Im Dunkeln der Tod - Ein Schweden-Krimi - Mari Jungstedt - E-Book

Im Dunkeln der Tod - Ein Schweden-Krimi E-Book

Mari Jungstedt

5,0

  • Herausgeber: SAGA Egmont
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2019
Beschreibung

Mörderische Spannung auf Gotland: Kommissar Knutas ermittelt wieder! Kurz vor seiner letzten Vernissage wird der Kunsthändler Egon Wallin ermordet. Man findet seine Leiche aufgeknüpft an einem Torbogen, der von den Einwohnern Visbys "Liebespforte" genannt wird. Kommissar Knutas nimmt die Ermittlungen auf und findet schon bald heraus, dass die Ehe des Kunsthändlers nur noch auf dem Papier bestand. Er vermutet einen Mord aus Eifersucht. Als kurze Zeit später in Stockholm ein Museum von Kunsträubern überfallen wird, sieht Knutas einen Zusammenhang zwischen den Fällen. Doch dann taucht eine neue Leiche auf. Und zwar genau auf Egon Wallins Grab...

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Mari Jungstedt

Im Dunkeln der Tod - Ein Schweden-Krimi

Aus dem Schwedischen von Gabriele Haefs

Saga

Im Dunkeln der Tod - Ein Schweden-Krimi ÜbersetztGabriele Haefs Copyright © , 2019 Mari Jungstedt und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726350951

1. Ebook-Auflage, 2019

Format: EPUB 2.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk – a part of Egmont www.egmont.com

Für meine Alltagshelden, Cenneth, Bella und Basse

PROLOG

Zwei Sekunden. Mehr war nicht nötig, um ihn zu zerstören. Um sein Leben in Fetzen zu reißen. Zwei jämmerliche Sekunden.

Die Gedanken, die nachts kreuz und quer durch seinen Kopf jagten, wollten ihn nicht loslassen. Seit Wochen schon hielten sie ihn wach. Erst im Grenzland zwischen Nacht und Morgengrauen glitt er endlich in einen befreienden Schlaf und wurde für einige Stunden verschont. Um erneut in dieser Hölle aufzuwachen. Dem einsamen, verborgenen Inferno, das hinter seiner beherrschten Fassade tobte. Es mit jemandem zu teilen war unmöglich.

Während dieser zwei Sekunden war er kopfüber in den schwärzesten Abgrund gestürzt. Er hatte nicht geahnt, dass die Wahrheit so unbarmherzig sein konnte.

Erst nach einiger Zeit begriff er, was er zu tun hatte. Er würde dazu gezwungen sein, die Sache allein anzugehen. Es gab keinen Weg zurück, keine Hintertür, aus der er herausschlüpfen konnte, um vor der Welt und sich selbst so zu tun, als sei nichts passiert.

Alles hatte damit begonnen, dass er etwas erfahren hatte und nicht wusste, was er damit anfangen sollte. Er trug sein Wissen eine Zeit lang mit sich herum. Es juckte, kratzte und störte ihn wie eine Wunde, die immer wieder aufbricht und nicht heilen will.

Vielleicht hätte er es nach und nach vergessen. Sich selbst eingeredet, es sei das Beste, die Sache ruhen zu lassen.

Aber die Neugier hatte ihn dazu getrieben, weiterzuforschen, mehr in Erfahrung zu bringen. Auch wenn das wehtat.

Der schicksalhafte Tag begann, auch wenn er das nicht von Anfang an begriff. Vielleicht hatte sein Körper die Gefahr instinktiv gespürt. Vielleicht auch nicht.

Er war allein zu Hause. Große Teile der Nacht hatte er schlaflos verbracht, mit denselben Gedanken beschäftigt wie während der letzten Wochen. Es bedurfte einer Kraftanstrengung, aus dem Bett aufzustehen, als er hörte, wie draußen vor dem Fenster der Tag erwachte.

Appetit konnte er nicht aufbringen, er konnte sich gerade zu einer Tasse Tee zwingen. Er saß nur am Küchentisch und starrte auf das graue Wetter und die Hochhäuser gegenüber. Die Frustration trieb ihn dann schließlich aus der Wohnung.

Inzwischen war es schon später Vormittag, aber im November wurde es nie richtig hell. Der Schnee lag schmutzig braun auf dem Bürgersteig, und die Menschen eilten durch den Matsch, ohne einander in die Augen zu blicken. Die Kälte war scharf und feucht und erlaubte kein lässiges Flanieren.

Er beschloss, wieder zu dieser Stelle zu fahren, ohne dass er einen wirklichen Grund hatte. Er folgte einfach einer Eingebung. Wenn er gewusst hätte, was passieren würde, hätte er es nicht getan. Aber es war wie vorausbestimmt.

Als er die Straße erreichte, schloss der Mann gerade die Tür ab. Ungesehen folgte er ihm zur Bushaltestelle. Der Bus kam gleich darauf. Er war voll besetzt, und ihre Schultern streiften einander fast, als sie sich in den Mittelgang drängten.

Vor dem Warenhaus NK stieg der Mann aus und bahnte sich zielstrebig einen Weg durch die Horden aus Samstagsflaneuren. Mit schnellen Schritten lief er in Richtung Innenstadt weiter. Er trug einen eleganten Wollmantel, den Schal lässig über die Schultern geworfen, und rauchte dabei eine Zigarette. Plötzlich verschwand er in einer Querstraße.

Diesen Weg hatte der Mann noch nie genommen. Sein Puls wurde schneller. Er hielt sich zurück, blieb in gebührender Entfernung, wechselte sicherheitshalber die Straßenseite. Aber trotzdem hatte er alles im Blick.

Plötzlich verlor er den anderen aus den Augen. Rasch überquerte er die Straße. Dort gab es eine Metalltür, die so unansehnlich war, dass sie mit der heruntergekommenen Fassade verschmolz. Verstohlen sah er sich in beiden Richtungen um. Hier musste der Mann verschwunden sein. Er beschloss, ihm zu folgen. Dass die Konsequenzen tödlich sein würden, wusste er nicht, als er auf die Klinke drückte.

Drinnen war es fast ganz dunkel, eine trübe rötliche Neonröhre an der Decke gab notdürftiges Licht. Die Wände waren schwarz gestrichen. Eine steile Treppe, deren Stufen mit winzigen Glühbirnen besetzt waren, führte ins Kellergeschoss. Kein Laut war zu hören. Zögernd ging er nach unten und landete in einem langen, öden Gang. Der Gang war schwach beleuchtet, und er konnte im Dunkeln weiter vorn Menschen ahnen, die sich bewegten.

Es war helllichter Tag, aber hier war davon nichts zu bemerken. Die Welt draußen existierte nicht. An diesem Ort galten andere Gesetze.

Endlose Gänge verschlangen sich zu einem komplizierten Labyrinthsystem. Schattengestalten huschten hin und her, und er konnte das Gesicht des Mannes, den er verfolgte, nicht deutlich sehen. Er gab sich alle Mühe, nicht aufzunehmen, was er hier sah, sich dagegen zu wehren. Alle diese Eindrücke verlangten nach seiner Aufmerksamkeit, wollten unter seine Haut.

