Im See der Himmel - Helen M. Sand - E-Book

Im See der Himmel E-Book

Helen M. Sand

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Beschreibung

Mühlbach in Süddeutschland. Im Alter kehrt Maria aus den USA an den Ort ihrer Kindheit zurück. Hier wuchs sie, streng katholisch erzogen, an der Seite ihrer neun Geschwister auf. Nur wie soll sie zurückfinden in eine Familie, von der sie einst ohne Abschiedswort fortging? Mit Fotos, Briefen und Tagebüchern aus einer alten Kiste werden Marias Erinnerungen an die Jahre 1944 und 1945 wieder lebendig. Eine Zeit, in der sie all das Schöne und Ungestüme ihrer Jugend entdeckte, während die Schatten des Krieges bedrohlich über allem hingen. Damals verliebte sie sich als 18-Jährige in den jungen Soldaten Michael. Für beide war es die große Liebe. Doch Michael musste zurück an die Front. Dass sie ein Kind von ihm erwartete, machte sie zur "Sünderin" und zerriss nicht nur ihre Familie, sondern ein ganzes Dorf. In dieser schweren Zeit sucht Maria Trost im Glauben. Doch es kam alles anders als erhofft... Wird Maria es sechzig Jahre später schaffen, das Geschehene endgültig loszulassen? Ein fesselndes Romandebüt — in bildhafter Sprache mit gut recherchierten Darstellungen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs — über Liebe, Schuld und Vergebung.

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Helen M. Sand

Im See der Himmel

HELEN M. SAND

IM SEE DER HIMMEL

ROMAN

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Klimaneutrale Produktion.

Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlorfrei gebleichtem Papier.

© 2024 Bonifatius GmbH Druck | Buch | Verlag, Paderborn

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden, denn es ist urheberrechtlich geschützt.

Die Namen der Personen in diesem Roman sind von der Autorin frei erfunden.

Umschlaggestaltung: Weiss Werkstatt München, werkstattmuenchen.com

Umschlagfoto: © unter Verwendung von shutterstock | LightField Studios und shutterstock | Mario Krpan (Landschaft) und FREEPIK | @ lantaklaju (Himmel)

Satz: Bonifatius GmbH, Paderborn

Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck

Printed in Germany

eISBN 978-3-98790-919-1

Weitere Informationen zum Verlag:www.bonifatius-verlag.de

Für Frank, Emily und Nicolas

INHALT

1 Fundament

2 Weckruf

3 Ankunft

4 Willkommensgruß

5 Hochzeit

6 Kohlplattenschlag

7 Ascheregen

8 Glascoed

9 Wunder

10 Schatzkiste

11 Nummer 43

12 Paketdienst

13 Maronia

14 Nazar

15 Mellenthin und Swinemünde

16 Eugen

17 Baustellen

18 Bei den Bienen

19 Sabbat

20 Hildes Holunderlikör

21 Taizé

22 Pommerland

23 Vogelwarte

24 Friedenskerze

25 Michaelsberg

26 Bernsteinaugen

27 Das Hohelied der Liebe

28 Fliegerträume

29 Passionszeit

30 Rangierbahnhof

31 Ostern

32 Kapitulation

33 Schming Gum

34 Der Teufel hat graue Augen

35 Micha

36 Zauberbrunnen

37 Abschied

Epilog

Danke

„Im Ödland wird man wieder hören die Stimme der Freude.“

Jeremia 33,11

Liebe Leserinnen und Leser,

ich sehe das Bild meiner Großtante vor mir, wie sie ernst in die Kamera schaut. Es ist ihr Konfirmationstag und ihr Vater, mein Urgroßvater, ist an der Front. Und ich denke an meinen Großvater, den meine Großmutter durch Briefe an die Front kennengelernt hat, und an den Zwillingsbruder meines anderen Großvaters, der aus dem Zweiten Weltkrieg nicht nach Hause kam. Lebensgeschichten, die anders verlaufen wären, hätte es den Krieg nicht gegeben. Sie dienten mir als Inspiration für Marias Geschichte.

Der Krieg hat Maria alles genommen. Es blieb ihr nichts als die Flucht aus der Heimat. Eine Heimkehr schien ihr zeitlebens keine Option. Und doch kam sie zurück. Zurück nach Mühlbach.

Mühlbach, jenes Dorf, das es so nicht gibt und das doch so viele Namen, Orte und Geschichten enthält, die uns bekannt vorkommen. Weil wir fast alle schon einmal ähnliche Geschichten gehört haben, manche grausam, manche liebevoll, und weil wir alle so ein Mühlbach kennen. Wir tragen es noch in uns oder wohnen noch dort. Der Grund, auf dem unser Mühlbach gebaut ist – ist er nur Sand oder liegt dort weißes Gold begraben?

Maria macht sich auf den Weg in ihre alte Heimat und erfährt, dass Vergebung Frieden schenken und das Gefühl geben kann, zu einander zu gehören. Damals wie heute.

Helen M. Sand

1

FUNDAMENT

Greenville, 22. Oktober 2001

Die Morgensonne lachte oktobermild und überzog die schlafenden Zedern mit glitzerndem Goldstaub. Der Herbst hatte Einzug gehalten in den Carolinas und auf den hohen Eichen leuchteten rotgelbe Pinselstriche. Maria liebte den Indian Summer und heute wollten sie endlich wieder in die Blauen Berge, wo man Zuversicht von den Bäumen pflücken konnte.

Jedes Jahr fuhren sie und Jack an schwülwarmen Septembertagen in die Blue Ridge Mountains zur Sky-Top-Apfelfarm, um ihre Lieblingsäpfel zu ernten, aber in diesem Jahr waren sie spät dran. Immer wieder hatte der gefräßige Wurm, der in Jacks Gedärm wütete, sie daran gehindert, doch heute begrüßte das Leben sie mit frischem Wind und obwohl Jack Maria nur ungern das Steuer überließ, genossen sie die Fahrt in ihrem roten Ford Mustang. Vor allem das letzte Stück auf der Pinnacle Mountain Road, wo sie in die warmen bunten Wogen des Herbstwaldes eintauchten, ließ sie Freude atmen und Schönheit im Überfluss fühlen.

Langsam schlängelte sich die Straße immer höher hinauf und um sie herum leuchteten die Blätter um die Wette. Maria schaltete das Radio an. Sie spielten Yellow. Maria liebte dieses Lied. Kurz schaute sie zu ihrem Mann hinüber: Seine Wangenknochen schienen weicher zu werden mit jedem Sonnenstrahl, der durch die Windschutzscheibe fiel. Das Leben war gut.

Für die letzten Kilometer öffneten sie das Verdeck, obwohl der Wind stärker geworden und hier oben in den Bergen die Luft deutlich kühler war. Sie ließen den Herbstwind die melancholische Lethargie des Spätsommers aus ihren Herzen wehen und es störte sie nicht, dass er sich in ihren Haaren verfing. Im Gegenteil, er schien sich an ihrem Lebensglück zu freuen und nur für sie die Blätter vor ihnen wie goldene Sterne tanzen zu lassen.

Maria fuhr schnell, sie genoss es, die Kontrolle über das Auto zu haben, und die vielen Kurven luden sie ein, noch mehr zu beschleunigen. Viel zu schnell tauchte das Schild „Sky Top Orchard“ auf und Maria ging vom Gas, um auf dem unebenen Terrain vor der Apfelfarm zu parken. Es war nicht viel los, nur einige wenige Autos standen auf dem Parkplatz und daneben zwei Schulbusse.

Der Wind hatte noch mehr aufgefrischt und Maria musste sich an Jack festhalten, so kräftig blies er. Die Aussicht verschlug ihr auch diesmal den Atem: Vor ihnen lag das Cherokee County, in Rot und Gelb getaucht, im Hintergrund die verträumten Smoky Mountains und über ihnen ein strahlend blauer, wolkenloser Himmel.

Maria hielt sich heute länger an Jack fest als sonst – oder war es Jack, der seine Maria nicht loslassen wollte, weil sein Herz sich so mühen musste und sein Atem so schnell ging?

„Alles in Ordnung, Schatz?“ Sie sah ihn besorgt an.

„Ja, alles gut, ist nur ganz schön windig heute!“ Er gab ihr einen Kuss, nahm ihre Hand und ging mit ihr langsam in Richtung Apfelbäume.

Sie sah sich um. In den Jahren zuvor waren sie früher hier gewesen, überall war Leben gewesen, Familien, Kinderlachen, doch der Kinderspielplatz gähnte ihnen auf ihrem Weg ungewohnt leer entgegen und auch an den Ständen, an denen man frischen Cider und Donuts kaufen konnte, war niemand zu sehen.

Während Jack den Plan der Anlage studierte, ruhte seine Hand auf seiner Brust. Maria erkundigte sich an der Information nach den Apfelsorten, die sie heute pflücken konnten, und brachte einen kleinen Holzeimer mit zurück. „Komm, heute pflücken wir eine Sorte, die wir noch nie hatten: Jonathon.“

Sie ließen die Stände hinter sich und wanderten zwischen den Apfelbäumen, genossen die Ruhe und die Zeit zu zweit. Jack war viel kurzatmiger als sonst. Maria verlangsamte ihren Schritt und sah ihn besorgt an.

