Im Inneren der Bauverwaltung - Michaela Schmidt - E-Book

Im Inneren der Bauverwaltung E-Book

Michaela Schmidt

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Beschreibung

Wer macht eigentlich unsere Siedlungslandschaft? Diese Frage wird von Städtebauer_innen sowie Planer_innen meist beantwortet, indem sie sich selbst ins Zentrum stellen. Jedoch zeigen nicht nur umstrittene Großprojekte wie die Hamburger Elbphilharmonie oder der Berliner Flughafen, dass hierbei auch die Bauverwaltung eine in ihrer Wirkmacht oft unterschätzte Rolle spielt - sie ist es, die im Modus des Erteilens von Baugenehmigungen aktiv in das Leben und in die gebaute Umwelt eingreift. Abseits allfälliger Klischees wendet sich Michaela Schmidts Studie Bauprojekten in Schweizer Gemeinden und Kleinstädten zu, um dem Einfluss von Verwaltungen im Alltäglichen auf den Grund zu gehen und die realen Zusammenhänge und Wirkungen von städtebaulichen, politischen und administrativen Prozessen sichtbar zu machen.

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Seitenzahl: 493

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MICHAELA SCHMIDT

Im Inneren der Bauverwaltung

Eigenlogik und Wirkmacht administrativer Praktiken bei Bauprojekten

Publiziert mit Unterstützung des schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung im Rahmen des Pilotprojekts OAPEN-CH.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2016 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen.

Coverkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Korrektorat: Simon Bussieweke, Gütersloh EPUB-ISBN 978-3-7328-3333-7 E-Book-Konvertierung: Datagrafix publishing services, www.datagrafix.com

Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de

Inhalt

Vorwort
Zusammenfassung
Danksagung
Einleitung
I. Konzeption der Studie
1.1 Forschungsziele und Forschungsfragen
1.1.1 Forschungsziele
1.1.2 Forschungsfragen
1.2 Forschungsdesign
1.2.1 Feldzugang und Fallauswahl
1.2.2 Erhebungsmethoden und Datenmaterial
1.2.3 Auswertung des Datenmaterials
1.3 Einsatz von Video in der empirischen Forschung
1.3.1 Methodische Implikationen
1.3.2 Videoeinsatz in der vorliegenden Arbeit
1.3.3 Fazit: Videoeinsatz zur Erfassung des Materiellen und Non-Verbalen
1.4 Fazit: Leitlinien und Methode der Studie
II. Gegenstand und Stand der Forschung
2.1 Forschungsgegenstand Gemeinde
2.1.1 Wissenschaftliche Arbeiten zur Erforschung der Gemeinden in der Schweiz
2.1.2 Variationen des Gemeindebegriffs
2.1.3 Wandel des Gemeindebegriffs in den Wissenschaften
2.1.4 Fazit: Erweiterung des Gemeindebegriffs
2.2 Städtebaulicher Diskurs in der Schweiz
2.2.1 Alpenmythos vs. Aggloschweiz
2.2.2 Städtebauliche Leitbilder der Schweiz I
2.2.3 Historischer Abriss des Urbanisierungsprozesses in der Schweiz
2.2.4 Städtebauliche Leitbilder der Schweiz II
2.2.5 Aktueller städtebaulicher Diskurs
2.2.6 Schweizer Gemeinde im städtebaulichen Diskurs
2.2.7 Fazit: Re-Positionierung der Gemeinde
2.3 Verwaltung – Von Max Weber zu New Public Management
2.3.1 Formale Organisationen und Bürokratien in den Klassikern und in der neueren Organisationstheorie
2.3.2 Explizite Beschäftigung der Organisationssoziologie mit Bürokratie und Verwaltung
2.3.3 Verwaltungen als Paradegegenstand der Verwaltungswissenschaften
2.3.4 Fazit: Erweiterung etablierter Forschungskonzepte
2.4 Fazit: Trans-sequentielle Analyse (TSA) als theoretischer Fokus
III. Drei Bauverwaltungen im Kontext
3.1 Visp
3.1.1 Planungskultur
3.1.2 Bauverwaltung
3.2 Wetzikon
3.2.1 Planungskultur
3.2.2 Bauverwaltung
3.3 St. Margrethen
3.3.1 Planungskultur
3.3.2 Bauverwaltung
3.4 Fazit: Kontext der drei Bauverwaltungen
IV. Annäherungen
4.1 Bauverwaltung: Wege und Bewegungen im Inneren
4.1.1 (Bau-)Ämter als steingewordene Herrschaft
4.1.2 Einschluss- und Ausschlussmechanismen von Bauämtern am Beispiel von (Amts-)Türen
4.1.3 Fazit: Strukturelle Ordnung von Bauämtern
4.2 Das Baubewilligungsverfahren als ordnendes Element
4.2.1 Annäherungen an das Baubewilligungsverfahren
4.2.2 Ablauf des Baubewilligungsverfahrens
4.2.3 Fazit: Alternative Betrachtungsweise der administrativen Prozesse
V. Case-Making
5.1 Die administrative Maschinerie wird angeworfen
5.1.1 Wie aus einem Bauprojekt ein administrativer Fall wird
5.1.2 Vorprüfungen und Pläne – Erste Verdichtung der Praxis des administrativen Case-Making
5.1.3 Fazit: Ereignis-Prozess-Relationen der Baueingabe
5.2 Die Sprechstunde: Eine Arbeitssession als Intermezzo der administrativen Praxis?
5.2.1 Sprechstunde I: Positionierung im Sitzungszimmer
5.2.2 Phänomen der Stellvertretung
5.2.3 Sprechstunde II: Tastbewegungen zwischen Hochbauleiter und Architektin
5.2.4 Fazit: Sprechstunde als Effekt und Zwischenspiel des Verfahrens
VI. Vorbereitung und Aufbewahrung
6.1 Das Bauprojekt im Büro der Bauverwalterin
6.1.1 Administrative Praktiken – Vom scheinbar endlosen Prüfen
6.1.2 Ordnung halten: Akten als administrative Informationssegmente und Aktenschränke als multiple Handlungsträger
6.2 Fazit: Prozessorientierte Arbeit am Bauprojekt
VII. Beurteilung
7.1 Stadtbildkommission: Externe Expertisen und Diskussionen am Objekt
7.1.1 Stadtbildkommission in Aktion
7.1.2 Diskussionen am Bauprojekt
7.2 Fazit: Öffnen eines Möglichkeitsraums
VIII. Entscheidung
8.1 Der Entscheid wird formuliert
8.1.1 Baukommission in Aktion
8.1.2 Fixierung des Bewilligungsentscheids
8.1.3 Baukommission und Stadtbildkommission im Vergleich
8.2 Fazit: Qualifizierung der fragmentierten Siedlungslandschaft
IX. Schlussbetrachtung
9.1 Beziehungsordnungen von administrativen Ereignissen und Prozessen
9.2 Geographie und Materialität von Ämtern und Arbeitsprozessen
9.3 Zeit als relevantes Medium administrativer Praxis
9.4 Transformationen des Bauprojektes im Modus der Kooperation
9.5 Fazit: 12 Thesen zur administrativen Eigenlogik und Wirkmacht der Bauverwaltung auf die gebaute Umwelt
Referenzen
Literaturverzeichnis
Vignettenverzeichnis
Videostillverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis

Vorwort

Die Architektur entwirft und plant Bauwerke nicht losgelöst von Recht, Politik und Staatlichkeit, sondern ist auf verschiedensten Ebenen durchgängig mit diesen konfrontiert. Planungsvorgaben, Standards, Vorschriften sind den Gebäuden eingeschrieben und verlangen nach gekonnten Übersetzungen in die jeweilige lokale Gemengelage.

Es wäre also, dies ist Michaela Schmidts grundsätzliche Lehre, unzureichend, die architektonische Praxis auf einen unabhängigen kreativen und ökonomischen Prozess zu reduzieren. Vielmehr ist es ein Planen im Planen: eine Gleichzeitigkeit von Planungsschichten und -dimensionen, die die Architekten/-innen sukzessive vermitteln und aufeinander zubewegen.

Schmidts Ethnographie verkompliziert also die gängige, reduzierte Sicht auf die Architektur – und das ist gut so. Denn Architektur ist nicht nur eine gesellschaftliche Praxis, insofern der umbaute Raum stets Gesellschaft mit hervorbringt, Bedingungen und Gelegenheiten für Sozialitäten bereithält oder auch vorenthält. Architektur ist gesellschaftlich, weil politische, rechtliche, kulturelle Möglichkeiten und Restriktionen immer schon in den Planungsprozess eingewoben sind und werden.

Dies erklärt die hohe Relevanz der vorliegenden Forschungsarbeit. Die Bauverwaltung mit ihren Verfahren ist keine lästige Formalität oder eine trockene Materie, weit ab vom spannenden Gestaltungsprozess, sondern andersherum: Sie ist eine beständige Herausforderung, die ihrerseits nach Kreativität und Know How verlangt.

Schmidt hat sehr aufwendig, kenntnisreich und ihrerseits kreativ die Arbeit der Bauverwaltungen in verschiedenen Gemeinden untersucht. Sie hat verschiedene Fälle behandelt und entlang des praktischen Vorgehens nachvollzogen, wie sich das Verwalten in den Planungen einnistet und niederschlägt. Die Autorin nimmt dabei stets Arbeitssituationen zum Ausgangspunkt: nicht Selbstdarstellungen oder Geschichten. Heraus kommt eine komplexe Beschreibung der Eigenlogik und Wirkmacht der amtlichen Tätigkeiten an ihrem Gegenstand: den Bauwerken.

Aufwendig ist diese Art der Forschung, weil der Praxis vielfältigste Daten abgerungen werden: Feldnotizen, Zeichnungen, Tonaufnahmen, Videofilme, Dokumente, Pläne etc. Das untersuchte Feld ist – und das zeichnet die Praxis bereits aus – voll mit den verschiedensten Objektivierungen, Verdinglichungen, Veranschaulichungen. Diese schaffen und nutzen die Praktiker/-innen methodisch, um die sich stellenden praktischen Anforderungen klein zu arbeiten.

Um diese Arbeit nicht als bloße Routine oder vom Ende her zu verflachen, hat sich Schmidt außerdem für eine Betonung der Zeitlichkeiten der Planungsprozesse entschieden. Sie will die Arbeit und die praktischen Relevanzen der Handgriffe und Objekteinsätze im jeweiligen Vollzug nachspüren. Die Bedeutungen zeigen sich in den Arbeitssituationen und in der Position der Arbeitssituationen im weiteren Arbeitsprozess. Diese trans-sequentielle Sicht, also die Vermittlung von Arbeitsepisoden und Arbeitsprozessen am Arbeitsgegenstand bzw. dem formativen Objekt der Arbeit, ist selbst höchst anspruchsvoll. Sie ist aber auch nötig, soll die Arbeit von Bauverwaltung und Architekten/-innen nicht auf bloße Darstellungskunst oder auf ein vorprogrammiertes Tun reduziert werden.

