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Lügen. Intrigen. Rache
Eine Frau stürzt von der Dachterrasse eines Londoner Hochhauses in den Tod. Zehn Tage später wird Tate Kinsella wegen Mordes von der Polizei verhaftet.
Tate behauptet im Verhör, dass sie das Opfer erst auf der Büro-Weihnachtsfeier kennengelernt hat. Die Frau drohte da schon, vom Dach zu springen, aber Tate hat es ihr ausgeredet. Sie besteht darauf, dass sie nichts mit dieser Tragödie zu tun hat. Irgendjemand will ihr offensichtlich etwas anhängen.
Aber warum entdeckt die Polizei dann immer mehr Ungereimtheiten in ihrer Geschichte? Und warum glaubt Tates Anwältin ihr nicht?
Es wird schnell klar, dass Tate Geheimnisse hat. Doch wen will sie beschützen? Und warum?
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Seitenzahl: 517
Cover
Über das Buch
Über die Autorin
Titel
Impressum
Widmung
Prolog
TEIL EINS
1
2
3
4
5
6
TEIL ZWEI
7
8
9
10
11
12
13
14
TEIL DREI
15
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17
18
TEIL VIER
19
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TEIL FÜNF
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40
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TEIL SECHS
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DANKSAGUNG
Über das Buch
Lügen. Intrigen. Rache Eine Frau stürzt von der Dachterrasse eines Londoner Hochhauses in den Tod. Zehn Tage später wird Tate Kinsella wegen Mordes von der Polizei verhaftet. Tate behauptet im Verhör, dass sie das Opfer erst auf der Büro–Weihnachtsfeier kennengelernt hat. Die Frau drohte da schon, vom Dach zu springen, aber Tate hat es ihr ausgeredet. Sie besteht darauf, dass sie nichts mit dieser Tragödie zu tun hat. Irgendjemand will ihr offensichtlich etwas anhängen. Aber warum entdeckt die Polizei dann immer mehr Ungereimtheiten in ihrer Geschichte? Und warum glaubt Tates Anwältin ihr nicht? Es wird schnell klar, dass Tate Geheimnisse hat. Doch wen will sie beschützen? Und warum?
Über die Autorin
Ruth Mancini wurde in Südwest-London geboren und studierte Französisch, Spanisch und Jura in Cambridge und London. Sie arbeitete für mehrere Jahre im Verlagswesen, bevor sie Anwältin wurde. Sie hat zwanzig Jahre als Verteidigerin gearbeitet und nebenbei ihren ersten Thriller geschrieben. Heute lebt sie mit ihrem Ehemann und ihren zwei Kindern in Oxfordshire.
RUTH MANCINI
IHR RAFFINIERTESSPIEL
Thriller
Übersetzung aus dem Englischen von Frauke Meier.
Titel der englischen Originalausgabe: »The Woman On The Ledge«
Für die Originalausgabe: Copyright © 2024 by Ruth Mancini Für die deutschsprachige Ausgabe: Copyright © 2024 by Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten. Textredaktion: Ralf Reiter, Köln Covergestaltung: Manuela Städele-Monverde unter Verwendung eines Designs von Glenn O’Neill Satz und E-Book-Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 978-3-7517-5611-2
Sie finden uns im Internet unter luebbe.de
Für meine Mum in immerwährender Liebe
Ich schrecke mit rasendem Herzschlag aus dem Schlaf. Für eine oder zwei Sekunden bin ich verwirrt, als das Morgenlicht zwischen den Lamellen der Jalousie hereindringt. Dann höre ich es. Hämmern an der Tür. Männliche Stimmen, Gebrüll.
»Aufmachen, Polizei!«
Ein, zwei Sekunden fühle ich mich so schläfrig und ängstlich, dass ich keinen Muskel rühren kann. Mein Magen krampft, und meine Gedanken überschlagen sich. Sie sind gekommen, mich zu holen. Sie sind doch noch gekommen, um mich zu holen. Dann fängt es wieder an, das Donnern. Es ist laut. Sie sind an der Wohnungstür, stelle ich alarmiert fest. Jemand muss sie ins Haus gelassen haben. Bei mir können sie nicht geklingelt haben, das hätte ich gehört. Die Wohnung ist so klein, es hört sich an, als wären sie bereits in meinem Wohnzimmer.
George, meine Katze, springt vom Bett und saust unter den Weidensessel. Hastig schlage ich die Decke zurück. »Komme«, brülle ich, aber meine Stimme klingt hoch und dünn zugleich. Ich hoffe, sie konnten mich hören, schließlich will ich nicht, dass sie die Tür aufbrechen. Ich greife zu meiner Jeans und schlüpfe hinein, so schnell ich nur kann, dann ziehe ich ein sauberes T-Shirt von dem Wäschestapel auf dem Stuhl. Ich ringe mit meinem Nachthemd, zerre es mir vom Leib und ziehe mir das T-Shirt über den Kopf, ehe ich den Flur hinunterrenne und mich auf dem Weg dahin schmerzhaft mit dem Arm an der Türklinke verhake.
»Ich komme!«, rufe ich erneut und umklammere meinen schmerzenden Arm, ehe ich die Hand nach oben ausstrecke, um den Schlüssel von der Leiste über der Wohnungstür zu holen. Meine Finger zittern, als ich die Sicherheitskette öffne. »Nur eine Sekunde«, bettele ich. »Ich muss nur noch aufschließen.« Ich drehe den Schlüssel und schiebe den Riegel hoch.
Sie stürmen herein. Große Männer in Uniformen und stichfesten Westen in meinem kleinen Flur. Zwei, dann drei, dann vier von ihnen; sie drängeln sich rein, dringen in meine persönliche Sphäre ein, als wäre ich die gefährliche Kriminelle, für die sie mich halten.
Jetzt kommt auch eine Polizistin, Gott sei Dank.
»Tate Kinsella?«
»Ja.«
Sie ergreift meinen Unterarm, hebt meine Hand und lässt die Handschelle um mein Handgelenk einrasten. »Tate Kinsella, ich verhafte Sie wegen Mordverdachts«, sagt sie und rattert dann aus dem Kopf herunter: »Sie müssen sich nicht äußern, aber es könnte Ihrer Verteidigung schaden, wenn Sie bei der Befragung etwas unerwähnt lassen, auf das Sie sich später vor Gericht berufen. Alles, was Sie sagen, kann als Beweis verwendet werden. Verstanden?«
Ich nicke.
Nun durchsuchen sie mein Wohnzimmer und mein Schlafzimmer, während ich mit der Polizistin in der Küche stehe und die Handschellen schwer und eng um meine Handgelenke liegen. Ich streiche mit der Zunge über die Zähne und sehe mich in der Küche um. In meinem Kopf wirbeln all die Dinge durcheinander, an die ich denken sollte, aber gefesselt so dicht bei einem vollkommen fremden Menschen zu sein macht es mir unmöglich, klar zu denken. Mein Gaumen ist knochentrocken.
»Kann ich ein Glas Wasser haben?«, frage ich und nicke in Richtung Spülbecken. Daneben, auf der Arbeitsfläche, stapeln sich Teller und anderes schmutziges Geschirr. Die leeren Weingläser vom Vorabend: zwei. Ketchupflecken und Krümel von gebratenem Reis mit Eiern auf der Arbeitsplatte. Wein und Essen zum Mitnehmen: die Art Mahlzeit, die man sich gönnt, wenn man etwas zu feiern hat. Die Augen der Polizistin folgen meiner Blickrichtung. Ich frage mich, ob sie in Gedanken schon ein Profil von mir erstellt.
»Nicht jetzt. Später«, sagt sie.
»Meine Katze«, sage ich. »Ich muss eine Regelung treffen.«
»Was für eine Regelung?«
»Meine Nachbarin. Bitte … ich muss sie anrufen. Mein Telefon … es liegt am Bett.«
»Wir übernehmen das für Sie.«
»Sie wohnt zwei Stockwerke über mir. Sie hat einen Schlüssel. Ich muss sie nur bitten, meine Katze zu füttern.«
»Wie ich schon sagte, wir übernehmen das.«
Weitere zehn Minuten vergehen, dann werde ich aus dem Gebäude geleitet. Mein Herz hämmert in der Brust beim Anblick der Polizeifahrzeuge mit dem blauen und neongelben Schachbrettmuster, die einen krassen Kontrast zu meinem kleinen Corsa bilden, der in der schmalen Straße direkt neben ihnen steht. Es ist Mitte Dezember, und die Luft ist frisch und kalt, aber die Polizei hat meinen Mantel und all meine Pullover an sich genommen. Ich zittere in meinem dünnen T-Shirt, als die hintere Tür für mich geöffnet wird und ich auf die Rückbank des Wagens geschubst werde.
Schweigend fahren wir die kurze Strecke bis zum Polizeirevier. Die Polizistin fährt, ihr Kollege sitzt neben mir. Nur das abgehackte Krächzen aus dem Funkgerät und die leisen Antworten des Polizisten streifen dann und wann die Peripherie meiner Gedanken. Wir passieren orientalische Restaurants und Geschäfte auf der Edgware Road, Buchmacher und Pfandleihhäuser, Upper Berkeley Street, Portman Square. Alles ist wie immer und doch ganz anders. Ich gehe diese Straßen an den meisten Tagen entlang, aber alles sieht neu aus, ganz ähnlich wie dann, wenn man gerade aus dem Urlaub zurück ist. Werde ich je zurückkommen? Mein Herz hämmert in der Brust. Das ist nur Herzklopfen. Es ist gar nichts, sage ich mir. Ich reagiere zwangsläufig ängstlich, aber gerade jetzt ist es wichtiger denn je, dass ich Ruhe bewahre.
