In den Farben des Dunkels - Chris Whitaker - E-Book

In den Farben des Dunkels E-Book

Chris Whitaker

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Beschreibung

"Exzellent geschrieben, zutiefst ergreifend, absolut erschütternd. Ich war von der ersten Seite an gefesselt." Bonnie Garmus Der neue SPIEGEL-Bestseller des Autors von »Von hier bis zum Anfang« ist ein Meisterwerk: zugleich aufwühlender Kriminalfall und dramatische Liebesgeschichte. »Er hatte nicht gewusst, dass Dunkelheit so schön sein konnte.« Es ist gleißend heller Hochsommer, als der dreizehnjährige Patch entführt wird. Für seine beste Freundin Saint bricht an diesem Tag die Welt zusammen. Sie isst, schläft und atmet nur noch, um ihn zu finden und nach Hause zu holen. Patch verbringt unendliche Stunden allein in einem stockdunklen Raum. Bis er eine Hand in seiner fühlt. Das Mädchen sagt, es heiße Grace, und es holt Patch aus dem Dunkel, indem es die Welt mit seinen Worten malt.  Patch wird schließlich befreit, doch nicht erlöst. Denn niemand glaubt ihm, dass es Grace wirklich gab. Er will sie um jeden Preis finden und das Verbrechen sühnen, das ihn nicht loslässt. Auch Saint sucht den Täter und die Wahrheit, aber mit ganz anderen Mitteln als Patch. Selbst wenn das bedeutet, dass sie ihn für immer verlieren könnte. Die Geschichte von Saint und Patch ist eine grandiose Odyssee, die den großen Bogen über mehrere Jahrzehnte und quer durch die Vereinigten Staaten spannt. Ein unvergesslich intensiver Roman über die Unausweichlichkeit des Schicksals und die Bedingungslosigkeit der Liebe. Chris Whitaker erzählt mit großer Wucht und unendlicher Einfühlsamkeit von zwei unvergesslichen Helden auf einer Reise um Leben und Tod. »»In den Farben des Dunkels« ist eines dieser Bücher, bei dem man sich vornimmt, nur noch ein Kapitel zu beenden und beim nächsten Blick auf die Uhr feststellt, dass es bereits nach Mitternacht ist.«  Frankfurter Allgemeine Zeitung »In den Farben des Dunkels"  ist ein bravouröses Kunstwerk«. Jodi Picoult »Ein wunderbares Buch.« Richard Osman 

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Für Ten

Übersetzung aus dem Englischen von Conny Lösch

© Chris Whitaker 2024

Titel der englischen Originalausgabe: »All the Colours of the Dark«, Orion Fiction, an imprint of The Orion Publishing Group Ltd., London 2024

© Piper Verlag GmbH, München 2024

Redaktion: Lars Zwickies

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: zero-media.net, München nach dem Entwurf von Orion Books Image's

Covermotiv: Getty Images und Shutterstock.com

Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Der Pirat und die Bienenzüchterin

1975

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Die Liebenden, die Träumer

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Der erste Tag

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Der Maler

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Gebrochene Herzen

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Räuber und Gendarm

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Die Jagd

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Schicksal

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Der Durchbruch

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Der Gefangene

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Mythen & Legenden

2001

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Danksagung

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Der Pirat und die Bienenzüchterin

1975

1

Patch stand auf dem Flachdach über der Küche und blickte zwischen dicht gewachsenen Sumpfeichen und Kiefern hindurch auf die St. Francois Mountains, in deren Schatten das kleine Städtchen Monta Clare ganzjährig lag. Mit seinen dreizehn Jahren war er fest davon überzeugt, dass es hinter dem Ozark Plateau Goldadern gab. Und dass dort eine bessere Welt auf ihn wartete.

Als er später an jenem Vormittag sterbend im Wald lag, bewahrte er den Morgen in seinem Herzen, bis die Farben verliefen, denn er wusste, dass er so schön gar nicht gewesen sein konnte. Nichts in seinem Leben war je so schön.

Er stieg die Leiter hinunter, ging in sein Zimmer, setzte seinen Dreispitz auf und zog eine Weste über. Dann stopfte er die Beine seiner dunkelblauen Hose in die Socken und zupfte so lange daran herum, bis sie wie Kniehosen aussahen. Er steckte ein kleines Entermesser in seinen Gürtel, das zwar nur aus einer Metalllegierung bestand, aber von einem geschickten Schmied gefertigt worden war.

Später an diesem Tag würde die Polizei sein Leben auseinandernehmen und dabei feststellen, dass er auf Piraten stand. Weil er nur mit einem Auge zur Welt gekommen war, hatte seine Mutter die Sehnsucht nach Entermessern und Augenklappen bei ihm geweckt. Der Reiz des Fiktiven konnte eine grausame Realität oft erträglicher machen.

In seinem Zimmer würden sie die schwarze Flagge vorfinden, die ein Loch in der Gipskartonwand verdeckte, einen Wandschrank ohne Türen, einen kaputten Ventilator und einen intakten Plattenspieler. Außerdem eine antike Schatztruhe, die seine Mutter auf einem Flohmarkt in St. Louis gefunden hatte, Dublonen, ehemalige Filmrequisiten und eine nachgebaute Steinschlosspistole. Sie würden eine Packung Böller und die Juni-Ausgabe des Playboy von 1965 in Plastiktüten packen, als wären sie Beweise.

Dann würden sie die Augenklappen entdecken.

Jetzt betrachtete Patch sie lange und entschied sich für die lilafarbene mit dem silbernen Stern. Seine Mutter hatte sie genäht, manche davon kratzten, die lilafarbene aber bestand aus Satin und war schön glatt. Achtzehn waren es insgesamt, aber nur auf einer war ein Totenkopf. Er hatte beschlossen, diese vielleicht eines Tages zu seiner Hochzeit zu tragen, sollte er je den Mut aufbringen, Misty Meyer anzusprechen.

Er nahm den Hut ab. In den Sommermonaten waren seine Haare fast weiß, im Winter eher sandfarben. Er kämmte sie, doch auf dem Scheitel blieb trotzdem ein Büschel wie eine Antenne stehen.

Seine Mutter saß in der Küche, leichenblass von der Nachtschicht.

»Empfängst du außerirdische Signale damit?«, fragte sie und strich seine Haare glatt. »Gib mir mal das Backfett.«

Er duckte sich weg, und sie lachte. Patch liebte das Lachen seiner Mutter.

Am vergangenen Wochenende war sie wegen eines neuen Jobs mit ihm nach Davenport gefahren. Ivy Macauley jagte verpassten Chancen nach, als wäre es eine Sünde, sich mit etwas abzufinden. Patch hatte den Fairlane gerade voll genug für die Strecke getankt. Seine Mutter hatte die Fahrerkabine mit Vorfreude erfüllt, die Haare hochgesteckt wie Jane Fonda hatte sie seine Hand fest gedrückt und gesagt: Dieses Mal wird es was. Während ihrer Bewerbungsgespräche wartete er oft stundenlang in fremden Städten.

Jetzt hatte sie Eier zum Frühstück gebraten, und er fragte sich, wie schwer es wohl sein mochte, Mutter oder Vater zu sein, und ob nicht alle armen Eltern irgendwann bereuten, Kinder bekommen zu haben.

»Heute wird der schönste Tag meines Lebens«, sagte er.

Das sagte er häufig.

Weil er nicht wusste, was ihm bevorstand.

2

Er hörte den Postboten und lief schnell zur Tür, falls es wieder ein Brief von der Schule war, aber Ivy nahm ihm den Umschlag ab, schloss die Augen und küsste ihn. »Da ist eine Briefmarke aus St. Louis drauf.«

Einen Monat zuvor hatte sie sich dort im Botanischen Garten vorgestellt, während Patch im Schatten des Tower Grove House Bilderbuchfamilien zulächelte.

Er hielt so lange die Luft an, bis sie schließlich die Schultern hängen ließ.

Sie wohnten in Monta Clare in einem Haus zur Miete, einem vorübergehenden Zuhause, das langsam Wurzeln schlug. Sie schlangen sich um die Knöchel seiner Mutter, ganz egal wie entschlossen sie sich zur Emanzipation bekannte und laut Dylan spielte, um nur ja nicht zu vergessen, dass die Zeiten sich änderten.

»Aus Rückschlägen lernt man«, sagte er, zerknüllte den Brief und blickte in den leeren Kühlschrank. »Black Bart Roberts kaperte fast fünfhundert Schiffe, aber eigentlich fing es damit an, dass er selbst überfallen wurde. Er war ein so ausgezeichneter Seefahrer, dass die, die ihn gefangen hielten, sein Potenzial erkannten und ihn am Leben ließen. Wenig später wählten sie ihn zu ihrem Kapitän.«

Manchmal sah Ivy ihn an, als wäre er die Summe ihrer Verfehlungen. Jeden Abend hob er rostige Gewichte, bis seine dürren Arme brannten und seine Kindheit restlos zerschunden war.

Als sie ihm die Weste abnahm, seine Hose zurechtzog und sich über die Handfläche leckte, um seine Haare zu glätten, fiel ihr der blaue Fleck an seiner Wange auf.

