Im Hier und Jetzt - Alexander Poraj - E-Book

Im Hier und Jetzt E-Book

Alexander Poraj

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Beschreibung

Was heißt achtsam begleiten und führen? Achtsamkeit gehört inzwischen mit zur Kernkompetenz im Bereich professioneller Begleitung und Führung. Wer achtsam ist, ist auf eine bestimmte Weise aufmerksam, ohne Beimischungen des üblichen Gedankenchaos, ohne zu urteilen oder frei zu assoziieren. In völliger Klarheit des gegenwärtigen Augenblicks gewahr sein. Bei mir sein und immer wieder zu mir kommen und in Wechselwirkung bei Klienten ankommen, in unserer gemeinsamen Wirklichkeit, unserer gemeinsamen Gegenwart. Das schafft nicht nur ein neues Gesprächsklima, sondern führt alle Beteiligten viel unkomplizierter und direkter zu den Zielen, die alle Beteiligten sich wünschen. Ein Buch für Coaches und Trainer, Therapeuten und Führungskräfte aller Art und alle Personen mit Verantwortung für andere Menschen.

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Seitenzahl: 182

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Titel der Originalausgabe: Im Hier und Jetzt

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2019

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlaggestaltung: Chris Langohr Design

Umschlagmotiv: © Elena Golikova / iStock / GettyImages

E-Book-Konvertierung: post scriptum, Vogtsburg-Burkheim

ISBN (E-Book) 978-3-451-81594-2

ISBN (Buch) 978-3-451-60069-2

Unseren Kindern gewidmet

Inhalt

Sie ist schon da oder: (k)eine Achtsamkeitsübung

Es ist selbstverständlich

Ja, aber!

Was ist Achtsamkeit?

Wer bin ich?

Wie bin ich?

Die drei Charaktertypen

Der »Aktive«

Der Vorsichtige

Der Hedonist

So sind wir also

Die Komfortzone

Können wir uns ändern?

Die Macht der Gewohnheit

Der Aktive in seinem Charakter

Der Vorsichtige in seinem Charakter

Der Hedonist in seinem Charakter

Die Ohnmacht

Was ist Coaching?

Wie bin ich?

Wenn Charaktere sich coachen lassen

Die Entfaltung des Aktiven

Achtsamkeit für Aktive

Die Entfaltung des Vorsichtigen

Achtsamkeit für Vorsichtige

Die Entfaltung des Hedonisten

Achtsamkeit für Hedonisten

Achtsamkeit in Fülle

Exekutivcoaching

Beethovens Neunte

Danke

Literaturempfehlung

Zum Autor

Sie ist schon da oder: (k)eine Achtsamkeitsübung

»Wie wunderbar: Alle sind es!« Buddha im Augenblick des Erwachens

»Was ist Mara (Teufel im Buddhismus)? Der Zweifel ist es.« Lin Chi (Zen-Meister)

»Ich suche nicht. Ich finde.« Pablo Picasso (Maler)

Gerade jetzt, genau in diesem Augenblick, halten Sie das Buch in den Händen und lesen diese Zeile. Was ist das? Das ist Gegenwart. Haben Sie mehr oder etwas anderes erwartet? Wenn nicht, dann ist wirklich alles in Ordnung. Wenn ja, dann muss ich Sie enttäuschen. Warum? Weil die Gegenwart einfach gegenwärtig ist und das auch, bevor Sie oder ich auf die Idee kommen, gegenwärtig sein zu wollen. Wenn Sie also glauben, eben jetzt nicht gegenwärtig zu sein, dann glauben Sie einfach, dass die Gegenwart etwas anderes ist als das, was sich gerade ereignet. Damit ereignet sich für Sie die Gegenwart als Ihre Vorstellung von einer »anderen« oder »besseren« Gegenwart. So einfach ist das: Gegenwart und nur Gegenwart und nichts anderes als Gegenwart.

