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Wie lautet die Mehrzahl von Dilemma? "Einer meiner besten Freunde ist möglicherweise gerade zum Mörder geworden und ich habe ihn zum Tatort begleitet und bin ein wichtiger Zeuge. Was aber, wenn es eine andere Erklärung gibt?" Mike Müller erhält einen schwierigen Auftrag. Er soll seinen langjährigen Freund Jakob Dieckmann, einen angesehenen Investigativ-Journalisten, ausspionieren und herausfinden, ob dieser seine Frau Kerstin betrügt. Jakob gerät gerade in ein Netz aus Verführung, denn einem verlockenden Instagram-Flirt ist der 53-Jährigen zweifache Familienvater und Ehemann nicht abgeneigt. Doch die erste Begegnung endet in einem Schock. Die schöne Blondine liegt tot in ihrem rosa Bett voller Plüsch – erdrosselt. Für Mike beginnt ein wahrer Albtraum, als er beobachtet, wie Jakob die Wohnung des Opfers verlässt, ein pinkes Handy fest umklammert. Während die Polizei ermittelt und Mike selbst unter Verdacht gerät, beginnt eine verzweifelte Suche nach der Wahrheit. Hat Jakob die Frau ermordet, um seine dunklen Geheimnisse zu schützen? Oder war sie eine Bedrohung, die ihn erpressen wollte? Mit der Hilfe seiner Freundin Alice und seinem ehemaligen Kollegen Helmut Jordan setzt Mike alles daran, die Wahrheit aufzudecken und Jakobs Unschuld zu beweisen. Doch je tiefer er gräbt, desto mehr düstere Geheimnisse kommen ans Licht – und Mike macht eine schreckliche Entdeckung … Journalismus, zerbrochene Freundschaften, Mord, ein altes Geheimnis und ein pinkes Handy – in Mike Müllers fünftem Fall läuft der Privatdetektiv zur Höchstform auf!
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Seitenzahl: 285
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Über das Buch
Impressum
Vorbemerkung
Personal
Kapitel 1 „Dancing Queen“
Herbst 2013
Kapitel 2 „Save the last dance for me“
Sommer 2024
Kapitel 3 „Dancing with tears in my eyes“
Kapitel 4 „Dancing on the ceiling“
Kapitel 5 „I Can’t Dance“
Kapitel 6 „Dancing in the moonlight“
Winter 2013
Kapitel 7 „Dance with my Father“
Sommer 2024
Kapitel 8 „Jive Talking“
Kapitel 9 „Dance Hall Days“
Kapitel 10 „Der letzte Tanz“
Kapitel 11 „Murder on the Dancefloor“
Kapitel 12 „The Safety Dance“
Kapitel 13 „I wanna dance with somebody“
Kapitel 14 „Dancing in the Dark“
Kapitel 15 „Rhythm is a dancer“
Kapitel 16 „Tango“
Kapitel 17 „Kriminal-Tango“
Kapitel 18 „Schuld war nur der Bossa nova“
Kapitel 19 „Wenn sie diesen Tango hört“
Kapitel 20 „Let’s twist again“
Kapitel 21 „Tanze Samba mit mir“
Kapitel 22 „Twist and Shout“
Kapitel 23 „Never Gonna Not Dance Again“
Kapitel 24 „The Loco-Motion“
Kapitel 25 „Shut up and Dance with me“
Kapitel 26 „Dancing in the Street“
Kapitel 27 „Dancing with myself“
Kapitel 28 „Ich geh heut nicht mehr tanzen“
Kapitel 29 „Dance Monkey“
Kapitel 30 „You should be dancing“
Kapitel 31 I don’t dance
Kapitel 32 „Let’s Dance“
Kapitel 33 „Dancing on my own“
Kapitel 34 „Mambo No. 5“
Kapitel 35 „Dance away“
Kapitel 36 „Boogie Wonderland“
Kapitel 37 „Samba de Janeiro“
Kapitel 38 „Dance to the music“
Epilog „Tango in the Night“
Playlist
Der Autor Arne Dessaul
Weitere Titel von Arne Dessaul
Cover
Arne Dessaul
Ihr letzter Tanz
Mike Müllers fünfter Fall Ein Bochum-Krimi
Wie lautet die Mehrzahl von Dilemma?
„Einer meiner besten Freunde ist möglicherweise gerade zum Mörder geworden und ich habe ihn zum Tatort begleitet und bin ein wichtiger Zeuge. Was aber, wenn es eine andere Erklärung gibt?“
Mike Müller erhält einen schwierigen Auftrag. Er soll seinen langjährigen Freund Jakob Dieckmann, einen angesehenen Investigativ-Journalisten, ausspionieren und herausfinden, ob dieser seine Frau Kerstin betrügt.
Jakob gerät gerade in ein Netz aus Verführung, denn einem verlockenden Instagram-Flirt ist der 53-jährige Familienvater und Ehemann nicht abgeneigt. Doch die erste Begegnung endet in einem Schock. Die schöne Blondine liegt tot in ihrem rosa Bett voller Plüsch – erdrosselt.
Für Mike beginnt ein wahrer Albtraum, als er beobachtet, wie Jakob die Wohnung des Opfers verlässt, ein pinkes Handy fest umklammert.
Während die Polizei ermittelt und Mike selbst unter Verdacht gerät, beginnt eine verzweifelte Suche nach der Wahrheit. Hat Jakob die Frau ermordet, um seine dunklen Geheimnisse zu schützen? Oder war sie eine Bedrohung, die ihn erpressen wollte?
Mit der Hilfe seiner Freundin Alice und seinem ehemaligen Kollegen Helmut Jordan setzt Mike alles daran, die Wahrheit aufzudecken und Jakobs Unschuld zu beweisen. Doch je tiefer er gräbt, desto mehr düstere Geheimnisse kommen ans Licht – und Mike macht eine schreckliche Entdeckung …
In Mike Müllers fünftem Fall läuft der Privatdetektiv zur Höchstform auf!