»Prügeleien, Joseph. Vergiss nicht, dass du alles bist, was ich habe.« Sie wollte seine Augenklappe richten, aber er packte ihr Handgelenk, hielt es fest, und sie wurde milder.

»Dann bist du aber ganz schön beschissen dran.« Er versah seinen Spruch mit einem Lächeln.

Manchmal zog er das Fotoalbum unter ihrem Bett hervor und dachte über das Auf und Ab ihres Lebens nach.

»Du musst etwas frühstücken«, ermahnte sie ihn, als er den Teller wegschob, den sie ihm hinhielt.

»Wir bekommen was in der Schule.« Er log viel zu mühelos.

»Bist du aufgeregt, mein kleiner Pirat? Ab jetzt machst du mir keinen Ärger mehr. Es wird nichts geklaut. Und keine Prügeleien mehr. Neue Schule, neuer Anfang, okay?«

»Zeig mir einen Piraten, der keinen Ärger macht.«

»Joseph, ich mein’s ernst. Ich kann’s nicht gebrauchen, dass die von der Schule hier anrücken. Die Frau, die neulich hier war, hat mich angesehen, als könnte ich nicht für dich sorgen.« Ivy nahm sein Gesicht in ihre Hände. »Versprich es mir.«

Er hätte ihr erklären können, dass er kein einziges Mal angefangen hatte. »Ich mache keinen Ärger mehr.«

»Gehst du mit Saint zusammen?«

Er nickte.

Später würde Ivy alles für die Beamten der Polizei und noch einmal für Chief Nix wiederholen. Sie würde erklären, sie habe niemanden gesehen, der sich in der Gegend herumtrieb. Auch keinen dunklen Van. Nichts Auffälliges oder Außergewöhnliches in der langsam erwachenden Rosewood Avenue.

Und als später alles noch viel schlimmer wurde, fragte sie sich, wie viel sie vom Leben ihres Sohnes verpasst hatte.

3

Mr Roberts von gegenüber schob seinen neuen Rasenmäher. Sein Haus wurde jedes Jahr im Frühjahr frisch gestrichen, weiße Schindeln, marineblauer Giebel. An diesem Abend würden die Roberts nicht Hawaii Fünf-Null schauen, sondern auf der Veranda sitzen und zusehen, wie die Polizei das Haus der Macauleys auseinandernahm. Mrs Roberts würde sich und ihrem Mann je zwei Fingerbreit Bourbon zur Beruhigung einschenken, und Mr Roberts würde erklären, es sei sowieso nur eine Frage der Zeit gewesen, bis es ein schlimmes Ende mit dem Jungen nahm.

Gepflegter Rasen, polierte Limousinen, schlaff herunterhängende Flaggen. Das Haus der Macauleys war groß und früher vielleicht sogar recht beeindruckend gewesen, aber inzwischen wurde es seit über einer Generation vernachlässigt. Es war das einzige Mietshaus in der ganzen Straße. Patch zupfte immer Unkraut im Garten, fegte Laub aus dem Abfluss und nagelte nach jedem Sturm die Schindeln fest, als wüsste er nicht, dass er damit nur anderer Leute Zukunft sicherte. Er pfiff bei der Arbeit, nickte vorübergehenden Nachbarn zu. Und lächelte. Immer.

Am nächsten Morgen würden die Polizisten diese Straße entlanggehen, an Türen klopfen und Fragen stellen, um sich ein Bild vom Ablauf der Ereignisse zu machen, die ihre Stadt noch viele Jahre lang belasten sollten.

Ü-Wagen würden sich vor der kleinen Polizeiwache platzieren und den Druck auf Chief Nix erhöhen, der sich vor die Blitzlichter der Kameras stellen und eine schlecht vorbereitete Stellungnahme stammeln würde. An diesem Tag würde Patchs Geschichte Lynette Fromme und ihren Anschlag auf Gerald Ford von der Titelseite der St. Louis Post-Dispatch verdrängen.

Er fand einen langen Stock und zerteilte die Luft damit, dann verwandelte er ihn in ein Gewehr und feuerte Warnschüsse auf die herannahende Armada ab.

»Bemann die Kanone, alte Seehexe!«, rief er der vorbeischlendernden Witwe Anderson zu, die seiner Aufforderung nicht folgte.

Am Fuß der Main Street hielt er Ausschau nach Saint. Für gewöhnlich trug sie eine blaue Latzhose mit zerrissenen Knien, dazu einen Zopf, weil sie behauptete, dann würden ihr die Haare nicht in die Augen fallen, wenn sie auf Morrisons Apfelbaum kletterte, um ihm die dicksten und reifsten Früchte herunterzuwerfen.

Er gab ihr fünf Minuten, dann kickte er eine Dose über die Main Street und ging weiter. Mit seiner schönsten Sportmoderatorenstimme kommentierte er: »Patch Macauley, der erste Einäugige, der einen Seventy Yarder schießt.«

Vor Lacey’s Diner parkte ein kirschroter Thunderbird. Chuck Bradley und seine großen Brüder lehnten daran.

»Blöde Wikinger«, murmelte Patch und wollte kehrtmachen, doch Chuck hatte ihn schon entdeckt und stupste die anderen beiden an.

Die Polizei würde zwei Tage brauchen, um Chuck und seine Brüder zu finden, aber nur eine halbe Stunde, um ihre Alibis zu überprüfen.

Patch bog hinter den Geschäften in eine schmale Gasse ab.

Dann hörte er Schritte hinter sich, drehte sich um und verzog sich schnell in eine Ecke, als er die drei auf sich zukommen sah.

»Du kannst nicht abhauen«, erklärte Chuck, der recht gut aussah, größer und älter als die anderen war. Seine Brüder wirkten wie kerngesunde Kopien von ihm. Chuck war der Freund von Misty Meyer, der jungen Schönheit, in die Patch seit dem Kindergarten verliebt war.

Sie kamen näher. Patch wich weiter zurück, bis er die kühle Steinmauer der Sackgasse im Rücken spürte – und sein Entermesser.

Er zog es aus dem Gürtel, hielt es ganz fest.

»Das benutzt du doch sowieso nicht«, behauptete Chuck, wobei Patch leise Zweifel in seiner Stimme hörte.

Patchs Knie zitterten. Er starrte auf die Klinge. »Im November 1718 gelang es Robert Maynard endlich, den legendären Edward Teach zu fassen, den ihr wahrscheinlich eher als Blackbeard kennt.«

Chuck sah seine Brüder an. Einer lachte.

»Maynard stach zwanzigmal mit einer Klinge wie dieser hier auf ihn ein. Dann packte er seine Haare und schnitt ihm den Kopf ab.«

»Du bist kein Pirat, du bist ein einäugiger Freak!«

»Maynard spießte Blackbeards Kopf am Bugspriet seines Schiffes auf, damit er anderen als Warnung diene, sich ja nicht mit ihm anzulegen.«

Patch hob sein Entermesser.

Dann ging er mit klopfendem Herzen auf sie zu. Sie wichen zurück, und er rannte los.

Sie riefen ihm Drohungen hinterher.

Er blieb erst wieder stehen, als sie außer Sichtweite waren.

4

Patch folgte den Wegen am Stadtrand, Kiefern ragten aus blauen Schatten hervor, und lichtes Laub wirbelte auf. Ein gutes Stück weiter oben würde er die Loess Hills und den Missouri River sehen, über der Stadt hingen Abgase, und das Ackerland war mit silbernen Silos gesprenkelt.

Ein Dodge ohne Kotflügel und Reifen stand verlassen in der Wildnis und versank allmählich im Boden. Kinder hatten die Windschutzscheibe mit Steinen zerschlagen.

Ein Flugblatt hatte sich in den Ästen eines Judasbaums verfangen. Die pinkfarbenen Blüten rahmten das lächelnde Gesicht von Jimmy Carter ein. Er hatte die Ärmel hochgekrempelt, als würde ihn kaum etwas von den Menschen unterscheiden, die er aufrief, ihn zu wählen.

Der See kam jetzt in den Blick. Ein verblichenes Schild warnte vor gefährlicher Strömung. Im Sommer sprangen Kinder von den glitschigen smaragdgrünen Felsen ins Wasser. Ein Junge namens Colson war hier schwimmen gegangen und nie wieder aufgetaucht. Gerüchten zufolge lebte er am Grund des Sees, stierte auf die Beine der Mädchen, die über ihm schwammen, und wartete nur auf den richtigen Augenblick, sich eins zu schnappen.

Patch nahm einen flachen Stein und zählte sechs Sprünge. Die Ringe auf dem Wasser zogen sich bis ans Schilf.

Er balancierte mit ausgestreckten Armen über die morschen Holzschwellen der alten Monta Clare Railroad. Die Schienen hatten sich rot verfärbt und verzogen.

Plötzlich flog ein Scherentyrann auf.

Ein ohrenbetäubender Schrei ließ Patch erstarren.

Weiter unten stand ein marineblauer Van mitten im Gestrüpp. Es war so dicht, dass Patch näher herangehen musste. Könnte ein Rad Rod oder ein Ford sein.

Dann erkannte er sie.

Misty Meyer.