Was ist dann Achtsamkeit? Achtsamkeit ist ein zurzeit weitverbreiteter Versuch, fast schon eine Art Mode, die darin besteht, ganz besonders gegenwärtig sein zu wollen. Das wiederum bedeutet normalerweise nichts anderes, als dass wir uns als Erstes eine Vorstellung davon machen, wie Gegenwärtigsein auszusehen hat, um es dann im zweiten Schritt mit der Achtsamkeitsübung erreichen zu können. Spätestens jetzt sollten Sie aufwachen und realisieren, dass solch ein Verständnis der Achtsamkeit geradezu der beste Weg ist, die stattfindende Gegenwart gering zu schätzen und gegen eine Vorstellung ihrer selbst zu ersetzen. Machen wir uns diesen Prozess nicht bewusst, laufen wir einer von uns erzeugten Karotte hinterher. Weil aber alles immer schon und immer nur Gegenwart ist, ist jeder dieser Versuche, wie edel und spirituell er auch klingen mag, ebenso Gegenwart wie der Moment, den wir, der »besseren« Gegenwart willen, unbedingt verlassen wollen. Deswegen sind die Achtsamkeitsübungen häufig nichts anderes als ein Selbstverbesserungsversuch, der dadurch zustande kommt, dass wir die Gegenwart auf dem Altar unserer Vorstellungen von Gegenwart Schritt für Schritt opfern. Das Witzige dabei ist allerdings, dass auch dieses »Opfern«, »Fliehen« oder Gegenwärtiger-sein-Wollen immer schon Gegenwart ist. Was denn sonst?

Das alles ist ungefähr so, als würden wir nach der Brille suchen, ohne zu bemerken, dass wir sie bereits auf unserer Nase haben. Ganz plötzlich kommt in uns der Gedanke auf, wir hätten sie verlegt. Nun stehen wir auf und beginnen mit der Suche. Zunächst klappern wir die üblichen Plätze ab und nachdem wir unsere Brille dort nicht gefunden haben, werden in uns verschiedene Gefühle aufsteigen. Verwunderung, Selbstzweifel, Unruhe, ja sogar Wut sind jetzt an der Reihe. Weil wir diese Gefühle nur ungern als gegenwärtiges Sosein zulassen können, beginnen wir einen Schuldigen ausfindig zu machen. Es kann sein, dass wir unsere Partnerin oder unseren Partner beschuldigen, die Brille verlegt zu haben. Und wenn diese es entschieden verneinen, so werden die anderen Familienmitglieder verdächtigt oder angeklagt. Nachdem wir damit durch sind und der Familienfriede für ein paar Stunden gestört bleibt, nehmen wir uns nochmals zusammen und beginnen die Suche von vorne. Jetzt aber wollen wir ganz ruhig und systematisch vorgehen, also ganz langsam und sehr genau. Mit anderen Worten: achtsam. Da auch das keine Brille zutage fördert, schlägt unsere Achtsamkeit in Verzweiflung um. Was nun? Wir entschuldigen uns bei unserer Familie und bitten sie stattdessen um Mithilfe. Da sich inzwischen die meisten aber aus dem Staub gemacht haben oder andere, wichtigere Tätigkeiten vorgeben, wissen wir uns nicht mehr alleine zu helfen und suchen nach Rat. Im Internet finden wir eine ganze Reihe von Büchern und wählen eines mit dem Titel »Achtsamkeit: Brille finden in drei Minuten«. Mit dem Buch in der Hand entdecken wir ganz neue Ecken in unserer Wohnung und natürlich Gegenstände, von deren Existenz wir gar nichts wussten. Nur eben keine Brille. Also ein Wochenendworkshop soll jetzt die Lösung bringen und in ihm lernen wir, wie wichtig es ist, regelmäßig nach der Brille zu suchen. Mindestens eine Viertelstunde täglich, und das am besten morgens, wenn unser Geist noch nicht zu stark abgelenkt ist. Überhaupt ist Disziplin das A und O bei dieser Art der Suche, und eine regelmäßige Supervision sollten wir auch noch in Anspruch nehmen. Dass das alles nicht umsonst zu haben ist, versteht sich von selbst. Schließlich ist guter Rat teuer.