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der mechanischen, elektronischen oder fotografischen Vervielfältigung, der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, des Nachdrucks in Zeitschriften oder Zeitungen, des öffentlichen Vortrags, der Verfilmung oder Dramatisierung, der Übertragung durch Rundfunk, Fernsehen oder Video, auch einzelner Text- oder Bildteile.
Alle Akteure des Romans sind fiktiv, Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig und sind vom Autor nicht beabsichtigt.
Copyright © 2024 by Maximum Verlags GmbH
Hauptstraße 33
27299 Langwedel
www.maximum-verlag.de
1. Auflage 2024
Lektorat: Rainer Schöttle
Korrektorat: Angelika Wiedmaier
Satz/Layout: Alin Mattfeldt
Umschlaggestaltung: Alin Mattfeldt
Umschlagmotiv: © Jurik Peter/ Shutterstock
E-Book: Mirjam Hecht
Druck: CPI Books GmbH
Made in Germany
ISBN: 978-3-98679-059-2
Homepage: maximum-verlag.de
Facebook: /MaximumVerlag
Instagram: @maximumverlag
Alles in diesem Buch ist frei erfunden. Bestimmt jedoch existieren in den sozialen Netzwerken Tricks zur Anbahnung, die der hier geschilderten Masche ähnlich sind. Nicht nur deswegen müssen wir alle vorsichtig sein, wenn wir auf Instagram & Co. unterwegs sind.
Bei der obligatorischen Playlist habe ich mich diesmal auf Lieder beschränkt, die das Thema „Tanz“ im Titel tragen und nicht nur zu spontanen Alliterationen animieren. Es kommt also das Wort „Tanz“ oder, wesentlich häufiger, das Wort „Dance“ im Titel vor – oder aber ein bestimmter Tanzstil wie „Tango“, „Samba“, „Locomotion“ oder „Twist“; allerdings nicht „Twisting by the Pool“ von den Dire Straits, denn das ziert bereits die Playlist zu „Sein letzter Witz“.
Bei alldem darf weder die „Dancing Queen“ fehlen noch, wie es sich für einen Krimi gehört, Songs wie „Kriminal-Tango“ und „Murder on the Dancefloor“, und erst recht nicht mein persönlicher Tanz-Favorit „Dancing in the Dark“.
I’m sick of sitting around here trying to write this book.
Mike Müller, Privatdetektiv in Bochum, der diesmal von einem Dilemma ins nächste rutscht, aber immerhin im Duden den passenden Plural entdeckt. Allein dadurch löst er freilich nicht diesen vertrackten Fall. Wenn es denn tatsächlich bloß ein einziger Fall ist.
Alice Kramer, Lebensgefährtin, Sekretärin und Mitbewohnerin von Mike, die wie üblich geschickt Mikes verschiedene Schwachstellen ausgleicht. Fraglich bleibt, ob das reicht. Immerhin ermittelt Alice diesmal – weitgehend – Seite an Seite mit Mike und bringt sich bestenfalls nicht in Gefahr.
Oxana Petrowa, Anwältin und häufige Auftraggeberin von Mike, die wieder wie eine Löwin für Recht, Gerechtigkeit und ihre Mandanten kämpft. Aber auch sie kann nicht immer wissen, wo die schmale Grenze zwischen Recht und Unrecht verläuft.
Kerstin Dieckmann, Lehrerin und Mikes aktuelle Mandantin, die ihrem Mann schlimme Sachen zutraut, beispielsweise eine außereheliche Beziehung. Doch derart schlimm hätte Kerstin es dann doch nicht erwartet. Ihre Kinder erst recht nicht, und die müssen es nun auf dem Schulhof ausbaden.
Jakob Dieckmann, Kerstins Gatte, einer von Mikes besten Freunden und das Bochumer Reporterurgestein schlechthin, der sich selbst ebenfalls schlimme Sachen zutraut. Leider traut er sie sich nicht bloß zu. Vor zehn Jahren nicht und heute ebenso wenig.
Jutta Langner, betreibt das Restaurant Sommernachtstraum gegenüber vom Bochumer Schauspielhaus und strahlt Ruhe und Gelassenheit aus. Es ist und bleibt jedoch nicht ihre Aufgabe, Verbrechen zu verhindern oder aufzuklären. Dafür kocht sie aber erstklassig.
Helmut Jordan, Juttas Lebensgefährte, pensionierter Kripobeamter und Wirt, der sich als geschickter Beichtvater entpuppt. Früher hat er Verbrechen verhindert oder aufgeklärt. Früher. Heute drückt er gern mal ein Auge zu oder schaut woandershin.
Kriminaloberkommissarin Lisa Bertram, Kripo Bochum, Kriminalkommissariat 11, hochschwanger und bloß eine Randfigur, was diese Ermittlung angeht. Als werdende Mutter ist ihre Rolle ungleich wichtiger – und eines Tages wird sie als gute Ermittlerin zurückkehren.
Kriminalhauptkommissar Henning Schmitt, Lisas Partner, privat und beruflich, der seinen Beruf weit über der Freundschaft ansiedelt. Dummerweise macht er dadurch Mike das Leben unnötig schwer. Im Vergleich zu Jakobs ist Mikes Schicksal allerdings harmlos.
Kriminalkommissarin Rojin Yildiray, als Schwangerschaftsvertreterin für Lisa brandneu im Kriminalkommissariat 11 und deutlich empathischer als ihr Kollege Henning. Aber leider ist Rojin (noch?) weniger wichtig in diesem Kommissariat als Henning.
Yvonne Lehmann alias @pottperle, BVB-Fan mit vielen Freunden auf der „Süd“, Sexarbeiterin mit Vaterkomplex und einem Faible für Partnertänze. Ungewollt und allenfalls indirekt bringt sie Mike in größte Schwierigkeiten – und Jakob in noch größere. Ihr ist das Thema Tanz in der Playlist zu verdanken.
Kaum mehr als ein Routinejob für einen wie Jakob Dieckmann. Eher weniger. Meist schrieb der freie Journalist, der sich gern als Edelfeder bezeichnete, über Skandale im Bochumer Rathaus, über Filz und Korruption oder über Fehlgriffe der hiesigen Polizei. Hintergründig, investigativ, wie ihm häufig bescheinigt wurde. Heute allerdings schickte ihn die Ruhrzeitung zu einer Baustelle im Niemandsland zwischen den südwestlichen Bochumer Stadtteilen Weitmar, Eppendorf und Oberdahlhausen. Die Leser gierten angeblich nach Geschichten über Menschen wie du und ich. Solche würden hier demnächst wohnen.