„Geh ruhig schon mal vor“, brummte er. „Ich glaube, heute musst du das Apfelpflücken allein übernehmen!“

Bei den Jonathons ließ sich Jack erschöpft auf einer Bank nieder. Maria begann die tiefroten Äpfel zu pflücken und hätte am liebsten sofort einen probiert, doch sie sammelte so lange weiter, bis ihr kleiner Eimer voll war. Dann ging sie zurück zu Jack und setzte sich zu ihm auf die Bank.

Er war im Sitzen eingeschlafen, sein Atem ging ruhig. Er war alt geworden, ihr Jack. So wie sie auch. Letztes Jahr hatten sie seinen achtzigsten Geburtstag gefeiert und sie würde dieses Jahr sechsundsiebzig werden. Liebevoll sah sie ihn an und ließ ihren Blick zu den Apfelbäumen wandern. So viel Grün, so viel Hoffnung. Sie nahm einen Apfel aus dem Eimer und biss kräftig zu. Der Fruchtsaft spritzte: Eine herrliche Mischung aus Sauer am Anfang, angenehm süß in der Mitte und wieder säuerlich am Schluss. Der Apfel schmeckte wie früher. Wie die Äpfel in Mühlbach.

Mühlbach, das Dorf, aus dem sie geflohen war. Maria erhob sich ruckartig und Jack schlug die Augen auf.

„Was ist los, Maria? Was hast du?“

„Ich musste gerade an früher und an Deutschland denken. Komm, lass uns nach Hause fahren.“

„Maria, schau mich an.“ Seine grünen Augen waren wach und klar. „Du musst endlich deinen Frieden mit Deutschland machen. Du musst noch einmal zurückgehen. Es wird Zeit.“

Maria schüttelte den Kopf. Stumm packte sie die Sachen zusammen, bezahlte die Äpfel und sie gingen zurück zu ihrem Wagen. Auch während der Fahrt nach Hause sprachen sie kein Wort.

Erst als sie in Greenville ankamen, sagte sie: „Ich kann nicht noch einmal zurück.“

„Du brauchst keine Angst zu haben, du schaffst das.“ So bestimmt hatte er das noch nie gesagt.

Später im Haus aßen sie eine Kleinigkeit zu Abend, doch sie hatten beide keinen rechten Appetit. Maria stocherte in ihrem Salat herum und Jacks Hand zitterte, sodass die knackigen Paprikastückchen einfach nicht den Weg in seinen Mund fanden. Schon bald stand Jack auf, um sich hinzulegen, aber Maria wollte noch etwas auf der Veranda hinter dem Haus sitzen. Sie gab ihm einen Gutenachtkuss.

Er nahm sie in die Arme und hielt sie ganz fest. „Versprich mir, dass du auf jeden Fall noch einmal nach Mühlbach gehst.“

Maria sah ihn lange an. „Also gut, aber nur, wenn du mitkommst!“

„Ich liebe dich, ich werde dich immer lieben und all die Dinge, die du tust“, flüsterte er, küsste sie und ging langsam die Treppe nach oben zum Schlafzimmer.

Maria setzte sich in ihre Hollywoodschaukel und sah in den Garten. Es war die Zeit der Abenddämmerung. Die Sonne hatte sich vor dem Mond verbeugt und die Streifenhörnchen hatten mit ihrer täglichen Mühe aufgehört und sammelten keine Eicheln mehr. Das Geräusch der Grillen vermischte sich mit dem Gutenachtlied der Kolibris und der endlose Fluss der Zivilisation schien durch das Bellen der Hunde, die nun endlich nicht mehr an ihren Leinen sein mussten, zur Ruhe zu kommen.

Maria liebte die Nachtluft in Greenville und den Duft der Nachtkerzen, die jetzt in der Dämmerung ihre Blüten öffneten. Sie atmete tief durch. Auch die Nachtkerzen waren spät dran in diesem Jahr, eigentlich war ihre Blütezeit bereits vorbei, aber überall leuchtete noch ihr Gelb. Sie liebte die großen Bäume, die ihren Garten umgaben. Dies war ihr Zuhause, ihr Zufluchtsort. Hier konnte sie an das Gute glauben und an die Liebe. Hier kam ihr Herz zur Ruhe.

Sie betrachtete ihr Haus. Im Erdgeschoss gab es das Wohn- und Esszimmer, eine große Küche und ein Gästezimmer. Im oberen Stock war das Arbeitszimmer, das gemeinsame Schlafzimmer, in dem Jack das Licht schon ausgemacht hatte, eine kleine Küchenzeile und ein winziges Bad, in das gerade so eine Badewanne hineinpasste.

Im Garten stand ein hübsches Sommerhäuschen, ein großer Raum mit einer kleinen Küche und einem Bad. Marias beste Freundin Angela wohnte dort, wenn sie zu Besuch war. Daneben war ihr Bienenhäuschen. Maria war eine begeisterte Imkerin und fühlte sich glücklich, wenn sie Zeit mit ihren drei Bienenvölkern verbringen konnte. Bei den Bienen konnte man einfach seine Arbeit tun und ihnen zusehen, wie sie den Rest übernahmen. Mehr musste man nicht machen. Jede Biene wusste, was sie zu tun hatte, und das Netz ihrer Beziehungen war klar definiert.

Eigentlich ging es doch immer um Beziehungen. Sie waren ein Segen, aber wenn der Geist der Furcht sich in eine Beziehung eingeschlichen hatte, konnte der Segen zum Fluch werden. In ihrer Jugend hatte Maria das am eigenen Leib erfahren und war vor dem Fluch geflohen, aber ihre Seele hatte sich trotzdem an den Schmerz erinnert.

Maria wollte gerade hineingehen, um nach Jack zu sehen, da veränderte sich der Abendhimmel auf einmal: Strahlendes Pink leuchtete auf und der Himmel schien zu explodieren in flammendem Rot mit gelben Blitzen. Kräftiges Grün riss den orangenen Vorhang auf, um sich schließlich im Glanz einer goldgelben Aurora zu ergießen.

Maria hielt den Atem an, während vor ihren Augen das Meer aus Polarlichtern funkelte. Wie sagte man? Die Lichter am Himmel sind die tanzenden Seelen der Verstorbenen. Was für eine wunderschöne Vorstellung. Maria schaukelte sanft hin und her. Sie hatte darauf bestanden, die Schaukel auf die Veranda hinter dem Haus zu stellen. Jeden Abend hatten sie und Jack den Tag hier gemeinsam ausklingen lassen und Jack hatte es ebenso geliebt wie sie. Heute saß er zum ersten Mal nicht neben ihr.

Auf einmal verkrampfte sich ihr Herz und sie konnte Jack nicht mehr spüren.

2

WECKRUF

Greenville, 8. Februar 2002

In den Wochen und Monaten nach Jacks Tod fühlte sich Maria wie in Trance, nahm alles wie durch einen Nebel wahr. Ihre Seele schien sich aufzulösen, als wäre sie nicht mehr da, weit weg, verloren am Firmament, verweht vom Wind und verstreut im Meer. Sie wartete vergebens auf ein Wort, auf ein Zeichen des Trostes, und so endeten die Tage, wie sie begonnen hatten.

Ihre Seele konnte nicht aufhören zu weinen. Und wenn es Abend wurde und das Dämmerlicht sie einlud, in die andere Welt abzutauchen, wünschte sie sich nichts mehr, als hinüberzugleiten, um ihren Frieden zu haben und nicht mehr allein zu sein.

Jede Nacht tastete ihre Hand nach Jack und sie sehnte sich danach, in einen Traum zu entfliehen. Doch da war keine andere Welt, keine Stimme, nur Leere. Mit jedem Tag ohne Jack wurde ihre Einsamkeit lauter und Maria war es, als ob alles, was sie im Leben verloren hatte, ein schmerzhaftes Loch in ihre Seele riss, das mit jedem Tag größer würde. Als hörte sie das alte Lied ihrer Jugend, voller Sehnsucht, und sie nähme die Flügel der Morgenröte und flöge in ihre alte Heimat zu all den Lieben, die sie zurückgelassen hatte.

Doch damit kamen auch die Erinnerungen an all die Kämpfe wie Eiter aus der klaffenden Wunde hervor, die sie verarztet hatte mit ihrem neuen Leben und ihrer Liebe zu Jack. Fast sechzig Jahre hatte das Pflaster gehalten, doch nun war Jack nicht mehr da.

Am 8. Februar, Jacks Geburtstag, fuhr sie mit Angela zum Friedhof, um einen Kranz mit einem Foto von Jack an seinem Grab abzulegen – das Foto, das er ihr vor langer Zeit geschenkt hatte, kurz nachdem sie nach Greenville gekommen war.

Maria, hatte er auf die Rückseite geschrieben, lass nicht zu, dass die Kämpfe, die du kämpfen musstest, deinen Geist belasten. Lass sie zum Funken für dein Handeln werden, ein Funke, der dir Kraft gibt, dein Leben zu lenken und deinen Frieden zu finden. Jack

„Sieht ganz so aus, als wollte da jemand, dass du dein Versprechen doch noch einlöst“, sagte Angela, als Maria ihr das Bild zeigte. Auch die Sonne schien beschlossen zu haben, Marias Seelenwinter an Jacks Geburtstag ins Gesicht zu lachen, und beschenkte die beiden Frauen bei ihrem Besuch auf dem Friedhof mit einem außergewöhnlich milden Februarmorgen.