Irgendwann einmal fahren wir uns mit der Hand übers Gesicht und halten die Brille in den Händen. Was wir in diesem Augenblick empfinden, kann wirklich keiner voraussehen und noch weniger beschreiben. Wir können schreien und brüllen vor Freude. Wir werden die Welt umarmen können, tanzen und singen. Tonnenweise verlässt uns jegliche Anspannung und wir fühlen uns frei und gegenwärtig. Mit der Zeit, wenn die Ekstase nachlässt, werden wir nur noch den Kopf darüber schütteln, wie verrückt wir die ganze Zeit waren. Mehr noch, es wird uns schlagartig klar, dass die Suche nach unserer Brille nur dadurch möglich war, dass wir sie bereits aufhatten, weil wir doch sonst die ganze Zeit der Suche über einfach nichts gesehen hätten. Mit anderen Worten: Das einzige wirkliche Problem war der Gedanke, sie verlegt zu haben. Also eine Art von Irritation, ein Zweifel, ja wortwörtlich ein Zweifel, denn dieser ließ uns daran glauben, wir und die Brille wären entzweit und eine Suche sei unbedingt vonnöten. Alles andere war die Folge des Zweifelns.

Also vergessen Sie bitte Achtsamkeitsübungen, die Ihnen versprechen, Gegenwart zu erreichen. Gehen Sie doch einfach und konsequent davon aus, dass Sie es immer schon sind, egal, was Sie tun, denken, wahrnehmen oder wollen. Diese Gewissheit lässt Sie einfach mal ab und zu länger bei dem verweilen, was gerade ist. Das bedeutet: Wenn Sie sich gerade langweilen und deswegen zu diesem Buch gegriffen haben, dann überlassen Sie sich doch bitte der Langeweile, anstatt sie mit etwas anderem zu überdecken. Eine längere Weile kann Ihnen ungeahnte Bereiche eröffnen. Wenn Sie gerade Zahn- oder Bauchschmerzen haben, dann gehen Sie bitte mit dem Schmerz zum Arzt und nicht gegen ihn. Fühlen Sie im Augenblick Trauer, dann erlauben Sie es sich, traurig zu sein, anstatt sich mit dem Lesen des Buches von ihr abzulenken. Wenn Sie müde sind, dann legen Sie das Buch zur Seite und schlafen einfach eine Runde. Sind Sie gereizt, dann warten Sie, ohne zusätzlich etwas zu tun, bis sich Ihr Gemüt beruhigt hat, und lesen nicht einfach weiter, um auf noch mehr Gedanken zu kommen.

Haben Sie es sich mit einer Tasse Tee oder Kaffee im Sessel gemütlich gemacht, weil Sie der Lust gefolgt sind, einen etwas längeren Austausch mit mir zu beginnen, dann lesen Sie bitte weiter. Ich freue mich, dass Sie sich die Zeit nehmen, mir zuzuhören.

Es ist selbstverständlich

»Eine halbe Stunde Meditation ist absolut notwendig, außer wenn man sehr beschäftigt ist, dann braucht man eine ganze Stunde.« Franz von Sales (Mystiker und Bischof)

»Auge ist Auge nicht weil du es siehst, sondern weil es dich sieht.« Antonio Machado (Dichter)

»Die meisten leben in den Ruinen ihrer Gewohnheiten.« Jean Cocteau (Dichter)

Das vorliegende Buch ist eine Einladung an Sie zu einem Spaziergang durch Landschaften und Gebiete, die wir sehr gut zu kennen meinen, da wir uns häufig in ihnen aufhalten. So sind Worte wie Achtsamkeit, Coaching oder Training deswegen jedem von uns bekannt, weil sie zum Wort- und Erfahrungsschatz einer wachsenden Zahl von Personen geworden sind, die sowohl Coaching wie auch verschiedene Trainings anbieten, sie selber in Anspruch nehmen oder beides zugleich. Damit richtet sich das Buch an Sie, weil Sie an diesen Themen entweder aus professionellen oder aber aus privaten Gründen interessiert sind.

Damit hat unser Spaziergang bereits begonnen und gleich zu Beginn eine interessante Landschaft betreten: Achtsamkeit, Coaching, Beratung und die gegenseitige Beeinflussung von ihnen befinden sich in einer Phase, in der alle drei als selbstverständlich gehandhabt, angewendet, angeboten und natürlich hochgelobt werden.

