Im Zuge der Vögel - Annegret A. Braun - E-Book

Im Zuge der Vögel E-Book

Annegret A. Braun

4,3

Beschreibung

Als wir in unserem Leben landeten, hat niemand uns erklärt, worum es dabei eigentlich geht und wie das Leben funktioniert. Erstaunlicherweise meinen aber alle ganz genau zu wissen, was zu tun und was zu lassen ist. Eigenartig, zumal die meisten Ratgeber nicht gerade glücklich ausschauen. Das Leben sei kein Ponyhof, aber was ist es denn - etwa ein Saustall? Viele von uns wissen genau, wie eine gute Partnerschaft auszuschauen hat, wie sie aber lebbar ist, das fragen sich die meistens spätestens nach zwei Jahren Ehe, kurz vor dem Scheidungstermin. Bei allem Sinn und Wahnsinn bleibt eine Sehnsucht nach Liebe, Frieden, Gelassenheit. Der Verstand rätselt und arbeitet Strategien aus, um diese Qualitäten möglichst schnell ins Leben zu ziehen. Damit wurde alles noch verworrener und lebloser. Das Buch bietet einen Dialog ganz besonderer Art. Dieser liefert sowohl eine Vogelperspektive auf das Leben selbst, als auch einen Einblick in die Spielidee vom Abenteuer Leben. Es hat Zündstoff genug, um selbst einen Phönix aus der Asche zu treiben, in die Leichtigkeit des Seins, der dem Zuge der Vögel gleicht.

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Zur Autorin

Annegret Braun studierte bei Prof. Dr. J. A. Stüttler Sozialphilosophie. Mit der Objektiven Hermeneutik Prof. Dr. U. Oevermanns gelang es ihr, den Fragen des Lebens auf den Grund zu gehen. Sie gründete die Praxis für Familiensystemdiagnostik und erforscht seit vielen Jahren das Zusammenleben von Menschen, indem sie, generationsübergreifend, deren realem Prozess des Lebens folgt. Neben ihrer Beratungstätigkeit liefert sie den Menschen in der Seminararbeit gute Gründe für mehr Lust am Leben und einen Einblick, nach welchen Prinzipien das gelingt.

Inhalt

Prolog

Auftakt in das Abenteuer des Lebens

Im Labyrinth unterwegs

Die Entdeckung der Irrwege

Du bist, was Du aus Dir machst!

Du bist, was Du hast!

Du bist, wenn Du andere für Deine Zwecke manipulieren kannst (Täter-Opfer-Retter-Netz)

Du bist, wenn Du Dich zur Krone der Schöpfung erklärst!

Du bist, was Du denkst!

Die Ouvertüre des Lebens

Die Symphonie des Lebens

Ja, aber…. da hätte ich noch eine Frage

Epilog

I. Prolog

Unsinn, Wahnsinn und Sinnlosigkeit machen sich in der Welt breit. Wenn das so weiter geht - wenn wir so weiter gehen-, haben wir und unsere Welt keine Zukunft.

„Das fängt ja gut an! Angstmacherei scheint sich ja momentan gut zu verkaufen.“

So läuft das doch immer: erst macht man den Menschen Angst und dann packt man das rettende Rezept aus der Tasche.

„Ich bin wirklich gespannt wie das gemeint ist: Im Zuge der Vögel … oder meintest Du: Im Zug vögeln?“

Du gefällst mir! So ein schräger Vogel wie Du, kommt mir gerade recht. Aber, - warum laufe ich Dir vor die Füße?

„Vermutlich weil wir beide noch nicht fliegen können!“

OK. Dann fahren wir lieber mit dem Zug. Aber sag mal, was war der Auslöser, warum liest Du dieses Buch?