Kurz dachte er, sie sei mit einem Jungen hier und er habe ihren Schrei falsch gedeutet. Sie war in seiner Matheklasse und genauso alt wie er, auch wenn sie oft für älter gehalten wurde.

Dann sah er einen Mann von hinten, der trotz der Hitze eine Kapuze trug.

Patch blickte sich verzweifelt nach jemandem um. Jemandem, der wusste, was zu tun war.

Wieder schrie Misty.

Patch fluchte leise, fasste sich an die Augenklappe und dachte an Silver-Tongue Martin und Wild Ned Lower. Die Bande der Furchtlosen.

Er ging noch näher heran.

Als er die Böschung hinunterrutschte, hörte er Misty erneut schreien.

Er bückte sich und wünschte, er hätte seine Steinschleuder dabei. Stattdessen hob er einen dicken Kiesel auf.

Der Mann war noch gut drei Meter entfernt. Als er Patch hörte, drehte er sich um.

Sein Gesicht war unter einer Skimaske verborgen. Patch konnte nur seine toten Augen sehen.

Er hielt die Luft an, warf den Stein, traf den Mann am Knie und ging in Deckung.

»Lauf!«, schrie Patch.

Misty blieb wie erstarrt stehen, Angst lähmte ihre Muskeln. Ihre Bluse war zerrissen, ihre Tasche lag im Dreck. Sie wirkte benommen, als wäre sie in einem Albtraum gefangen.

Der Mann warf sich auf ihn.

»Lauf weg«, flüsterte Patch. Er spürte eine Hand an seiner Kehle und flehte Misty mit Blicken an.

Wach auf.

Endlich reagierte sie.

Sie war groß, ein Leichtathletiktalent. Ihre Blicke trafen sich, dann drehte sie sich um, ruderte mit den Armen und rannte durch den Wald davon.

Der Mann hatte sich jetzt aufgerichtet und wollte ihr nachlaufen, doch auch Patch war wieder auf den Beinen.

Zum zweiten Mal an jenem Vormittag zog Patch sein Entermesser.

Der Mann packte ihn am Handgelenk und verdrehte ihm den Arm.

Ein Sonnenstrahl ließ die Klinge kurz aufblitzen, dann stach sie in Patchs Bauch.

Er ging zu Boden und fasste sich an die Wunde. Im Wald ringsum wurde es Nacht, aber er sah weder Mond noch Sterne.

Am nächsten Tag durchkämmte eine Armee von Helfern den Wald, auf der Suche nach einer lilafarbenen Augenklappe mit einem silbernen Stern.

Chief Nix klapperte sämtliche Vorbestraften im Umkreis von hundert Meilen ab.

Patchs Mutter brach zusammen.

Seine beste Freundin Saint lief durch die Straßen und hielt verzweifelt Ausschau, auch als es eigentlich keine Hoffnung mehr gab.

Noch wusste niemand, welche Tragödie sich entfalten und ihrer aller Leben bestimmen sollte.

5

Am selben Tag wachte Saint im Morgengrauen auf, schlich die Treppe nach unten und auf die Veranda hinter dem Haus.

Sieben Straßen weiter sah Patch denselben Sonnenaufgang.

Saint rieb sich die Augen im diesigen Nebel, der vom Gras aufstieg, als würde Feuer darunter brennen.

Seit sie hier lebten, war das ihr morgendliches Ritual.

Sie wollte gerade wieder ins Haus, als sie es hörte.

Oder nicht hörte.

Sie durchquerte barfuß den Garten und blieb einen knappen Meter vor dem Bienenstock im feuchten Gras stehen.

Saint ging in die Hocke, spähte hinein und entdeckte nur ein paar Nachzügler.

Sie sah sich um, blickte zurück zum Haus, zu den Nachbarn und in die Baumwipfel.

Riss die Augen weit auf und versuchte, zu verstehen.

Ihre Bienen waren weg.

Sie rannte die alte Treppe im Haus nach oben und platzte ins Schlafzimmer ihrer Großmutter.

»Jemand hat die Bienen gestohlen!«, rief sie atemlos.

Norma stand am Fenster und drehte sich zur ihr um. »Du hast deine Brille nicht auf, vielleicht sind sie ja da, und du …«

Saint lief wieder hinaus.

»Und putz dir die Zähne!«, rief Norma.

Sie rannte die Wendeltreppe nach oben in ihr Zimmer unter dem Dach. Dort nahm sie die Brille vom Nachttisch und betrachtete die Welt durch Gläser, die so dick und rund waren, dass ihre Augen ständig staunten.

Sie stieg in ihre Latzhose – beide Knie waren mit neuen Flicken versehen – und putzte sich die Zähne mit dem Zeigefinger, weil sie mit ihrer Bürste ein vermeintliches Fossil hatte säubern wollen, das sich bei näherer Betrachtung aber als trockene Hundescheiße entpuppt hatte.

Draußen fand sie ihre Großmutter vor dem leeren Bienenstock. Mit zusammengekniffenen Augen suchte sie den Himmel ab.

Norma räusperte sich, ihre silbergrauen Haare waren kurz geschnitten, und ihre sehnigen Unterarme ließen Muskeln aus Stahl vermuten. »Warum sollten sie …?«

»Stockkäfer vielleicht. Aber ich habe Fallen ausgelegt«, sagte Saint mit einem Anflug von Panik in der Stimme.

»Dann kann es das nicht sein.«

»Wenn man sie zu oft stört, hauen sie ab, aber ich …«

Norma seufzte. »Du sitzt jeden Tag hier bei ihnen, manchmal stundenlang.«

»Die kennen mich doch inzwischen. Vier Jahre sind es jetzt schon.«

»Vielleicht war’s ein Stinktier«, meinte Norma.

Saint richtete sich auf. »Ein stinkendes altes Stinktier. Ich hole meine Steinschleuder.«

»Ich hab was über einen Bienenzüchter drüben in Wayne County gelesen … den haben sie festgenommen, weil er Bienenvölker gestohlen hat.«

Saint blieb abrupt stehen. Entsetzt zog sie ihre kleine Nase kraus. »Jemand hat meine Bienen geklaut?«

Sie ging auf und ab. Die wachsende Besorgnis ihrer Großmutter entging ihr.

»Ich wette, Mr Lewis war’s«, sagte Saint und sprach den Namen verächtlich aus.

»Der alte Diakon? Er ist …«

»Ein geiziger alter Diabetiker …«

»Pass auf, was du sagst«, ermahnte Norma sie.

»Das letzte Mal an meinem Stand hat er dreimal probiert. Hat sich den Honig von den fetten Fingern geschleckt und dann nicht mal ein Glas gekauft. Ich hab Patch gesagt, er soll aufpassen, dass niemand unbegrenzt kostet. Ich fahr hin und …«

»Du fährst da nicht hin.«

»Dann geh ich eben zu Chief Nix. Er soll ihm Handschellen …«

»Jetzt reicht’s.«

Saint drehte sich um und rannte zum Tor hinaus.

Norma seufzte und schüttelte betrübt den Kopf.

6

Saint streifte über eine Stunde lang durch das Waldstück hinter dem Haus, das bis zu Tooms’ Farmland reichte, blieb hin und wieder stehen und hoffte bei Gott, das leise Summen ihrer Bienen zu hören. Hoffte, sie hätten sich nur an einer hohen Ulme versammelt, während die Kundschafter nach einer neuen Heimat Ausschau hielten.

Als sie wieder zur Main Street kam, hatte sich ihr Zopf gelöst, und auf ihrer Oberlippe hatten sich Schweißperlen gebildet. Sie betrat die kleine Polizeiwache und wollte gerade die Festnahme und unverzügliche Enthauptung von Mr Lewis verlangen, als sie Misty Meyer mit einem Polizisten sah.

Sie war verängstigt und außer Atem.

Ihre Knie waren aufgeschürft.

Misty sackte zusammen, als hätte man die Knochen aus ihrem Körper entfernt. Papiere flatterten durcheinander, und der Polizist fing sie auf und half ihr auf einen Stuhl.

»Hol erst mal Luft«, sagte er und kniete sich vor sie.

»Er ist da draußen«, sagte Misty und bebte am ganzen Körper, als sie auf die Straße starrte.

Saint fiel der rote Abdruck auf ihrem Arm auf. Eine Hand. Eine große Hand. Am Auge hatte sie eine leichte Schwellung; der Kragen ihrer Bluse war gerissen.

»Du bist in Sicherheit«, sagte der Polizist. »Da draußen ist niemand.«

»Sie verstehen mich nicht«, sagte sie immer noch außer Atem. »Er hat mich gerettet.«

»Wer hat dich gerettet?«

Misty nahm einen Schluck Wasser, ihre Lippen waren voll und rosa, ihr Haar dagegen sehr hell, fast schon wie Platin. Der Heiligenschein eines Mädchens, das ohnehin schon viel zu sehr auffiel.

Saint hätte sich umdrehen und gehen, die Angelegenheit mit ihren Bienen auf den nächsten Tag verschieben sollen, aber dann hörte sie es. Ihr Blut gefror, und ihre Haut kribbelte, und es war, als wüsste sie, dass von jetzt an nichts mehr so sein würde wie zuvor.