Eine Sache, über die ich froh bin, ist, dass ich niemals wieder in dieses Büro zurückgehen werde. Mir dreht sich der Magen um, wenn ich nur daran denke. Der Blick über den Rand der Dachterrasse. Sie zu sehen, ihren zerschmetterten Körper auf dem Pflaster, der nach weiter nichts als einem Haufen Kleider aussieht. Einem menschenförmigen Haufen Kleider. Ihr Schuh auf der Straße. Ihre Handtasche, verfangen an der Zierspitze eines Geländers. Ich spiele es im Kopf immer wieder durch: die unbeschreiblichen Schmerzen, die sie erlitten haben muss, als sie auf dem Boden aufschlug. Und dann weine ich wieder. Jedes Mal, wenn ich ihren zerschlagenen Körper vor mir sehe, fühle ich mich außer Atem, als bekäme ich keine Luft mehr, so, als wäre ich diejenige, die fünfundzwanzig Stockwerke tief von einer Londoner Dachterrasse auf das Straßenpflaster in den Tod gestürzt ist.
Wir fahren durch das offene Tor auf der Rückseite des Polizeireviers, und der Wagen hält an. Ich werde über einen Hof voller Polizeifahrzeuge gezerrt und weiter in einen leeren Raum mit Betonwänden, dessen Fußboden mit schwarzen Weichbodenmatten ausgelegt ist. Man sagt mir, dies sei eine Wartezelle und wir müssten uns gedulden, bis wir an der Reihe sind, damit ich in Gewahrsam genommen werden kann. Nach einigen Augenblicken reden die Polizisten über eine Gegensprechanlage miteinander, und wir werden hereingelassen.
Nun befinde ich mich in einem kahlen Vorraum mit einem einzelnen Stehpult. Flankiert von zwei Officers setze ich mich auf eine Bank. Die Polizistin nimmt mir die Handschellen ab, holt eine kleine Packung Taschentücher hervor und legt sie neben mir auf die Bank.
»Ich hole Ihnen etwas Wasser«, erbietet sie sich.
»Danke.« Ich reibe mir die wunden Handgelenke, ziehe ein Taschentuch aus der Packung und putze mir die laufende Nase und die nicht minder feuchten Augen. Die Polizistin verschwindet und lässt mich mit ihrem Kollegen allein. Er ist jung, ordentlich rasiert, blond, picklig. Er sieht meinem Neffen Josh ziemlich ähnlich, was ich als vage beruhigend empfinde, während wir hier Seite an Seite auf der Bank sitzen.
Die Frau kehrt mit einer Plastiktasse zurück und gibt sie mir. Ich nehme einen Schluck. Das Wasser ist eiskalt, aber wohltuend. Ich kippe den Rest hinunter.
»Wollen Sie mehr?«
»Nein, schon gut. Danke.«
Wir warten noch einige Augenblicke länger, und dann winkt uns der Sergeant am Pult heran. Er stellt mir eine ganze Reihe Fragen über meinen Geisteszustand, der, wie ich ihm erkläre, völlig in Ordnung ist, auch wenn es mir schon mal besser ging. Er verliest mir meine Rechte, und ich sage ihm, dass ich sie verstanden habe. Er bietet mir einen Anwalt an; ich nehme an. Er sagt mir, er wird den diensthabenden Solicitor für mich rufen. Dann bekomme ich eine Decke und werde in eine Zelle verfrachtet. Sie nehmen mir meine Schuhe und meine Kleider ab und geben mir stattdessen ein Sweatshirt und eine Jogginghose. Die Tür knallt zu, und ich liege auf der Matte und schließe die Augen. Ich werde nicht schlafen – ich muss nicht schlafen –, aber ich will mir auch nicht die Metalltoilette in der Ecke ansehen, die weder Sitz noch Deckel hat. Ich will mir hier gar nichts ansehen. Selbst mit geschlossenen Augen kommt mir alles so fremdartig vor – die Klamotten, die ich trage, die groben Fasern der Decke, die ich unter den Fingerspitzen spüre, das Knallen von Zellentüren, das Klirren von Schlüsseln.
Ich ziehe die Knie an die Brust. Ich habe so vieles zu überdenken, so vieles, das ich durchgehen muss. Und da ist so vieles, was ich meinem Anwalt sagen muss, wenn er oder sie erst hier ist, aber meine Hände und Füße sind kalt und mein Geist taub. Die Decke wärmt mich nicht ausreichend, aber ich weiß nicht, ob man mir eine zweite genehmigen wird, und ich will keine Aufmerksamkeit auf mich lenken, indem ich frage. Ganz gleich, wie sehr ich versuche, mich auf meinen Atem zu konzentrieren – beim Einatmen bis vier zählen, beim Luftanhalten bis fünf, beim Ausatmen bis sechs oder sieben –, ich kann einfach keine Ordnung in meinem Kopf schaffen.
Als der Anwalt eintrifft, kommen sie wieder zu mir. Es klopft kurz an dem kleinen Fenster in der Tür, und dieses Mal sind die klirrenden Schlüssel für mich. Erneut werden mir Handschellen angelegt, aber nur kurz; man nimmt sie mir wieder ab, als ich in den kleinen Raum gebracht werde, wo der Anwalt auf mich wartet. Die Anwältin – eine Frau Ende dreißig, würde ich sagen, also ungefähr in meinem Alter. Sie hat ihr welliges Haar zu einem unordentlichen Knoten frisiert und trägt ein Fleeceoberteil, Jeans und Turnschuhe. Sie ist nicht, was ich erwartet habe; ich dachte, sie würden alle Anzug oder Kostüm tragen. Aber ich selbst trage eine Decke, Papierschuhe und den Trainingsanzug von jemand anderem, also wirkt ihr zwangsloses Erscheinungsbild sofort beruhigend auf mich.
»Hallo, Tate. Setzen Sie sich. Ich bin Sarah«, sagt sie. »Ich bin Ihre Anwältin. Ist das okay?«
Ich gleite ihr gegenüber auf die Bank. »Klar«, stimme ich zu.
»Sie haben die Wahl.« Sie lächelt mich an. Ihre Augen wirken freundlich. »Wenn Sie zu dem Schluss kommen, dass ich in Ihren Augen nicht die richtige Anwältin für Sie bin, dann können Sie um jemand anders bitten. Und alles, was Sie mir erzählen, ist absolut vertraulich. Das müssen Sie wissen. Es ist mir nicht gestattet, diesen Raum zu verlassen und irgendjemandem zu verraten, was Sie mir erzählt haben.«
Ich nicke.
»Es sei denn«, fährt sie fort, »wir beide stimmen überein, dass ich in Ihrem Auftrag mit der Polizei oder bei Gericht oder meinen Kollegen etwas sagen soll, falls es nötig ist.«
»Okay.«
Sie fährt mit einem Finger über das Touchpad ihres Laptops. »Ihr Name ist Tate Kinsella, ist das richtig? Und Ihr Geburtsdatum ist der achte Juni neunzehn-vierundachtzig?«
»Ja.«
»Gut. Okay.« Sie lehnt sich zurück und sieht mich mit ernster Miene an, die Stirn in Falten gelegt. »Also, Tate, wissen Sie, warum Sie hier sind?«
»Ja.«
»Sie werden des Mordes an …«
»Ich weiß«, sage ich hastig. »Ich weiß, warum ich hier bin.«
»Und wie geht es Ihnen damit?«, fragt sie. »Sind Sie in Ordnung?«
Überrascht starre ich sie an. Es ist sonderbar, dass jemand fragt, ob ich in Ordnung bin, obwohl diese Person denkt, ich hätte jemanden getötet. Ich schätze, ich hatte etwas mehr Hass erwartet.
»Ich bin in Ordnung«, sage ich. »Ein bisschen erschüttert. Aber ich habe es gewusst. Ich habe einfach gewusst, dass sie mich dafür einsperren werden.«
»Ja.« Sarahs Finger bewegt sich über das Touchpad, und sie kneift die Augen zusammen, als sie ihren Laptop anstiert. »Sie haben eine Aussage gemacht. Sie haben der Polizei und den Zeugen vor Ort erzählt, dass Sie mit der Verstorbenen in dem Gebäude waren – dass Sie bei ihr waren, bevor sie gestorben ist. Sie haben ihnen gesagt, das sei alles Ihre Schuld.« Fragend blickt sie wieder mich an.
»So habe ich es nicht gemeint.« Ich schüttele den Kopf. »Ich war durcheinander. Ich dachte …«
Ihre Augen kehren zum Monitor zurück. »Und dann haben Sie widerrufen und gesagt, Sie hätten gar nicht gewusst, dass sie in dem Gebäude war.«
Ich senke den Kopf und schlage die Hände vors Gesicht. »Ich wusste es nicht.«
»Aber Sie waren dort.«
»Ja, ich war dort«, bestätige ich. »Im Gebäude. Zur selben Zeit. Aber ich war nicht bei ihr. Ich habe nichts getan. Das habe ich der Polizei auch gesagt. Aber sie haben mir nicht geglaubt.«
»Nein«, stimmt sie zu.