„Albert Einstein sagte mal: Eines habe ich in meinem langen Leben gelernt, nämlich dass unsere ganze Wissenschaft - an den Dingen gemessen - von kindlicher Primitivität ist, und doch ist es das Köstlichste was wir haben.“

Dass das Leben ein Spiel ist, gefällt Dir also. Eine meiner größten Sorgen war, ein paar Frustrierte oder Resignierte zu erwischen, die immer alles genau wissen wollen und dann doch nichts riskieren. Willkommen auf der Spielwiese der Wissenschaft. Dann beginne ich nun extra für Dich nochmal neu:

Wenn man immer das Gleiche tut ist es eine „mathematische“ Gewissheit, dass immer das Gleiche dabei herauskommt. Die meisten Menschen wünschen sich aber, es möge sich bald etwas ändern, so könne es nicht weiter gehen. Trotzdem halten sie eisern an dem fest, was sie kennen und tun weiter, wie gehabt. Sie warten und warten, tun das, was sie tun noch konsequenter und fleißiger, lesen ein paar Bücher und staunen, dass schon wieder das Gleiche dabei heraus kommt. Komisch, - dabei hatten sie fest mit Veränderung gerechnet. Nun geht ihre Rechnung nicht auf. Was tun? Sie setzten auf vermeintliche Sicherheiten, die ihnen geblieben sind und verhandeln mit ihrem Schicksal: Eigentlich kann ich ja ganz zufrieden sein.

Der Verstand findet keinen Ausweg aus der emotionalen Misere, die dabei klammheimlich anschwillt …

„….also doch eine Veränderung, Wachstum der emotionalen Misere!“

… und klammert uns ganz geschickt an das Residuum unseres Selbst, haben wir ja gelernt, uns zu bescheiden oder uns als Einzelkämpfer durchzuschlagen. Niemand sollte sehen, was da in uns vorgeht und letztlich können auch wir selbst nicht einsehen, dass die erfolgreich errichteten Fassaden unserer Machen-schaften uns Wohl (zum) Stand gebracht haben, aber nicht an unser Ziel. Denn letztlich suchen wir alle einen Weg zu gelassener Zufriedenheit, zu innerer Ruhe und Lebendigkeit, nach der eigenen dynamischen Balance, einer Autonomie in tiefer Verbundenheit mit allem und allen. Es ist demnach eher ein Zustand, nichts Greifbares, etwas in sich völlig ausreichendes und gleichzeitig aus sich heraus reichendes, zu dem uns die Sehnsucht immerzu aufruft.

Ich habe in meinem Leben immer ganz leidenschaftlich in Familien „herumgekramt“, wollte verstehen, wie sie funktionieren und was sie für uns bedeuten. In der Tiefe angelangt, stieß ich auf Überzeugungsmuster, die stets zu denselben Kreisläufen führen, die uns wie ein Hamsterrad vorkommen. Mit zunehmendem Wohlstand war und ist eine Zunahme an freudiger Lebendigkeit, couragierten Menschen, die begeistert und kreativ „aufleuchten“, keineswegs einhergegangen. 20jährige sozialwissenschaftliche Forschungsarbeit brachte mich nicht nur in die Kenntnis von zahlreichen Irrwegen und Sackgassen, in denen wir heute teils zweifelnd, teils überrascht drinstecken. Die Analysen vieler Familien- und Lebensgeschichten in akribischer Puzzlearbeit, führte zu einem Verständnis über den Lebensprozess selbst, brachte einen Einblick in die Wirk-lichkeit zu Tage. Ich entdeckte Prinzipien, an deren Allgemeingültigkeit ich keinen Zweifel habe. Diese Prinzipien fand ich in anderen Wissenschaften, Religionen und weiteren Quellen bestätigt, deren Aufgabe darin besteht, Antworten auf die Sinnfragen des Menschen zu geben. Es sind die Fragen nach dem Dasein des Menschen, seinem woher, wohin und dem wozu von alledem.