Inmitten von Feldern und in maximaler Abgeschiedenheit entstanden zwei brandneue Einfamilienhäuser. Das nächstgelegene bewohnte Gebäude war ein kleiner Reiterhof, etwa hundert Meter entfernt. Den Besitzern des Hofes hatte das jetzige Bauland gehört – bis es die Häuslebauer, zwei Pärchen Ende zwanzig, kauften. Sie wollten sich dort einen lang gehegten Traum erfüllen: gemeinsames Wohnen im Grünen und doch nahe genug an der Stadt mit all ihren Arbeits-, Freizeit- und Konsummöglichkeiten. Die gute, alte Eier legende Wollmilchsau – endlich gefunden!
Von diesen romantischen Vorstellungen hatte Jakob bereits durch Vorgespräche am Telefon erfahren. Und dass sich die vier sanften Aussteiger seit der Schule kannten. Sie hatten vor zehn Jahren gemeinsam ihr Abitur an der Bochumer Schillerschule erworben. Pärchen waren sie schon damals gewesen. Rebekka war mit Timo gegangen und Kostas mit Saskia.
Das Thema Abitur hatte Jakob eine Weile abgelenkt. Sein Abschluss lag knapp fünfundzwanzig Jahre zurück, der legendäre Jahrgang 1989 am Gymnasium im Schloss. Im kommenden Jahr würden sie dieses Jubiläum gebührend feiern. Die Planungen liefen auf Hochtouren, Jakob gehörte zum Festkomitee. Deshalb pendelte er seit einigen Wochen zwischen Bochum und seiner alten Heimat Wolfenbüttel hin und her. Wegen der Planungstreffen.
Und wegen Susanne. Susanne war seine Saskia oder Rebekka. Nur dass er und Susanne damals nicht fest zusammen gewesen und auch heute kein Paar waren. Jakob war mit Kerstin verheiratet und Susanne mit Lorenz. Aber Susanne gehörte zum Planungsteam; dadurch sahen sie einander regelmäßig. Allein das erinnerte sie an verpasste Gelegenheiten, löste Gedankenspiele aus und vor allem vergessen geglaubte Gefühle.
Kompliziert.
Jetzt kurvte Jakob mit seinem alten Honda durch schmale, staubige Straßen, die eher Feldwegen glichen. Äcker, Wiesen und Auen bestimmten das Bild. Idylle pur. Für Jakob definitiv zu weit draußen. Mit seiner fünfköpfigen Familie lebte er im urbanen Ehrenfeld, einem der angesagtesten Viertel Bochums. Stramm grüne Wählerschaft, viele Akademiker, Vegetarier, späte Eltern, meist von Einzelkindern, inklusive Helikopter-Komplex und extremem Sendungsbewusstsein auf Elternabenden in Kita und Schule, das volle Programm. Alle Vorurteile bestätigt.
Saskia und die anderen warteten an der Baustelle. Saskia war die inoffizielle Sprecherin der Gruppe. Sie hatte den Kontakt zur Ruhrzeitung hergestellt und zweimal mit Jakob telefoniert. Jakob kannte bislang nur ihre Stimme, die keinerlei Besonderheiten aufwies. Nun begrüßte sie ihn im Namen der Gruppe. Eine waschechte Blondine, schätzte er zumindest, die Haare glatt, halblang, ein ausnehmend hübsches Gesicht, der Schauspielerin Reese Witherspoon nicht unähnlich. Hellblaue Jeans, darüber eine dunkelblaue Steppjacke. Ende Oktober. Angemessene Kleidung. Zehn Grad ungefähr, bewölkt, ein leichter Wind von Nordost.
Jakob trug ebenfalls Jeans, in einem dunkleren Blauton, und eine Funktionsjacke von Jack Wolfskin, grün, eher oliv, wie in seiner Jugend der Parka, den sie alle übergezogen hatten zwischen September und Mai. Uniform? Nein. Konform. Abgesehen von ein paar späten Poppern und Punks hatte sich niemand über die Kleidung definiert. Zumindest das war früher einfacher gewesen. Na gut, Levis und Mustang und Wrangler einerseits – oder C&A andererseits, diese Unterschiede gab es. Und Adidas. Wenigstens Puma.
Die etwa fünfzehn Jahre jüngere Saskia gefiel ihm. Obwohl sie anders war, ganz anders als die brünette Susanne und die ebenfalls blonde Kerstin.
Stopp!
Bloß nicht von den Hormonen leiten lassen, zwang sich Jakob. Hier geht es um den Job. Eine simple kleine Geschichte, die für Laien als Reportage durchgehen konnte. Das klang nach mehr als „Artikel“ oder „Bericht“. Für gute Reportagen gab es Preise. Für die Geschichte über eine Baustelle von vier Privatpersonen eher nicht. Egal. Und die Hormone hatten hier erst recht nichts zu suchen.
Außerdem trat Saskia gemeinsam mit ihrem Ehemann Kostas auf, der sich vornehm im Hintergrund hielt. Genau wie Rebekka und Timo. Letzterer beobachtete Saskia sehr genau. Rebekka schien eher mit sich selbst beschäftigt zu sein. Sie zupfte ständig an den Ärmeln ihres dunkelgrauen, eng geschnittenen Mantels. Figurbetont. Nett anzusehen.
Überraschenderweise, wenigstens für Jakob, wirkte Rebekka wie die Zwillingsschwester von Saskia. Gleich blond. Gleich groß. Gleich attraktiv. Reese Witherspoon Nummer zwei, nur etwas eleganter gekleidet. Und das Zupfen am Ärmel. Das irritierte Jakob. Er fokussierte sich auf Saskia, bis er bemerkte, dass auch sie solch einen Tick hatte. Sie stemmte bei jedem zweiten Satz die Hände in die Hüften und nickte sich selbst zu.