Doch als Maria an Jacks Grab stand und den Kranz ablegte, flüsterte sie: „Ich kann nicht. Noch nicht. Gib mir noch ein bisschen Zeit, ich bin noch nicht so weit.“

Der Kranz sah verloren aus vor dem weißen Steinkreuz und Maria beschloss, Blumen zu pflanzen, sobald die Zeit dafür war. Sie verharrte mit Angela noch einige Minuten in schwesterlichem Schweigen.

Später, als sie wieder zu Hause waren, bereitete Angela in der Küche das Mittagessen zu und Maria zog sich in ihr Arbeitszimmer zurück, um ihre E-Mails zu lesen. Während sie den Computer hochfuhr, betrachtete sie die zwei Fotos, die auf ihrem Bücherregal standen. Die Mitarbeiter des Greenville Memorial Hospital hatten ihr damals, als sie in den Ruhestand ging, zum Abschied ein Foto der gesamten Belegschaft geschenkt. Sie merkte, wie ein Lächeln über ihr Gesicht zog: Sie stand in der vorletzten Reihe, neben ihr ihre zwei jüngsten Schützlinge. Sie waren wie eine große Familie gewesen und als dienstälteste Krankenschwester hatte Maria sich ein bisschen wie eine Mutter gefühlt. Sie hatte immer für alle ein offenes Ohr gehabt und gerade den Berufsanfängern stets unter die Arme gegriffen. Nie hatte sie vergessen, wie schwierig für sie selbst damals der Berufseinstieg gewesen war. Zu den regelmäßig stattfindenden Barbecues hatte sie immer ihren deutschen Kartoffelsalat mitgebracht, den alle so liebten. Wie sehr ihr das gemeinsame Feiern und das gemeinsame Arbeiten fehlte, auch nach zehn Jahren noch!

Jack hatte zu seinem Abschied aus dem Berufsleben auch ein Foto bekommen. Er war Pfarrer in der Christ Episcopal Church gewesen. Hilfe- und Schutzsuchende waren immer bei ihm willkommen gewesen und auf dem Foto wimmelte es nur so von Menschen. In der Mitte stand Jack wie ein Fels in der Brandung. Er war auch Marias Fels gewesen und gemeinsam hatten sie ihr Lebenshaus gebaut: ohne eigene Kinder, aber immer voller Leben mit Freunden, Bekannten, Verwandten und fest gegründet auf einen tiefen Glauben an einen guten Gott.

Maria betrachtete das Foto genauer. Von den meisten Weggefährten hatten sie sich bereits verabschieden müssen und auch Jacks ältere Brüder waren ihm schon vor Jahren vorausgegangen. Deren Kinder hatte es in den Westen gezogen und nur zu Jacks Nichte Jenny und ihrem Sohn David hatte Maria engen Kontakt. Sie hatten einige Jahre bei ihnen im Haus gelebt. Nur selten hatte es damals eine ruhige Minute gegeben. Ganz anders als jetzt, wo die Stille bei Maria wohnte und die Einsamkeit.

Umso mehr hieß ihre Seele die Grüße der Freunde aus der Ferne willkommen, die heute an Jacks Geburtstag gedacht hatten. Vor allem Jennys Abschiedssatz „Was bleibt, ist die Erinnerung“ breitete sich in Maria aus und sie spürte, dass das Hasenherz, das in den letzten Wochen in ihr geschlagen hatte, wieder dem Herz jener Frau zu weichen begann, die sie wirklich war und die sich verirrt hatte im Labyrinth der Traurigkeit.

Maria musste wieder an Jacks Spruch auf dem Foto und an ihr Versprechen denken, als ihr plötzlich eine unbekannte Mailadresse auffiel. Sie klickte auf die Nachricht.

Mühlbach, den 8. Februar 2002

Liebe Tante Maria,

mein Name ist Sofia Jäger und ich bin die Ehefrau deines Großneffen Jens, Enkel deiner Schwester Käte. Wir haben letzte Woche zufällig eine alte Holzkiste gefunden. Sie war unter dem alten Kirschbaum vergraben, den wir dieses Jahr leider fällen mussten.

In der Kiste fanden wir eine Postkarte von dir aus Greenville und mit ein wenig Recherche konnten wir deine E-Mail-Adresse ausfindig machen.

Wir hoffen, es geht dir gut. Es wäre wunderbar, wenn du uns besuchen kommen könntest und mit uns am 18. Mai 2002 den Geburtstag deiner Schwester Käte feiern würdest.

Wir würden uns sehr freuen, von dir zu hören.

Sofia und Jens Jäger

„Jetzt musst du gehen!“, sagte Angela, als Maria ihr beim Mittagessen von der Mail erzählte.

„Ich weiß“, antwortete Maria. „Aber ich habe Angst. Was, wenn Käte mich gar nicht sehen will? Und meine anderen Geschwister? Es ist so viel passiert und es ist so lange her.“

„Genau, es ist so viel passiert und es ist so lange her. Es wird höchste Zeit. Wenn du willst, komme ich mit. Du musst da nicht allein durch.“

„Du hast recht, es ist höchste Zeit. Aber dies ist mein Weg, ich muss ihn allein gehen. Bitte begleite mich mit deinen Gedanken und deinen Gebeten!“

„Das werde ich!“, versprach Angela und nahm Marias Hand. „Und nun geh und antworte Sofia!“

Während Maria mit großen, festen Schritten und aufrechtem Gang den Gartenweg zurücklief, befreite sich ihr Löwenherz aus dem Käfig der Trauer. Das Hasenherz aber, das sich in ihre Einsamkeit gestohlen hatte, kehrte dorthin zurück, wo es hingehörte: in das Spiegelkabinett aus fremden Mutmaßungen vergangener Zeiten.

Sie ging zurück in ihr Arbeitszimmer und buchte ihren Flug. Dann schrieb sie eine lange Antwortmail an Sofia, in der sie sich bedankte und ihr erzählte, dass sie ihrer Einladung folgen würde. Und dass sie hoffte, sie könnten sich vorher noch ein bisschen besser kennenlernen. Prompt kam eine E-Mail von Sofia zurück, die sich sehr darauf freute, mehr über Maria zu erfahren.

Überrascht von ihrer eigenen Entschlossenheit nahm Maria sich vor, bewusst darauf zu achten, ob ihr Hasenherz sich wieder meldete, und ihr Löwenherz zu stärken. Doch sie wusste, dazu brauchte sie Hilfe. Und da es Sofia gewesen war, die den Stein ins Rollen gebracht hatte und der offensichtlich etwas an ihr lag, schlug sie ihr vor, dass sie von nun an jeden Montag bis zu ihrer Abreise miteinander telefonieren könnten.

Sofia war von der Idee begeistert und bald wurden diese „Monday Meetings“ zum festen Bestandteil von Marias Alltag. Ein Anker im Meer der Melancholie und ein perfekter Start in die sonst so trostlos beginnende Woche. Maria freute sich jedes Mal aufs Neue darauf, Sofias badischen Singsang am anderen Ende der Leitung zu hören. Wie sehr hatte sie den heimischen Dialekt vermisst! Sofias Stimme war so warm und freundlich, dass das Eis der Einsamkeit zu schmelzen begann, sobald Maria ihr „Hallo“ hörte.

Bei Maria war es in der Regel 14 Uhr, kurz nach ihrem Mittagsschlaf, und bei Sofia schon 20 Uhr und sie hatte gerade Zoe, ihre vier Jahre alte Tochter, ins Bett gebracht. Es gab immer viel zu erzählen. Maria genoss den lebendigen Strom aus Alltagsfreuden und Nöten. Endlich konnte sie wieder an einem Leben teilhaben, war sie Teil eines Lebens. Sofia wiederum schien sich zu freuen, dass Maria immer ein offenes Ohr für sie hatte und dass sie auch für die Sorgen, die Sofia wegen ihrer erneuten Schwangerschaft plagten, Verständnis zeigte. Dabei kam es beiden so vor, als würden sie sich schon ewig kennen und nicht der zufällige Schatzkistenfund hätte sie zusammengebracht.

Es gab allerdings auch Montage, da fielen die Telefonate aus. Manchmal hatte die Müdigkeit Sofia übermannt und sie war neben ihrer Tochter eingeschlafen. Spätestens nach einer halben Stunde hatte Maria dann das Warten aufgegeben und sich gedacht, dass Sofia wohl nun zusammen mit ihrer Tochter und dem „Kleinen Häwelmann“ im Rollenbettchen durch den Himmel fuhr. Für Maria blieb dann nur der Gang zu ihren Bienen, die ihr ihre Bienengeschichten vom süßen Honig und den grünen Wiesen erzählten. Das linderte zwar den Juckreiz ihrer Wehmutswunde, aber die Geschäftigkeit der Bienen konnte ihr doch nicht über ihr eigenes Erstarren hinweghelfen.

Manchmal verspätete sich Sofia auch um einige Minuten, weil sie immer wieder „Der Mond ist aufgegangen“ hatte singen müssen, wenn Zoe einfach nicht zur Ruhe kam. Dann beruhigte Maria Sofia damit, dass es eines Tages besser werden würde. Die Kinder würden eines Tages groß sein und Sofia würde wieder Zeit für sich haben und irgendwann würde sie sogar so viel Zeit haben, dass sie diese im Übermaß verschenken konnte. Tatsächlich schien Marias Zeit sich immer weiter auszudehnen. Waren die Tage früher verflogen wie ein Wimpernschlag, klebte die Zeit nun im Topf fest oder quoll hervor wie zäher Brei und wollte kein Ende nehmen.