So schafft es Schmidt nicht nur einen wichtigen Beitrag für die Praxis der Architektur zu leisten, sondern die Praxisforschung selbst um einen wichtigen Beitrag zu bereichern. Sie zeigt, wie etwas sukzessive entfaltet wird und dieses Etwas die an ihm Arbeitenden in den Bann zieht. Es ist der Arbeitsgegenstand, der mit fortschreitender Bestückung die noch möglichen Beiträge herausfordert und diszipliniert. Je weiter die Sache fortschreitet, umso geringer gestalten sich die Möglichkeiten, alles neu zu entwerfen. Der Planungsprozess schließt sich am Gegenstand.

Diese Ethnographie ist damit Praxisforscher/-innen ebenso empfohlen, wie der Architektur- und Stadtforschung. Sie können lernen, wie sich Städte auch heute noch (um-)gestalten lassen, wie also der architektonische Prozess selbst politisch moderiert werden kann und wo eine Verwaltung und Steuerung ihren Gegenstand überformt. Diese zu kultivieren, ist in Zeiten städtischer Verdichtung, der Zersiedelung, der sozialen Desintegration und Gentrifizierung sowie der anstehenden Ökologisierung mehr denn je geboten.

Prof. Thomas Scheffer – Frankfurt, der 22.08.2016

Zusammenfassung

Die Siedlungslandschaft der Schweiz präsentiert sich heutzutage als dicht be- und zersiedelter polyzentrischer Raum, manifestiert durch die vielfältig durchflochtenen Agglomerationsräume des Mittelandes, des Tessins und des Wallis. Städtebauerinnen und Städtebauer sowie Planerinnen und Planer streben eine Re-Qualifizierung dieser fragmentierten Siedlungslandschaft an. Sie vernachlässigen aber eine wichtige Ebene im Diskurs und im Prozess des Städtebaus: die Gemeinde und mit ihr die Bauverwaltung. Die Wirkmacht der Gemeinde war bisher kaum Thema im städtebaulichen Diskurs, obwohl jedes Bauprojekt die administrative Maschinerie durchlaufen muss und die schweizer Gemeinde im europäischen Vergleich über eine ausgeprägte autonome Selbstverwaltung verfügt.

Die vorliegende Studie füllt diese Forschungslücke und gibt erstmals tiefgründige Einblicke in die Arena der Bauverwaltung. Sie untersucht die zentrale und unangetastete Position der Gemeinde und die Eigenlogik der administrativen Praktiken in ihrer Wirkmacht auf Bauprojekte und in deren Summe auf die gebaute Umwelt. In den drei Gemeinden Visp, Wetzikon und St. Margrethen, die gleichsam einen Querschnitt durch die deutschsprachige Schweiz liefern, wurden über einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren die administrativen Prozesse beobachtet und zentrale Sitzungen mit der Videokamera aufgenommen. Durch den ethnographischen Zugang gelang es, anstelle einer Gemeindeforschung, die aufzeigt, was eine Gemeinde ist, zu verstehen, wie eine Gemeinde wirkt. Ermöglicht hat dieser Perspektivwechsel die trans-sequentielle Analyse, die ihrerseits die Fokussierung auf die administrative Praxis und das Objekt in Arbeit (Bauprojekt) in den Mittelpunkt stellt.

Die Studie zeigt dreierlei Haupterkenntnisse: Erstens, in den Alltagsroutinen wird die Bauverwaltung als Prüfungsapparat zunächst reproduziert. Die administrative Qualifizierung des Bestandes setzt sich danach in der Qualifizierung der Fragmentierung und Zersiedelung der gebauten Umwelt fort, auch weil in den Entscheidungsprozessen häufig nicht die Siedlungslandschaft als Ganzes im Fokus steht, sondern deren vielfältige Teilstücke. Zweitens, der Bewilligungsprozess darf nicht als lineare Abfolge der gesetzlich vorgegebenen Meilensteine gelesen werden, sondern als fallspezifischer relationaler Prozess, in dem sich das Verhältnis der einzelnen Arbeitsepisoden und Prozesse jeweils neu konfiguriert. Drittens schafft die Bauverwaltung in der alltäglichen Praxis Möglichkeitsräume, um die geschlossenen Foren und routinierten Bewilligungsabläufe zu durchbrechen. Die Eigenlogik der administrativen Praxis dient in solchen Fällen der Justierung ihrer Wirkung, um die Qualifizierung der Siedlungslandschaft jenseits technischer Prüfungskriterien voranzutreiben.

Will man die Fragmentierung der Siedlungslandschaft zukünftig besser kanalisieren, gilt es, die Gemeinde und mit ihr die Bauverwaltung im städtebaulichen Diskurs und Prozess zu re-positionieren. Dabei empfiehlt diese Studie eine Abkehr von der administrativen Logik der Regularien und eine Neufokussierung auf eine möglichst fallspezifische, relationale administrative Praxis, die auf gesetzlich legitimierten Möglichkeitsräumen basiert.

Danksagung

Ich danke meinen Referenten Dietmar Eberle und Thomas Scheffer für die Betreuung und Beurteilung der Arbeit sowie ihre wohlwollende Unterstützung. Ein besonderer Dank geht an meinen Mentor Ignaz Strebel, der mir das Feld der Videoforschung eröffnete, mir beständig mit Rat & Tat zur Seite stand und wann immer erforderlich für die nötige Motivation sorgte. Des Weiteren danke ich Lineo Devecchi und Matthias Loepfe für die fruchtbaren Diskussionen im Team, die kreativen Abende und die gemeinsamen Vorträge auf zahlreichen Konferenzen und Tagungen.

Finanziell wurde die Studie zu einem bedeutenden Teil vom Nationalen Forschungsprogramm NFP 65 Neue urbane Qualitäten getragen sowie von der ETH Abschlussförderung.

Am ETH Wohnforum, das mir stets eine gute Anlaufstation gewesen ist, möchte ich mich bei all meinen Kolleginnen und Kollegen für die inhaltliche, organisatorische und emotionale Unterstützung bedanken. Insbesondere bei Eveline Althaus, Peter Tränkle, Jan Silberberger, Anouk Welti und der Mittwochsdiskussionsrunde. Eine wichtige Quelle der Inspiration stellte der Arbeitskreis politische Ethnographie der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt dar, der mich oftmals von der Ferne aus in meinem Schreiben inspirierte.

Ein grosser Dank geht an die Mitarbeitenden der Bauverwaltungen in Wetzikon, St. Margrethen und Visp, die mich für mehrere Monate in ihrem Team aufnahmen und mir gestatteten, ihren Arbeitsalltag mit der Videokamera zu beforschen. Ohne sie wäre diese Arbeit nicht möglich gewesen.

Große Teile meiner Dissertation entstanden im Doktorandenarbeitsraum am ETH Hönggerberg in Zürich. In dieser Zeit durchlebte ich gemeinsam mit meinen Doktorandenkolleginnen und Kollegen etliche Höhen und Tiefen des Promotionsalltags. Ich danke Claudia Moll, Ying Zhou, Oliver Kribus und besonders Andrea Hagen für die gemeinsame Zeit. Weiterhin möchte ich mich bei Sebastian Panschar, Jan Holzhauer, Tino Schlinzig und Kathrin Panschar, Cathrin Bullinger, Nona Shgenti sowie bei allen anderen Weggefährtinnen und Gefährten bedanken, die mir eine Hilfe & Stütze in wissenschaftlichen oder alltagsweltlichen Belangen gewesen sind. Sie alle bereicherten die Zeit der Promotion.

Ohne Alexander Führer wäre diese Arbeit nicht die, die sie heute ist. Er hat mich mit unglaublichen Elan und Eifer emotional unterstützt, umsorgt und niemals an dem Unterfangen meines Promotionsprojektes gezweifelt. Ich danke ihm für die herausfordernden letzten Jahre und freue mich auf die Abenteuer, die vor uns liegen.

Nicht zu Letzt danke ich meinen Eltern & meiner Schwester sowie meiner Familie im Kleinen wie im Großen, die, seid ich denken kann, an mich glauben, meine Wege unterstützen und mich mit emotionaler Wärme umgeben.

Einleitung

Abb. 1: Stadtbildkommission, Sitzungstisch, eigenes Foto.

Die gesellschaftlichen Entwicklungen im 21. Jahrhundert sind stark von Globalisierungsprozessen auf ökonomischer wie auch auf gesellschaftlicher Ebene geprägt, die sich durch steigende Komplexität, Mobilität und Arbeitsteilung der Gesellschaft äußern. In der Geographie kursieren Denkmodelle wie das der Glokalisierung, in denen sich globale Phänomene im Lokalen niederschlagen und die Bedeutung zwischen Globalem und Lokalem verhandelt werden (Robertson 1998). Vermehrt ist neben einer Fokussierung auf das Städtische eine zunehmende Wiederentdeckung des Lokalen, der Gemeinde als Lebensraum zu beobachten. Städtische und ländliche Lebensmodelle durchdringen sich beispielsweise in suburbanen und periurbanen Situationen. Die Analysen der Siedlungslandschaft der Schweiz verdeutlichen, dass die historischen Pole und Ordnungskategorien von Stadt und Land oftmals nicht mehr greifen (Flückiger & Frey 2001, Eisinger 2003, Diener et al. 2005). Die gebaute Umwelt präsentiert sich vielmehr als dicht be- und zersiedelter polyzentrischer Raum; manifestiert durch vielfältig verflochtene Agglomerationsräume des Mittellandes, des Wallis und des Tessins sowie einer zunehmenden Verknappung des Bodens. Laut Bundesamt für Statistik (2014) wohnen aktuell 73 % der Bevölkerung in der Schweiz in diesen städtisch geprägten Gebieten. Volksinitiativen wie die 2012 verabschiedete Zweitwohnungsinitiative, die Revision des neuen Raumplanungsgesetzes oder das lancierte nationale Forschungsprogramm NFP 65 Neue urbane Qualität (2011-2014) haben das Ziel, dieser Siedlungsentwicklung entgegenzusteuern, sie einzudämmen oder zu kanalisieren, um, wie es in der Bundesvorlage zum Raumplanungsgesetz heisst: »Die Attraktivität der Schweiz als Wohn- und Arbeitsort zu gewährleisten.«

Im städtebaulichen Diskurs standen bis zur Jahrtausendwende besonders Akteursgruppen aus Politik, Planung und Wirtschaft als entscheidende Einflussgrößen im Zentrum der Debatten (Eisinger 2003, Herzog et al. 2006). Doch jüngst rückt die Gemeinde (und mit ihr die Bauverwaltung) als aktive Siedlungsgestalterin in den Blick der Expertinnen und Experten1 auf dem Gebiet des Städtebaus (Oswald & Schüller 2003, Schmid 2006, Herzog et al. 2006, Lampugnani 2007). Da die Gemeinde im Zuge der helvetischen Eigenart der ausgeprägten Gemeindeautonomie erstens, über die Steuerhoheit verfügt, zweitens, mit der Bau- und Zonenordnung die bauliche Entwicklung des Territoriums steuert und drittens, an der Durchsetzung ihrer Partikularinteressen interessiert ist (Schmid 2012).

