Immortal Guardians - Verfluchte Seelen - Dianne Duvall - E-Book

Immortal Guardians - Verfluchte Seelen E-Book

Dianne Duvall

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Beschreibung

Dr. Melanie Lipton kennt sich in der Welt der Unsterblichen aus wie kaum ein anderer Mensch. Der attraktive Einzelgänger Sebastien Newcombe hat es ihr besonders angetan. Auch Bastien fühlt sich zu der Ärztin hingezogen. Doch sie zu lieben, hieße, sie in große Gefahr zu bringen.

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DIANNE DUVALL

Immortal Guardians

Verfluchte Seelen

Roman

Ins Deutsche übertragen von

Frauke Lengermann

Zu diesem Buch

Dr. Melanie Lipton erforscht im Auftrag der Unsterblichen Wächter das Vampirvirus, in der Hoffnung, einen Weg zu finden, den unaufhaltsamen Absturz der Infizierten in den Wahnsinn zu verhindern. Durch ihre Arbeit trifft sie auf den attraktiven Einzelgänger Sebastien Newcombe, dem die anderen Wächter mit Verachtung begegnen, da er lange glaubte, ein Vampir zu sein, und deshalb gegen sie kämpfte. Nun jedoch ist ein neuer mächtiger Feind auf den Plan getreten, der es auf Vampire und Unsterbliche gleichermaßen abgesehen hat. Bastien sieht nur einen Weg, dieser neuen Bedrohung zu begegnen: Die Wächter müssen die Vampire auf ihre Seite ziehen – ein geradezu ketzerischer Vorschlag für die Unsterblichen, die seit Jahrtausenden gegen die Blutsauger vorgehen. Doch Melanie glaubt an Bastiens Plan, weiß sie doch, wie tragisch das Schicksal der zahllosen Vampire ist, die gegen ihren Willen langsam in den Wahnsinn abgleiten. Und Melanie muss sich eingestehen, dass Bastien ihr Herz bei jeder Begegnung höher schlagen lässt. Auch er fühlt sich zu der Ärztin hingezogen, doch sie zu lieben, hieße, sie in große Gefahr zu bringen.

Für meine Familie

1

Wut stieg in Bastien hoch, und der Drang zuzuschlagen wurde fast übermächtig. Fühlten sich die Vampire genauso, wenn das Virus ihre Gehirne zerfraß und ihre Impulskontrolle auslöschte? Denn in diesem Moment wünschte er sich nichts sehnlicher, als dem Unsterblichen, der sich neben ihm auf dem Dach lümmelte, die Faust ins Gesicht zu rammen.

»Ist dir eigentlich bewusst, wie dämlich du grinst?«, brummte Bastien, ohne die betrunkenen Studenten aus den Augen zu lassen, die mit unsicheren Schritten auf der gegenüberliegenden Straßenseite vor dem Verbindungshaus hin- und herstolperten.

»Du kannst mich mal«, erwiderte Richart, während er ungerührt weiter eine SMS in sein Handy hämmerte.

Bastien seufzte. Nicht mal für eine ordentliche Prügelei war dieser Trottel gut. Seit Stunden versuchte er vergeblich, den anderen Unsterblichen zu provozieren, um seinem Frust darüber Luft zu machen, dass Seth ihm einen Begleiter aufgezwungen hatte. Einen Babysitter. Einen Aufpasser.

»Verdammte Unsterbliche«, knurrte er. Sie wollten ihn tot sehen, nur weil er vor fast zwei Jahrhunderten einen der ihren getötet hatte. Hm – alle außer einem, wie es aussah.

»Du bist doch selbst ein Unsterblicher, du Blödmann«, bemerkte der Franzose.

Machmal vermisste Bastien die Gesellschaft der Vampire.

Plötzlich erhaschte er aus dem Augenwinkel ein paar Schatten, die sich nördlich vom Verbindungshaus regten.

Wenn man vom Teufel sprach …

Bastien beobachtete zwei augenscheinlich betrunkene junge Pärchen dabei, wie sie erst die Verandatreppe hinunterstolperten und dann den Bürgersteig entlangschwankten. Pulsierende Musik drang durch die geschlossenen Fenster und dröhnte ihm in den Ohren, während dunkle Silhouetten hinter den Vorhängen vorbeiwirbelten. Das Quartett stritt sich lallend darüber, welchen Weg es zurück zum Studentenwohnheim einschlagen sollte, einigte sich schließlich und ging los, ohne die dunklen Schatten zu bemerken, die jede ihrer Bewegungen verfolgten.

Bastien öffnete den Mund, um Richart zu warnen, schloss ihn jedoch wieder, als er feststellte, dass dieser sein Handy bereits in die Gesäßtasche schob. Sie erhoben sich.

Als Richart die Hand ausstreckte, um sie auf Bastiens Schulter zu legen, entzog der sich seiner Berührung und machte einen Schritt nach vorn ins Leere. Er fiel drei Stockwerke nach unten und landete fast lautlos auf dem Bürgersteig direkt vor dem Gebäude.

Eine Sekunde später tauchte Richart aus dem Nichts neben ihm auf. »Du riskierst es, gesehen zu werden, wenn du das tust«, kommentierte der Franzose vorsichtig, während sie sich den Menschen und ihren Vampirschatten an die Fersen hefteten.

»Ach, und beim Teleportieren ist das nicht der Fall?«

Richart zuckte mit den Achseln. »Wenn sie mich sehen, dann glauben sie, dass ihre Fantasie ihnen einen Streich spielt, dass ihre Augen sie täuschen oder es am Licht liegt. Wenn sie dich sehen, denken sie, du bist ein Springer, wie aus diesem Film Jumper. Oder irgendein Student, der sich den Verstand weggesoffen hat und vorbeigekommen ist, um zu sehen, was los ist.«

Richtig. Davon abgesehen war diese Diskussion ohnehin überflüssig – kein Mensch hätte sie in der Dunkelheit sehen können. Da sich der Himmel bei Sonnenuntergang zugezogen hatte, wurde der Mond von dichten Wolken verdeckt. Und die Straßenlaternen waren allesamt kaputt – entweder die Vampire hatten sie zerstört, um ungestört ihren Opfern nachzustellen, oder ein paar gelangweilte Studenten hatten sich daran zu schaffen gemacht.