„Es gibt also einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem besonderen Einzelnen und dem Allumfassenden? - ansonsten wäre es Dir unmöglich, zu derartigen Aussagen zu kommen.“

Ja, nur Du solltest Dir das so vorstellen, dass das Einzelne und das Ganze nicht nur irgendwie zusammenhängen und denselben Prinzipien unterliegen. Es muss eine Einheit sein, die sich als Ganzes nicht von uns erfassen lässt, die aber in einzelnen Akzentuierungen zum Ausdruck kommt.

Es gibt eine ganz sonderbare Identität zwischen dem Einen und der Einheit, eine Art Wechselbeziehung oder vielmehr einen Perspektivwechsel ein und desselben. Dieses Eine möchte ich als „Lebensprozess“ bezeichnen. Ich vergleiche das gerne mit der Entstehung einer Zeichnung. Zunächst ist da die Idee oder auch die Vorlage von etwas Ganzem. Um diese auf mein weißes Blatt Papier zu bringen, konzentriere ich mich auf das Detail, arbeite mich von Detail zu Detail bis genügend Zusammenhänge entstanden sind, erst dann richte ich den Blick auf das Ganze, indem ich etwas Abstand schaffe und das Detail aus den Augen verliere. Nur so fallen mir Unstimmigkeiten auf, die dann wieder detailliert ausgebessert werden. Nun wechselt das „Umschalten“ der Perspektiven immer schneller vom Blick auf das Ganze zum Blick auf das Detail und umgekehrt. Jedes Detail bekommt seinen Sinn durch seinen Zusammenhang im Ganzen. Ich stelle erstaunt fest, dass das nun Sichtbare im Grunde nur erkennbar ist, weil ich auch das gezeichnet habe, was nicht greifbar ist: die Zwischenräume, die Schatten. Wenn es ums Ganze geht, dann scheint es doch auch wesentlich um das zu gehen, was „Dazwischen“ ist, um das Unbe-greifbare, Un-fassbare, aus dem heraus alles entsteht. Der (Lebens-) Künstler sieht das weiße Blatt, auf dem alles Mögliche entstehen kann. Dieses Blatt ist für ihn keinesfalls leer. Er bringt durch das Wechselspiel von Licht und Schatten nur eine Möglichkeit zum Ausdruck, für die er sich entschieden hat.

„Du meinst: Alles ist schon da … auf dem weißen Blatt! Der Kohlestift macht es nur sichtbar, indem er mit seiner Schwarzfärbung etwas aus einer Fülle abgrenzt?“

Ja. Die abgrenzende Entscheidung ist der Prozess – hier das Zeichnen -, etwas aus einer „Alles-ist-möglich-Situation“ herauszuholen, sichtbar zu machen. Ein Künstler mag wohl eine präferierte Stilrichtung haben, aber er wäre alles andere als ein Künstler, wenn er immerzu die gleiche Zeichnung anfertigen würde und das, der Einfachheit halber, nach einer einmal angefertigten Schablone.

„Und Du meinst, unser Leben ist die X-te Schablonenzeichnung. Na, so kann wenigstens nichts schief gehen. Es kann wohl auch nicht jeder ein Künstler sein.“

… womöglich nicht jeder ein Chagall. Dennoch habe ich den Verdacht, dass das Leben nicht ganz zufrieden mit uns ist, und wir sind es auch nicht mit dem Leben. Bei dem ganzen Spiel scheint es doch wesentlich darum zu gehen, etwas zum Ausdruck oder zum Vorschein zu bringen. Wir, mit unserer Schablone, glauben schon gar nicht mehr, dass es möglich ist, frei zu zeichnen. Selbst wenn wir es in Betracht zögen, so trauten wir uns das nicht mehr zu. Was sollte dabei schon herauskommen, - nichts als Kritzeleien. Das kann es doch nicht sein, das Leben - ein Kinderspiel! Eine unserer starrsten Überzeugungen ist, das es sich beim Leben um eine ganz ernste und gefährliche Sache handelt.