Althergebrachte Gouvernance-Strukturen, Planungskulturen und administrative Praktiken werden im Zuge der Siedlungsentwicklung herausgefordert und führen zu: »Vollzugsprobleme(n) außerhalb jeglicher Routine« (Geser 2002:456). Nicht nur die Bedeutung der kommunalen Ebene – sei es auf Grund der ausgeprägten Gemeindeautonomie oder der großen Anzahl der Bevölkerung, die in Gemeinden lebt – auch der Druck und das Aufgabenspektrum, mit denen Gemeinden konfrontiert werden, wächst. Dies schlägt sich besonders im Alltag des Verwaltungsapparates nieder, der in immer schnellerer Folge neue Regeln, Weisungen und Richtlinien umzusetzen hat, sich den höheren Ansprüchen der Bürgerinnen und Bürger mit wachsendem Bildungs- und Wohlstandsniveau stellen muss und in diesem Zusammenhang bereits bei erstinstanzlichen Entscheidungen größere Sorgfalt und Transparenz walten lässt – dies, um formelle Beschwerden zu umgehen (ebd.). Zudem ist bei vielen Vollzugsaufgaben, wie sie dem Bau- und Planungswesen eigen sind, der Einbezug von wissenschaftlichem und technischem Expertenwissen nötig, der die Zusammenarbeit mit externen Akteurinnen und Akteuren erfordert. Der Soziologe Hans Geser weist dementsprechend auf den notwendigen Strategiewechsel von Gemeinden hin:

»Ihre Chancen der Selbstbehauptung bemessen sich heute weniger an ihrem Vermögen sich rein defensiv gegen Interventionen überlokaler Akteure zur Wehr zu setzen, sondern immer mehr an ihrer Kapazität, sich offensiv […] zu behaupten.« (Geser 2002:433)

Neben der Forderung einiger Städtebauerinnen und Städtebauer, die aktive Rolle der Gemeinde resp. der Verwaltung und deren Einfluss auf die Siedlungsentwicklung zu thematisieren (Eisinger 2003, Diener et al. 2006, Schmid 2012), findet sich die Forderung, die Wirkmacht von Organisationen auf ihre (gebaute) Umwelt zu erforschen, ebenfalls in der theoretischen Diskussion der Organisationssoziologie (Allmendinger & Hinz 2002). Hier wird großer Forschungsbedarf gesehen. Denn bisher stand die umgekehrte Richtung des Einflusses der (gebauten) Umwelt auf Organisationen resp. Organisationseinheiten im Zentrum (organisations-)soziologischen Forschens (siehe oben, Kap. 2.2).

Die vorliegende Dissertation wird jene Forschungslücken der Organisationssoziologie und des Städtebaus füllen, wenn ich erstens die administrativen Praktiken zur Begleitung, Beurteilung und Bewilligung von Bauprojekten untersuche und zweitens aufzeige, wie bzw. inwiefern Bauprojekte im Zuge der administrativen Arbeit formuliert resp. re-formuliert werden. Drittens wird analysiert, wie administrative Praktiken auf Bauprojekte und somit auf die gebaute Umwelt wirken. Wichtig dabei ist, dass nicht die Veränderungen eines Bauprojektes im Sinne einer Analyse der Vorher-Nachher-Situation, wie sie den Analysen der Disziplin der Architektur eigen ist, im Fokus steht, sondern die administrativen Praktiken und deren fortwährende Arbeit an Bauprojekten. Die Vielfalt der administrativen Praktiken interessiert in einer praxeologischen Perspektive, die die administrative Arbeit in situ und somit in the making untersucht, um die Wirkmacht und Eigenlogik der Bauverwaltung auf die gebaute Umwelt aufzuzeigen.

Dieses Forschungsziel wird erreicht, indem ich mich dem vielfältig verflochtenen Netz administrativer Praktiken von Bauämtern zuwende und das Innere der bisher unerforschten Arena der administrativen Blackbox offenlege. Dabei interessiert ebenso das große Arsenal bestehend aus materieller Infrastruktur (Büromöbel und Büroartefakte) unterschiedlichster Territorien (Eingangsbereich, Gänge, Büros, Sitzungszimmer, Kaffeeraum etc.) wie der komplexe Apparat von Verfahrensweisen und Regeln, die die Durchführungen administrativer Praktiken rahmen und voraussetzen. Im Lichte dessen werden die administrativen Praktiken en détail entlang der einzelnen administrativen Fertigungsschritte zur Beförderung des Bauprojektes durch den administrativen Apparat erforscht. Am Ende wird geklärt sein, welche Wirkung die administrativen Praktiken im Modus ihrer Eigenlogik auf die gebaute Umwelt ausüben und ob im Zuge dessen eine Re-Positionierung der Gemeinde, im Sinne einer qualitativ hochstehenden Siedlungsentwicklung, angebracht ist.

Dieserart leistet die Studie Grundlagenforschung auf mindestens zwei Gebieten: Erstens auf einer theoretischen und methodischen Ebene der Soziologie, da bestehende Konzepte und Methoden hinterfragt und erweitert werden, um den Untersuchungsgegenstand der Bauverwaltung angemessen zu untersuchen. Zweitens auf dem Gebiet des Städtebaus, da mit der Bauverwaltung eine bisher vernachlässigte aber gleichsam wesensimmanente Komponente im Bereich der Siedlungsentwicklung in ihrem administrativen Handeln und Wirken erforscht wird und deren Wirkmacht auf die gebaute Umwelt analysiert wird.

Im ersten Kapitel wird die Konzeption der Studie erläutert. Zunächst erfolgt die Darlegung der Forschungsziele und das Explizieren der Fragestellungen der Dissertation (Kap. 1.1). Daran schließt sich die Erläuterung des Forschungsdesigns (Kap. 1.2) an. Unter dem Stichpunkt Feldzugang und Fallauswahl wird vor dem Hintergrund der spezifischen Anforderungen institutioneller Settings, die sich durch eine Logik der Regularien auszeichnen, der Zugang zum Feld und die systematische Auswahl der Fallstudien erläutert. Im Unterkapitel Erhebungsmethoden wird deutlich, dass die Ethnographie das geeignete Instrument zur Erreichung der Forschungsziele und somit zur Untersuchung der Praxis der Bauverwaltung ist. Sie ermöglicht den Forschungsgegenstand insbesondere aus zweierlei Gründen in seiner Tiefe zu untersuchen, da die ethnographische Forschungshaltung erstens, die Methoden konsequent am Untersuchungsgegenstand und im Speziellen an der Praxis der Akteurinnen und Akteure ausrichtet. Zweitens, nicht nur, wie es beispielsweise bei Interviews möglich ist, rückblickend eine Reflektion und Analyse der Arbeitsprozesse oder vorausschauend einen Plan der Arbeitsprozesse abzurufen, sondern die Praxis, die administrative Arbeit am Bauprojekt in the making zu beobachten.

Die zentrale Methode ist deshalb die teilnehmende Beobachtung. Dabei konzentrierte ich mich insbesondere auf die Begleitung der Mitarbeitenden der Bauverwaltung in ihrem Arbeitsalltag, Ortsbegehungen und den Einbezug von Dokumenten (visuelle Werkzeuge, Notizen, Formulare etc.), die den Arbeitsalltag der Akteurinnen und Akteure mitbestimmen sowie ergänzende Interviews. Die Auswertung des Datenmaterials orientiert sich dezidiert an der Praxis der Akteurinnen und Akteure und wird hauptsächlich in Form von Vignetten als verdichtete Situationsbeschriebe verfügbar gemacht (Kap. 1.2). Eine Besonderheit liegt in der Verwendung der Videokamera, mit der ich zentrale Sitzungen der Bauverwaltung aufzeichnete. Dieser, im vorliegenden Forschungskontext bisher selten verwendeten Methode, wird deshalb ein eigenes Teilkapitel gewidmet, in dem der Einsatz, die Anwendung und der Nutzen diskutiert wird (Kap. 1.3).

Das zweite Kapitel der Dissertation dient der Klärung des Forschungsgegenstands sowie des Stands der Forschung im Themenfeld der Gemeinde resp. der Verwaltung und macht gleichsam den Unterbau der Studie verfügbar (Kap. 2). Hier zeige ich die Relevanz der vorliegenden Forschungsarbeit sowie Forschungsdesiderate in Städtebau und Verwaltung auf. Zunächst gilt es, den Forschungsgegenstand der Gemeinde an sich zu klären, um im Speziellen die Bauverwaltung im Dickicht der Gemeindebegriffe zu verorten (Kap. 2.1). Diese ist als Teil der politischen Gemeinde im administrativen Gefüge als prüfende, ausführende, bewilligende und mitunter planende Akteurin für sämtliche städtebauliche Belange der (politischen) Gemeinde zuständig. Im Zuge dessen plädiere ich für ein ontologisches Verständnis, welches die Gemeinde als eine aktive Akteurin begreift, um jenseits des passiven Rollenverständnisses (Gemeinde als Verwaltungseinheit, Gemeinde als Laboratorium) mit einer relationalen prozessbasierten Perspektive die Eigenlogik der Bauverwaltungen und deren Wirkmacht auf die Bauprojekte sowie in ihrer Summe die gebaute Umwelt aufzuzeigen.

Jene Wirkmacht auf die Siedlungsentwicklung thematisiere ich im darauffolgenden Unterkapitel: Der städtebauliche Diskurs in der Schweiz (Kap. 2.2). Die Übersicht des aktuellen städtebaulichen Diskurses, der zwischen einem verblassenden Alpenmythos und der sogenannten Aggloschweiz, einer stark zersiedelten Agglomerationslandschaft, changiert und Fragen der zukünftigen (qualitativen) Siedlungsentwicklung aufwirft, befördert die aktuellen Herausforderungen des Städtebaus in der Schweiz zu Tage. Im Lichte dessen rückt die Gemeinde und mit ihr die Bauverwaltung stärker ins Zentrum der Aufmerksamkeit. In Kapitel 2.3 mache ich den Forschungsstand zu institutionellen Settings verfügbar und spanne einen Bogen von den historischen Forschungsarbeiten Max Webers, über die französische Schule der Organisationssoziologie um Michael Crozier, bis hin zu den Ansätzen des New Public Managements. Zugleich wird der Gegenstand der (Bau-)Verwaltung im Dialog mit den Verwaltungswissenschaften schärfer gefasst. Am Ende steht die Feststellung, dass die etablierten Forschungskonzepte zur Erreichung der Forschungsziele der Dissertation erweitert werden müssen.

Ich schließe meine Ausführungen des gesamten Kapitels mit einem Fazit, dass die Erweiterung der etablierten Konzepte aufnimmt und verdeutlicht, dass die Studie theoretisch im Umfeld der institutionellen Ethnographie verankert wird (Kap. 2.4). Im Zuge dessen werden mit der institutionellen Ethnographie die administrativen Arbeitsvollzüge und Fertigungsschritte an Bauprojekten in den Mittelpunkt gestellt. Durch den analytischen Fokus der Trans-Sequentialität (trans-sequentielle Analyse, TSA) von institutionellen Prozessen, sprich der Verschränkung von Prozess (Baubewilligungsverfahren) und Ereignis (Baueingabe, Sprechstunde, Sitzungen) bekomme ich das relationale Verhältnis von Ereignis und Prozess in den Griff (Scheffer 2010). Im Verlauf der Studie wird der trans-sequentielle Fokus der TSA unter Einbezug der materiellen Infrastruktur (Architektur, Büromobiliar und Büroartefakte) im Zusammenspiel mit den alltäglichen Handlungsvollzügen der Akteurinnen und Akteure in einer praxeologischen Orientierung erweitert.