»Hören Sie, ich kann nichts von alldem erklären. Ich weiß nicht, wie – oder warum – das passiert ist. Na ja, ich habe eine Theorie, aber die ist irgendwie … verrückt. Sie ist … sie ist wirklich ziemlich irre.«
Sie sieht mir direkt in die Augen. »Tate, ich muss Sie warnen … Sollten Sie irgendetwas damit zu tun haben, dann dürfen Sie nichts sagen. Sie müssen den Mund halten. Haben Sie mich verstanden?«
»Nein. Ich muss es ihnen sagen!«, protestiere ich. »Ich bin unschuldig. Ich habe das nicht getan. Ich muss ihnen meine Sicht der Dinge darlegen.«
»Sie haben Ihre Sicht der Dinge schon dargelegt.«
»Aber die haben mir nicht geglaubt! Sie haben mich festgenommen.«
»Genau«, sagt sie. »Also, denen Ihre Sicht der Dinge darzulegen, hat nicht zwangsläufig zur Folge, dass man Sie gehen lässt. So läuft das nicht. Und wie Sie bereits festgestellt haben, kann es Sie sogar in Schwierigkeiten bringen.«
»Aber ich bin unschuldig!«
»Dann erzählen Sie mir davon«, sagt sie. »Und lassen Sie sich von mir beraten. Dafür bin ich da.«
Ich wickele mir die Decke fester um die Schultern, obwohl mir inzwischen doch recht warm ist. Ich kann meine Füße spüren. Ich kann wieder denken.
Sie zieht den Laptop näher heran und wartet, die Augen gesenkt, die Schultern zurückgezogen.
Ich seufze. »Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll«, gestehe ich ihr.
»Fangen Sie am Anfang an«, sagt sie.
Ich bahnte mir durch den vollgestopften Raum einen Weg zu der Glastür, die hinaus auf die Terrasse führte. Die Stimmung war ausgelassen und das Weihnachtskaraoke in vollem Gang. Mein Vorgesetzter Dan und seine persönliche Assistentin Hayley hatten gerade eine gar nicht so schlechte Elton-John-und-Kiki-Dee-Interpretation abgeliefert. Jetzt war unser CEO Jerry Seager dran und sang Elvis. Ermutigt durch sein gefesseltes Publikum und eine gewisse Menge Wodka, riss er sich die oberen Hemdknöpfe auf und ließ in einer leidenschaftlichen Parodie des Kings die Hüften kreisen.
Die Bar befand sich in der obersten Etage eines fünfundzwanzigstöckigen Bürogebäudes im Herzen der City of London. Als ich die Tür erreichte, sah ich mehrere Leute aus meiner Abteilung, die sich draußen im Raucherbereich versammelt hatten, und blieb abrupt stehen. Von müßigem Bürogeplauder hatte ich eigentlich genug. Tatsächlich gab es in der Bank niemanden außer Dan – und vielleicht Hayley –, mit dem ich mich besonders gut verstanden hätte. Ich hatte kein Interesse an den Autos der Kollegen oder ihren Skiurlauben oder daran, wer im Rennen um den größten Bonus vorn lag, und die hatten definitiv kein Interesse an mir und meiner in die Jahre gekommenen Schauspielkarriere.
Ich schlich mich an ihnen vorbei in die Ecke und kletterte die schmale Feuerleiter zur oberen Ebene der Dachterrasse hinauf. Die kalte Luft war erfrischend, der Ausblick auch. Oben angekommen, konnte ich die weißen Lichter der Tower Bridge in der Ferne funkeln sehen. Unter ihr schlängelte sich der Fluss nach Osten zu den Docks. Auf der anderen Seite des Wassers, zu meiner Rechten, erhob sich The Shard aus der nächtlichen Finsternis, die seine unteren Etagen umfangen hielt, wohingegen die Spitze hell leuchtete. Ich zündete mir eine Zigarette an und inhalierte tief den Rauch, genoss für einen Moment den Ausblick und das Alleinsein. Als ich fertig war, trat ich vor, ging ein wenig näher an die Mauer der Terrasse heran, neugierig darauf, wie weit ich käme und welchen Ausblick auf die Straße ich erhalten würde. Mit Höhen hatte ich schon immer Probleme gehabt, und ich fühlte, wie meine Knie weich wurden, aber ein perverser Drang in mir trieb mich näher an den Rand heran. Es war, als wollte ich mein eigenes Gehirn herausfordern, mich vom Sprung in die Tiefe abzuhalten. Jemand hatte mir mal erzählt, das wäre es, was Höhenangst wirklich bedeutete.
Ich erreichte das Geländer am Rand des Gebäudes, klammerte mich daran fest und lugte hinüber, und da war er – der tiefe, ungehinderte Fall. Mein Magen schlug Purzelbäume, als ich für einen oder zwei Augenblicke hinabschaute. Und dann, rechts von mir und nur aus dem Augenwinkel, sah ich sie. Eine Frau mit dunklem welligem Haar. Sie war auf eines der Dachfenster und über das Geländer geklettert und saß nun auf der anderen Seite auf dem Mauervorsprung und ließ die Beine in der Luft baumeln.
Ich zögerte. »Hey«, rief ich einen Moment später. »Ich glaube nicht, dass du da sitzen solltest.«
Sie antwortete nicht. Ich schob mich näher heran.
»Ernsthaft.« Ich sprach nun hastig, kämpfte mit einem Schwindelgefühl. »Es ist nicht sicher hier. Du könntest hinunterfallen.«
Sie drehte den Kopf in meine Richtung und sah mich an. »Könntest du … mich einfach in Ruhe lassen, bitte?«
Wieder brauchte ich einen Augenblick Zeit. »Ich glaube, das sollte ich nicht tun«, sagte ich dann.
»Ich möchte nur … ich brauche nur mal eine Minute.«
»Und dann kommst du wieder runter?«
Nun war sie diejenige, die zögerte. Sie wandte mir den Rücken zu und schüttelte den Kopf.
Ein Schauder erfasste mich. »Falls du daran denkst zu springen … bitte, bitte tu das nicht.«
Sie antwortete nicht.
»Komm schon«, sagte ich sanft. »So schlimm kann es doch nicht sein.«
Ihre Stimme zitterte, überschlug sich beinahe, als sie sagte: »Ach, nein? Willst du wetten?« Sie griff nach einer Flasche Wein, die neben ihr auf der Mauer stand, legte den Kopf in den Nacken und nahm einen tiefen Schluck.
»Willst du darüber reden?«, versuchte ich es weiter.
»Es gibt nichts zu reden«, antwortete sie. »Ich habe alles vermasselt. Ich habe es richtig übel versaut.«
»Was hast du vermasselt?«
Ihre Schultern bebten, und sie fing an zu weinen.
»Schau«, sagte ich rasch, »mein Leben ist ein echter Totalschaden. Ich sollte diejenige sein, die springt.«
Keine Reaktion.
»Ernsthaft«, sagte ich. »Ich bin 38, arbeitslose Schauspielerin-Schrägstrich-Bürohilfe-Schrägstrich-Zeitarbeitskraft-Schrägstrich-Handlangerin. Ich lebe allein mit einer Katze.«
Sie sah sich zu mir um. »Du bist Schauspielerin?«
»Ja«, sagte ich schnell, nun, da ich ihre Aufmerksamkeit hatte. »Na ja … ich versuche, eine zu sein.«
»Wo hast du mitgespielt?«
»Nichts, wovon du je gehört haben dürftest«, gestand ich.
»Warst du im Fernsehen?«
»In einer Werbung, aber das ist Jahre her.«
»Welche?«
»Carpet Palace. Ich war die Frau auf dem fliegenden Teppich. Die, die durch ein Fenster geflogen und im Wohnzimmer dieses Paars gelandet ist.«
Sie starrte mich nur verständnislos an.
»Ja, wie auch immer. Ich hatte seit Jahren keinen anständigen Job mehr. Dafür bin ich mit einundzwanzig Riesen verschuldet. Außer zur Schauspielerei bin ich für nichts qualifiziert. Na ja, das stimmt nicht ganz. Ich habe einen OCR-Level-zwei in Maschinenschreiben, aber mein Tempo ist miserabel, und ich habe ein RSI-Syndrom. Also bin ich hauptsächlich mit Kopieren, Scannen und Schreddern beschäftigt. Was …« Mir war klar, dass ich schwafelte. »… wirklich nützlich wäre, sollte ich je die Rolle einer wahnsinnig gelangweilten Bürohilfe spielen. Aber bis dahin ist es total wahnsinnig scheißlangweilig. Und weißt du was? Meine Brüder und Schwestern sind alle verheiratet, haben Kinder und sind alle Multimillionäre.«
»Echt?«
»Echt.« Ich nickte. »Jeder von ihnen. Alle haben ein großes Haus, einen schönen Wagen, Designerklamotten, tolle Urlaube.« Ich unterbreche mich für einen Moment. Dann: »Sie leben den Traum. Und dann bin da noch ich.«
Die Frau streckte den Arm aus und bot mir die Weinflasche an. Ich trat vor, reckte die Hand hoch und nahm sie.
»Und die sind wirklich alle Millionäre?«, fragte sie.
»Ja, wirklich.« Ich wischte den Flaschenrand an meinem Ärmel ab und trank einen Schluck Wein. »Das ist kein Witz. Eine meiner Schwestern besitzt eine Hotelkette. Und mein ältester Bruder hat seine Firma vor dem Crash an die Börse gebracht und fünfzig Millionen kassiert. Über Nacht war er nicht mehr nur reich, sondern superreich.«
»Wenn die so reich sind, warum helfen sie dir nicht, deine Schulden zu bezahlen?«
»Sie haben sich zusammengesetzt und sind zu dem Schluss gekommen, dass sie das nicht tun werden. Sie denken, ich muss meinen Mist selbst regeln und lernen, allein zurechtzukommen.«
Sie nickte langsam. »Nett.«
Mein Telefon piepte. Ich nahm es aus der Tasche und warf einen Blick auf das Display.
