, während andere in ihrer Schwangerschaft offenbar mit ungefähr der Hälfte aller existierenden Leiden Bekanntschaft machen. Aber was kann ich denn dafür, dass sich Erbrechen und Übelkeit schon jemand geschnappt hat, zudem dauerten diese nur 4Monate an, Sodbrennen war auch schon weg, also habe ich mich mit dem netten Kärtchen Zahnfleischbluten begnügt. Bis jetzt habe ich nicht einmal gewusst, dass es sich dabei um eine Schwangerschaftsbeschwerde handelt. Trotzdem teile ich der mitfühlenden Gruppe mit, wie gewöhnungsbedürftig es sei, wenn sich der Zahnpastaschaum dreimal täglich rot verfärbt. Ich wage es dabei aber nicht, die Frau anzuschauen, deren Beine in dicken Kompressionsstrümpfen stecken. Wie gewöhnungsbedürftig das ist im Juli bei 30Grad, will ich mir gar nicht ausmalen. Ich danke Gott, dass meine Gliedmaßen die gleiche Form aufweisen wie sonst auch immer und bis jetzt keinerlei Ähnlichkeit mit den Armen und Beinen einer aufgedunsenen Wasserleiche haben.

Unsere Kursleiterin beendet die Mitteilungsrunde – schön, dass wir darüber reden konnten – und nun kommen die rutschfesten Socken ins Spiel. Eine emsige Physiotherapeutin stößt zu uns, baut verschiedenste Turngeräte auf und verbreitet eine Atmosphäre, die nach körperlicher Anstrengung riecht. Doch der gleich zu absolvierende Parcours hat nichts mit kardiovaskulärem Training zu tun, sondern soll vielmehr das Vertrauen zwischen den Partnern stärken und eventuell vorhandenen Geburtsängsten entgegenwirken, erklärt sie uns enthusiastisch. Niemand sagt ein Wort und alle stehen etwas verloren in der großen Turnhalle, nicht ganz sicher, was für eine Reaktion von uns erwartet wird. Ein mögliches Szenario wäre: Oh ja, was für eine brillante Idee, ich wollte schon immer mit Hilfe eines Schwedenbalkens das Vertrauensverhältnis zu meinem Mann vertiefen und an der Reckstange meine vorgeburtlichen Bedenken abbauen!

Aber es kommt noch besser und die Physiotherapeutin zieht einen weiteren Trumpf aus ihrem Ärmel. Wir dürfen nun nicht nur paarweise über den Parcours gehen, sondern einander auch gleich noch die Augen verbinden. Abwechselnd, versteht sich. Wenn alle blind durch die Turnhalle straucheln würden, wäre die Verletzungsgefahr vielleicht doch ein wenig zu groß. Die jeweils »blinde« Person muss nun also völlig darauf vertrauen, dass ihr Partner sie sicher führt und gut aufpasst, dass sie nicht versehentlich in die Sprossenwand knallt oder über einen Medizinball stolpert. Mein Mann und ich finden die Übung ausgesprochen nützlich und können uns keine bessere Vorbereitung auf ein Ereignis wie eine Geburt vorstellen, denn schließlich weiß ja jeder, dass Geräteturnen einen unglaublich positiven Effekt hat auf Partnerschaften, in denen das Vertrauen fehlt und man nicht über Ängste reden kann. So ein bisschen Blinde Kuh spielen hat schon unzählige Beziehungen wieder gekittet, da bin ich mir ganz sicher.

Mein Mann verbindet mir die Augen mit einem angenehm kühlen Stoff und ich bin überzeugt, dass er gefährlich nahe vor meinem Gesicht irgendwelche Kung-Fu-Schläge imitiert, nur um sicherzugehen, dass ich tatsächlich nichts sehe und mich ganz diesem vertrauensfördernden Exerzitium hingeben kann. Ich sehe sein Jackie-Chan-Gefuchtel zwar nicht, spüre aber den Luftzug deutlich. Er nimmt mich an der Hand und raunt mir ins Ohr: »Spürst du, wie dein Vertrauen zu mir wächst und deine Geburtsängste schwinden?« Er kann sich das Lachen kaum verkneifen. Ohne größere Zwischenfälle beenden wir den Parcours und dürfen uns nun zu zweit darüber austauschen, wie wir die Übung erlebt haben. Ähm, also, was soll ich sagen? Wir sind allem Anschein nach beide nicht so empfänglich für experimentelle Erfahrungspsychologie und diskutieren stattdessen leise die Frage, wo wir nachher essen gehen wollen.

