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Ungesehen und unbetreten, in mächtiger Todesruhe schlummerten die erstarrten Polargegenden unter ihrem unbefleckten Eismantel vom Anbeginn der Zeiten. In sein weißes Gewand gehüllt, streckte der gewaltige Riese seine feuchtkalten Eisglieder aus und brütete über Träumen von Jahrtausenden. Die Zeiten gingen; tief war die Stille. Da – in der Dämmerung der Geschichte, fern im Süden – erhob der erwachende Menschengeist sein Haupt und schaute über die Erde; gegen Süden begegnete ihm Wärme, gegen Norden Kälte, und hinter die Grenzen des Unbekannten verlegte er dann die beiden Reiche: das der allverzehrenden Hitze und das der vernichtenden Kälte. Aber vor dem stets wachsenden Drange des menschlichen Geistes nach Licht und Wissen mußten die Grenzen des Unbekannten Schritt für Schritt zurückweichen, bis sie im Norden an der Schwelle des großen Eiskirchhofs der Natur, der endlosen Stille der Polargegenden, stehen blieben. Bisher hatten keine unüberwindlichen Hindernisse sich den siegreich vordringenden Scharen in den Weg gestellt, und sie zogen getrost weiter. Aber hier machten die Riesen Front gegen sie, im Bunde mit den ärgsten Feinden des Lebens: dem Eise, der Kälte und der langen Winternacht. Schar auf Schar stürmte gen Norden, aber nur um Niederlage auf Niederlage zu erleiden. Neue Reihen standen bereit, um über ihre gefallenen Vorgänger hinweg vorzurücken. Unsäglich langsam nur vermochte das menschliche Auge die Nebel des Eismeeres zu durchdringen; hinter der Nebelwand lag das Land der Mythe: dort in Niflheim, dem dunkeln nordischen Sagenreich, tummelten sich die Rimthursen in ihren wilden Kampfspielen.
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Seitenzahl: 1407
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1897.
idb
ISBN 9783961505715
Fridtjof Nansen.
Ihr, die das Schiff getauft und
Es wird eine Zeit kommen, nach späten Jahren, da der Ocean die Fesseln der Dinge lösen wird, da die unermeßliche Erde offen liegen wird, da die Seefahrer neue Länder entdecken werden und Thule nicht länger das fernste unter den Ländern sein wird.
Seneca.
Ungesehen und unbetreten, in mächtiger Todesruhe schlummerten die erstarrten Polargegenden unter ihrem unbefleckten Eismantel vom Anbeginn der Zeiten. In sein weißes Gewand gehüllt, streckte der gewaltige Riese seine feuchtkalten Eisglieder aus und brütete über Träumen von Jahrtausenden.
Die Zeiten gingen; tief war die Stille.
Da – in der Dämmerung der Geschichte, fern im Süden – erhob der erwachende Menschengeist sein Haupt und schaute über die Erde; gegen Süden begegnete ihm Wärme, gegen Norden Kälte, und hinter die Grenzen des Unbekannten verlegte er dann die beiden Reiche: das der allverzehrenden Hitze und das der vernichtenden Kälte.
Aber vor dem stets wachsenden Drange des menschlichen Geistes nach Licht und Wissen mußten die Grenzen des Unbekannten Schritt für Schritt zurückweichen, bis sie im Norden an der Schwelle des großen Eiskirchhofs der Natur, der endlosen Stille der Polargegenden, stehen blieben. Bisher hatten keine unüberwindlichen Hindernisse sich den siegreich vordringenden Scharen in den Weg gestellt, und sie zogen getrost weiter. Aber hier machten die Riesen Front gegen sie, im Bunde mit den ärgsten Feinden des Lebens: dem Eise, der Kälte und der langen Winternacht.
Schar auf Schar stürmte gen Norden, aber nur um Niederlage auf Niederlage zu erleiden. Neue Reihen standen bereit, um über ihre gefallenen Vorgänger hinweg vorzurücken.
Unsäglich langsam nur vermochte das menschliche Auge die Nebel des Eismeeres zu durchdringen; hinter der Nebelwand lag das Land der Mythe: dort in Niflheim, dem dunkeln nordischen Sagenreich, tummelten sich die Rimthursen in ihren wilden Kampfspielen.
Weshalb zogen wir stets wieder dorthin? Dort im Norden, in Dunkelheit und Kälte, lag Helheim, die Behausung des Todes, wo die Todesgöttin herrschte; dort lag Naastrand, der Leichenstrand. Dorthin, wo kein lebendes Wesen atmen konnte, – dorthin zog es Schar auf Schar – warum? Um Tote zurückzuholen, gleichwie Hermoder, da er hinausritt, um Baldr zu holen? Nein, Kundschaft für kommende Geschlechter holten sie; und willst du den menschlichen Geist in seinem edelsten Kampfe gegen Aberglauben und Finsternis; sehen, so lies die Geschichte der arktischen Reisen, lies die Geschichte von Männern, die zu Zeiten, da ein Überwintern in der Polarnacht den Tod sicherer erscheinen ließ als die Fortdauer des Lebens, dennoch mit fliegenden Fahnen hinauszogen nach dem Unbekannten. Nirgends ist wohl Wissen mit einer größern Summe von Entbehrungen, Not und Leiden erkauft; aber der menschliche Geist wird nicht rasten, ehe nicht jeder Fleck auch dieser Gegenden dem Fuße zugänglich gemacht und jedes Rätsel dort oben gelöst ist.
Meile für Meile, Grad für Grad hat man sich mit Aufbietung aller Kräfte vorwärts geschlichen. Langsam tagt es; aber noch befinden wir uns mir im Morgengrauen, und Finsternis; schwebt immer noch über großen, öden Strecken dort oben am Pol.
Unsere Vorväter, die alten Wikinger, waren die ersten Polarfahrer. Man hat gesagt, daß ihre Eismeerfahrten ohne Bedeutung waren, da sie keine dauernden Spuren hinterlassen haben. Dies ist jedoch nicht richtig. So gewiß wie die Fangschiffer der Jetztzeit in ihrem beständigen Kampfe mit Eis und Meer die Träger unserer Forschung dort im Norden sind, ebenso sicher sind die alten Norweger mit Erik dem Rothen, Leifr und andern an der Spitze die Vorkämpfer für alle Polarfahrten künftiger Geschlechter gewesen. Man darf nicht vergessen, daß, gleichwie sie die ersten Oceansegler waren, niemand vor ihnen den Kampf mit dem Eise aufgenommen hatte. Lange bevor andere seefahrende Nationen es gewagt hatten, das Fahrwasser längs der Küsten zu verlassen, durchstreiften unsere Vorfahren die nordischen Meere kreuz und quer, entdeckten Island und Grönland und besiedelten diese Länder, fanden später Amerika und scheuten sich nicht, quer über den ganzen Atlantischen Ocean zu segeln, von Grönland nach Norwegen. Manch harten Kampf mußten sie in ihren offenen Fahrzeugen an Grönlands Küsten mit dem Eise bestehen, und manch einer unterlag.
Was sie auf diese Fahrten hinaus trieb, war wohl nicht allein die Sucht nach Abenteuern, obschon diese sicherlich einer der Grundzüge unseres Volkscharakters ist, sondern ebenso sehr die Nothwendigkeit, neuen Boden zu entdecken für die vielen unruhigen Köpfe, die in Norwegen keinen Spielraum fanden. Aber auch von wirklichem Wissensdrang wurden sie getrieben. Schon Ottar, der um 890 sich am Hofe des Königs Alfred in England aufhielt, zog, wie wir wissen, hinaus, um die Ausdehnung der Länder zu erforschen oder, wie er selbst sagt: »es regte sich in ihm eine göttliche Eingebung und der Wunsch, zu erfahren und zu zeigen, wie weit sich das Land nordwärts ausdehne, und ob sich menschliche Bewohner im Norden jenseits der Einöde fänden«. Er wohnte im nördlichsten Teile von Helgeland, wahrscheinlich auf Bjarköi, und fuhr ums Nordcap herum, sowie nach Osten bis ins Weiße Meer.
Von Harald Hardraade, dem »erfahrenen König der Norweger«, erzählt Adam von Bremen, daß er eine Reise aufs Meer hinaus gegen Norden unternahm und »mit seinen Schiffen die Ausdehnung des nördlichen Oceans untersuchte; aber Finsternis breitete sich aus vor dem Schlunde der entschwindenden Welt, und er entging mit genauer Not dem unermeßlichen Abgrunde, indem er seine Schiffe wendete«.
Das war Ginnungagap, die gähnende, schreckliche Tiefe am Ende der Welt. Wie weit Harald kam, weiß niemand, aber jedenfalls verdient er Anerkennung als einer der ersten Polarfahrer, die aus reiner Wißbegierde reisten. Selbstverständlich waren diese Norweger nicht frei von den abergläubischen Anschauungen ihrer Zeit über die Polargegenden, wo sie ja ihr Ginnungagap, ihr Niflheim, Helheim und später Trollebotn hatten; aber selbst in diesen mythischen und poetischen Vorstellungen lag ein so bedeutender Kern wirklicher Beobachtung, daß man ihnen eine merkwürdig scharfe und klare Auffassung der wahren Natur der Verhältnisse nicht absprechen kann.
Wie nüchtern und richtig sie sahen, zeigt sich am besten ein paar hundert Jahre später in der wissenschaftlichsten Abhandlung unserer alten Literatur, dem » Königsspiegel«, wo es heißt:
»Sobald man die größte Strecke des wilden Meeres überwunden hat, so findet man in der See eine so große Eismenge, daß man nirgends in der ganzen Welt ihresgleichen gesehen hat. Einige von den Eisstücken sehen so flach aus, als wären sie auf dem Meere selbst gefroren; sie sind bald vier, bald fünf Ellen dick und liegen so weit ins Meer hinaus, daß man oft vier oder mehrere Tagereisen auf dem Eise machen muß, um ans Land zu kommen.