Wenn Jakob sich in diesen Momenten umblickte, entdeckte er, dass Timo jedes Mal zustimmend nickte. Offensichtlich akzeptierte er Saskia als Wortführerin. Die Zeiten, ja, sie änderten sich. Das hier war das einundzwanzigste Jahrhundert, Alpha-Männchen waren eine Option, aber längst nicht mehr gesetzt. Alpha-Weibchen gehörten längst zur Normalität.
Der Gerechtigkeit halber sammelte Jakob von allen vieren Zitate.
„Aussteiger? Nö, so sehen wir uns nicht.“
„Schon seit zig Jahren davon geträumt.“
„Wir vier, das passt hinten und vorn.“
„So viel Natur, trotzdem mittendrin. In zwei Minuten sind wir am Munscheider Damm.“
„Und es ist nicht weit zur Hattinger Straße und zum ÖPNV.“
„Nächsten Sommer feiern wir ein großes Einweihungsfest mit unseren anderen Freunden. Na ja, Bekannten. So achtzig Leute.“
„Zu unseren Familien haben wir alle keinen so engen Kontakt.“
„Keinen echten Draht.“
„Wir haben halt uns. Dazu ein paar entferntere Freunde.“
„Mit den Leuten vom Reiterhof kommen wir prima zurecht.“
„Nein, Freunde sind das nicht. Sind die Verkäufer des Grundstücks. Das hat eher was Geschäftliches.“
„Die Erschließung war aufwendig. Strom, Wasser, Gas, Kanalisation, Telefon. Das gab es hier alles nicht.“
„Aber ohne geht es halt nicht.“
„Plumpsklo, hahaha!“
„Hundertsechzig Quadratmeter Wohnfläche jeweils. Plus Keller, Garage, dazu jeweils vierhundert Quadratmeter unbebaute Fläche.“
„Klar, für Gärten.“
„Rasen. Viel Rasen. Wiese.“
„Ohne Grenze dazwischen. Allenfalls eine Hecke als Sichtschutz.“
„Die muss ja nicht durchgehend sein.“
„Und nicht unbedingt vier Meter hoch.“
„Niemals.“
„Blumen. Bestimmt ein Kräuterbeet.“
„Unbedingt ein Hund. Portugiesischer Wasserhund, das wäre klasse.“
„Wir eher nicht. Später mal eine Katze, allenfalls.“
„Die muss sich aber mit unserem Hund vertragen.“
„Das wird schon.“
„Kinder? Grundsätzlich schon, ja.“
„Doch, haben wir vor.“
„Ich möchte aber nicht so lange mit dem Job aussetzen.“
„Ich auch nicht. Man ist so schnell raus.“
„Ich als Mann? Puh, in unserer kleinen Firma ist es nicht vorgesehen, dass jemand in meiner Position ein Jahr oder so wegbleibt.“
„Deine Position? Verkäufer?“
„Key-Account-Manager.“
„Mit ‚Junior‘ davor.“
„Noch, Rebekka.“
„In der Agentur könnten sie schlecht auf mich verzichten.“
„Ich weiß.“
„Ich arbeite bei der Stadt. Da ginge es. Ich kann es mir gut vorstellen. Dann könnte Saskia wieder eher einsteigen.“
„Falls überhaupt. In ein paar Monaten werde ich Teamleiterin. Da passt es erst einmal so gar nicht.“
„Ja klar, falls überhaupt.“
„Erst mal der Hund.“
„Im Garten wäre jedenfalls Platz für einen Sandkasten. Und für eine Schaukel.“
„Theoretisch.“
So ging es ein paar Minuten lang hin und her und kreuz und quer. Jakob war sich bewusst, dass er nur einen kleinen Teil des Gesagten für den Artikel verwenden würde. Die ungeklärte Familienplanung sowieso nicht, eher das mit der Erschließung und mit dem verwirklichten Traum.
So was zog bei den Lesern, behauptete zumindest der Chefredakteur, der einerseits auf Leserbefragungen setzte, andererseits, gut informierten Kreisen zufolge, auf dem Sprung in eine größere Stadt war, wahrscheinlich nach Essen. Danach eventuell in leitender Funktion zur Zentralredaktion? Jung genug für zwei, drei, vier Karriereschritte war der Kerl jedenfalls, fünf Jahre jünger als Jakob, der Führungsverantwortung mied und am liebsten bloß geschrieben hätte.
Die Sache mit den Jobs der vier Aussteiger brauchte er etwas eindeutiger. Er hakte nach. Rebekka war Grafikdesignerin in einer Essener Werbeagentur, Kostas arbeitete bei der Stadt Bochum im Personalbereich, Timo als Vertriebler in einem auf Medizintechnik spezialisierten Start-up und Saskia bei einer großen Krankenkasse.
Der Fotograf tauchte auf und verrichtete in Windeseile sein Werk. Die beiden Pärchen vor der Großbaustelle. Saskia allein. Saskia überflüssigerweise mit Spaten, während im Hintergrund bereits Mauern gezogen wurden.
Eine nette Geschichte über vier nette Menschen. Bald würde es bestimmt Nachwuchs geben. Jakob beschloss, das Projekt zu verfolgen und eine Serie daraus zu machen. Zwei Jahre später. Vier Jahre. Fünf. Sieben. Zehn. Artikel dieser Art fanden stets ihre Leser, redete er sich nun selbst ein.
Nur leider gewannen solche Artikel keine Preise.
Aber er würde Saskia wiedersehen.
Wer weiß?
Zunächst das Abi-Jubiläum.
Susanne.
Kerstin.
Seine Kinder.
Nein, alles gut, er hatte seine Hormone im Griff. Zeit seines Lebens. Er war ein wahrer Meister darin. Wenigstens das war preisverdächtig. Er kannte andere Männer seiner Generation, da sah das ganz anders aus. Da tobte sich eine immerwährende Midlife-Crisis aus. Und wie!