Und so gibt es wohl kaum einen Lebensbereich mehr, sei dieser privater oder beruflicher Natur, den Frau und Mann, aber auch Kinder und Jugendliche durch Achtsamkeit, Coaching, Therapie und natürlich eine Mischung aus allen dreien, nicht glauben verbessern zu können. Dagegen ist wirklich nichts einzuwenden. Ganz im Gegenteil, es lohnt sich gerade deswegen einen kritisch-konstruktiven Blick auf diese Bereiche zu werfen, weil sie so verbreitet sind und weil nichts so sehr unachtsam macht wie Selbstverständlichkeit, die sofort in Routine und Gewohnheit mündet.

Mit anderen Worten: Die meisten Unfälle passieren auf geraden und langweiligen Straßen und eben nicht in den Serpentinen der Berge. Warum? Weil uns die Routine in den Modus des Autopiloten versetzt und dieser davon ausgeht, dass alles heute genauso sein wird, wie es gestern war, weswegen wir unsere Achtsamkeit gleich auf was anderes richten oder sie schlicht und einfach herunterfahren können, was ebenfalls routinemäßig, sprich automatisch geschieht.

So gesehen wäre Gewohnheit langweilig, trotzdem ist sie ein interessantes Phänomen, weil sie unsere Achtsamkeit für was anderes befreit, gleichzeitig aber von dem, was gerade geschieht, entbindet. Ein merkwürdiger Vorgang, oder? Daran können wir sehen, dass vermutlich nicht wir es sind, die die Achtsamkeit »haben«, um sie dann entsprechend unseren Vorstellungen anzuwenden. Vielleicht ist es so, dass nicht wir sie haben, sondern sie uns? Vielleicht ist sie, allen Versuchen, sie »nutzbar« zu machen, zum Trotz, doch kein Ding, welches wir, unseren Vorstellungen folgend, für unsere Zwecke einspannen und verwenden können? Wir werden es sehen, und in diesem Buch wollen wir es einfach etwas genauer sehen.

Das Gleiche gilt für die zwei weiteren Phänomene, also das Coaching und die Therapie.

Sind sie, ähnlich der Achtsamkeit, ein bereits erprobtes Mittel zum Zweck? Wenn ja, dann wäre es auch o.k., nur müssen wir uns klarer darüber sein, dass es so ist, und vor allem, was dann die Ziele sein sollen, die in der Lage wären, so gut wie alles und jeden derart auf sich auszurichten, dass wir bereit sind, uns fast ausschließlich über sie zu definieren.

Auch hier gilt die Einladung, etwas genauer hinzuschauen. Coaching und Trainings nicht selbstverständlich als erprobte Vehikel anzusehen, die uns erneut selbstverständlich darin zu unterstützen haben, das, was wir uns vorstellen, erreichen zu müssen. Aber auch hier gilt zunächst die Unschuldsvermutung. Denn wenn es eben so ist, dass Coaching und die vielen Trainingsformen eben genau dazu da sind, uns dabei behilflich zu sein, individuelle, familiäre oder unternehmerische Ziele zu erreichen, dann ist es auch hier gut, es zu wissen und uns eben keine falschen Vorstellungen darüber zu machen.

Noch interessanter wird es sein, wenn wir die Verknüpfungen zwischen Achtsamkeit, dem Coaching und den Trainings genauer betrachten werden. Denn, so viel sei jetzt schon angedeutet, der selbstverständliche Umgang und die Anwendung von Achtsamkeit, Coaching und Training bewirkt, dass wir sie selber nicht mehr genauer betrachten. Sie sind eben selbst-verständlich geworden, verstehen sich also von selbst, was uns davon entbindet, genauer hinzuschauen, um sie einfach wirklich besser verstehen zu lernen. Tun wir es nicht, so sind wir einfach nicht achtsam genug, und das inmitten von dem, was wir Achtsamkeit nennen. Ist das nicht wirklich verrückt? Ich glaube, dass es mehr als ver-rückt ist, weil es sich eben als Selbstverständlichkeit, Routine und Gewohnheit maskiert. Und wenn auch das nicht ganz falsch sein sollte, was bedeutet es für uns, unsere Arbeit, unsere Ziele, vor allem aber für unser Selbstverständnis?