Greenville, 1. April 2002

Heute war Sofia wieder einmal zu spät. Maria war kurz davor, hinauszugehen und mit der Gartenarbeit zu beginnen, als doch noch das Telefon klingelte.

„Bitte entschuldige die Verspätung“, Sofias Stimme klang ganz aufgedreht, „aber Zoe hat mit meinem Mann für mich einen Aprilscherz vorbereitet und jetzt musste ich das Bett frisch beziehen!“

„Was haben sie sich denn ausgedacht?“

„Sie haben einen mit Wasser gefüllten, unverschlossenen Gefrierbeutel unter den Kopfkissenbezug gelegt. Als ich mich dann zu Zoe ins Bett gelegt habe, war alles pitschenass.“

Maria lachte laut.

„Ich fand das gar nicht witzig! Ich kann Aprilscherze nicht leiden.“

Maria hörte sofort auf zu lachen. „Ich eigentlich auch nicht. Der erste April war der Geburtstag meines Vaters und da er nur vierundvierzig Jahre alt wurde, ist mir da nicht nach Scherzen.“

„Das tut mir leid“, Sofias Stimme war weich. „Meine Mutter wurde auch nur vierundvierzig.“

Maria bemerkte, dass die Stimmung zu kippen drohte, und wechselte schnell das Thema. Für diese Art von Gesprächen würde in Deutschland noch genug Zeit sein. „Wann hast du eigentlich Geburtstag?“

„Am zweiten Dezember, und du?“

„Am neunten Dezember.“

„Dann sind wir ja beide Schützen. Kein Wunder, dass wir uns gleich so gut verstanden haben. Viel besser ehrlich gesagt als mit deiner Schwester Käte.“

„Mit Käte hatte ich auch schon immer so meine Probleme.“

„Das glaube ich dir. Umso schöner, dass du zu ihrem Geburtstag kommst und wir dich alle endlich kennenlernen. Ich muss jetzt leider aufhören, ich muss noch einen Vokabeltest korrigieren. Bis nächste Woche!“

Kaum hatte Sofia den Hörer aufgelegt, breitete sie sich wieder in Maria aus, diese große Leere, und schnürte ihr das Herz ab. Am liebsten hätte Maria Sofia gleich noch einmal angerufen, sie nach ihrer Mutter gefragt und weiter mir ihr geredet, sodass Sofias Worte wie sanfte Regentropfen in ihr ausgebranntes Herz fielen. Doch Sofia hatte keine Zeit. Und nach dem Telefonat würde die Einsamkeit wieder da sein.

Maria beschloss, sich abzulenken. Doch auch das Grün des Gartens und das Summen der Bienen kamen diesmal gegen das Grau ihrer Seele nicht an. Und dann war zu allem Unglück auch die Angst wieder da. Die Angst vor dem Treffen mit Käte, die Angst vor Mühlbach. Wie schnell doch die Furcht immer wieder ihr Herz stürmte. Gerade hatte sie noch gelacht und der Freude Tor und Tür geöffnet und schon verpasste ihr ihre eigene Mutlosigkeit eine heftige Klatsche. Wieso konnte sie nicht einfach furchtlos und stark sein, wie Jack es gewesen war?

Es wurde Zeit, die Richtung zu ändern. Es wurde Zeit, nach Deutschland zu gehen. Maria ging zurück ins Haus und überprüfte die Fluginformation.

In dieser Nacht hatte sie zum ersten Mal seit Jacks Tod wieder einen Traum. Sie träumte von damals, als sie noch jung waren und ihre Liebe gerade begann.

Es war noch warm, obwohl es schon November war. Jack und Maria waren in seinem neuen Chevrolet unterwegs. Sie fuhren durch das fröhliche Städtchen Pumpkin Town und dann immer tiefer ins Pickens County.

Als sie am Ziel angekommen waren, fand sich Maria in einem Zauberwald wieder. Die Stämme der uralten Bäume hatten lange, starke Wurzeln, ihre Blätter waren saftgrün und unter einem Wasserfall glitzerte ein kleines Wasserbecken. Maria schien es, als ob es sie magnetisch anzog.

Sie achtete nicht auf den Weg und stolperte über eine der Wurzeln. Doch sie fiel nicht, denn Jack fing sie auf, hielt sie mit seinen starken Armen fest und in diesem Moment berührten sich zum ersten Mal ihre Lippen. Schüchtern und sanft küsste er sie, ganz vorsichtig, als ob er diesen Moment nicht zerstören wollte. Und Maria schmolz dahin unter der Selbstvergessenheit seiner samtweichen Lippen.

Im Licht, das sich im Wasserfall brach, schien es ihr, als würde Jack mit seinen grünen Augen ihre Seele streicheln. Seine rotblonden Locken, die er zu einem Pferdeschwanz gebändigt hatte, kringelten sich in der Feuchtigkeit des Waldes und gaben ihm das Aussehen eines jungen Ritters, der sich geschworen hatte, Maria für immer zu beschützen, unschuldig liebend, Treue atmend mit der reinen Seele eines Engels. In diesem Zauberwald war das Leben gut und die Zukunft moosgrün.

Am nächsten Morgen war der Zauber der Waldes immer noch da. Maria nahm sich vor, darauf zu vertrauen, dass Jack auch in Deutschland bei ihr sein würde. Sie nahm sich vor, darauf zu vertrauen, dass auch dort die Wälder wieder grün sein würden, das Braun verschwunden und dass ihre Sehnsucht nacht Frieden eine Zukunft hatte.

3

ANKUNFT

Frankfurt, 7. Mai 2002

Maria erwachte, als sich die Maschine im Landeanflug auf Frankfurt befand. Wie jedes Mal beim Fliegen hatte sie mit dem Druckausgleich zu kämpfen und suchte in ihrer geräumigen Handtasche nach einem Kaugummi. Stattdessen bekam sie die Einladungskarte zu Kätes Geburtstag zu fassen. Wie gebannt starrte sie auf das alte Schwarz-Weiß-Foto, das ihre Schwester zeigte, als sie zwölf Jahre alt gewesen war. Ihre Hände begannen zu zittern.

Die Karte fiel zu Boden und mit ihr das Foto einer jungen Familie, das in der Klappkarte gelegen hatte. Eine zierliche Stewardess, die gerade herumging und die Passagiere ermahnte, sich anzuschnallen, hob Karte und Foto für sie auf und half ihr beim Anschnallen. Maria nahm das „Klick“ des Anschnallers kaum wahr, flüsterte ein leises „Thank you“ und konnte die Augen noch immer nicht von ihrer Schwester nehmen. Wie würde Käte bei ihrem ersten Zusammentreffen reagieren? Was würde der Anblick ihrer Schwester in ihr auslösen, wenn schon ihre Augen auf dem Foto sie zu durchbohren schienen? Wieso war ausgerechnet Käte von allen Verwandten, die ihr je nahegestanden hatten, als Einzige noch am Leben?

Maria betrachtete das Mädchen mit seinen runden Wangen und langen Zöpfen genauer. Eigentlich waren da keine bösen Blicke, höchstens ein kritischer und zugleich forscher Ausdruck, der dem Betrachter sagte: „Hier komme ich!“ War es ihre eigene Furcht gewesen, die dem Bild so viel Macht über sie gegeben hatte?

Sie steckte das bunte Familienfoto vor Kätes Porträt. Kurz nach ihrem ersten Kontakt hatte Sofia Maria die offizielle Einladung geschickt und ein Bild von sich beigefügt. Eine junge Familie beim Rosenmontagsumzug strahlte ihr entgegen. Sofia war eine Indianerin mit echten dunkelbraunen Zöpfen und großen braunen Augen, die sie freundlich anlächelten. Auf ihrem Arm trug sie ein lachendes Kind, das als Pierrot verkleidet war und dessen spitzer Hut keck zur Seite stand. Umarmt wurde Sofia von einem Cowboy mit Sonnenbrille, der seinen großen Hut weit ins Gesicht gezogen hatte und dessen Erscheinung pures Glück ausstrahlte.

Von Anfang an hatte Maria zu Sofia eine innere Nähe verspürt, die sich mit jedem Telefonat vertieft hatte. In den drei Monaten vor ihrer Abreise hatte sie einiges erfahren über die kleine Familie, ihr Zuhause, ihre Alltagsfreuden und Alltagssorgen. Und nun war sie neugierig darauf und voller Vorfreude, sie im echten Leben kennenzulernen – wenn da nicht der andere Teil der Familie gewesen wäre, über den sie auch einiges erfahren hatte.

Wie kommt man zurück, wenn man nicht „Auf Wiedersehen“ gesagt hat?

Sie würde die Antwort finden. Sie war nicht allein. Sofia würde sie freudestrahlend erwarten. Und als sie zögerlich aus dem Flugzeug tat, begrüßte sie die morgendliche Maiensonne mit ihren hellsten Strahlen und ihr Freund, der Wind, bot ihr seine starke Schulter, an die sie sich anlehnen konnte. Für einen Atemzug wusste Maria: Sie war genau dort, wo sie sein sollte, und alles war gut.