»Der Piratenjunge«, sagte Misty.

Von Instinkt geleitet, ging Saint auf sie zu. Von Instinkt und eiskalter Angst.

»Er hat ihn angegriffen. Aber der Mann war so groß«, fuhr Misty fort, jetzt unter Tränen.

Saint spürte, wie ihr Puls beschleunigte. »Joseph Macauley?«

Beide drehten sich zu ihr um, bemerkten sie erst jetzt. Saint stand da, wirkte winzig, ihre Brille saß auf ihrer von Sommersprossen übersäten Nase. Ihr Schlüsselbein stach stolz hervor, ihr dicker Zopf hing ihr wie eine Mähne auf der Schulter. Sie trug ein schlichtes goldenes Kreuz an einer schmalen Halskette. Die gleiche hatte ihre Großmutter auch Patch geschenkt.

»Wo ist er jetzt?«, fragte Saint.

Der Polizist ging in die Hocke, das helle, makellose Hemd spannte sich über seinen Muskeln.

Saint kannte sich mit Schockzuständen aus und wusste, dass sie rationale Gedanken unmöglich machten. Das hatte sie an dem Tag gelernt, als sie von der Schule nach Hause gekommen war und ihren Großvater auf dem Küchenfußboden gefunden hatte. Ihre Großmutter hatte sein Herz mit ungerührter Miene massiert, als würde sie Teig kneten.

»Misty«, sagte Saint und versuchte, zu lächeln. Ihr Großvater hatte einmal behauptet, ihr Lächeln mache einen Januarmorgen heller und wecke im eisigen Missouri-Winter Erinnerungen an den Frühling.

»Wo ist das passiert, Misty?«, versuchte es jetzt der Polizist.

Misty gab keinen Ton von sich, als er seine Jacke nahm und sie ihr umlegte, damit sie aufhörte, zu zittern.

»Wo zum Teufel ist Patch?«, fragte Saint, als sich der Polizist wieder aufrichtete.

»Auf der Lichtung. An der alten Bahnstrecke«, sagte Misty.

Saint sah den Polizisten noch nach dem Funkgerät greifen und sprintete los, die Main Street hinunter. Blicke verfolgten sie, als sie Richtung Wald rannte.

7

Ringsum wogten Bäume, als Saint die Zweige einer Weide teilte und auf Wurzeln stieß, die wie große Hände aus der Erde ragten und bei jedem Schritt zur Vorsicht mahnten.

Sie kam an bebenden Espen mit schmalen, starken Stämmen und einem alten, verrosteten Schild mit verblassten Buchstaben vorbei. Dann wurde der Wald immer dichter, es roch nach Erde und Weihnachten. Manchmal, wenn es regnete, lief sie mit Patch drei Meilen weiter, wo mehrere Bachläufe aufeinandertrafen, dort ließen sie Papierschiffe segeln.

Der Hang fiel flach ab, und die Bäume nahmen ihr das Licht. Sie war in Gedanken bei ihrem Freund, der für einen Jungen mit schwerem Handicap verdammt viel lächelte. Seine Mutter hatte ihm einst von Piraten erzählt, weil ihn seine Ähnlichkeit mit ihnen zu etwas Besonderem machte.

Ihr Atem rauschte in ihren Ohren.

Sie sprang geschickt über umgestürzte Bäume am Rand einer Lichtung, reckte den Kopf und sah sich um. Erst als sie den Fuß der Böschung erreichte, entdeckte sie die Stelle.

Das T-Shirt.

Und das Blut.

8

Die Nachricht fraß sich durch die Stadt. Der Betrieb in den Geschäften kam zum Erliegen, die Main Street erstarb, als sich alle am Waldrand sammelten. Kinder mit verschwitzten roten Gesichtern kamen angestrampelt und warfen ihre Räder ins Gras. Die Speichen drehten sich noch, als sie sich bereits in die Prozession einreihten, in der Erwartung, dass ein toter Junge die Farben ihrer aller bunten Kindheit eintrüben würde.

Saint stand abseits und sah zu, wie Chief Nix in seinem Streifenwagen an einheimischen Journalisten vorbeirollte, die durch mehrere Verkehrshütchen und Absperrband von ihm getrennt waren.

Er stieg aus, sein Hut schützte ihn vor der Sonne. Meistens trug er ein Lächeln unter seinem Schnurrbart. Jetzt betrachtete er Saint, die wiederum einen Mann beobachtete, der Spuren fotografierte, als hätten sie sich nicht bereits wie versteinerte Albträume dauerhaft in den Dreck gegraben.

Saint blickte in Nix’ freundliches Gesicht, dann wieder auf den feuchten Boden. In ihrem Magen breitete sich ein leiser Schmerz aus. Anspannung legte sich auf ihre knochigen Schultern, die ihr von nun an nachts den Schlaf rauben würde, bis sie sich selbst nicht mehr wiedererkannte. Jeder Teil des Waldes war mit zarten Erinnerungen belegt, und sie kämpfte Tränen nieder. Patch und sie hatten hier mit Stockgewehren Phantomfeinde gejagt. Sie hatte kopfüber am Ast eines Amberbaums gehangen und ihn gewarnt, es bloß nicht zu versuchen, weil sein Gleichgewichtssinn durch das fehlende Auge gestört war. Er hatte auf einem Bein balanciert, um ihr zu zeigen, dass sie sich irrte. Anschließend hatte sie ihm auf die Füße geholfen.

Nix ging an ihr vorbei und rief den anderen Cops zu: »Alle Ausfallstraßen abriegeln, das ganze verdammte County! Highway 42 bis 86, hier kommt niemand rein oder raus, ohne überprüft zu werden.«

»Die Interstate 35«, flüsterte Saint so laut, dass der Chief es hörte und auf sie zutrat.

»Bist du nicht die Enkelin von der Frau, die den Bus fährt?«

Sie nickte.

»Und du bist mit dem Jungen befreundet?«

Wieder nickte sie.

»Er war sehr mutig.«

Sie wollte herausschreien, dass er nicht widerstandsfähig genug war. Sie wollte ihnen sagen, dass er einmal eine ganze Nacht lang im Winter, als sie wegen einer schlimmen Grippe krank im Bett lag, auf dem Dach neben ihrem Zimmer gesessen hatte. Und dass Norma ihn in den frühen Morgenstunden dort mit blauem Gesicht gefunden und zum Aufwärmen ins Haus gebracht hatte. Dass er sechs Stunden lang Silberfische, Bockkäfer und sogar eine Lunamotte für sie gefangen hatte, weil sie so enttäuscht über ihr leeres Insektenhotel war. Und dass er immer nur dann etwas klaute, wenn er etwas brauchte. Niemals, wenn er etwas wollte.

Hunde sprangen aus einem weißen Taurus.

Ein schriller Schrei.

Ein Polizist legte Ivy Macauley einen Arm um die Taille und hatte Mühe, sie zurückzuhalten.

Chief Nix gab dem Polizisten ein Zeichen, der sie daraufhin erleichtert losließ. Ivy kam langsam auf sie zu und riss sich zusammen, bis sie das blutige T-Shirt in der Tüte sah. Sie war immer hübsch zurechtgemacht, sogar wenn sie abends putzen ging und Tabakflecken von Mahagonischreibtischen wischte oder Pisse vom Boden der Toilettenräume.

Jetzt klappte Ivy zusammen und stieß einen so herzzerreißenden Schrei aus, dass er sie alle in ihrem tiefsten Inneren traf. Saint hörte den Widerhall noch, als sie am Abend trotz der Wärme zitternd im Garten saß und sich anstrengte, nicht zu weinen, während sich die Nachricht wie ein Lauffeuer in der Stadt verbreitete.

Eine Frau, Pattie Rayburn, hatte den Van gesehen.

Er war rechts auf den Highway 35 abgebogen.

Und Patch war verschwunden.

9

Diese erste Nacht war wie keine andere, die Saint je erlebt hatte.

Sie saß im Schneidersitz auf der Veranda, ihre Fußsohlen waren schwarz vor Schmutz. Als ein Streifenwagen vorbeifuhr, erhob sich ihre Großmutter. Norma hielt sich weder mit Tröstungsversuchen noch dem üblichen Gerede auf. Saint kannte keine Frau, die man mehr fürchten oder sich zum Vorbild nehmen könnte.

Sie nahm weder den Grillgeruch noch die Kirchenlaternen oder das frische Grün von Monta Clare wahr, das einem lange im Gedächtnis blieb, auch wenn man den Ort längst verlassen hatte. Patch hing wie Smog über der Kleinstadt. Aus Pecaut und Lenard Creek waren weitere Polizisten zur Verstärkung gekommen, und Chief Nix hatte sie mit einem Foto losgeschickt. Darauf trug Saints Freund seine Augenklappe und grinste breit.

Um neun stieg ihre Großmutter die Treppe hinauf und ermahnte Saint, nicht mehr so lange aufzubleiben, der Junge komme wahrscheinlich bald zurück, und dann werde sie ihre Energie für ihn brauchen.