Mit der letzten Bemerkung berühren wir den Kern von Achtsamkeit, Coaching und Training. Wir berühren nämlich uns selbst. Das Ver-Rückte – achten sie bitte auf die Schreibweise – scheint hier zu sein, dass wir uns ebenfalls selbstverständlich geworden sind, sprich wir sind uns selbst zu Gewohnheit, ja zu Routine geworden. Vielleicht liegt darin einer der Gründe, weswegen wir so oft eine andere Person sein wollen, weil wir, der Gewohnheit folgend, uns mit uns selbst am meisten langweilen?

Also gilt es bei unserem Spaziergang, vor allem bei uns selbst innezuhalten, die Sonnenbrille der Gewohnheit abzulegen, um genauer hinschauen zu können, wie die tatsächlichen Farben unseres Soseins in der unmittelbaren Wahrnehmung wirken.

Wie Sie sehen, und ich hoffe sehr, dass Sie es zu sehen beginnen, sind die Gewohnheit und die Routine die besten Verstecke für das Nicht-Hinterfragen von dem, was täglich geschieht. Mehr noch: Während Achtsamkeitsübungen, Meditationen, Coachings und Trainings routiniert vollzogen werden, kann es passieren, dass wir es nicht merken, wie schnell sie inhaltsleer werden können, und wir weiterhin Ruderbewegungen vollziehen, obwohl wir uns schon lange nicht mehr im Boot, geschweige denn auf dem Wasser befinden. Mit anderen Worten: Es ist Zeit achtsam mit der Achtsamkeit umzugehen. Und es ist auch an der Zeit, im Coaching sich coachen zu lassen und während der Trainings und Beratungen zu merken, dass wir gleichzeitig ebenfalls trainiert und beraten werden, weil wir niemals nur sehen, wahrnehmen oder geben, ohne gleichzeitig gesehen, wahrgenommen oder beschenkt zu werden.

Ja, aber!

»Das Unangenehme an Computern ist, dass sie nur ja oder nein sagen können, aber nicht vielleicht.« Brigitte Bardot (Schauspielerin)

»Der gesunde Menschenverstand ist nur eine Anhäufung von Vorurteilen, die man bis zum 18. Lebensjahr erworben hat.« Albert Einstein (Physiker)

»Die Unwissenheit kommt der Wahrheit näher als das Vorurteil.« Wladimir Iljitsch Lenin (Politiker)

Unser Spaziergang in die Umgebung von Achtsamkeit und Coaching scheint klar positioniert zu sein. Sie erwarten zu Recht Tipps, Beispiele und Vorschläge, wie Achtsamkeit im besagten Umfeld erfolgreich angewendet werden kann. Und das werden Sie – das verspreche ich Ihnen – auch bekommen. Allerdings gib es ein kleines dreifaches »Aber«, auf das Sie sich bitte einlassen müssen:

Das erste »Aber« – und das haben sie bereits bemerkt –, betrifft die Achtsamkeit selbst. Warum? Nun, wenn das Wort »Achtsamkeit« fällt, glauben wir alle zu wissen, um was es sich dabei handelt, sodass wir sofort zur ihrer Anwendung übergehen wollen. Ist es aber so? Wissen wir wirklich eindeutig, was es mit der Achtsamkeit auf sich hat? Nur weil das Wort »Achtsamkeit« in den vergangenen Jahren eine unglaubliche Karriere gemacht hat und jeder das Wort anerkennend benutzt, heißt es noch lange nicht, dass wir einen anerkannten Konsens darüber haben, was es mit der Achtsamkeit so alles auf sich hat. Mehr noch: Dass ein Wort »in« ist, kann der Erforschung seiner eigenen Bedeutung eher im Wege stehen. Und ich glaube, dass im Falle von »Achtsamkeit« genau das gerade geschieht.