»Aber diese Eismassen liegen mehr nordöstlich oder nördlich vom Lande als südlich und südwestlich oder westlich ...
»...Diese Eismassen sind von seltsamer Natur. Sie liegen zuweilen so still wie möglich, mit abgesonderten Waken oder großen Fjorden; aber mitunter ist ihre Fahrt so stark und reißend, daß sie nicht langsamer gehen als ein Schiff, welches günstigen Wind hat, und sie treiben ebenso oft gegen den Wind als mit demselben.«
Es ist dies eine Auffassung, die noch merkwürdiger wird, wenn man sie im Lichte der naiven Vorstellungen betrachtet, die die übrige Welt zu jener Zeit über fremde Erdstriche hegte.
Dann siechte unser Volk dahin, und es vergingen Hunderte von Jahren, ehe die Fahrten nach den nördlichen Gewässern wieder aufgenommen wurden. Diesmal waren es andere Nationen, besonders die Holländer und Engländer, die vorangingen. Aber die nüchternen Anschauungen der alten Norweger waren verloren gegangen. An ihrer Stelle treffen wir unaufhörlich Beispiele der dem Menschen eigentümlichen Neigung zu phantastischen Ideen. Besonders im nördlichen Europa hat diese Lust einen weiten Spielraum gefunden. Da die vernichtende Kälte sich nicht vorfand, schlug die Theorie ins Gegenteil um, und sonderbar sind die falschen Vorstellungen, welche sich selbst bis auf unsere Tage erhalten haben. Es ist die alte Geschichte, daß die natürlichste Erklärung der Phänomene die am meisten gefürchtete ist; gibt es keinen Mittelweg, dann lieber die wildesten Hypothesen. Nur auf diese Weise konnte der Glaube an ein offenes Polarmeer entstehen und sich halten, obschon man überall auf Eis stieß – es mußte sich ja hinter dem Eise befinden.
So konnte der Glaube an eine eisfreie Nordost- und Nordwestpassage zu den Reichthümern Kathais (Chinas) und Indiens, nachdem derselbe zuerst am Ende des 15. Jahrhunderts entstanden war, trotz Niederlage auf Niederlage immer wieder auftauchen. Da das Eis in südlichen Breiten den Weg versperrte, mußte dieser weiter nach Norden liegen; endlich suchte man die Durchfahrt über den Pol selbst.
So wild diese Theorien auch waren, so haben sie doch zum Besten der Menschheit gewirkt, denn unsere Kenntnis der Erde wurde dadurch in hohem Grade erweitert. Man ersieht daraus, daß keine Arbeit im Dienste der Forschung nutzlos ist, selbst dann nicht, wenn sie von falschen Vorstellungen ausgeht. Diesen Chimären hat es wohl auch England zum nicht geringen Teil von Anfang an zu verdanken, daß es die mächtigste seefahrende Nation der Erde geworden.
Auf manche Weise und auf vielen Wegen hat die Menschheit versucht, in dieses Reich des Todes einzudringen. Anfangs geschah es nur zu Wasser. Die Schiffe waren damals noch besonders ungeeignet, den Kampf mit dem Eise aufzunehmen, und man ließ sich daher ungern auf ihn ein. Die Fahrzeuge der alten Norweger, deren Planken aus Tannen- und Fichtenholz dachförmig übereinandergriffen, waren nicht zweckmäßiger als die kleinen plumpen Karavellen der ersten englischen und holländischen Polarfahrer. Nach und nach lernte man jedoch, die Fahrzeuge den Verhältnissen besser anzupassen, und immer kühner steuerte man sie zwischen die gefürchteten Eisschollen hinein.
Inzwischen war von den uncultivirten Polarvölkern, sowohl von jenen, welche in den sibirischen Tundren wohnen, als auch von den amerikanischen Eskimos, lange bevor die Polarfahrten begannen, ein anderes, sichereres Mittel, diese Gegenden zu bereisen, entdeckt worden: der in der Regel von Hunden gezogene Schlitten.
Dieses vorzügliche Beförderungsmittel wurde der Polarforschung zuerst in Sibirien dienstbar gemacht. Schon im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert machten dort die Russen Schlittenfahrten von größter Ausdehnung und nahmen Karten der sibirischen Küste von der Grenze Europas bis zur Bering-Straße auf. Ja, sie reisten nicht nur an den Küsten entlang, sondern gingen über das Treibeis bis zu den Neusibirischen Inseln, sogar noch nördlich davon, und schwerlich haben Reisende irgendwo so viele Leiden ausgestanden und so viel Ausdauer bewiesen.
Auch in Amerika wurde der Schlitten frühzeitig von den Engländern zur Erforschung der Küsten des Eismeeres angewandt. Bald war es die Schlittenform der Indianer (Toboggan), bald die der Eskimos, die sie benutzten. Ihre höchste Entwickelung fanden die Schlittenreisen der Engländer unter M'Clintock's tüchtiger Leitung.
Während die Russen meistens mit vielen Hunden und nur einigen wenigen Männern im Gefolge gefahren waren, brauchten die Engländer auf ihren Reisen gewöhnlich weit mehr Leute, und die Schlitten wurden entweder sämtlich oder teilweise von Männern gezogen. Einige Reisende, wie M'Clintock, benutzten aber auch viele Hunde. Während der energischesten Versuche, die je gemacht worden sind, um hohe Breitegrade zu erreichen, auf Markham's denkwürdigem Marsche gegen Norden vom Winterhafen der »Alert« aus, mußten 33 Mann selbst ziehen, obschon sie nicht wenig Hunde an Bord hatten; es sieht fast so aus, als ob die Hunde als Zugthiere bei ihnen nicht sonderlich im Ansehen gestanden hätten.
Der Amerikaner Peary hat dagegen auf dem grönländischen Inlandeis eine ganz andere Reisemethode in Aufnahme gebracht, indem er so wenig Leute und so viele Hunde wie möglich verwandte.
Die große Bedeutung der Hunde für Schlittenreisen war mir schon vor meiner Grönlandfahrt klar, und wenn ich sie dort nicht benutzte, so geschah es einzig, weil ich keine brauchbaren Hunde auftreiben konnte. [*]
Noch eine dritte Art zu reisen, die in den arktischen Gegenden angewandt wird, läßt sich nennen: mit Boot und Schlitten zusammen. Schon von den alten Norwegern heißt es in den Sagen und im »Königsspiegel«, daß sie in der Grönlandsee ihre Boote tagelang übers Eis ziehen mußten, um sich zu bergen und Land zu erreichen. Der erste, der diese Art des Vorwärtskommens im Dienste der Forschung benutzte, war Parry, der bei seinem berühmten Versuche, den Pol zu erreichen, im Jahre 1827 sein Schiff verließ und über das Treibeis nach Norden vordrang mit Booten, die er auf Schlitten zog. Er gelangte auch bis 82°+45', zur höchsten Breite, die bis dahin erreicht worden; aber hier trieb der Strom ihn schneller südwärts, als er gegen denselben vorwärts kommen konnte, und er mußte umkehren. Später ist diese Reisemethode nicht sonderlich benutzt worden, um gegen den Pol vorzudringen. Doch ist zu erwähnen, daß auch Markham auf seiner Schlittenfahrt ein Boot mit sich führte.
Mehrere Expeditionen haben nothgedrungen auf diese Weise weite Strecken über das Treibeis zurückgelegt, um zurückzukehren, nachdem sie ihr Schiff verlassen oder verloren hatten. Besonders hervorzuheben ist die österreichisch-ungarische Tegetthoff-Expedition nach Franz-Joseph-Land und die unglückliche amerikanische Jeannette-Expedition.
Wenige scheinen daran gedacht zu haben, dem Winke zu folgen, den die Eskimos gaben: auf deren Weise zu leben und an Stelle der schweren Boote leichte, von Hunden gezogene Kajaks mit sich zu führen. Es ist nie ein Versuch damit gemacht worden.
Die Wege, auf denen diese Beförderungsweisen versucht wurden, waren im wesentlichen: der Smith-Sund, das Meer zwischen Grönland und Spitzbergen, jenes bei Franz-Joseph-Land und die Bering-Straße.
Der Weg, auf welchem der Pol in spätern Zeiten den meisten Angriffen ausgesetzt gewesen ist, ist der Smith-Sund, und der Grund hierzu war wohl besonders der, daß amerikanische Reisende etwas übereilt behauptet hatten, dort das offene Polarmeer gefunden zu haben, das sich unbegrenzt nach Norden ausdehnen sollte. Alle Expeditionen wurden jedoch von schweren Eismassen aufgehalten, die südwärts trieben und gegen die Küsten gepreßt wurden. Die wichtigste Expedition auf diesem Wege war die englische, welche 1875-76 unter Nares' Leitung stand und mit großen Geldopfern ausgerüstet worden war. Nares' Begleiter, Commander Markham, gelangte bis zur höchsten Breite, die bis dahin erreicht worden, nämlich 83°+20', aber es kostete große Anstrengungen und Entbehrungen, und Nares glaubte, für alle Zeiten die Unmöglichkeit, den Nordpol auf diesem Wege zu erreichen, nachgewiesen zu haben.
Während des Aufenthalts der Expedition Greely's 1881-84 in derselben Gegend gelangte Lockwood ein paar Minuten höher, bis 83°+24', welches der nördlichste Punkt auf unserer Erdkugel war, den ein menschlicher Fuß betreten hatte vor der Expedition, über welche dieses Werk handelt.