„Irgendetwas stimmt nicht mit Jakob.“
Die Aussage hängt bleiern in der Luft und vergiftet die Atmosphäre in meinem Büro. Ich wage kaum, ein- und auszuatmen. Wer möchte schon giftiges Blei einatmen? Ich nicht. Ich lehne mich in meinem fünffüßigen Schreibtischstuhl inklusive Rollen zurück, presse die Ellbogen auf die Lehnen, verschränke die Finger, schließe kurz die Augen, öffne sie wieder, atme doch ein und blitzschnell wieder aus. Weg mit dem Gift, bevor es in meine Atemwege eindringt und sich in meinem Körper ausbreitet.
Die nackte Birne über meinem mit kleinen und großen Zetteln übersäten Schreibtisch brennt. Ohne die nackte Birne gäbe es nicht ausreichend Licht, denn draußen herrscht die große Finsternis. Alttestamentarisch. Dunkle Wolken jagen über den Himmel und schicken dicke Regentropfen auf die Erde. Irgendwo in der Ferne, Richtung Dortmund, blitzt und donnert es zudem. Uns Bochumer hat das Gewitter vor einer halben Stunde heimgesucht, jetzt treibt der Wind es nach Osten. Unablässig, bis er Wolfenbüttel im östlichen Niedersachsen erreicht, Jakobs gute alte Heimat. Das wäre dann doch mal ein lustiger Zufall. Oder?
Die vielen Zettel legen Zeugnis ab für meine Unfähigkeit, der analogen Welt zu entsagen. Einerseits. Andererseits stecken sie voller wertvoller Informationen zu den beiden Fällen, die ich, Mike Müller, Bochums sagenumwobener Privatdetektiv, derzeit beackere. Ein Fall ist brandneu, ich verdanke ihn der Rechtsanwältin Oxana Petrowa, einer guten Freundin aus seligen Schultagen. Eine eintönige Versicherungsgeschichte, die im Gegenzug, gewissermaßen als Schmerzensgeld für die Langeweile, ein hübsches Honorar einbringen dürfte – erst recht, wenn Oxana den dazugehörigen Fall vor Gericht gewinnt.
Keine Sorge, sie triumphiert dort jedes Mal.
Der andere Fall mutiert zu einer Altlast. Schon seit ein paar Wochen soll ich eine undichte Stelle im Bochumer Schauspielhaus stopfen. Allein, ich finde sie nicht. Deshalb sprudelt diese Quelle freudig vor sich hin und versorgt die Lokalpresse mit Interna aus dem Theater. Dazu zählt leider das sehr private Leben der Intendantin. Ebendiese ist ausgerechnet meine Mandantin und darüber hinaus eine gute alte Freundin. In der Oberstufe an der traditionsreichen Bochumer Goetheschule bestimmte ich eine Weile das sehr private Leben der Intendantin, um es mal harmlos auszudrücken.
Damals war Ines Pfeifer nicht Theaterintendantin, sondern das heißeste Girl an unserer Penne, Schülersprecherin, Star im Schultheater und Jahrgangsbeste. Sie ging nach München, studierte Schauspiel, bereicherte unzählige deutschsprachige Bühnen zwischen Zürich und Berlin, zwischen Hamburg und Wien, drehte zahllose erfolgreiche Spielfilme und TV-Serien, kehrte eines Tages zurück nach Bochum, zunächst als Ensemblemitglied des Schauspielhauses, mittlerweile wie gesagt als dessen Intendantin.
Da ich sie sehr mag, obwohl ich ihr sehr privates Leben längst nicht mehr bestimme, suche ich den Theater-Maulwurf nicht nur des Geldes wegen. Es nützt nichts.
Nun deutet sich ein dritter Fall an.
Jakob.
Jakob Dieckmann, Anfang fünfzig, Bochumer Reporter-Urgestein, frei, unabhängig, unbestechlich, gefragt. Keine Zeitung im Ruhrgebiet kommt ohne seine journalistischen Fähigkeiten aus, neuerdings schreibt er gar für überregionale Zeitungen.
Diese Beschreibung deckt aber nur einen Teil der Wahrheit ab, der andere folgt sogleich: Jakob Dieckmann, Anfang fünfzig, verheiratet, drei Kinder, seit einigen Jahren einer meiner besten Freunde, zudem häufig genug Partner und Experte bei meinen Fällen; vor knapp zwei Jahren sahen wir Seite an Seite dem sicheren Tod entgegen. Zum Glück verlor der Tod uns rechtzeitig aus den Augen.
„Irgendetwas stimmt nicht mit Jakob.“
Einverstanden, „Jakob betrügt mich“ hätte die Luft in meinem Büro noch schlimmer vergiftet. Doch Kerstins Aussage schließt den Betrug nicht aus. Wesentlich gravierender: Wenn ich den Auftrag annehme, der zwar noch nicht erteilt wurde, der aber längst greifbar ist, könnte ich glatt derjenige sein, der Jakob des Betrugs, des Seitensprungs, überführt.
Eine Horrorvorstellung.
Nun ist es aber an der Zeit, mein Gegenüber vorzustellen: Kerstin Dieckmann, Jakobs Gattin seit knapp zwanzig Jahren, ein paar Jahre jünger als der Journalist, Lehrerin an der privaten Matthias-Claudius-Gesamtschule im Bochumer Stadtteil Weitmar, Deutsch und Englisch, was ich vollkommen wertfrei von mir geben kann, da es sich um weitgehend harmlose Fächer handelt. Im Gegensatz zum baumlangen und voluminösen Jakob ist Kerstin eher klein gewachsen, knapp über eins sechzig, schätze ich, und gertenschlank. Mit ihren blonden Löckchen und dem strengen Blick erinnert sie mich ein bisschen an Katja Riemann als Schuldirektorin in Fack ju Göthe.
Kerstin sitzt auf dem vierbeinigen und rollenlosen Besucherstuhl, ihre Regenjacke hängt über der Lehne, tropft unablässig auf meinen hochwertigen Parkettboden, als müsse sie, die Regenjacke, an das Wetter draußen erinnern. Trotz Jacke und Kapuze triefen Kerstins blonde Locken, die Frisur ist durchaus derangiert.