Bastien spitzte die Ohren, wobei er die dümmlichen Gespräche des Quartetts, den dröhnenden Bass der Verbindungsparty und das Rumpeln vorbeifahrender Autos ausblendete und sich auf das konzentrierte, was die Vampire sagten, unhörbar für menschliche Ohren.

Ihr Plan schien darin zu bestehen, die beiden Männer vor den Augen der Frauen auszusaugen und zu zerstückeln und anschließend die beiden weiblichen Opfer zu quälen. Wahrscheinlich würden sie sie als Spielzeug behalten, von ihnen trinken und so lange mit ihnen Spielchen treiben, bis sie ihrer überdrüssig wurden und sich neue Opfer suchten.

Als sich die Männer mit ein paar feuchten Küssen und etwas Gefummel von den beiden Frauen verabschiedeten und den Bürgersteig hinunterstolperten, wurde der Plan umgeschmissen. Die Studentinnen gingen taumelnd in die entgegengesetzte Richtung, wobei ihre Absätze auf dem Gehsteig klackerten.

Nach kurzem Zögern folgten die Vampire den beiden Frauen.

Bastien sah Richart an. »Willst du Beavis oder Butthead?«

Richart deutete mit dem Kinn auf den blonden Vampir. »Ich nehme Beavis.«

Während sie über das Campusgelände gingen, passierten die Frauen immer wieder die Lichtkegel der Laternen, um schließlich in die Schatten uralter Eichen einzutauchen. Inzwischen steuerten sie auf den hell erleuchteten Eingang des Studentenwohnheims zu.

Die Vampire pirschten sich von hinten an sie heran.

Richart berührte Bastien an der Schulter. Die Welt um ihn herum versank in Dunkelheit. Er fühlte sich schwerelos, beinahe, als führe er in einem Fahrstuhl. Im nächsten Moment stand er direkt neben den Vampiren.

Bastien bedachte Richart mit einem verärgerten Blick. Auch wenn er keine so heftige Abneigung gegen das Teleportieren hatte wie so manch anderer Unsterblicher, hätte er eine Vorwarnung zu schätzen gewusst.

In diesem Moment sausten zwei Gestalten um die Gebäudeecke, schnappten sich die beiden Frauen und verschwanden wieder. Sie bewegten sich so schnell, dass sie zu Farbklecksen verschwammen.

»Was zum Henker?«, platzte der Dunkelhaarige heraus, den Bastien Butthead getauft hatte.

»Hey, die gehören uns!«, rief Beavis.

Bastien sah Richart an, dessen Augen vor Wut bernsteinfarben leuchteten. »Ich kümmere mich um die Neuankömmlinge.«

Beavis und Butthead wirbelten herum.

Richart nickte. »Und ich sehe zu, dass ich die beiden Idioten hier loswerde.«

Als die Vampire ihre Reißzähne ausfuhren, fingen ihre Augen an, durchdringend zu glühen.

Bastien jagte den beiden Neuankömmlingen und ihren Opfern nach, wobei er sich so schnell bewegte, dass ein Mensch seinen Bewegungen mit bloßem Auge nicht hätte folgen können.

Er verfolgte die Vampire von Chapel Hill in das benachbarte Durham, wobei die beiden Haken schlugen wie Hasen auf der Flucht. Die Jagd erforderte seine ganze Aufmerksamkeit.

Wussten die beiden vorwitzigen Blutsauger, dass sie von einem Unsterblichen gejagt wurden? Oder wollten sie einfach nur die Konfrontation mit ein paar aufgebrachten Vampiren vermeiden, denen sie zwei Studentinnen vor der Nase weggeschnappt hatten?

In der verlassenen Ladezone hinter einem der Gebäude, die zur Duke University gehörten, blieben sie endlich stehen. Jeder der Blutsauger hielt eine Frau fest. Die Studentinnen gaben keinen Laut von sich.

Als Bastien nur wenige Zentimeter entfernt abbremste, konnte er Bissspuren an den Hälsen der beiden Frauen erkennen. Ihre Herzen schlugen noch, sie waren also noch nicht vollständig ausgesaugt. Aber die Drüsen, die sich während der Transformation über den Reißzähnen der Vampire bildeten, hatten bereits die Flüssigkeit abgesondert, die eine ähnliche Wirkung hatte wie Gamma-Hydroxybutansäure – was dazu führte, dass die beiden Frauen willenlos in den Armen der Vampire hingen, bereit, alles zu tun, was diese von ihnen verlangten. Falls sie den nächsten Tag erlebten, würden sie sich an nichts mehr erinnern.

Der Vampir, der Bastien am nächsten stand, zuckte heftig zusammen, als er ihn bemerkte. Er ließ sein Opfer fallen. »Wir haben sie zuerst gesehen.«

Indem er die Frau an der Bluse packte, verhinderte Bastien, dass sie zu Boden ging, dann rammte er dem Vampir die Faust ins Gesicht.

Blut spritzte ihm entgegen, gleichzeitig erklang das Geräusch splitternder Knochen. Der Vampir flog nach hinten und krachte mit so viel Wucht gegen das Gebäude, dass der Backstein barst und Sand und Mörtel herunterrieselten.

Vorsichtig ließ Bastien die Studentin zu Boden gleiten und stürzte sich auf den Kumpan des Vampirs, der verblüfft zugesehen hatte. Offenbar hielt er sich für besonders schlau: Er schlang den Arm fester um sein Opfer, um es als Schutzschild zu benutzen … Zumindest bis zu der Sekunde, in der Bastien ihm besagten Arm brach und den schreienden Vampir durch die Luft schleuderte, sodass die Backsteinwand um ein paar Risse reicher wurde.

Bastien legte die Studentin neben ihrer Freundin ab und machte sich bereit zum Kampf, wobei er darauf achtete, möglichst viel Abstand zu den Frauen zu halten.

Die Blutsauger griffen nach ihren Waffen: Jagdmesser mit gezackten Klingen und Bowiemesser, die so lang waren wie Bastiens Unterarm.