Im Meere zwischen Grönland und Spitzbergen sind verschiedene Versuche gemacht worden, in die Geheimnisse der eisigen Regionen einzudringen. Längs der Ostküste Grönlands versuchte schon Henry Hudson im Jahre 1607 den Pol zu erreichen, wo er ein offenes Becken und den Weg nach der Südsee zu finden hoffte. Er wurde indessen schon unter 73°+nördl. Br. am weitern Vordringen verhindert, an einem Punkte der Küste, den er »Hold with Hope« nannte. Die deutsche Expedition unter Koldewey (1869–70), welche dasselbe Gewässer besuchte, gelangte mit Hülfe von Schlitten bis 77°+nördl. Br. Wegen der großen Eismassen, die der Polarstrom längs dieser Küste nach Süden treibt, ist hier gewiß eine der ungünstigsten Gegenden für eine Seefahrt nordwärts. Besser ist es bei Spitzbergen, wohin schon Hudson zu kommen versuchte, als er bei Grönland am Vordringen verhindert wurde, und woselbst er 80°+23'+nördl. Br. erreichte. Wegen des warmen Stromes, der an der Westküste Spitzbergens nach Norden geht, bleibt die See eisfrei; es ist dies sicher die Stelle, wo man am besten und leichtesten hohe Breiten in eisfreiem Fahrwasser erreichen kann. Nördlich von Spitzbergen machte deshalb auch Edward Parry den schon erwähnten Versuch im Jahre 1827.
Weiter nach Osten sind die Eisverhältnisse weniger günstig, und wenige Polarexpeditionen haben daher ihren Weg durch diese Gegenden genommen. Die österreichisch-ungarische Expedition unter Weyprecht und Payer 1872-74 hatte sich ursprünglich als Ziel gesetzt, die Nordost-Passage zu suchen, wurde aber schon bei ihrer ersten Begegnung mit dem Eise an der Nordspitze von Nowaja Semlja festgesetzt, trieb nordwärts und entdeckte Franz-Joseph-Land, wo Payer versuchte, mit Schlitten nach Norden vorzudringen und 82°+5' nördl. Br. erreichte, auf einer Insel, die er Kronprinz-Rudolf-Land nannte. Nördlich davon glaubte er eine ausgedehnte Landmasse zu sehen, die er auf ungefähr 83° verlegte und Petermann-Land nannte.
Später, 1880 und 1881-82, ist Franz-Joseph-Land zweimal vom Engländer Leigh-Smith besucht worden, und dort hält sich augenblicklich auch die englische Jackson-Harmsworth'sche Expedition auf.
Die dänische Expedition unter Hovgaard im Jahre 1883 hatte den Plan, bis zum Nordpol vorzudringen vom Cap Tscheljuskin aus längs der Ostküste einer ausgedehnten Landmasse, die nach Hovgaard's Ansicht östlich von Franz-Joseph-Land liegen sollte. Im Karischen Meer blieb er jedoch im Eise stecken, überwinterte dort und kehrte das Jahr darauf nach Hause zurück.
Durch die Bering-Straße sind nur wenige Versuche gemacht worden. Der erste derselben war Cook's Expedition im Jahre 1776, der letzte die Jeannette-Expedition in den Jahren 1879-81, geführt von De Long, Lieutenant in der amerikanischen Marine. Kaum sind Polarfahrer in südlichern Breiten so hoffnungslos durch Eis am Vordringen verhindert worden. Dennoch hat gerade die letztgenannte Expedition für meine Fahrt die größte Bedeutung gehabt. Wie De Long selbst in einem Briefe an Gordon Bennett, den Mäcen der Expedition, sagt, habe man unter drei Routen zu wählen, dem Smith- Sund, der Ostküste von Grönland und der Bering-Straße; aber er baute am meisten auf letztere, die denn auch schließlich gewählt wurde. Der Hauptgrund war der Japanische Strom, der, wie man vermuthete, nach Norden durch die Bering-Straße ging und weiter längs der Ostküste von Wrangel-Land, welches sich, wie man annahm, weit nach Norden ausdehnte. Man behauptete, daß das warme Wasser dieses Stromes einen Weg längs der Küste bahnen würde, vielleicht direct bis zum Pol. Die Walfischfänger hatten die Erfahrung gemacht, daß sie jedesmal, wenn ihre Fahrzeuge hier im Eise festsaßen, nordwärts trieben; daraus mußte man schließen, daß der Strom im allgemeinen in dieser Richtung ging. »Dies würde Entdeckungsreisenden erlauben, hohe Breiten zu erreichen; aber aus demselben Grunde würde es die Schwierigkeiten, zurückzukommen, vermehren«, sagt De Long selbst, und auf eine traurige Weise sollte er die Wahrheit seiner Worte beweisen. Die »Jeannette« blieb am 6. September 1879 im Eise stecken, in 71° 35' nördl. Br. und 175° 6' östl. L., südlich von Wrangel-Land – das, wie sich inzwischen zeigte, nur eine kleine Insel war – und trieb zwei Jahre lang mit dem Eise nach Westnordwest, bis sie am 12. Juni 1881 nördlich von den Neusibirischen Inseln in 77° 15' nördl. Br. und 154° 59' östl. L. sank.
Überall hat also das Eis die Menschen an ihrem Vordringen nach Norden verhindert. Nur in zwei Fällen wurden die Schiffe, als sie im Eise stecken geblieben waren, in nördlicher Richtung weitergetrieben. Dies geschah mit »Tegetthoff« und »Jeannette«, während die meisten übrigen von südlich treibenden Eismassen weiter von ihrem Ziel abgedrängt worden waren.
Beim Studium der Geschichte der arktischen Forschung wurde es mir frühzeitig klar, daß es schwierig sein würde, auf den bisher versuchten Routen und in der bisher versuchten Weise den innern, unbekannten Eisregionen ihre Geheimnisse zu entreißen. Aber wo lag der Weg?
Es war im Herbst 1884, als ich zufällig im norwegischen »Morgenbladet« einen Artikel von Professor Mohn las, der davon handelte, daß an der Südwestküste Grönlands einige Gegenstände gefunden worden seien, die von der »Jeannette« stammen müßten. Mohn nahm an, daß sie auf einer Eisscholle quer übers Polarmeer getrieben sein müßten. Es wurde mir sofort klar, daß hier der Weg gegeben sei! Konnte eine Eisscholle quer durch das Unbekannte treiben, so mußte sich diese »Drift« auch im Dienste der Forschung anwenden lassen können – und der Plan war gefaßt. Es vergingen jedoch mehrere Jahre, bis ich endlich im Februar 1890, nach meiner Rückkehr von der Grönlandfahrt, denselben der Geographischen Gesellschaft zu Christiania in einem Vortrage darlegte. Da dieser Vortrag für die Geschichte der gegenwärtigen Expedition entscheidende Bedeutung hat, will ich die wesentlichsten Punkte desselben hier wiedergeben, wie solche im Märzheft 1891 der norwegischen »Naturen« abgedruckt sind.
Nachdem ich in Kürze die verschiedenen frühern Polarfahrten besprochen hatte, sagte ich:
»Das Resultat der vielen Versuche muß nach dem, was hier mitgeteilt worden, etwas trostlos erscheinen. Es scheint aus ihnen deutlich hervorzugehen, daß es auf keinem Wege möglich ist, nach dem Pol zu segeln; überall ist das Eis ein unüberwindliches Hindernis gewesen, welches das Vordringen an der Schwelle zu den unbekannten Regionen aufgehalten hat.
»Boote zu ziehen über dieses unebene Treibeis, das außerdem unter dem Einflusse von Strom und Wind in beständiger Bewegung ist, ist eine ebenso große Schwierigkeit. Das Eis legt dem Vordringen solche Hindernisse in den Weg, daß ein jeder, der es versucht hat, sicherlich nicht daran zweifeln wird, daß es auf diese Weise so ziemlich eine Unmöglichkeit ist, mit der Ausrüstung und dem Proviant, die zu einem solchen Unternehmen erforderlich sein würden, vorwärts zu kommen.«
Eine sicherere Route wäre es gewesen, meinte ich, wenn man über Land hätte vorwärts kommen können. In solchem Falle würden wir den Pol »mit norwegischen Skiläufern (Schneeschuhläufern) in einem Sommer« erreicht haben können. Aber ein solches Land kennen wir nicht.
Grönland erstreckt sich meiner Ansicht nach nicht viel weiter als der nördlichste bekannte Punkt an dessen Westküste. »Daß Franz- Joseph-Land bis zum Pol reichen sollte, ist nicht sehr wahrscheinlich; soviel wir wissen können, bildet es eine Inselgruppe, deren verschiedene Inseln tiefe Sunde trennen, und es ist nicht anzunehmen, daß sich dort größeres zusammenhängendes Land findet.
»Viele meinen möglicherweise, daß man mit der Untersuchung von so schwierigen Gegenden, wie die Polarregionen sind, warten sollte, bis man im Stande sein wird, sich neue Transportmittel zu schaffen. Ich habe andeuten hören, daß man eines schönen Tages im Luftballon nach dem Pol reisen werde, und da sei es nutzlose Arbeit, zu versuchen, dorthin zu gelangen, bevor dieser Tag kommt.
Man braucht kaum nachzuweisen, daß dies ein unhaltbares Raisonnement ist. Selbst wenn es sich denken läßt, daß man über kurz oder lang diese häufig ausgesprochene Idee, im Luftschiffe nach dem Pol zu fahren, realisiren könnte, so würde doch eine solche Fahrt, so interessant dieselbe in gewissen Beziehungen auch sein dürfte, bei weitem nicht die wissenschaftliche Ausbeute liefern können wie Expeditionen, die in der hier angedeuteten Weise ausgeführt würden. Größere wissenschaftliche Ausbeute nach verschiedenen Richtungen kann nur durch fortwährende Beobachtungen während eines längern Aufenthalts in diesen Gegenden gewonnen werden, während Beobachtungen auf einer Ballonexpedition unvermeidlich flüchtiger Natur sein müssen.