Umsichtige Gastgeber hätten sie längst mit einem Handtuch, Föhn, keine Ahnung was versorgt, um das Chaos in Ordnung zu bringen. Ich habe den richtigen Moment verpasst. Jetzt mag ich nicht mehr, denn Kerstin bringt mich in Gewissensnöte.
„Irgendetwas stimmt nicht mit Jakob.“
Es wird Zeit für den Dialog.
„Wie kommst du darauf, Kerstin?“
„Mit so etwas wie weiblicher Intuition gibst du dich nicht zufrieden, oder?“
Ich lächle. „Bisweilen schon. Aber falls du mir etwas mehr zu erzählen hast, würde es mir weiterhelfen.“
Kerstin bringt rasch eine der hartnäckigsten störrischen Löckchen auf ihrer Stirn in Ordnung. „Jakob ist nie ein übermäßiger Nutzer seines Smartphones gewesen, schon gar nicht, wenn ich in der Nähe bin. Ich halte nichts davon, wenn sich jemand in Gesellschaft anderer Menschen unablässig mit seinem Telefon beschäftigt. Wenn es passiert, wenn beispielsweise unsere Kinder beim Essen auf ihre Handys schielen, kommt automatisch die Lehrerin in mir durch und ich lasse eine entsprechende Bemerkung fallen. Die Kinder verdrehen dann zwar die Augen, legen aber ihre Telefone beiseite. Jakob muss ich selten ermahnen. Doch in den letzten Wochen erwische ich ihn regelmäßig am Smartphone. Wenn er mich wahrnimmt, was in der Regel einen Moment dauert, legt er rasch das Gerät weg und läuft rot an. Dann tut er so, als sei nichts geschehen, und schneidet rasch ein harmloses Thema an.“
Kerstin holt Luft und gibt mir die Gelegenheit, nachzudenken. Jakobs Verhalten kann alles und nichts bedeuten. Vielleicht sieht er sich Nacktfotos im Internet an? Oder er schließt Wetten ab? Kauft Drogen? Plant eine Geburtstagsüberraschung für Kerstin? Flirtet mit seiner Geliebten? Zu viele Alternativen. Ich benötige mehr Informationen. „Okay, das ist seltsam. Gibt es noch was?“
Kerstin kämpft kurz mit einer anderen Locke. „Es ist schwer, mit Unbeteiligten über diese Dinge zu reden, Mike. Ich will mal so sagen. Wenig überraschend ist aus unserer Ehe nach zwanzig Jahren in einigen Aspekten ein bisschen die Luft raus.“
Da ich mir denken soll, dass es um Sex geht, Kerstin offensichtlich nicht tiefer in die Materie eindringen möchte und ich ein empathischer Kerl bin, nicke ich wissend, schließe, um mein Einfühlungsvermögen zu unterstreichen, dabei die Augen.
„Außerdem“, fährt Kerstin fort, „wäre es wohl nicht das erste Mal, dass Jakob mich betrügt.“
Diese Bombe platzt unvermittelt über meinem Schreibtisch und sorgt für jede Menge neues Gift. „Oh!“
Diesmal nickt Kerstin, ebenfalls mit geschlossenen Augen. Dann erzählt sie. Vor rund zehn Jahren organisierte Jakob federführend das Jubiläumstreffen seines Abiturjahrgangs. Fünfundzwanzig Jahre Abi. Juhu! Da Jakob, wie erwähnt, aus der mittelgroßen ostniedersächsischen Stadt Wolfenbüttel stammt, sollte dieses Treffen dort stattfinden, in der ehemaligen Schule, die wiederum in einem Barockschloss untergebracht ist und darum Gymnasium im Schloss heißt.
Selbstverständlich plante Jakob dieses Treffen nicht allein, sondern mit einer Handvoll weiterer früherer Mitschüler, darunter eine gewisse Susanne Ferber, seinerzeit Aufsichtsratschefin einer berühmten Wolfenbütteler Likörfabrik.
In einem sehr unbedachten Moment hatte Jakob einst Kerstin gegenüber angedeutet, dass er zu Schulzeiten etwas mit dieser Susanne hatte, heimlich, da Susanne anderweitig liiert gewesen war. Im Gegensatz zu Kerstin hatte Jakob dieses Geständnis längst verdrängt und sprach Kerstin gegenüber recht unverfänglich über die Planungstreffen in Wolfenbüttel.
Offenbar nahm Kerstin stets eine leicht veränderte Stimmfarbe und Körperhaltung an Jakob wahr, wenn dieser von Susanne Ferber sprach. Hinzukam, dass Jakob nun häufiger nach Wolfenbüttel fuhr. Angeblich ging es außer um das Jubiläumstreffen um irgendwelche notariellen Angelegenheiten, die Jakob für seine Eltern zu erledigen hatte. Recht nebulöse Dinge, über die sich Jakob stets nur kurz, knapp und ausweichend ausließ.
Kerstin fürchtete das Schlimmste: Dass Jakob sie mit Susanne Ferber betrog und ihre Ehe in Gefahr war und er sie sitzenlassen könnte. Inklusive der Familie, zu der, damals wie heute, drei Kinder gehören, Antonia, Henri und Lina. Allesamt sehr wohlgeraten, freundlich und intelligent.
Dann nahmen die Ereignisse eine völlig unerwartete Wendung. Innerhalb weniger Wochen starben fünf von Jakobs ehemaligen Mitschülern unter mysteriösen Umständen. Einer dieser Mitschüler wohnte zufällig in Bochum, und kurz vor dessen Tod – dieser Mario wurde von einer am S-Bahnhof Ehrenfeld einfahrenden S-Bahn erfasst – hatte Jakob sich mit ihm in der Nähe des Unfallorts getroffen. Jakob war deshalb ein wichtiger Zeuge und für kurze Zeit ein Verdächtiger, da nicht auszuschließen war, dass Mario vor die S-Bahn gestoßen worden war.
Diese Todesfälle überschatteten alles und führten gleichzeitig dazu, dass Jakob nun aus weiteren Gründen und damit noch häufiger in die alte Heimat fuhr, da die Wolfenbütteler Kripo ihn mehrfach befragte und er zu einigen Beerdigungen ging.