Doch der Moment war vorüber, kaum dass Maria die Passkontrolle hinter sich gelassen hatte. Die Furcht legte in ihrem Herzen eine Schlinge aus und am liebsten wäre sie hineingesprungen. Stattdessen umklammerte sie den Griff des Gepäckwagens so fest, dass die blauen Adern auf ihren Händen hervortraten, und schickte ihr Hasenherz in den Bauch des Flugzeuges, das sie gerade verlassen hatte. Mit etwas leichteren Schritten ging sie zum Gepäckband mit der Anzeige „Charlotte“. Die ersten Koffer tauchten gerade auf dem Fließband auf, gefolgt von Kinderwagen und riesigen Sporttaschen.

Als sie zehn Minuten später versuchte, ihren großen Koffer – sie hatte ihn einige Male umpacken müssen, denn sonst wäre er zu schwer gewesen – vom Band zu nehmen, kam ihr ein junger Mann zu Hilfe und lächelte sie höflich an. Maria bedankte sich auf Deutsch und es kam ihr vor wie das Natürlichste der Welt. Auch nach der langen Zeit.

Langsam ging sie zum Ausgang. Jens wollte sie abholen. Sofia konnte nicht dabei sein, sie hatte heute ihren letzten Tag an der Schule, ab morgen würde ihr Mutterschutz beginnen. Nachdem sich die Schiebetüren hinter ihr geschlossen hatten, suchte Maria die Wartenden nach Jens ab, aber sie sah niemanden, den sie erkannte.

Plötzlich zuckte sie zusammen, als ein schlanker junger Mann mit kurzem blondem Haar sie von der Seite ansprach: „Sind Sie Frau Maria Pearis?“ Sie nickte. „Ich bin Jens. Schön, dass du da bist, Tante Maria. Willkommen in Deutschland.“

Auf dem Weg zum Auto erkundigte sich Jens nach dem Flug und Maria gab bereitwillig Auskunft. Jedes Mal, wenn sie ihn anschaute, musste sie feststellen, dass sein Haar, sein Gang ganz dem von Hans glich. Und mehr noch: Als sie beim Wagen angekommen waren und Jens Maria die Tür zum Beifahrersitz öffnete, lächelte er sie auf genau die gleiche Art und Weise an, wie Hans es getan hatte.

Maria nahm auf dem Beifahrersitz Platz und sie verließen das Parkhaus. Fast sechzig Jahre war es her, dass sie zum letzten Mal in Deutschland gewesen war, und Maria kam es vor, als sei sie in einem fremden Land. Alles war so modern, erinnerte sie eher an die USA als an das Deutschland ihrer Jugend. Erst bei Heidelberg kam ihr die Umgebung bekannt vor und auch die Autobahn, schmal und alt, erinnerte sie an früher. Gebaut, damit die Panzer besser rollen konnten. All die Jahre hatte sie versucht, nicht mehr an den schrecklichen Krieg zu denken und jetzt war alles wieder da. Der Krieg, die Angst, Mühlbach … und Hans.

Immer wieder sah Maria zu Jens hinüber, betrachtete seine Augen und seine Nase. „Du siehst wirklich genauso aus wie Hans.“

Jens lachte und auch seine Zähne waren wie die von Hans. „Das sagen alle. Ich bin anscheinend das genaue Ebenbild meines Großvaters. Meine Mutter meint immer, ich habe so gar nichts von ihr oder von meinem Vater, nur von Opa Hans. Damit meint sie nicht nur mein Aussehen, auch in meiner Art bin ich ihm wohl ähnlich. Das kann ich allerdings nicht beurteilen – er starb, als ich ein Jahr alt war.“

„Das tut mir leid. Ich habe deinen Großvater gut gekannt. Woran ist er denn gestorben?“ Maria versuchte ihre Stimme ruhig klingen zu lassen.

„Lungenversagen, glaube ich. Oma Käte ist nicht gerade sehr gesprächig, was Opa Hans angeht, und meine Mutter wusste auch nicht viel mehr.“

Maria nickte. „Wie geht es denn deiner Mutter?“

Jens berichtete von seinen Eltern und dann voller Freude von seiner Tochter Zoe und Sofia. „Schade, dass Sofia ausgerechnet heute ihren letzten Schultag hat. Sie wäre so gerne mitgekommen, um dich abzuholen. Aber was soll man machen. Immerhin hat sie nur zwei Stunden. Wir fahren also erst zu uns und dann gemeinsam weiter zu Oma Käte.“

„Wo ist noch einmal Sofias Schule?“, erkundigte sich Maria.

„In Bruchsal. Meine Firma ist auch dort. Deshalb sind wir nach Bruchsal gezogen. Sofia kann jetzt zu Fuß zur Schule gehen.“

„Ich bin gespannt, wie Bruchsal heute aussieht und natürlich Mühlbach. Es hat sich sicher alles sehr verändert.“ Maria schaute aus dem Fenster. Die Wälder am Straßenrand sahen aus wie in den Carolinas, allerdings war dort alles weiter und nicht so dicht besiedelt wie hier in Deutschland. Obgleich sich das auch zu verändern begann. Maria musste an die vielen Malls und Outlets denken, die dort gerade gebaut wurden.

„Ach, ihr habt hier auch Ikea“, sagte sie, als sie an dem großem schwedischen Möbelhaus vorbeifuhren.

Jens lachte. „Ja, natürlich! Schon lange. Wir sind schon in Walldorf, jetzt sind wir bald zu Hause!“ Kurz darauf bog er von der Autobahn Richtung Bruchsal ab. Große Schilder machten Werbung für den guten badischen Spargel. Den hatte es schon zu ihrer Zeit gegeben, aber Bruchsal erkannte Maria kaum wieder. Natürlich, es war ja fast vollständig zerbombt worden 1945. Sie fuhren an einem Industriegebiet vorbei und an riesigen Lager- und Fabrikhallen aus Glas, dann weiter Richtung Zentrum.

Kurz darauf kamen sie im Kapuzinergarten an. Sofia erwartete sie schon an der Tür. Ihre langen dunklen Haare fielen ihr offen über die Schultern und ihr schwangerer Bauch war deutlich zu sehen. Sofia begrüßte Maria so herzlich, als würden sie sich schon ewig kennen. Das Haus hatte eine harmonische Atmosphäre mit den fröhlichen Kinderbildern, die ihr von den Wänden entgegenlachten.

„Die hat Zoe gemalt“, erklärte Sofia. „Sie kann es kaum erwarten, dich kennenzulernen. Wir holen sie nachher vom Kindergarten ab.“

Maria deutete auf eine wunderschöne Tuschezeichnung: „Ist sie das?“

„Ja, das hat Jens gezeichnet, da war sie gerade eine Woche alt“, erklärte Sofia stolz.

„Wunderschön! Das Zeichentalent hat er wohl auch von seinem Großvater.“

„Das sagt seine Mutter auch. Komm mit, du hast bestimmt Hunger!“

Sie gingen ins Esszimmer und setzten sich. Der Frühstückstisch war reich gedeckt und Maria griff beherzt zu. Es gab leckere Brezeln, die sie in Amerika so vermisst hatte, und köstliche Erdbeermarmelade, wie sie sie in Greenville auch jedes Jahr selbst gekocht hatte. Sie genoss die ungezwungene Art der beiden jungen Menschen und fühlte sich schon nach dieser kurzen Zeit wie zu Hause. Sofia gab sich alle Mühe, Maria in allem zuvorzukommen und schenkte eifrig Kaffee nach.

„Oh, die Schatzkiste! Ich wollte sie dir doch gleich geben!“ Schon eilte Sofia die Treppe hoch zum Arbeitszimmer und kam mit einer Holzkiste zurück. „Hier ist das gute Stück!“ Sie war völlig außer Atem. „Jens und ich haben versucht, die Sachen darin zu ordnen, um mehr über dich zu erfahren. Aber wir haben schnell gemerkt, dass der Inhalt sehr persönlich ist. Und vor allem dir gehört.“ Sie gab Maria die Kiste und ihre Hände zitterten.

Maria nahm Sofia die Kiste ab, auch ihre Hände zitterten. Doch ihre Augen waren auf Sofia gerichtet. „Geht es dir gut?“, fragte sie besorgt.

Sofia winkte ab. „Ja, eigentlich schon. Es ist nur: Ich habe so starke Kopfschmerzen. Als ob mein Kopf gleich explodiert. Solche Schmerzen hatte ich noch nie und mein Bauch ist auch ganz hart.“

„Ich habe dir gleich gesagt, dass das zu viel ist heute. Du hättest dich für deinen letzten Tag auch krankschreiben lassen können!“, warf ihr Jens vor.

„Mir ging es doch gut. Vielleicht hätte ich die Andreasstaffel nicht so schnell hoch- und runterlaufen sollen. Aber ich musste mich doch beeilen. Ich wollte noch vorher zum Bäcker und Brezeln kaufen.“ Sofia brach ab. Ihr Gesicht verzerrte sich vor Schmerz.

„Sofia muss sich hinlegen“, sagte Maria und ihre Stimme duldete keinen Widerspruch. Sie nahm Sofias Puls und blickte besorgt zu Jens. „Das gefällt mir gar nicht. Bitte ruf den Krankenwagen, Jens.“

Jens sah Maria entgeistert an.

„Wir sollten besser auf Nummer sicher gehen“, sagte sie.