Kapitel 3 der Studie nimmt die drei Untersuchungsgemeinden Visp, Wetzikon und St. Margrethen und deren Bauverwaltungen in den Blick. Das Kapitel fungiert als Bindeglied zwischen dem Forschungsstand (Kap. 1), dem theoretischen und methodologischen Hintergrund (Kap. 2) und dem empirischen Teil (Kap. 4-8). Nach der Einordnung der Fallstudien in die jeweilige Region und einer Übersicht zur sozio-ökonomischen Entwicklung, widme ich mich der Planungskultur der jeweiligen Gemeinden. Sodann verenge ich die Beschreibung auf die Bauverwaltung, deren organisatorischen Aufbau sowie die Architektur und strukturräumliche Gliederung. Spätestens an dieser Stelle verflüssigen sich Beschreibung und Analyse der Fallstudien. Das Kapitel liefert einen wichtigen Baustein zur nachfolgenden Analyse der Eigenlogik und Wirkmacht der administrativen Praktiken auf die gebaute Umwelt, da es den ökonomischen, gesellschaftlichen und materiellen Kontext der drei untersuchten Bauverwaltungen verfügbar macht.

In den Kapiteln 4-8 steht das empirische Datenmaterial im Zentrum der Arbeit. In fünf analytischen Schritten wird die vermeidliche administrative Blackbox Bauverwaltung geöffnet (Kap. 4-8). Unter dem Stichwort Annäherung nähere ich mich dem Untersuchungsgegenstand und gleichsam dem Inneren der Bauverwaltung an. Den Einstieg bildet die Reflektion über das architektonische Gehäuse, auch um den symbolischen Gehalt von Amtsgebäuden aufzuzeigen. Sodann folge ich in einer ersten Vignette einer bauwilligen Architektin auf dem Weg zur Bauabteilung. Dieserart schlage ich erstens, eine Brücke zu den Bauverwaltungen der Untersuchungsgemeinden (Kap. 3), zweitens, diskutiere ich Machtfragen, die sich beispielsweise an den verschiedenen (Amts-)Türen von Verwaltungsgebäuden konkretisieren und öffne drittens, in einem ersten Schritt die Blackbox der Bauverwaltung.

Im zweiten Teil des Kapitels findet eine Vertiefung der Annäherung statt – dies im Sinne der viel zitierten Fragen des Ethnologen Clifford Geertz: »What the hell is going on here«2, die mich zum Baubewilligungsverfahren als ordnendes Element im administrativen Arbeitsfluss führte (Kap. 4.2). Hier findet eine Beschreibung dessen statt, was eine Bauverwaltung ausmacht. Dieser Schritt ist essentiell, um in den nachfolgenden Schritten deren Eigenlogik und Wirkmacht herauszuarbeiten, sprich, wie die Bauverwaltung wirkt, was sie produziert, was sie macht. Im Zuge dessen entwickle ich im Dialog mit der Zielsetzung der Arbeit (Offenlegung der Wirkmacht und Eigenlogik), den empirischen Daten und der Theorie fünf funktionelle Episoden des administrativen Fertigungsprozess: Eingaben/Anfragen, Arbeitssessionen, Prüfungen des Objekts, Vorformulierungen, Passagepunkte. Auf diese Weise wird eine alternative Betrachtungsweise jenseits der gesetzlichen Meilensteine gesetzt, ohne das komplexe Akteursnetz wie auch die unterschiedlichen Zeitlichkeiten zu determinieren. Diese analytische Setzung dient als wichtige Rahmung für die nachfolgenden Analysen, sodass auch die vielen Zwischentöne der administrativen Praxis herausgearbeitet werden können.

Das darauffolgende fünfte Kapitel ist mit Case-Making überschrieben (Kap. 5). In diesem zweigeteilten Kapitel findet eine erste empirische Tiefenbohrung statt. Im Mittelpunkt steht das administrative Case-Making, sprich die Praxis der Bauverwaltung, Bauprojekte in administrative Fälle zu transformieren. Spätestens mit der Baueingabe findet ein Bauprojekt den Weg in die administrative Maschinerie, sodass ein neuer Fertigungsprozess angestoßen wird (Kap. 5.1). Bauprojekte werden von der (materiellen) Sprache der Architektur (von Plänen, Modellen) in die der Administration übersetzt (in administrative Informationssegmente). Die Vignette einer Baueingabe dient zur Analyse der empirischen Daten. Im Lichte dessen können gleich einem Brennglas die Methoden und Prozesse der Mitarbeitenden zur Beförderung von Bauprojekten in den administrativen Apparat herausgearbeitet werden.

Im zweiten Teil des Kapitels nehme ich das Ereignis der Sprechstunde in den Blick, in dem Bauprojekte zwischen Bauverwaltung und Städtebau diskutiert werden (Kap. 5.2). Diese Arbeitssession muss als Verlängerung des administrativen Case-Makings gelesen werden. Fragen des Verhältnisses zwischen Ereignis und Prozess im Bezug auf das Endprodukt der Baubewilligung werden hier ebenso diskutiert, wie die Arbeitsvollzüge zwischen Bauverwaltung und Projektverfasserinnen und -verfassern, die sich als Tastbewegungen charakterisieren lassen. Das fünfte Kapitel verdeutlicht insgesamt erste wichtige Qualifizierungsschwellen des Bauprojekts im Zuge der (prüfenden) Praxis der Bauverwaltung.

Die Büros der Bauverwaltung, insbesondere das der Bauverwalterin bzw. des Bauverwalters, nehmen eine wichtige räumliche wie arbeitspraktische Scharnierfunktion im Baubewilligungsprozess ein (Kap. 6). Im sechsten Kapitel fokussiere ich denn auch auf diese gleichsam verbindenden wie individualisierten und stillen Arbeitspraktiken des Ordnens, Prüfens und Verwaltens, die alle auf das entscheidende Ereignis der Baukommissionssitzung ausgerichtet sind. Im Zuge dessen werden die administrativen Informationssegmente eines Bauprojektes mit vergangenen Ereignissen verknüpft (wie Baueingabe, Sprechstunde) und im Bezug auf Zukünftiges (Baufreigabe) bearbeitet; dies im Wechselspiel mit der materiellen Infrastruktur. Die Eigenlogik und Wirkmacht der Bauverwaltung als Prüfungsapparat tritt hier am stärksten zu Tage.

In den letzten beiden empirischen Kapiteln beziehe ich die Daten aus den Videoaufnahmen der Stadtbildkommissionssitzungen und Sondersitzungen sowie die der Baukommissionssitzungen mit ein. In der empirisch fundierten Tiefenbohrung von Kapitel 7 stehen die Arbeitspraktiken der Stadtbildkommission im Zentrum. Der Fokus liegt auf den praktischen, symbolischen und materiellen Handlungsvollzügen, die nötig sind, um Bauprojekte durch die Arbeitssession der Kommission zu befördern. Im Vergleich zum achten und letzten empirischen Kapitel (Kap. 8) zeigt sich, dass in der Arbeitssession der Stadtbild- resp. Sondersitzung das administrative Korsett zuweilen abgestreift wird.

In Kapitel 8 wird der maßgebliche Passagepunkt des Bewilligungsprozesses greifbar: Die Baukommissionssitzung und mit ihr die Festsetzung des Entscheids. Ist dieser Passagepunkt für die Projektverfassenden ein wichtiges Ereignis, so relativiert sich der ereignishafte Charakter im Zuge des Bewilligungsprozesses für die Mitarbeitenden der Bauverwaltung, denn vorausgegangene administrative Arbeitsprozesse nehmen ihm die Brisanz. Zugleich wird aber der Entscheid endgültig am Bauprojekt befestigt, sodass sich der administrative Fertigungsprozess im Falle der Baufreigabe dem Ende entgegen neigt. In diesem Kapitel treten die Wirkungen der administrativen Praxis auf die gebaute Umwelt nicht nur explizit, sondern auch symbolisch in der Praxis des Häkchensetzens zu Tage.

Im Schlussteil der Studie reflektiere ich die analytischen Ausführungen und fasse die Ergebnisse zusammen (Kap. 9). Ich werde zunächst die Eigenlogik der Bauverwaltung und das relationale Verhältnis der einzelnen Arbeitsepisoden zum Bauprozess diskutieren und aufzeigen, dass mit der Untersuchung der administrativen Praktiken von Bauverwaltungen ein wichtiger Beitrag zur institutionellen Ethnographie und gleichsam zur trans-sequentiellen Analyse geleistet wurde (Kap. 9.1); auch weil diese explizit methodisch durch den Einsatz der Videokamera und die Analyse der materiellen Dimension (Architektur, Büromobiliar, Büroartefakten, Arbeitsmittel) erweitert wurde.

Die Materialität wird im nachfolgenden Teilkapitel schärfer gefasst, indem die Geographie der Bauverwaltung sowie die Arbeitsprozesse in den jeweiligen Räumen in einer Zusammenschau offengelegt werden. Am Ende steht die Skizzierung der Wege eines Bauprojektes im Inneren der Blackbox Bauverwaltung (Kap. 9.2), sodass die (räumliche) Zirkulation eines Bauprojektes im Zuge eines Bewilligungsprozesses nachvollzogen werden kann.

Die Zeit als relevantes Medium administrativer Praxis steht nachfolgend zur Diskussion, da sie als ein wichtiges Arbeitsinstrument der Bauverwaltung während der Analyse des empirischen Datenmaterials wiederholt zu Tage trat. Abermals zeigt sich hier deutlich die Eigenlogik der administrativen Praxis und die Auswirkungen, die diese Praxis auf die Bauprojekte hat (Kap. 9.4). Im Lichte dessen werden Bewilligungsprozesse aktiv verlangsamt oder beschleunigt, sodass das Bewilligungsverfahren (politisch) als weicher Standortfaktor der Gemeinde gesetzt wird.

Die Kooperation der Bauverwaltung mit anderen Akteurinnen und Akteuren sowie die (materiellen) Übersetzungsleistungen eines Bauprojektes im Zuge des Bewilligungsprozesses, werden in Kapitel 9.4 in ihrer Materialität sowie ihren Wirkungen auf die Bauwilligen und die gebaute Umwelt zusammengefasst. Besonders zweierlei wird deutlich: Erstens, dass die Wahl der materiellen Übersetzungen in den Aushandlungen der Baubewilligung entscheidenden Einfluss auf den Entscheid haben. Zweitens, dass die administrativen Prozesse bereits im Vorfeld der Baueingabe wirken und Bauprojekte oftmals mit einer Praxis des Scaling Downs konfrontiert werden; dies um Bauprojekte aus Sicht der Bauwilligen einfacher durch den Bewilligungsprozess zu bekommen. Die Bauverwaltung allerdings weiß dieser Praxis entgegenzusteuern. Die Kooperation zwischen Bauverwaltung und externen Akteurinnen und Akteuren äußert sich im Lichte dessen oftmals als Tastbewegungen.

Am Ende der Dissertation stehen zwölf Thesen (Kap. 9.5). Diese nehmen den Automatismus der Bauverwaltung auf, der sich dezidiert in der administrativen Praxis des Häkchensetzens in der Baukommissionssitzung äußert. Auf diese Weise fördert die Bauverwaltung in ihrer Praxis des Festsetzens des Bewilligungsentscheids nicht nur eine Qualifizierung des Bestandes, sondern sie qualifiziert gleichsam die Fragmentierung und Zersiedelung der Siedlungslandschaft. Die Thesen stellen die Destillate der Studie dar und geben zugleich Empfehlungen ab. Im Zuge dessen ist eine Re-Positionierung der Gemeinde angebracht, um die weitere Fragmentierung der gebauten Umwelt zu kanalisieren.