Bastien zog seine Katanas und trat ihnen sorglos entgegen. Er war vor zwei Jahrhunderten geboren worden und hatte auf Wunsch seines Vaters, eines englischen Adligen, mit einem Meister des Schwertkampfs trainiert. Und selbst wenn das nicht ausgereicht hätte – die Tatsache, dass er beinahe zwei Jahre mit Seth und David trainiert hatte, den beiden ältesten und mächtigsten Unsterblichen auf der Erde, tat ihr Übriges.

Der blonde Blutsauger fluchte, ein ängstlicher Ausdruck trat in seine leuchtenden blauen Augen. »Das ist ein Unsterblicher Wächter!«

Einen Moment lang dachte Bastien, dass der andere die Beine in die Hand nehmen und abhauen würde. Aber dann stürzte sich sein Kumpan mit einem Wutschrei in den Kampf.

Klingen trafen aufeinander. Schnitte fuhren in Fleisch. Blut spritzte.

Jedenfalls das der Vampire.

Bastien trug nur oberflächliche Verletzungen davon. Er entwaffnete den Blondschopf, steckte sein Schwert zurück in die Scheide und packte den Vampir am Hals. Während er sich mit der freien Hand den Brünetten vom Leib hielt, spürte er, wie dank seiner Gabe die Gefühle des Blonden auf ihn einströmten. Bosheit. Chaos. Wahnsinn. Für ihn kam jede Hilfe zu spät. Das Virus, das sowohl Vampire als auch Unsterbliche infizierte, trieb schon zu lange sein Unwesen im Körper dieses Mannes.

Er schubste den Dunkelhaarigen nach hinten, schlitzte ihm die Brust auf und enthauptete dann mit einer schnellen Bewegung den Blondschopf.

Sein Kumpan hielt inne und starrte seinen toten Kameraden an.

Seine übermenschliche Schnelligkeit ausnutzend, entwaffnete Bastien den zweiten Vampir und packte ihn ebenfalls an der Kehle.

In der Ferne tauchte Richart auf. Er stand vielleicht vierzig Meter entfernt und drehte sich einmal um die eigene Achse. Sobald er Bastien sah, beamte er sich an seine Seite. »Was ist mit den Studentinnen?«, fragte er.

Mit dem Kinn deutete Bastien in ihre Richtung. »Sie leben noch, aber sie wurden gebissen und sind desorientiert.«

Richart warf einen Blick auf den Vampir, den Bastien immer noch festhielt. »Und was ist mit dem da?« Auf Richarts Klamotten, die der Standardkluft der Unsterblichen entsprachen (schwarze Hose, schwarzes Shirt und langer schwarzer Mantel), glänzten feuchte Flecken, die bei jeder anderen Farbe mühelos als Blutflecken zu identifizieren gewesen wären. »Hast du vor, ihn als Souvenir zu behalten, oder was?«

Bastien machte ein böses Gesicht. »Ich wollte nur wissen, ob er noch zu retten ist.«

Wenn der Vampir erst vor Kurzem verwandelt worden wäre, hätte man ihn vielleicht noch retten können – zumindest, wenn das Virus noch nicht angefangen hatte, sein Gehirn zu zerfressen, sodass er unweigerlich den Verstand verlor.

»Und?«

Voller Abscheu beäugte Bastien den Vampir. »Hoffnungslos.«

»Worauf …?« Richart beendete den Satz nicht.

Bastiens hochempfindliches Gehör fing gedämpfte Geräusche auf. Stiefelschritte im Gras und auf dem Gehweg. Der Anzahl der Schritte nach zu urteilen, war es eine ganze Gruppe von Männern. Das leise Rasseln von Kampfausrüstung erklang.

Die beiden Unsterblichen wechselten einen Blick.

Sie standen an der Gebäudeecke, die Geräusche drangen von der anderen Seite zu ihnen herüber. Aufmerksam spitzten sie die Nasen und holten tief Luft.

Kein Rasierwasser. Keine parfümierte Seife. Kein Deodorant. Kein Geruch nach Waschmittel oder Weichspüler mit Frischeduft. Nichts von dem, was ein Unsterblicher normalerweise sofort wahrnahm, wenn sich ihm eine Gruppe von Menschen näherte.

Der einzige verdächtige Geruch, den sie auffingen, war der nach … Waffenöl.

Stirnrunzelnd sah Bastien Richart an. Wer auch immer da näher kam, verhielt sich wie ein Jäger. Aber was zum Teufel jagten die Unbekannten auf dem Campusgelände? Es sei denn …

»Bring die Frauen in Sicherheit«, befahl Bastien so leise, dass ein menschliches Gehör seine Worte nicht hätte aufschnappen können.

Richart sprintete zu den Studentinnen und warf sich eine über jede Schulter. »Ich komme so schnell wie möglich zurück«, versprach er und verschwand.

Der Vampir, den Bastien an der Kehle gepackt hielt, versuchte, sich seinem Griff zu entwinden. Aber Bastien packte nur fester zu und wartete gespannt darauf, wer oder was um die Ecke kommen würde.

Hätte er nicht über ein außerordentlich scharfes Sehvermögen verfügt, wäre ihm der winzige Spiegel entgangen. Er war kaum größer als ein Daumennagel, tauchte als Erstes auf und erlaubte demjenigen, der ihn hielt, einen Blick auf Bastien und seinen Gefangenen zu werfen.

Der Unbekannte holte zischend Luft, dann wurde der Spiegel zurückgezogen.

Etwas Rundes aus Metall, das etwa die Größe eines Tennisballs hatte, hüpfte federnd über den Gehweg auf Bastien zu. Grelles Licht, so hell wie die Sonne, hüllte ihn mit einem kurzen Aufblitzen vollständig ein, blendete ihn und ließ den Vampir vor Schmerz aufheulen.

Bastien riss den Vampir schützend vor sich, gerade noch rechtzeitig, ehe von Schalldämpfern fast erstickte Pistolenschüsse die Luft zerrissen. Der Vampir in seinen Armen zuckte und ächzte. Blutgeruch erfüllte die Luft.

Fußschritte näherten sich und bogen um die Hausecke.

Dank seiner hochentwickelten DNA, die seine Überlegenheit gegenüber den Vampiren sicherte, klärte sich Bastiens Sicht rasch. Während der Vampir noch damit beschäftigt war, sich mit der einen Hand die Augen zu reiben und die andere gegen die Brust zu pressen, studierte Bastien die Männer genauer.