„Okay.“ Er zog sein Handy aus der Tasche und benachrichtigte das Krankenhaus. Maria sorgte unterdessen dafür, dass Sofia sich auf dem Sofa ausstreckte, legte ihr einen kalten Waschlappen auf die Stirn und maß erneut ihren Puls.

Innerhalb von fünf Minuten war der Krankenwagen da. Sofia hatte inzwischen so starke Schmerzen, dass sie kaum mehr sprechen konnte. Maria informierte die Sanitäter über Sofias Schwangerschaft. „Der Puls ist bei 120 – viel zu hoch!“, sagte sie dann. „Jens, du fährst mit ihr. Ich warte hier, bis du Näheres weißt. Ruf mich an, meine Nummer hast du ja. Alles wird gut, es ist nur eine Vorsichtsmaßnahme.“

Dann war plötzlich niemand mehr da. Langsam ging sie zurück ins Haus, das sie auf einmal als Eindringling zu betrachten schien. Maria setzte sich, stand wieder auf und stellte Butter und Milch in den Kühlschrank. Dann setzte sie sich wieder und nahm ihre halb volle Kaffeetasse. Sie trank einen Schluck, doch der Kaffee war inzwischen kalt geworden.

Ihr Blick fiel auf die Schatzkiste. Nachdenklich strich sie über die Intarsien. Es war doch seltsam, wie alles zusammenhing. Hätten Sofia und Jens die Kiste nicht gefunden, wäre Maria heute nicht hier. Sofia wäre nicht nach oben gerannt und vielleicht hätte sie dann nicht diesen Schmerzanfall erlitten … Maria verscheuchte den Gedanken und verstaute die Kiste in ihrer großen Tasche. Sofias Lebensfreude lachte ihr aus jeder Ecke des Hauses entgegen. Wie liebevoll das Wohnzimmer eingerichtet war! Überall hingen Fotos. Maria schaute sich die Bilder aus der Nähe an, erkannte Sofia und Jens, aber die anderen Personen waren ihr fremd.

Doch dann entdeckte sie das Foto einer Taufe. Maria betrachtete den älteren Mann mit dem Säugling auf dem Arm genauer: Es war Hans. Er sah aus wie damals, nur mit grauem Haar und Brille.

Maria nahm das Bild von der Wand und setzte sich damit aufs Sofa. Jens’ Ähnlichkeit mit Hans, das Foto … Trotz der immer größer werdenden Müdigkeit sah sie ihn intensiv an. Wie nahe sie sich gestanden hatten, sie und Hans. Sie ließ sich in die Kissen sinken und drückte das Bild an ihre Brust. Achtzehn war sie gewesen, als sie sich zum letzten Mal getroffen hatten, und er zwanzig.

Langsam gewann die Müdigkeit die Überhand. Maria streckte die Beine auf der Couch aus und schloss die Augen. Hans’ Foto hielt sie fest und er nahm sie mit auf ihre Reise in die Vergangenheit.

Mühlbach, 7. Mai 1944

„Dachte ich mir doch, dass ich dich hier finde.“ Hans Groß ließ sich neben Maria auf den Boden fallen.

„Herrje, Hans, hast du mich erschreckt!“, rief sie aus und versteckte schnell den Brief in ihrer Tasche, den sie gerade gelesen hatte.

„Was liest du denn da?“

„Nichts, was dich etwas angeht“, antwortete Maria und klopfte ihm lachend auf die Finger.

„Sah aus wie ein Brief“, bohrte Hans weiter. „Weißt du, mir könntest du ruhig auch mal schreiben!“

„Wieso soll ich dir denn schreiben, du bist doch da.“

„Ja, jetzt auf Heimaturlaub, aber auf meine Briefe von der Front hast du mir nicht geantwortet. Hast wohl jemand anderen, dem du schreibst!“

„Und wenn’s so wäre? Es dreht sich doch nicht immer alles um dich!“ Maria stand auf und ging zu ihrem Fahrrad.

Doch Hans war schneller. „Maria, du weißt doch, wie ich es meine. Ich habe immer an dich gedacht, da draußen, und du hast nichts von dir hören lassen!“ Er nahm ihre Hand und zog sie näher zu sich.

Doch Maria schob ihn weg. „Ach, Hans, da ist doch nichts zwischen dir und mir. Ich mag dich, ich mag dich sehr, so wie den Fritz oder den Eugen!“

„Aber ich bin doch nicht dein Bruder und du bist nicht nur wie eine Schwester für mich!“, rief er und beugte sich vor, um sie zu küssen.

„Lass mich, es geht nicht!“ Sie stieg auf ihr Fahrrad und trat in die Pedale, so schnell sie konnte.

Was war nur in Hans gefahren? Es war doch alles wie immer gewesen, heute Morgen in der Kirche, gestern auf der Hochzeit. Sie fuhr langsamer, bis sie wieder ruhiger atmete, und sah sich dann um. Er war ihr nicht gefolgt. Maria beschloss, noch einen Umweg über den Galgengraben zu machen. Sie dachte an den gestrigen Abend, die Feier, die Musik, das Tanzen.

Sie hatten miteinander getanzt, Hans hatte sie herumgeschwenkt, sie hatten gelacht, wenn eine Figur nicht gelungen war. Und auch gelacht, wenn es geklappt hatte. Wie seine Augen geleuchtet hatten! Wie sie es genossen hatte, in seinen Armen zu sein …

Maria hörte auf zu treten und wurde immer langsamer. Sie war am Waldrand angekommen, stieg vom Rad und blickte über die Felder, die grün und satt vor ihr lagen.

Dann drehte sie um und radelte dorthin zurück, wo sie gerade hergekommen war. Zur alten Eiche. Doch dort war niemand mehr. Sie hatte Hans verpasst, aber sie musste doch unbedingt noch einmal mit ihm reden. Ihm sagen, dass es ihr leidtat.

Gerade wollte sie wieder wegfahren, als sie Hans’ altes Rad hinter einem Busch entdeckte. Daneben, fein säuberlich zusammengelegt, seine Kleider. Sie hob sein Hemd hoch. Es roch nach ihm. Nach Gallseife und einem Hauch von Schweiß, aber nur ganz wenig. Hans stank nie so wie ihre Brüder, er war auch nicht so behaart wie sie. Und dann entdeckte sie ihn ganz weit drüben auf der anderen Seite des Sees. Ein kleiner Punkt, das musste er sein.

Früher war sie oft zum Schwimmen hier gewesen mit ihren Brüdern und auch Hans war oft dabei gewesen, bevor es losgegangen war mit den Brüsten und all der Scham. Sie setzte sich wieder unter die Eiche und wartete. Der See war spiegelglatt, aber sie konnte eine Bewegung im Wasser ausmachen. Mit seinen langen, kräftigen Armen teilte Hans die Fluten wie ein Dampfer, der sich zielstrebig stromabwärts Richtung Meer bewegt.

Als er aus dem Wasser stieg, schimmerte sein muskulöser Körper in der goldenen Nachmittagssonne. Sie konnte nicht aufhören, ihn anzustarren. Langsam stand sie auf und ging auf ihn zu. „Hans, ich … es tut mir leid! Ich wusste wirklich nicht …“ Sie streckte eine Hand nach ihm aus, um ihn zu berühren.

„Maria, mach’ das nie wieder. Lass mich nie wieder so stehen.“ Seine nassen Lippen berührten ihre, seine Hände strichen über ihren Kopf und lösten die Schleife aus ihrem Haar, zogen sie an sich. Dann glitten sie an ihrem Körper entlang und umfassten ihren Po. Sie spürte sein Glied zwischen ihren Schenkeln und sein nasser Oberkörper drückte sich an ihre Brust. Sie konnte nicht anders, ihr ganzer Körper, alles in ihr sehnte sich nach dieser Berührung, wollte mehr.

4

WILLKOMMENSGRUSS

Bruchsal, 7. Mai 2002

Maria schreckte auf. Ihr Telefon klingelte und im ersten Moment wusste sie nicht, wo sie sich befand, aber dann sah sie das Bild von Hans, auf dem noch immer ihre Hand lag. Ihr Handy, das den kleinen Wohnzimmertisch zum Wackeln brachte, verstummte nicht und führte sie zurück in die Gegenwart.

„Sofia musste sofort auf die Intensivstation.“ Jens’ Stimme zitterte. „Wahrscheinlich ein Aneurysma. Ich bleibe bei ihr. Meine Mutter kommt und holt dich ab. Bis später.“ Er legte auf, bevor Maria etwas sagen konnte.

Maria stand auf, schüttelte die Sofakissen zurecht und räumte das schmutzige Geschirr ab. Die kleine Küche war vollgestellt und sie hätte das Geschirr gerne in der Spülmaschine verstaut, aber die war auch voll. Kurzerhand beschloss sie, die wenigen Teller abzuspülen. Sie war gerade fertig, da klingelte es an der Tür.

Irmgard musste sich Maria nicht vorstellen, sie war ihrer Mutter Käte wie aus dem Gesicht geschnitten. „Oh, Maria, was für eine Begrüßung. Es tut mir so leid. Die arme Sofia, das arme Baby.“

Maria nahm Irmgard in den Arm. „Die Ärzte kümmern sich um sie. Hat Jens dir noch etwas Genaueres erzählt?“

„Sie haben gleich ein CT gemacht und ein Aneurysma festgestellt. Ich weiß nicht genau, was das ist, aber es hat die starken Kopfschmerzen ausgelöst. Sie haben sie ins künstliche Koma versetzt, weil die Gefahr, dass es platzt, sehr groß ist. Und dann …“ Irmgard brach ab.