Um zehn stieg Saint auf ihr verrostetes Fahrrad mit dem Bananensattel und raste zur Main Street. Damit verstieß sie gegen die von ihrer Großmutter verhängte strikte Ausgangssperre.

Vor Lacey’s Diner standen Leute aus dem Ort. Saint lehnte ihr Fahrrad vor Aldons Beerdigungsinstitut an und lauschte den Gesprächen über Anrufe aus Jefferson City und Cedar Rapids und sogar einen aus den Amana Colonies. Später markierte sie die Orte auf der Karte über ihrem Bücherregal mit Nadeln.

Ich hab gehört, drüben in Pike Peak haben sie jemanden gefasst.

Hab ich auch gehört.

Anscheinend hat er ein Alibi, eine Doppelschicht im Roan-Arnold-Elektrizitätswerk.

Kann schon sein. Vom Mittleren Westen her kam ein schwerer Sturm, der hat einen Kühlturm zerstört.

Und so weiter.

Sie schlängelte sich zwischen Menschen hindurch und gelangte an das Fenster der Polizeiwache. Dahinter entdeckte sie eine Geschäftigkeit, die sie ein bisschen beruhigte. Telefone klingelten, Polizisten drängten sich um Landkarten und brüteten über Akten. Ganz hinten sah sie Chief Nix, der sich die Nasenwurzel rieb, als wäre ihm das alles viel zu viel.

In Missouri waren in den vergangenen acht Monaten zwei Mädchen von der Highschool und eins vom College vermisst gemeldet worden. Die Polizei war in der Monta Clare High aufgetaucht und hatte den Schülerinnen und Schülern erklärt, sie sollten wachsam bleiben und auf der Hut sein. Die Beamten hatten ihre Daumen in den Hosenbund gesteckt, ihre Finger ruhten lässig an den Pistolen. Eine Zeit lang befand sich die Stadt im Würgegriff einer zügellosen Angst, und Saint durfte nach Sonnenuntergang das Grundstück nicht mehr verlassen.

Die werden diesen Teufel fangen, hatte ihre Großmutter prophezeit, an ihrer Marlboro gezogen und in ihrem Stuhl geschaukelt.

»Fahr nach Hause, Kleine. Hast du’s nicht gehört? Da draußen treibt sich ein böser Mann herum«, riet ihr ein Polizist aus Pecaut im Vorbeigehen.

10

Um elf fuhr sie die Main Street entlang. Monta Clare lag tief in einem Tal und kroch auf einer Seite den Berghang hinauf. Die Straßen zerschnitten viele Hektar ansteigendes Grün.

Sie ließ sich eine Weile rollen, dann trat sie wieder fest in die Pedale, um für den Anstieg auf der von Virginia Bluebells, Seidenblumen und Bärenklau gesäumten Straße gewappnet zu sein. So verdammt voller Farbe war alles. Wärme waberte aus den prächtigen Häusern. Als der Weg zu steil wurde, ließ sie ihr Rad im Gebüsch liegen und ging die letzten hundert Meter zu Fuß.

Wo zum Teufel bist du, Patch?

Sie stieg eine steile Auffahrt hinauf, bis zu dem reichhaltig mit Stuck und Buntglasfenstern verzierten Haus. Türmchen erhoben sich auf dem blauen Schieferdach über einer Veranda, die aus Stein gemauert und mit Holz gedeckt war, dem man ansah, dass es einen weiten Weg zurückgelegt hatte. Saint drehte sich um und sah die funkelnde Stadt weit unten.

Sie hatte das Haus der Meyers noch nie aus der Nähe gesehen, kannte es aber. Alle in der Stadt kannten es.

Die Tür ging auf, noch bevor sie anklopfen konnte. Ein Mann füllte den Türrahmen aus. Sie sah seine müden Augen und blickte an ihm vorbei zu dem Gartenhäuschen hinten auf der anderen Seite. Er stand barfuß vor ihr.

Sie schluckte ihre Aufregung runter. »Mr Meyer.«

Er fixierte sie apathisch, als hätte das Geschehene ihm alles ausgetrieben, was er über die Stadt und ihre Bewohner für gewiss gehalten hatte.

»Bist du eine Freundin von Misty?«, fragte er, als hätte er keine Ahnung vom Leben seiner Tochter.

»Ist sie …?«

»Sie schläft. Du solltest so spät auch nicht mehr draußen sein.«

Saint bemühte sich, nicht nur das zu sehen, was die Meyers hatten, sondern auch das, was sie hätten verlieren können.

Sie blickte hinter sich und erkannte in der Ferne die Wipfel der Kiefern, unter denen Patch Macauley der Tochter dieses Mannes das Leben gerettet hatte. Saint blinzelte Tränen zurück. »Ich muss mit ihr sprechen.«

»Wenn sie ausgeschlafen hat, wird Chief Nix mit ihr sprechen. Ihre Mutter …« Er schluckte. »Geh nach Hause.«

Saint wusste, dass manche Menschen Geld für eine Auszeichnung hielten, Wut mit Stärke verwechselten.

Als er die Tür schloss, spürte sie nichts mehr außer seiner Angst.

11

In der Nacht schlief Saint nicht. Sie starrte auf die Landkarte und markierte die Strecke, die der Van genommen haben musste, mit einem gelben Filzstift. Ihre Regale quollen über vor Büchern, an den Wänden hingen keine Poster oder Fotos. Sie besaß weder Make-up noch Parfüm oder Kleidung, die über das hinausging, was sie für die Schule oder die Kirche benötigte.

Im Morgengrauen fand sie ihre Großmutter am Eichentisch, und die Augen der alten Dame verrieten ihr, dass auch sie nicht geschlafen hatte, obwohl sie später am Vormittag den Bus von Monta Clare über sechs Städte bis nach Palmer Valley würde steuern müssen.

»Die Bienen?«, fragte Saint, doch ihre Großmutter schüttelte den Kopf.

Wieder oben, machte sie einen Waschlappen nass, wusch sich das Gesicht und die Achseln, sah ihre geröteten Augen und Haarsträhnen, die sich aus ihrem Zopf verselbstständigt hatten. Ein Schneidezahn war schief, weil sie ihre Spange verloren hatte, als sie Patch einmal durch das Maislabyrinth der Farm vom alten Hinton gejagt hatte. Als sie ihn erwischt hatte, hatten sie nebeneinandergesessen, und ihre nackten Arme hatten sich berührt. Sie erinnerte sich an sein Gesicht, seine verwuschelten Haare und wie hübsch er sein konnte, wenn er sein Lächeln nur richtig einsetzte …

O Gott, bitte lass ihn heute nach Hause kommen.

Ihre Großmutter briet Eier, die niemand aß.

»Heute ist keine Schule«, sagte Norma. Tiefe Furchen fächerten sich an ihren Augenwinkeln wie feine Rinnsale auf. Spuren der heißen Tränen, die sie an dem Tag vergossen hatte, als Saints Mutter gestorben war.

»Ich wäre auch nicht hingegangen«, erwiderte Saint und blickte durch ihre Brillengläser, als würde sie einen Tadel erwarten. Sie hatte noch nie auch nur einen einzigen Tag Schule verpasst. Manche glaubten, Norma sei sehr streng zu ihr. Saint vermutete, die Wahrheit würde ihnen weniger gut gefallen: Sie lernte einfach gerne.

»Die werden ihn finden«, sagte Norma. »Ganz bestimmt.«

Nach dem Frühstück ging Saint in den Wald.

Chief Nix hatte einen Aufruf herausgegeben, sie brauchten Leute, die gemeinsam mit der Polizei das Gelände durchkämmten.

Monta Clare war zur Stelle, und fast hundert Bürger schwiegen bedrückt und lauschten Chief Nix, als dieser ihnen erklärte, wie es ablief. In einer Reihe langsam vorwärtsgehen, Klappe zu und Augen auf.

Nix sortierte alle bis auf die Fähigsten aus. Saint musste schwer schlucken, als er zu ihr kam und den Kopf schüttelte.

Hinter ihr verbargen nun etwa fünfzig Farmarbeiter und picklige Teenager nur mühsam ihre Aufregung unter versteinerten Mienen. Sie schlugen nach Stechmücken und konzentrierten sich auf ihre Aufgabe: etwas zu suchen, das ihnen half, den Jungen zu finden.

12

Saint ging die Rosewood Avenue entlang, vorbei an blühendem Weißdorn. Die Häuser waren alt und groß, und das der Macauleys war unschwer zu erkennen, weil Patch einen Totenkopf in die Roteiche geschnitzt hatte, die über ihren Garten wachte.

Saint trug ausgeblichene Nikes und nahm das Brummen der Rasenmäher kaum wahr. Mr Hawes hatte seinen halb fertig gestrichenen Zaun im Stich gelassen. Das Springseil der Atkinson-Zwillinge lag einsam im Vorgarten.

Ivy Macauley trug ein tief ausgeschnittenes, elegantes Kleid, als wollte sie der Welt zeigen, dass sie zwar anständige Leute waren, aber keine dem Anlass entsprechende Kleidung besaßen.