»Wir müssen also versuchen, ob es nicht andere Wege gibt, und ich glaube, daß dies der Fall ist. Ich glaube, daß, wenn wir auf die sich in der Natur selbst vorfindenden Kräfte Acht geben und versuchen, mit denselben und nicht gegen sie zu arbeiten, wir den sichersten und leichtesten Weg zum Pole finden werden. Es nützt nichts, gegen den Strom zu arbeiten, wie die vorhergehenden Expeditionen es gemacht; wir müssen sehen, ob sich nicht ein Strom findet, mit dem wir arbeiten können. Die Jeannette-Expedition ist meiner Meinung nach die einzige, die auf dem richtigen Wege gewesen ist, obschon wider Wissen und Willen.
»Die ›Jeannette‹ trieb zwei Jahre lang im Eise von der Wrangel-Insel bis zu den Neusibirischen Inseln. Drei Jahre nach dem nördlich der letztern erfolgten Untergange des Schiffes wurden jenseits des Pols, auf dem Treibeise in der Nähe von Julianehaab an der Südwestküste Grönlands, einige Gegenstände gefunden, die nach untrüglichen Kennzeichen von dem gesunkenen Fahrzeuge stammen und im Eise eingefroren gewesen sein müssen.
»Unter diesen vielen Gegenständen, die von Eskimos gefunden, später aber von Koloniedirector Lytzen in Julianehaab gesammelt wurden und über die derselbe ein Verzeichnis in der dänischen Geographischen Zeitschrift (1885) gegeben hat, sind besonders folgende zu nennen: 1) Eine Proviantliste mit De Long's, des Chefs der ›Jeannette‹, eigenhändiger Unterschrift; 2) ein geschriebenes Verzeichnis der Boote der ›Jeannette‹; 3) ein Paar wasserdichte Hosen, gezeichnet mit ›Louis Noros‹, dem Namen eines Matrosen der ›Jeannette‹, der gerettet wurde; 4) ein Mützenschirm, worauf nach Lytzen's Angabe F. C. Lindemann geschrieben steht. Der Name eines der von der Mannschaft der ›Jeannette‹ Geretteten war F. C. Nindemann. Hier liegt möglicherweise ein Druckfehler oder ein Irrtum seitens Lytzen's vor.
»Man verhielt sich in Amerika sehr skeptisch, als es bekannt wurde, daß diese Gegenstände gefunden worden, und es wurden in amerikanischen Zeitungen sogar Zweifel an ihrer Echtheit erhoben. Die hier mitgeteilten Tatsachen können jedoch kaum lügen, und es muß daher als festgestellt angesehen werden, daß eine Eisscholle mit Gegenständen von der ›Jeannette‹ von der Stelle, wo diese sank, nach Julianehaab getrieben ist.
»Auf welchem Wege ist nun diese Eisscholle nach der Westküste Grönlands gekommen?
»Professor Mohn hat bereits im November 1884 nachgewiesen, daß sie auf keinem andern Wege als über den Pol gekommen sein kann. [*]
»Durch den Smith-Sund kann die Scholle unmöglich gekommen sein, da der Strom von dort aus an der Westseite der Baffin-Bai entlang geht; in diesem Falle würde sie nach dem Baffin-Land oder nach Labrador und nicht nach der Westküste Grönlands geführt worden sein. Der Strom geht an dieser Küste in nördlicher Richtung und ist eine Fortsetzung des grönländischen Polarstroms, der längs der Ostküste von Grönland herabkommt, um Cap Farewell herumbiegt und an der Westküste entlang aufwärts geht. Nur mit diesem Strome kann die Eisscholle gekommen sein.
»Aber die Frage ist nun: welchen Weg hat sie eingeschlagen, um von den Neusibirischen Inseln nach der Ostküste von Grönland zu gelangen?
»Es ließe sich denken, daß sie die Nordküste Sibiriens entlang südlich um Franz-Joseph-Land, aufwärts durch den Sund zwischen diesem und Spitzbergen oder sogar südlich um dieses Land getrieben worden und darauf in den Polarstrom gekommen ist, der an Grönland abwärts führt. Betrachtet man jedoch die Strömungsverhältnisse dieser Gegenden, soweit man sie jetzt kennt, so wird man finden, daß dies höchst unwahrscheinlich, wenn nicht unmöglich ist.«
Nachdem ich nachgewiesen, wie solches aus der Drift des »Tegetthoff« und den übrigen Verhältnissen hervorgehe, fuhr ich fort:
»Die Entfernung von den Neusibirischen Inseln bis zur Ostküste Grönlands unter dem 80. Breitengrad beträgt 1360 Seemeilen, die Entfernung von der letztgenannten Stelle bis Julianehaab 1540 Seemeilen; zusammen ein Abstand von 2900 Seemeilen. Dieser Weg wurde in 1100 Tagen zurückgelegt, was eine tägliche Fahrt von 2,6 Seemeilen ergibt. Die Zeit, welche die gefundenen Überreste gebraucht haben, um Julianehaab zu erreichen, nachdem sie bis zum 80. Breitengrad gekommen, läßt sich leicht berechnen, da der Strom an der Ostküste Grönlands wohlbekannt ist. Nach dem, was man darüber weiß, muß angenommen werden, daß die Überreste wenigstens 400 Tage nötig gehabt haben, um ihren Weg zurückzulegen; es bleiben dann etwa 700 Tage als längste Zeit, die das Treibgut von den Neusibirischen Inseln bis zum 80. Breitengrad gebraucht haben kann. Nimmt man an, daß die Gegenstände den kürzesten Weg gegangen sind, d.+h. über den Pol, so ergibt dies eine tägliche Geschwindigkeit von etwa 2 Seemeilen. Läßt man aber den Weg südlich um Franz-Joseph-Land und südlich von Spitzbergen gelten, so muß das Treibgut mit weit größerer Geschwindigkeit getrieben sein. Zwei Seemeilen im Tag würde jedoch merkwürdigerweise mit der Stromgeschwindigkeit übereinstimmen, welche die ›Jeannette‹ am Schlusse ihrer Reise – vom 1. Jan. bis 12. Juni 1881 – hatte. In dieser Zeit trieb sie nämlich mit einer durchschnittlichen täglichen Geschwindigkeit von über 2 Seemeilen. Die Durchschnittsgeschwindigkeit während der ganzen Driftdauer der ›Jeannette‹ ist dagegen nur 1 Seemeile täglich.
» Aber gibt es denn keine andern Beweise dafür, daß ein Strom über den Nordpol geht, vom Bering-Meer auf der einen nach dem Atlantischen Ocean auf der andern Seite? – Doch!
»Dr. Rink hat bei Godthaab von einem Grönländer ein merkwürdiges Holzstück erhalten; es wurde unter Treibholz an der Küste gefunden. Es ist ein Wurfholz, wie solches die Eskimos benutzen, um damit ihre Vogelpfeile zu entsenden, ist aber ganz verschieden von den Wurfhölzern, die von den Eskimos an der Westküste Grönlands angewandt werden. Dr. Rink nahm daher an, daß es möglicherweise von Eskimos an der Ostküste Grönlands herrühre.
»Bei spätern Untersuchungen [*] zeigte es sich indessen, daß es von der Küste von Alaska, aus der Nähe der Bering-Straße stammen müsse, da dies die einzige Stelle ist, wo Wurfhölzer von ähnlicher Form benutzt werden. Ja, es sind sogar chinesische Glasperlen in dasselbe eingefügt, genau dieselben, wie sie der Alaska-Eskimo von den asiatischen Völkern erhandelt, um seine Wurfhölzer damit zu schmücken.
»Es scheint somit, daß wir mit Sicherheit behaupten dürfen, daß dieses Stück Holz von der Westküste von Alaska nach Grönland hinüber getrieben worden ist, von einem Strome, den wir in seiner ganzen Ausdehnung noch nicht kennen, der aber vermuthlich dem Nordpol sehr nahe oder irgendwo zwischen diesem und Franz-Joseph-Land fließt.
»Es finden sich jedoch noch mehr Beweise dafür, daß ein solcher Strom existiert. In Grönland wachsen bekanntlich keine Bäume, die zur Herstellung von Booten, Schlitten und andern Gerätschaften gebraucht werden können. Das Treibholz, welches mit dem Polarstrom an der Ostküste Grönlands herunterkommt und der Westküste entlang nordwärts schwimmt, ist daher für den grönländischen Eskimo eine Lebensbedingung. Aber woher kommt dieses Treibholz?
»Hier werden wir wiederum auf die Länder jenseits des Pols hingelenkt. Ich habe selbst Gelegenheit gehabt, große Massen von Treibholz sowohl an der Westküste als auch an der Ostküste von Grönland zu untersuchen; ich habe auch Stücke davon im Meere, fern von den Küsten treibend gefunden. Und wie frühere Reisende bin auch ich zu der Überzeugung gelangt, daß der größte Teil davon nur aus Sibirien gekommen sein kann, ein kleinerer Teil möglicherweise auch aus Amerika; denn man findet darunter die Kiefer, die sibirische Lärche und auch nordische Baumarten, die schwerlich anderswoher gekommen sein können. Interessant sind in dieser Beziehung die Funde, die an der Ostküste Grönlands von der Zweiten Deutschen Nordpolarfahrt [*] gemacht wurden. Von fünfundzwanzig Stücken Treibholz gehörten siebzehn der sibirischen Lärche an, fünf einer nordischen Kieferart (wahrscheinlich Picea obovata), zwei einer Erlenart( Alnus incana?) und eines einer Pappelart ( Populus tremula?), welche Holzarten alle in Sibirien vorkommen.
»Als Ergänzung dieser Beobachtungen aus Grönland kann erwähnt werden, daß die Jeannette-Expedition im Norden der Neusibirischen Inseln in dem stark nordwärts gehenden Strome häufig sibirisches Treibholz (Kiefer und Birke) zwischen den Eisschollen fand.