Er verlor die Orientierung und landete vor einer Tür. Der verdammten Tür. Wenn er sie nur nicht aufgemacht hätte.

Zwei Sekunden brauchte er, um zu registrieren, was geschah. Um zu verstehen, was er sah.

Dieser Anblick sollte sein Leben zerstören.

Schon im Morgengrauen lag eine gewisse Unruhe in der Luft.

Egon Wallin hatte schlecht geschlafen und sich die Nacht hindurch von einer Seite auf die andere gewälzt. Das Reihenhaus lag am Strand, gleich außerhalb von Visbys Stadtmauer, und er hatte stundenlang wach gelegen, in die Dunkelheit gestarrt und dem aufgewühlten Meer dort draußen zugehört.

Die Schlaflosigkeit rührte nicht von dem Unwetter her. Nach diesem Wochenende würde sein wohlgeordnetes Leben vollkommen auf den Kopf gestellt werden, und er war der Einzige, der wusste, was bevorstand. Der Entschluss war während des vergangenen halben Jahres gereift, und jetzt gab es kein Zurück. Seine zwanzig Ehejahre würden am Montag ein jähes Ende finden.

Kein Wunder, dass er nicht schlafen konnte. Seine Frau Monika kehrte ihm den Rücken und hatte sich in ihre Decke gewickelt. Weder seine Unruhe noch das Unwetter schienen sie im Geringsten zu stören. Sie schlief mit tiefen, regelmäßigen Atemzügen.

Als die digitale Uhr Viertel nach fünf zeigte, gab er auf und verließ das Bett.

Er schlich sich aus dem Schlafzimmer und zog die Tür zu. Das Gesicht das ihm im Badezimmerspiegel entgegenblickte, war übernächtigt, und trotz des weichen Dimmerlichts zeichneten sich unter seinen Augen deutliche Tränensäcke ab. In der Dusche ließ er das Wasser lange laufen.

In der Küche setzte er Kaffee auf, das Heulen des Windes an den Hausecken untermalte das Fauchen der Espressomaschine.

Der Sturm passte gut zu seinem Gemütszustand, der ebenso aufgewühlt war. Nach fünfundzwanzig Jahren als Kunsthändler in Visbys bedeutendster Galerie, mit einer stabilen Ehe, zwei erwachsenen Kindern und einem eingefahrenen Dasein hatte das Leben eine drastische Wende genommen. Er wusste nicht, wie das enden würde.

Die Entscheidung hatte sich schon seit einiger Zeit angekündigt. Die Veränderung, die er im vergangenen Jahr durchgemacht hatte, war wunderbar und gefährlich zugleich. Er kannte sich selbst nicht mehr, war sich aber gleichzeitig nähergekommen denn je zuvor. In seinem Körper tobten die Gefühle wie bei einem Teenager, als sei er aus jahrzehntelangem Dämmerschlaf geweckt worden. Die neuen Seiten, die er an sich entdeckt hatte, waren verlockend und machten ihm gleichzeitig Angst.

Nach außen verhielt er sich wie immer, spielte den Ungerührten. Monika wusste nichts von seinen Plänen, sie würden sicher einen Schock für sie bedeuten. Nicht, dass ihm das etwas ausgemacht hätte. Ihre Ehe war seit Langem tot. Er wusste, was er wollte. Nichts anderes zählte.

Diese Entschlossenheit beruhigte ihn, sodass er sich auf einen der Barhocker an der modernen Kücheninsel setzte und genießerisch seinen doppelten Macchiato schlürfte. Er schlug die Zeitung auf, blätterte zu Seite sieben weiter und betrachtete zufrieden die Anzeige. Sie stand oben rechts und war gut zu sehen. Es würden viele Leute kommen.

Ehe er den Spaziergang in die Stadt begann, ging er zum Ufer hinunter. Jeden Tag wurde es nun wieder früher hell. Schon jetzt, Mitte Februar, spürte man in der Luft, dass der Frühling näherrückte. Das Geröll am Strand war typisch für Gotland, und hier und dort ragten Steinsäulen aus dem Wasser. Seevögel flogen tief über der Wasseroberfläche, rissen die Schnäbel auf und schrien. Die Wellen wogten hin und her, ohne Rhythmus oder Ordnung. Die Luft war kalt und trieb ihm die Tränen in die Augen. Der graue Horizont kam ihm verheißungsvoll vor. Nicht zuletzt, wenn er daran dachte, was er an diesem Abend tun würde.

Der Gedanke belebte ihn, und mit raschen Schritten legte er den knappen Kilometer in die Stadt zurück.

Innerhalb der Stadtmauern war der Wind ein wenig ruhiger. Die Gassen lagen leer und stumm da. So früh am Samstagmorgen war kaum ein Mensch unterwegs. Oben, im Herzen der Stadt, auf dem großen Marktplatz, stieß er auf die ersten Lebenszeichen. Ein Bäckereiwagen stand vor dem Supermarkt. Die Tür des Lieferanteneingangs stand offen, und aus dem Inneren drang Lärm.

Als er sich der Galerie näherte, krampfte sein Magen sich zusammen. Am Montag würde er die Galerie aufgeben, der er sein ganzes Berufsleben gewidmet und die er mit ganzer Seele betrieben hatte.

Er blieb eine Weile auf der Straße stehen und betrachtete die Fassade. Die großen modernen Glasfenster schauten auf den offenen Platz und die Kirchenruine Sankta Karin aus dem 13. Jahrhundert. Das Haus war im Mittelalter errichtet worden und beherbergte Gewölbe und unterirdische Gänge aus jener Zeit. In diesem historischen Rahmen hatte er die Galerie modern und sparsam in hellen, luftigen Farben einrichten lassen, mit einigen wenigen besonderen Details, die ihr eine persönliche Prägung gaben. Die Besucher gratulierten ihm immer wieder zu dieser erlesenen Kombination von Alt und Neu.

Er schloss die Tür zur Galerie auf, ging ins Büro und hängte seinen Mantel auf. Nicht genug damit, dass das hier in privater Hinsicht ein schicksalhaftes Wochenende war, es war auch der Zeitpunkt der ersten Vernissage dieses Jahres, die zugleich seine letzte sein würde. Zumindest hier in Visby. Beim Verkauf der Galerie hatte er alle juristischen Hürden übersprungen, und der neue Besitzer hatte den Vertrag unterschrieben. Alles war bereit. Der Einzige auf Gotland, der etwas von dem Verkauf wusste, war er selbst.

Er sah sich im Ausstellungsraum um. Die Gemälde waren sorgsam gehängt, er schob eins gerade, das ein wenig verrutscht war. Die Einladungen waren schon vor Wochen verschickt worden, und die bisherigen Zusagen ließen annehmen, dass viele Leute kommen würden.

Bald würde auch die Cateringfirma mit den Schnittchen eintreffen. Er führte eine letzte Kontrolle der Bilder und ihrer Beleuchtung durch, die er immer sehr genau nahm. Die Bilder waren sorgfältig platziert worden, sie waren auffällig und explosiv mit ihren starken Farben. Expressionistisch und abstrakt, erfüllt von jugendlicher Kraft und Energie. Manche waren brutal, gewalttätig und beängstigend düster. Der Künstler, Mattis Kalvalis, war ein junger und in Schweden noch unbekannter Litauer. Bisher hatte er nur in den baltischen Ländern ausgestellt. Egon Wallin setzte gern auf unbekannte Karten, neue Künstler, die eine Zukunft hatten.

