Ich hätte tiefer schlafen sollen - Jürgen de Bassmann - E-Book

Ich hätte tiefer schlafen sollen E-Book

Jürgen de Bassmann

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Beschreibung

In diesem kleinen Buch steckt mehr, als eigentlich reinpasst: Ein Liebesgedicht unter Zeitdruck. Eine beklemmende Story über Verzweiflung, Tod und letzte Neugier. Gedichte über die ungewöhnliche Freundschaft zwischen Regen und Wind. Über die Vorzüge des flachen Lands. Und über die zwiespältigen Gefühle unter Wasser. Wir sind beim Elternabend des April dabei, bei einer digitalen Lovestory und beim Coming of Age einer jungen Frau. Texte, wie ein Blick durch gelbes Glas: Man meint, die Sonne scheint stärker, der Wind weht frischer, das Gras wächst schneller. Doch auch die Nacht wirkt dunkler.

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Für Sie.

Sie weiß schon, wer gemeint ist.

Sie weiß ja eigentlich immer alles.

INHALT

Eine Art Gebrauchsanleitung

Wir sind ein Gedicht

Farfalle - Schmetterlinge im Bauch

*

Der Regen. Und der Wind – sein Sohn

Es ist gut

Wenn der Regen auswärts isst

Kein Dach über dem Kopf

Für einen, der schon alles hat

Mit dem Kopf unter Wasser

Leaving Stroke Unit

Der Tiefpunkt

Spaziergang im Garten des Broterwerbs

Komm in die Provinz

Kennen Sie Ringelnatz?

An die Eltern des April

Frau Linde legt sich zur Ruhe

Nachtgedicht

* Farfalle - Schmetterlinge im Bauch erhielt im Rahmen des Kurzgeschichten-Wettbewerbs SpaceNet-Award den dotierten Unternehmenspreis der SpaceNet AG, München.

Eine Art Gebrauchsanleitung

Eines der Gedichte – ich sag jetzt nicht, welches – druckste herum: „Du. Ich will nicht mit in das Buch.“ „Was?“, erwiderte ich erstaunt, „wieso das denn? Die anderen Gedichte sind ganz scharf drauf, mit rein zu kommen. Und die Storys erst! Die freuen sich so, die drehen vollkommen durch!“

Das Gedicht schaute auf seine Fußspitzen: „Buch. Das ist irgendwie so old school ...“. „Das ist nicht old school“, sagte ich. „Das ist vintage. Das ist etwas ganz anderes. Überleg’s dir nochmal.“

So sind sie halt, meine Texte. Nicht immer ganz einfach. Sie kommen aus mir raus und dann sind sie da, und dann geht’s auch schon los. Immer ist irgendwas. Ein Satz hat schlecht geschlafen. Ein Wort fühlt sich vernachlässigt. Ein Reim hat Probleme mit sich selbst. Und eine Geschichte weiß nicht, wohin mit sich und ihrem Glück. Aber ich hab sie trotzdem alle lieb. Denn es sind meine und andere hab ich ja nicht. Macht es wie ich. Nehmt sie einfach, wie sie sind. Dann hat man viel Spaß mit ihnen.

Ich hab dem Gedicht dann übrigens versprochen, dass das Buch auch als eBook rauskommt. Dann wollte es doch mit rein. Ratet mal, welches es ist ...

Wir sind ein Gedicht

Ja, es stimmt, du bist schon spät

dran. Ich will dir ja auch nur noch sagen ...

Doch, ich weiß, dass dein Zug geht.

Sicher, ja, in ein paar Tagen

bist du wieder da.

Ganz kurz: Wir - Sind - Ein - Ge - dicht!

Ja, so ist es, ich und du, wir beide ...

Unterbrich mich bitte nicht.

Du kannst das doch auch nicht leiden.

Hör mir bitte zu.

Also. Wir zwei sind nicht gleich.

Doch sehr ähnlich. Das muss man uns lassen.

Warm fühlt sich das an und weich,

wie wir zueinander passen.

Wie ein reiner Reim.

So, als hätte Hand in Hand gegriffen,

wäre jeder scharfe Satz

harter Worte abgeschliffen

von dem bunten Kieselschatz

jedes neuen Tags.

Leichtes Schweben. Schwerer Schwung.

Deine Zeilen reimen sich auf meine.

Alles wird Erinnerung.

Wegbegleiter sind wir beide,

sind uns Klang und Ton.