„Logisch! Schließlich könnte das Spiel ja tödlich enden!“

Und Gott schaut sich unser Trauerspiel gelangweilt an und brummt leicht betrübt: Wann gibt es hier mal endlich was zum Lachen? Wenn das Leben selbst nicht mehr von uns wollte, als das Hervorbringen von genormten Strichmännchen, dann würde auch uns nicht gelangweilt das Lachen vergehen. Wir spielen das Spiel des Lebens nach einer einheitlichen Spielanleitung. Das Spiel an sich haben wir aber gar nicht verstanden, das hat uns niemand erklärt. Deshalb sind wir bei all der Verwirrung auch heilfroh, wenigstens diese Anleitung zu haben.

„Und du hast jetzt eine alternative Anleitung entdeckt, mit der alles lustiger wird?“

Oh … würde Dir das schon ausreichen um weiterzulesen?

„Irgendwie ja. Aber was hast Du denn?“

Es ist eher eine Spielbeschreibung oder der Teil der Spielbeilage auf dem steht: Zur Spielidee. Und stell´ Dir vor: Das Wesentliche dieses Spiels ist der Umstand, dass es keine Spielanleitung gibt. Das macht es geradezu zu dem, was es zu sein scheint, zu einer Art interaktivem Abenteuerspiel, das im Rahmen von bestimmten Prinzipien abläuft. Das skurrile daran ist, dass das Spiel keinen Spaß mehr macht, wenn Du versuchst, es dennoch nach Plan zu leiten. Eine Spielplanung widerspricht offenbar prinzipiell dem Spielverlauf. Vielmehr ähnelt das Ganze einem Kartenspiel: Du deckst eine Karte nach der anderen auf, und machst das bestmögliche daraus, ohne zu wissen, welche Karte Dir das Leben als nächstes zuspielt. Es gleicht einer Entdeckungsreise, die deshalb eine Entdeckungsreise ist, weil die Route nicht geplant ist und die einzelnen Zielstationen inklusive Animationsprogramm nicht vorgebucht sind.

„ Aha! So ein Spiel mutest Du Deinen Leserinnen und Lesern zu.“

Bist Du jetzt erleichtert, dass wir nicht Memory mit zwei Karten spielen?

„Ich hätte jedenfalls keine Sorge, ich könnte überfordert werden.“

Ich habe das Spiel nicht erfunden, ich kann mich auch nicht daran erinnern, dass mich jemand gefragt hätte, ob ich mitspielen wollte. Plötzlich war ich mittendrin. Als ich mir ein wenig Orientierung verschaffen konnte, wie das Ganze so läuft, wurde das Spiel nicht nur unkomplizierter und leichter, sondern sinnvoll und gleichermaßen spannend. Das Leben ist uns zugemutet worden, wir haben es uns selbst zugemutet, - wie auch immer! Meinst Du nicht auch, wir sollten das Beste daraus machen, jeden Tag aufs Neue? Komm! Lass uns zusehen, dass wir die Welt jeden Tag aufs Neue erleben.

„Alles in allem hört sich das für mich immer noch sehr kompliziert an. Ist die Spielidee wenigstens überschaubar“?

Überzeuge Dich selbst davon, wie einfach eigentlich das Leben ist.

1. Auftakt in das Abenteuer des Lebens

Ob eine Seele inkarniert oder ob wir Zufallsprodukte eines irgendwie entstandenen Evolutionsprozesses sind, das ist letztlich irrelevant wenn wir uns das anschauen, was im Moment unserer Zeugung geschieht. Viel wichtiger scheint für unseren individuellen Lebensprozess die Frage zu sein: Was haben sich unsere Erzeuger eigentlich dabei gedacht? Oder weniger dezent spöttisch: Unter welchen Bedingungen durften wir sein?