Er ging zum Fenster, um das schwarzweiße Portrait von Mattis Kalvalis aufzustellen.

Als er den Blick hob und auf die Straße hinausblickte, entdeckte er einen Mann, der ein Stück weiter weg stand und ihm gerade ins Gesicht schaute. Er trug eine ausgebeulte schwarze Windjacke und hatte eine Strickmütze tief über die Augen gezogen. Das Erstaunlichste war, dass er mitten im Winter eine große schwarze Sonnenbrille trug. Dabei schien die Sonne ja nicht einmal. Vielleicht wartete er auf jemanden?

Der Kunsthändler vertiefte sich unbekümmert wieder in seine Aufgabe. Im Lokalsender lief das Wunschkonzert, und gerade jetzt wurde Lill-Babs gespielt, genauer gesagt, Barbro Svensson, wie er sie nannte. Er verzog den Mund, als er eins der eher offen brutalen Bilder mit fast pornografischem Thema geraderückte. Was für ein Kontrast zu »Liebst du mich immer noch, Klas-Göran«!

Als er sich wieder zur Straße umdrehte, fuhr er zusammen. Der Mann, den er aus der Ferne gesehen hatte, war weitergegangen. Jetzt stand er ganz dicht vor dem Schaufenster, fast berührte seine Nasenspitze die Fensterscheibe. Der Fremde starrte ihm in die Augen, schien ihn aber nicht grüßen zu wollen.

Reflexartig wich Egon zurück und hielt nervös Ausschau nach irgendeiner Beschäftigung. Er gab vor, die Weingläser zu ordnen, die sie schon am Vorabend aufgestellt hatten. Und die Platten für die Schnittchen, die die Cateringfirma bringen würde.

»Klas-Göran« war zu Ende, und Magnus Uggla sang ein schrilles Stück aus den Achtzigerjahren.

Aus dem Augenwinkel sah er den geheimnisvollen Mann, der noch immer so da stand wie vorher. Ein Gefühl des Unbehagens stellte sich ein. Konnte das ein Psychofall aus Sankt Olof sein? Er hatte nicht vor, sich von diesem Idioten provozieren zu lassen. Er wird bald wieder verschwinden, dachte Egon Wallin. Er wird die Sache satt bekommen, wenn er mich nicht mehr sieht. Die Tür war abgeschlossen, da war er sich sicher. Die Galerie würde erst um ein Uhr zur Vernissage öffnen.

Er ging die Treppe zum Büro im Obergeschoss hinauf und zog die Tür zu. Setzte sich und machte sich an einigen Unterlagen zu schaffen, aber die Unruhe ließ ihn nicht los. Er musste etwas tun. Den Mann auf der Straße zur Rede stellen. In Erfahrung bringen, was der wollte.

Verärgert sprang er auf und lief wieder nach unten. Doch der Mann war nicht mehr da.

Mit einem Seufzer der Erleichterung kehrte er an seine Arbeit zurück.

Der scharfe Wind ließ die Fensterscheiben klirren, und ein Zweig schlug gegen die Hauswand. Das Meer toste, und die Baumwipfel rauschten. Die Decke war auf den Boden geglitten, und er fror. Die wenigen Heizkörper reichten nicht, um das Haus zu wärmen. Es wurde im Winter nicht vermietet, aber er hatte die Besitzerin zu einer Ausnahme überreden können. Er hatte behauptet, im Auftrag des Landwirtschaftsministeriums an einer Untersuchung über die gefährdete gotländische Zuckerproduktion zu arbeiten, aber als Freiberufler könne er sich kein Hotelzimmer leisten. Die Besitzerin hatte den Zusammenhang nicht so richtig begriffen, hatte aber keine weiteren Fragen gestellt. Die Vermietung bedeutete für sie kaum Mehrarbeit, im Grunde brauchte sie bloß den Schlüssel zu überreichen.

Er stieg aus dem Bett und zog Pullover und Hose an. Trotz des Unwetters musste er hinaus. Das Ferienhaus hatte zwar Küche und Toilette, aber das Wasser war abgestellt.

Der Wind schlug ihm entgegen, als er die Tür öffnete. Sie fiel mit einem Knall hinter ihm zu. Er bog um die Hausecke und trat so dicht wie möglich an die hintere Wand des Hauses, die dem Wald zugewandt und etwas windstiller war, öffnete den Schlitz und ließ den Strahl auf die Wand fallen.

In der Küche aß er zwei Bananen und mischte sich ein Proteingetränk, das er stehend vor dem Spülbecken trank. Seit er zwei Monate zuvor diesen Plan geschmiedet hatte, hatte er eine Gewissheit empfunden, eine Überzeugung, dass es keine Alternative gebe. Der Hass hatte ihn überwältigt, seine Gedanken geschärft und einen säuerlichen Geschmack auf der Zunge hinterlassen. Methodisch und zielstrebig hatte er an den Vorbereitungen gearbeitet, Punkt für Punkt mit minutiöser Genauigkeit abgehakt. Alles war im Stillen geschehen. Dass niemand ahnte, was er vorhatte, stachelte ihn nur noch mehr auf. Er hatte alles unter Kontrolle und würde seine Vorsätze in die Tat Umsetzen. Immer wieder hatte er sich die Details vorgenommen, bis alle Lücken und Fehler ausgemerzt waren. Die Zeit war unweigerlich gekommen. Es war ein genau durchdachter, raffinierter Plan, der durchaus nicht leicht auszuführen war.

Er beugte sich vor und schaute aus dem Fenster. Das einzige Moment der Unruhe war der verdammte Sturm. Der Wind machte es schwerer für ihn und könnte schlimmstenfalls seine Pläne durchkreuzen. Zugleich bot er jedoch gewisse Vorteile. Je schlechter das Wetter, umso weniger Menschen waren unterwegs, was das Risiko einer Entdeckung minderte.

In seinem Hals kratzte es. Bekam er eine Erkältung? Er griff sich mit der Hand an die Stirn und wirklich, er schien Fieber zu haben. Verdammt. Er wühlte eine Schachtel Alvedon hervor und schluckte zwei Tabletten mit Wasser aus einem Kanister auf dem Spülstein hinunter. Die Erkältung kam äußerst ungelegen, er würde all seine Muskelkraft brauchen.

Der Rucksack mit dem Werkzeug war gepackt, ein letztes Mal überzeugte er sich davon, dass alles an Ort und Stelle war. Rasch zog er den Reißverschluss hoch und nahm vor dem Spiegel Platz. Mit geübten Bewegungen schminkte er sich, setzte die Linsen ein und klebte die Perücke fest. Auch die Maskierung hatte er immer wieder geübt, bis sie perfekt saß. Als er fertig war, musterte er seine Verwandlung einen Moment.

Wenn er sich das nächste Mal im Spiegel betrachtete, würde er in das Gesicht eines Mörders blicken. Er fragte sich, ob ihm das anzusehen sein würde.