Maria nahm ihre Tasche und sah sich noch einmal im Haus um. Alles ordentlich, dachte sie und sagte: „Ein Aneurysma ist eine Erweiterung einer Hirnarterie. Es wird nicht platzen, sie werden sie operieren und alles wird gut, hab’ keine Angst.“

Während der Fahrt schwiegen sie beide. Marias müder Körper, der sich nach der Anstrengung des Fluges nach Ruhe sehnte, wurde von der Anspannung ihrer Nichte erfasst wie von einer Welle, die sich unaufhaltsam ihre Bahn brach.

Kurz bevor sie in Mühlbach ankamen, schaute Irmgard auf die Uhr. „Schon fast halb eins. Ich fahre dich jetzt zu Mutter. Danach muss ich Zoe vom Kindergarten abholen. Was soll ich ihr nur sagen? Sie ist doch erst vier.“

Kurz sahen die beiden Frauen sich in die Augen. Maria wusste, dass Irmgard keine Antwort von ihr erwartete, sondern ganz in ihrer eigenen Sorgenwelt versunken war. So blieb sie stumm und fragte auch nicht, seit wann es das Neubaugebiet gab, durch das sie gerade fuhren. Die Häuser – lautlose Zeugen einer neuen Zeit – erinnerten Maria an Hasenställe, klein und dicht aneinandergedrängt, um ja keinen Zentimeter Grund zu verschenken.

„Ich werde ihr sagen, dass Sofia zur Kontrolle wegen des Babys ins Krankenhaus musste.“ Irmgard bog in die Schützenstraße ein.

Es war so weit, gleich würde Maria Käte sehen. Marias Herz begann unruhig zu klopfen. Auch wenn es gerade Wichtigeres gab als die Vergangenheit. Im Moment ging es um das Hier und Jetzt, es ging um das Leben von Sofia und dem Baby.

Irmgard schloss die Eingangstür ihres Elternhauses auf, das auch Marias Elternhaus, das Haus der Familie Heil, gewesen war. Maria hielt den Atem an und umklammerte ihre Tasche ganz fest. Jetzt kommt alles wieder hoch, dachte sie und machte unwillkürlich einen Schritt zurück, doch die Erinnerung an Sofias schmerzverzerrtes Gesicht wies ihr Hasenherz und die Erinnerungen in ihre Schranken. Die alte Holztür knarrte nicht mehr. Sie war inzwischen durch eine einbruchssichere Metalltür ersetzt worden.

„Mutter?“, rief Irmgard. „Bist du wach?“

Es blieb alles still, aber im Wohnzimmer hörten sie jemanden laut schnarchen. Leise betraten sie den Raum und Maria ließ ihren Blick auf ihrer Schwester ruhen. Käte war in ihrem Wohnzimmersessel eingenickt. Im Gegensatz zu Maria hatte Käte die Statur ihrer Mutter Emilie geerbt: Sie war nicht groß und kräftig wie Maria, sondern zierlich und gerade mal einen Meter sechzig klein.

Alt ist sie geworden, dachte Maria und die Angst vor dem ersten Treffen mit ihrer Schwester wich der Frage, wer diese Frau wohl war, die da vor ihr saß.

„Komm, wir lassen sie schlafen, ihre Arthrose und ihr Rheuma machen ihr schwer zu schaffen“, flüsterte Irmgard. „Ich zeige dir schon einmal dein Zimmer. Du möchtest dich bestimmt ausruhen!“

Maria nickte und folgte Irmgard langsam in den oberen Stock. Die Treppenstufen hatten nicht aufgehört zu knarren und Maria musste sich am Treppengeländer festhalten, so sehr riss sie der Strom der Erinnerungen, der nun auf sie einstürzte, mit. Ihre Augen suchten nach etwas, das auch ihrem pochenden Herzen Halt gab, und sie entdeckte das Hochzeitsfoto ihrer Eltern an der Wand. Ihr Vater hatte runde Wangen und volles Haar, sein Schnurrbart war fein getrimmt und er hielt seine Emilie fest im Arm. Emilie hatte ihre Lippen aufeinandergepresst und blickte leicht gequält in die Kamera. Sie war wunderschön. Beide waren in der Blüte ihres Lebens. Vor allem Marias Vater hatte eine Zuversicht im Blick, die mitreißend war. Marias Herzschlag begann sich zu beruhigen.

Irmgard öffnete die Tür zum Gästezimmer. Früher war es das Schlafzimmer von Marias Großeltern gewesen, jetzt war das Zimmer für sie frisch geputzt und die weiße Bettwäsche strahlte ihr entgegen.

Zum Abschied umarmte Maria ihre Nichte, die sie heute zum ersten Mal gesehen hatte und die die gemeinsame Sorge um Sofia plötzlich zur Vertrauten gemacht hatte. „Ich bete für Sofia, Irmgard. Hab’ keine Angst.“

5

HOCHZEIT

Mühlbach, 7. Mai 2002

Endlich allein. Kraftlos ließ Maria sich in den alten Sessel sinken, den Käte wohl als Erinnerung an Großvater Gustav aufgehoben hatte: dunkles Eichenholz mit grünem Plüsch. Das dunkle Holzbett war ebenso das des Großvaters wie der alte Schlafzimmerschrank daneben. Maria nahm den Geruch der Möbel in sich auf. Das ganze Zimmer roch noch wie früher. Ihr war, als würde die Vergangenheit an ihr ziehen.

An der Wand hing noch das Bild von Jesus mit seinen Jüngern auf dem Feld. Als Maria klein gewesen war und Großmutter Christine noch lebte, hatte sie dieses Bild geliebt. Damals war sie sich sicher gewesen, dass sie zu den Weizenähren gehören würde, die von den Engeln ins Himmelreich gebracht wurden, sie hatte sich verbunden gefühlt mit der Natur und den Menschen.

Doch seitdem war viel geschehen und Maria konnte nicht anders, als das Bild kritisch zu betrachten: Johannes, der hübsche Jüngling, der Jesus anschmachtete, dahinter Petrus, ehrenhaft ergraut mit fragendem Blick, und Jakobus, der sich an seinem Stock festhielt, abwartend. Die ganze Szene kam ihr unwirklich vor – die Männer umgeben von sanften grünen Hügeln und Jesus in ihrer Mitte, einen Weizenhalm in der Hand und gleichzeitig auf eine blaue Blüte deutend, die es zu jener Zeit an jenem Ort bestimmt nicht gegeben hatte.

Als Kind hatte sie sich immer wie der verklärte Jünger Johannes gefühlt. Nun, so viele Jahre später, hatte sie, wie Petrus, viele Fragen, war sie jener geknickte Halm, war jene Blüte im Wind und fühlte nicht mehr die Liebe des jüngsten Jüngers in sich.

Maria ließ ihren Blick Richtung Fenster schweifen. Die Vorhänge waren neu und dahinter konnte sie den Nussbaum erkennen, in dessen Schatten sie früher unzählige Stunden verbracht hatte und der sie wie ein alter Vertrauter zu begrüßen schien. Neben dem Fenster hing eine Kohlezeichnung. Ein Porträt von Hans. Maria sah genauer hin. Es stammte aus dem Jahre 1947. Wie treffend es gezeichnet war und wie sehr Jens seinem Großvater glich! Sein volles Haar, seine schöne Nase, seine hohe, aber nicht zu hohe Stirn, seine klaren Augen, die auch in der Schwarz-Weiß-Zeichnung zu leuchten schienen. Seine Augen, die sie auch jetzt noch in ihren Bann zogen, sodass sie sich geborgen und beschützt fühlte. Wie immer, wenn sie in Hans’ Nähe gewesen war.

Hans und sein Zwillingsbruder Heinrich waren Marias Großcousins und beide so alt wie ihr ein Jahr älterer Bruder Eugen, Jahrgang 1924. Auch ihr älterer Bruder Fritz gehörte zur Clique. Maria hatte viel Zeit mit ihnen verbracht, Mädchenkram war ihr viel zu langweilig gewesen. Natürlich wollten die Jungen sie nie dabeihaben, ihre zwei Brüder konnten ganz schön gemein sein und Heini war auch ein richtiger Fiesling. Aber Hans hatte sie beim Verstecken nie verraten und ihr beim Fußballspielen den Ball zugepasst. Das hatte ihm das Gespött der anderen Jungs eingebracht, aber das war ihm egal gewesen. Er war sowieso viel besser als alle anderen und der Schnellste war er auch. Er und Maria liefen oft um die Wette und rannten den anderen davon. Dann machten sie sich über die anderen lustig, vor allem über Eugen, der so langsam war, dass sogar Käte ihn überholen konnte, wenn sie sich mal von ihren Puppen trennte.

Einmal, als sie bei der Kuhhirtsbrücke waren und Maria über die Brückenmauer in den Bach gefallen war, hatte Hans sie aus dem Wasser gefischt. Sie hatte sich beim Sturz den Fuß verstaucht und er hatte sie nach Hause getragen, den ganzen Weg. Ihre Brüder hatten keinen Finger krumm gemacht, doch Hans hatte sich nicht beschwert. Kurz vor Mühlbach, bei den Bahngleisen, hatte er ihr eine Blume gepflückt, eine Nachtkerze. „Stell sie in eine Vase und riech heut’ Nacht an ihr, dann kannst du gut schlafen und träumst von mir!“

Sie hatte schreckliche Schmerzen gehabt in jener Nacht, doch der Duft der Blüte hatte sie tatsächlich getröstet. Maria dachte an Hans’ starke Arme, an sein breites Kreuz, seine Zielstrebigkeit und seine ruhige Beständigkeit. Er war immer für sie da gewesen, ihr bester Freund. Bis zu jenem Abend auf Gretes Hochzeit.