1 In der Dissertation berücksichtige ich den Leitfaden zur Geschlechtergerechten Sprache der Bundeskanzlei, welche ebenfalls von der ETH Zürich angeraten wird: www.equal.ethz.ch/rules.

2 Clifford Geertz 1983: Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme. Frankfurt a.M.

I. Konzeption der Studie

Videostill 1: Vorstellung des Forschungsvorhabens, Korpus 3, 00:06:34.

1.1 FORSCHUNGSZIELE UND FORSCHUNGSFRAGEN

1.1.1 Forschungsziele

Das bisher wenig erforschte Gebiet der Bauverwaltungen legt einen explorativen, gleichsam qualitativen Zugang nahe. Der Fokus liegt auf einem Querschnitt und einer tiefgründigen Betrachtung der Arbeitspraktiken von Bauverwaltung, d.h. deren Methoden und Prozesse zur Begleitung, Beurteilung und Bewilligung von Bauprojekten. Diese interessieren in ihrer Breite, ihren Ausprägungsformen und ihrer situativen Anwendung. Ziel des explorativ angelegten Projektes ist es:

die

Wirkmacht und Eigenlogik administrativer Prozesse von Bauverwaltungen auf Bauprojekte

zu erforschen.

im Zuge dessen die Gemeinde resp. Bauverwaltung, die im aktuellen städtebaulichen Diskurs

als Anti-Urbanitäts-Molekül

(Diener et al. 2,

Kap. 2.2.4

) verstanden wird,

zu repositionieren

.

den

Zusammenhang und die Wechselwirkung zwischen Verwaltung und Städtebau im Spiegel der administrativen Praxis

herauszuarbeiten.

die Gemeindeforschung hin zu einer Gemeinde

wirkungs

forschung zu erweitern, um nicht nur aufzuzeigen, was eine Gemeinde/Verwaltung

ist

, sondern vor allem um zu zeigen, wie diese

wirkt

.

einen Beitrag zur Erweiterung der ethnographischen gleichsam praxeologischen Perspektive der trans-sequentiellen Analyse zu leisten. Diese wird einerseits thematisch um das Thema der

Wirkmacht von administrativen Prozessen

erweitert, anderseits methodisch durch den

Einsatz der Videokamera

bereichert.

Es gilt, Grundlagen für das Verständnis der administrativen Praktiken und der Arbeit am Bauprojekt zu schaffen und damit einen originären Beitrag in der sozial- und kulturwissenschaftlichen (Architektur-)Forschung zu leisten – insbesondere, weil diese Studie erstmals Einblicke in den administrativen Apparat von schweizer Bauverwaltungen gibt und den Zusammenhang zwischen Verwaltung und Städtebau aufzeigt. Dieser wurde bisher selten thematisiert und jüngst aus Perspektive des Städtebaus eher kritisch betrachtet (Kap. 2.2), da die Gemeinde/Bauverwaltung tendentiell als störende Einflussgröße auf die Entwicklung der Siedlungslandschaft begriffen wird. Dieser Tatbestand wird vor dem Hintergrund, eine qualitativ hochstehende Siedlungsentwicklung vorantreiben zu wollen, untersucht und repositioniert.

Zudem treibt die Arbeit nicht nur den theoretischen und wissenschaftlichen Diskurs auf dem Gebiet der Architekturforschung voran, sondern auch die praxeologische Forschungshaltung der trans-sequentiellen Analyse (TSA). Diese bietet sich als Bindeglied zwischen etablierten Konzepten aus Organisationssoziologie/Verwaltungswissenschaften und der ethnographischen Untersuchung politischer oder administrativer Prozesse an. Mit ihr lassen sich Arbeitspraktiken institutioneller Settings adäquat erforschen, sodass der Architekturforschung eine Perspektive offeriert wird, welche die komplexen Voraussetzungen der institutionellen Teilnahme sowie die praktische Arbeit und Orientierung der Teilnehmenden (am Bauprojekt) ernst nimmt.

Die TSA wird im Zuge dessen um die Dimension der Wirkmacht administrativer Prozesse und die Stärkung der materiellen Einflussgrößen in Theorie und Praxis erweitert. Dieserart wird es möglich, sowohl die kollektive administrative Arbeit am Bauprojekt offenzulegen, als auch die vielfältigen Übersetzungsleistungen und Veränderungen, denen Bauprojekte im Zuge des Prozesses ausgesetzt sind.

Dadurch leistet die Arbeit Grundlagenforschung und trägt zu einem tief greifenden Verständnis einer bisher wenig beachteten, aber wesensimmanenten Dimension im Bereich der Siedlungsentwicklung bei: der Bauverwaltung und deren administrativen Praktiken. Im komplexen Netzwerk der Siedlungsentwicklung (Politik, Planung, Wirtschaft und Gesellschaft) bedeutet dies einen erheblichen Zugewinn an Wissen um administrative Prozesse und den Zusammenhang zwischen Verwaltung und Städtebau. Dieses Wissen liefert Erklärungen für das derzeitige Siedlungsgefüge und die fortschreitende Zersiedelung der Landschaft. Zugleich wird durch die in der Dissertation vollzogene Re-Positionierung der Gemeinde/Bauverwaltung weniger als störende Dimension, denn als relevante und aktive Einflussgrösse, eine Grundlage für die Umsetzung qualitativ hochstehender Siedlungsentwicklung geschaffen.

1.1.2 Forschungsfragen

Im Zentrum der Dissertation stehen fünf Hauptfragen, die sich in vielfältige Neben- und Teilfragen auffächern. In ihrem Kern unterstützen sie die Hauptfragen und bereiten im Zuge der Analyse von administrativen Arbeitsprozessen den Weg zur Theoretisierung der administrativen Praktiken. Die ersten drei Hauptfragen beziehen sich auf die inhaltliche Dimension des Untersuchungsthemas. Die vierte Frage zielt auf die theoretische Ebene ab und die fünfte Frage schließlich auf die Methoden zur Untersuchung von Bauverwaltungen und deren administrativer Prozesse.

Nachfolgend werden die fünf Forschungsfragen mit ihren Unterfragen zur Erreichung der Forschungsziele (siehe oben) aufgelistet:

1.Welche Methoden und Prozesse brauchen Bauverwaltungen, um Bauprojekte zu begleiten, zu beurteilen und zu bewilligen?

Wie befördern die Mitarbeitenden der Bauverwaltung Bauprojekte durch die administrative Maschinerie?

Welche sozio-materiellen Infrastrukturen sind für die Arbeitsprozesse von Nöten bzw. welche architektonischen und materiellen Infrastrukturen rahmen bzw. resultieren aus der administrativen Praxis? Was geschieht an den unterschiedlichen Orten der Bauverwaltung?

Welche Rolle spielt das gesetzlich normierte Bewilligungsverfahren, dessen Normen und Regeln im administrativen Alltag?

Welche Eigenlogik liegt den administrativen Praktiken zu Grunde?

Wie wird der Arbeitsalltag konkret gestaltet? In welchem Verhältnis stehen einzelne Arbeitsepisoden (Sitzungen, Sprechstunden, Büroarbeit) und der Bewilligungs-/Fertigungsprozess? Wie wird ein Fertigungsprozess angestoßen resp. beendet? Wie wird an Vergangenes angeknüpft und auf Künftiges verwiesen?

Welchen Beitrag leisten die einzelnen Arbeitssessionen zur Beförderung eines Bauprojektes?

Wie gestaltet und vollzieht sich die praktische Kooperation innerhalb und außerhalb der Verwaltung (etwa zwischen Bauverwaltung, Bauherrinnen/Bauherrn und Architektinnen/Architekten)?

2.Wie bzw. inwiefern werden Bauprojekte im Zuge der administrativen Arbeit formuliert resp. re-formuliert?

Wie wird ein Projekt in das Bauamt eingespeist? In welchem Zustand befindet es sich? In welchem Zustand verlässt es die Verwaltung?

Welche Teile des Netzwerks werden aktiviert?

Was wird jeweils am Bauprojekt befestigt?

Wie werden Dokumente, Pläne und sonstige visuelle und administrative Werkzeuge gebraucht?

Was wird jeweils wie am Bauprojekt befestigt (Argumente, Konzepte)?

Was bedeutet das Durchlaufen der administrativen Prozesse für die Bauprojekte (Bedingungen/Konsequenzen)?

3.Wie wirken die administrativen Praktiken auf Bauprojekte resp. die gebaute Umwelt und ist im Zuge der identifizierten Wirkmacht eine Re-Positionierung der Gemeinde angebracht?

Welche Wirkmacht fällt der Gemeinde/Bauverwaltung zu? Welche wird ihr zugeschrieben? Wie äußert sich diese in der administrativen Praxis? Welche Auswirkung hat die Wirkmacht und mit ihr die administrative Praxis auf die Siedlungslandschaft?

Welches Rollenverständnis von Gemeinde resp. Bauverwaltung ist im derzeitigen städtebaulichen Diskurs verankert? Inwiefern wird die Gemeinde/Bauverwaltung im städtebaulichen Diskurs als aktive Einflussgröße wahrgenommen? Ist eine Re-Positionierung angebracht?

Inwiefern wird während der administrativen Arbeit auf den materiellen Kontext und die städtebauliche Situation Bezug genommen?

Wie muss die Gemeinde/Bauverwaltung verstanden werden, um eine qualitativ hochstehende Siedlungsentwicklung zu befördern? Sollte sie im städtebaulichen Diskurs repositioniert werden (Aufgaben, Ziele, Handlungen)?

4.Greifen die Konzepte von Verwaltungswissenschaften und Organisationssoziologie zu kurz, um die Wirkmacht und Eigenlogik der administrativen Praktiken auf Bauprojekte zu untersuchen?

Wie müssen die Konzepte von Verwaltungswissenschaften und Organisationssoziologie erweitert werden, um die Eigenlogik und Wirkmacht von Bauverwaltung zu untersuchen?

Welche Implikationen ergeben sich für die etablierten Konzepte der Untersuchung von Bauverwaltungen durch den erweiternden Einbezug einer ethnographischen Perspektive?

Kann die ethnographische Perspektive der trans-sequentiellen Analyse (TSA) mit ihrem besonderen Fokus auf Ereignis-Prozess-Relationen als Bindeglied zwischen den etablierten Konzepten sowie als deren Erweiterung zur Untersuchung der Wirkmacht von administrativen Prozessen die theoretische Lücke schließen?

Welche Konsequenzen ergeben sich für die TSA aus deren Anwendung zur Untersuchung administrativer Prozesse von Bauverwaltungen? Inwiefern wird im Lichte der Stärkung der materiellen Dimension bei der ethnographischen Erforschung der Bauverwaltung das methodische Spektrum der TSA erweitert?

5.Welche methodischen Herangehensweisen sind vor dem Hintergrund der ethnographischen Perspektive der trans-sequentiellen Analyse (TSA) angebracht, um den Gegenstand der Bauverwaltung und deren Wirkmacht adäquat zu untersuchen?