»Zum Glück für die Eskimos kommen jährlich so große Massen solchen Treibholzes nach den Küsten von Grönland, daß man meiner Meinung nach zu der Annahme gezwungen ist, daß sie von einem constanten Strom dorthin getrieben werden, um so mehr, als sie durchgehends den Eindruck machen, als hätten sie in der See gelegen, jedenfalls aber nicht, ohne im Eise eingefroren gewesen zu sein ...
»Daß dieses Treibholz südlich um Franz-Joseph-Land und um Spitzbergen getrieben wird, ist ebensowenig anzunehmen, wie daß die Eisscholle mit den Gegenständen von der ›Jeannette‹ diesen Weg gemacht haben sollte. Als Beweis dagegen läßt sich außerdem anführen, daß sibirisches Treibholz nördlich von Spitzbergen gefunden worden ist, in dem stark südwärts gerichteten Strome, gegen welchen Parry vergebens kämpfte.
»Man sieht also, daß wir auch aus diesem Grunde zu der Annahme gezwungen werden, daß ein Strom über den Pol oder nahe au demselben vorbei geht.
»In Verbindung damit läßt sich als besonders interessant noch erwähnen, daß der deutsche Botaniker Grisebach es als wahrscheinlich nachgewiesen hat, daß die grönländische Flora eine Reihe von sibirischen Formen umfaßt, die schwerlich auf anderm Wege als mit Hülfe eines solchen Stromes eingewandert sein können; der Same muß von dem Strome dorthin geführt sein.
»Auf dem Treibeise in der Dänemark-Straße (zwischen Island und Grönland) habe ich Beobachtungen gemacht, die möglicherweise darauf hindeuten, daß auch dieses Eis von Anfang an sibirischen Ursprungs ist. Ich habe darauf nämlich Mengen von Schlamm gefunden, der dem Anscheine nach aus sibirischen, vielleicht auch nordamerikanischen Flüssen stammt. Es läßt sich jedoch auch annehmen, daß er von Gletscherbächen herrührt, die im nördlichen Grönland oder in andern unbekannten Polarländern unter dem Eise hervorkommen, und dieser Beweis ist daher weniger entscheidend als diejenigen, die ich früher angeführt habe.
»Fassen wir alles zusammen, so scheint sich daraus mit Notwendigkeit die Schlußfolgerung zu ergeben, daß irgendwo zwischen dem Pol und Franz-Joseph-Land ein Strom vom Sibirischen Eismeer nach der grönländischen Ostküste geht.
»Daß dies der Fall sein muß, können wir uns auch auf anderm Wege klar machen. Betrachten wir nämlich den Polarstrom – den breiten Strom, der von den unbekannten Polargegenden zwischen Spitzbergen und Grönland herabkommt – und bedenken wir, welch ungeheuere Wassermassen er mit sich führt, so muß es einleuchten, daß diese nicht aus einem begrenzten kleinen Becken kommen können, sondern daß sie sich notwendigerweise von weither sammeln müssen, um so mehr, als das Polarmeer, soweit wir es kennen, im Norden der Küsten von Europa, Asien und Amerika ausfallend seicht ist. Der Polarstrom erhält freilich Zuwachs von dem Arme des Golfstroms, der an der Westküste von Spitzbergen hinaufdringt; aber dieser kleine Strom ist doch bei weitem nicht hinreichend; die Hauptmasse seines Wasservorraths holt der Polarstrom vielmehr weiter aus Norden.
»Es ist wahrscheinlich, daß der Polarstrom seine Arme bis nach den Küsten Sibiriens und zur Bering-Straße ausstreckt, daß er gleichsam das Wasser von dort an sich saugt. Das Wasser, welches er aufnimmt, wird dann zum Teil von dem früher erwähnten warmen Strome geliefert, der durch die Bering-Straße dringt, sowie durch den Zweig des Golfstroms, der nördlich von Norwegen östlich nach Nowaja Semlja abbiegt, und wovon sicher ein großer Teil den Weg auf der Nordseite dieser Insel ins Sibirische Eismeer fortsetzt. Daß ein aus Süden kommender Strom diese Richtung, mindestens teilweise, sucht, ist schon aus dem Grunde als wahrscheinlich anzunehmen, weil bekanntlich infolge der Umdrehung der Erde auf der nördlichen Halbkugel ein nach Norden fließender Strom, er bestehe aus Luft oder Wasser, in östlicher Richtung abgelenkt wird; aus dem gleichen Grunde muß auch ein nach Süden gerichteter Strom, wie der Polarstrom, nach Westen an die Ostküste Grönlands gedrängt werden.
»Aber selbst wenn diese Ströme, die in das polare Becken fließen, nicht existierten, glaube ich, daß so viel anderes Wasser in dasselbe strömt, daß sich trotzdem ein Polarstrom bilden müßte. Es sind zunächst die ins Eismeer mündenden nordeuropäischen, sibirischen und nordamerikanischen Flüsse, welche dieses Wasser bringen. Das Niederschlagsgebiet dieser Flüsse ist ganz bedeutend, nämlich: ein großer Teil von Nordeuropa, beinahe das ganze nördliche Asien oder Sibirien bis zum Altai-Gebirge und dem Baikal-See, sowie der größte Teil von Alaska und Britisch-Nordamerika. Dies macht zusammen einen nicht geringen Teil der Erdoberfläche aus, und die Niederschläge dieser Länder ergeben eine außerordentlich große Summe. Daß das Eismeer selbst einen bedeutenden Beitrag zu diesen Niederschlägen liefern sollte, ist nicht denkbar; denn einerseits ist es zum großen Teil mit Treibeis bedeckt, dessen Verdampfung nur gering ist, andererseits verhindert auch die verhältnismäßig niedrige Temperatur dieser Gegenden eine bedeutendere Verdampfung von der offenen Wasserfläche. Das Wasser dieser Niederschläge muß also zu ganz wesentlichem Teil anderswoher kommen, vornehmlich aus dem Atlantischen und dem Stillen Ocean, und der Zuwachs an Wassermenge, den das Eismeer dadurch erhält, muß sehr ansehnlich sein. Besäße man eine genügende Kenntnis der Regenmengen an den verschiedenen Stellen, so müßte der Zuwachs sich sogar direct berechnen lassen. [*] Noch größere Bedeutung hat derselbe aus dem Grunde, weil das Polarbecken verhältnismäßig klein und, wie schon bemerkt, sehr seicht ist; die größten bekannten Tiefen betragen ungefähr 120-150 Meter.
»Aber es existiert noch ein anderer Factor, der dazu beitragen muß, die Wassermasse im Polarbecken zu vermehren: dessen eigene Niederschläge. Schon Weyprecht hat auf die Wahrscheinlichkeit hingewiesen, daß die starke Zuströmuug von warmer, feuchter Luft aus Süden, die durch den in den Polargegenden regelmäßig niedrigen Luftdruck angesaugt wird, so viel Niederschläge abgeben muß, daß auch die Wassermassen des Polarmeeres dadurch wachsen müssen. Daß das Polarbecken starke Zufuhren von Süßwasser erhält, muß man auch direct aus dem geringen Salzgehalt des Wassers des Polarstromes schließen.
»Nach dem hier Vorgebrachten muß es also anscheinend als sicher angesehen werden, daß das Meer um den Pol herum eine nicht unbedeutende Zufuhr von Wasser, teils Süßwasser, wie eben angedeutet, teils Salzwasser, wie später erwähnt, durch mehrere Meeresströmungen erhält. Nach dem Gleichgewichtsgesetze schafft sich diese Wassermenge mit Nothwendigkeit einen Ablauf, wie solches durch den grönländischen Polarstrom geschieht.
»Lassen sich aber weitere Gründe finden, weshalb dieser Strom gerade in der angegebenen Richtung fließt?
»Betrachtet man die Tiefenverhältnisse, so findet man schon darin einen entscheidenden Grund dafür, daß die Hauptmündung des Stromes in dem Meere zwischen Spitzbergen und Grönland liegen muß. Dieses Meer ist, soweit wir es kennen, überall sehr tief, ja es existiert sogar eine Rinne von einer Tiefe bis zu 4500 Metern, während das Meer südlich von Spitzbergen und Franz-Joseph-Land auffallend seicht und nicht über 300 Meter tief ist. Durch die Bering-Straße geht, wie erwähnt, ein Strom nordwärts, und der Smith-Sund sowie die Sunde zwischen den Inseln nördlich von Amerika, wo der Strom allerdings südwärts gerichtet ist, sind allzu klein und eng, um bei Wassermassen wie die in Rede stehenden in Betracht zu kommen. Es bleibt also nichts anderes übrig, als anzunehmen, daß die Wassermassen auf demselben Wege, den der Polarstrom verfolgt, ihren Abfluß nehmen müssen. Als Merkwürdigkeit ist hier die Rinne zu erwähnen, welche die Jeannette-Expedition zwischen der Wrangel-Insel und den Neusibirischen Inseln fand. Sie erstreckte sich in nördlicher Richtung zum Teil mehr als 150 Meter tief, während sich beiderseits Tiefen von nur 80 – 100 Metern fanden. Unmöglich ist es wohl nicht, daß diese Rinne mit derjenigen zwischen Spitzbergen und Grönland zusammenhängt; [*] dadurch wäre die Richtung des Hauptstromes wenn nicht gegeben, so doch beeinflußt.
»Betrachtet man die Wind- und die Luftdruck-Verhältnisse über dem Polarmeer, so scheint aus ihnen hervorzugehen, daß sie einen Strom über den Pol in der angedeuteten Richtung verursachen müssen. Vom Atlantischen Ocean, südlich von Spitzbergen und Franz-Joseph- Land, erstreckt sich ein Gürtel niedrigen Luftdrucks (Minimumgürtel) in das Sibirische Eismeer.