Mühlbach, 6. Mai 1944

Alle waren in der Kirche und bestaunten die Braut. Grete war wunderschön in ihrem Hochzeitskleid, um das die Mädchen sie alle beneideten. Weil ihr Vater an der Front war, führte Hans seine Schwester zum Altar. Das Kleid hatte Gretes Mutter Anna Groß genäht, die beste Schneiderin im Dorf. Ihre Ausbildung hatte sie in Karlsruhe bei einem jüdischen Schneidermeister gemacht. Wenn jemand etwas Schönes zum Anziehen wollte, dann fragte man die Anna und die schaute, was sich machen ließ. Maria hoffte, dass auch sie einmal so ein schönes Hochzeitskleid tragen würde. Schließlich war Anna die Cousine von Marias Mutter Emilie und Maria ihr Patenkind.

Nach der Kirche ging es in den Pfarrsaal. Es wurde so ausgelassen gefeiert, als ob kein Krieg wäre. Maria tanzte für ihr Leben gern und sie tanzte sehr gut. Die wenigen jungen Männer, die noch da waren, wollten vor allem mit ihr tanzen, aber sie hatte Hans auserkoren. Der konnte es am besten und trampelte ihr nicht auf den Füßen herum wie sein Zwillingsbruder Heinrich oder ihre Brüder.

Hans trug einen schwarzen Anzug. Seine Mutter hatte den alten Hochzeitsanzug seines Vaters für ihn umgenäht und enger gemacht. Jetzt kam er schmuck daher, der Hans, sogar ein blaues Windröschen hatte er im Knopfloch.

Heinrich sah lange nicht so gut aus, obwohl sie doch Zwillinge waren. Aber sein Anzug war von Onkel Alfred, er saß etwas zu knapp und außerdem war Heinrich nicht so athletisch wie Hans. Dafür aß er viel zu gern und auf der Hochzeit gab es endlich mal wieder ausreichend zu essen.

Alle waren fröhlich, auch Marias Mutter lachte und genoss den guten Zwetschgenschnaps. Dazu hatte sie noch nie Nein sagen können und so ließ sie sich einen nach dem anderen schmecken.

Für Maria gab es weder Essen noch Trinken, sondern nur die Musik und den Tanz. Mit Hans wirbelte sie durch den Raum, er zog sie an sich, hob sie in die Luft und drehte sie im Kreis, bis ihr schwindelig wurde. Als die Kapelle aufhörte zu spielen, ließ sie sich erschöpft in seine Arme fallen. Gemeinsam gingen sie nach draußen an die frische Luft.

Während Maria die dunkelbaue Nachtluft atmete, fühlte sie das Leben in sich pulsieren und mit Hans an ihrer Seite schien Mühlbach die ganze Welt. Als Hans ihr zum Abschied die Anemone schenkte und ihr sanft „Für meinen Wirbelwind“ ins Ohr hauchte, lachte sie nur und ging allein zurück in den Saal.

Mühlbach, 7. Mai 1944

Am nächsten Morgen hatte Maria alle Mühe, ihre Mutter aus dem Bett zu bekommen, doch sie durften den Gottesdienst nicht verpassen. Es war Totengedenken für ihren Lieblingsbruder Karl. Karl war vor zwei Jahren gefallen und dieses Jahr fiel sein Todestag auf einen Sonntag. Pfarrer Haag hatte Emilie, der eifrigen Kirchgängerin, die Bitte nicht abschlagen können, für ihren Karl eine Messe zu lesen. Doch kaum hatte er Karls Namen vorgelesen, begann Emilie so laut zu schluchzen, dass Maria ihr am liebsten den Mund zugehalten hätte.

Was mussten nur die Leute denken! Hans schaute schon die ganze Zeit zu ihr herüber, weil die Mutter einfach nicht aufhören wollte zu seufzen. Dabei machte alles Beten und alles Heulen Karl nicht wieder lebendig. Er war so freudig in den Krieg gezogen, dieser Narr. Hatte sich gleich als einer der Ersten freiwillig gemeldet, um dem Vaterland zu dienen, so wie sein großes Vorbild, Großvater Gustav. Mutter hatte ihn nicht gehen lassen wollen. Er war doch ihr Liebling, ihr Erstgeborener, an ihn hatte sie ihr Herz verschenkt, ihn hatte sie mehr geliebt als ihre anderen neun Kinder. Ihr Karl, eine Seele von Mensch, ein Bild von Mann, der Traum aller Schwiegermütter und aller Mädchen von Mühlbach.

Aber Großvater Gustav war der Patriarch im Haus. Er bestimmte, was getan wurde, und weder die Mutter noch der Vater Hans-Jakob hatten etwas zu melden. Und Großvater Gustav war sehr dafür gewesen, dass Karl Soldat wurde. Während der Pfarrer vom ewigen Leben sprach, musste Maria an Karls Todesanzeige denken:

Gott, dem Allmächtigen, hat es gefallen, den guten, unvergesslichen Sohn und Bruder, Karl Gustav Heil, Unteroffizier in einer Minensuchabteilung, am 7. Mai 1942 zu sich zu rufen.

Sie wusste noch jedes Wort auswendig, schließlich hatte sie die Todesanzeige formulieren müssen. Ihre Mutter war dazu nicht in der Lage gewesen. Nachdem sie vom Tod ihres Sohnes erfahren hatte, war Emilie zusammengebrochen und hatte für Wochen in einer Art Totenstarre verharrt.

Maria hatte sich um ihre Geschwister kümmern müssen. Theresia war damals erst zweieinhalb gewesen und hätte dringend ihre Mutter gebraucht. Inzwischen spiegelten ihre dunklen Augen ihre tiefe Seele, die viel zu alt war für ein Kind von vier Jahren. Allen Schmerz der Mutter hatte sie in sich aufgesogen wie ein Schwamm, ohne es zu wollen, ohne sich dagegen wehren zu können. Der Schmerz hatte sich seinen Weg gesucht, weil er zu viel gewesen wäre für Emilie allein.

Für Führer, Volk und Vaterland starb er im Kampf gegen den Bolschewismus den Heldentod: in einem Feldlazarett erlag er seinen schweren Verletzungen und ruht nun in fremder Erde auf einem Heldenfriedhof im Kaukasus.

Maria konnte kaum den Würgereiz unterdrücken, der in ihr aufstieg. Sie hatte sich geweigert, diese Zeilen in die Todesanzeige aufzunehmen, doch Großvater Gustav hatte darauf bestanden. Auch der Verlust seines Enkels brachte ihn nicht davon ab, an den großdeutschen Traum zu glauben.

Ein Held hatte ihr Bruder werden wollen und ein Held war er geworden. Aber ein toter. Maria war wütend. Auf Hitler, auf ihren Großvater, der seine Enkel mit seinen Geschichten vom glorreichen Heldenleben angelogen und den Tod ausgespart hatte, auf ihre Eltern, die sie nicht geschützt hatten, auf den Pfarrer, der irgendetwas vom ewigen Leben erzählte und von einem gütigen Gott, der doch nicht gütig, sondern grausam war. Ja, auf Gott war sie besonders wütend. Weil er ihr den Lieblingsbruder geraubt hatte, mit dem sie philosophieren konnte und der sie mit ihren Gedichten nicht ausgelacht hatte. Der sie verstanden hatte.

Ach, Karl!

Langsam begannen ihre Tränen zu fließen. All die Tränen, die sie seit Karls Tod nicht geweint hatte, weil irgendjemand ja auf alle aufpassen musste. Und nun war ihr, als könnte sie nie mehr damit aufhören. Damit es keiner sah, verbarg sie ihr Gesicht in den Händen, und als sie sich alle hinknien mussten, war ihr das gerade recht. Aber während sie früher noch voller Anbetung niedergekniet war, hatte sie jetzt Fragen an Gott: War das wirklich ihr Leben? Keine bunten Träume mehr, nur noch graue Blasen aus Asche und Krieg?

In diesem Moment stahl sich ein Sonnenstrahl durch die Engelsherzen der bunten Kirchenfenster. Maria dachte nicht mehr an Karl, auch nicht an Hans, sondern an Michael, und in ihrem Herzen machte sich neben Trauer und Wut eine große Sehnsucht breit. Sie wollte jung sein, frei und glücklich. Sie wollte leben, sie wollte bei Michael sein, ihrer großen Liebe, und sie wollte seinen Brief lesen. Gestern war er angekommen und erst heute Morgen hatte ihre Mutter ihn Maria gegeben.

Nach dem Gottesdienst deckte Maria den Tisch, Käte half der Mutter bei der Zubereitung des Essens und ihr dreizehnjähriger Bruder Otto und Großvater Gustav hörten Nachrichten. Wie immer gab es zuerst eine Zusammenfassung der Kampfhandlungen, die jedes Mal mit der Ankündigung „Das Oberkommando der Wehrmacht gibt bekannt …“ begann.