Mattis Kalvalis war nervös. Während der vergangenen Stunde war er ungefähr alle zehn Minuten zum Rauchen nach draußen gegangen.

»What if nobody comes?«, fragte er immer wieder mit seinem rauen baltischen Akzent. Sein Gesicht war noch blasser als sonst, und sein schlaksiger Körper bewegte sich unruhig zwischen den Gemälden. Mehrmals hatte Egon Wallin ihm die Zeitungsanzeige gezeigt und ihm auf die Schulter geklopft.

»Everything will be just fine – trust me.«

Der ebenfalls aus Litauen angereiste Agent war keine große Hilfe. Er saß meistens vor der Galerie, rauchte und telefonierte, scheinbar unberührt von den eisigen Winden.

Die Vernissage war gut besucht. Als er die Tür zur Galerie öffnete, wartete davor bereits eine lange Schlange von Menschen, die in der Kälte von einem Bein aufs andere traten.

Viele bekannte Gesichter lächelten ihn freundlich an, und ihre Augen strahlten vor Erwartung. Er suchte eine gewisse Person in der in die Galerie strömenden Menge. Aber sie hatten ja Zeit genug. Sich nichts anmerken zu lassen würde allerdings nicht einfach sein.

Zufrieden stellte er fest, dass gerade der Kulturreporter des Lokalsenders hereinkam, und nach einer Weile entdeckte er einen weiteren Journalisten von einer der Lokalzeitungen, der soeben den Künstler interviewte. Seine Medienaktion mit Pressemeldungen, gefolgt von Anrufen, war offenbar von Erfolg gekrönt.

Rasch füllte sich die Galerie mit Besuchern. Mit ihren dreihundert Quadratmetern über zwei Stockwerke hinweg war sie für Gotland eigentlich unverhältnismäßig groß. Aber das Gebäude war über Generationen vererbt worden, und Egon Wallin hatte versucht, so viel wie möglich im ursprünglichen Stil zu erhalten. Es war ihm wichtig, der Kunst genug Raum zu geben, um ihre optimale Wirkung zu entfalten. Die Gemälde kamen wirklich zu ihrem Recht – die farbenprächtigen expressiven und ultramodernen Werke bildeten einen scharfen Kontrast zu den groben Mauern. Die Besucher schlenderten zwischen den Kunstwerken dahin und nippten an moussierendem Wein. Leise Musik war zu hören – der Künstler hatte darauf bestanden, seine Werke zu den Klängen einer litauischen Rockband zu zeigen, die sich anhörte wie eine Mischung aus Frank Zappa und der deutschen Synthband Kraftwerk.

Egon hatte ihn aber immerhin dazu bringen können, die Lautstärke ein wenig zu drosseln.

Jetzt sah Mattis Kalvalis um einiges entspannter aus. Er lief zwischen den Besuchern hin und her, redete laut, lachte und gestikulierte mit seinen großen Händen, dass der Wein nur so aus dem Glas schwappte. Seine Bewegungen waren ruckhaft und unkontrolliert, und ab und zu krümmte er sich und brach in hysterische Lachanfälle aus.

Für einen entsetzlichen Augenblick fürchtete Egon schon, sein Künstler könne unter Drogen stehen, verdrängte diesen Gedanken dann aber gleich. Sicher kam alles nur von der nachlassenden Nervosität.

»Saugut, Egon. Wirklich gut gemacht«, hörte er hinter sich jemanden sagen.

Die heisere, lispelnde Stimme hätte er auch über jede Entfernung erkannt.

Er drehte sich um und stand Auge in Auge Sixten Dahl gegenüber, einem der erfolgreichsten Galeristen Stockholms. Im schwarzen Ledermantel mit Hose und Stiefeln aus demselben Material, getönter Brille mit orangen Bügeln und gepflegtem Dreitagebart sah er aus wie eine schlechte Kopie des Popstars George Michael. Sixten Dahl besaß eine wunderschöne Galerie an der Ecke Karlaväg und Sturegata in Stockholms angesagtestem Stadtteil Östermalm.

»Findest du, wie schön. Und toll, dass du kommen konntest«, sagte Egon mit gespielter Begeisterung.

Nur um ihn zu ärgern, hatte er dem Stockholmer Konkurrenten eine Einladung zukommen lassen. Sixten Dahl hatte ebenfalls versucht, sich Mattis Kalvalis zu angeln, aber aus diesem Wettstreit war Egon als Sieger hervorgegangen.

Die beiden Kunsthändler waren zu einem Treffen von Galeristen aus den Ostseeanrainerstaaten in Vilnius gewesen und hatten dort die ganz eigenen Bilder des jungen Künstlers entdeckt. Bei einem Essen hatte Egon Wallin zufällig neben Mattis Kalvalis gesessen. Die beiden hatten sofort zueinander gefunden, und unerwarteterweise hatte Kalvalis die gotländische Galerie Sixten Dahl und der Großstadt vorgezogen.

Viele in Kunstkreisen hatten darüber gestaunt. Obwohl Egon Wallin einen guten Namen hatte, kam es doch überraschend, dass der Künstler sich für ihn entschieden hatte. Sixten Dahl genoss einen mindestens ebenso guten Ruf, und Stockholm war nun einmal sehr viel größer.

Dass Egons ärgster Konkurrent bei der Vernissage in Visby auftauchte, war an sich kein so großes Wunder. Er war dafür bekannt, dass er sich nicht so schnell geschlagen gab. Vielleicht meint er in seiner Einfalt, Kalvalis doch noch für sich gewinnen zu können, dachte Egon. Man sollte es nicht glauben. Was Sixten Dahl nicht wusste, war, dass Kalvalis Egon gebeten hatte, ihn als sein Agent in ganz Schweden zu vertreten.

Der Vertrag lag bereit und musste nur noch unterschrieben werden.

Die Vernissage wurde ein Erfolg. Ein regelrechter Kaufrausch ergriff die Besucher. Egon staunte immer wieder über das Herdenverhalten der Menschen. Wenn die richtige Person ausreichend schnell und ausreichend viel einkaufte, waren plötzlich auch viele andere bereit, ihre Brieftaschen zu öffnen. Ab und zu schien eher der Zufall als die Qualität zu entscheiden, wenn es um die Bewertung von Kunst ging.

Ein gotländischer Sammler war hin und weg und hatte sich sofort drei Werke gesichert. Das reichte, um die anderen zu inspirieren, und zwei Bilder wurden regelrecht versteigert. Der Preis wurde um einiges nach oben gedrückt. In Gedanken rieb Egon Wallin sich die Hände. Jetzt lag auch der Rest des Landes dem Künstler zu Füßen.

Der einzige Schierlingstropfen im Freudenbecher war, dass der, auf den er wartete, noch immer nicht gekommen war.

Erik Mattson , Kunstkenner und Sachverständiger, hatte den Auftrag erhalten, einen großen Herrensitz in Burgsvik auf Südgotland zu begutachten. Der Oberintendant des Auktionshauses Bukowskis hatte ihn und einen Kollegen gebeten, hinzufahren. Ein Gutsbesitzer auf Gotland wollte sich von einer großen Sammlung schwedischer Kunst der letzten Jahrhundertwende trennen. Es handelte sich um etwa dreißig Werke unterschiedlichster Art, von Radierungen von Zorn bis zu Ölgemälden von Georg Pauli und Isaac Grünewald.