»Dein Freund?«, fragte sie.
Ich schüttelte den Kopf. »Nur die Ankündigung, dass ich morgen eine Lieferung von Amazon bekomme.«
»Was hast du bestellt?«
»Schuhe.«
Sie nickte und fing wieder an zu weinen.
»Sie kommen allerdings ein bisschen zu spät«, sagte ich. »Ich wollte sie für die Party haben.«
Sie weinte heftiger.
»Hey.« Ich rückte näher an sie heran.
»Du hast wenigstens einen Freund«, schluchzte sie. »Du hast wenigstens einen Scheißfreund.«
»Was?« Ich runzelte die Stirn. »Wie kommst du auf die Idee, dass ich einen Freund habe?«
Sie stutzte. »Wegen der Nachricht, die du bekommen hast.«
»Von Amazon.«
»Oh. Ja. Okay.«
Wie betrunken war sie?
»Also, hast du einen Freund?«
Sie fixierte mich mit einem bohrenden Blick, wartete auf meine Antwort. Dabei schwankte sie auf ihrem Platz. Panik erfasste mich. Ich wollte Nein sagen, aber ich wollte auch nicht lügen. Was, wenn Dan heraufkäme, um mich zu suchen?
»Gewissermaßen«, räumte ich ein.
Sie schniefte. »Was heißt das?«
»Es gibt jemanden«, gab ich zu. »Aber er ist nicht wirklich mein Freund.«
»Wie kann er nicht wirklich dein Freund sein?«
Ich zögerte kurz. »Er ist verheiratet«, sagte ich dann.
Sie maß mich mit einem starren Blick.
»Verstehst du jetzt, was ich meine?«, fragte ich. »Totalschaden.«
Sie dachte eine Minute darüber nach. Derweil lüpfte der Wind eine Ecke ihres Mantels und fegte sie gegen ihren Oberschenkel. Sie strich ihn wieder glatt. »Liebst du ihn?«
»Ja.«
»Liebt er dich?«
»Ich weiß es nicht. Vielleicht.«
»Also gibt es Hoffnung«, lallte sie. »Für dich gibt es Hoffnung.«
»Er ist verheiratet«, erinnerte ich sie. »Er hat eine Tochter, die er sehr liebt. Er wird seine Frau nie verlassen.«
»Woher willst du das wissen?«
»Ich habe gegoogelt.«
Plötzlich lächelte sie trotz der Tränen. »Du hast gegoogelt?«
»Ach, du weißt schon. Ich habe gegoogelt, wie viele Männer ihre Frauen verlassen, und es sind nur so ungefähr fünf Prozent oder so.«
Ihr Grinsen wurde breiter.
»Was?«, fragte ich und lächelte ebenfalls.
Sie zuckte mit den Schultern. »Ich weiß auch nicht. Tut mir leid. Es hat sich irgendwie komisch angehört.«
»So was tut man eben, wenn man verzweifelt genug ist.«
»Wem sagst du das?«, gab sie zurück.
Einen Moment lang musterte ich sie schweigend. Sie rührte sich nicht, aber ich hatte das Gefühl, wir waren ein Stück weitergekommen. Das wollte ich nicht mit einer falschen Äußerung kaputtmachen.
Schließlich schniefte sie wieder und wischte sich die Augen ab. »Kann ich eine Zigarette haben?«, fragte sie.
Rasch holte ich die Packung aus meiner Tasche und hielt sie ihr hin.
Sie griff danach, kam aber nicht ganz dran. »Ich kann sie nicht … kannst du etwas näher kommen?«
»Komm doch einfach da runter«, bettelte ich. »Bitte. Wo wohnst du? Vielleicht können wir uns ein Taxi für den Heimweg teilen oder … Oder wir suchen uns irgendwo eine Bar oder so und unterhalten uns noch ein bisschen weiter.«
Einen Moment dachte sie nur schweigend nach, und dann drehte sie sich zu meiner Überraschung um, hielt sich am Geländer fest und sank auf der Mauer auf die Knie, duckte sich unter dem Geländer hindurch und glitt das Dachfenster hinab. Rasch trat ich näher und positionierte mich zwischen ihr und der Mauer.
Ich klopfte eine Zigarette aus der Packung und reichte sie ihr, schnippte mein Feuerzeug an, entzündete sie und hielt ihr die Weinflasche hin. Sie nahm sie, atmete eine Rauchwolke aus und nahm einen Schluck Wein.
»Wie heißt du?«, fragte sie mich.
»Tate.«
Sie runzelte die Stirn. »Wie bitte?«
»Tate. T-a-t-e.«
»Ungewöhnlich.«
»Ja. Ich glaube, meine Eltern haben gehofft, der Name würde mich interessant machen. Wir haben alle kurze Namen. Da gibt es Fern, Heath, Blair und Skye. Und mich. Was ist mit dir?«
»Helen.«
»Oooh. Schön. Zwei ganze Silben.«
Sie presste die Lippen zusammen und sog die Wangen ein. »Mein Nachname ist ›Back‹.«
Helen Back – Hell and back. Ich sah sie mit ernster Miene an und wagte nicht zu lachen. Sie war immer noch zu nah am Rand des Gebäudes. Sie könnte es sich jederzeit anders überlegen, wieder auf das Fenster klettern und sich in die Tiefe stürzen.
»War nur ein Witz. Ich heiße Jones mit Nachnamen.« Sie grinste und stieß eine Rauchwolke hervor.
Erleichtert lächelte ich sie an.
»Also, erzähl mir von deinem verheirateten Mann«, forderte sie mich auf.
Ich zögerte. »Für wen arbeitest du?«
»Was?«
»Arbeitest du für CPF?«
»Für wen?«
»Die französische Bank, bei der ich arbeite. Wir sind auf den Etagen zwölf bis neunzehn. Das, was da in der Bar heute stattfindet, ist unsere Party.«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Und auf welcher Etage bist du?«
Sie zog an ihrer Zigarette. »Zehn.«
»Zehn?« Ich kratzte mich am Kopf. »Ist das Cowan McCauley?«
»Ich bin nur Hilfskraft«, sagte sie. »Eigentlich kenne ich da niemanden.«
Ich klopfte noch eine Zigarette aus der Packung und zündete sie an. »Genau wie ich. Nervt, oder? Niemand ist daran interessiert, dich kennenzulernen. Es ist, als wäre man unsichtbar.«
»Und warum bist du hier?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Betriebliche Weihnachtsfeier. Man muss sich ja wenigstens bemühen, nicht wahr?«
Sie hielt sich die Zigarette an die Lippen. »Weiß nich’. Ich wüsste nicht, warum, wenn man doch nur Aushilfe ist.«
»Aber langfristig«, wandte ich ein. »Ich bin jetzt schon vier Monate hier.« Für einen Moment schwieg ich. Dann: »Okay. Die Wahrheit, dieser Typ, mit dem ich mich treffe.« Ich deutete mit einer Kopfbewegung auf das Gebäude. »Er ist drin. Ich arbeite mit ihm. Er ist mein Boss.«
Sie presste die Lippen zusammen und schüttelte verständnisinnig den Kopf.
»Jepp«, sagte ich trocken. »Und darum bin ich hier. Nur … dass es wirklich keinen Zweck hat. Er redet bei der Arbeit nie mit mir. Tatsächlich geht er mir sogar gezielt aus dem Weg. Also hast du recht. Ich weiß im Grunde gar nicht, warum ich hergekommen bin.«
Sie reichte mir die Flasche. Ich nahm einen Schluck und gab sie ihr zurück. »Was ist mit dir?«, fragte ich sie. »Warum bist du hier?«
»Ich bin hergekommen, um vom Dach zu springen, weißt du nicht mehr?«
»Mist. Tut mir leid«, sagte ich. »Aber das willst du jetzt nicht mehr?«
Sehnsüchtig wandte sie den Blick ab und sah zur Spitze des Shard hinüber. »Du hast es mir gewissermaßen verleidet.«
Ich legte ihr die Hand auf den Arm. »Komm. Lass uns ein Taxi rufen. Morgen sieht die Welt vielleicht schon wieder anders aus.«
»Das bezweifle ich.«
»Na ja, wenn nicht, dann kannst du mich anrufen, einverstanden?«
»Ernsthaft?«
»Ja, ernsthaft. Gib mir dein Telefon.«
Sie zog ihr Telefon aus der Tasche und reichte es mir. Ich tippte meine Nummer ein und drückte auf »Senden«. Mein Telefon piepte, und ich gab ihr ihres zurück.
Einen Moment lang musterte sie mich forschend. »Warum kümmert dich das?«
»Weil«, sagte ich, »was immer du glaubst, getan zu haben – oder nicht getan zu haben –, ich den Eindruck habe, dass du ein netter Mensch bist.« Und dann fügte ich lächelnd hinzu: »Außerdem … wir Hilfskräfte müssen doch zusammenhalten, oder nicht?«
Sie dachte kurz darüber nach und schob sich dann vorwärts, glitt von dem Oberlicht herab und sprang neben mir auf das Dach.