Schlimmstenfalls traf er sich bei diesen Gelegenheiten mit Susanne, fürchtete Kerstin, die sich in dieser Zeit nicht traute, ihren Ehemann zur Rede zu stellen. Aus Angst vor der Wahrheit?
Rasch folgte die nächste Wendung: Susanne Ferber starb bei einem Autounfall.
Hier legt Kerstin eine Pause ein. Sie schluckt ein paarmal, bevor sie zugibt: „Das war furchtbar, aber ehrlich, Mike, ich war ein bisschen erleichtert.“
Erstaunlicherweise, aus Kerstins Sicht, brach Jakob nach Susannes Tod nicht zusammen. Er war niedergeschlagen und traurig, aber das war er nach allen Todesfällen seiner früheren Mitschüler. Was ich sehr gut nachempfinden kann, denn laut Kerstin waren am Ende acht Menschen tot. Acht ehemalige Mitschüler. Derart viele meiner ehemaligen Mitschüler kenne ich nicht mehr. Mit größter Anstrengung käme ich auf vier oder fünf.
Wenig später überführten Wolfenbütteler und Bochumer Polizisten gemeinsam und mit Unterstützung Jakobs den Serienmörder. Es war der Ehemann von Susanne Ferber. Zu seinen Motiven zählte neben Habgier (Susannes Reichtum) auch Rache an Susannes Abiturjahrgang, nicht an allen Schülern, aber an einigen ausgewählten. Da Jakobs Name auf der nicht vollständig abgearbeiteten Todesliste stand, musste Kerstin, so befand sie, nur eins und eins zusammenzählen, um im Mörder den gehörnten Ehemann zu erkennen. Sie verzichtete erneut, mit Jakob darüber zu reden. Sie war nur froh, dass dieses Kapitel beendet und ihre Ehe nicht mehr in Gefahr war.
Darein geriet sie mindestens ein weiteres Mal, fünf Jahre später, als sich Jakob auffallend um eine Frau bemühte. Über diese Dame hatte Jakob zwei Artikel geschrieben. Im Gegensatz zu allen anderen Menschen, über die Jakob je berichtet hatte, lag ihm sehr daran, zu erfahren, wie diese Frau seine Artikel fand. Jakob rief sie wiederholt an, um mit ihr darüber zu sprechen – was Kerstin zufällig mitbekam. Auch, dass Jakob anbot, sich mit der Frau zu treffen.
„Ich weiß nicht, ob diese Treffen je stattgefunden haben“, räumt Kerstin ein. „Angehimmelt hat er diese Frau auf jeden Fall. Ich habe die Fotos von ihr in den Artikeln gesehen. Zehn, zwölf Jahre jünger als ich. Vor Selbstbewusstsein strotzend. Blond. Ein bisschen erinnert sie an die Schauspielerin Charlize Theron in ihren frühen Dreißigern. Da kann ein Mann schon mal schwach werden.“
Charlize Theron mit dreißig gegen Katja Riemann mit zweiundvierzig, ein ungleicher Kampf. Der Fairness halber muss man einräumen, dass Jakob vom Aussehen her allenfalls in Riemanns Liga spielt, eher zwei, drei Klassen darunter. Aber was will man von hormongesteuerten Kerlen erwarten? Wenn sich zudem unvermittelt die Midlife-Crisis ankündigt? Nein, nein, ich habe kein Mitleid mit Jakob und anderen hormongesteuerten Kerlen.
Wenn es denn bei Jakob zutrifft.
Wenn.
Kerstin spricht diesen Verdacht aus. Sie tut es mir, dem Privatdetektiv, gegenüber mit einem Hintergedanken. Ich habe es bereits angedeutet. Kerstin möchte mir nicht bloß ihr Herz ausschütten, sondern mich engagieren, um mit meiner Hilfe herauszufinden, warum Jakob dieser Tage rot anläuft, wenn seine Gattin ihn am Handy erwischt. Steckt wieder eine Susanne oder eine Charlize Theron dahinter?
Mit dieser Bitte, die Kerstin jeden Augenblick aussprechen wird, bringt sie mich in arge Bedrängnis, in ein echtes Dilemma. Ich soll einen meiner besten Freunde beschatten.
Im Idealfall finde ich rasch heraus, dass nichts an Kerstins Verdacht dran ist. Das erspart Kerstin unnötig hohe Kosten, das wäscht Jakob rein und beruhigt mein Gewissen – und Jakob wird niemals erfahren, dass seine Frau ihn verdächtigt hat und dass einer seiner besten Freunde ihn gegen Bezahlung überwacht hat. Und so weiter.
All das würde sich komplett ändern, sollte ich Jakob mit heruntergelassener Hose erwischen. Und fotografieren. Oder filmen. Ach nee, was für ein Mist. Doch was würde Kerstin unternehmen, wenn ich den Auftrag ablehne? Sie wäre sauer und würde einen anderen Privatermittler aufsuchen, der mit weniger Taktgefühl als ich an die Sache herangeht und selbst dort Scherben hinterlässt, wo gar kein Geschirr steht.
Und ich? Falls ich ablehne und weiß, dass Kerstin zur Konkurrenz latscht, müsste ich dann nicht meinen Freund warnen?
Leute, was für eine dämliche Situation.
„Ich weiß, dass diese Situation sehr unangenehm für dich ist.“ Kerstin liest Gedanken, und wie! „Ich möchte aber auf gar keinen Fall zu einem anderen Privatdetektiv gehen. Ich möchte dich beauftragen. Und du kannst so loyal gegenüber Jakob bleiben, wie es nur geht. Du sollst auf keinen Fall irgendetwas fotografieren oder filmen. Ich werde mich auf dein Wort verlassen, egal, was du herausfindest.“
„Puh.“ Sie möchte mir die Sache so schmackhaft wie möglich machen. Aber ob sich all diese Versprechen halten lassen?
„Bitte, Mike.“
Ich stöhne erneut.