»Nach bekannten Gesetzen müssen auf der Südseite dieses Gürtels die Winde vorherrschend die Richtung von Westen nach Osten haben; dies muß eine östliche Strömung längs der Nordküste Sibiriens verursachen, die sich auch, wie man weiß, vorfindet. [*] Die Winde auf der Nordseite des Minimumgürtels müssen dagegen vorzugsweise in der Richtung von Osten nach Westen wehen und werden also eine westlich gerichtete Strömung hervorrufen, die über den Pol nach dem Grönländischen Meer geht, wie früher bewiesen.
»Man sieht also, daß, von welcher Seite man diese Frage auch betrachte, man ungeachtet der speciellen entscheidenden Gründe, die vorliegen, auch auf deductivem Wege zu dem Schlusse kommen muß, daß ein Strom über den Pol oder sehr nahe an demselben vorüber in das Meer zwischen Grönland und Spitzbergen geht.
»Mit Rücksicht auf das Angeführte scheint es mir, als müsse der Versuch naheliegen, in diesen Strom auf derjenigen Seite des Pols einzudringen, wo er nach Norden geht, und mit seiner Hülfe in jene Gegenden zu gelangen, welche alle diejenigen, die früher gegen den Strom arbeiteten, vergebens zu erreichen sich bemüht hatten.
*
»Mein Plan ist in Kürze folgender: Ich beabsichtige, ein Schiff bauen zu lassen, so klein und so stark wie möglich; dasselbe soll gerade groß genug sein, um Kohlenvorrat und Proviant für 12 Mann auf fünf Jahre fassen zu können. Ein Fahrzeug von ungefähr 170 Tonnen (brutto) wird vermuthlich hinreichen. Es soll eine Maschine haben so stark, daß es in der Stunde 6 Seemeilen zurücklegen kann, aber außerdem soll das Schiff auch volle Segeltakelung besitzen.
»Das Wichtigste bei diesem Fahrzeuge ist, daß es nach einem Princip gebaut wird, wonach es den Druck des Eises aushalten kann. Es muß so schräge Seiten erhalten, daß das Eis bei seinen Pressungen keinen festen Halt gewinnen kann, wie dies der Fall war mit der »Jeannette« und andern Fahrzeugen, die arktische Expeditionen an Bord hatten, sondern das Eis soll es statt dessen in die Höhe heben. Es wird kaum einer großen Veränderung in der Construction bedürfen. Trotz ihrer ganz ungeeigneten Form hielt die »Jeannette« dennoch beinahe zwei Jahre lang den Eispressungen stand. Daß man einem Schiffe mit Leichtigkeit eine Form, wie hier angedeutet, geben kann, darüber wird niemand im Zweifel sein, der ein Fahrzeug während einer Eispressung gesehen hat. Aus demselben Grunde muß das Schiff auch klein sein; denn abgesehen davon, daß mit einem solchen leichter zu manövriren ist, wird es während der Pressungen auch leichter gehoben, gleichwie es auch eher gelingt, dasselbe besonders stark zu machen. Es muß selbstverständlich aus ausgesuchtem Material gebaut werden. Ein Schiff von der erwähnten Form und Größe wird kein gutes und bequemes Seefahrzeug werden, aber das ist von geringerer Bedeutung in einem mit Eis angefüllten Fahrwasser, von dem hier die Rede ist. Freilich muß das Schiff einen weiten Weg durch das offene Meer zurücklegen, ehe es so weit kommt. Aber so schlimm, daß man mit demselben überhaupt nicht vorwärts kommen könnte, wird es doch nicht werden, obschon seekranke Passagiere den Meeresgöttern ihren Tribut werden zollen müssen.
»Hat man erst ein solches Fahrzeug sowie eine Besatzung von 10, höchstens 12, kräftigen und im übrigen sorgfältig ausgesuchten Männern nebst einer auf fünf Jahre berechneten Ausrüstung, die in jeder Beziehung so gut ist, wie sie mit den Mitteln unserer Zeit beschafft werden kann, so glaube ich, daß das Unternehmen gesichert ist. Mit diesem Fahrzeuge versuchen wir durch die Bering-Straße und westwärts längs der Nordküste von Sibirien nach den Neusibirischen Inseln zu dringen, [*] so frühzeitig im Sommer, als die Eisverhältnisse es irgend gestatten.
»Bei den Neusibirischen Inseln angelangt, gilt es, die Zeit aufs beste zu benutzen, um die Strom- und Eisverhältnisse zu untersuchen, und dann den günstigsten Augenblick abzuwarten, der es erlaubt, in eisfreiem Fahrwasser am weitesten nordwärts zu gelangen. Dies kann nach den über die Eisverhältnisse nördlich von der Bering-Straße vorliegenden Berichten der amerikanischen Walfischfänger voraussichtlich im August oder Anfang September geschehen.
»Ist die rechte Zeit gekommen, so durchqueren wir das Eis nordwärts, soweit wir kommen. Daß wir auf diese Weise über die nördlichsten der Neusibirischen Inseln hinaus kommen können, darf man u.a. aus der Jeannette-Expedition schließen. Während die Expedition im Eise nördlich von der Bennett-Insel trieb, notirte De Long in seinem Tagebuch, daß sie dort »dunkeln Wasserhimmel« – das heißt einen Himmel, der den dunkeln Widerschein von offenem Wasser zeigt – auf allen Seiten um sich sahen. Es muß folglich, bis zu einem gewissen Grade wenigstens, für ein starkes Eisfahrzeug durchzukommen möglich sein.
»Dann muß man bedenken, daß die ganze Expedition von der Bennett-Insel bis zur sibirischen Küste in Booten reiste, teilweise in offenem Wasser. An der Küste fand bekanntlich der größte Teil von ihnen ein trauriges Ende, Nordenskiöld ging nicht weiter nach Norden als bis zu der südlichsten der genannten Inseln (Ende August 1878), aber hier war das Fahrwasser überall offen.
»Es ist also Wahrscheinlichkeit dafür vorhanden, daß wir im Stande sein werden, bei den Neusibirischen Inseln nordwärts zu dringen, und sind wir einmal so weit, dann sind wir auch mitten in dem Strome, dem die »Jeannette« ausgesetzt war; es gilt dann nur, sich weiter nach Norden durchzuarbeiten, bis man im Eise festsitzt. [*]
»Dann wählt man einen geeigneten Platz, vertäut das Fahrzeug gut und läßt das Eis sich um dasselbe herum auftürmen so viel es mag – je mehr, desto besser; das Schiff wird dadurch nur gehoben werden und wird sicher und fest sitzen. Daß das Schiff sich unter der Eispressung auf die Seite legen sollte, ist bis zu einem gewissen Grade möglich, aber kaum von Bedeutung. Von jetzt an besorgt der Strom die Beförderung, während das Schiff nicht länger ein Transportmittel ist, sondern zum Quartier wird, in welchem man reichlich Zeit hat, wissenschaftliche Beobachtungen anzustellen.
»Auf diese Weise wird die Expedition nach dem, was ich früher nachgewiesen habe, wahrscheinlich über den Pol und weiter ins Meer zwischen Grönland und Spitzbergen treiben. Hier werden wir, wenn wir den 80. Breitengrad erreichen, oder sogar früher, wenn es Sommer ist, Aussicht haben, das Schiff frei zu machen, und werden dann nach Hause segeln können. Sollte das Schiff jedoch vor der Zeit zerstört werden – wozu ja die Möglichkeit vorhanden ist, obschon sie mir sehr gering erscheint, wenn das Schiff auf die vorher angedeutete Weise gebaut wird –, so wird die Expedition dennoch nicht mislungen sein, denn die Rückreise muß trotzdem mit dem Strom über den Pol bis zum nordatlantischen Becken gehen. Es ist Eis genug vorhanden, um darauf zu treiben, und eine solche Fahrt haben wir früher schon versucht. Hätte die Jeannette-Expedition Proviant genug gehabt, und wäre sie auf der Eisscholle geblieben, auf der sie die später gefundenen Gegenstände zurückließ, der Ausgang der Expedition wäre sicherlich ein ganz anderer geworden, als er thatsächlich war!
»Das Fahrzeug kann bei einer Eispressung nicht so schnell sinken, daß nicht Zeit genug bliebe, um mit der ganzen Ausrüstung und dem Proviant auf eine starke Eisscholle überzusiedeln, die man schon im voraus für diesen Fall ausgewählt hat. Hier schlagen wir die Zelte auf, die wir zu dem Zweck mitgenommen haben. Um unsern Proviant und die übrige Ausrüstung uns zu erhalten, sammeln wir sie nicht an einer Stelle, sondern verteilen sie übers Eis und legen sie auf Holzflöße, die wir aus Bretern und Balken gebaut haben. Hierdurch wird vermieden werden, daß etwas von der Ausrüstung sinkt, wenn die Scholle darunter brechen sollte. Denn infolge des Berstens einer Scholle verloren die Männer der »Hansa«, die über ein halbes Jahr lang an der Ostküste von Grönland entlang trieben, einen Teil ihrer Ausrüstung.
»Damit eine solche Fahrt gelinge, bedarf es nur zweier Dinge: guter Kleider und vieler Nahrung, und dafür können wir Sorge tragen. Wir werden uns somit auf unserer Eisscholle ebenso sicher fühlen wie auf unserm Fahrzeuge und ebenso gut zum Grönländischen Meer gelangen können. Dort angekommen, wird der Unterschied nur der sein, daß wir anstatt mit dem Schiffe in unsern Booten fahren müssen, die uns jedoch ebenso sicher bis zum nächsten Hafen bringen können.
»Ich glaube demnach, daß überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür vorhanden ist, daß eine solche Fahrt gelingt.
