In was wir uns verlieben - Roman Simić - E-Book

In was wir uns verlieben E-Book

Roman Simić

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Beschreibung

Ein Sohn besorgt auf Wunsch seiner Mutter Blumen für die Beerdigung der Geliebten seines Vaters, zwei Liebende sind gefangen in einem Leben ohne Wahlmöglichkeiten, schmerzhafte Kindheitserinnerungen werden geweckt, als ein junger Mann mit seinem Vater im Garten des zerstörten Hauses arbeitet … Vor dem Hintergrund der politischen Ereignisse im zerfallenden Ex-Jugoslawien handeln Simićs Geschichten von Hoffnung und Enttäuschung, Treue und Verrat sowie der Unmöglichkeit, den anderen Menschen vollständig zu verstehen. »In was wir uns verlieben« wurde 2005 mit dem Jutarnji-List-Preis für das beste kroatische Prosawerk ausgezeichnet.

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Foto: Christian Kortüm (Partner +Propaganda)

ROMAN SIMIĆ, Jahrgang 1972, war Redakteur der bedeutenden kroatischen Literaturzeitschrift Quorum und ist Organisator und Programmdirektor des renommierten Festival of the European Short Story. Zweimal erhielt er den Goran-Preis für junge Dichter. Seine Erzählungen wurden ins Französische, Spanische, Schwedische, Slowenische, Polnische, Bulgarische, Litauische und Englische übersetzt. 2005 wurde ihm für »In was wir uns verlieben« der Jutarnji-List-Preis für das beste kroatische Prosawerk verliehen. Roman Simić gilt als eine der wichtigsten Stimmen der zeitgenössischen kroatischen Literatur.

IN WAS WIR UNS VERLIEBEN erzählt davon, wie ein Sohn auf Wunsch seiner Mutter Blumen für die Beerdigung der Geliebten seines Vaters besorgt oder wie zwei Liebende gefangen sind in einem Leben ohne Wahlmöglichkeiten, in dem sie ein Kind abtreiben mussten und nichts haben außer der Liebe zueinander. Simić beschreibt, wie schmerzhafte Kindheitserinnerungen geweckt werden, als ein Vater und sein Sohn im Garten ihres zerstörten Hauses arbeiten oder wie sich eine sorglose sommerliche Techno-Party unverhofft mit den Schrecken des Krieges vermischt. Vor dem Hintergrund der politischen Ereignisse im zerfallenden Ex-Jugoslawien handeln seine Geschichten von Hoffnung und Enttäuschung, Treue und Verrat, sowie der Unmöglichkeit, den anderen Menschen vollständig zu verstehen.

INHALT

Ein Rahmen für den Familienlöwen

Für einige Schritte sind wir glücklich

Der Geruch der Erde

Der Mann im Damenslip

Wir haben es getan, weil wir mussten

Die Zeit der Wunder

Drei Hunde

Der Aufstieg

Habt ihr von Mendoza gehört?

Valium

Kupa

In was wir uns verlieben

Meiner verstreuten Familie

EIN RAHMEN FÜR DEN FAMILIENLÖWEN

Für M.Maybe this film is about growing older.Robert Frank, Conversations in Vermont

Fotografien

Ich stelle mir bisweilen vor, dass wir jede Erinnerung wieder zurückholen können, so wie eine Fotografie, die beispielsweise erst drei Sommer später zur Entwicklung gegeben wird. Man kann die Orte und die Menschen erkennen, das Bild bewahrt immer noch die Farbe des Himmels, der karierten Tischdecke oder der Kleider, aber in dem Moment, da wir es aus dem Umschlag nehmen, ist Winter oder Herbst, es regnet, und es ist schwer zu erahnen, warum der Finger, der es festhielt, ausgerechnet in jenem Moment abdrückte und es in eine Notiz verwandelte, die deutlicher und nachhaltiger vom Vergessen als von der Erinnerung zeugt.

Ich lese die Erinnerungen an die Kindheit, die meine Schwester und ich mit unseren Eltern verbrachten, von einer Stadt in die nächste ziehend, aus Vaters Fotografien, von denen es – aus diesem schon unwirklichen Teil unseres Lebens – erstaunlich viele gibt. Fotografien der Wohnungen, in denen wir lebten, der Hinterhöfe, der Flure, der Fenster mit oder ohne Blick aufs Meer, Fotografien von Hunden und Katzen, den unterschiedlichsten Verwandten, von uns Kindern und schließlich von unserer Mutter.

Die Krankheit des Fotografierens ist die Schwäche der Erinnerung, schrieb mir Anja, die diese Krankheit zusammen mit einer alten Kiev und einigen Objektiven von unserem Vater geerbt hatte, auf der Rückseite einer Schwarz-Weiß-Fotografie. Anja lebt schon seit zehn Jahren in Amerika, und zwischen ihren Reisen und Geschäften schickt sie mir mehrmals im Jahr statt Briefen Fotos von Menschen und Städten, die auf wundersame Weise die Lücken unserer gemeinsamen Erinnerungen schließen.

Dieses Mal erscheint – aus einem dünnen Luftpostumschlag befreit – eine Szene, die in einem verschneiten amerikanischen Zoo aufgenommen wurde: ein Foto von einem Löwen. Von Schneeflocken gesprenkelt erscheint das Gesicht des Löwen vollkommen gelassen und friedlich, während sich im Hintergrund zwischen den Gitterstäben das vereiste Profil des Tierpflegers erahnen lässt. Das Vergessen im Käfig – steht auf der Rückseite. Nature vivante mit Tierpfleger. Im Winter. Nicht freilassen!

Wie schon so oft suche ich in den Familienalben, die auf dem Tisch herumliegen, in dem Bilderhaufen, ein Bild, das als Antwort darauf dienen könnte. Schließlich wähle ich eines von Anjas Portraits, ein Foto im Stil alter russischer Filme, aufgenommen auf einem italienischen Bunker in der Dämmerung, und ich schreibe dazu: Diesen Ort mochten wir besonders gern, sonntags, nach dem wir im Wald waren. Bei der Rückkehr roch es aus einem der Häuser nach gebackenen Kartoffeln und Hähnchen. Du setzt dich an die rechte Seite des Tisches, ich an die linke. Der Tisch ist ein zahmes Pferd aus Aluminium. Seine Beine reichen, im Gegensatz zu unseren, bis zum Boden. Das sieht man nicht auf dem Foto. Die Tapeten bestehen aus hellbraunem

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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