Sarah, meine Anwältin, hört auf zu tippen. »Also, sie hat im zehnten Stock gearbeitet?«
»Nein.« Ich schüttele den Kopf. »Sie hat gelogen. Sie hat eigentlich gar nicht dort gearbeitet.«
»Sie hat nicht bei …« Sarah wischt über das Touchpad und scrollt nach oben. »… Cowan McCauley gearbeitet? Oder nicht im zehnten Stock?«
»Sie hat nicht in dem Gebäude gearbeitet.«
»Oh, ich verstehe.« Ihr Blick huscht zu meinen Augen. »Also … warum hat sie gelogen?«
»Sie hätte nicht dort sein dürfen. Sie hat sich reingemogelt.«
»Und warum hat sie das getan?«
Ich sah ihr direkt in die Augen. »Sie wollte sich umbringen. Das ist das, was sie mir gesagt hat.«
»Es gibt andere Möglichkeiten, sich umzubringen.«
Ich nicke. »Aber sie kannte das Gebäude. Sie war sicher, sie würde einen Weg finden, sich einzuschleichen. Und Zwei-zwei-fünf Eastcheap ist hoch genug, um …« Ich breche ab und schließe für einen Moment die Augen. »Es ist hundert Meter hoch. Dreihundert Fuß. Das ist anscheinend so ziemlich optimal. Es ist die perfekte Höhe, wenn man sicher sein will, dass man den Sturz nicht überlebt, aber gleichzeitig auf dem Weg nach unten nicht zu viel Zeit zum Nachdenken haben will.«
Sarah legt die Stirn in Falten. »Das alles hat sie Ihnen erzählt?«
Ich starre die Tischplatte an. »Ja. Das hätte mich alarmieren müssen. Das alles. Ihre Labilität. Ihre Lügen. Aber sie hat mir einfach leidgetan. Und ich mochte sie. Irgendwie hatte sie etwas Lebendiges an sich.« Ich blicke auf. »Ich weiß, das klingt unter diesen Umständen ziemlich sonderbar, aber sie kam mir nicht verrückt vor. Sie wirkte einfach wie ein ganz normaler Mensch, der ein bisschen rührselig war und zu viel getrunken hatte. Da war nichts … Gestörtes an ihr. Ich schätze, ich war nicht so ganz überzeugt, dass sie wirklich springen wollte.«
»Ich kann verstehen, wie Sie zu diesem Schluss gekommen sind. Immerhin konnten Sie es ihr ausreden.«
»Ja«, schnaube ich. »Und sehen Sie nur, wo mich das hingebracht hat.«
»Also, wenn sie nicht dort gearbeitet hat … wie ist sie reingekommen?«
»Sie hat gesagt, der Mann an der Tür hätte sich an ihr Gesicht erinnert. Dass sie ein paar Monate früher in dem Gebäude gearbeitet hätte. Es war Abend. Es gab eine Party. Sie hat ihn irgendwie überzeugt, dass sie der Anhang von irgendwem war, und er hat sie reingelassen. Ohne Sicherheitsausweis kommt man nicht in die Bar oder in irgendeines der Obergeschosse, also schätze ich, er hat nichts dabei gefunden. Oben, an der Tür zur Bar, gab es noch mehr Sicherheitspersonal. Und sonst konnte sie ja eigentlich nirgendwohin.«
»Außer … auf die Dachterrasse.«
»Ja. Auf die kommt man direkt vom fünfundzwanzigsten Stock aus, dafür muss man nicht erst durch die Bar. Und auf dem Dach gibt es natürlich auch keine Überwachungskameras.«
»Und das hat sie gewusst?«
»Schätze, sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, es herauszufinden.«
Sarah überfliegt kurz den Bogen Papier, der neben ihrem Laptop auf dem Tisch liegt. »Also, Zwei-zwei-fünf Eastcheap ist ein Hochhaus mit fünfundzwanzig Stockwerken. Können Sie mir noch ein bisschen mehr darüber erzählen?«
»Was zum Beispiel?«
»Beschreiben Sie es mir.«
»Okay. Also … in dem Gebäude haben sich etliche Firmen angesiedelt. Es gibt einen Fitnessraum im Keller und eine Bar ganz oben. Ich glaube, einige Etagen sind sogar mit Schlafkapseln ausgestattet. In der Bank arbeitet nach Feierabend oder am Wochenende niemand mehr«, erkläre ich. »Aber in einigen der US-Anwaltskanzleien im Gebäude wird bis in die Nacht gearbeitet.«
»Und der Sicherheitsdienst?«, fragt sie, immer noch dabei, meine Worte mitzutippen.
»Es gibt eine Sicherheitszentrale mit Kameras im Erdgeschoss, wenn man reinkommt auf der linken Seite. Und dann ist da der Empfangstisch an der unteren Personenschleuse, an dem auch Sicherheitsleute sitzen. Unter der Woche muss man während der Geschäftszeiten normalerweise seinen Pass vorzeigen, ehe man durch die Schleuse geht. Und dann kann man rauf oder runter, aber man braucht den Pass nicht mehr, um die Korridore der verschiedenen Etagen zu betreten.«
»Es kommt mir immer noch vor, als hätte diese Frau sich eine Menge Mühe gemacht«, sagt sie und blickt vom Monitor ihres Laptops auf.
Ich nicke. »Ich weiß. Ich sehe das auch so.«
Forschend sieht sie mir in die Augen. »Fahren Sie fort. Sie haben es geschafft, sie von dem Dach herunterzuquasseln. Was ist als Nächstes passiert?«
»Ich habe ein Taxi gerufen, und wir sind die Treppe runtergegangen – alle fünfundzwanzig Stockwerke, weil sie gesagt hat, sie hätte eine Phobie und könnte den Fahrstuhl nicht benutzen. Und dann sind wir nach Hause gefahren. Sie ist zuerst ausgestiegen – ihre Wohnung lag auf meinem Weg. Hat sie jedenfalls gesagt.«
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Sie hat mir erzählt, sie würde in der Kenrick Place wohnen, ganz in der Nähe der Baker Street. Ich wohne in Paddington, also war es nur zweckmäßig, dass wir uns zusammen ein Taxi nehmen und die Kosten teilen. Jedenfalls hat der Wagen in der Kenrick Place gehalten. Sie ist ausgestiegen, wir haben uns verabschiedet. Sie hat gesagt, sie wäre okay. Sie wirkte, als wäre sie okay. Ich habe ihr noch einmal gesagt, sie soll mich anrufen, falls sie jemanden zum Reden braucht.«
»Und? Hat sie?«
»Ja, sie hat. Gleich am nächsten Tag.«
Am folgenden Morgen – dem Morgen nach der Party – erwachte ich früh, döste aber noch ein bisschen und blieb bis zum Mittag im Bett. Ich machte mir Tee und Toast und brachte den Nachmittag damit zu, mich auf das Sofa zu fläzen, ein paar Chips zu essen und mir einen alten Hitchcock-Thriller anzusehen. Ich tauschte einige Nachrichten mit Dan aus. Seine Botschaften lösten bei mir wechselweise Begeisterung und Niedergeschlagenheit aus. Er war auf dem Weg zu mir. Wir würden den Abend zusammen verbringen. Ich würde Lebensmittel kaufen. Ich würde kochen. Mach dir bloß nicht zu viel Mühe, hatte er gesagt. Im Moment lief es nicht so gut mit Emily, seiner Tochter. Wahrscheinlich würde er nicht lange bleiben können. Also was zum Mitnehmen und eine nette Flasche Wein.
Damit war es abgemacht. Ich würde ein Bad nehmen und Geschirr spülen, die Wohnung saugen und die Mülleimer leeren. Dann noch eine Mitteilung. Etwas war dazwischengekommen. Er würde es doch nicht schaffen. Ich schickte ihm eine besorgte Antwort. Was war passiert? Nichts, hatte er entgegnet. Nichts, worüber ich mir den Kopf zerbrechen müsste. Aber Maddy, seine Frau, müsse in die Stadt, um jemanden zu treffen. Es sei wichtig. Nun würde er zu Hause bleiben müssen. Er würde sich um Emily kümmern müssen.
Ich wusste alles über Emily. Sie war fünfzehn, alt genug, um ein paar Stunden allein zu Hause zu bleiben. Aber sie machte eine rebellische Phase durch, trieb sich mit den falschen Leuten rum, rauchte, trank und Gott weiß was noch. Diese Kids, mit denen sie abhing, hatten einen schlechten Einfluss auf sie. Eines Abends hatte sie es geschafft, sich heimlich rauszuschleichen, und war erst in der Morgendämmerung zurückgekommen. Dan und Maddy waren außer sich gewesen vor Sorge. Dan musste sie im Auge behalten. Wenn er abends ausging, würde sie das auch tun, und sie hatte Stubenarrest. Wenn sie nur die kleinste Chance bekäme, wäre sie auf und davon.
Wir beendeten das Gespräch. Ich schluckte ein paar Kopfschmerztabletten, legte mich wieder aufs Sofa und schlummerte eine Weile. Als ich wieder wach wurde, fühlte ich mich mies und schlapp. Ich sollte etwas tun am Wochenende, mich verabreden, etwas unternehmen. Aber ich war zu spät dran. Inzwischen waren meine Freunde sicher alle verplant. Sie wussten nichts von Dan – ich schämte mich zu sehr, um es ihnen zu erzählen; sie würden das nicht gutheißen –, aber ich wollte auch nicht, dass einer von ihnen auf die Idee kam, sie wären mein letzter Ausweg. Als dann das Telefon klingelte und ich sah, dass es Helen war, war ich folglich ziemlich froh über die Ablenkung.