Sie waren gekleidet wie Soldaten einer Spezialeinheit und entsprechend bewaffnet, mit einer bemerkenswerten Ergänzung.

Als ihn plötzlich ein Betäubungspfeil an der Schulter traf, zuckte der Vampir heftig zusammen. Sein Körper wurde schlaff und schwer.

Den Bewusstlosen wie einen Schutzschild vor sich haltend, konzentrierte sich Bastien auf den Soldaten, der die Betäubungspistole hielt. Als er den nächsten Schuss abfeuerte, schnellte Bastien wie ein Blitz durch die Luft und fing den Pfeil auf. Er schleuderte ihn zurück auf den Soldaten und traf ihn an der Kehle. Der Mann ging zu Boden, ohne einen Laut von sich zu geben.

Ein weiterer Soldat schoss ebenfalls einen Betäubungspfeil auf ihn ab. Dem ersten Pfeil entging er, indem er sich duckte, den zweiten fing er auf und warf ihn zurück.

Alle außer einem der verbliebenen Soldaten eröffneten das Feuer aus ihren mit Schalldämpfern ausgestatteten Sturmgewehren. Kugeln durchsiebten den Vampir und bohrten sich in Bastiens Fleisch. Brennender Schmerz schoss durch seinen Magen und Oberkörper. Als einer seiner Lungenflügel kollabierte, schnappte er nach Luft.

Verdammt!

Bastien ließ den Vampir los, hechtete vorwärts und schnappte sich das Gewehr, das einer der zu Boden gegangenen Soldaten hatte fallen lassen. Durch seine Schüsse gingen mehrere Soldaten zu Boden, da die Kugeln ihre kugelsicheren Westen durchdrangen oder ungeschützte Körperstellen trafen.

Obwohl sich Bastien alle Mühe gab, den Betäubungspfeilen auszuweichen, spürte er, wie ihn etwas in den Hals stach. Die Knie gaben unter ihm nach.

Inzwischen eher besorgt als wütend, sprintete Bastien los und umrundete das Gebäude, bis er hinter den übrigen Soldaten stand. Er packte sich den Ersten und schlug ihm die Reißzähne in den Hals, um so viel Blut wie möglich aufzunehmen – so wollte er die Droge verdünnen und außerdem dem Virus dabei helfen, seine Wunden zu heilen.

Er riss dem Soldaten die Betäubungspistole aus der Hand und schoss damit auf die restlichen Männer, als diese ihn abermals angriffen.

Die letzten Soldaten fielen … endlich. Sie starben entweder an ihren Schussverletzungen oder durch die Droge, die zu stark war, als dass ein Mensch sie überleben konnte.

Bastien ließ den Soldaten fallen, den er ausgesaugt hatte.

Das Campusgelände um ihn herum schwankte und schlingerte. Stolpernd versuchte er, auf den Beinen zu bleiben.

Ein dumpfes Poltern zerriss die Stille.

Bastien warf einen Blick auf die Betäubungspistole, die ihm aus der Hand gefallen war.

Hatte er sie absichtlich fallen lassen?

Als er bemerkte, dass ein Pfeil aus seinem Oberschenkel ragte, riss er ihn heraus und entfernte danach einen zweiten, der in seinem Arm steckte.

Ein stetiges plopp, plopp, plopp lenkte seinen Blick auf das Blut, das ihm auf die Füße tropfte. Wie viele Kugeln hatte er sich eingefangen?

Sein Blick glitt zu den Leichen, die um ihn herum auf dem Boden lagen. Das Blut. Die Waffen.

Vielleicht war es besser, wenn hier jemand sauber machte …

Er runzelte die Stirn. Würde nicht etwas Schlimmes passieren, wenn niemand diese Schweinerei beseitigte?

Er brauchte eine ganze Minute, um das Handy aus der Hosentasche zu zerren. Seine Hand schien einfach nicht mitspielen zu wollen. Zwinkernd versuchte er, etwas auf dem Display zu erkennen, das merkwürdigerweise gleichzeitig zu hell und zu verschwommen war, und überlegte, wen er in dieser Situation anrufen sollte.

Er betrachtete die Leichen, dann das Handy. Die Leichen. Das Handy.

Oh. Richtig. Das Netzwerk.

Dr. Lipton breitete ein Kurvendiagramm auf ihrem Schreibtisch aus und griff nach ihrem Handy.

Gerade als sie es zu fassen bekam, klingelte es. »Melanie Lipton.« Mehrere Sekunden vergingen, ohne dass sich jemand meldete. »Hallo?«

»Dr. Lipton?«

Als sie die tiefe, sonore Stimme hörte, die ihr wie immer durch Mark und Bein ging, machte ihr Herz einen kleinen Sprung. Sebastien Newcombe. Seine Stimme hätte sie immer und überall erkannt … auch wenn sie gerade etwas eigenartig klang. »Ja, Bastien?«

»Was machen Sie hier?«, fragte er, er klang völlig verwirrt.

Melanie runzelte die Stirn. Er hörte sich an, als wäre er betrunken. Aber Unsterbliche konnten sich nicht betrinken, da Alkohol bei ihnen keine Wirkung zeigte. »Wie meinen Sie das? Ich bin in meinem Büro beim Netzwerk.«

»Sind Sie das?«

»Ja, allerdings.«

»Oh.«

Melanie erhob sich. Irgendetwas stimmte da nicht.

Am anderen Ende der Leitung war ein polterndes Geräusch zu hören.

»Sebastien? Sind Sie noch da?« Sie eilte in den Flur hinaus.

»Ja.«

»Was ist passiert?«

»Ich glaube, ich bin gestürzt.« Einen Moment lang herrschte Schweigen. »Ja, ich bin gestürzt.«

Besorgnis machte sich in ihr breit, während sie einen der Sicherheitsbeamten zu sich winkte. Sie hielten vor den Türen der Apartments Wache, in denen die Vampire untergebracht waren. »Holen Sie sofort Mr Reordon«, flüsterte sie. »Auf der Stelle!«

Der Mann griff nach dem Walkie-Talkie, das über seiner Schulter hing, und sprach leise hinein.