Deshalb - und ich mein‘ es ernst -

dacht‘ ich mir, es wär‘ doch schön, wenn du mich

einfach mal auswendig lernst.

Und natürlich lern‘ ich dich. Ich

glaub‘, ich kann dich schon.

Wär‘ ich dann einmal von dir

- so wie jetzt - getrennt für ein paar Tage,

wär‘s nicht schlimm, dann könnten wir

in Gedanken uns aufsagen.

Was hältst du davon?

Meinetwegen, lach du nur,

denn ich hör dich ja so gerne lachen.

Aber schau mal auf die Uhr!

Schnapp dir deine Siebensachen

und dann auf zum Zug!

Farfalle - Schmetterlinge im Bauch

E s gibt kein Ü in einer Buchstabensuppe. Aber ganz oft das Ypsilon. Das weiß ich jetzt. Was ich bis heute nicht weiß, ist, woher die Anspannung kam, am Ende dieses tristen Februartages, dieses Verbohrte und dieses Verlorensein in meiner engen Welt. Vielleicht war ich an dem Abend einfach genauso schlecht gelaunt wie der Wind, der in zornigen Böen gegen die Fenster meiner Wohnung anrannte. Elfter Stock. Bei mir hier oben ist es immer windig. Aber an jenem Tag blies ein echter Sturm durch die Ritzen. In die dicke graue Staubschicht auf den Fensterbänken kam Bewegung wie in eine Wanderdüne. Saubermachen ist nicht so mein Ding. Mein Spaß am Putzen steht zusammen mit der Ordnungsliebe irgendwo unten im Keller. „Bei dir sieht es aus, wie in einem Museum für Fussel, Krümel und Asche“, hat sie einmal zu mir gesagt. Da waren wir noch zusammen.

Mit ihr war ich auch oft in diesem Laden, in dem sie selbstgemachte Pasta verkauften. War noch ein ganz kleines Ding in diesen Jahren, nicht viel mehr als ein paar Regale, ein Tisch und eine Kasse in einer ehemaligen Bäckerei. Nur der Name der Firma war der Zeit schon voraus: Pasta-King – Teigwaren-Manufaktur. Heute ein großer Betrieb mit Werkshalle und Fabrikverkauf. Dabei produzieren die einfach nur: Nudeln. Und alles, was man daraus machen kann. Suppen. Salat. Auflauf. Sie hat gerne dort eingekauft damals, in diesem liebevoll eingerichteten Geschäft mit all den Gläsern, Tüten und Schachteln, den verwirrend vielen Sorten Spaghetti, Penne, Tortellini und den anderen, die so aussehen wie Schmetterlinge und auf Italienisch auch so heißen: Farfalle. Daran musste ich denken, an diesem Abend. Denn wenn ich angespannt bin und sich mein ganzer Körper anfühlt, wie eine einzige feuchte Handfläche, dann gab es schon immer nur eins - Soul-Food. Pasta.

War es Langeweile? Nostalgie? Hoffentlich kein Selbstmitleid. Während meine Fensterscheiben unter den pulsierenden Windstößen zitterten und die metallenen Rahmen knackten, gab ich www.pastaking.com in mein Notebook ein. Eine bunte Seite erschien, mit Fotos von dampfenden Töpfen, leckerem Essen und fröhlichen Menschen. Unten am Bildschirmrand eine Chatbox und daneben: „Chatten Sie mit uns. Wir sind immer für Sie da!“

„Immer“ stand da. Nicht „von 8 bis 18 Uhr“ oder so. Sondern dieses eine schlichte Wort: „Immer“. Für mich sind Worte wichtig. Sie sind die letzte Stufe, bevor die Taten kommen. Solange Worte im Raum schweben, hat man noch Möglichkeiten, kann man verschwinden, ausweichen oder sich treffen. Nach den Worten kommt das Machen und dann ist es zu spät. Deshalb bin ich bei Worten so genau, sogar bei einzelnen Buchstaben, pingelig bis zur Kleinkariertheit. „Du solltest dir das behandeln lassen“, hat sie früher oft zu mir gesagt.

Jetzt ärgerte mich dieses „immer“, dieses offensichtlich Falsche. Denn: wer ist schon „immer“ verfügbar? Mitten in der Nacht zum Beispiel, ganz früh morgens oder auch nur nach Ladenschluss, so wie an diesem Abend. So schrieb ich mürrisch in den Chat: „Noch jemand zuhause?“ Meine Freundlichkeit und meine guten Manieren hatten sich in dem Moment auch gerade in den Keller verzogen.