Die beiden Kollegen hatten den ganzen Freitag in Burgsvik verbracht, und es war ein Erlebnis gewesen. Der Herrenhof entpuppte sich als einzigartiges Beispiel alter gotländischer Kalksteinarchitektur, und sie genossen die Umgebung und die beeindruckende Sammlung. Sie verstanden sich so gut mit dem Gutsbesitzerehepaar, dass sie zum Essen eingeladen wurden. Die Nacht verbrachten sie im Hotel Strand in Visby.

Am Samstag wollte Erik ausgeruht sein. Es stand viel auf dem Programm. Er würde den Tag mit einem Wiedersehen mit dem Ort beginnen, den er mehr liebte als jeden anderen und den er seit vielen Jahren nicht mehr besucht hatte.

Gleich nach dem Frühstück setzte er sich ins Auto und fuhr los. Es war ein bewölkter Tag, und der Wetterbericht kündigte Schnee an. Aber Erik hatte es nicht weit. Das Ziel seines Ausflugs lag fünf Kilometer entfernt im Norden von Visby.

Als er gerade bei dem Schild mit der Aufschrift Muramaris abbiegen wollte, sah er von dort ein Auto kommen. Das überraschte ihn. Hier hatte doch im Winter kaum jemand etwas zu suchen.

Der Parkplatz oben an der Landstraße war für Besucher bestimmt, aber jetzt im Februar war er verlassen. Erik stieg aus dem Auto und trat auf den Kiesweg. Er schaute in Richtung Meer, das von hier aus nur zu ahnen war. Tief unten rollten die Wellen heran, so vorherbestimmt wie die Jahre, die kamen und gingen.

Am Wegesrand standen die Bäume dicht an dicht, niedrig und krumm, deutlich gezeichnet von den harten Herbststürmen. Hier gab es keine Nachbarn.

Auf dem Weg den langen Hang hinunter traten ihm die Tränen in die Augen. Es war so lange her. Die Baumkronen flüsterten, und der Kies knirschte unter seinen Füßen. Er war allein, und genau das wollte er auch sein. Das hier war ein heiliger Moment.

Als das Haus hinter der Kurve auftauchte, fing es an zu schneien. Die Flocken rieselten langsam vom Himmel und legten sich sanft auf seinen Kopf.

Er blieb stehen und sah sich alles an, was da unter ihm lag, das heruntergekommene Hauptgebäude, die Wohnung des Obergärtners und das rote Häuschen weiter hinten, das seine besondere Geschichte hatte.

Es war ein gewaltiger Kontrast zu seinem letzten Besuch hier. Damals war Hochsommer gewesen, und er war zwei Wochen geblieben, genau wie der Künstler und sein Geliebter fast hundert Jahre zuvor.

Erik hatte jede einzelne Sekunde genossen, im selben Zimmer zu schlafen wie er, sich unter demselben Dach aufzuhalten. In der Küche zu frühstücken, wo er gesessen hatte; seit damals war der alte Eisenherd nicht ersetzt worden. Die Wände bargen Geschichten, die er nur erahnen konnte.

Jetzt hatte er das Künstlerhaus Muramaris voll im Blick. Der Name bedeutete »Herd am Meer«. Das viereckige sandfarbene Hauptgebäude aus Kalkstein hatte zwei Stockwerke. Seine Architektur war eine originelle Mischung aus italienischer Renaissancevilla mit Loggia zum Meer und traditionellem gotländischem Bauernhof. Große Fenster mit weißen Sprossen boten einen Ausblick auf Wald, Wasser und den strengen Barockpark auf der Rückseite mit seinen Skulpturen, Fontänen, Plattenwegen und adretten Beeten.

Der Mann, der einen solchen Einfluss auf sein Leben gehabt hatte, war oft hier zu Besuch gewesen, hatte sonnige Sommerwochen in Muramaris verbracht, gebadet, Strandspaziergänge gemacht, gemalt und sich mit dem umstrittenen Künstlerpaar getroffen, das hier zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts sein Traumhaus angelegt hatte. Obwohl viele Jahre vergangen waren, spürte er seine Anwesenheit deutlich.

Mit einer gewissen Mühe öffnete er das grüne Holztor, das sich nur widerwillig mit einem langen Klagelaut bewegte. Er wanderte auf die Rückseite des Hauses. Es hatte viele Jahre leer gestanden, bis die neue Besitzerin es übernommen hatte, und das war zu sehen. Der Putz blätterte ab, die Mauer um das Grundstück war an etlichen Stellen eingestürzt, mehrere Skulpturen fehlten im Park, und das einst so stolze Gebäude musste dringend renoviert werden.

Er ging langsam über den Plattenweg zwischen den sorgfältig angelegten Hecken. Am Teich mitten im Park setzte er sich auf eine Bank. Die war feucht und kalt, aber das interessierte ihn so wenig wie der stärker werdende Schneefall. Sein Blick haftete an einem ganz besonderen Fenster. Es gehörte zum Gästezimmer im Erdgeschoss neben der Küche. Dort war eines der bekanntesten Gemälde der schwedischen Kunstgeschichte entstanden. Das behauptete jedenfalls das Gerücht, und es gab keinen Grund, diese Behauptung anzuzweifeln. Der Künstler hatte in dem Jahr, in dem er den Park von Muramaris angelegt hatte, an diesem großen Ölbild gearbeitet. Gegen Ende des wütenden Weltkrieges, im Jahre 1918.

Damals hatte Nils Dardel den »Sterbenden Dandy« gemalt. Er flüsterte diesen Titel, als er dort auf der Bank saß.

Der »Sterbende Dandy« – genau wie er selbst.

Nach der erfolgreichen Vernissage feierten alle, die für die Galerie arbeiteten, mit einem Festmahl im Donners Brunn, einem Restaurant mitten in Visby. Mattis Kalvalis saß in der Mitte und schien die ganze Aufmerksamkeit hemmungslos zu genießen. Am Tisch herrschte eine fröhliche, ausgelassene Stimmung, und Egon Wallin dachte, dieser Abend sei doch ein schöner Abschluss seines alten Lebens. Sie saßen bei Kerzenlicht am besten Tisch des prachtvollen Wirtshauskellers vor wunderschön angerichtetem, köstlichem Essen.

Er sprach noch einen Toast aus, und alle riefen ein Hurra auf den neuen Kometen am Künstlerhimmel. Als ihre Jubelrufe verhallt waren, fanden sich weitere Gäste im Restaurant ein: Sixten Dahl zusammen mit einem jüngeren Mann, den Egon noch nie zuvor gesehen hatte.

Sie grüßten höflich, als sie vorübergingen, und Sixten brachte ein weiteres Mal seine Begeisterung über die Vernissage zum Ausdruck, während er dem Künstler zugleich einen langen Blick zuwarf. Was zum Henker hat er denn jetzt wieder vor, überlegte Egon. Glücklicherweise setzten sie sich am anderen Ende des Lokals an einen Tisch, dem Egon den Rücken zukehrte.