»Manche werden jedoch gewiß einwenden: »In allen Strömungen befinden sich Gegen- und Nebenströme. Gesetzt den Fall, daß ihr in einen solchen hineingeratet oder vielleicht auf ein unbekanntes Land am Pol stoßt und dort festliegen bleibt, was wollt ihr dann machen?« Darauf kann ich nur antworten: Was den Gegenstrom betrifft, so müßten wir doch einmal aus demselben herauskommen, ebenso sicher, wie wir hineingeraten sind, und wir haben Proviant auf fünf Jahre! Und was die zweite Möglichkeit betrifft, so würde ein solches Ereignis; mit Freuden begrüßt werden; denn nicht leicht ließe sich ein Fleck unserer Erde von größerm wissenschaftlichem Interesse finden. Wir würden in dem neuentdeckten Lande so viele Beobachtungen als möglich sammeln. Sollten wir mit dem Schiffe nicht wieder in die Drift kommen und die Zeit verstreichen, so würde nichts anderes übrig bleiben, als dasselbe zu verlassen und zu versuchen, mit den Booten und der notwendigen Ausrüstung in den nächsten Strom zu gelangen, um auf die vorher angedeutete Weise wieder in die Drift zu kommen.
*
»Wie lange wird nun eine solche Reise dauern können?
»Wie wir früher gesehen haben, können die von der Jeannette-Expedition herrührenden Sachen höchstens zwei Jahre gebraucht haben, um auf demselben Wege bis zum 80. Breitengrad hinab zu treiben; dort dürfen wir also mit einiger Sicherheit darauf rechnen, vom Eise los zu kommen. Dies würde einer täglichen Fahrt von ungefähr 2 Seemeilen entsprechen.
»Es ist daher keine unmögliche Annahme, wenn wir erwarten, im Laufe von zwei Jahren das Ziel zu erreichen; möglich ist es ja auch, daß das Schiff schon in höhern Breiten, als hier vorausgesetzt, los kommen kann. Der auf fünf Jahre berechnete Proviant muß daher reichlich genügen. »Aber ist die Winterkälte in diesen Gegenden nicht so groß, daß ein Aufenthalt dort unmöglich sein wird?
»Dies ist nicht wahrscheinlich, ja wir können sogar mit ziemlich großer Sicherheit sagen, daß es am Pol selbst im Winter nicht so kalt ist wie z.B. im nördlichen Sibirien, das ja ein bewohntes Land ist, oder im nördlichen Teile der Westküste Grönlands, welcher gleichfalls bewohnt ist. Meteorologen haben ausgerechnet, daß die mittlere Temperatur am Pol im Januar ungefähr -36º C, unter Null sein wird, während sie z.B. in Jakutsk -42 C, in Werchojansk -48 C beträgt. Man muß bedenken, daß der Pol wahrscheinlich von Meer bedeckt ist, dessen Wärmeausstrahlung viel geringer ist als die so großer Landmassen, wie es die Ebenen Nordasiens sind. Die Gegend um den Pol hat somit aller Wahrscheinlichkeit nach ein oceanisches Klima mit verhältnismäßig milden Wintern, dafür aber kalte Sommer.
»Die Kälte in diesen Gegenden kann also kein directes Hindernis sein. Eine Schwierigkeit, mit der viele der frühern Expeditionen zu kämpfen hatten und die auch hier nicht übersehen werden darf, ist indessen der Skorbut. Während eines längern Aufenthalts in einem so kalten Klima wird diese Krankheit sich unstreitig leicht einstellen, wenn man keine Gelegenheit hat, frischen Proviant zu bekommen. Ich glaube jedoch, daß mit Sicherheit anzunehmen ist, daß die vielfachen, kräftigen Nahrungsmittel, die wir in unserer Zeit in Gestalt hermetisch verschlossener Conserven und dergleichen besitzen, sowie die uns zu Gebote stehende Kenntnis der dem Körper nötigen Stoffe uns in den Stand setzen werden, die Gefahr des Skorbuts fernzuhalten. Außerdem wird meiner Ansicht nach ein vollständiger Mangel an frischem Proviant in den Gewässern, die wir bereisen werden, nicht eintreten; wir können sicher darauf rechnen, Eisbären und Seehunde noch hoch im Norden, wenn nicht sogar beim Pol, zu finden. Noch ist zu erwähnen, daß das Meer gewiß Mengen von kleinen Tieren enthält, die uns im Nothfalle zur Nahrung dienen können.
»Man sieht, daß, welche Schwierigkeiten man auch als möglich aufstellt, diese doch nicht so groß sind, daß sie nicht durch sorgfältige Zusammenstellung der Ausrüstung, durch eine glückliche Wahl der Mitglieder und durch eine planmäßige Leitung der Expedition überwunden und dabei gute Resultate erzielt werden könnten. Wir werden ebenso sicher darauf rechnen dürfen, daß wir das offene Meer zwischen Grönland und Spitzbergen erreichen werden, wie daß wir in den ›Jeannette-Strom‹ bei den Neusibirischen Inseln gelangen können.
»Aber wenn nun dieser ›Jeannette-Strom‹ nicht gerade über den Pol führt, wenn er z.B. zwischen diesem und Franz-Joseph-Land hindurch geht, wie früher angedeutet, was tut die Expedition dann, um den Pol zu erreichen?
»Hier scheint in der Tat die Achillesferse des Planes zu stecken; denn wird das Fahrzeug in einer Entfernung von mehr als einem Grade (60 Seemeilen) am Pol vorbeigeführt, so kann es als höchst unklug oder unsicher erscheinen, das Schiff mitten im Strome zu verlassen, um mit Schlitten über rauhes, ebenfalls in der Drift befindliches Meereis einen so weiten Weg zurückzulegen... Hätte man auch den Pol erreicht, so würde es ganz unsicher sein, ob man das Schiff bei der Rückkehr wieder finden würde. Ich meine jedoch, daß dies von geringer Bedeutung ist; wir sind nicht hinausgezogen, um den mathematischen Punkt, der das nördliche Ende der Erdachse bildet, zu suchen – denn diesen Punkt zu erreichen, hat an und für sich nur geringen Wert – sondern, um Untersuchungen in dem großen unbekannten Teile der Erde, welcher den Pol umgibt, anzustellen, und diese Untersuchungen werden nahezu die gleiche große wissenschaftliche Bedeutung haben, ob die Reise über den mathematischen Pol selbst führt oder ein Stück davon entfernt bleibt.«
In diesem Vortrage hatte ich die wichtigsten Daten, worauf mein Plan sich gründete, dargelegt. In den folgenden Jahren fuhr ich fort, die Verhältnisse in den nördlichen Meeresteilen zu studieren, und erhielt fortwährend neue Beweise dafür, daß meine Annahme einer Drift quer durch das Polarmeer richtig sein müsse. In einem Vortrage, den ich am 28. September 1892 in der Geographischen Gesellschaft zu Christiania hielt, erwähnte ich einige derselben. [*]
Ich betonte, daß schon beim Betrachten der Dicke und Mächtigkeit des Treibeises auf beiden Seiten des Pols der Umstand auffallen müsse, daß das Eis auf der sibirischen Seite, nördlich von der sibirischen Küste, obgleich dieser Meeresteil zu den kältesten Strichen der Erde gehört, verhältnismäßig dünn ist (das Eis, in welchem die »Jeannette« trieb, war durchschnittlich nicht mehr als 2,2-3,1 Meter dick), während das auf der andern Seite aus dem Norden kommende Eis, im Meere zwischen Grönland und Spitzbergen, auffallend stark ist. Dies könnte meines Erachtens nur dadurch erklärt werden, daß das Eis beständig von der sibirischen Küste über das Polarbecken nach der Ostküste Grönlands und nach Spitzbergen treibt und während dieser Drift durch das unbekannte und kalte Meer Zeit hat, seine große Dicke teils durch Gefrieren, teils durch fortwährendes Zusammenstauen während der Eispressungen zu erlangen.
In meinem oben wiedergegebenen Aufsatze erwähnte ich, daß auch der auf diesem Treibeis gefundene Schlamm auf sibirischen Ursprung zu deuten scheine. Ich legte diesem Beweismittel damals keine große Bedeutung bei; aber bei spätern Untersuchungen, die ich auf meiner Grönlandfahrt angestellt hatte, zeigte es sich, daß der Schlamm schwerlich anderswoher stammen kann als aus Sibirien.
Dr. Törnebohm in Stockholm kam bei Untersuchung der mineralischen Bestandteile dieses Schlammes zu dem Schlusse, daß er zum großen Teil aus sibirischem Flußschlamm bestehen müsse. Er fand ungefähr 20 verschiedene Minerale darin. »Die Menge verschiedener Mineralbestandteile scheint mir«, sagt er, »darauf hinzudeuten, daß dieselben von einem ausgedehnten Landgebiet herrühren, und da liegt es nahe, an das nördliche Sibirien zu denken.«
Außerdem bestand der Schlamm mehr als zur Hälfte aus Humus oder Sumpferde. Interessanter als der Schlamm selbst waren aber die darin gefundenen Diatomeen, [*] die von Professor Cleve in Upsala untersucht wurden. Dieser sagt darüber:
»Die Diatomeen sind entschieden marinen Ursprungs (d.h. sie stammen aus Salzwasser), abgesehen von einzelnen wenigen Süßwasserformen, die mit dem Winde vom Lande gekommen sind. Die in diesem Staub enthaltene Diatomeenflora ist ganz eigenthümlich und sehr verschieden von derjenigen, die ich in den vielen Tausenden von mir untersuchter Proben gefunden habe, mit Ausnahme einer einzigen, mit welcher sie vollständige Übereinstimmung zeigt, nämlich mit einer Probe, die von Kjellman während der Vegafahrt auf einer Eisscholle bei Cap Wankarem in der Nähe der Bering-Straße gesammelt wurde.«
Arten und Varietäten sind in beiden Proben genau dieselben: Cleve konnte 16 Arten von Diatomeen bestimmen; diese kommen alle auch im Staube von Cap Wankarem vor, und 12 von ihnen sind nur von dort bekannt und von keinem andern Fleck der Erde. Dies war eine auffällige Übereinstimmung zwischen zwei so fernliegenden Punkten, und Cleve hat sicherlich Recht, wenn er fortfährt: »Es ist sehr merkwürdig, daß die auf Eisschollen zu findende Diatomeenflora aus der Nähe der Bering-Staße und an der Ostküste Grönlands so vollständig übereinstimmt und von allen andern sich unterscheidet; dies deutet auf eine bestehende Verbindung zwischen den Meeren östlich von Grönland und nördlich von Asien.«
»Durch diese Verbindung«, fuhr ich in meinem Vortrag fort, »wird also Treibeis jährlich quer über das unbekannte Polarmeer geführt. Auf eben diesem Eise muß eine Expedition denselben Weg machen können.«
Als dieser Plan vorgelegt wurde, fand er freilich auf manchen Seiten Ablehnung, besonders in Norwegen. Kräftig unterstützt wurde er von Professor Mohn, der ja durch seine Erklärung der Drift der Jeannette-Reliquien den Anstoß dazu gegeben hatte. Aber wie zu erwarten stand, stieß er meistens auf Widerspruch, auch außerhalb Norwegens, und die Mehrzahl der Polarreisenden und der arktischen Autoritäten erklärten mehr oder weniger offen, daß es »der reine Wahnsinn« sei. Im Jahre vor unserer Ausfahrt, im November 1892, legte ich meinen Plan der Geographischen Gesellschaft in London in einem Vortrage dar, bei welchem die bedeutendsten Polarreisenden Englands zugegen waren.