»Hallo, Tate«, sagte sie. Sie sprach schnell und mit zittriger Stimme. »Tut mir wirklich leid, aber ich muss gleich zur Sache kommen. Ich habe einen Ohrring verloren. Ich habe überall gesucht, aber ich kann ihn nicht finden. Er muss mir letzte Nacht rausgefallen sein.«
»O nein«, sagte ich. »Waren die Ohrringe teuer?«
»Diamanten!«, rief sie beinahe anklagend. »Sie sind kostbar. Einmalig. Und unersetzbar. Sie waren das Letzte, was meine Gran mir vor ihrem Tod geschenkt hat. Sie sind …« Kurz trat Stille ein, dann hörte ich ein Schluchzen. »Sie sind alles, was ich noch von ihr habe. Ich muss sie finden. Ich muss sie wiederhaben!«
»Soll ich bei dem Taxiunternehmen anrufen?«, fragte ich. »Darum bitten, dass der Fahrer von gestern Abend im Fond seines Taxis nachs…«
»Nein«, fiel sie mir abrupt ins Wort. »Das habe ich schon gemacht, aber es hat nichts gebracht. Sie sagen, er ist nicht da.«
»Okay. Na ja … Gott, es tut mir so leid«, sagte ich zu ihr. »Sonst fällt mir auch nichts mehr ein.«
»Das Büro. Eastcheap. Wir müssen noch mal in das Gebäude und nachsehen. Jetzt. Kommst du mit?«
Ich dachte einen Moment darüber nach. Es war Samstagabend. Das war eine ziemlich große Bitte. Am liebsten hätte ich gesagt »Kann das nicht bis Montag warten?«, aber ich nahm an, das konnte es nicht, sonst hätte sie mich gar nicht erst darum gebeten. Ich vermutete, je schneller Helen ihre Schritte zurückverfolgen konnte, desto größer die Chance, dass sie den Ohrring fand. Aber wozu brauchte sie mich?
»Äh. Na ja, ich schätze, ich könnte«, fing ich an. »Aber …«
»Kommst du mit?«, unterbrach sie mich voller Dankbarkeit. »Und kannst du deinen Sicherheitsausweis mitbringen? Ich kann meinen nicht finden. Ich schätze, den habe ich auch verloren. Ich komme sonst gar nicht erst rein.«
Ich zögerte. Die Regeln bei CPF waren streng. Zwar war es eine Bank, doch gab es in den Räumlichkeiten kein Bargeld, trotzdem war es mir nicht erlaubt, irgendjemanden mit hineinzunehmen. Und Helen hatte ich gerade erst getroffen. Ich kannte sie im Grunde gar nicht. Mir war wirklich nicht wohl dabei.
Andererseits klang sie so verzweifelt, und dabei war mir auch nicht wohl. Ich hatte ihr gesagt, sie könne mich anrufen, oder etwa nicht? Und außerdem würde ja jemand vom Sicherheitsdienst am Empfang sein. Wenn die ihren Ausweis nicht gefunden hatten und sie nicht ins Gebäude lassen wollten, dann könnte sie einfach in der Lobby warten, während ich raufgehen und allein nach dem Ohrring suchen könnte.
»Okay«, stimmte ich schließlich zu. Immerhin war es ja nicht so, als hätte ich irgendwas Besseres zu tun. »Mein Wagen ist draußen. Ich kann dich unterwegs aufsammeln, wenn du willst.«
»Mach dir darüber keine Gedanken. Ich sitze schon in einem Taxi und bin gleich um die Ecke von dir. Ich werde in … ungefähr fünf Minuten bei dir sein.«
»Du bist … unterwegs zu mir?«
»Ja. Ist das in Ordnung?«
»Woher … woher weißt du, wo ich wohne?«
Kurzes Schweigen. Dann: »Park East. Sussex Gardens. Richtig?«
»Ja, das ist richtig.«
»Du hast es mir gestern Abend gesagt – weißt du nicht mehr?«
»Nein«, gestand ich. »Aber … okay. Dann bis gleich.«
Hastig schlüpfte ich in eine Jeans und einen dicken Pullover, öffnete eine Dose Sheba für George und schnappte mir meinen Sicherheitsausweis. Als ich unten an der Haustür war, stand dort ein Taxi, dessen Motor im Leerlauf lief, und Helen streckte den Kopf aus dem hinteren Fenster und winkte mir lächelnd zu. Sie wirkte viel ruhiger. »Vergiss den Wagen, wir fahren mit dem Taxi hin.« Wieder lächelte sie. »Wenn wir diesen Ohrring finden, dann werde ich dir einen sehr großen Drink spendieren.«
Ich stieg in den Fond des Taxis und setzte mich neben sie. Sie nannte dem Fahrer die Büroadresse.
»Hast du beim Sicherheitsdienst angerufen?«, fragte ich sie, als wir auf dem Weg in die Stadt durch Mayfair fuhren.
Besorgt sah sie mich an. »Nein. Warum?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Du hättest sie vorwarnen sollen, damit sie wissen, dass jemand ins Gebäude will. Du weißt schon, damit sie die Hauptbeleuchtung einschalten können und so. Um sechs Uhr abends an einem Samstag weiß ich nicht, wer vom Sicherheitsdienst dort sein wird.«
»Ach, das macht nichts. Du hast doch deinen Ausweis, oder? Wir werden schon reinkommen. Lange wird es ja auch nicht dauern. Und die Leuchten haben bestimmt Bewegungsmelder, richtig? Wir werden genug sehen können.«
»Schon, aber … ich denke trotzdem, wir sollten den Sicherheitsdienst anrufen.« Ich griff nach meinem Telefon.
Sie stutzte kurz, dann sagte sie: »Bitte, ruf sie nicht an.«
»Warum nicht?«, fragte ich stirnrunzelnd.
»Na ja, es wäre einfacher, oder? Würde mir eine Standpauke ersparen.«
»Sie könnten aber deinen Ausweis haben. Jemand könnte ihn gefunden und abgegeben haben«, wandte ich ein. »Und vielleicht hat sogar jemand deinen Ohrring abgegeben. Willst du nicht wenigstens fragen?«
Helen wandte sich ab und starrte für einen Moment schweigend aus dem Fenster, ehe sie sich wieder zu mir umdrehte. »Schau, Tate, ich … ich möchte nicht, dass du den Sicherheitsdienst rufst. Ich habe keinen Ausweis. Das Ding ist … eigentlich arbeite ich gar nicht mehr dort.«
»Was? Was soll das heißen?«
Sie seufzte und blickte in ihren Schoß. »Okay, also, du weißt doch noch, dass ich dir erzählt habe, ich hätte alles vermasselt? Das war eines der Dinge, die ich vermasselt habe. Ich habe meinen Job verloren.«
»Also arbeitest du gar nicht dort.«
»Nein, das war einmal. Früher habe ich bei Cowan McCauley im zehnten Stock gearbeitet, wie ich gesagt habe. Aber dann wurde ich gefeuert.«
»Wann?«
»Vor ein paar Monaten.«
»O Gott. Ja. Ich verstehe.« Ich starrte sie an. Sie drehte sich weg und schaute wieder zum Fenster hinaus. Ich folgte ihrer Blickrichtung. Wir hatten das Victoria Embankment erreicht, und ich konnte vor uns die Waterloo Bridge ausmachen. Vermutlich waren wir nur noch fünfzehn Minuten vom Bürogebäude entfernt. Ich wollte wissen, warum sie gefeuert worden war, aber zugleich wollte ich die Vergangenheit nicht hervorzerren und sie traurig machen.
»Also … was hast du dann da zu suchen gehabt? Gestern Abend?«
Helen senkte den Kopf und zog ein »Fragst du mich das wirklich?«-Gesicht.
»Du bist nur dort hingegangen, um … nur um …«, fing ich an.
»Mich umzubringen. Ja.«
»Aber das ist …«
»Wahnsinn? Ich weiß.«
Ich zögerte, verdaute ihre Worte. »Aber wie bist du dann an den Sicherheitsleuten vorbeigekommen?«
»Ich kannte den Typen an der Tür. Er hat immer … na ja, er mochte mich«, gestand sie. »Wir haben immer ein bisschen geflirtet, weißt du? Ich habe ihm gesagt, ich wollte zu der CPF-Party. Hab ihm den Namen einer der Sekretärinnen genannt und gesagt, ich würde mich mit ihr in der Bar treffen. Er hat sich per Funk mit einem der Jungs oben an der Tür unterhalten, und …«
Abrupt blickte ich auf. »Moment mal. Welche Sekretärin?«
»Hayley Allbright. Kennst du sie?«
Mein Herz tat einen Satz. »Sie … sie ist die persönliche Assistentin meines Chefs.«
»Ach, ja. Dan … der Mann.« Sie lächelte und zog vielsagend die Brauen hoch.
Bestürzt musterte ich sie. O mein Gott. Was zum Teufel habe ich mir dabei gedacht, mit einer total Fremden über mich und Dan zu reden?
»Ich dachte, du kennst niemanden von CPF.« Ich räusperte mich. »Ich habe dich gefragt, und du hast gesagt … na ja, du schienst nicht zu wissen, wer … Vergiss es. Also, sie ist eine Freundin von dir?«
»Wer?«
»Hayley.«
»Oh. Nein.« Verlegen blickte sie mich an. »Ich habe das nur gesagt, um reinzukommen.«
»Aber du kennst sie«, hakte ich nach.