Melanie eilte weiter zum Fahrstuhl am Ende des Flurs. »Sind Sie verletzt? Bastien?«

»Fühlt sich so an.«

»Wie schwer?«

»Ich weiß nicht.«

»Wo sind Sie?«

»Auf dem Boden.« Der Unsterbliche sprach mit schwerer Zunge.

»Nein, ich meine … schauen Sie sich um. Was sehen Sie?«

Es gab eine Pause. »Leichen.«

Oh verdammt! »Was noch?«

Vor dem Fahrstuhl thronte ein großer Schreibtisch. Um ihn herum standen zwei Dutzend Männer in schwarzen Kampfanzügen und mit automatischen Waffen. Zwei weitere Männer, die hinter dem Schreibtisch saßen, erhoben sich, als Melanie näher kam.

»Stimmt was nicht, Doc?«, fragte Todd.

Sie nickte. »Falls Reordon noch nicht unterwegs ist, holen Sie ihn sofort her«, sagte sie leise. Dann sprach sie laut in das Telefon: »Was sehen Sie noch?«

»Bäume«, brummte Bastien.

Bäume? Na toll. Das engte die Suche natürlich total ein. Er konnte überall in diesem gottverdammten Staat sein.

Die Leuchtziffern des Fahrstuhls, die die Stockwerke anzeigten, glimmten nacheinander auf.

»Ist jemand bei Ihnen? Einer von den anderen Unsterblichen vielleicht?«

Sie hatte gehört, dass Bastien grundsätzlich nur in Begleitung eines weiteren Unsterblichen ausgehen durfte.

»Ähem … ich weiß nicht, ob das da drüben Vampire oder Unsterbliche sind. Sie sind gerade dabei, in sich zusammenzuschrumpeln. Ich glaube, es sind Vampire. Ich habe ein paar Vampire erledigt, stimmt’s?«

Plötzlich hörte sie, wie im Hintergrund jemand etwas auf Französisch sagte.

Der Fahrstuhl kam mit einem Ping zum Stehen, und Chris Reordon trat in den Flur. Reordon war der Chef der Ostenküstenabteilung des aus menschlichen Helfern bestehenden Netzwerks, das es sich zur Aufgabe gemacht hatte, den Unsterblichen Wächtern dabei zu helfen, die Menschen vor Vampiren zu schützen.

»Was ist los?«, fragte er stirnrunzelnd.

Melanies Erleichterung hielt sich in Grenzen. Chris hatte zwar die Möglichkeit, Bastien Hilfe zu schicken, aber würde er es auch tun? Die beiden kamen nicht gerade gut miteinander aus, und das war noch milde ausgedrückt. Als Bastien vor ein paar Wochen nicht davor zurückgeschreckt war, sich gewaltsam Zutritt zum Hauptquartier zu verschaffen, hatte sich ihre gegenseitige Abneigung in ausgewachsenen Hass verwandelt. Bastien war in das Stockwerk eingedrungen, in dem sie sich gerade befand, und dabei hatte er mehrere Dutzend von Chris’ Sicherheitsleuten verletzt …

Allerdings war das alles passiert, nachdem Melanie ihn angerufen hatte, um ihn darüber zu informieren, dass einer seiner früheren Vampirgefolgsleute einen psychotischen Anfall erlitten hatte. Niemals würde sie den Ausdruck in den Augen des Unsterblichen vergessen, als er das Leben des jungen Vampirs beendet hatte.

In der Hoffnung, dass für Chris persönliche Gefühle bei der Erfüllung seiner Pflichten keine Rolle spielten, holte Melanie tief Luft. »Sebastien Newcombe ist etwas zugestoßen.«

Chris’ Blick verfinsterte sich noch mehr. »Was soll das heißen?«

Sie zeigte auf ihr Handy. »Er ist verletzt und … spricht undeutlich, als sei er betrunken. Er scheint keinen klaren Gedanken fassen zu können. Er ist gestürzt und sagt, dass er von Leichen umgeben ist. Zwei von ihnen sind entweder Vampire oder Unsterbliche.«

Fluchend machte Chris ihr ein Zeichen, ihm das Handy zu geben. »Bastien? Wo bist du?« Ein frustriertes Knurren folgte. »Wo auf dem Boden?«

Melanie biss sich auf die Unterlippe.

Plötzlich änderte sich sein Tonfall. »Hier ist Chris. Ist da Étienne oder Richart?« Er zog einen Bleistift und einen kleinen Notizblock aus der Tasche und legte den Block vor sich auf den Schreibtisch. »Was? Wie viele?« Er notierte sich etwas. »Auf welcher Seite des Unigeländes? Welches Gebäude? Okay. Zerstöre die Laternen in eurer unmittelbaren Umgebung. Ich schicke das Aufräumkommando sofort los. Bring Bastien her. Ich will mit ihm reden.«

Melanie zog die Augenbrauen zu einem dunklen Strich zusammen. Mit ihm reden? Er war verletzt und brachte keinen einzigen sinnvollen Satz zustande.

»In die Arrestzelle.«

Das ließ nichts Gutes ahnen.

Chris beendete das Telefonat und gab ihr das Handy zurück.

Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen und fragte: »Warum lassen Sie ihn in die Arrestzelle bringen?«

Chris zog sein eigenes Telefon heraus und begann Befehle hineinzubellen.

»Mr Reordon?«, hakte sie nach. »Warum kommt Bastien in die Arrestzelle?«

Verärgerung spiegelte sich in seinem Gesicht. »Weil der Boden um ihn herum mit mehr als einem Dutzend menschlicher Leichen übersät ist.«

Die Wachmänner begannen wütend durcheinanderzureden. Unter ihnen hatte Bastien sich ebenfalls keine Freunde gemacht, da er bei seinem gewaltsamen Eindringen ins Hauptquartier ein paar verletzt hatte.