„Ich möchte es wissen. Ich möchte es wissen, weil ich gern den Rest meines Lebens und das meiner Kinder planen möchte, Mike. Mit oder ohne Jakob.“
Ich nicke. „Einverstanden.“
Danach gelingt es mir mit letzter Kraft, Kerstin davon zu überzeugen, dass wir vorerst nicht über Geld und erst recht nicht über einen Vertrag reden müssen; ich möchte der Nachwelt kein schriftliches Zeugnis über diesen Fall hinterlassen. Das muss ich meiner Sekretärin und Lebensgefährtin Alice erklären, später, denn Alice verbringt ein paar Tage bei ihrer Mutter in Siegburg, um sich von einer Entführung zu erholen. Sie wird mich zu gegebener Zeit unterstützen.
Möglicherweise stellt sie mir eine Bedingung. In den Tagen rund um ihre Entführung brachte sie ein sehr spezielles Thema ein: Sie möchte einen Tanzkurs mit mir absolvieren. Für mich bedeutet Tanzen bisher hauptsächlich Headbanging ohne Haare zu irgendwelchen Rockklassikern aus den Siebzigern, allenfalls noch linker Zeigefinger hoch in die Luft und „He, he, he, he!“ grölen. Alice denkt da mehr an Samba, Rumba, Jive oder Foxtrott. Der Graben ist breit und tief und ich führe eine Liste, auf der ich Argumente gegen diesen Kurs sammele. Ob ich damit durchkomme?
„Danke, Mike.“ Kerstin akzeptiert meine Vorschläge. Sie schlüpft in ihre Regenjacke, die sie jetzt zum Glück nicht mehr brauchen wird, denn Regen und Gewitter sind endgültig vorbei, der Himmel mittlerweile mittelgrau und weitgehend harmlos.
An der Ausgangstür umarmen wir uns kurz, ich sehe Tränen in Kerstins Augen. Sie hastet die Treppe hinunter, die Haustür fällt dumpf ins Schloss. Ich stöhne noch ein paarmal und überlege, wie der Plural von Dilemma heißt.
Egal, zurück am Bürotisch lasse ich Kerstins Bericht Revue passieren. Einen Teil der Story kenne ich bereits aus den Erzählungen meiner Freunde, denn diese Mordserie des Winters 2013/2014 bildet die Klammer um den Großteil meiner heutigen Clique, deren Zentrum das Restaurant Sommernachtstraum schräg gegenüber des Schauspielhauses ist. Im Zentrum dieses Zentrums hockt wie eine fette Spinne der Mann hinterm Tresen, heute der Wirt Helmut Jordan, 2013/2014 Erster Kriminalhauptkommissar und damit leitender Ermittler der Kripo Wolfenbüttel. Ihn werde ich am besten direkt aufsuchen. Er hat damals in der Mordserie ermittelt und bei dieser Gelegenheit mehrfach Jakob vernommen. Helmut ist ein Insider. Ich hätte da einige Fragen an ihn – und hoffe auf einige eindeutige Antworten.
Über zehn Jahre ist es her, dass Jakob erstmals über die vier Aussteiger berichtet hat. Ursprünglich hatte er vorgehabt, das Wohnprojekt in einem Abstand von maximal zwei Jahren journalistisch zu begleiten. Daraus ist nichts geworden. Nur einmal, nach rund fünf Jahren, im Sommer 2019, fuhr er in die Abgeschiedenheit zwischen Weitmar, Eppendorf und Oberdahlhausen.
Mit viel Geschick hatte er es zuvor so eingerichtet, dass er sich allein mit Saskia, weiterhin die unumstrittene Wortführerin der Viererbande, treffen konnte. Sie sah noch besser aus als mit Ende zwanzig, reifer, weiblicher, einfach umwerfend. Während des gesamten Interviews konnte Jakob nicht die Augen von ihr lassen. Nur während der Viertelstunde, als die Fotografin der Ruhrzeitung ihr Werk verrichtete, riss er sich zusammen.
Und ja, Saskia machte ihm schöne Augen, flirtete mit ihm. Das machten einige seiner weiblichen Interviewpartner, aber bei den meisten war es ihm einerlei; außerdem wusste er, dass die Damen es taten, um später im Artikel gut wegzukommen. Dass genau das Saskias Ansinnen sein könnte, ignorierte Jakob erfolgreich. Er sonnte sich lieber in der Vorstellung, auf Saskia attraktiv und begehrenswert zu wirken.
Gleichwohl blieb er während des Interviews Profi genug und stellte seine wohldurchdachten Fragen, die Saskia routiniert beantwortete.
„Nein, wir haben den Umzug hierher keine Sekunde lang bereut.“
„Wir vier verstehen uns genauso gut wie damals in der Schule. Und erst recht wie zu Baubeginn.“
„Alles hier funktioniert bestens. Kein Plumpsklo, haha. Gutes Netz.“
„Ab und zu haben wir Kontakt zu den Leuten vom Bauernhof.“
„Unsere Freunde besuchen uns zwei-, dreimal im Jahr. Unsere Familien weniger. Die haben das eh nie verstanden, dass wir in dieser – in deren Augen – Einöde leben. Vor allem Kostas Eltern und Großeltern tun sich damit schwer. Bei den Griechen müssen alle Generationen aufeinanderhocken, am besten im selben Haus.“
„Ja, wir können uns alle vorstellen, hier alt zu werden. Alle vier gemeinsam.“
„Sicher, es könnten mehr als vier sein. Einstweilen nicht. Ich weiß, die biologischen Uhren ticken. Ich habe nur gerade bei der Krankenkasse ein zweites Team übernommen, kommissarisch, aber demnächst werden die Teams zusammengelegt, dann bin ich für mehr als zwanzig Leute verantwortlich. Diesen Prozess will ich abwarten. Rebekka macht in ihrer Agentur richtig Karriere, sie ist jetzt eine Position unter der Art-Direktorin und stemmt Projekte ohne Ende. Und unsere Jungs können leider nur zeugen. Sorry für den etwas sehr privaten Einblick.“
„Ja, den Hund haben sich Becky und Timo angeschafft. Becky darf ihn mit in die Agentur nehmen. Joschi heißt er und wir lieben ihn alle mega und er uns.“
„Pläne? Ein größeres Gartenhaus für alle, direkt an der Grundstücksgrenze.“