»Na ja, schon.«
»Woher? Woher kennst du sie?«
Helen drehte sich ganz zu mir um, und plötzlich weiteten sich ihre Augen. »O Gott. Du machst dir Sorgen. Du denkst, ich werde …« Ich spürte ihre Hand auf meinem Arm. »Tate, ich habe sie vor ein paar Monaten in der Bar getroffen, das ist alles. Das war kurz bevor ich rausgeschmissen wurde. Wir haben uns lediglich ein bisschen unterhalten, und ich habe ihr erzählt, dass es bei Cowan McCauley nicht allzu gut lief. Sie sagte, es gäbe offene Stellen bei CPF und ich solle sie anrufen, falls sie ein gutes Wort für mich einlegen soll. Sie hat mir ihre Nummer gegeben. Und das war’s schon.«
»Und hast du?«, wollte ich wissen.
»Habe ich was?«
»Sie angerufen.«
»Nein, ich habe sie nicht angerufen.«
»Warum nicht?«
Stirnrunzelnd zog sie die Hand von meinem Arm. »Weil ich es eben nicht getan habe. Ich wollte keinen anderen Job. Jedenfalls nicht zu dem Zeitpunkt. Für mich ist es da richtig mies gelaufen.« Ihr Blick verschleierte sich.
»Richtig. Es ist schon gut«, sagte ich hastig. »Du musst es mir nicht erzählen.«
»Und du musst dir keine Sorgen machen«, sagte sie mit feuchten, aber leuchtenden Augen. »Ich werde niemandem sagen, was du mir gestern Abend erzählt hast.«
Mein Magen krampfte sich ein wenig zusammen. Was hatte ich ihr erzählt? Ich schickte meinen Geist zurück zum Vorabend. O Jesus! Plötzlich kehrte alles zurück. Da hatte es noch ein zweites Gespräch über Dan gegeben. Nun erinnerte ich mich. Ich hatte über ihn gesprochen. Viel.
Sie streckte erneut den Arm aus, ergriff dieses Mal meine Hand und hielt sie fest umfasst. »Ich habe gemeint, was ich gesagt habe, Tate. Ehrlich.«
Besorgt sah ich sie an. »Was hast du genau gesagt?«
»Dass dein Geheimnis bei mir sicher ist. Hundertprozentig.«
Ich rutschte auf meinem Platz herum. Wir waren auf der Heimfahrt gestern Abend beide ziemlich mitgenommen, das war mir klar, aber ich hatte – bis jetzt – angenommen, sie wäre in einem weitaus schlimmeren Zustand gewesen als ich. Und doch schien sie sich besser an unsere Unterhaltung zu erinnern, als ich es tat. Und jetzt, da sie es zur Sprache gebracht hatte, löste das, was sie sagte, ein unbehagliches Gefühl in mir aus.
»Also, wen kennst du sonst noch bei CPF?«, fragte ich. Mein Herz schlug ein bisschen zu schnell.
»Niemanden«, versicherte sie mir. »Das habe ich dir doch gesagt. Ich bin nicht wegen der Party dort gewesen. Das war nur eine Ausrede, um ins Gebäude zu gelangen.«
»Aber … was, wenn dich jemand erkannt hätte?«
»Wer denn? Es war eine CPF-Party.«
»Was ist mit Hayley?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Wie ich schon sagte, ich kannte sie kaum. Ich hätte mir einfach etwas einfallen lassen.«
Einen Moment lang starrte ich sie schweigend an.
»Ich bin auf deiner Seite, Tate«, beharrte sie. »Ich werde es niemandem verraten. Wirklich nicht. Und ich werde auch nicht wieder versuchen, vom Dach zu springen, falls du dir darüber Gedanken machst.«
Ich holte tief Luft. »Ehrlich?«
»Ehrlich. Ich will nur meinen Ohrring finden. Gestern Abend war … gestern. Und jetzt ist jetzt.« Sie blickte mich ernst an. »Ich wollte bei meiner Gran sein«, erklärte sie mir leise. »Sie war mein Fels in der Brandung. Ich hab sie so vermisst. Ich wollte einfach … Ich dachte, das wäre es, was ich wollte. Aber du hast mir wirklich geholfen, Tate. Nachdem ich mit dir gesprochen habe, ist mir klar geworden, dass …«
»Dass es immer jemanden gibt, dessen Leben noch beschissener ist als deines?«
Ihre Mundwinkel wanderten aufwärts. »So was in der Art«, sagte sie.
Als wir vor 225 Eastcheap angehalten hatten, stieg Helen nach mir aus dem Taxi und folgte mir durch die Glasdrehtür in die Lobby. Tatsächlich war am Empfang kein Sicherheitsbediensteter zu sehen, und ich stutzte für einen kurzen Moment, während Helen mich erwartungsvoll anstarrte, den Blick auf meine Augen gerichtet. Schließlich schob ich meine Bedenken zur Seite und öffnete die Personenschleuse für uns beide mit meinem Ausweis, sodass wir in den Innenbereich gelangten.
Vor dem Lift blieb ich stehen, aber Helen schüttelte den Kopf und sagte: »Wir sind die Treppe hinuntergegangen, weißt du noch?«
Also gingen wir weiter, einen langen Korridor hinunter, vorbei an einer Glaswand, hinter der ein Innenhof zu sehen war, und durch die Doppeltür am Fuß der Treppe. Helen hielt inne, als die Lichter aufflammten, und blickte zu der Decke weit über uns hinauf. »Ich fühle mich mies dabei, dich dazu zu drängen, all diese Stufen hinaufzugehen«, sagte sie. »Warum gehst du nicht zurück und nimmst den Aufzug zum fünfundzwanzigsten Stockwerk? Du kannst die Dachterrasse für mich kontrollieren und dann die Treppe hinuntergehen, während ich hier anfange und mich nach oben vorarbeite. Wir können uns auf halbem Wege oder so treffen. Das würde uns Zeit ersparen, meinst du nicht? Und es wird meine Beine schonen – und deine.«
Wieder war mir nicht wohl bei der Sache, und ich zögerte. Ich war dafür verantwortlich, dass sie in diesem Gebäude war, also sollte ich bei ihr bleiben. Andererseits klang das, was sie sagte, äußerst sinnvoll. Sie wollte nur ihren Ohrring finden, und wir wären schneller, wenn wir die Suche aufteilten. Außerdem konnte sie ohne Ausweis so oder so nirgends hin. Und – dieser Gedanke lauerte in meinem Hinterkopf – sie konnte auf keinen Fall vor mir aufs Dach, nicht wenn ich den Aufzug nahm und sie die ganzen fünfundzwanzig Treppenfluchten bewältigen musste.
»Okay«, stimmte ich zu. »Wie wäre es, wenn wir vereinbaren, uns im Treppenhaus in der Fünfzehnten zu treffen … oder irgendwo in der Nähe? Oder du gehst einfach nicht mehr weiter, wenn es dir zu anstrengend wird, und wartest darauf, dass ich zu dir runterkomme.«
»Klingt nach einem Plan«, sagte sie.
»Aber geh nicht in die Korridore, ja?«, bat ich sie. »Ich bin sicher, ich muss das gar nicht sagen, aber sollten Reinigungskräfte oder sonst wer auftauchen und dir eine Tür öffnen, dann geh nicht rein.«
»Natürlich nicht«, versicherte Helen. »Warum sollte ich? Ich war auch gestern in keiner der Etagen. Wenn ich Reinigungskräfte sehe, werde ich sie fragen, ob sie irgendwas gefunden haben. Andernfalls überlasse ich es dir, Montag mit ihnen zu reden. Ist das okay für dich?«
»Klar. Ich werde mich am Montag definitiv umhören. Wenn du nur nirgends hingehst und nichts tust, was mich in Schwierigkeiten bringen würde, einverstanden?«, fragte ich beinahe flehentlich.
»Ich verspreche es.« Sie lächelte und nickte energisch dazu. »Ich werde im Treppenhaus bleiben.«
Sie beschrieb mir den verschwundenen Ohrring, musterte eingehend den Boden, machte sich dann auf den Weg die Treppe hinauf und betrachtete dabei aufmerksam jede einzelne Stufe. Ich ging durch die Tür zurück in den Innenbereich und zum Fahrstuhl und drückte auf den Knopf. Der Aufzug war innerhalb einer Minute da und brachte mich direkt in den fünfundzwanzigsten Stock. Ich passierte den Eingang zur Bar und lugte im Vorbeigehen durch das Glas. Der Laden war verschlossen und leer. Dann fiel mir ein, dass Helen sagte, sie wäre auf der anderen Seite um den Innenbereich herumgegangen, um den Türstehern der Bar auszuweichen, also machte ich kehrt und ging auf dem Weg, den ich vom Fahrstuhl aus gekommen war, zurück und weiter zum Notausgang und zur inneren Feuertreppe, von der aus ich aufs Dach gelangte. Unterwegs suchte ich beständig den Boden ab.