Das zweite »Aber« betrifft direkt Sie und mich, denn achtsam ist immer ein Jemand, also unser »Ich«. In dem Moment nämlich, in dem wir uns mehr Achtsamkeit wünschen, haben wir bereits unser »Ich« als selbstverständlich und eindeutig klar erfahrbar und definiert vorausgesetzt. Stimmt das so? Haben wir die alte Frage »Wer bin ich?« wirklich klar, eindeutig und für alle »Ichs« zutreffend beantwortet? Ich glaube, das haben wir nicht. Mehr noch: Ich meine, dass wir diese Frage sehr selten stellen, weil wir erahnen, dass uns die Antwort alles andere als leicht zufliegen wird und wir uns dadurch plötzlich mit einer Ungewissheit konfrontiert sähen, deren Ausmaße wir zu Recht als bedrohlich erahnen. Und ich garantiere Ihnen, dass genau diese Frage alles andere als leicht und eindeutig zu beantworten ist. Das ist auch der Grund, weswegen wir sie in den meisten Fällen gerne umgehen, indem wir sie stillschweigend als geklärt voraussetzen. Ein geschicktes, jedoch folgenschweres Manöver.

Nun aber handelt dieses Buch nicht vom »Ich«, zumindest nicht direkt. Und dennoch müssen wir uns, wenn auch sehr begrenzt, so doch genau dieser Frage stellen. Weshalb? Ganz einfach: Bevor wir unser »Ich« oder das der Klienten mit der Achtsamkeit, einem Coaching, Beratung oder Training verbessern wollen, sollten wir etwas mehr Klarheit darüber haben, wer oder was dieses »Ich« ist. Damit meine ich nicht das Problem des Klienten, sondern »den«, der scheinbar ein Problem hat. Damit sind wir natürlich mitgemeint, ob es uns passt oder nicht. Es wird also persönlich werden. Sehr sogar. Auch für uns.

Das dritte »Aber« betrachtet das Coachen, Trainieren und Beraten an sich. Wenn wir jemanden coachen oder trainieren oder selber gecoacht oder trainiert werden wollen, dann gehen wir davon aus, dass uns selbst oder der betroffenen Person etwas fehlt. Das mag manchmal auch stimmen, jedoch viel seltener als angenommen. Und so neigen wir sehr schnell dazu, unser Sosein und Gutsein, oder das unserer Klienten, auf dem Altar aller möglichen Vorstellungen von richtig, erfolgreich und besser zu opfern. Ist das so und betreiben wir mit unserer Einstellung solch einen Opferkult, so muss die Frage gestellt und beantwortet werden, wer denn der »Gott« sei, dem gegenüber wir bereit sind, unser Sosein in die Hände von Priesterinnen und Priestern zu geben, oder uns selbst zu solchen ausbilden zu lassen, damit dieser Gott oder diese Göttin endlich mal zufrieden mit uns ist? Wer kam – und warum – auf die Idee, dass wir grundsätzlich nicht gut genug sind, und hat uns damit anfällig für alle möglichen Verbesserungsangebote gemacht? Ich meine damit nicht, dass wir in vielen Fällen keine Unterstützung bräuchten. Das wäre eine fatale Gegenideologie. Was ich meine, ist eher dieser Grundton der Unzufriedenheit, der sich am deutlichsten darin manifestiert, dass wir unser Leben als eine Art von Dauerbaustelle betrachten. Wäre das so, dann sollten wir genauer schauen, wo wir denn während der Bauarbeiten wohnen und was die Notunterkunft mit uns macht. Und was wäre denn, wenn es sich herausstellen sollte, dass wir die ganze Zeit mitten auf der Baustelle wohnen, und das ungeachtet der Schilder »Betreten der Baustelle verboten!«?

Hinter diesen drei »Abers« verbirgt sich also nicht irgendeine intellektuelle Landschaft. Hinter diesen »Abers« versteckt sich das Land unserer Existenz. Unmittelbar und direkt.

Fakt ist, dass wir nirgendwo anders wohnen als in dieser Landschaft. Mehr noch: Wir sind diese Landschaft. Deswegen ist dieses Buch als eine Art Spaziergang konzipiert. Seine einzige Schwierigkeit liegt darin, dass er in einer selbstverständlichen Landschaft stattfindet, nämlich in uns und in dem, was wir unsere Wirklichkeit und Welt nennen.