Haben sich unsere Eltern sehnlichst ein Kind gewünscht und wenn ja, welche Erwartungen haben sie daran geknüpft? Sind wir ihnen einfach so passiert und wenn ja, war das eine freudige oder eine böse Überraschung für sie? All diese bewussten und unbewussten codierten Energien, alle informationsträchtigen Gedanken waren es, die auf uns wirkten. Sie wurden demnach zu unserer Wirk-lichkeit. Der Embryo, in einem ganz frühen Stadium, bestehend aus omnipotenten Zellen, spürt unmittelbar, in welche Richtung er sich entfalten kann. Gleich einer kleinen Pflanze, die das Licht sucht, richten auch wir uns aus, nach dem Potential unserer Eltern, deren latenten und zumeist unbewussten Bedingungen, die sie an uns stellen. Für den kleinen Embryo „scheint also nur die Sonne“, wenn er sich in die vorgefundenen Bedingungen einfügt, denn ohne „Sonne“ kann er nicht sein. Um geliebt zu werden, spaltet er all die Seinsmöglichkeiten ab, die die Eltern in Schwierigkeiten bringen könnten, also diejenigen, die den Eltern Angst machen. Der Embryo will ja genau das Gegenteil erfahren: das Höchstmaß an Liebe.

In der Familiensystemdiagnostik, die mit der soziologischen Methode der Objektiven Hermeneutik tiefe Verständnisschichten aufzuschließen vermag, kann man nachweisen, dass wir alle sozusagen naturwüchsig derartige Akzeptanzbedingungen mit uns herumtragen. Diese wirken auf den Neuankömmling. Ob wir das wollen oder nicht, ob wir das merken oder nicht, ist für dessen Wirklichkeit irrelevant. Der unbewusste Embryo spürt genau, was Sache ist und erfüllt unsere Bedingungen. Tut er das nicht, stirbt er.

Was wir uns alle klar machen sollten ist, dass der Embryo eigentlich zu allem fähig wäre. Alles ist möglich, alles veranlagt, alles potentiell entfaltbar. Es bedarf einer Auswahl der Möglichkeiten, die uns in diesem frühen Lebensstadium – wie oben bereits beschrieben – vorgegeben ist: Die zwingend notwendige Auswahl richtet sich nach den Akzeptanzbedingungen unserer nächsten Umgebung. Es ist überaus bedeutsam, diesen Prozess zu kennen, impliziert er doch u. a. zwei überaus wichtige Resultate:

Wir sind grundsätzlich Wesen, denen nichts fehlt, die prinzipiell alles sein können! Möglicherweise sind wir aber überfordert, alles gleichzeitig zu sein. Das wäre eine logische Erklärung für den Einschränkungseffekt. Denn so tolerant unser Umfeld auch sein mag: Zu Beginn des Lebensprozesses ist die Einschränkung von entscheidender Bedeutung. Die „Wahl“ aus all den Möglichkeiten ist unabdingbar, um den Lebens-Prozess in Gang zu setzen. Unser Zeichenkünstler versteht das. Er grenzt das weiße Blatt mit seinem Kohlstift ein. Er trifft eine Auswahl, die er schwarz hervorhebt. Nur durch die hervorhebende Abgrenzung zum Untergrund wird etwas erkennbar.

Einschränkung muss demnach passieren und sie passiert aus Angst, ansonsten nicht gesehen, angenommen resp. geliebt zu werden. Angstvoll eingegrenzt werden die Aspekte unseres Selbst, mit denen unser Umfeld nicht klar kommt. Dies ist am Beginn des Lebensprozesses notwendig. Über diese Phase der angstvollen Einschränkung kommen manche Menschen allerdings ihr Leben lang nicht hinaus. Wie oft nehmen wir uns zurück, schnallen den Gürtel enger, nur damit wir angenommen und geliebt werden? Und wir tun es auch für viel weniger: für ein bisschen Toleranz, ein Krümelchen Daseinsberechtigung oder nur um Ärger zu vermeiden.