Saint folgte ihr ins Haus, vorbei an Holzverkleidungen, Mauerwerktapeten und sandfarbenen Vorhängen vor Wänden mit schreiend hässlichem Blumenmuster. Stilbrüche, die auf eine möblierte Mietunterkunft der billigsten Sorte hinwiesen.

Saint betrachtete Ivys Hüftschwung, den sie manchmal zu kopieren versuchte.

»Verdammt, Saint«, sagte Ivy schließlich, und das Mädchen fiel ihr in die Arme. Ivy roch entfernt nach Zigaretten, Wodka und Parfüm.

Ein Wasserhahn tropfte unablässig, wie ein Metronom, das der Anspannung den Takt vorgab.

»Nix hat gesagt, dass noch mal ein Team kommt und das Haus durchsucht, ich hab’s genau gehört«, sagte Saint.

»Wonach durchsucht? Meinst du, er hat wieder was gestohlen?«

Saint schüttelte den Kopf, obwohl sie wusste, dass Patch erst vor einer Woche goldene Manschettenknöpfe aus Dr. Tooms’ Tasche geklaut hatte, als der auf einem Hausbesuch bei den Macauleys gewesen war. Sie war mit ihm zum Pfandleiher zwei Ortschaften weiter gefahren, um sie für neun Dollar zu versetzen.

»Schau dich an, Saint. Wie alt bist du jetzt?«

Saint machte sich etwas größer. »Dreizehn.«

Ivy lächelte bitter und schön. Ihre Hand zitterte, als sie sich eine Zigarette anzündete. Saint betrachtete die Rundung ihrer Hüften, die faltige Haut an ihren spitzen Ellbogen.

Manchmal fragte sie sich, ob auch sie eines Tages zur Frau werden und ob es ganz plötzlich passieren würde. Die meisten Mädchen in ihrer Klasse hatten so prompt Brüste bekommen, als hätten sie diese vorbestellt, und nur Saint schien den richtigen Zeitpunkt verpasst zu haben. Meist beruhigte sie sich aber mit dem Gedanken, dass sie dadurch beim Rennen und Klettern nur langsamer werden und es ihr praktisch unmöglich sein würde, unter die Veranda der Fullertons zu kriechen, um dort nach Münzen zu suchen, die durch die Ritzen gefallen waren.

»Heute finden sie ihn«, sagte Ivy und hielt den Zigarettenrauch tief in der Lunge. »Es ist ja nicht so … Ich meine, wir wissen alle, was diese Männer mit Mädchen machen. Mit den Mädchen aus Lewis County und dem vom College.« Ivy sprach gefasst, weil selbst Saint es wusste. »Die meisten Männer benehmen sich anständig, aber die anderen eher nicht.« Sie blies Rauch ans Fenster. »Sind heute viele draußen im Wald?«

Saint nickte.

»Eigentlich hätte das Mädchen verschwinden müssen. Die Meyers haben schon so verdammt viel.« Ivy fing sich wieder und hob entschuldigend eine Hand gegenüber einem für Saint unsichtbaren Publikum. »Misty … geht’s ihr gut?«

»Glaub schon.«

»Eigentlich wollte ich heute dabei sein, aber Nix hat mich nicht gelassen. Falls ein Anruf kommt. Was für ein verfluchter Anruf?«

Als Ivy fluchte, kroch Saint Hitze in die Wangen.

Ivy streckte eine Hand aus, schob Saint auf den Küchenstuhl und richtete ihren Zopf mit einer Fingerfertigkeit, die Saint niemals erlangen könnte. Als wäre es ein Talent, das ausschließlich von Müttern auf Töchter übertragen wurde.

»Er lebt«, sagte Ivy. »Wenn nicht, würde ich es spüren.«

13

Um zehn lehnte Saint sich an einen Truck und beobachtete den Suchtrupp.

»Der ist doch eh tot.«

Sie drehte sich um und sah Chuck Bradley mit zwei Freunden.

Sie lachten leise, aber es klang mechanisch, als wüssten sie selbst, dass es nicht angebracht war.

»Scheiße, die ganzen Reporter in der Stadt tun so, als wäre der Junge ein Held.«

»Ein kleiner Dieb ist er. Ich weiß noch, wie er bei Johnson in die Garage eingebrochen ist und den Rasenmäher geklaut hat.«

»Vierundzwanzig Stunden sind schon um, stimmt’s?«, fragte Chuck. »Weiß doch jeder, nach vierundzwanzig Stunden … ist das entführte Kind tot.«

Saint schluckte, als Chuck sie ansprach.

»Vermisst du deinen Freund? Dann geh und heul dich bei deiner Großmutter aus, der alten Lesbe.«

»Das reicht jetzt.«

Saint starrte hinauf zu Dr. Tooms, der die großen Jungs fortschickte. Er trug ein Sportsakko, außerdem ein freundliches Lächeln.

»Dr T«, sagte Saint.

Er drehte sich um.

»Das ganze Blut …«

»… sieht oft schlimmer aus, als es ist.«

Chief Nix kam zu ihnen, berührte den Arzt sanft am Arm und schickte ihn zu dem Suchtrupp zurück. Dann ging er in die Knie, auf Augenhöhe zu ihr. Sie roch sein Rasierwasser und darunter den Schweiß. »Ich habe mich umgehört, ich weiß, dass du und er … dass ihr sehr eng befreundet seid. Fast wie Bruder und Schwester, stimmt’s?«

»Sie müssen ihn finden«, sagte sie.

»Der Mann wollte das Mädchen. Aber er hat sie nicht bekommen und stattdessen deinen Freund mitgenommen. Das werten wir erst mal als gutes Zeichen. Du darfst die Hoffnung nicht aufgeben.«

Sie sah Sammy, den Trinker. Ihm gehörte eine Galerie hier, Monta Clare Fine Art. In seinem gebügelten weißen Hemd, mit der Weste und den Turnschuhen wirkte er sehr elegant. Man sah ihm an, dass auch er nicht geschlafen hatte. Als würde es die gesamte Stadt spüren. »Wie geht’s der kleinen Meyer?«, erkundigte sich Sammy.

Nix wollte gerade etwas sagen, als er Rufe hörte.

Sie hielten abrupt inne, eine Frau hob eine Hand.

Nix wollte Saint zurückhalten, aber sie befreite sich und rannte los. Als sie es sah, blieb sie wie erstarrt stehen.

Nix zog einen Handschuh über und hob ein kleines Stück Stoff ins Sonnenlicht.

Saint betrachtete die lilafarbene Augenklappe mit dem silbernen Stern und hätte fast laut geschrien.

Noch drei weitere Tage lang durchkämmten sie das gesamte Gelände. Zwischen Sträuchern und duftendem Honeysuckle, Zauberstrauch und Holunder. Die Gruppe dünnte aus, aber Saint blieb bei ihnen, flehte Kinder aus dem Ort an, mitzusuchen.

Sie schlief in keiner Nacht mehr als nur wenige Stunden.

Und sah jede einzelne Sekunde ihres gemeinsamen Sommers sterben.

14

Saint hatte den Langstroth-Bienenstock mitten im Gestrüpp gefunden, gleich am ersten Tag, als sie in das große Haus in der Pinehill Cemetery Road gezogen waren. Sie holte sich eine verrostete kleine Axt aus dem Schuppen und bahnte sich einen Weg durch die Sträucher. Ihre Großmutter hatte noch mit den Umzugshelfern zu tun, ein paar entfernte Vettern mit einem Transporter, der sich in den Kurven gefährlich neigte, weil die Aufhängung kaputt war.

Sie betrachtete die Kästen. Das etwa zwei Zentimeter starke, zart gemaserte Holz war so präzise gesägt, dass sie bewundernd mit den Fingern über die Schnittkanten fuhr. In jenem unberechenbaren Sommer waren sie in Burlington erst durch einen Sturm gefahren, dann durch die Hitze von Jefferson City bei heruntergelassenen Scheiben dem Versprechen auf Neues entgegen. Saint hatte man mit der Aussicht auf einen Garten, ausreichend Platz für Spielsachen und eine Wohngegend gelockt, in der sie nach Sonnenuntergang nicht sofort ins Haus musste.

Während ihre Vettern mit freien Oberkörpern ihr Bettgestell bis ganz nach oben in die Dachkammer hievten, zog sie ihre Großmutter in den Garten.

»Das ist für Bienen«, sagte Norma, drehte sich wieder um und ließ Saint stehen.

»Darf ich …?«

»Nein.«

Saint brauchte fast das ganze erste Jahr in Monta Clare, um ihre Großmutter davon zu überzeugen, dass es eine gute Idee war, Bienen zu halten. Sie lieh sich ein Buch aus der Bücherei, sprach jeden Morgen von Honig und schmatzte mit den Lippen, jagte Bienen durch den Garten, um Norma davon zu überzeugen, dass sie absolut keine Angst hatte. Sie schaffte es sogar, nicht zu weinen, als eine Arbeitsbiene sich auf ihrem Ohrläppchen niederließ und ihren Stachel darin versenkte.

»Bist du jetzt zufrieden?«, fragte Norma, als Saint auf ihrem Knie saß und sie ihr den Stachel mit einer Pinzette aus dem Ohrläppchen zog.

»Total«, schniefte Saint.