Die flotte Physiotherapeutin gibt uns Schwangeren noch ein paar Tipps, wie wir die Durchblutung in den Beinen fördern können, um Krampfadern entgegenzuwirken. Sie marschiert zielstrebig durch die Turnhalle und rollt bei jedem Schritt von der Ferse bis auf die Zehenspitzen ab. Dieses Abrollen sollen wir uns doch angewöhnen, man könne es überall praktizieren, beim Einkaufen, Spazieren, ja sogar im Gespräch mit Bekannten oder auf einer Party. Auch im Stehen solle man sich immer mal wieder auf die Zehenspitzen stellen, um die Durchblutung in Gang zu bringen. Ich bin begeistert! Diese Fortbewegungsart nimmt es locker mit John Cleeses »Silly Walk« auf und ich stelle mir gerade vor, was meine Freunde sagen werden, wenn ich beim Gehen von nun an aussehen werde wie eine wandelnde Sinuskurve, nur um meine Adern vor dem Verkrampfen zu schützen. Aber es bleibt leider nicht bei der Demonstration dieses gesunden Wellenganges, nein, wir dürfen nun die neue Fortbewegungsart auch gleich noch üben. Natürlich inklusive Männer, schließlich sind sie ja hier, um ihre schwangeren Frauen zu unterstützen, wenn sie selbst auch mit keinerlei Durchblutungsstörungen zu kämpfen haben. Mein Mann übertreibt die Sache natürlich wieder und hüpft über den Turnhallenboden wie ein Massai-Krieger in den weiten Ebenen Kenias, nur der Speer und der rote Halsschmuck fehlen. Die Physiotherapeutin ist begeistert und lobt ihn für seinen Enthusiasmus, doch ich kenne ihn um einiges besser und weiß, dass da eine kleine Verwechslung vorliegt. Es ist nicht Enthusiasmus, der ihn rauf- und runterhüpfen lässt wie eine Boje im Yachthafen. Nein, nein, sein britisches Auge ist geübt und erkennt Situationskomik sofort. Man muss ihm nicht erklären, dass der Anblick einer durch eine Turnhalle dümpelnder und hopsender Gruppe Erwachsener, die Hälfte davon schwanger, ein gewisses Maß an Humor in sich birgt. Natürlich holt er das Maximum an Spaß aus dieser für mich eher peinlichen Situation heraus.

Endlich dürfen wir uns wieder auf unsere Badetücher setzen und die freundliche Hebamme übernimmt erneut die Kursleitung. Sie holt etwas aus dem Schrank, das aussieht wie ein Fund aus einer archäologischen Ausgrabung. Ich ahne schon, was ich da vor mir habe, als sie lächelnd erklärt, das sei eine Nachbildung eines weiblichen Beckens. Nun folgt ein kurzer Vortrag über den Geburtsverlauf und wie dieser abläuft, wenn es keine Komplikationen gibt. Sie demonstriert, wie der Kopf des Kindes in das kleine Becken eintritt, weiter in die Beckenhöhle gepresst wird, sich in der Beckenenge dreht und danach in den Geburtskanal rutscht. Sie schiebt ihren Arm durch das Becken, ihre doch eher kleine Faust repräsentiert dabei den Kopf des Säuglings und füllt einen besorgniserregend großen Anteil des Beckenausgangs aus. Unsere Kursleiterin zieht ihren Arm wieder aus dem künstlichen, mit Schrauben zusammengehaltenen Beckenkonstrukt und beendet damit den Anschauungsunterricht. »So, das wäre also die Geburt. Gibt es noch irgendwelche Fragen?« Obwohl sie uns aufmunternd anschaut, meldet sich niemand zu Wort. Jeder scheint sich im Stillen zu überlegen, was für horizonterweiternde und interessante Fragen man denn nun stellen könnte, um Antworten zu generieren, die geburtsvorbereitende Wirkung haben und dem Kurs alle Ehre machen. Anscheinend schießen in diesen paar stillen Momenten den einzelnen Kursteilnehmern aber ganz unterschiedliche Dinge durch den Kopf. Ein junger Mann räuspert sich und teilt uns mit, er habe eine Frage, die nicht direkt etwas mit der Geburt zu tun habe, eher etwas mit den Geburtshelfern. Ob man eigentlich die Nationalität der Hebammen wählen könne? Es gäbe da nämlich eine Volksgruppe, mit der er überhaupt nicht klarkomme, diese Leute seien einfach total anders als er und das gehe bei der Geburt seines ersten Kindes gar nicht. Betretenes Schweigen, wissen wir doch alle, dass ein großer Anteil des Pflegepersonals in Schweizer Krankenhäusern gerade dieser Nationalität angehört. Ich glaube, unsere nette Hebamme, die glücklicherweise den richtigen Pass zu besitzen scheint, hat bei der Vorbereitung des Kurses wohl eher nicht gedacht, dass sie sich in der Frage- und Austauschrunde mit einem Pauschalurteil über die kulturellen Eigenheiten vieler ihrer Arbeitskolleginnen auseinandersetzen muss. Doch gekonnt und sehr diplomatisch versichert sie dem offensichtlich besorgten Mann, man werde eine Lösung finden, falls er sich mit der zum Zeitpunkt der Geburt diensthabenden Hebamme nicht verstehe. Ich frage mich, was geschieht, wenn gerade keine der Hebammen seinen fragwürdigen kulturellen und ethnischen Ansprüchen genügt. Wird er seine Frau in ein anderes Krankenhaus fahren? Oder das Baby selbst entbinden, inklusive Dammschnitt? Es ist wahrscheinlich besser, wenn ich ihm diese Fragen nicht stelle, denn schließlich sind wir hier ja in einem Geburtsvorbereitungskurs und nicht in einer Diskussionsrunde zum Thema »Rassismus im Dienstleistungssektor«. Der Mann scheint mit der Antwort unserer Kursleiterin zufrieden zu sein und fühlt sich nun wohl gut auf die Geburt vorbereitet.