Nun, nachdem die Rahmenbedingungen gesteckt und der Embryo sich trotz alledem oder gerade deshalb für das Leben entschieden hat, kommt es zur Ausdifferenzierung in die entsprechende Richtung. Alles läuft nach einer scheinbar implantierten Software ab, jede Zelle weiß haargenau, was sie wann zu tun hat. Wir Eltern staunen, werden mitunter dazu verführt, diesen Vorgang doch möglichst genau zu beobachten, möglichst besorgt, da der „zivilisierte Mensch“ der Natur ja nicht trauen kann. Grundsätzlich sind die pränatalen Störungsmöglichkeiten des Homo oeconomicus noch relativ verträglich, so dass selbst dieser letztlich ins Staunen kommt, angesichts des „Wunders“ der Natur. Aber mit der Geburt verschärft er sein Überwachungsprogramm, will er nichts dem „Zufall“ überlassen. Er misst, wiegt, kategorisiert, katalogisiert, manipuliert, als ob nun der innere Kompass der natürlichen Entfaltung nicht mehr funktionierte. Internalisierte Gesellschaftsdoktrinen werden zu leitenden Erziehungszielen.

Eltern setzen sich unter Druck, auf ihre Kinder einzuwirken und zwar so, dass diese in einer materialistisch rationalen Welt positionierbar werden. Qualitäten wie Leistungsbereitschaft, Funktionsbereitschaft, Anpassungsfähigkeit, Zielstrebigkeit u. ä. stehen dabei hoch im Kurs. Die Einschränkungen des Kindes werden durch diese Erwartungen und vorgegebenen Maximen also noch um ein Vielfaches dimensioniert. Der Weg des Lebens scheint für das Kind mehr oder weniger vorgezeichnet zu sein. Die Herausforderung besteht nur mehr darin, diesen Weg möglichst stolperfrei in Rekordgeschwindigkeit als Einzelkämpfer zu durchlaufen. Dies gelingt am besten, wenn eigene Wünsche begraben und Emotionales als Träumerei abgetan wird. Es scheint eine normierte Form des Seins zu geben. Schafft man es, sich darauf zu reduzieren, ist der Integrationsprozess gelungen. Konform ist man stets auf der Hut, nicht vom Kurs abzukommen.

Somit sehen zahlreiche Eltern ihre Leistung darin, ihr Kind zu einem nützlichen Mitglied der Leistungsgesellschaft zu erziehen. Dafür ist fast jedes Mittel recht. Es wird gezogen und verbogen. Und am Ende hat tragischerweise unvollkommenes vollkommenes eingeschränkt.

Was ist aus der Einzigartigkeit eines jeden von uns geworden? Wäre es nicht eine angemessenere Aufgabe von Familie, Kindern einen Rahmen zu schaffen, in dem sie ihre eigene Persönlichkeit möglichst uneingeschränkt entfalten können? Einen solchen Rahmen zu schaffen wäre doch das, was Liebe tut: wachsen lassen, frei machen, Vertrauen schenken, Verbundenheit durch Mitgefühl erfahrbar machen, Erfahrungen ermöglichen und dabei den Raum der Wertfreiheit nicht verlassen, u.v.m.

Mit derlei zügellos einschränkendem „Empfehlungs-Gedanken-gut“ konfrontiert, hat der junge Mensch die größte Mühe dafür Sorge zu tragen, dass von ihm selbst noch etwas übrig bleibt. Wie funktioniert das? Nun, in der Psychologie redet man an dieser Stelle von Schutzmechanismen. Unser eigentliches Selbst, das zu größten Teilen nicht sein darf, wird gut eingepackt und versteckt. Und was wir dann leben ist das Überbleibsel eines großartigen Potentials. Mit diesem Überbleibsel identifizieren wir uns radikal, denn nur mit ihm werden wir wahrgenommen. Worum handelt es sich aber bei genauer Betrachtung, wenn wir von Überbleibsel reden?