»Unsterbliche sollten Menschen eigentlich beschützen und sie nicht umbringen«, brummte Chris, nachdem er aufgelegt hatte. »Die Hälfte von Ihnen folgt mir«, sagte er an die Sicherheitsleute gewandt. »Todd, kümmern Sie sich darum, dass zwei Dutzend Männer hier herunterkommen, und sie sollen sich gut bewaffnen. Ich will, dass sowohl der Fahrstuhl als auch die Treppe streng bewacht wird. Sagen Sie den Männern, dass sie auf alles vorbereitet sein sollen.«

»Ja, Sir.« Todd bedeutete mehreren Wachmännern, Chris zu folgen, dann griff er nach dem Walkie-Talkie, das über seiner Schulter hing.

Rasch ging Chris den langen Flur hinunter zur Arrestzelle. Melanie beeilte sich, mit ihm Schritt zu halten, während ihnen die Wachmänner mit einsatzbereiten Waffen und gespannten Muskeln folgten.

»Aber Sie wissen doch gar nicht genau, was passiert ist«, sprach sie weiter. Die Männer würden Bastien doch nicht wehtun? Oder ihm medizinische Hilfe verweigern? Es hatte sich angehört, als hätte Chris vor, den Unsterblichen in Ketten zu legen und zu verhören. Schon wieder. »Er ist verwundet. Was ist, wenn …«

»Unsterblichen ist es nicht gestattet, Menschen zu verletzen, es sei denn, diese stellen eine tödliche Bedrohung für sie dar.«

»Vielleicht war das ja der Fall.«

Er schnaubte. »Bastien ist unsterblich, Dr. Lipton. Menschen können ihm nichts anhaben. Jedenfalls können sie ihn nicht so schwer verletzen, dass sie dafür den Tod verdienen.«

Sie senkte die Stimme. »Das können sie sehr wohl, wenn sie im Besitz einer bestimmten Substanz sind.«

Er warf ihr einen scharfen Blick zu. »Wie wahrscheinlich ist es, dass …«

»Er klang, als hätte man ihn betäubt.«

»Ich bin nicht dieser Meinung.«

»Seine Antwort auf die Frage, wo er sich aufhält, lautete: ›Auf dem Boden‹!«

»Das ist Bastien, wie er leibt und lebt. Er ist ein Arschloch und verhält sich dementsprechend.«

Aus dem Zelleninneren drang lautes Klopfen. Die Wachen, die dort bereits ihre Positionen eingenommen hatten, zuckten zusammen und richteten ihre Pistolen auf die Zellentür.

Chris ging noch schneller, sodass Melanie joggen musste, wenn sie nicht abgehängt werden wollte.

Vor der Tür blieb Chris stehen und zückte seine Schlüsselkarte. »Neuzugang«, sagte er zu den Sicherheitsleuten, während er den Sicherheitscode eintippte. »Halten Sie sich bereit.«

Die Tür öffnete sich mit einem dumpfen Klicken, und eine weitere Tür, so dick wie die zum Tresorraum einer Bank, schwang auf.

In dem stahl- und titanverstärkten Raum erwartete sie ein Unsterblicher, den Melanie noch nie zuvor gesehen hatte. Bastien lag über seiner Schulter. Der Unbekannte war etwa ein Meter achtzig groß und besaß die typischen Merkmale eines Unsterblichen: rabenschwarzes Haar und braune Augen (die immer noch schwach gelbbraun glühten). Seine schwarzen Klamotten und der lange schwarze Mantel glänzten an einigen Stellen, und sie nahm an, dass es sich um Blutflecken handelte.

Das musste Richart sein. Soweit Melanie wusste, war Richart der einzige Unsterbliche, der sich zurzeit in den Vereinigten Staaten aufhielt und die Gabe der Teleportation besaß.

Abgesehen von Seth natürlich.

»Sie haben ihn betäubt«, erklärte Richart, sobald er sie sah, sein französischer Akzent ließ die Worte weich klingen.

Melanie warf Chris einen Ich-hab’s-Ihnen-ja-gesagt-Blick zu.

Mit zusammengepressten Lippen deutete Chris auf Bastien. »Leg ihn auf die Pritsche und kette ihn an.«

Die Zelle blieb normalerweise den Vampiren vorbehalten. Dicke Stahlwände, die mit meterdickem Beton verstärkt worden waren, sorgten dafür, dass niemand herauskam. Titanketten so dick wie ihre Oberarme waren an der Wand befestigt, und darunter befand sich eine einzelne Pritsche. Neben der Tür und außerhalb der Reichweite der Kette stand ein Schreibtisch.

Als der Unsterbliche zögerte, ergriff Melanie das Wort.

»Sollten wir ihn nicht besser auf die Krankenstation bringen?«

»Nicht, wenn er Menschen getötet hat«, widersprach Chris. »Laut Protokoll …«

»Scheiß auf das Protokoll«, fiel ihm Richart ins Wort. »Das waren keine Zivilisten. Die sahen aus, als gehörten sie zu einer militärischen Spezialeinheit. Sie waren schwer bewaffnet und hatten mehrere Betäubungspistolen dabei, mit der einzigen Substanz, die uns Unsterblichen gefährlich werden kann. Wir stecken in ernsthaften Schwierigkeiten.« Er warf Melanie einen Blick zu. »Wo ist die Krankenstation?«

»Hier entlang«, sagte sie. Ohne Chris anzusehen, drehte sie sich auf dem Absatz herum und führte Richart den Gang hinunter zu der beeindruckend großen Krankenstation.

Da sich Unsterbliche normalerweise geräuschlos bewegten, verriet ihr das laute Geräusch von Stiefelschritten in ihrem Rücken, dass Chris und die Wachmänner ihr ebenfalls folgten.

Der Unsterbliche legte Bastien in eins der leeren Betten. »Richart d’Alençon«, stellte er sich mit einem Nicken vor.

Sie lächelte. »Melanie Lipton.« Dann zog sie sich ein Paar Vinylhandschuhe über und begann Bastiens blutbeflecktes Shirt aufzuknöpfen. »Wissen Sie, wie viele Pfeile er abbekommen hat?«

Richart griff in seine Hosentasche. »Zwei habe ich auf dem Boden neben ihm gefunden.« Nachdem er sie ihr gezeigt hatte, legte er die Geschosse beiseite und half ihr, Bastien von seinen blutverschmierten Klamotten zu befreien.

»Zwei Pfeile dürften bei ihm keine Bewusstlosigkeit auslösen. Bei Ihnen waren doch auch mehr als zwei Pfeile nötig, wenn ich mich recht erinnere?«, erkundigte sie sich mit einem Stirnrunzeln.