Auf dem Dach war es kalt und dunkel. Nur ein einzelnes, bewegungsgesteuertes Notlicht verbreitete einen schwachen Lichtschein in seiner unmittelbaren Umgebung, als ich vorüberging. Zu meiner Rechten konnte ich die hell erleuchtete Spitze des Shard sehen, ein Fanal vor dem nächtlichen Himmel, aber der größte Teil des Daches lag in tiefer Dunkelheit. Ich holte mein Telefon aus der Tasche, schaltete die Taschenlampe ein und folgte dem Weg, den Helen und ich in der Nacht zuvor genommen hatten. Ich richtete den Lichtkegel auf das Oberlicht und die Wand, dann nach unten, dorthin, wo unsere Füße gewesen waren. Ich entdeckte die leeren Weinflaschen und unsere Zigarettenstummel, also war offenbar noch niemand zum Saubermachen hier oben gewesen. Aber ich konnte nicht viel erkennen, und das war auch ein wenig beängstigend. Ich konnte den Rand des Gebäudes sehen. Im Zwielicht der Handy-Taschenlampe war er beunruhigend nah. Ich beschloss, Helen zu sagen, dass ich Montag noch einmal genauer nachsehen und vielleicht die Sicherheitsleute hier raufschicken würde, damit die sich gründlich umschauten.
Dann ging ich zurück ins Gebäude und richtete den Lichtkegel meiner Lampe auf jede Ecke in dem Treppenhaus, das als wichtigste Fluchtroute im Fall eines Feuers diente, ehe ich wieder den Korridor hinaufging, vorbei an der Bar und am Aufzug. Ich bog um eine Ecke und trat durch die Tür ins Haupttreppenhaus. Dort lauschte ich auf Helen, konnte aber keinen Laut hören. Wahrscheinlich war sie immer noch zu weit unten.
Die Notbeleuchtung der Treppe war besser als die auf der Dachterrasse, aber ich benutzte trotzdem meine Lampe, um die Betonstufen abzusuchen, ließ den Lichtkegel bei jedem Schritt hin und her gleiten. Als ich den fünfzehnten Stock erreichte, sah ich erneut in die Tiefe und rief Helens Namen. Meine Stimme hallte durch das Treppenhaus, aber ich erhielt keine Antwort. Ich stützte mich aufs Geländer und wartete einen Moment schweigend, ehe ich weiter hinabstieg – zum vierzehnten, dreizehnten und zwölften Stock, wo ich mich das nächste Mal über das Geländer beugte.
»Helen!«, rief ich. »Bist du da?«
Keine Antwort. Ich ging zur Tür zum Korridor und blickte hindurch, fragte mich, ob die Reinigungskräfte auf einer dieser Etagen waren und ob Helen sie durch das Fenster gesehen hatte und – aus welchem Grund auch immer – woanders hingegangen war, um nach dem Ohrring zu suchen. Ich suchte ihre Nummer auf meinem Telefon heraus und drückte auf die Anruftaste, erreichte aber nur die Mailbox. Allmählich kehrte das Unbehagen wieder zurück. Wo war sie?
Sie musste die Treppe wieder hinuntergegangen sein, schloss ich. Eine andere Möglichkeit gab es nicht. Mir wurde flau im Magen, als mir in den Sinn kam, dass die Sicherheitsleute ihr gefolgt sein und sie nun befragen könnten. Oder … vielleicht hatte sie den Ohrring gefunden. Ja! Vielleicht hatte sie ihn gleich entdeckt und wartete im Erdgeschoss auf mich.
Meine Stimmung besserte sich ein wenig. Ich hastete hinab, ohne noch weiter nach dem Ohrring Ausschau zu halten. Als ich im Erdgeschoss anlangte, rief ich Helens Namen ein letztes Mal, ehe ich die Tür zum Innenbereich öffnete. Ich ging zur Schleuse und lugte hinaus zu dem Sitzbereich in der Lobby. Es war niemand da, und es saß auch niemand am Empfang. Ich sah mich zum Sicherheitsbüro um, versuchte, eine Bewegung zu erhaschen, aber die Tür war geschlossen. Vielleicht war sie dadrin und wurde von den Sicherheitsleuten ausgequetscht. Vielleicht hatte man sie im Polizeigriff aus dem Gebäude eskortiert. O Gott. Ich konnte mir Dans ernstes Gesicht nur zu gut vorstellen, wenn er mir mit vor Enttäuschung gerunzelter Stirn erklärte, dass ich es mir mit ihm wirklich verdorben hätte. Mir vielleicht sogar erklärte, ihm bliebe keine andere Wahl, als mich gehen zu lassen.
Ich sah mich zu der hohen Glasfläche vor dem kleinen, tadellos gepflegten Innenhof zu meiner Linken um, ging zu der Tür und griff nach dem Sicherheitsriegel, als mein Blick zum Aufzug wanderte. Plötzlich traf es mich wie der Blitz: Was, wenn die Sache mit der Phobie nur Schwachsinn war? Was, wenn der verlorene Ohrring nur eine List war? Was, wenn sie einfach darauf gewartet hatte, dass ich die Dachterrasse kontrolliere und danach oben an der Treppe auftauche – um dann, sobald sie mich rufen hörte, wieder hier rauszukommen und mit dem Lift zum Dach zu fahren?
Beklemmung schlug ihre Krallen in meine Eingeweide. Ich rannte zum Aufzug und warf einen Blick auf die Stockwerksanzeige. Er war im Fünfundzwanzigsten, aber dort hatte ich ihn zurückgelassen, also hatte das nichts zu bedeuten, oder etwa doch? Ich schlug auf den Knopf, und dann schlug ich noch einmal darauf und wartete einen Moment. Schließlich legte ich das Ohr an die Tür zum Fahrstuhlschacht und lauschte. Ich hämmerte und hämmerte immer wieder auf den Rufknopf ein, während ich die Stockwerksanzeige anstarrte, doch sie leuchtete unverändert in der 25. Etage. Ich erstarrte förmlich. Was sollte ich tun? Sollte ich den Sicherheitsdienst alarmieren? Aber was, wenn Helen nur zur Toilette gegangen war oder außerhalb des Gebäudes auf mich wartete? Und falls der Fahrstuhl feststeckte oder – schlimmer – abgeschaltet worden war, was konnte der Sicherheitsdienst dann schon tun, außer mit mir fünfundzwanzig Treppenfluchten hinaufzulaufen?
Ich drehte mich wieder zu der Schleuse um und blickte zum Eingang und durch die Glasfront des Gebäudes, stellte mir vor, ich könnte im Licht der Straßenbeleuchtung einen Blick auf Helen erhaschen. Dann rannte ich durch die Tür zur Treppe zurück und stürzte hinauf, eine Hand am Geländer, während meine Handtasche von meiner Schulter und meinem Arm hinabglitt und mir gegen das Bein schlug. Rauf, rauf, rauf rannte ich. Ich zählte die Etagen. Vierte, fünfte, sechste. Ich starrte nach oben. Siebte, achte, neunte. Auf der Zwölften war ich komplett außer Atem. Ich hielt einen Moment inne und wischte mir mit dem Ärmel die feuchte Stirn ab, zog den dicken Pullover aus und schleppte mich weiter hinauf. Schließlich kam ich oben an und stürmte keuchend durch die Doppeltür. Ich rannte an der Bar vorbei. Die Fahrstuhltüren waren offen, aber ich nahm mir nicht die Zeit herauszufinden, warum. Ich rauschte zum Notausgang hinaus und rasselte die Feuerleiter hinauf aufs Dach. »Helen!«, rief ich. Meine Stimme hallte laut durch die kalte, stille Luft. »Ich bin’s, Tate. Bist du hier?«
Keine Antwort.
Die Sicherheitsbeleuchtung flammte auf, als ich weiterrannte, und ihr Licht fing sich in etwas Glänzendem auf dem Betonboden vor mir. Ich zog das Telefon aus der Tasche und aktivierte die Lampe, ging näher heran und richtete den Lichtkegel darauf. Es war Glas. Zerbrochenes Glas, überall auf dem Boden. Ich stutzte verwirrt. War das vorhin schon da gewesen? Ich konnte mich nicht erinnern. Ich schwenkte den Lichtkegel in die Richtung der Mauer und der Stelle, an der ich die Weinflasche das letzte Mal gesehen hatte. Sie war weg. Mein Herz hämmerte. Verzweifelt führte ich die Lampe in einem Bogen durch die Luft und fand etwas, das aussah wie der Hals der Weinflasche. Er lag auf dem Boden ganz in der Nähe des Oberlichts. Mit wackeligen Schritten näherte ich mich dem Rand des Gebäudes, packte das Geländer mit festem Griff und blickte hinunter. Ein eiskalter Schauder rann durch meinen Körper und klammerte sich an mein Herz.
Da war etwas. Es war dunkel, aber da unten auf dem Pflaster, angeleuchtet von einer nahen Straßenlaterne, da war ein Haufen von … etwas. Eine kleine Menschenschar hatte sich eingefunden, und der Verkehr auf der Straße war zum Stillstand gekommen. Leute riefen etwas, und jemand ging auf und ab. Autofahrer stiegen aus. Ich spürte, wie meine Finger abrutschten, als sich mein Griff am Geländer löste. Es war offensichtlich. Und sosehr ich mit jeder Faser meines Seins wünschte, es wäre nicht wahr, es wäre nur Einbildung, hatte ich doch nicht den kleinsten Zweifel. Jemand lag zerschmettert da unten auf dem Asphalt.
Sarah greift in ihre Tasche und holt eine Packung Taschentücher heraus. Sie schiebt sie über den Tisch zu mir und wartet, während ich den Kopf senke und in meine Arme schluchze.
Als ich aufhöre zu weinen und wieder aufblicke, fragt sie: »Wussten Sie es da schon? Dass sie es war?«