Die Hebamme fragt abermals, ob es noch weitere Anmerkungen gebe. Ich bewundere ihren Mut. Nun meldet sich mein Mann zu Wort. Er habe gelesen, dass es immer noch viele Menschen geben soll, die nach der Geburt die Plazenta verzehren, da dieser Proteinklumpen besonders gesund und kraftspendend sein soll. Die Kursleiterin wehrt lachend ab und meint, dieses Ritual werde heute nur noch von Urvölkern praktiziert. Doch mein Mann beharrt auf der Richtigkeit seiner Information und sagt: »Nein, nein, nicht indigene Völker, ich habe gelesen, bei den Italienern sei diese Tradition gang und gäbe und Mutterkuchen ein nicht so außergewöhnliches Menü!« Mir bleibt der Mund offen stehen und ich kann ihm nicht einmal einen versteckten Fußtritt versetzen, um zu signalisieren, dass das Gespräch einen äußerst unglücklichen Verlauf nimmt und er sofort das Thema wechseln soll, denn wir sitzen ja in einem Halbkreis, Füße und Beine für alle sichtbar und exponiert. Niemand sagt zunächst ein Wort, doch ich sehe bedenklich viele beleidigte Gesichter und böse Blicke. Das mag vielleicht daran liegen, dass über die Hälfte der Kursteilnehmer italienischer Abstammung ist, eine Tatsache, die mein Mann wohl übersehen haben muss.

Ich bin froh, dass die Hebamme ihr Zeitmanagement gut im Griff hat und bemerkt, dass die 90Kursminuten glücklicherweise gerade jetzt vorbei sind. Geschickt umschifft sie die zweite heikle Kulturfrage an diesem Abend und beendet das gesellige Zusammensein mit guten Wünschen für die bevorstehende Woche.

Mein Mann schlägt vor, dass wir nun zum Italiener essen gehen, er sei am Verhungern. Ich habe plötzlich aber eher Lust auf thailändisch.

Im Land, wo Milch und Kolostrum fließen

Ich habe mich vor der Geburt unseres Sohnes sehr wenig mit dem Thema Stillen beschäftigt und bin einfach davon ausgegangen, dass die mütterliche Milchversorgung ein ganz natürlicher Vorgang ist und deshalb keinerlei Erklärung oder Auseinandersetzung bedarf. Ich war mir wohl nicht ganz bewusst, was es heißt, über Nacht Teil der Nahrungsmittelindustrie zu werden und plötzlich in der Produktion tätig zu sein. Nun bin ich im Krankenhaus, die Geburt ist vorbei, ich kann zwar kaum sitzen, staune nun aber im Liegen über das Mysterium, dass mein Körper von einem Moment auf den anderen in der Lage ist, die perfekte, wohl temperierte, genau auf die Bedürfnisse meines Säuglings abgestimmte Nahrung zu produzieren. Doch nicht nur das sensationelle Milchprodukt ist ein Wunder, auch die plötzliche Größe meiner Brüste.