Nickend ließ er Bastiens langen Mantel auf den Boden gleiten. »Ich glaube, ich bin von vier Pfeilen getroffen worden, bevor ich ohnmächtig wurde. Bei Bastien liegt es entweder am Blutverlust, oder er hat bereits Pfeile entfernt, ehe ich zur Stelle war.«

Am Fuß des Bettes stand Chris, die Augenbrauen zu einem dunklen Strich zusammengezogen und die Arme vor dem Oberkörper verschränkt. »Warum hat er keinen der Männer am Leben gelassen, damit wir sie befragen können?«

»Das weiß ich nicht. Ich war nicht dort.«

»Ich dachte, du hättest den Auftrag gehabt, ihn im Auge zu behalten.«

Richarts Augen leuchteten bernsteinfarben auf, seine Kiefermuskeln zuckten. »Da waren vier Vampire. Zwei blieben auf dem Campusgelände der University of North Carolina, und zwei machten sich davon in Richtung Duke. Bastien hat sich um Letztere gekümmert. Ich bin auf dem Unigelände geblieben. Hätte ich die beiden ungestört in Chapel Hill auf der Suche nach Opfern herumstromern lassen sollen, um Bastien dabei zuzuschauen, wie er die beiden Vampire zur Strecke bringt?«

Chris runzelte zwar immer noch die Stirn, sagte aber nichts.

»Als ich Bastien endlich eingeholt hatte, erschienen auch schon die Soldaten auf der Bildfläche. Ich musste zuerst die beiden Frauen in Sicherheit bringen, die die Vampire entführt hatten. Ich wollte nicht riskieren, dass sie im Verlauf des Kampfs getötet werden.«

»Das gefällt mir nicht. Das waren Sterbliche. Bastien hätte es schaffen müssen, sie zu entwaffnen – ohne sie gleich zu töten.«

Das Glühen in Richarts Augen wurde schwächer. »Zu Bastiens Verteidigung muss ich sagen, dass man im Kampf häufig nur die Wahl hat zwischen töten oder getötet werden. Wenn man bedenkt, dass diese Männer mit Betäubungspistolen bewaffnet waren und ihn gleichzeitig mit Kugeln durchsiebten, blieb ihm vielleicht gar nicht die Möglichkeit, einen von ihnen am Leben zu lassen.«

Im Stillen klatschte Melanie dem Unsterblichen Beifall.

Während der Franzose Bastien das Hemd auszog, holte Melanie mehrere Blutbeutel aus dem Nebenraum und stellte einen Infusionsständer neben dem Bett auf.

Die glatte, muskulöse Brust des Unsterblichen und sein Waschbrettbauch waren mit Einschusslöchern übersät, in manchen steckte sogar noch eine Kugel.

Melanie warf Richart einen Seitenblick zu, während sie mit einer Nadel Bastiens Vene suchte und dann eine Kanüle befestigte. »Ich weiß, dass ein Heiler nichts gegen das Betäubungsmittel ausrichten kann, das durch seinen Blutkreislauf zirkuliert – aber wäre es nicht besser, trotzdem einen Unsterblichen mit Heilkräften zu holen, der sich um seine Verletzungen kümmert? Es sind so viele.« Sie würde die Kugeln selbst entfernen müssen, falls nicht.

»David ist in Ägypten«, erwiderte er.

David war der zweitälteste der Unsterblichen und ein sehr mächtiger Heiler … unter anderem.

»Und Seth hält sich irgendwo in Asien auf, wollte aber morgen in Davids Haus vorbeischauen. Der einzige andere Heiler, der in der Nähe lebt, ist Roland Warbrook. Und der würde Bastien lieber dabei zuschauen, wie er langsam und qualvoll stirbt, als ihm zu helfen.«

Na ja, Melanie musste sich eingestehen, dass sie Rolands Abneigung durchaus nachvollziehen konnte. Immerhin hatte Bastien beinahe Rolands Frau umgebracht und mehrfach versucht, Roland selbst zu töten. Und das, nachdem er eine Vampirarmee aufgestellt hatte, die die Unsterblichen Wächter zur Strecke bringen sollte.

Bastien hatte wirklich eine schwierige Vergangenheit, und sie hegte den Verdacht, dass sie gerade mal die Hälfte von ihr kannte.

»Ist das nicht eigentlich Dr. Whetsmans Aufgabe?«, wollte Chris wissen.

Ja, allerdings … »Dr. Whetsman vermeidet den persönlichen Kontakt mit Vampiren.«

Richart runzelte die Stirn. »Bastien ist kein Vampir.«

»Das spielt keine Rolle. Dr. Whetsman macht da keinen Unterschied, weil Bastien so lange unter Vampiren gelebt und ihren Feldzug gegen die Unsterblichen Wächter angeführt hat.«

»Wie lange geht das schon so?«, fragte Chris. Auch wenn er Bastien nicht mochte, war er nicht damit einverstanden, dass einer seiner Angestellten seinen Pflichten nicht nachkam.

»Seit der Sache mit Vince.«

Vincent war einer von Bastiens Gefolgsleuten gewesen, als dieser vor ein paar Jahren eine Vampirarmee um sich geschart hatte. Obwohl er, Cliff und Joe (zwei weitere Vampire) in der Hoffnung kapituliert hatten, dass das Netzwerk ihnen helfen konnte, hatten Melanie und ihre Kollegen keine Möglichkeit gefunden zu verhindern, dass das Virus ihre Gehirne zerstörte. Mit der Zeit war es Vincent immer schlechter gegangen, und während eines seiner jähzornigen Ausbrüche hatte er Dr. Whetsman und ein paar andere verletzt, bevor Chris’ Männer ihn stoppen konnten.

»Er meidet jeden Kontakt zu ihnen?«, hakte Chris nach.

»Ja, nur Linda und ich haben persönlich mit ihnen zu tun.«

Als Chris den Mund öffnete, um etwas zu erwidern, hob Melanie die Hand. »Wir haben einen besseren Draht zu ihnen.«

»Weil sie Frauen sind«, warf Richart scharfsinnigerweise ein.