Wie wird der Feldzugang zum institutionellen Setting der Bauverwaltung hergestellt? Welche Besonderheiten sind zu beachten (Kontaktpersonen, ethische Richtlinien)?

Wie lassen sich die administrativen Methoden und Prozesse sowie deren Eigenlogik und Wirkmacht auf Bauprojekte hinreichend beobachten und dokumentieren? Welche methodischen Werkzeuge sind zur ethnographischen Erforschung der administrativen Prozesse zu wählen?

Wie kann die Methode der teilnehmenden Beobachtung im Feld der Bauverwaltung gewinnbringend eingesetzt werden? Wie wird die eigene Rolle während der teilnehmenden Beobachtung in der Bauverwaltung definiert, gestaltet und reflektiert?

Wie kann die Methode der Begleitung (

shadowing

) von Schlüsselpersonen (Hochbauleitern, Bauverwalterinnen und -verwaltern und Sachbearbeitenden) im Forschungsalltag umgesetzt werden?

Wie kann der methodische Einsatz der Videokamera, um Schlüsselsitzungen der Bauverwaltung aufzunehmen, eingesetzt werden? Welchen Mehrwert bringt der Einsatz der Videokamera? Welche methodischen Implikationen beim Gebrauch der Videokamera im institutionellen Setting der Bauverwaltung sind zu beachten?

1.2 FORSCHUNGSDESIGN

Vor dem Hintergrund der ethnographischen Forschungsperspektive, die ein Bündel von Forschungsstrategien bereithält und unterschiedliche empirische Zugänge zur Erfassung der sozialen, kulturellen (und institutionellen) Wirklichkeit kennt (Krotz 2005), steht im folgenden Kapitel das Forschungsdesign im Zentrum. Das Kapitel gliedert sich wie folgt: Zunächst stehen der Feldzugang und die Fallauswahl im Fokus (Kap. 1.2.1). Im dritten Hauptkapitel der Studie (Kap. 3) liefert dann die detaillierte Beschreibung der drei Untersuchungsgemeinden und deren Bauverwaltungen eine wichtige Grundlage der empirischen Analyseleistungen. Doch zunächst komme ich im Anschluss der Offenlegung der Fallauswahl auf die Erhebungsmethoden und das gewonnene Datenmaterial (Kap. 1.2.2) sowie auf dessen Auswertung und Verdichtung in Form von Vignetten zu sprechen (Kap. 1.2.3). Daran schließt sich ein Methodenkapitel an, in dem ich den Einsatz der Videokamera aus meinem methodischen Spektrum heraus greife, um dieses – für die institutionelle Ethnographie relativ ungewöhnliche Vorgehen – intensiv zu diskutieren und in das Forschungsdesign meiner Arbeit einzuordnen (Kap. 1.3).

1.2.1 Feldzugang und Fallauswahl

Die Zielgruppe der vorliegenden Untersuchung ist das Vollzugsorgan politischer Gemeinden genauer der spezifische Verwaltungsapparat von Bauverwaltungen (zum Forschungsgegenstand der Gemeinde siehe Kap. 2.1). Dies weil sich die zentrale Fragestellung der Arbeit mit den Methoden und Prozessen kommunaler Bauverwaltungen in der Schweiz beschäftigt, wobei ich auf die alltäglichen Arbeitsvollzüge ebenso wie auf herausragende Ereignisse abstelle, um in verdichteten Miniaturen/Vignetten und Videostills die aktive Rolle der Gemeindeverwaltung aufzuzeigen. Dabei ermöglichte mir, in Anlehnung an die Workplace Studies (Luff et al. 2000), das Eintauchen in die Arbeitsprozesse der Bauverwaltungen und die vermeintliche Mitgliedschaft der teilnehmenden Beobachtungen, die Beschreibung der untersuchten Verwaltungsprozesse (siehe unten).

Zu Beginn der Untersuchung stellte der Einstieg in das Feld der Bauverwaltungen insbesondere aus zwei Gründen eine Herausforderung dar. Erstens, weil bei Untersuchungen in Institutionen die Rolle der Forschenden und der Zugang zum Feld komplizierter ist, als zu einem vergleichsweise offenen Setting. Denn an der Regelung des Zuganges sind gewöhnlich verschiedene Ebenen beteiligt (Flick 2011:145): die Ebene derjenigen, die verantwortlich sind – im vorliegenden Fall der Gemeindepräsident bzw. der Gemeinderat und diejenigen, die befragt und beobachtet werden –, die Mitarbeitenden der Bauverwaltung. Als Forschende ist es entscheidend, die Rolle im Feld und die Einordnung in Verwaltungsroutinen mit den Praktikern auf allen Ebenen (hier mit den politisch verantwortlichen der Gemeinde und den Mitarbeitenden der Bauverwaltung) auszuhandeln und zu routinisieren (vgl. ebd.:146).1 Der Sozialwissenschaftler Uwe Flick führt in diesem Zusammenhang aus:

»Das heißt, die Aushandlung des Zugangs zu Institutionen ist weniger ein Informationsproblem als die Herstellung einer Beziehung, in der so viel Vertrauen in die Person der Forscher und ihrer Anliegen entsteht, dass sich die Institution – trotz allem, was dagegen sprechen könnte – auf die Forschung einlässt.« (Ebd.:147)

Neben den spezifischen Anforderungen eines institutionellen Settings, welches sich durch eine Logik der Regularien auszeichnet und entsprechende Sensibilisierungen voraussetzt, war ich zu Beginn der ethnographischen Studie im eigenen europäischen und deutschsprachigen Kulturkreis weniger mit der Herausforderung der »Befremdung der eigenen Kultur« (Hirschauer & Aman 1997) konfrontiert, als das ich mir ein Grundverständnis der unterschiedlichen Dialekte des Schweizerdeutsch aneignen musste, um in der jeweiligen Forschungsregion zu bestehen.2

Eine Besonderheit der Herstellung des Feldzugangs liegt in der Tatsache begründet, dass dieser von einer interdisziplinären Doktorandengruppe vollzogen wurde; bestehend aus einem Politikwissenschaftler, einem Geograph und mir als Sozialwissenschaftlerin.3 Die zwei männlichen Kollegen, beides Schweizer, sind – im Gegensatz zu mir als Ausländerin – bestens mit den schweizerischen Gepflogenheit und vor allem der schweizer Mundart vertraut. Folglich brachte jeder und jede eine jeweils unterschiedliche Perspektive mit ein. Diese Konstellation war dem Feldzugang äußerst zuträglich: Einerseits ermöglichte sie eine unkompliziertere und entspanntere Kommunikation vor Ort, andererseits wurde vermeintlich Alltägliches hinterfragt und diskutiert – beides führte schlussendlich zu einer klareren Sichtweise auf das Feld und den jeweiligen Untersuchungsgegenstand.

Im Zuge der systematischen Auswahl der Fallstudien (siehe Flick 2011:177f.) besuchten wir über einen Zeitraum von drei Monaten neun schweizer Gemeinden. Ausschlaggebend für die Fallauswahl waren sogenannte urbane Brüche, die sich wie folgt charakterisieren lassen: Urbane Brüche entstehen einerseits infolge großer Infrastrukturprojektee anderseits im Zuge von Industriebranchen, wobei beide eingespielte Planungsroutinen durchbrechen und nach neuen Strategien innerhalb der Gemeinden verlangen (zur Vertiefung siehe Van Wezemael et al. 2014). Vor dem Hintergrund dessen wurden vier urbane Brüche mit jeweils zwei Gemeinden ausgewählt:

Visp & Naters (Bruch: Lötschberg-Basis Tunnel)

Uster & Wetzikon (Bruch: S-Bahn S5/15, Verdichtung der Fahrplantakte)

Affoltern a. A. & Hedingen (Bruch: Üetliberg-Straßentunnel)

Arbon, Rorschach & St. Margrethen (Bruch: Deindustrialisierung)

Abb. 2: Übersicht Fallgemeinden, Schlussbericht (Van Wezemael et al. 2014:30).

Jene explorative Phase (Beer 2008) der Sondierung der Fallstudien führte meinerseits zur Auswahl von drei Untersuchungsgemeinden für die eigene Datenerhebung4: Visp, Wetzikon und St. Margrethen. Das Kriterium des urbanen Bruches und die geographische Lage waren ebenso bedeutende Aspekte zur Fallauswahl wie die sozioökonomischen Bedingungen und die Organisationsstrukturen der jeweiligen Gemeinden. Leitmotiv bei der Auswahl war es, möglichst Gemeinden auswählen, die einen Querschnitt durch die deutschsprachige Schweiz bieten. Einerseits um eine möglichst hohe Varianz der Planungskulturen und Handlungsvollzüge abzudecken, andererseits weil die gemeinsame Sprachregion eine gute Vergleichbarkeit erwarten ließ. Neben diesen inhaltlichen Kriterien, waren insbesondere zwei methodische Aspekte bedeutsam: Erstens, war die Bereitschaft der drei Gemeinden zur Durchführung ethnographischer Studien gegeben. Zweitens, erreichte ich mit der Auswahl von drei Gemeinden einen Sättigungsgrad des Sampels. Diese Beschränkung ermöglichte mir eine möglichst hohe Bearbeitungstiefe und gewährleistete zugleich eine angemessene ethnographische Forschung (Flick 2011).

Tabelle 1: Übersicht Fallauswahl, eigene Darstellung.

ÜBERSICHT FALLAUSWAHL

LageBruchsozioökono- mische BedingungenVispKanton Wallis, WestschweizLötschberg-Basis Tunnel => WachstumsdruckEinfluss der Metropolregion Bern; Zentrum des Oberwallis; Phänomen der Berg-/TalwanderungWetzikonKanton Zürich, MittellandS-Bahn S5/15, Verdichtung der Fahrplantakte => WachstumsdruckEinfluss der Metropolregion Zürich; Abgrenzung & Ausrichtung als Zentrum des Zürcher OberlandesSt. MargrethenKanton St. Gallen, OstschweizDeindustrialisierung => Schrumpfungs- druckRandlage, Grenzregion im Dreiländereck CH, D, A

1.2.2 Erhebungsmethoden und Datenmaterial

»In its most characteristic form […] the ethnographer participating, overtly or covertly, in people’s daily lives for an extended period of time, watching what happens, listening to what is said, asking questions – in fact, collecting whatever data are available to throw light on the issue that are the focus of the research.« (HAMMERSLEY & ATKINSON 1995:1)

Die Erhebungsmethoden und die Sammlung des Datenmaterials der Dissertation sind unter dem Fokus der generellen Strategie der Ethnographie entstanden. Denn die Blaupause der forschungsleitenden Annahme einer (institutionellen) Ethnographie, die »Praxis immer auch [als] Kontingenzraum (versteht), in der Körper, Materialien, Interessen, Ideen ihre soziale Wirksamkeit erst noch erlangen – oder eben nicht« (Scheffer 2010:141), erfordert eine Forschungshaltung, die die Methoden konsequent an der Praxis des zu beobachtenden Feldes ausrichtet. Zugleich wird deutlich, dass der Fokus nicht allein auf Texten oder Sprechakten liegt, sondern dass dem nichtlinguistischen Bereich des Sozialen, sprich der situativen Praxis, den zuweilen stummen und körperlichen Vollzügen, ebenso wie den gegenständlichen Artefakten, Dingen, Architekturen, d.h. der sozio-materiellen Infrastrukturen und Rahmungen deutlich mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird, als dies in Befragungsverfahren möglich wäre (vgl. Kap. 1.3). Letztere zielen auf eine Erschließung sozialer Phänomene durch innere Handlungsmotive der Beteiligten ab (vgl. Schmidt 2012:13f.).