Als er später zur Toilette ging, entdeckte er Mattis Kalvalis zusammen mit Sixten Dahl im Raucherraum des Restaurants. Sie waren dort allein und schienen in ein ernstes Gespräch vertieft zu sein. Sofort loderte Egons Wut auf. Er öffnete die Glastür.

»Was soll denn das hier?«, fragte er Sixten wütend auf Schwedisch.

»Was ist denn los mit dir, Egon?«, fragte sein Konkurrent mit gespieltem Erstaunen. »Wir rauchen, und das hier ist ein Raucherraum.«

»Versuch hier keine Tricks. Mattis und ich haben einen Vertrag.«

»Ach, was du nicht sagst? Ich habe gehört, der sei noch nicht unterschrieben«, sagte Sixten, drückte seine Zigarette aus und segelte gelassen an ihm vorbei durch die Tür.

Mattis Kalvalis hatte natürlich nichts verstanden. Trotzdem schien die Szene ihn peinlich berührt zu haben. Egon beschloss, kein großes Geschrei zu machen. Er wandte sich an Kalvalis.

»We have a deal, don’t we?«

»Of course we do.«

Es war nach elf, als er und seine Frau endlich ihr Reihenhaus erreichten. Monika ging sofort zu Bett. Er erklärte, er wolle noch eine Weile aufbleiben, abschalten und die Eindrücke dieses Tages sinken lassen. Er goss sich ein Glas Kognak ein und ließ sich im Wohnzimmer nieder.

Jetzt konnte er nur noch warten. Er dachte eine Weile über den Zwischenfall im Donners Brunn nach, beruhigte sich dann aber bald wieder. Natürlich gab Sixten sich noch nicht geschlagen. Aber der Vertrag mit Mattis Kalvalis würde schon am nächsten Tag unterschrieben werden. Sie hatten sich in der Galerie verabredet. Außerdem war die Vernissage ja ein Erfolg gewesen. Er war ganz sicher, dass Kalvalis sein Wort halten würde.

Er trank einen großen Schluck Kognak. Die Minuten krochen nur so dahin. Er versuchte, ganz ruhig zu bleiben und seinen Eifer zu zügeln. Wenn Monika sich an ihr übliches Muster hielt, würde sie zehn Minuten im Badezimmer verbringen, dann zu Bett gehen und einige Seiten lesen, um danach das Licht zu löschen und einzuschlafen. Das bedeutete, dass er ungefähr zwanzig Minuten warten müsste, ehe er das Haus verlassen und zum Hotel spazieren könnte. Die Rezeption war nachts geschlossen, also musste er nicht damit rechnen, erkannt zu werden.

Sein ganzer Körper freute sich schon auf diese Begegnung.

Seine Frau brauchte an diesem Abend länger als erwartet, und Egon Wallin war reichlich genervt, als er sich endlich auf den Weg machen konnte. Es war, als ob sie geahnt hätte, dass er Pläne hatte, und deshalb länger las als sonst. Sicher mehrere Kapitel.

So leise wie möglich schlich er mehrmals an der Schlafzimmertür vorbei und sah, dass dort noch Licht brannte, während die Vorfreude seinen ganzen Körper jucken ließ wie ein Ekzem. Am Ende knipste sie das Licht aus. Nur um sicher zu sein, dass sie wirklich eingeschlafen war, wartete er noch eine Viertelstunde. Öffnete vorsichtig die Tür und horchte auf ihren gleichmäßigen Atem, ehe er sich aus dem Haus wagte.

Auf der Straße seufzte er erleichtert auf. Die Erwartung brannte auf Lippen und Zunge. Rasch ging er weiter. Hinter den meisten Fenstern war alles dunkel, obwohl es Samstag war und noch vor Mitternacht. Er wollte um nichts in der Welt einem Nachbarn begegnen – hier kannten sich alle. Sie hatten das Reihenhaus gekauft, als es neu gebaut worden war und die Kinder noch klein waren. Die Ehe war einigermaßen glücklich gewesen, und ihr Leben hatte seinen Lauf genommen. Egon war nie untreu gewesen, obwohl er beruflich viel unterwegs war.

Ein Jahr zuvor war er zu einer seiner Geschäftsreisen nach Stockholm gefahren. Die Leidenschaft hatte ihn getroffen wie ein Blitz, und über Nacht hatte alles sich verändert. Er war einfach unvorbereitet gewesen. Plötzlich hatte sein Leben einen neuen Inhalt bekommen, einen neuen Sinn.

Sex mit Monika zu haben wurde unerträglich. Ihre Reaktion auf seine halbherzigen Initiativen war in den letzten Jahren eher kühl gewesen. Die Aktivitäten waren dann ganz zum Erliegen gekommen, eine große Erleichterung, und sie sprachen nie darüber.

Aber jetzt brannte die Sehnsucht in ihm. Er schlug den kürzesten Weg ein, vorbei am Krankenhaus und den Anhöhen bei Strandgärdet. Bald würde er sein Ziel erreicht haben. Er zog sein Telefon hervor, um anzukündigen, dass er unterwegs sei.

Als er gerade die Nummer eingeben wollte, stolperte er und fiel. In der Dunkelheit hatte er die kräftige Wurzel nicht bemerkt, die vor ihm aus dem Weg aufragte. Er prallte gegen einen Stein und verlor für einige Sekunden das Bewusstsein. Als er wieder zu sich kam, spürte er, wie Blut von seiner Stirn über die Wange lief. Mühsam setzte er sich auf. In seinem Kopf drehte sich alles. Eine Weile saß er auf dem kalten Boden. Glücklicherweise hatte er Papiertaschentücher bei sich und konnte das Blut abwischen. Seine Stirn und seine rechte Wange brannten.

Verdammt, dachte er. Nicht ausgerechnet jetzt.

Vorsichtig betastete er sich mit den Fingerspitzen. Zum Glück schien er sich nicht ernstlich verletzt zu haben, auch wenn sich über seiner rechten Augenbraue nun eine dicke Beule bildete.

Er machte einige schwankende Schritte. Der Sturz hatte ihn überrascht und geschockt.

Der Schwindel zwang ihn dazu, zunächst langsam zu gehen, aber bald hatte er die Mauer erreicht. Von dort war es nicht mehr so weit bis zum Hotel.

Er hatte gerade die kleine Öffnung in der Mauer passiert, die »Liebespforte« genannt wurde, als er bemerkte, dass jemand sich in unmittelbarer Nähe befand. Und dann hörte er ein kurzes Zischen an einem Ohr und wurde rückwärts gedrückt.

Egon Wallin kam nicht mehr zu seinem Stelldichein.

Siv Eriksson erwachte wie üblich einige Minuten, ehe der Wecker klingelte. Sie schien zu spüren, wenn es Zeit war, aufzustehen und den Wecker abzustellen, ehe ihr Mann Lennart von dem Lärm geweckt wurde. Vorsichtig stand sie auf und versuchte, so leise wie möglich zu sein. Es war ja schließlich Sonntag.

Sie stapfte in ihren rosafarbenen flauschigen Pantoffeln, die sie von ihrem Mann zu Weihnachten bekommen hatte, in die Küche, setzte Kaffee auf, duschte und wusch sich die Haare. Danach genoss sie in aller Ruhe ihr Frühstück, hörte dabei Radio und ließ ihre Haare trocknen.