Sind wir erst einmal auf 0,01% unseres Selbst reduziert, dann verlieren wir den bewussten Zugang zu den übrigen 99,99 %. Was geblieben ist, ist Zweifel an uns selbst, Selbst-Unsicherheit, Selbst-Misstrauen, ist die Angst vor kompletter Unbrauchbarkeit. Und die, die uns zuvor aus lauter Selbstzweifel, Selbstunsicherheit, Autonomieschwäche, Konformität, Faulheit und/oder Feigheit in diese Angst getrieben haben, stehen nun mit rettenden Armen vor uns und sagen: Tue nur, was ich Dir sage, dann kann Dir nichts passieren. Es ist letztlich der Klimmzug der Blinden, die sich zum Wegweiser erklärt haben, damit ihre eigene Odyssee getarnt und rechtfertigt wird.

2. Im Labyrinth unterwegs

Als Kind denken wir noch, dass mit uns etwas nicht stimmt, wenn die Wirklichkeit für uns nicht freudig ist. Irgendwie scheinen wir den Erwartungen wohl nicht zu genügen. Deshalb legen wir uns nun so richtig ins Zeug. Manche Kinder toben verzweifelt herum, andere resignieren bereits jetzt. In jedem Fall fällt den Erwachsenen eine entsprechende Etikettierung ein. Auch die sog. Fachleute zögern nicht lange mit der Erfindung stigmatisierender Krankheitsbilder. Sie richten ihre totale Aufmerksamkeit mit dem einengenden Fokus ihrer Vorstellungen auf das Kind und attestieren sarkastisch: Es handelt sich bei Ihrem Kind um ein Aufmerksamkeitsdefizit! Und so werden die stärksten Kinder medikamentös für ein Leben nach Plan gefügig, mindestens aber als Störfaktor unschädlich gemacht.

Dann gibt es aber doch auch Kinder, die das Programm bis zu ihrer Pubertät überleben. Die Jugendzeit ist ein Aufleuchten unseres eigentlichen Selbst. Wir wagen uns mehr oder weniger aus unserem Versteck hinaus und protestieren, stellen in Frage, zweifeln an. In den Augen der Er-Zieher ist das äußerst unbrav und unbequem, deshalb kommt es zu Kämpfen und Kleinkriegen. Der junge Mensch fühlt sich gefesselt, ungesehen, unverstanden, ungeliebt, in seiner Ganzheit inakzeptabel. Er spürt nun genau, dass es um sein Leben geht. Er will nicht länger gesteuert werden, sondern seine eigenen Entscheidungen treffen, eben autonom sein, seine Möglichkeiten wählen und sich so seine Welt erschaffen.

Er steht einer Gesellschaft gegenüber, die ihm das nicht zutraut. Was soll es da auch Großartiges zu wählen geben? Die gesellschaftlichen Ziele sind doch klar definiert und der Weg dorthin wurde schon geebnet, ausgetrampelt, von all den Schafherden, die schon lange nicht mehr an ein Leben vor dem Tod glauben. „Hey junges Volk, was soll denn das? ... und leistet ihr doch erst mal was! ... ihr werdet auch noch mal gescheit, das bringt die Zeit!“ In der Form bringt Udo Jürgens diese Situation auf den Punkt, der mit seinen authentischen Liedern nichts unversucht lies, Menschen wach zu rütteln, sie an ihre Sehnsucht nach wahrhaftigem Leben zu erinnern und ihnen Mut zu machen, alles zu tun, was gut tut.

Autonomie wird erst erfahrbar genau in dem Wechselspiel von Wirklichkeit und Möglichkeiten. Dieses Wechselspiel ist der Lebensprozess. Eine vorgefundene Wirklichkeit eröffnet immer mehrere Möglichkeiten, mindestens aber zwei kontrastive: ich schreibe dieses Buch oder aber ich lasse es bleiben. Offensichtlich habe ich mich dafür entschieden, jedenfalls konnte ich nicht nicht entscheiden. Es einfach nicht zu schreiben wäre auch eine Entscheidung gewesen, nachdem die Möglichkeit es zu tun, in mir aufgegangen