Tabelle 2: Erhebungsphasen der Feldforschung,5 eigene Darstellung.

201120122013IIIIIIIVIIVIIIIVIIIIIIIVExplorative PhaseVispWetzikonSt. Margrethen

Die zentrale Methode der vorliegenden Dissertation ist deshalb die der teilnehmenden Beobachtung (siehe Beer 2008), da sich mit ihr die alltägliche Praxis der Bauverwaltung in situ erfassen lässt – sie ermöglicht zugleich eine (qualitative) Erschließung eines Feldes, das bisher wenig untersucht wurde (siehe Kap. 1.3). Die Studie ist im Lichte dessen als ein exploratives Projekt zu charakterisieren, dessen Beitrag in der ethnographischen Erschließung des Feldes der Bauverwaltungen in der Schweiz liegt sowie Erkenntnisse zu deren Methoden und Prozessen der Bewilligungspraxis bereitstellt.

Der teilnehmenden Beobachtung ging eine explorative Phase der Kontaktaufnahme und der Feldsondierung in neun schweizer Gemeinden voraus (siehe oben, Tabelle 2). Während eines Zeitraum von zehneinhalb Monaten (Januar–November 2011) zu Beginn der Dissertation sondierte ich im interdisziplinären Team6 und allein die neun Fallgemeinden. Ich besuchte wiederholt die verschiedenen Gemeinden und führte leitfadengestützte Experteninterviews (Flick 2011) zum Ablauf des Baubewilligungsverfahrens mit den Hochbauleitern und Bauverwaltern durch sowie mit Architektinnen, Architekten und Raumplanern. Diese erste theoretische und analytische Aufarbeitung der Bewilligungsverfahren ermöglichte mir dreierlei: Erstens, erste vertiefende Einblicke in die Arbeitsweise der Gemeindeverwaltung. Zweitens, erlangte ich unabdingbares Wissen für die teilnehmende Beobachtung, da das Verfahren ein unerlässliches ist, welches jedes Bauprojekt vor der Realisierung durchlaufen muss. Drittens ermöglichte mir dieser Schritt die Reflexion und Modifikation meines Forschungsdesigns.

Auch die ethnischen Vorkehrungen konnte ich in dieser Phase testen und verfeinern. Generell orientieren sie sich an den ethischen Forschungsrichtlinien der ETH Zürich.7 Die Anonymität der Teilnehmenden bleibt weitestgehend gewahrt. Gleichwohl bei den verwendeten Videostills auf eine Verfremdung der Gesichter verzichtet werden konnte (im Einvernehmen mit den Abgebildeten), wird von einer vollständigen Offenlegung der Identität abgesehen. Einzig die Berufsbezeichnung wird, soweit erforderlich oder aus den Daten ersichtlich, in der Analyse der Studie angegeben. Die Teilnehmenden erhielten im Zuge der Studie jeweils einen detaillierten Projektbeschrieb, in dem über die Teilnahme und die mögliche Verwendung des Datenmaterials sowie deren Archivierung nach Projektabschluss informiert wurde. Zudem wurde das Einverständnis zur Verwendung des gesammelten Datenmaterials und insbesondere der Audio- und Videoaufnahmen abgefragt (siehe Anhang). Die Teilnehmenden konnten für die jeweiligen Verwendungszwecke (Publikationen, Lehre, Vorträge, Konferenzen, Verwendung der Daten von anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern) individuell ihr Einverständnis gewähren oder verweigern.

Im Zuge der explorativen Phase wählte ich die drei Untersuchungsgemeinden Visp, Wetzikon und St. Margrethen aus, die ich in einer detaillierten ethnographischen Untersuchung zu begleiten gedachte (zur Begründung der Fallauswahl siehe Kap. 1.2.1 zur Darstellung der Fälle siehe Kap. 3) In Visp im Oberwallis führte ich im Mai/Juni 2011 eine Pilotstudie durch, um mein methodisches Spektrum mit den praktischen Bedingungen und den Praktikerinnen und Praktikern vor Ort abzustimmen und zu testen. Hier fand eine erste tief greifende Erkundung der Arbeitswelt der Bauverwaltung und die Abstimmung der Methoden mit der Praxis statt. Ich entschied mich, unterschiedliche Akteure der Bauverwaltung (Hochbauleiter, sowie Bauverwalterinnen und Bauverwalter) in ihrem Arbeitsalltag zu begleiten. Dieses Vorhaben ermöglichte mir, im Sinne des »shadowings« (siehe Czarniawska 2007, Jiron 2011), deren Arbeitspraktiken in situ zu beobachten, Sinnstrukturen offenzulegen und die Komplexität der verbalen und non-verbalen Arbeitsvollzüge und Zusammenhänge zu begreifen (Luff et al. 2000). Ich beobachtete die tägliche Büroarbeit, nahm an zahlreichen Sitzungen (Baukommissionssitzungen, Sondersitzungen, Stadtbildkommissionssitzungen, Kadersitzungen, Briefings, interne Meetings und Konferenzen) teil, an Mittags- und Kaffeepausen oder begleitete die Akteure zu Außenterminen (Ortsbegehungen, Treffen bei Investoren, Einweihungen, Baukontrollen). Diesen zentralen Fokus bereicherte ich, immer wenn dies zusätzliche Erkenntnisse versprach, durch Interviews (mit professionellen Akteuren wie Architekten oder auch im Nachgang eines beobachtenden Arbeitsprozesses mit teilnehmenden Akteurinnen und Akteuren) und der Methode der Dokumentenanalyse.

Auf der Blaupause der theoretischen Ausrichtung auf praktische Arbeitsvollzüge und institutionelle Prozesse (vgl. Kap. 4.2) erlaubte mir diese Vorgehensweise die Konzentration auf:

a) den Gebrauch von Dokumenten, Plänen und sonstigen visuellen Werkzeugen,

b) auf die praktischen Umstände der Kooperation (etwa zwischen Bauverwaltung, Bauherren und Architekten) und

c) die Bewältigung des Arbeitsalltages, sprich die Lösung von Problemen (wie Anpassung des Bauprojektes an die Auflagen der Baubewilligung) sowie auf das Verhältnis zwischen Ereignis (Sitzungen, Sprechstunden, Büroarbeit) und Prozess (Baubewilligungsverfahren).

Zweieinhalb Jahre erforschte ich im Zuge der ethnographischen Forschung die Bauverwaltungen der drei Untersuchungsgemeinden (siehe Tabelle 2).8 Im Sinne des ethnographischen Diktums des Nachordnens der Methoden an die Praxis (Flick 2011:298), setzte ich in der Phase der Datenerhebung punktuell eine Videokamera ein (siehe ausführlich Kap. 1.3). Im Zuge dessen nahm ich wichtige Ereignisse der Alltagspraxis von Bauverwaltungen auf: vornehmlich Sonder- und Stadtbildkommissionssitzungen (hier finden Diskussion um die Bauprojekte statt) und Baukommissionssitzungen (hier werden Entscheidungen endgültig am Bauprojekt befestigt). Auf diese Weise entstanden neben den vorgefunden Dokumenten besonders zwei Datensorten: Prozessdaten (Feldnotizen) und Ereignisdaten (Videoaufnahmen, Feldnotizen). Generell ordnete ich die Sammlung der (ethnographischen) Daten der Fragestellung und den Gegebenheiten im Feld unter. Dies um einer zu starken Fragmentierung und Diversifizierung entgegen zu wirken (vgl. Amann & Hirschauer 1997).

Zusammenfassend liegt der vorliegenden Arbeit ein vielfältiger Datenkorpus vor:

zehn Prozessskizzen der interviewten Akteure (Hochbauleiter, Architektinnen und Architekten, Raumplaner)

Dokumente aus dem Feld: Pläne, Regelwerke (SIA Normen, Baugesetze, Planungsverordnungen), Berichte, administrative Produkte und Korres-pondenzen (Baubewilligungen, Hindernisbriefe, E-Mail-Korrespondenzen, Webseiten, Einladungen zu Sitzungen etc.), Fortbildungsunterlagen für/von Bauverwaltungsmitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Notizen und Arbeitshilfsmittel der Mitarbeitenden (wie Verlaufsschemata, Protokolle), statistische Daten (Anzahl der Baubewilligungen und Baueingaben)

Dokumentation der drei Designstudios

9

und der Ortsbegehung eines Bauamtes.

10

Interviewprotokolle und Gedächtnisprotokolle von informellen und leitfadengestützten Experteninterviews (inklusive Angaben zur Dauer, Ort, dem Zustandekommen des Gespräches, Bemerkungen zum Gesprächsverlauf sowie zum informellen Austausch)

Mitschriften von Baukommissionssitzungen, Sondersitzungen, Kadersitzungen, internen Sitzungen

Feldnotizen

11

der ethnographischen Forschung (aus den Phasen: Vorbereitung, explorative Phase, problemorientierte Phase, Datenbearbeitung, Auswertung, Feedbacks) in den drei Gemeinden. Drei Ebenen der Notizen:

– Logbuch12 der Untersuchung selbst (Vorgehensweise): Niederschrift der Eindrücke aus den Feldkontakten und Interviews; Reaktionen anderer auf die Untersuchung, eigene Reaktionen auf das Feld (Fremdheitserfahrungen), Vorgehensweise (welche Personen habe ich wann getroffen, welchen Arbeitssituationen beigewohnt); kondensierte Darstellungen in Stichworten, Sätzen, Zitaten, Gesprächen usw.

– Logbuch zur Sammlung von Informationen (wie Inventarlisten, Arbeitsabläufe, Organisation, Routinen oder Besonderheiten) über den Untersuchungsgegenstand: Informationen in chronologischer Ordnung und nach Untersuchungsfällen geordnet

– Logbuch für Schreibversuche aus dem Stehgreif: kleine Analysetexte, Ideen, Gliederungspunkte, Metaphern, theoretische und methodische Reflexionen13 etc.