Sie sparte ihr Taschengeld und bestellte Ausgaben von The Hive and the Honey Bee. Für ein Jahresabonnement des American Bee Journal fehlten ihr fünf Dollar.

Saint bearbeitete ihre Großmutter systematisch, fuhr jeden Samstagvormittag mit Norma im Bus, pflanzte sich auf den Platz direkt hinter ihr, sprach ihr direkt ins Ohr und bemühte sich, sie mit faszinierenden Fakten über Bienen umzustimmen. Saint erklärte ihr, jeder dritte Bissen, den sie verzehre, sei mithilfe von Bestäubern entstanden. Das Gehirn der dunklen Erdhummel sei so groß wie ein Mohnsamen. Sie habe bereits Schlüsselblumen, Sommerflieder und Ringelblumen ausgesät, um die Nektarierung zu begünstigen, wobei sie allerdings nicht ganz sicher war, ob es den Begriff überhaupt gab. Zum Glück fragte Norma nicht nach.

Dann brachte sie ihren Joker ins Spiel. Den Schwänzeltanz. Vielleicht diente er der Kommunikation, vielleicht war er Ausdruck der Freude, die Wissenschaftler waren sich wohl nicht ganz einig. Jedenfalls baute Saint sich bei Norma im Bus auf und stellte sich in den Gang, und als Norma den Parade Hill hinauffuhr, ging sie halb in die Hocke, wackelte mit dem Hintern und summte dabei.

»Gottverdammt!«, rief Norma, obwohl sie sonst nie gotteslästerlich fluchte.

Nachdem sie Saint erklärt hatte, dass es ihr Weihnachts- und Geburtstagsgeschenk für die kommenden zweihundert Jahre sein würde, rief sie am darauffolgenden Wochenende einen Händler in Boonville an und gab die Bestellung auf.

Sie verbrachten den Sommer im Garten. Saint sah Norma aufmerksam dabei zu, wie sie Draht über den Rahmen spannte. Sie reichte ihr kleine Nägel, bevor sie darum bat, und holte ihr Eistee, wenn sie ins Schwitzen geriet. Saint las vor, was in der dürftigen Anleitung stand, sie verstärkten die Wabe, erneuerten das Sackleinen, schimpften über die verdammte Pollenfalle und reparierten, was zu reparieren war.

»Wieso kannst du so viel?«, fragte Saint, als ihre Großmutter einen Hobel nahm und das Holz glättete.

»Hast du deinem Großvater jemals diese Frage gestellt?«

Saint schüttelte den Kopf.

Norma machte weiter.

Saint stand drei Stunden lang in der Auffahrt, und als sie den weißen Lieferwagen kommen sah, schrie sie, so laut sie konnte.

»Sie sind hier!«, brüllte sie, rannte ins Haus und zog ihre Großmutter an der Hand nach draußen.

In der Nacht nach der Ankunft der Bienen schlief Norma nicht. Sie ging in den nächtlichen Garten, um nach ihnen zu sehen. Sie weckten Saint, weil sie so laut summten.

»Wieso schlafen die nicht?«, fragte Norma.

Saint stand in kurzer Hose und Unterhemd im Dunkeln und rieb sich die Augen. »Sie kühlen den Bienenstock, indem sie alle gleichzeitig mit den Flügeln schlagen. Das klingt wie ein elektrischer Ventilator.«

»Ich dachte schon, sie sterben.«

Saint nahm Norma auf dem Weg zurück ins Haus an der Hand. »Ich bin froh, dass dir die Bienen auch was bedeuten, Grandma.«

»Zwanzig Dollar hab ich dafür bezahlt, jetzt will ich auch Honig haben.«

Norma befestigte ein kleines Sonnensegel am Baum neben dem Bienenstock, und Saint setzte sich darunter, um Hausaufgaben zu machen und die Arbeitsbienen zu beobachten. Manchmal sang sie dabei Be Thou My Vision oder Abide with Me.

Saint fand keine Freunde oder Freundinnen, obwohl sie die anderen Kinder in der Schule gezielt anlächelte und sich im Unterricht nicht zu oft meldete. Auch nicht, wenn sie die Antworten wusste. Sie lud jedes einzelne Mädchen aus ihrer Klasse ein, sich den Bienenstock anzusehen, verwendete jedes Mal eine ganze Stunde auf die Gestaltung der Einladungskarte, zeichnete Bienen und verzierte sie mit Krepppapier und Glitzer.

Sie verbesserte die Eingänge für die Drohnen und wurde zwei Dutzend Mal dabei gestochen, saß mit Schwellungen und einem Lächeln am Frühstückstisch.

Es war eine gute Saison. Vereinzelte Regenschauer im August verhinderten eine allzu katastrophale Dürre, und als ihre Großmutter im September 1973 um Jim Croce trauerte, wurde die letzte Tracht eingebracht, der Nektar veredelt und zwei Honigräume installiert. Saint konnte sich keinen Bienenbesen leisten, weshalb sie die Bienen einfach abschüttelte, während Norma aus sicherer Entfernung vom Küchenfenster aus zusah. Am nächsten Morgen dachte sie daran, die Nachzügler aus dem alten Schuppen zu befreien, den ihre Großmutter repariert und zu ihrem Honighaus gemacht hatte.

Nach einer Reihe fehlgeschlagener Versuche erntete sie den ersten Honig. Ein bisschen davon behielten sie für sich, das meiste aber verschenkte Saint an die Mädchen, die immerhin flüchtiges Interesse an ihren Erzeugnissen und der Möglichkeit einer Freundschaft bekundeten. Den Rest bot sie auf einem Klapptisch mit karierter Tischdecke in der Main Street zum Kauf an.

Der stets angetrunkene Sammy kam aus seiner Galerie und verlangte ihre Händlerlizenz zu sehen, doch Norma drohte, sie würde ihren Colt Python aus der Garage holen, wenn er sich nicht wieder verzöge.

Saint grinste, strich Honig auf Cracker und bot Kostproben an. Sie verzichtete auf eine Vorführung des Schwänzeltanzes und verkaufte fünf Gläser.

»Ich werde meinen Profit wieder investieren. Vielleicht kaufe ich noch einen Kasten, einen neuen Brutraum, vielleicht sogar einen dritten Honigraum. Denk nur mal, was das für Erträge bringt. Honey Money, goldenes Geld.«

Norma runzelte die Stirn. »Genau betrachtet, hast du einen Riesenverlust gemacht.«

Am letzten Tag der Sommerferien lag Saint im weichen Gras auf dem Bauch, wackelte mit den Füßen und sah einen Jungen am Tor, der sie anstarrte.

Sie kannte ihn aus der Schule. Wegen seiner Augenklappe war er schwer zu übersehen.

Er trug Jeans und T-Shirt, und wenn er gähnte und sich streckte, kam jeweils ein Loch unter den Achseln zum Vorschein.

Saint stand auf und funkelte ihn böse an. Sie wollte ihn gerade verjagen, als sie die Karte in seiner Hand sah. Es war eine von ihren selbst gemalten, mit einer Bienenspur aus Glitzer und Watte. Im Näherkommen erkannte sie, dass er den Namen des Mädchens, dem die Einladung ursprünglich galt, einfach durchgestrichen und durch seinen eigenen ersetzt hatte.

»Ich komme wegen dem Honig«, sagte er und starrte an ihr vorbei, als wollte er sich schon mal ein Glas aussuchen.

»Ach so?«

»Ich habe diese Einladung hier, damit müsste ich doch eigentlich eine Kostprobe und vielleicht sogar einen Rundgang durch die Produktionsstätte bekommen.«

Offensichtlich war er ein Schwachkopf.

Er entdeckte den Bienenstock und stieß einen langen Pfiff aus. »Manuka, stimmt’s?«

»Manuka-Honig wird in Australien und Neuseeland hergestellt.«

Er schloss sein einziges Auge und nickte, als hätte er sie bloß auf die Probe stellen wollen.

Seine Arme waren nur Haut und Knochen, seine Haare lang. Er roch entfernt nach Matsch und Süßigkeiten, und seine Fingerknöchel waren aufgeschürft, als hätte er sich gerade geprügelt. Seinen Ledergürtel hatte er zweimal um die Hüfte geschlungen, ein hölzernes Entermesser steckte darin.

Beinahe hätte sie gesagt, er solle verschwinden, aber dann lächelte er. Zum ersten Mal seit Saints Ankunft in Monta Clare lächelte ein anderes Kind sie an, und es war ein gutes Lächeln. Es brachte Grübchen und schöne Zähne zum Vorschein.

»Ich habe gehört, hier gibt es den besten Honig diesseits von …«

»Sechs Monate arbeite ich schon mit den Bienen«, erklärte Saint. Obwohl offensichtlich etwas nicht so ganz mit ihm stimmte, war er der Erste, der echtes Interesse zeigte. Also nahm sie ihn an der Hand und ging mit ihm zu ihren Bienen, nutzte die Gelegenheit, ihn mit ihrem Bienenwissen zu verzaubern, auch wenn er eiligst behauptete, längst alles zu wissen. Manchmal steuerte er absoluten Blödsinn bei.

»Sind das rein gezüchtete Bienen?«, erkundigte er sich.