Sie nickte. »Bei uns sind sie vorsichtiger, fast beschützend. Auf Männer reagieren die Vampire gereizter.«

»Ich reagiere ebenfalls gereizt auf Dr. Whetsman, und ich bin ein Mensch«, brummte Chris. »Wenn er nicht so verdammt brillant wäre, hätte ich ihn längst rausgeschmissen. Warten Sie noch einen Augenblick«, fügte er hinzu, als Melanie ihren Rollwagen mit Instrumenten neben das Bett schob und Vorbereitungen traf, um die Kugeln zu entfernen. »Geben Sie mir eine Minute Zeit, Roland anzurufen. Ich möchte nicht, dass Seth mir hinterher die Hölle heiß macht, weil ich es nicht versucht habe.«

Melanie sah Richart an, der mit den Achseln zuckte. Seine Miene zeigte, dass er das für ein aussichtsloses Unterfangen hielt.

Während Chris Rolands Nummer wählte, ersetzte Melanie den leeren Blutbeutel durch einen neuen.

»Roland. Hier ist Chris Reordon. Wir haben hier einen Verletzten, der deine Heilerfähigkeiten gebrauchen könnte … ein Unsterblicher … ich weiß, dass das Blut seine Verletzungen heilen wird, aber er ist außerdem mit dieser Droge betäubt worden, und das wird den Heilungsprozess deutlich verlangsamen. Das Virus ist zu sehr mit der Wirkung der Droge beschäftigt, sodass er nicht …« Er warf Richart einen Blick zu. »Bastien.« Das Gesicht zu einer schmerzverzerrten Grimasse verziehend, hielt er das Handy von seinem Ohr weg.

Melanie schnappte nur hier und da eine von Rolands Antworten auf, und was sie hörte, klang nach unflätigen Beschimpfungen.

Richart schürzte die Lippen und zog die Augenbrauen hoch. Sein übernatürlich scharfes Gehör ließ ihn zweifellos jedes Wort hören, das der zurückgezogen lebende, asoziale Unsterbliche knurrte.

Chris beendete das Telefonat.

Melanie hob eine Augenbraue. »Ich vermute, das war ein Nein.«

»Da vermuten Sie richtig«, erwiderte Chris und deutete auf den bewusstlosen Unsterblichen. »Hauen Sie rein.«

Angesichts seiner Wortwahl schnitt Melanie eine Grimasse, griff dann aber nach einer Pinzette.

Plötzlich erfüllte eine schrille Version von Skillets »Monster« das Zimmer.

Richart griff in seine Hosentasche und zog sein Handy heraus. Nach einem kurzen Blick auf das Display nahm er den Anruf entgegen. »Oui?«

Melanie verstand nichts von dem, was danach gesprochen wurde. Ihre Französischkenntnisse beschränkten sich auf wenige Wörter: Ja, nein und Käse, und sie war nicht mal sicher, warum sie Letzteres überhaupt kannte.

Nachdem Richart das Telefonat beendet hatte, schob er das Handy zurück in seine Hosentasche. »Bevor ich Bastien hergebracht habe, habe ich Lisette zum Tatort teleportiert, um neugierige Sterbliche abzuschrecken. Sie sagt, dass das Aufräumkommando gerade angekommen ist.«

»Sehr gut.«

»Ich habe sie gebeten, dortzubleiben, bis sie fertig sind. Außerdem soll sie mir Bescheid sagen, falls Soldaten aufkreuzen, um zu sehen, was aus ihren Kameraden geworden ist.«

Während die Männer darüber diskutierten, wie wahrscheinlich es war, dass sich weitere Soldaten auf dem Campusgelände blicken ließen, suchte Melanie sorgfältig nach Kugeln und entfernte die erste aus Bastiens Brust.

2

»Hör endlich auf, dir Vorwürfe zu machen«, sagte eine männliche Stimme.

Sie kam Bastien bekannt vor, aber er konnte sie nicht wirklich einordnen, weil sie so leise sprach.

»Ich kann nicht anders«, antwortete eine Frau. »Ich enttäusche … wirklich jeden.«

Diese Stimme hätte er immer und überall erkannt. Dr. Melanie Liptons warme Stimme hüllte ihn ein wie eine tröstliche Decke und bewirkte gleichzeitig, dass sein hämmernder Kopfschmerz nachließ. Außerdem motivierte sie ihn dazu, die Augen zu öffnen.

Helles Licht blendete ihn so heftig, dass er sie schnell wieder schloss.

Was zur Hölle?

»Du hast niemanden enttäuscht«, beharrte die männliche Stimme. »Weißt du denn nicht, wie sehr du mir und Joe geholfen hast?«

Die Antwort war ein traurig klingendes Lachen. »Na klar, ich war euch beiden eine große Hilfe.«

Die Niedergeschlagenheit, die in ihrer Stimme mitschwang, gefiel Bastien gar nicht. Melanie war die stärkste und mutigste Frau des ganzen Netzwerks. Die einzige Sterbliche, die den Mumm hatte, täglich mit Vampiren zusammenzuarbeiten.

»Doch, das bist du«, beharrte die männliche Stimme. Cliff. Einer der jungen Vampire, die sich Bastien angeschlossen hatten, als er einen Feldzug gegen Roland und die anderen Unsterblichen Wächter geführt hatte. »Seit du mir diese Droge injizierst, hatte ich keinen einzigen Anfall mehr.«

»Aber du hast gesagt, dass dir davon schummrig wird.«

»Hey, schummrig ist besser als blutdürstig. Ich tue niemandem weh. Darauf hatte ich gehofft, als ich hierherkam.«

»Ich habe diesen Wirkstoff nicht einmal selbst entwickelt«, wandte Melanie verzweifelt ein. »Ich habe nur die Substanz verdünnt, die unsere Feinde hergestellt haben.«

»Trotzdem bist du die Einzige hier, die auf diese Idee gekommen ist.«

»Ich bin mir sicher, dass sonst jemand anders darauf gekommen wäre.«

Cliff schnaubte. »Ich nicht.«

»Joe gefällt es nicht, damit behandelt zu werden. Bevor wir Bastien hergebracht haben, habe ich ihm genug davon injiziert, damit er schläft.«

»Hab davon gehört.«

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