Siv Eriksson freute sich auf diesen Tag. Die Arbeitszeit an Sonntagen war kurz, nur von sieben bis zwölf, dann würde Lennart sie abholen und sie würden den fünften Geburtstag ihres einzigen Enkelkindes feiern. Die Tochter wohnte mit ihrer Familie in Slite im nördlichen Gotland, es war also ein Stück zu fahren. Siv hatte die Geschenke schön verpackt auf dem Dielentisch liegen. Lennart sollte sie mitnehmen, wenn er losfuhr, sie hatte einen Zettel geschrieben, um ihn daran zu erinnern.

Nachdem sie den Kaffee getrunken hatte, putzte sie sich die Zähne und zog sich an. Sie gab der Katze Futter und frisches Wasser. Die Katze schien nicht nach draußen zu wollen, sie schaute nur vielsagend zu ihr hoch und rollte sich in ihrem Korb zusammen. Siv Eriksson warf einen Blick auf das Thermometer am Fenster und stellte fest, dass es wieder kälter geworden war, zehn Grad unter Null. Da nahm sie doch besser Mütze und Schal. Der Wollmantel war alt und ein wenig zu lang.

Ihre Wohnung lag im oberen Stockwerk eines Hauses in der Polhemsgata, und man blickte von dort auf die Nordostseite der Stadtmauer.

Als Siv Eriksson auf die Straße trat, war es noch immer ziemlich dunkel. Der Weg zu ihrem Arbeitsplatz im Hotel Wisby war zwei Kilometer lang, aber das machte ihr nichts aus. Sie lief gern, es war ohnehin die einzige Bewegung, die sie hatte. Ihre Arbeit in der Hotelküche gefiel ihr, zusammen mit einer Kollegin war sie für das Frühstück zuständig. So früh im Jahr waren nur wenige Gäste im Hotel, was ihr recht war, Stress war überhaupt nicht ihre Sache.

Sie überquerte die Straße und folgte dem Fußweg am Fußballplatz, dessen Rasen mit einer dünnen Schneedecke bedeckt war. Auf dem Parkplatz vor dem Kultur- und Freizeitamt wäre sie auf dem gefrorenen Asphalt beinahe ausgeglitten.

Beim Übergang auf dem Kung Magnus väg, der parallel zur Ostseite der Stadtmauer verlief, blieb sie stehen und sah sich unnötigerweise in beide Richtungen um. Am Sonntagmorgen war nicht viel Verkehr, aber Siv Eriksson war ein vorsichtiger Mensch. Sie ging durch den Östergravar, einen kleineren Grünbereich hinter der Mauer. Gerade diese Strecke kam ihr im Dunkeln immer beängstigend einsam vor, aber bald würde sie die mittelalterliche Stadtmauer erreicht haben, die die Innenstadt umgab. Dort musste sie die Dalmansport durchqueren, um in die Stadt zu gelangen. Dieses Tor lag im siebzehn Meter hohen Dalmansturm, dem wuchtigsten Wehrturm der Stadt.

Etwa dreißig Meter vor dem Tor blieb Siv Eriksson abrupt stehen. Zuerst traute sie ihren Augen nicht. Etwas baumelte da in der Öffnung. Einige verwirrende Sekunden lang glaubte sie, es sei ein Sack. Als sie näher kam, ging ihr zu ihrem Entsetzen auf, dass dort ein Mann an einem im Gitter oberhalb der Toröffnung befestigten Seil hing. Dem Fallgitter, das in alten Zeiten herabgelassen worden war, wenn der Feind anrückte.

Der Nacken war gebogen, und die Arme hingen schlaff nach unten.

Sie rutschte auf dem glatten Pflaster aus und wäre fast gestürzt, konnte aber in letzter Sekunde noch nach dem Geländer greifen. Ihr Blick fiel wieder auf den Mann. Er trug einen langen schwarzen Ledermantel und eine schwarze Hose, seine Füßen steckten in kurzen Stiefeln. Er hatte dunkle Haare und mochte um die fünfzig sein.

Sein Gesicht konnte sie nur mit Mühe erkennen, sie machte einige unsichere Schritte vorwärts und schaute sich ängstlich um.

Als sie nahe genug gekommen war, erstarrte alles in Siv Erikssons Kopf. Dieser Mann war ihr sehr wohl bekannt.

Langsam zog sie ihr Mobiltelefon hervor und wählte die Nummer der Polizei.

Kriminalkommissar Anders Knutas traf eine halbe Stunde darauf an der Dalmansport ein. Üblicherweise blieb er in der Zentrale, um die Aufgaben zu verteilen, aber das hier wollte er sehen. Einen Mann, der vermutlich ermordet und dann kaltblütig zur allgemeinen Ansicht mitten in einem der größten und protzigsten Tore der Stadtmauer gehisst worden war, das war einzigartig. Die Streife, die zuerst an der Fundstelle gewesen war, hatte sofort mitgeteilt, es sehe nicht nach Selbstmord aus, sondern hier müsse ein Verbrechen vorliegen. Der Leichnam hing mehrere Meter hoch in der Luft und war noch dazu von beiden Mauerseiten mindestens einen Meter entfernt. Es gab nichts, auf dem das Opfer gestanden oder auf das es geklettert sein könnte, um die Stelle zu erreichen, an der die Schlinge befestigt war.

Als Knutas eintraf, waren Kriminalinspektorin Karin Jacobsson und Techniker Erik Sohlman schon zur Stelle. Karin sah noch kleiner aus als ihre knapp eins sechzig, und sie war so blass, dass ihr Gesicht durchsichtig wirkte. Knutas begrüßte sie, indem er ihren Arm drückte. Sie war von ihrer zentral gelegenen Wohnung innerhalb der Stadtmauer zu Fuß gegangen. Knutas war sofort klar, dass sie den Leichnam schon gesehen hatte. Karin schien sich an den Anblick von Toten einfach nicht gewöhnen zu können, und ihm selbst ging es im Grunde auch nicht anders.

Eine Schar von Nachbarn hatte sich bereits versammelt und starrte entsetzt zu dem Leichnam hoch, der mit dem Rücken zu ihnen in der Türöffnung hing. Dass in ihrer friedlichen Straße ein dermaßen schrecklicher Mord passieren konnte, hätten sie alle nicht für möglich gehalten.

Die Dalmansport lag in der Stadtmauer mitten in der Norra Murgata, einer langen und schmalen gepflasterten Straße, die parallel zur Ostseite der Mauer verlief. Niedrige pittoreske Häuser reihten sich aneinander. Eine richtige Idylle mit gehäkelten Gardinen in den Fenstern, gotländischen Keramikkrügen und kleinen Gärten hinter dem Zaun. Manche Häuser auf der Stadtseite der Mauer waren sogar in diese hineingebaut.

Karin und Knutas gingen an den Betonpollern vorbei, die die Durchfahrt durch das Tor versperrten, und stiegen über die blauweißen Absperrbänder.

Beim Anblick des Opfers schnappte Knutas nach Luft.