Fünf Videomitschnitte von Baukommissions-, Stadtbildkommissions- und Sondersitzungen sowie deren Transkription (siehe genauer

Kap. 3.4

)

1.2.3 Auswertung des Datenmaterials

»As Garfinkel has taught us: It’s practice all the way down (Latour 2005:135).«

Die Auswertung des vielfältigen Datenmaterials orientiert sich an der analytischen Perspektive der trans-sequentiellen Analyse (TSA), welche Sequenz- und Prozessanalysen miteinander kombiniert (Scheffer 2008, Kap. 2.4). Taktgeber bei der Auswertung sind die Arbeitsprozesse und Methoden der Akteure der Bauverwaltungen, sodass sich die Feldnotizen und Videomitschnitte als einzelne Arbeitsepisoden präsentieren, die sich entlang des Arbeitsbetriebes der Bauverwaltung ordnen lassen. Bei der Ordnung und Systematisierung der Feldnotizen stellt aber nicht der Arbeitsprozess an sich das entscheidende Kriterium dar, sondern die fortwährende Arbeit am Bauprojekt, die den Alltag der Praktikerinnen und Praktiker vor Ort mitbestimmt, aber nicht in Gänze determiniert. Vice versa werden organisatorisch festgelegte Ereignisse rhythmisch in den verwaltungspraktischen Alltag der Bauverwaltungen eingeschaltet. Bei der Auswertung und Kategorisierung der Daten orientierte ich mich auch im Sinne der Workplace Studies an den beobachteten Methoden und Prozessen des Untersuchungsfeldes (Garfinkel 1986).14

Daneben wird im institutionellen und städtebaulichen Kontext intensiv mit verschiedenen schriftlichen Dokumenten und visuellen Werkzeugen gearbeitet. Mittels der Dokumentenanalyse (und Videoanalyse siehe Kap. 1.3) erschloss ich das Material, welches nicht erst von einer Forscherin oder einem Forscher durch den Prozess der Datenerhebung gewonnen wird (Primär- und Sekundärdaten), sondern bereits vorhanden ist. Die Dokumente (Baubewilligungen, Arbeitsaufzeichnungen oder Notizen als Hilfsmittel der Mitarbeitenden, Homepage der Bauverwaltung, gesetzliche Bestimmungen, visuelle Werkzeuge…) dienen den Akteuren als Sachverhalte und Werkzeuge für Entscheidungsprozesse und stellen zugleich eine eigene Datenebene dar. Die Erforschung und Auswertung des methodischen Instrumentariums oder der (strukturellen) Probleme, mit denen sich die Akteure der Bauverwaltung und Projektverfasser im Rahmen des Umsetzungsprozesses auseinanderzusetzen haben, gehen im empirischen Analyseteil auf (Kap. 5-8).

Jene systematische Auswertung mündete in einer dichten Beschreibung (Geertz 1983, Krootz 2005) der beobachteten Arbeitspraktiken und der Entwicklung von Vignetten. Dies sind kleine, konzentrierte und in sich abgeschlossene Beschreibungen einer Situation, die auf der Rekonstruktion der Feldnotizen basieren (siehe Söderström 2000). Die Vignetten sind dabei weder Transkriptionen etwa von Interviews noch bloße Illustrationen von Fakten. Sie müssen als tief greifende, verdichtete Zusammenfassung der Beobachtungen gelesen werden, deren Konstruktion als Teil des Forschungsprozesses auch die eigene Interpretation in the making widerspiegelt (Silberberger 2011). Ich nehme dabei auch die Überlegungen des Soziologen Stefan Hirschauer auf, der zur Methodologie ethnographischer Beschreibung folgendes anmerkt: »Im ethnographischen Schreiben wird etwas zur Sprache gebracht, das vorher nicht Sprache war.« (2001:430) Im Lichte dessen gebe ich den Anspruch der Objektivität zu Gunsten einer dichten Beschreibung und Interpretation der Arbeitsepisoden auf, die im Zuge der empirischen Tiefenbohrungen einen handhabbaren Szenenbeschrieb zur umfassenden Analyse der Bauverwaltungen darstellt und einen wesentlichen Schritt zur Theoretisierung administrativer Praxis beinhaltet. Die eigene Rolle und Position lege ich im Zuge der Vignetten offen, um die Transparenz der durchgeführten Ethnographie zu fördern. Anstelle eines fortwährenden Vergleichens zwischen den Gemeinden wird (auch im Sinne einer explorativen Studie) dieser immer dann vollzogen, wenn Unterschiede offenkundig wurden oder wenn Arbeitsvollzüge aus anderen Gemeinden miteinbezogen werden, um das Spektrum der Arbeitspraktiken aufzuzeigen. Die vielfältigen Dokumente und Materialien: Prozessskizzen der Akteure, Interviewprotokoll, Mitschriften oder Gedächtnisprotokolle rahmen und ergänzen die Analyse der Arbeitsprozesse durch Kontextualisierungen, Vervollständigung oder Illustrationen der gewonnen Erkenntnisse.

Den Ausführungen entsprechend verfolge ich eine induktive Analysemethode und lerne bei der Auswertung der Daten von den Mitarbeitenden der Gemeindeadministration, um zu verstehen wie normative Regeln, Standards oder Pläne die administrative Arbeit beeinflussen und mitunter das Design von Gebäuden und die Siedlungslandschaft beeinflussen.

In den beiden empirischen Hauptkapiteln Acht (Beurteilung: Stadtbildkommissionssitzung) und Neun (Entscheidung: Baukommissionssitzung) findet eine weitere Anreicherung der dichten Beschreibung statt. Hier kommt die zweite große Datensorte der Videodaten zum Tragen, die neben der textbasierten Datenebene, die der Visuellen, des Non-Verbalen zur Analyse der Arbeitspraktiken hinzufügt (vertiefend zur Methodologie und Analysepraxis siehe Kap. 1.3).

1.3 EINSATZ VON VIDEO IN DER EMPIRISCHEN FORSCHUNG

»The use of video is becoming a widespread practice within the social sciences interested in real-time production of social life […].« (Mondada 2005:51)

Die folgenden Ausführungen beschäftigen sich mit dem Einsatz von Video in der sozialwissenschaftlichen Forschung. Dieser zweite, methodisch fundierte Teil ist im Vergleich zum verwendeten Videomaterial ausführlicher gehalten, einerseits weil das Medium im Feld der institutionellen Ethnographie bisher selten verwendet wurde, andererseits um aufzuzeigen, weshalb den Videodaten relativ wenig Platz in der vorliegenden Arbeit eingeräumt wurden. Deshalb werde ich zunächst eine kurze Literaturübersicht zum Thema geben, mich mit den methodischen Implikationen beschäftigen und sodann das eigene Vorgehen beleuchten und dabei auf die Chancen und Herausforderungen bei der Arbeit mit Video zu sprechen kommen.

Der Einsatz von Video wird in der sozialwissenschaftlichen Forschung zunehmend attraktiver. Einerseits auf Grund der technischen Entwicklungen der Videogeräte und des technischen Zubehörs, die einen unkomplizierten und kostengünstigen Einsatz im Feld ermöglichen. Andererseits bezüglich des seit Harold Garfinkel15 wachsenden Interesses der Sozialwissenschaften an den alltäglichen Lebenswelten und den selbstverständlich erscheinenden Handlungen und Interaktionen von Individuen. Vor dem Hintergrund dessen empfahl der Soziologe Harvey Sacks in den frühen 1960er Jahren den Einsatz von Aufnahmegeräten in der empirischen Forschung, um Alltagsaktivitäten zu dokumentieren. Wo Harvey Sacks noch mit Tonbandgeräten zur Audioaufnahme arbeitete, nutzten die Kulturanthropologie und die Ethnologie bereits seit längerem den Einsatz der Videokamera, wenn auch aus einem anderen Interesse heraus (vgl. Heath 1997) – es galt hier vielmehr, die im Verschwinden begriffenen kulturellen Praktiken indigener Völker auf Videoband festzuhalten.16 Ab den 1980er Jahren entstanden die ersten sozialwissenschaftlichen Analysen, die ausschließlich auf Videoaufzeichnungen basierten: Der Soziologe Charles Goodwin, der die Rolle des Blickes bei Konversationen untersuchte (1979, 2001) gehört zu diesen Pionieren, ebenso wie Christian Heath, welcher die Gespräche zwischen Arzt und Patient festhielt (1986). Besonders die Studien, welche im Umfeld der Workplace Studies entstanden, wählten den Einsatz von Video, um Arbeitspraktiken in situ festzuhalten. Sie erweiterten so die bisher auf Konversation fokussierten Videountersuchungen um die Erforschung des Zusammenspiels von Technik, Interaktion und Sozialem. Es entstanden Studien in Operationssälen, Flugsicherungszentralen oder in Kontrollzentren (zur Übersicht Engström & Middleton 1996 und Luff et al. 2000). Ende der 1990er Jahre wurden vermehrt Studien verfügbar, die sich mit dem Potential des Einsatzes von Video und dessen methodischen Implikationen auseinandersetzen. Federführend sind hier Hubert Knoblauch (2000, 2004) und Lorenza Mondada (2005, 2008), die systematische Untersuchungen des praktischen Einsatzes von Video in der empirischen Forschung liefern (ausführlicher siehe unten).17 Die Videokamera wird in dieser Zeit auch mobiler und folgt den Akteuren teilweise über weite Distanzen wie die Arbeit von Monika Büscher, welche Landschaftsarchitekten bei ihrer Arbeit begleitet (2005)18 oder Ignaz Strebel, der eine videoethnographische Untersuchung der Arbeit von Hauswarten in der Schweiz realisierte (Strebel 2014). Eine konsequente Weiterführung des Einsatzes der Videokamera ist bei der Sozialwissenschaftlerin Bina E. Mohn zu beobachten, die die Videokamera als Werkzeug einer audiovisuellen Feldnotiz (camera stylo) versteht und der ethnographischen Blicksuche des beobachtbaren Geschehens dient (2007, 2008). Im Jahr 2010 erschien schließlich eine systematische Einführung zum Umgang mit Video in der sozialwissenschaftlichen Forschung, herausgegeben von den Videoforschern Christian Heath, Jon Hindermarsh und Paul Luff, »to support the analysis of everyday social activities (2012:3).« Deren Ziel ist es, den Einsatz der Videokamera für einen breiteren Teil der empirischen Forschung attraktiv zu machen.

1.3.1 Methodische Implikationen

In den folgenden Ausführungen werde ich den Einsatz der Videokamera thematisieren, denn die Verwendung dieses Mediums setzt etliche methodische Entscheidungen wie die Wahl des Standorts oder die Reflexion des eigenen Tuns im Vorfeld voraus. Im Zuge dessen werde ich auch die Reichweite der methodischen Entscheidungen und deren Implikationen für die sozialwissenschaftliche Forschungsarbeit aufzeigen, um die Einordnung der erstellten Videoaufnahmen der vorliegenden Arbeit zu ermöglichen.

In den letzten Jahren sind – wie oben skizziert – vermehrt methodologische Texte erschienen, welche Ratschläge zum Einsatz von Video in der empirischen Forschung geben (Büscher 2005, Heath et al. 2010). Doch bemängelt Hubert Knoblauch, einer der führenden Experten auf dem Feld der Videoforschung, nach wie vor den lückenhaften Forschungsstand zur methodischen Handhabung des Mediums (2004:124) und Lorenza Mondada die mangelnde Reflexion des Videoeinsatzes als eine soziale Praxis. Denn Mondada begreift das Medium Video nicht bloß als: »[…] a mere resource, for example in a methodological discussion, but treats video practices as a topic per se, within an analytic stance« (2005:51). Mohn greift diesen Faden auf, wenn sie die Videokamera als camera stylo und die Suchbewegungen der Kamera in situ als Teil des Forschungsprozesses begreift (Mohn 2008). Der sozialwissenschaftliche Einsatz der Videokamera in der empirischen Forschung changiert dann nicht mehr nur zwischen Dokumentarfilm und ethnographischem Film (de Brigard 1975) – ihm wird eine neue Qualität als Forschungsinstrument hinzugefügt.19

Nichtsdestotrotz sind die Videoaufnahmen unabhängig von der (angestrebten) Datensorte (auf die unten genauer eingegangen wird) zunächst als Zeugnisse der aufgenommenen Geschehnisse zu begreifen. Entscheidend an dieser Stelle ist, dass sie gleichzeitig an die Person hinter der Kamera erinnern: