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Was wäre wenn die Zukunft der Welt in den Händen einer einzigen Person läge? Was wäre wenn die Weltwirtschaft und das politische Geschehen von einer geheimen Organisation infiltriert werden würde? Was wäre wenn eine Elite ausgebildet werden würde, die immer mehr Macht gewinnt? Kann diese Organisation noch aufgehalten werden? Wenige Tage vor seinem großen Wahlsieg ist Miguel Ferguson sich nicht mehr sicher, ob er diese Wahl überhaupt gewinnen möchte. Als eine alte Bekannte ihm einen Besuch abstattet und ihn die Schatten seiner Vergangenheit wieder einholen, entscheidet er sich zu kämpfen. Nicht länger will er die willenlose Marionette einer skrupellosen Organisation sein, deren Ziele nicht absehbar sind. Seine Gegnerin ist dabei jedes Mittel recht, um ihn aufzuhalten und schon bald weiß er nicht mehr, wem er überhaupt noch vertrauen kann. Um den scheinbar aussichtslosen Kampf gegen die Organisation zu gewinnen und den Machenschaften ein Ende zu bereiten, muss er sein eigenes Leben aufs Spiel setzen.
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Seitenzahl: 386
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Michelle Mommertz
Im Netz der Macht
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Epilog
Impressum neobooks
Ein milder Windhauch wehte ihr durchs Haar und gab ihr unvermittelt das Gefühl von Freiheit. Zielstrebig schritt sie den Weg entlang, wobei ihre Hüften elegant in dem engen Rock wippten und jeder Schritt das Klacken ihrer High-Heels verlauten ließ. Ihr dunkles Haar war streng nach hinten gebunden, wobei sich eine Strähne gelöst hatte und nun auf ihrer weißen Bluse ruhte. Passend zu ihren Schuhen trug sie einen dunklen Mantel, der jedoch geöffnet und weniger ein Schutz vor Kälte als vielmehr ein modisches Accessoire war. Ihr Rock endete knapp über ihren Knien und betonte mit einer durchsichtigen Strumpfhose ihre schlanken Beine. Eine teure Handtasche baumelte an ihrem Arm, und ihr Blick war geradeaus gerichtet, ohne sich von den gaffenden Augen der Männer beeindrucken zu lassen. Auch Frauen blickten ihr hinterher, teils neidisch, teils respektvoll. All das kümmerte sie jedoch nicht im Geringsten, denn sie kochte vor Wut, auch wenn man es ihr nicht ansah. Sie hatte gelernt ruhig zu bleiben und immer einen kühlen Kopf zu bewahren, bis sie all ihre Wut an der Person auslassen konnte, die dafür verantwortlich war. Diesmal würde er leiden, nicht länger wollte sie sich das bieten lassen. Einen kurzen Moment konnte man einen nahezu angsteinflößenden Blick in ihren Augen erkennen, doch bereits beim nächsten Wimpernschlag war dieser ihrer kühlen Geschäftsmäßigkeit gewichen, die sie an den Tag zu legen gewohnt war. Sie schminkte sich nur dezent, ein wenig Kajal, Lidschatten und zum heutigen Anlass tiefroten Lippenstift, der ihre vollen Lippen angenehm betonte. Ein großes Bürogebäude erhob sich am Ende der Straße, und sie hielt direkt darauf zu. Davor war ein Schild angebracht, welches sie jedoch nicht beachtete, da sie die Aufschrift auswendig kannte. Neu waren nur die bunten Wahlplakate, welche die großen Fenster der Kanzlei schmückten. Ein junger Mann hielt ihr die Tür auf, und sie trat schwungvoll in die imposante Eingangshalle. Das Klacken ihrer Absätze hallte in der Stille wider, so dass sich die Arbeitenden nach ihr umschauten. Sie steuerte auf einen der Aufzüge zu. Bevor sie einsteigen konnte, wurde sie jedoch von einer älteren Dame angesprochen: „Kann ich Ihnen vielleicht behilflich sein?“. „Nein, vielen Dank“, erwiderte sie in kühlem Tonfall und wandte sich ab. „Zu wem müssen Sie denn?“, fragte die Dame weiter. „Herr Ferguson, er erwartet mich“, versuchte sie erneut, die ältere Frau abzuwimmeln. Diese machte jedoch nur ein überraschtes Gesicht und sagte: „Es tut mir leid, aber Herr Ferguson möchte nicht gestört werden.“ „Gut, ich werde ihm sagen, dass sie mich davon in Kenntnis gesetzt haben.“ Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, betrat sie den Aufzug und fuhr in die oberste Etage. Dort erwartete sie eine Sekretärin, die ebenfalls bestrebt war, sie nicht hindurchzulassen. Bevor ihr Geduldsfaden riss, las sie den Namen auf ihrem Schild, setzte ein breites Lächeln auf und sagte in ruhigem Ton: „Jeanette, rufen Sie ihn doch kurz an, ich bin sicher es ist in seinem Interesse, wenn ich jetzt zu ihm gehe.“ Ein wenig widerstrebend setzte die Sekretärin sich hinter ihren Schreibtisch und nahm den Hörer auf. Bevor Jeannette überhaupt gewählt hatte, war die Unbekannte an ihr vorbeigerauscht und in das Büro von Herrn Ferguson gestürmt. Von innen schloss sie die Tür ab, so dass Jeannette nichts anderes übrig blieb, als sich telefonisch bei ihrem Chef zu entschuldigen, welcher sie jedoch beruhigte, dass alles in Ordnung sei.
Nach dem kurzen Telefonat blickte er in ein mehr als wütendes Gesicht und wusste, dass bei weitem nicht alles in Ordnung war. „Sie sehen sehr gut aus“, versuchte er, sie ein wenig zu besänftigen. „Spar dir das Süßholzraspeln für deine Sekretärin auf“, fuhr sie ihm über den Mund und verpasste ihm eine schallende Ohrfeige: „ Du hättest dich heute melden müssen, das weißt du verdammt gut.“ Es kostete sie Mühe nicht zu laut zu schreien. Er war aufgestanden und bemühte sich um entschuldigende Worte: „Ich habe es versucht, wirklich, doch zur Zeit ist hier einfach die Hölle los. Außerdem sind mir ständig Reporter auf den Fersen. Meine Konkurrenten warten doch nur auf einen Skandal, der mir jede realistische Chance in der Wahl nimmt.“ Erneut fuhr sie ihn an: „Deine jämmerlichen Entschuldigungen interessieren mich nicht. Du weißt genau, dass wir woanders ein Treffen hätten vereinbaren können. Zumal ich dir deine Ausreden noch nie geglaubt habe. Unseren letzten Termin hast du auch schon ignoriert.“ Sie war hinter den Schreibtisch getreten und bei jedem Wort einen Schritt auf ihn zugegangen. Der Versuch, Abstand zu wahren, ließ ihn zurück treten, bis er mit dem Rücken an die Wand stieß. „Sie müssen mir glauben, es war wirklich keine Absicht. Es ist schließlich auch nicht nur mein Wunsch, dass ich die Wahl gewinne.“ Da hatte er natürlich Recht, und das wusste sie, dennoch konnte sie ihm das nicht durchgehen lassen. Sie packte ihn unterm Kinn und drückte mit der Handfläche gegen seine Kehle, bis ihm die Luft wegblieb. Sicherlich war sie nicht stärker als er, doch etwas hielt ihn davon ab, sich zu wehren, etwas das ihn immer davon abgehalten hatte. Es war als würde sie irgendetwas Machtvolles umgeben, eine Art Bann, dem er nicht entkommen konnte, der es ihr erlaubte, mit ihm zu tun, was sie wollte. Vor über 20 Jahren war es so gewesen und heute war es immer noch so. Obwohl sich langsam Spuren des Alters in ihrem Gesicht zeigten, war sie jedoch in keiner Weise unattraktiv. Er schüttelte leicht den Kopf, einerseits um diese Gedanken aus seinem Kopf zu drängen, andererseits, um nach Luft zu ringen, doch ihr Griff war unnachgiebig und erbarmungslos, genauso wie der Blick, mit dem sie ihn wieder bedachte. Seine Beine begannen zu kribbeln und er fühlte sich immer schwächer, er drehte den Kopf wie wild umher, konnte ihre Hand so jedoch nicht lösen. Als er in einem Nebel der Bewusstlosigkeit zu versinken drohte, ließ sie ihn los, und er rutschte an der Wand entlang auf den Boden, wo er sitzen blieb und gierig nach Luft schnappte. Sie trat ihm in die Seite und drehte sich von ihm weg. Daraufhin schritt sie grazil zu seinem Schreibtisch und setzte sich auf seinen Stuhl. Die Handtasche hatte sie bereits neben sich abgestellt und forderte ihn nun auf, sich ebenfalls zu ihr zu setzen. Aufmerksam beobachtete sie ihn, wie er aufstand, noch immer ein wenig geschwächt. Sein maßgeschneiderter Anzug zeigte, dass er weiterhin regelmäßig trainierte und sich nicht von der Trägheit des Büroalltags beeinflussen ließ. Sein Haar war voll und dunkel, und der freche Charme war auch noch nicht aus seinen Augen gewichen, was ihn vermutlich jung hielt. Er war mittlerweile auch schon Ende 30, kaum zu glauben, wo die Zeit geblieben war, doch wirklich gebessert hatte er sich keinen Deut. Noch immer hielt er sich nicht an die Vereinbarung, was schließlich der Grund für ihren Besuch in seinem Büro war. Er setzte sich ihr gegenüber und vermied es, sie direkt anzuschauen. „Also, Miguel, bist du bereit, die Liste durchzugehen?“, fragte sie, woraufhin er nickte. Verärgert zog sie die Augenbrauen hoch und bedachte ihn mit einem strengen Blick. Als er aufblickte und es bemerkte, beeilte er sich, entschuldigende Worte zu finden und fügte dem hinzu: „Ja, ich bin bereit.“ Von Beginn an hatte sie darauf bestanden, dass er sich an einfache Formen der Höflichkeit hielt und ihrer Ansicht nach, gehörte die Beantwortung von Fragen in ganzen Sätzen, dazu. Sie holte einen Notizblock hervor, auf dem eine Liste notiert war, welche sie nun Punkt für Punkt ablas. „Hast du wenigstens an die medizinischen Untersuchungen gedacht“, fragte sie in vorwurfsvollem Ton. „Ja, alle Ergebnisse sind in der oberen Schublade“, antwortete er. Sie zog ein ganzes Bündel an Dokumenten und Negativen hervor. Mit geschultem Blick überflog sie die Blutuntersuchung, das Röntgenbild der Lunge und das psychologische Gutachten und machte mehrere Kreuze in ihrem Notizblock. „Dennoch wirst du dich spätestens nächstes Jahr von unseren Ärzten noch einmal untersuchen lassen müssen“, erwähnte sie, wobei sie sich Mühe gab, dass er die Zufriedenheit in ihrer Stimme nicht hörte. „Ja, kein Problem“, erwiderte er nur. „Beruflich gibt es keine Probleme, oder?“, las sie die nächste Frage vor. „Nein, die Kanzlei läuft gut.“ „Deine Zahlungen sind alle regelmäßig eingetroffen“, stellte sie fest und machte ein Kreuzchen auf dem Block: „Und wie sieht es mit der Wahl aus?“ „Nun ja, prinzipiell läuft es gut. Soweit es mich betrifft, gab es noch keinen Skandal, mein Hintergrund wurde auch schon überprüft und als gut befunden. Die Ehe war eine sehr gute Idee und hat mir zusätzliche Stimmen bei Umfragen eingebracht. Eine Schwierigkeit sehe ich zurzeit eigentlich nur bei meinem Alter, also laut Umfragen hätten die Leute lieber einen älteren Kandidaten“, erklärte Miguel und zuckte dabei mit den Schultern, als würde er beteuern wollen, dass er sich bemühte, alles richtig zu machen. Sie notierte sich das und versprach, dass sie sich darum kümmern würde. „Wo du gerade schon das Thema Ehe angesprochen hast, ich hoffe, du hältst dich an deine ehelichen Pflichten…“, sie ließ den Satz so im Raum stehen. Beide wussten, dass es nur eine Scheinehe war, um seinen Stand zu sichern, dennoch wäre sie nicht davon angetan, wenn sie hörte, dass er ein Verhältnis hatte. Zu groß war die Gefahr, dass dies einen Skandal geben würde, und zu groß ihre Moral, als dass sie ihm das durchgehen ließe. Er nickte behutsam und wandte den Blick zu Boden, als er dies zögerlich bejahte. Sie durchschaute seine Lüge sofort und verlangte, dass er sie anschauen solle, um dies zu wiederholen. Er hob den Kopf, und sie ohrfeigte ihn erneut: „Bist du wahnsinnig, sprichst hier groß davon, du willst die Wahl nicht in Gefahr bringen und fängst eine Affäre an?! Mal ganz abgesehen davon, dass sich das einfach nicht gehört. Wie kannst du es nur wagen?!“ Ihre Stimme bebte vor Zorn, und sie war immer lauter geworden. Miguel hob zu Entschuldigungen an, doch sie funkelte ihn nur wütend an und brachte ihn so zum Schweigen. „Wer ist sie? Ich will den Namen!“, brüllte sie ihn an. Er antwortete nicht gleich und nickte zögerlich zur Tür. Sie schloss für einen kleinen Augenblick die Augen und atmete tief ein. Beim Ausatmen öffnete sie die Augen wieder und stand auf, vor Wut schäumend. Sie ging um den Schreibtisch herum und stellte sich seitlich hinter ihn. Miguel spürte ihre Hand im Nacken, und dann ihren Atem an seinem Ohr, als sie bedrohlich flüsterte: „Du willst mir doch wohl nicht erzählen, dass du ganz klischeehaft mit deiner Sekretärin schläfst, was jeder, der hier arbeitet, mitbekommen kann?! Sie weiß nicht nur, wer du bist, sondern auch, dass du verheiratet bist, dich zur Wahl aufstellst und so weiter. Wenn du schon so eine idiotische Nummer abziehen möchtest, hättest du dir nicht irgendeine Unbekannte nehmen können?! Was ist denn, wenn du keine Lust mehr auf sie hast? Sie wird der ganzen Welt brühwarm von deinem Betrug erzählen, dass du doch nicht der gute Ehemann bist, für den dich deine Wählerschaft hält und…“ Er unterbrach sie wutschnaubend: „Das ist etwas anderes, ich bin in sie verliebt. Sie bedeutet mir wirklich etwas, und sie wird mich auch nicht verraten, ich habe das mit ihr geklärt.“ „Du Narr, ich hoffe du hast ihr nicht noch weitere deiner Geheimnisse offenbart. Wie verblödet bist du eigentlich?! Die Hochzeit war nur zu deinem Besten, und das weißt du ganz genau. Du hättest dich wenigstens zügeln und deine Hormone bis nach der Wahl zurückstellen können. Es sind nur noch ein paar Tage, und die setzt du aufs Spiel wegen einer schnellen Nummer?“, ihre Stimme wurde immer bedrohlicher, und am Ende war es nur noch ein Zischen, was ihn schaudern ließ. Ihre Fingernägel bohrten sich in die Haut am Nacken, und er bekam eine leichte Gänsehaut. Sein ganzer Körper war angespannt, denn er wusste instinktiv, was gleich passieren würde, und dennoch schien die Zeit still zu stehen, kurz bevor sie mit voller Wucht seinen Kopf auf die Tischplatte donnerte. Er schlug mit der Stirn auf, und die Erschütterungen in seinem Kopf schienen kein Ende zu nehmen, es dröhnte und schmerzte. Er sah ein wenig verschwommen und schloss die Augen, um das Schwindelgefühl zu vertreiben, bevor er sich wieder aufsetzte. Ihre Hand ruhte mittlerweile auf seiner Schulter, und der Daumen bohrte sich schmerzhaft hinter sein Schlüsselbein, so dass er leicht einknickte. „Ich erwarte, dass du die Sache augenblicklich beendest, nein, ich verlange es. Danach werde ich mich um sie kümmern und dir eine neue Sekretärin suchen, hast du das verstanden“, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen, drückte sie noch ein wenig fester zu. „Ich will…“, begann er, durfte den Satz jedoch nicht zu Ende bringen. „Falsche Antwort, es heißt einfach nur Ja!“, fauchte sie. Bedrückt blickte er auf seine Schuhe, obwohl er Jeanette liebte, konnte er nicht anders, als jetzt zuzustimmen. Sie nickte zufrieden und ging wieder um den Schreibtisch, um sich langsam in den Stuhl zu setzen. Die Beine übereinander geschlagen, legte sie eine Hand auf die Lehne und griff mit der anderen nach dem Telefonhörer. Intuitiv benutzte sie die Kurzwahltaste 1 und wurde wie erwartet mit Jeanette verbunden. „Kommen Sie bitte herein!“, bat sie in einem Tonfall, der jedoch keine Widerrede duldete, und legte wieder auf. „Miguel öffne ihr die Tür!“, befahl sie streng, woraufhin er sich sofort erhob, die Tür aufschloss und diese öffnete.
Jeanette trat ein und betrachtete Miguel mit einem argwöhnischen Blick. Sie hatte ihn noch nie so gesehen, er blickte sie nicht an und wirkte fast schon verschüchtert. Jeanette hielt Ausschau nach der ominösen Frau, die vor einer halben Stunde an ihr vorbei gestürmt war, und entdeckte sie auf Miguels Stuhl. Geradezu hoheitsvoll thronte sie darauf und tippte ungeduldig mit den Fingern auf die Lehne. Miguel schloss die Tür, und mit einem Nicken bedeutete sie den beiden, dass sie sich setzen sollten. Jeanette setzte sich zögerlich, sie wusste nicht, was sie von der Szene halten sollte, die sich ihr hier bot. Miguel gab keinen Ton von sich, und die Fremde begann zu sprechen: „Ich weiß von Ihrem Arrangement und muss Ihnen mitteilen, dass sie damit nicht nur Miguels Ehe, sondern auch seine politische Karriere gefährden und dass dies nun beendet ist.“ „Was?“, entfuhr es Jeanette erstaunt, sie schaute Miguel verwirrt an. Sie versuchte, in seinem Gesicht eine Antwort zu finden, doch er hielt es weiterhin gesenkt. „Des Weiteren werden Sie hier gekündigt, doch wir haben einen idealen Ersatz für Sie, sogar besser vergütet als bisher.“, fuhr sie unbeirrt fort. „Das kann doch nicht Ihr Ernst sein. Miguel sag du doch mal was dazu. Ich dachte, du liebst mich!“, entrüstete sich Jeanette vor ihrem Liebhaber. Dieser blickte auf, jedoch nicht ihr in die Augen, sondern der Fremden hinter seinem Schreibtisch. Mit einem leichten Kopfnicken, gab sie ihm ihre Zustimmung, und er räusperte sich, um zu einer Erklärung anzusetzen: „Das tu ich, nur es geht zurzeit einfach nicht, bitte versuch, es zu verstehen.“ Jeanette schüttelte missbilligend den Kopf, sie war enttäuscht von der Reaktion Miguels und gleichzeitig verwirrt. Sie wusste nicht, in welcher Beziehung er zu dieser Frau stand oder was sie überhaupt hier zu suchen hatte. Dies platzte jetzt auch aus ihr heraus: „Wer sind Sie eigentlich, und warum mischen Sie sich in unsere Beziehung ein?“ Die fremde Frau lächelte, doch ihre Augen waren kalt: „Zunächst einmal haben Sie keine Beziehung, und den Rest lassen sie mal Miguels und meine Sorge sein. Ich würde Sie jetzt bitten mitzukommen, damit ich Sie in Ihren neuen Arbeitsplatz einweisen kann.“ „Ich werde nirgends mit hinkommen. Wenn es wirklich dein Wunsch ist, mich loszuwerden, Miguel, dann gehe ich, aber ich will es hören und zwar von dir!“, forderte Jeanette. Sie blickte ihn an, er schaute jedoch immer nur die Fremde an, welche eine Augenbraue hob und erwartungsvoll zurückschaute. Daraufhin nickte Miguel sichtlich verletzt und wandte sich Jeanette zu: „Ja, es ist so, wie sie sagt.“ „Gut“, meinte Jeanette eingeschnappt und stand auf. Sie blickte Miguel noch einmal an, bemerkte nicht, wie die fremde Frau indessen aufstand und zur Tür ging. Er blickte auf seine Hände, konnte sie nicht ansehen, es machte ihn zu traurig. Jeanette wandte sich ab und ging zur Tür. „Es tut mir Leid, aber ich kann Sie wirklich nicht gehen lassen“, stellte die Fremde mit einem halben Lächeln fest, doch Jeanette verstand nun gar nichts mehr. Sie blickte zurück zu Miguel, welcher sich jedoch weiterhin nicht rührte.
Es war über 20 Jahre her, dass er diese Worte aus ihrem Mund vernommen hatte. Er war damals gerade mal 16 Jahre alt gewesen und hatte nicht viel vom Leben zu erwarten. Sein Vater war nur selten Zuhause, den Rest der Zeit trieb er sich irgendwo herum, hatte keine Arbeit und verdingte sich mit illegalen Geschäften, die jedoch viel zu wenig einbrachten, um eine 6-köpfige Familie zu ernähren. Um etwas dazu zu verdienen, arbeitete seine Mutter in der nahegelegenen Tankstelle als Aushilfe. Miguel war der Zweitälteste, und da sein älterer Bruder sich bereits mit 15 aus dem Staub gemacht hatte, fiel es ihm zu, sich um seine jüngeren Geschwister zu kümmern. In der kleinen Wohnung teilten sich alle Kinder ein Zimmer, es war das reinste Chaos, weil seine Mutter nach der Arbeit nur noch die nötigste Hausarbeit verrichtete, wie etwa Essen zu kochen. Zur Schule war er schon seit einem Jahr nicht mehr gegangen und traf sich oft mit anderen aus seiner Gegend im Park, wenn seine Geschwister vormittags zur Schule gingen. Die anderen Jungs waren älter als er und arbeitslos, weil sie genau wie er entweder nicht die Möglichkeit hatten oder die Möglichkeit nicht ergriffen, die Schule zu Ende zu machen oder sich mit den falschen Menschen eingelassen hatten. Es war eine Art Ausblick auf seine eigene Zukunft, doch er wusste nicht, was er dagegen tun sollte. In seinem Viertel war das nun mal so. Seine Mutter brauchte seine Hilfe, und er würde schon noch Arbeit finden irgendwo. Eine Zeitlang hatte er auch in der Tankstelle gearbeitet, aber der Chef hatte ihn und seinen Kumpel Tony erwischt, wie sie Alkohol mitgehen ließen. Miguels Mutter hatte ihn immerhin dazu überredet, nicht die Polizei zu rufen, aber seinen Job war er natürlich los. Seine Ambitionen, sich eine neue Stelle zu suchen waren gleich null. Das Problem ist, dass er ganz und gar nicht dumm ist und ihn die meisten Jobs unterforderten, er fühlte sich zu klug, um dieses oder jenes zu tun. Nach einiger Zeit hörte er jedoch auf, darüber nachzudenken, was er aus seinem Leben hätte machen können. Er gehörte nun einmal nach hier, und Leute von hier brachten es eben zu nichts. Tony hatte ihn einigen Kleinkriminellen vorgestellt, die planten einen Supermarkt auszurauben. Als sie ihm anboten, mitzumachen, hatte er bloß zustimmend mit den Schultern gezuckt, und ehe er sich versah, war er mitten drin gewesen. Beim ersten Überfall lief alles glatt, sie teilten das Geld, niemand wurde verletzt und die Polizei hatte keine Spur von ihnen. Auch die darauffolgenden Einbrüche liefen wie geschmiert. Dann hatten sie es auf einen anderen Supermarkt abgesehen, aber der Ladenbesitzer zog unerwartet eine Waffe und erwischte einen von ihnen mit einem Streifschuss am Arm. Dieser hatte sie alle verpfiffen, und sie mussten Sozialstunden leisten. Alle hatten ein Auge auf die hübsche blonde Betreuerin geworfen, die ihnen die geleistete Arbeit bestätigen musste. Sie war Anfang dreißig und ließ sich nur zu einem ironischen Lächeln herab, als die Jungs einer nach dem anderen versuchten, sie mit halbstarken Sprüchen anzumachen. Miguel hatte sein Glück nicht versucht, sie war ihm zu arrogant und zickig, wie er großspurig behauptete. Seine Freunde brachen in Gelächter aus, nicht etwa weil sie seine Aussage amüsant fanden, vielmehr weil Frau Sislack, so hieß die Dame, direkt hinter ihm stand, als er sich über sie ausließ. „Wie wäre es, wenn du mitkommst und mir noch einmal haargenau erklärst, warum ich- wie sagtest du- ein arrogantes Miststück bin?“, schlug sie mit einem eiskalten Lächeln vor. Miguel fühlte sich, als sei er gerade gegen eine Tür gerannt, und folgte ihr zögernd in ihr Büro. Sie schloss die Tür, bat ihn, sich zu setzen und blieb hinter ihm stehen. Es war ein unangenehmes Gefühl, so dass er sich umdrehte und ausgiebig begann, sich bei ihr zu entschuldigen, was das eingefrorene Lächeln in ihrem Gesicht jedoch nicht zum Schmelzen bringen konnte. „Sie müssen mir glauben, dass war so wirklich nicht gemeint, ich wollte doch nur vor den Jungs ein bisschen angeben…“, brachte er stockend hervor. Irgendetwas an diesem Grinsen bereitete ihm eine Gänsehaut, er konnte diese Frau nicht einschätzen. Sie war nicht wie einer der Lehrer in der Schule, die man wegen des Rauchens in der Toilette belog, irgendwie wirkte sie angsteinflößend, wie sie da so stand mit überkreuzten Armen und stahlblauen Augen, die ihn zu durchleuchten schienen. Sie nickte nur verständnislos, ging jedoch gar nicht auf seine Ausflüchte ein, stattdessen kramte sie einen Stapel Papier hervor, den sie ihm hinlegte. Dann schlich sie um den Schreibtisch und setzte sich auf die Stuhlkante. Über ihre eigenen Papiere hinweg beobachtete sie ihn, während er die erste Seite überflog. „Bearbeite die Seiten, und wir vergessen den Vorfall“, sagte sie, ohne ihn aus den Augen zu lassen. „Warum? Wofür ist das hier?“, argwöhnte er. „Eine Statistik zur Jugendkriminalität“, antwortete sie leichthin: „Ich gebe dir eine Chance glimpflich aus der Sache heraus zu kommen, entweder du nimmst sie wahr oder du lässt es.“ „Schon gut“, murmelte er und begann den Test zu bearbeiten. Ein Teil bestand aus Mathe-Aufgaben, einer aus logischen Problemen, die man lösen musste, in einem weiteren wurden allgemeine Fragen gestellt. Der nächste Part behandelte Wortspiele, die es zu lösen galt und eine Seite verlangte persönliche Angaben und die ausführliche Beantwortung bestimmter Fragen, bei welchen die eigene Ansicht zu kontroversen Themen dargelegt werden sollte. Nach knapp zwei Stunden war er fertig, Frau Sislack hatte ihn die ganze Zeit beobachtet und nahm nun die Papiere an sich. „Ist aber anonym oder?“, wollte Miguel wissen, was sie bejahte. Er erhob sich, verabschiedete sich knapp und verließ das Büro.
Mehrere Male las sie seine Antworten durch und war sich sicher diesmal einen Treffer gelandet zu haben. Nach dem Maßstab dieses Tests war er hochintelligent, zudem stammte er aus zerrütteten Familienverhältnissen, so dass er mehr als geeignet war. Ohne weiter zu zögern, rief sie den Boss an: „Sislack hier, ich habe einen.“ Die vertraute Stimme antwortete: „Ich schicke sofort jemanden rüber.“ Dann war das Gespräch schon vorüber. Der Boss verschwendete niemals unnötig lange Zeit.
Am nächsten Tag klingelte es, kurz nachdem Miguels Geschwister zur Schule und seine Mutter zur Arbeit aufgebrochen waren. Miguel lag noch im Halbschlaf im Bett und hatte kein Interesse daran, die Tür zu öffnen. Entweder es war sein unzuverlässiger Vater, der seinen Schlüssel erneut verloren hatte und Hilfe brauchte, oder die neugierige Nachbarin von Gegenüber, die nie Zucker im Haus zu haben schien. So oder so, er wollte einfach weiter schlafen, doch das Klingeln hörte nicht auf. Neugierig hin oder her, aber derart penetrant würde die Nachbarin nicht an der Tür schellen. Als er das nervige Geräusch auch nicht abstellen konnte, indem er sich ein Kissen auf die Ohren presste, ging er schließlich zur Tür. Es war die blonde Sozialarbeiterin Frau Sislack. „Was wollen Sie denn hier?“, begrüßte er sie unfreundlich, was sie jedoch einfach überhörte: „Ich hab die Stunden abgeleistet und den doofen Fragebogen auch ausgefüllt.“ „Das ist richtig, genau deshalb bin ich hier. Die Ergebnisse zeigen einen ungewöhnlich hohen IQ bei dir, ich würde gerne weitere Tests bei dir machen“, erklärte sie, was ihm jedoch nur ein hämisches Lachen entlockte.“ „Vergessen Sie es“, erwiderte er Schulter zuckend. „Nun ja, dann eben anders. Entweder du kommst mit mir, oder ich vergesse, dass du bereits alle Sozialstunden abgeleistet hast und lasse dich von der Polizei bringen“, fuhr sie mit ihrem kalten Lächeln fort. „Das können Sie nicht tun“, regte Miguel sich auf und blickte sie entgeistert an. Diesmal war es an ihr, hämisch zu lachen. „Na komm, ich biete dir eine gute Gelegenheit, du solltest sie nutzen“, ihr Ton war versöhnlich, und Miguel nickte: „Meinetwegen. Ich zieh mir kurz was an.“ Er warf schnell einen Pullover über sein Shirt und schlüpfte in eine weitgeschnittene Jeans. Dann stapfte er in seine Schuhe, griff nach einer Jacke, in der sein Schlüssel steckte, und zog diese ebenfalls an. Frau Sislack ging mit ihm das Treppenhaus hinab, es waren nur zwei Etagen, was in diesen Hochhäusern ohne Aufzug ein echter Glücksfall war. Miguel ging ein wenig hinter ihr und bemerkte, dass sie zur Abwechslung mal High Heels trug, die dem tristen Hosenanzug, den sie trug, eine ganz andere Wirkung verliehen. Ihr Haar war wie üblich zu einem Pferdeschwanz gebunden. Vor der Haustür wartete ein Van, dessen Scheiben abgedunkelt waren. „Das ist Ihre Karre?“, fragte Miguel überrascht, und sie nickte halb: „Nun ja, der wurde mir gestellt mit Fahrer.“ Bevor er ihr weitere Fragen stellen konnte, ging die hintere Tür auf, und sie forderte ihn auf einzusteigen, wobei sie ihm dicht folgte und augenblicklich die Tür wieder schloss. Der hintere Teil war interessant ausgebaut, mit einer Reihe von 3 Sitzen jeweils rechts und links. Ein Gitter trennte die Fahrerkabine von dem übrigen Auto, doch bevor Miguel, das alles bemerken konnte, wurde er schon in einen Sitz gedrückt, mit Handschellen an den Sitz befestigt und eng angeschnallt. Der Wagen fuhr an, ehe er überhaupt registrieren konnte, was geschehen war. Frau Sislack setzte sich ihm gegenüber und schien die Ruhe selbst zu sein. An ihrem sadistischen Grinsen konnte er erkennen, dass sie über alles bestens Bescheid wusste. „Was passiert hier? Machen Sie mich sofort los!“; brüllte er: „Hilfe, Entführung, Hilfe!“ „Wenn du aufhörst zu schreien, werde ich dir alles in Ruhe erklären“, bemerkte Frau Sislack. „Lassen Sie mich gehen, und ich verrate es niemandem“, beharrte Miguel. Nun sprach eine andere Frau, die er bisher nicht richtig bemerkt hatte. Auch sie war Anfang Dreißig, trug ihr dunkles Haar jedoch streng nach hinten gebunden, wobei sich eine Strähne daraus gelöst hatte. „Es tut mir leid, aber ich kann dich wirklich nicht gehen lassen“, sagte sie in strengem Tonfall, der keine Widerrede duldete. Er schluckte schwer und war verwirrt, er wusste nicht, was hier vor sich ging, doch er wusste, dass es nichts Gutes sein konnte. Die Handschellen schnitten ein wenig in seine Haut, er bemerkte es allerdings kaum. „Was geht hier vor?“, fragte er nun in deutlich ruhigerem Ton. „Wir bieten dir eine einmalige Gelegenheit, etwas mehr aus deinem Leben zu machen, als mit diesen Halbstarken Supermärkte auszuräumen. Schulbildung, ein Studium, einen Job, du musst nur nach unseren Regeln spielen und kannst alles bekommen, was du möchtest“, ihr Ton war beinahe verführerisch, doch er hatte zu lange auf der Schattenseite der Gesellschaft leben müssen, um zu wissen, dass man nichts umsonst bekam. „Wer sagt, dass ich das möchte? Warum sollte ich Ihnen vertrauen?“, wollte er wissen. „Nun ja, ob du es willst oder nicht, eine Wahl hast du jetzt ohnehin nicht mehr. Alles weitere erklären wir dir, wenn wir da sind“, beantwortete diesmal Frau Sislack seine Fragen. Entrüstet wollte er erneut sämtliche Fragen heraus schreien. Bevor jedoch ein einzelner Ton seine Kehle verlassen konnte, gab sie ihm eine Ohrfeige. Mit offenem Mund starrte er sie an, als sie Schulter zuckend erklärte: „Ich habe wirklich keine Lust, mir weiter dein Geschrei anzuhören, und du kannst mir glauben, es ist nur gut für dich, wenn du mich nicht verärgerst, bevor wir überhaupt da sind.“ Wütend rüttelte er an seinen Handschellen und versuchte vergeblich, sich zu befreien, hatte jedoch nicht die geringste Chance, und Frau Sislack beobachtete ihn mit einem höhnischen Grinsen. Die andere Frau ergriff erneut das Wort: „Miguel, hör besser auf damit, du wirst dich nur verletzen. Außerdem bringst du mich so dazu, die Handschellen noch enger zu stellen, damit du dich auch wirklich nicht daraus befreien kannst. Wir wollen dir schließlich nichts Böses, sondern dir nur zu einem besseren Leben verhelfen. Anstatt dagegen anzukämpfen, wäre es vielleicht klüger, diese Gelegenheit wahrzunehmen und etwas aus dieser Möglichkeit zu machen. Du kannst mir gerne glauben, wenn ich dir sage, dass dir jegliche Gegenwehr im Nachhinein ungemein Leid tun wird.“ Ihre Stimme war die gesamte Zeit ruhig geblieben. Miguel hatte ihr auch aufmerksam zugehört, es erschien ihm jedoch lachhaft, und er nahm ihre Worte nicht Ernst, sondern versuchte stattdessen weiter, sich gewaltsam zu befreien. Er riss sich ein wenig die Haut am Handgelenk auf, was nun mehr denn je scheuerte, aber schließlich wollte er sich nicht kampflos seinen Entführern ergeben. Frau Sislack sah sich sein verzweifeltes Bemühen nicht länger an, sondern stand auf, beugte sich über ihn und ließ die Handschellen auf einer engeren Stufe einrasten. Bereits nach einer kurzen Weile spürte er ein unangenehmes Kribbeln in seinen Händen, welches ihm verriet, dass die Blutzufuhr erheblich gehemmt wird. Letztlich gab Miguel auf, da es ihn zu viel Mühe kostete seine Hände überhaupt zu bewegen, und er unternahm keine weiteren Befreiungsversuche, damit er den Druck auf seine Handgelenke nicht noch verstärkte. Frau Sislack nickte zufrieden und schenkte ihm ein angedeutetes Lächeln. „Hast du es gelernt?“, erkundigte sie sich und blickte ihm dabei direkt in die Augen. Er nickte eingeschnappt und ließ den Kopf hängen. „Bitte, wie war das?“, wollte Frau Sislack wissen. Miguel räusperte sich und presste wütend hervor: „Ja ich hab es kapiert.“ „Sehr schön“, stellte sie fest: „Dafür hast du es auch verdient, dass ich dir meine Kollegin vorstelle. Frau Braggs und ich werden in Zukunft deine Hauptansprechpartner und Betreuer sein auf deinem gesamten weiteren Lebensweg.“ Frau Braggs nickte zustimmend und beobachtete Miguel mit kritischem Blick, welchen er jedoch verbissen und stur erwiderte. „Das ist wirklich toll, mal ganz abgesehen davon, dass ich keine Babysitter brauche und ich keine Ahnung habe, wo sie mich überhaupt hinbringen. Ich kann mit dieser bescheuerten Information also nicht das Geringste anfangen“, ereiferte sich Miguel mit zorniger Stimme. „Mehr können wir dir jetzt noch nicht mitteilen, aber du wirst das schon sehr bald erfahren, die Fahrt dauert nur noch gut vier Stunden“, entgegnete Frau Braggs in ihrem ruhigen Tonfall, in dem diesmal jedoch etwas Bedrohliches lag, was Miguel sagte, dass er nun besser Schweigen sollte. Er suchte in ihrem Gesicht nach Anzeichen irgendwelcher Gefühlsregungen oder Emotionen, die es ihm leichter machen würden, sie einzuschätzen, auch wenn sich nichts in ihrem Gesicht widerzuspiegeln schien. Es war geradezu frustrierend. Nicht nur, dass er ganze vier Stunden gefesselt auf einem Autositz verbringen musste, um nähere Informationen zu seiner Entführung zu erhalten, hinzu kam noch, dass sich seine Entführer nicht den kleinsten Fehler zu erlauben schienen. Er wusste weder, was sie vorhatten, noch wer sie waren, noch warum sie ausgerechnet ihn, einen Jungen aus armen Verhältnissen, gefangen hielten, für den ohnehin niemand Lösegeld zahlen würde. Die Ungewissheit der gesamten Situation und die ruhige, eiskalte Art der Frauen flößte ihm Angst ein. Irgendeine Aura umgab sie, die er furchterregend fand, und diese Ausstrahlung war auch der Grund, warum er sie nicht weiter mit Fragen reizen wollte. Miguel blickte bedrückt auf seine Schuhe, da er nicht wusste, wohin er sonst schauen sollte, und sagte kein Wort mehr.
Schmerzlich hatte er erfahren müssen, was es hieß, dieser Frau die Stirn zu bieten. Miguel hatte wirklich viel über sich ergehen lassen, bis ein einzelner Blick von ihr reichte, um zu erlangen, was sie von ihm wollte. Nur sein freches Grinsen hatte sie nie aus seinem Gesicht wischen können. Als klebte der Trotz in seinen Augen fest, so spürte Frau Braggs zu jeder Zeit, dass da noch immer ein Funken des Widerwillens in ihm steckte. So lange er ihre Befehle jedoch befolgte und an dem Plan festhielt, sah sie darüber hinweg. Den Plan hatte Miguel nicht verraten oder hinterfragt, nachdem sie ihm diesen geradezu eingeprügelt hatte. Auch jetzt saß er mit gesenktem Kopf an seinem Schreibtisch, anstatt seiner Geliebten zu Hilfe zu eilen.
Jeanette schien die Gefahr nicht bewusst zu sein, in der sie schwebte, denn sie verlangte mittlerweile lautstark, dass Büro verlassen zu können. Hin und wieder blickte sie hoffnungsvoll zu Miguel, ob er sich endlich aufraffen würde, ihr zu helfen und den albernen Drohungen dieser Frau ein Ende zu machen. „Hören Sie, Jeanette, bitte seien Sie vernünftig. Ihnen wird nichts geschehen, wenn Sie sich jetzt ruhig verhalten und mir folgen. Allerdings kann ich nicht zulassen, dass Sie unbeaufsichtigt diesen Raum verlassen, was bedeutet, dass ich Sie notfalls gewaltsam hier festhalten werde, bis Sie zur Besinnung kommen“, verdeutlichte Frau Braggs der verstörten Sekretärin in einem so freundlichen Tonfall, als würde sie einem Kind beim Basteln helfen. Ungläubig schüttelte Jeanette den Kopf, sie wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Fassungslos betrachtete sie die Frau vor sich und entschloss sich dann im Bruchteil einer Sekunde, nach der Türklinke zu greifen und versuchte, diese durch gewaltsames Rütteln zu öffnen. Noch bevor sie jedoch einmal daran gerüttelt hatte, spürte sie ein Tuch über ihrem Mund, welches sich fest auf Nase und Lippen presste. Unfreiwillig atmete sie die giftigen Stoffe ein und ließ nach einem weiteren schwachen Rütteln die Tür los und taumelte nach hinten. Schließlich verlor sie das Bewusstsein, und Frau Braggs, die das Tuch immer noch fest auf den Mund der Sekretärin presste, ließ diese langsam zu Boden gleiten, so dass sie sich den Kopf nicht anschlug. Danach blickte sie auf, um festzustellen, dass Miguel sich keinen Millimeter bewegt hatte. Unruhig wippte er mit dem Schuh auf und ab und wagte es nicht, sich umzusehen. Sie konnte ihm ansehen, dass er sich in einem Dilemma befand. Einerseits bereute er es, für seine Geliebte nicht in die Presche gesprungen zu sein, andererseits versuchte er, sein Handeln vor sich selbst zu rechtfertigen, dass er keine Möglichkeit hatte ihr zu helfen, ohne die gesamten letzten 20 Jahre seines Lebens in Frage zu stellen. Es war einfach zu spät. Immerhin war Jeanette nicht in ernstlicher Gefahr gewesen, dann, so versuchte er sich selbst einzureden, hätte er sicherlich anders gehandelt. Verständnislos schüttelte Frau Braggs den Kopf, ohne dass er dies jedoch bemerkte, und setzte sich erneut hinter den Schreibtisch. „Dann werden wir sie wohl anrufen müssen“, stellte sie ohne Mitleid fest und behielt Miguel dabei fest im Blick. Kurz flammte Bedauern in seinen Augen auf, denn er wusste genau, wen sie meinte und was sie damit bezwecken wollte. „Möchtest du ihr vielleicht die Neuigkeiten überbringen?“, es war weniger eine Frage als eine Aufforderung, und Frau Braggs hielt ihm bereits den Telefonhörer hin. Widerwillig ergriff Miguel diesen und wählte die Nummer seiner Frau. Insgeheim hoffte er, sie würde nicht zu Hause sein und bei jedem Klingeln machte sein Herz einen kurzen Aussetzer. Er konnte sich nichts Schlimmeres vorstellen, als ihr von seiner Affäre zu berichten, nicht etwa weil er ihre Gefühle damit verletzen würde, sondern vielmehr weil sie unheimlich wütend werden konnte, wenn er sich nicht an den Plan hielt. Nach dem fünften Klingeln hob sie ab: „Hallo Miguel, alles in Ordnung, du rufst fast nie aus dem Büro an?“ Er stockte und wusste nicht recht, wie er darauf antworten sollte: „Ähm naja, ich habe meine Überprüfung vergessen.“ Ein recht unverfänglicher Anfang, der sich im Nachhinein als höchst unklug herausstellte. Jetzt würde sie wissen, dass er sie nicht nur betrogen hatte, sondern auch, dass sein Geständnis von Frau Braggs forciert wurde. „Na gut, ich nehme mal an, dass dir dann ein unangenehmer Besuch abgestattet wird“, bemerkte seine Frau ein wenig verwundert: „Ich meine, es ist schließlich nicht so, dass du es das erste Mal vergisst.“ Frau Braggs drückte auf Lautsprecher und mischte sich in das Gespräch ein: „Hallo Kayla, ich hab dich auf Lautsprecher gestellt.“ Miguel sah aus, als sei er auf dem Weg zum Henker, und nachdem Frau Braggs und Kayla einige Begrüßungsfloskeln ausgetauscht hatten, wurde es für ihn richtig unangenehm. „Miguel hat dir etwas zu sagen“, forderte Frau Braggs ihn auf, nun sein Geständnis abzulegen. „Oh, da bin ich gespannt“, erklang die interessierte Stimme Kaylas. „Nun ja also, ich ähm, es ist so…also es tut mir wirklich leid, dass also ich ähm“, stotterte Miguel, während er auf den Telefonhörer starrte. „Klingt nach keiner guten Nachricht, nun sag es schon“, verlangte Kayla ein wenig missmutig. „Ich hab mit Jeanette geschlafen, wir hatten eine Affäre, es tut mir wirklich unglaublich leid, das musst du mir glauben, bitte“, quollen die Worte nun aus Miguel heraus. Für einen Moment war es still am anderen Ende der Leitung, danach wurde es dafür umso lauter, denn Kayla brüllte durchs Telefon: „Ist das dein Ernst? Du lässt dich mit deiner Sekretärin ein?! Und als ich dich letztens gefragt habe, warum sie sich auf der Jubiläumsfeier so merkwürdig verhalten hat, hast du mich, ohne rot zu werden, angelogen?“ „Ich wollte wirklich nicht…bitte Kayla es tut mir leid“, entschuldigte Miguel sich wieder und wieder. „Nein, aber das wird es noch“, beteuerte sie wütend. Frau Braggs schnitt Miguel das Wort ab: „Kayla, du bist natürlich zu Recht wütend, jedoch haben wir gerade ein anderes Problem. Ich habe Miguel natürlich zur sofortigen Beendigung dieser Affäre gezwungen, nur darf dieser Skandal nicht an die Öffentlichkeit geraten, weswegen ich Jeanette erst einmal ausschalten musste. Wir bringen sie am besten zu euch nach Hause, nur dafür wäre es gut, wenn du herkommst. Alles Weitere können wir dann besprechen.“ Kayla hatte verstanden und wusste sofort, was Frau Braggs im Sinn hatte: „Ich mache mich augenblicklich auf den Weg.“ Mit diesen Worten legte sie auf, und auch Miguel tat es ihr gleich, sobald er das Tuten aus dem Hörer vernahm. Frau Braggs bedachte ihn die ganze Zeit mit einem kritischen Blick, der ihm sein unmoralisches und gedankenloses Handeln vor Augen führen sollte. Schließlich machte sie sich daran, Jeanettes Hände zu fesseln, für den Fall, dass sie ihr Bewusstsein schneller wieder erlangte als geplant. Miguel stützte den Kopf auf seine Hände und schloss die Augen, während die Uhr in seinen Ohren viel zu laut tickte und ihm Kaylas Ankunft geradezu bedrohlich vorhielt. Sie waren erst seit wenigen Monaten verheiratet, denn es war nur zu Wahlzwecken geschehen. Alles war bis ins kleinste Detail geplant gewesen, und die schauspielerische Leistung der beiden war geradezu Oscar-reif. Offiziell hatten sie sich bei einer Gerichtsverhandlung kennen gelernt, in der Kayla als Gutachterin auftrat. Drei Jahre war das nun her und seit dem spielten sie ein glückliches Paar. Während des Wahlkampfs wurden sie beide eingeladen, und eine Frage an Miguel lautete, ob sich nicht bald eine Heirat anbahnte. Kayla hatte zu Boden gesehen, als hätten sie dieses Thema bereits besprochen, und Miguel wurde knallrot im Gesicht. Er gab sich nervös und zögerlich, als er dem Publikum erzählte, dass er nun schon mehrere Wochen einen Ring bei sich trage, er nur noch nicht die richtigen Worte gefunden hatte, es ihr zu sagen. Unterdes holte er eine kleine schwarze Box aus der Innentasche seiner Jacke hervor, öffnete diese und kniete sich vor Kayla. Ein funkelnder Ring kam zum Vorschein, als er sie bat, ihn zu heiraten. Sie wischte sich eine Freudenträne aus dem Auge und fiel ihm mit einem lautstarken: „Ja!“ um den Hals. Der Zeitpunkt war ideal gewählt, da es nur wenige Neuigkeiten gab, über die in der Presse berichtet werden konnte, so dass die Liebesgeschichte des aufsteigenden Politikers zu einem hoch emotionalen Moment breitgetreten und so lange wieder aufgegriffen wurde, bis auch der letzte Hinterwäldler von ihrer Heirat erfahren hatte. In der Öffentlichkeit wirkten Miguel und Kayla stets wie das perfekte Pärchen. Sie erschienen wie ein eingespieltes Team, was sie eigentlich auch waren, nur eben auf einer anderen Weise, als die Öffentlichkeit vermutete. Außerdem passten sie optisch gut zusammen, wie er einem Artikel der Boulevard Presse einst entnommen hatte. Seine Gedanken schweiften weiter zu Kayla ab. Ihre großen dunklen Augen schienen oft in seinen Kopf zu sehen, als wüsste sie, was er denkt. Vermutlich tat sie das auch oft genug. Ihre Lippen waren sehr weich, und auch wenn er keine tieferen Gefühle für sie hatte, gefiel es ihm, sie zu küssen, selbst wenn es nur für die Kameras war. Miteinander geschlafen hatten sie zu Beginn ihrer angeblichen Beziehung auch, doch es funkte nicht zwischen ihnen, und sie beschlossen ihr Zusammenleben lieber auf einer freundschaftlichen Ebene fortzuführen. Dies hielt sie jedoch nicht davon ab, in der Öffentlichkeit umso mehr als ein sich liebendes Ehepaar aufzutreten. Einmal erwischte Kayla ihn, wie er sich nach einer anderen Frau umsah und kurz davor war, diese anzusprechen. Sie herrschte ihn an, er solle sich lieber auf den Plan konzentrieren, und rächte sich kurz darauf in einem Interview an ihm. Auf die Frage, ob er sich auch genug Zeit für seine Frau nimmt, da er sowohl politisch wie auch beruflich sehr engagiert sei. Kayla bejahte und fügte hinzu, dass er sich zu einem romantischen Essen beispielsweise niemals verspäten würde. Die Presse roch da wohl die perfekte Gelegenheit, eine Unwahrheit aufzudecken und zu beweisen, dass es sehr wohl in der Ehe kriselte und Miguel Pünktlichkeit nicht so genau nahm, wie seine Frau. Reporter und Fotografen folgten ihm sogar bis in Restaurants und nach Hause, wurden jedoch enttäuscht, weil es sich bei Kaylas Aussage augenscheinlich nicht um Wahlwerbung, sondern um die Wahrheit gehalten hatte. Hinter verschlossenen Türen jedoch war Miguel entnervt und hatte Kayla angefahren, was sie sich dabei gedacht hatte, und ob sie nicht anders mit seiner notorischen Unpünktlichkeit hätte umgehen können. Sie hatte auf der Couch gesessen und so getan, als würde sie darüber nachdenken, und kam dann zu einer einfachen Antwort: „Nein.“ Er bemerkte ihr teuflisches Grinsen, obgleich sie bemüht war, es zu verstecken. Immerhin hatte es keine weiteren Rachezüge in ihrer Beziehung gegeben, jedenfalls bis jetzt. Denn Miguel wollte sich im Traum nicht ausmalen, wie Kayla reagieren würde, wenn sie ihm gleich gegenüber stand. Sie arbeitete als Psychologin, und ihre Art war eher ruhig und bedacht. Genauso wie ihre Rache werden würde, durchgeplant, berechnend und vollkommen unerwartet. Impulsive Wutausbrüche, wie vorhin am Telefon, waren für sie mehr als unüblich. Miguel vermutete, dass sie wegen der bevorstehenden Wahl ziemlich unter Strom stand, denn Kayla sah sich in der Verantwortung für das Gelingen oder Versagen des Plans. Eine Affäre, die den Plan derartig gefährden konnte, tat dann ihr übriges, um Kayla noch mehr unter Druck zu setzen. Jetzt jedoch war es Miguel, der angespannt dasaß und auf das Urteil seiner Frau wartete. Ob andere Männer sich auch so fühlten, wenn sie ihren Frauen eine Affäre beichteten? Er war sich da nicht sicher, obwohl es in einer Beziehung, die auf Gefühlen beruhte, vermutlich viel schwieriger war, einen solchen Vertrauensmissbrauch zuzugeben.
Kayla fuhr in die hauseigene Tiefgarage der Kanzlei und nahm direkt den Parkplatz vor dem Aufzug. Sie stieg aus ihrem Cabrio aus, den Miguel ihr mit großer Geste geschenkt hatte. Sie mochte den Wagen, da er ein wenig ihre Art wiederspiegelte, rasant und stilvoll. Der geschmeidige Stoff ihres neuen Kleides schmeichelte ihrer Figur und betonte ihre leichten Kurven auf eine geschmackvolle Weise. Darüber trug sie eine leichte Jacke, die farblich zu dem Kleid gewählt war und ihre Stiefel rundeten das gesamte Outfit ab. Sie löste das Haarband und ließ ihre dunklen Locken über ihre Schultern fallen, bevor sie den Aufzug betrat. Nachdem sie den Knopf zur obersten Etage betätigt hatte, betrachtete sie sich eingehend im Spiegel. Ihr gefiel, was sie sah, jedenfalls die Oberfläche dessen, doch darunter wollte sie in diesem Moment gar nicht schauen. Wut stieg wieder in ihr auf, als sie daran dachte, wie Miguel den Plan in Gefahr gebracht hatte. Es steckten so viele Jahre der mühevollen Arbeit darin, ihrer mühevollen Arbeit, und dieser Idiot schaffte es nicht, sich unter Kontrolle zu halten, bis alles erledigt war. Persönlich fühlte sie sich nicht im Mindesten angegriffen, sie hatte schließlich keinerlei Gefühle für ihn, und sobald sie alles erledigt hatten, würde sie sich für ihn freuen, wenn er seine große Liebe findet, aber jetzt war einfach der falsche Zeitpunkt, und das war es, was sie so aufbrachte. Hinzu kam die Peinlichkeit, dass sie nicht selbst hinter sein Geheimnis gekommen war, sondern erst Frau Braggs, die höchstens eine Stunde bei ihm verbracht haben konnte. Er hatte es nie geschafft, sie zu belügen, niemand hatte es je geschafft, es war, als sei sie ein lebendiger Lügendetektor. Nichtsdestotrotz empfand es Kayla als unangenehm, dass Miguel eine Affäre vor ihr hatte versteckt halten können. Der Aufzug hielt jedoch auf der falschen Etage. Thomas, ein Kollege Miguels, trat ein und schenkte Kayla ein breites Lächeln, sobald er erkannte wen er vor sich hatte. „Na, bekommt dein Mann einen kleinen Überraschungsbesuch?“, fragte er grinsend und offensichtlich mit Hintergedanken. Kayla nickte zögerlich: „Ja, wir wollten zusammen Mittag essen.“ „Ich hoffe, ich tue damit nichts Unrechtes, aber Janis vom Empfang unten hat vorhin eine attraktive Frau in sein Büro gehen sehen, und sie schwört, es sei keine Mandantin“, flüsterte Thomas verschwörerisch. Offenbar war er ganz darauf aus, zu sehen, wie seinem Chef eine Szene gemacht wurde, und es machte Kayla fast schon Spaß, ihm jegliche Hoffnung diesbezüglich zu nehmen. „Ja, eine Freundin von mir aus Uni-Zeiten, wir haben uns hier verabredet, damit sie endlich meinen Mann kennen lernen kann“, offenbarte Kayla mit einem Zwinkern. Thomas‘ Augen weiteten sich, als könne er es kaum erwarten, aus dem Aufzug zu steigen und den neuesten Klatsch herum zu erzählen. Immerhin besser als eine mysteriöse Fremde, dachte Kayla sich nur. Außerdem wurde dieser Tratsch nie nach außen getragen, dafür waren die meisten Angestellten Miguel gegenüber zu loyal, und die anderen interessierten sich nicht für das Gerede.
Es klopfte an der Tür zu seinem Büro, und Miguel schrak aus seinen Gedanken auf. Frau Braggs hatte es sich bereits wieder in seinem Bürostuhl bequem gemacht und sah ihn nun erwartungsvoll an. Als ein zweites Klopfen ertönte, fuhr sie ihn an: „Willst du nicht die Tür öffnen?“. Missmutig stand er auf und begab sich zur Tür. Er drehte den Schlüssel und hielt seiner Frau diese auf. Sobald Kayla eingetreten war, schloss er die Tür wieder ab und versuchte, Kaylas Blick auszuweichen. Sie sah unheimlich gut aus, aber ihr Stilgefühl und Sinn für modische Kleidung hatten ihm immer schon gefallen. Es hatte sogar eine Zeit gegeben, da war er in sie verknallt gewesen und hat sie angehimmelt. Diese Schwärmerei ist nun allerdings auch schon über 20 Jahre vergangen.