Auf den ersten Blick sah es aus wie ein tragischer Selbstmord. Das Seil war an einem kräftigen Haken befestigt, der im Fallgitter über der Toröffnung verankert war. Der Kopf des Toten hing nach vorn, sein Körper war schlaff.

Das Szenario erinnerte an das vergangene Jahr, als mehrere bei Ritualmorden getötete Menschen aufgehängt gefunden worden waren.

»Das kommt mir bekannt vor«, sagte Knutas zu Karin.

»Himmel, ja, ich musste auch gleich daran denken, wie wir im vorigen Sommer Martina Flochten gefunden haben.«

Karin schüttelte den Kopf und bohrte die Hände noch tiefer in die Taschen ihrer Windjacke.

Als Knutas nah genug gekommen war, um das Gesicht des Toten zu sehen, erstarrte er.

»Das ist doch Egon Wallin, der Kunsthändler.«

Der Kriminaltechniker Erik Sohlman, der den Leichnam gerade aus unterschiedlichen Winkeln fotografierte, ließ die Kamera sinken und sah sich das Gesicht näher an.

»Sicher, das ist er«, rief er. »Ja, verdammt. Ich war noch vor einer Woche in der Galerie und habe für meine Mutter zum sechzigsten ein Bild gekauft.«

»Wir müssen ihn so schnell wie möglich runterholen«, sagte Knutas düster. »Der Leichnam ist von der Straße her sicher zu sehen, und jetzt werden die Leute wach.«

Er nickte zum Kung Magnus väg hinüber, wo bereits mehrere Wagen an den Straßenrand gefahren waren und angehalten hatten. Leute stiegen aus und zeigten auf das Tor. Der makabere Fund war im Morgenlicht für alle, die vorbeikamen, deutlich sichtbar.

»Beeilt euch jetzt«, mahnte Knutas. »Er hängt hier doch wie im Schaufenster.«

Er schaute sich um. Es war schwer zu entscheiden, welcher Bereich abgesperrt werden musste, aber seine vielen Jahre bei der Kriminalpolizei hatten ihn gelehrt: je mehr, desto besser.

Die Polizei konnte Selbstmord noch nicht ausschließen, aber wenn Egon Wallin ermordet worden war, was Knutas glaubte, dann würden sie alle denkbaren Spuren sichern müssen. Er überlegte kurz, dass das vermutlich erforderte, die gesamte Grünfläche zwischen der Österport und der Norderport abzusperren. Überall gab es Schuhabdrücke, die sich deutlich im Schnee abzeichneten und eventuell Hinweise auf den Mörder geben konnten.

Knutas sah sich das Gitter an, an dem die Schlinge befestigt war. Es erschien ihm unmöglich, dass Egon Wallin das allein geschafft hatte. Es gab absolut nichts, worauf man klettern konnte. Die Schlinge hing so hoch, dass Knutas befürchtete, sie würden die Feuerwehr bemühen müssen, um den Leichnam herunterzuholen.

Er zog sein Telefon hervor und rief die Gerichtsmedizin in Solna an. Ein Gerichtsmediziner musste so schnell wie möglich mit dem Polizeihubschrauber einfliegen.

Aus Erfahrung wusste er, dass die Gerichtsmediziner verlangten, den Leichnam bis zur ersten Untersuchung unberührt zu lassen, aber in diesem Fall war das unmöglich. Der Tote hing da wie das Opfer einer öffentlichen Hinrichtung. Wenn sich das hier als Mord erweisen sollte, würden die Medien im Sturm über sie hereinbrechen und ihnen keine Zeit mehr lassen, Atem zu holen.

Kaum hatte Knutas darüber nachgedacht, als hinter ihm auch schon die erste Kamera aufblitzte. Wütend fuhr er herum, und weitere Blitze wurden abgefeuert.

Er erkannte die Fotografin von Gotlands Allehanda zusammen mit einem der aufdringlichsten Reporter dieser Zeitung. Hochrot im Gesicht packte er ihren Arm.

»Was zum Teufel soll das denn hier? Das ist womöglich ein Selbstmord, bisher wissen wir noch gar nichts. Absolut gar nichts! Wir haben noch nicht einmal die Angehörigen verständigt. Er ist doch gerade erst gefunden worden.«

»Wisst ihr, wer es ist?«, fragte sie pikiert und zog ihren Arm zurück, ohne auf Knutas’ Erregung einzugehen. »Ich finde, der sieht aus wie Egon Wallin, der Kunsthändler.«

»Hört ihr denn nicht? Es steht durchaus nicht fest, dass wir es hier mit einem Verbrechen zu tun haben. Macht, dass ihr wegkommt, und lasst uns in Ruhe arbeiten!«

Selbstmord war immerhin etwas, das die Presseleute respektierten und worüber sie in der Regel nicht berichteten. Bisher zumindest. Aber so, wie sich die Medien entwickelten, würde es wohl nicht mehr lange dauern, bis sie sich auch darin suhlten.

Knutas hatte Egon Wallin gekannt und geschätzt. Sie hatten zwar keinen direkten Kontakt gehabt, waren sich einander aber im Laufe der Jahre immer wieder über den Weg gelaufen, und Knutas hatte der andere immer gefallen. Er hatte etwas Offenes und Redliches. Ein gerader Mensch, der mit beiden Füßen auf dem Boden stand und mit seinem Leben zufrieden war. Anders als so viele andere, die sich immer nur beklagten. Sie waren ungefähr im selben Alter, und Knutas hatte Egon Wallin immer bewundert. Wallin hatte eine positive Ausstrahlung gehabt, die dafür sorgte, dass man mit ihm befreundet sein wollte. Und jetzt hing er hier – tot.

Jede Minute, die verging, ohne dass sie den Leichnam herunterholen konnten, wurde zur Qual. Knutas grauste es schon vor der Aufgabe, Wallins Frau über dieses tragische Ereignis informieren zu müssen.

Mehrere Journalisten drängten sich auf der anderen Seite der blauweißen Bänder zusammen. Irgendwie verstand er ja auch, dass sie ihre Arbeit tun mussten. Und wenn der Fall sich als Mord herausstellte, würde die Polizei eine Pressekonferenz einberufen müssen. Knutas war dankbar dafür, dass zumindest noch kein Fernsehteam aufgetaucht war. Aber gleich darauf entdeckte er Pia Lilja, die eifrigste Kamerafrau, die ihm jemals über den Weg gelaufen war. Sie arbeitete zusammen mit Johan Berg für das Schwedische Fernsehen. Im Moment war sie allein, aber das hinderte sie nicht daran, Bilder zu machen. Und so lange sie hinter den Absperrungen blieb, konnte er es ihr nicht verbieten.

Knutas seufzte, warf einen letzten Blick auf die Leiche und verließ dann mit Karin den Fundort.

Vor ihm lag ein hektischer Tag.

An normalen Sonntagen herrschte Stille in der Redaktion der Regionalnachrichten im Funkhaus auf Gärdet, und an diesem Tag war es nicht anders. Johan Berg saß verkatert und müde an seinem Schreibtisch und überflog lustlos die Tageszeitungen. Absolut nichts passierte. Weder in Stockholm noch auf Gotland oder in Uppsala, den Gegenden, für die die Redaktion zuständig war.