Saint tat, als hätte sie es nicht gehört.

Als sie zum Honighaus kamen, staunte er beim Anblick der Regale. Zwei Dutzend goldfarben leuchtende Gläser.

Sie reichte ihm eins, bat ihn aber, zu warten, bis sie einen Löffel, ein paar Cracker, einen Stapel Servietten und ihre Honigschürze aus der Küche geholt hatte.

Als sie zurückkam, saß er mit dem halb leeren Glas und honigverschmierter Hand unter einem Fliederstrauch.

Sie marschierte auf ihn zu, stemmte die Hände auf ihre schmale Hüfte und sah ihn böse an.

Er blickte zu ihr auf, Honig klebte an seinem Kinn. »Weißt du was, ich würde sagen, das ist das Süßeste, was ich je gesehen habe … aber dann hab ich dich gesehen, Becky.«

»Wer zum Teufel ist Becky?«

Er kratzte sich am Kopf, massierte sich dabei Honig in den Haaransatz und die Stirn. Dann griff er nach der Einladung.

»Becky Thomas ist das Mädchen, dem die Einladung galt«, sagte sie.

»Na … aber wer hat dann meinen Namen draufgeschrieben? Vielleicht ist das ein Wink des Schicksals. Amor hat seinen Pfeil verschossen.« Patch formte ein O aus Zeigefinger und Daumen der linken Hand und durchstach es mit dem Zeigefinger seiner rechten.

»Was war das denn?«, fragte Saint.

»Hab ich mir von den Großen in der Schule abgeguckt. Ich glaube, das ist Amors Pfeil, der mich mitten ins Herz trifft.«

Sie verdrehte die Augen.

»Man könnte Grillhuhn damit glasieren. Oder Schweinerippchen. Wir könnten gemeinsam Geschäfte machen, als Honighändler. Erst mal regional, dann landesweit. Vielleicht auch in Lateinamerika. Hat man erst einmal davon gekostet, will man immer mehr.« Er leckte sich die Hand ab wie eine Katze bei der Fellpflege.

Beide blickten auf, als Normas Ehrfurcht gebietender Schatten auf sie fiel.

»Die Busfahrerin«, sagte Patch und streckte ihr seine klebrige Hand hin.

Norma richtete ihren durchdringenden Blick auf Saint, forderte eine Erklärung von ihr.

Saint zuckte mit den Schultern. »Anscheinend hat Amor ihn geschickt.«

Wieder formte Patch ein O aus Zeigefinger und Daumen der linken Hand und durchstach es mit dem Zeigefinger seiner rechten.

»Runter von meinem Grundstück«, sagte Norma.

15

Vier Tage und sie war nur noch ein Schatten ihrer selbst.

Sie hatte kaum geschlafen oder gegessen, war von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang durch den Wald gestreift und hatte sich zwischendurch immer wieder mitten in der Wache auf einen Stuhl gepflanzt, als hätten die Polizisten eine Ermahnung nötig. Sie waren es längst müde, Saint fortzuschicken.

Am Ende der Woche stellte sich ein Gefühl von Fortschritt ein, nachdem man vergleichbare Vermisstenfälle und Patchs frühere Schulverweise herangezogen hatte.

»Dieser Junge«, hatte Officer Cortez bei der Durchsicht seiner Fehltritte geseufzt, als wären sie Einfallstore für Gravierenderes. Sein Hemd entblößte einen breiten Streifen sonnengebräunter Brust. Seine Koteletten waren schwarz wie Teer.

»Und dann die Piratenmasche«, ergänzte Officer Harkness.

»Klaut er deshalb?«

»Nein, er klaut, weil er nichts hat. Ihr habt doch das Haus gesehen.«

»Der Junge hatte immer ein Entermesser dabei und hat es auch gezogen, wenn er sich unterlegen fühlte. Der hat’s faustdick hinter den Ohren.«

»Kein Wunder, dass es ihn erwischt hat.«

Cortez lachte.

Saint fragte sich, wie sie lachen, schwarzen Kaffee trinken, Plunderstücke essen und über Football reden konnten.

Sie hörte, wie von Mustererkennung gesprochen wurde und der Name John Stokes fiel, ein Mann mit langem Vorstrafenregister. Wie jedes Kind ab einem bestimmten Alter wusste sie, dass es solche Männer gab.

»Seine Mutter hat nicht mal seine Geburtsurkunde gefunden, da fragt man sich dann schon … Aber einen tollen Knackarsch hat sie«, meinte Cortez.

Am Freitag war Saint bei Daisy Creason von der Tribune gewesen, die sie immerhin nicht ausgelacht, sondern sich Zeit genommen und ihr zugehört hatte. Saint hatte ihr über zwei Stunden lang alles erzählt, was ihr zu dem Piratenjungen einfiel, der das reichste Mädchen der Stadt gerettet hatte.

»Dann mag er also Honig«, sagte Daisy zum Schluss und gab Saint das Versprechen, an der Story dranzubleiben.

»Wie wär’s mit einer Belohnung?«, fragte Saint.

Daisy versprach ihr auch das. Sollte es Saint gelingen, den Leuten aus der Stadt genug Geld abzuringen, würde Daisy direkt auf der Titelseite eine Belohnung ausschreiben, Plakate drucken und Kollegen und Kolleginnen in den Nachbarstädten mobilisieren.

Aber nichts davon konnte den stillen Schmerz betäuben, der Saint durchströmte und mit der Gewissheit erfüllte, dass alles viel zu lange dauerte.

Vier Tage waren zu viel.

16

Sie zog eine weiße Bluse und ihre blaue Latzhose an und fand ihre Großmutter mit einer Zeitung unten am Tisch.

»Du bist zu dünn«, sagte Norma.

Saint betrachtete ihre hervorstehenden Hüftknochen. »Bei mir ist alles gut.«

»Aber deine Fingernägel sind schmutzig.«

»Sind sie doch immer.«

»Zieh wenigstens die Keilsandalen zur Kirche an.«

Jetzt stand Saint in der bunten Flut der Fenster, sang aber nicht mit den anderen und lauschte auch nicht dem alten Priester. Er predigte, ihr aller Gott sei nicht rachsüchtig, und Saint kämpfte gegen das Bedürfnis an, ihn zu fragen, wieso zum Teufel eigentlich nicht.

Die Gemeinde hatte gerade Abide with Me gesungen, als Ivy Macauley die Kirche betrat, sich allein auf eine Bank ganz hinten setzte, und plötzlich grausame Stille herrschte. Sie trug ein schlichtes, hochgeschlossenes Kleid aus Cord und die dunklen Haare zurückgekämmt. Den Verrat in ihren Augen konnte sie nur verbergen, indem sie sich weigerte, den Blicken der anderen zu begegnen.

Jimmy Walters, ein Junge aus Saints Klasse, trug ein Weihrauchfass an einer Kette, doch Saint sah weder den Rauch noch das Lächeln, das ihr galt.

Sie ignorierte ihn, und ihre Großmutter schüttelte den Kopf über die Kränkung.

»Er hat dir zugelächelt«, sagte Norma.

»Wahrscheinlich hat er einen Hirnschaden von dem ganzen Weihrauch. Der merkt gar nicht mehr, dass er lächelt.«

Norma seufzte. »Es ist okay, mehr als einen Freund zu haben.«

»Ich brauche aber nur einen.«

Der Priester sprach jetzt ein Gebet für das vermisste Kind. Saint ließ sich auf die Knie nieder und faltete ihre Hände so fest, dass ihre Knochen um Gnade flehten. Sie hatte Gott in ihrem kurzen Leben nicht häufig um etwas gebeten, aber nun wollte sie sich ihm rückhaltlos überlassen und gab Versprechen, deren Ausmaß sie nicht begriff. Wenn nur ihr Freund sicher zurückkehrte.

Am Ende schlängelte sie sich durch die Menge der Trauernden, die träge auf den Ausgang zustrebten.

Misty Meyer trug ein adrettes blaues Kleid, flache Schuhe, ihre vollen Lippen waren ungeschminkt, ihre Haare dicht und kräftig.

Sie setzten sich zusammen auf eine Steinmauer.

»Du bist mit dem Piraten befreundet«, sagte Misty.

Saint nickte und empfand einen Anflug von Stolz, weil Misty es wusste.

»Im Winter sagen immer alle, Monta Clare sei schon fast zu schön. Dadurch kommt einem das Verbrechen noch größer vor, oder? Weil es hier passiert ist. Als wäre niemand darauf vorbereitet gewesen, dass die Außenwelt hier Einzug hält«, sagte Misty.

Saint fragte sich, wieso Misty so selbstsicher war, so vollständig, und das in einem Alter, in dem sie eigentlich die Summe schlecht zusammenpassender Einzelteile und Widersprüche sein müsste.

»Die Polizei findet ihn nicht.« Mistys Augen waren von einem warmen Blau und spiegelten jeden ihrer Gedanken, noch bevor er ihre Lippen erreichte. »Meine Eltern wollten nicht über ihn reden … den Piratenjungen. Auch nicht über den Mann und was er mir hätte antun können.«

»Willst du denn darüber reden?«