Was ist Achtsamkeit?

»Der Erfinder der Notlüge liebte den Frieden mehr als die Wahrheit.« James Joyce (Schriftsteller)

»Shakespeare, Newton und mein Friseur sagen: Jawohl, die Welt ist wirklich ›da‹. Der moderne Quantenphysiker erklärt uns: vielleicht auch nicht.« John L. Casti (Mathematiker)

»Wolken ziehen auf, von Zeit zu Zeit –sie bringen die Chance, ein wenig auszuruhenvon der Betrachtung des Mondes.« Basho (Dichter)

Zu Beginn eines Retreats frage ich einen Kursteilnehmer: Was möchtest du erreichen?

Kursteilnehmer: Ich möchte achtsamer werden.

Ich: Was ist für dich Achtsamkeit?

Kursteilnehmer: Ich möchte ruhiger werden und mich nicht so oft aufregen.

Ich: Warum nennst du es Achtsamkeit?

Kursteilnehmer: Weil ich davon überzeugt bin, dass mir diese Haltung mehr Lebensqualität ermöglicht.

Ich: O.k. Ist Achtsamkeit für dich Ruhe und Zufriedenheit?

Kursteilnehmer: Ja, sie zeigt sich in einer Art innerer Ruhe auch in hektischen beruflichen Situationen.

Ich: O.k. Ist Achtsamkeit Ruhe und Zufriedenheit, oder glaubst du, dass sie dir hilft, ruhiger und zufriedener zu werden?

Kursteilnehmer: Eher das Zweite. Ich verspreche mir von diesem Kurs, dass mich die Achtsamkeit dazu bringt, mich ruhiger und länger auf das zu zentrieren, was mir jetzt gerade wichtig ist.

Ich: Meinst du damit die Fähigkeit, sich länger konzentrieren zu können?

Kursteilnehmer: Ja, das ist es auch.

Ich: Was ist bei alldem, was du beschrieben hast, die Achtsamkeit?

Kursteilnehmer: Irgendwie ist sie all das, was ich beschrieben habe.

Ich: O.k., danke!

Ich führe solche Gespräche sehr oft. In der Regel frage ich die Teilnehmer zu Beginn eines Workshops nach ihren Erwartungen und mit weiteren Fragen versuche ich genauer herauszufinden, was ihr wirkliches Anliegen ist. Das oben angeführte Gespräch ist beispielhaft für viele andere. Die faktische Situation ist klar: Es wird ein Kurs zum Thema praktische Einübung der Achtsamkeit angeboten, sodass alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer sich im Vorfeld dafür entschieden haben, Achtsamkeit üben zu wollen. Nun aber setzt dieser Schritt voraus, dass jeder ein Wissen bezüglich der Achtsamkeit haben muss. Eine Art von Vorstellung oder Definition, denn sonst würde sich ja keiner anmelden. Das zitierte Gespräch zeigt aber nicht eine klare Definition der Achtsamkeit, vielmehr den Vorgang der Definition, und das ist nicht dasselbe. Bleiben wir bei unserem Spaziergang hier kurz stehen. Es ist nämlich eine kleine Sehenswürdigkeit, an der wir sonst zu schnell vorbeigehen.

Machen wir einen routinemäßigen Spaziergang, so ist es selbstverständlich, dass jede Definition einen vorhandenen Gegenstand oder ein konkretes Ereignis wiedergibt. So die Routine. Weil sich normalerweise bei jeder Frage sowohl unser Gedächtnis wie auch unser Vorstellungsvermögen assoziativ aktivieren. Mit anderen Worten: Die beiden, Gedächtnis und Vorstellungsfähigkeit, durchsuchen blitzschnell sämtliche Speicher und Verbindungen, und wir erzählen das, an was wir uns im Zusammenhang mit dem Wort »Achtsamkeit« erinnern, oder aber wir berichten von dem, was wir uns darunter vorstellen. Das ist völlig korrekt und vermutlich der natürlichste Vorgang der Welt. Das Ergebnis ist für uns das, was »Achtsamkeit« ist.