Nach dem Vortrage entspann sich eine Discussion, [*] die deutlich zeigte, in welch starkem Widerspruch ich stand zu den allgemein anerkannten Ansichten über die Verhältnisse im Innern des Polarmeeres, über die Navigation im Eise und über die Art und Weise, wie eine Polarexpedition unternommen werden müsse. Der hervorragende Polarforscher Admiral Sir Leopold M'Clintock eröffnete die Discussion mit der Bemerkung: »Ich glaube sagen zu dürfen, daß dies der kühnste Plan ist, von dem die Geographische Gesellschaft jemals Kenntnis erhalten hat.« Er räumte ein, daß die Tatsachen für die Richtigkeit meiner Theorien sprächen, zweifelte jedoch sehr, ob der Plan sich realisiren lassen würde. Besonders meinte er, daß die Gefahr, vom Eise erdrückt zu werden, zu groß sei. Man könne allerdings ein Schiff bauen, welches kräftig genug wäre, den Eispressungen im Sommer Widerstand zu leisten; sollten wir ihnen aber in den Wintermonaten ausgesetzt sein, wenn das Eis »mehr Felsen gleiche, die an den Seiten des Schiffes festgefroren«, so meinte er, daß »die Möglichkeit, aufs Eis hinauf zu gleiten, sehr fern liege«. Wie die meisten andern nahm er als sicher an, daß keine Wahrscheinlichkeit vorhanden sei, die »Fram« wiederzusehen, nachdem das Schiff sich einmal dem unbarmherzigen Polareis anvertraut habe.
Er schloß mit den Worten: »Ich wünsche dem Herrn Doctor ein baldiges volles glückliches Gelingen. Aber es wird für seine vielen Freunde in England eine Erleichterung sein, wenn er zurückgekehrt ist, zumal für diejenigen, welche einige Erfahrung haben in den Gefahren, die zu allen Zeiten von der Schiffahrt in den arktischen Gewässern untrennbar sind, selbst in Gegenden, die nicht so hoch im Norden liegen.«
Admiral Sir George Nares sagte: »Als anerkannter Grundsatz für eine glückliche Fahrt in den Regionen des Eises gilt, daß es absolut notwendig ist, sich dicht an eine Küstenlinie zu halten, und je weiter wir uns von der Zivilisation entfernen, desto wünschenswerther ist es, sich eine vernünftige, sichere Rückzugslinie freizuhalten. Eine völlige Beiseitesetzung dieses Grundsatzes ist die leitende Idee Nansen's, sein Schiff freiwillig ins Packeis zu führen – das Schiff, auf welches die ganze Hoffnung der Expedition gesetzt werden muß, wenn die Fahrt einigermaßen glücklich ausfallen soll. So wird der Führer, anstatt die Bewegungen des Fahrzeugs beherrschen zu können, gezwungen sein, sich hülflos umhertreiben zu lassen, genau wie es die natürlichen Bewegungen des Eises, worin er eingeschlossen ist, bedingen. Vorausgesetzt, daß die Meeresströmungen so sind, wie Nansen glaubt, wird die Zeit, welche für die Drift mit dem Eise durch das Polargebiet angesetzt werden muß, mehrere Jahre betragen. In dieser Zeit wird das Eis um das Schiff herum gewiß niemals in Ruhe sein, es sei denn, daß man neue Länder antrifft, und das Schiff selbst wird niemals vor der Gefahr sicher sein, von der Eispressung erdrückt zu werden. Um sich dagegen zu schützen, soll das Schiff, heißt es, ungewöhnlich stark werden und eine Form haben, die es besonders geeignet macht, gehoben zu werden, wenn das Eis gegen seine Seiten gepreßt wird. Dieser Gedanke ist durchaus nicht neu. Aber wenn man erst im Polareise eingefroren ist, hat die Form des Schiffes keinerlei Bedeutung. Es ist unverrückbar eingeschlossen und bildet einen Teil des Eisblocks, der es umgibt.
»Die Form des Schiffes ist in praktischer Hinsicht genau dieselbe wie die Form des Eisblocks, worin es eingefroren ist. Dies ist eine Sache von größter Bedeutung; denn es liegt kein Bericht vor, daß ein im Packeise eingefrorenes Schiff jemals, selbst im Sommer, daraus losgekommen und somit in den Stand gesetzt worden wäre, sich während der Eispressung als selbständiger Körper zu bewegen, ungehindert von dem umgebenden Eisblocke.«
Was die vermuthete Drift des Polareises anlangt, erklärte Nares, mit mir in der Hauptsache nicht übereinzustimmen. Er betonte, daß die herrschenden Winde für die Drift wesentlich bestimmend seien, und sagte:
»Mit Rücksicht auf die wahrscheinliche Driftrichtung kann die ›Fram‹, wenn sie von einem Punkte in der Nähe der Lena-Mündung ausläuft, erwarten, die Hauptmasse des Packeises nicht weiter nördlich als 76° 30' zu treffen. Ich bezweifle, daß Nansen weiter nach Norden kommen wird, ehe er eingeschlossen wird; aber wenn wir auch soviel als möglich annehmen und ihm 60 Seemeilen mehr geben, so wird er doch nur auf der Breite von Cap Tscheljuskin, 730 Seemeilen vom Pol und ungefähr 600 Seemeilen von der Grenze sein, die ich für die thatsächlich vorhandene Meeresströmung annehme, die ihn zurückbringen soll (es ist dies der Polarstrom, der längs der Ostküste Grönlands herabkommt). Nach eingehendem Studium aller vorhandenen Berichte glaube ich, daß die Winde das Schiff eher nach Westen als nach Osten treiben werden. Bei einem eiserfüllten Meere im Norden und offenem Wasser oder neugebildetem Eis im Süden sind die Chancen einer nördlichen Drift, wenigstens im Anfange, gering, und dann kenne ich keine Naturkräfte, die das Schiff in absehbarer Zeit viel weiter von der sibirischen Küste abbringen werden, als die ›Jeannette‹ getrieben wurde. Während dieser ganzen Zeit wird es in jeder Hinsicht unbeweglich im Eise eingeschlossen und dessen wohlbekannten Gefahren ausgesetzt sein, es sei denn, daß es von neuentdeckten Ländern geschützt wird. Kein Zweifel ist, daß eine Meeresverbindung über die Gegend weg, deren Untersuchung beabsichtigt ist, existiert.«
In einem Punkte erklärte sich jedoch Nares mit mir einverstanden: in der Auffassung, »daß es der Hauptzweck aller solcher Expeditionen ist, die unbekannten Polargegenden zu untersuchen, nicht aber genau den mathematischen Punkt, wo die Erdachse ihr nördliches Ende hat, zu erreichen«. [*]
Sir Allen Young sagte unter anderm: »Dr. Nansen nimmt an, daß der weiße Fleck um den Pol herum ein Becken von Wasser oder Eis ist; meiner Ansicht nach würde fast auf allen Seiten des Nordpols die größte Gefahr, die man zu überwinden hätte, Land sein. Die meisten frühern Reisenden scheinen mit dem Vordringen nach Norden stets mehr und mehr Land gesehen zu haben. Die Gegenstände der ›Jeannette‹ können durch enge Kanäle getrieben sein, um dann endlich an den Fundort zu kommen, und ich glaube, es wird eine höchst gefährliche Sache für ein Schiff sein, einen solchen Weg zu treiben, wo es gegen Land stoßen und jahrelang festgehalten werden kann.«
Über die Form des Schiffes sagt Allen Young, daß sie »nicht von großer Bedeutung ist«; denn wenn ein Schiff erst einmal ernstlichen Pressungen ausgesetzt ist, ist es die Frage, ob irgendeine Dünung oder Bewegung im Eise vorhanden ist, die das Fahrzeug heben kann. Wenn keine Dünung vorhanden, muß das Eis das Schiff zerdrücken, aus was immer dieses gebaut sein mag.«
Einige Autoritäten erklärten sich jedoch für meinen Plan. Es waren dies der Polarreisende Admiral Sir E. Inglefield und der Chef des englischen Hydrographischen Amts, Kapitän Wharton.
In einem Schreiben an die Geographische Gesellschaft sagte Admiral Sir George Richards aus Anlaß meines Vortrags: »Ich bedaure, mich über den Plan absprechend äußern zu müssen; aber ich glaube, daß ein jeder, der mit Autorität auftreten kann, seine Meinung gerade heraus sagen muß, wenn so viel auf dem Spiele steht.«