Mein Sohn ist nun schon drei Tage alt und ich erwache mitten in der Nacht in meinem Krankenhausbett, nicht etwa, weil der Kleine schreit, nein, weil ich in einem Milchsee liege. Mein T-Shirt ist komplett nass, das Bett braucht einen neuen Bezug und mein Oberkörper hat über Nacht Formen angenommen, die doch erstaunlich stark an den bekanntesten der Baywatch-Stars erinnern. Obwohl meine physische Metamorphose nichts mit Silikon zu tun hat, ist sie doch ähnlich schmerzhaft – nicht dass ich aus eigener Erfahrung rede, aber so in etwa stelle ich mir die Nachwirkungen einer solchen Operation vor. Es spannt und zieht, fühlt sich zu warm an und am liebsten möchte ich mich jeglicher Kleidungsstücke entledigen, die sich in irgendeiner Form einengend anfühlen. Zum Glück schreit mein Baby bald und will trinken. Was für eine Wohltat, die Spannung lässt etwas nach, ich kann wieder tief einatmen, ohne Angst haben zu müssen, dass meine Haut reißt. Ich fühle mich sogleich besser, aber das liegt vielleicht auch am Wohlfühlhormon Oxytocin, das durch das Stillen ausgeschüttet wird und nun meinen Körper flutet. Dieses Wunderhormon bewirkt zudem gleichzeitig, dass sich der Uterus zusammenzieht und trägt so zur Rückbildung der Gebärmutter bei. Clever, oder? Zwei Fliegen mit einer Klappe! Leider hat mir aber niemand gesagt, dass diese Nachwehen ein klein wenig schmerzhaft sein können. Im Vergleich mit den Presswehen aber sind sie ein Klacks und wenn sie helfen, meine Gebärmutter möglichst schnell auf ihre ursprüngliche Birnengröße zu schrumpfen, nehme ich sie gerne in Kauf.

Wie froh bin ich, dass mir in der Anfangsphase meiner Stillzeit fachkundiges Personal zur Seite steht. Es tauchen plötzlich unerwartet viele Fragen auf: Ist es normal, dass meinem Baby die Milch aus der Nase läuft, wenn ich in der Seitenlage stille? Da kann doch etwas nicht stimmen, oder? Sind Sie sicher, dass seine Nasenwand kein Loch hat? Haben Sie das auch wirklich kontrolliert? Ich soll es mal mit dem Kreuzgriff versuchen? Was soll das denn sein? Ein Karateschlag eher nicht, oder? Haben Sie etwas von Kolostrum gesagt? Ist das dasselbe wie Arboretum? Ach, Sie reden von der Vormilch! Voll mit Antikörpern? So wertvoll wie flüssiges Gold für das Baby? Ja, klar hat es die gekriegt, die kommt ja ganz automatisch raus, oder muss ich da etwas tun? Mastitis? Nein, da war ich noch nie. Eine Milchdrüsenentzündung, ach so.

Rückblickend muss ich sagen, dass es vielleicht weise gewesen wäre, wenn ich mich vor der Geburt ein paar Stunden mit dem Thema Stillen auseinandergesetzt hätte. Oder vielleicht auch nicht. Jedenfalls kann ich mir nicht vorstellen, dass man irgendwo in der Ratgeberliteratur Tipps dazu findet, welche Stillposition, und davon gibt es einige, sich besonders gut eignet, wenn das Baby plötzlich und ganz unerwartet Hunger kriegt und du dich blöderweise gerade auf einem Ruderboot auf dem Lago Maggiore befindest. Netterweise hört mein Mann mit Rudern auf, damit es wenigstens nicht ganz so arg schaukelt, während der Kleine trinkt. Dass wir einige Minuten später ein beachtlich großes Passagierschiff kreuzen und in dessen Kielwasser geraten, ist natürlich nicht gerade günstig.

Haufenweise Informationen findet man allerdings zu den Themen Milchstau und Mastitis, und ja, beides ist genauso unangenehm wie es klingt. Unser Sohn trinkt meist ausgiebig und ausdauernd, nur heute scheint er keinen Hunger zu verspüren. Es kann doch nicht sein, dass ein nur wenige Wochen altes Baby plötzlich nicht mehr trinken will? Ist er krank? Fühlt er sich unwohl? Fieber hat er nicht und wirkt eigentlich ganz zufrieden. Nur ich fühle mich nicht mehr ganz zufrieden und zusehends unwohler, je länger sein Hungerstreik andauert. Die Milchproduktion ist in vollem Gange und reagiert nicht so schnell auf die gesunkene Nachfrage, es wird eng im Kanal und mir immer elender. Ich versuche es mit Stillen im Liegen, mit dem berüchtigten Kreuzgriff und der Wiegehaltung. Aber mein Kind möchte lieber nicht. Es hat heute halt mal gerade keinen Hunger. »Nein, danke der Nachfrage, Mama, ich bin noch so satt von gestern, richtig voll, mir ist rundum wohl.« Ich spüre, wie meine Körpertemperatur langsam aber stetig ansteigt und inzwischen fühle ich mich richtig krank. Zu allem Elend kriegen wir auch noch Besuch. Wir haben einen Freund eingeladen, der keine Kinder hat und sich wahrscheinlich noch nie mit der Überproduktion der mütterlichen Milchdrüsen und den verheerenden Folgen auseinandersetzen musste.

Mein Mann kümmert sich um das Abendessen, mein Sohn schläft friedlich und ich liege auf dem Sofa, während meine Brüste immer mehr an zwei Heißluftballone erinnern. Als unser Freund eintrifft, erklärt ihm mein Mann, warum mir gerade nicht so nach Reden, geschweige denn nach Essen, zumute ist.