Inflation - Klaus-Wilhelm Hornberg - E-Book

Inflation E-Book

Klaus-Wilhelm Hornberg

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Beschreibung

Inflation is back. Billions spent by the state to deal with the coronavirus, energy policy transformation and the historical turning point or >Zeitenwende< are driving currency devaluation. After a long phase of price stability, is a similar danger looming as was the case 100 years ago? Inflation was and still is not just a practical financial topic, but also a highly emotional one. It leads to declining confidence in the state and its ability to maintain order - with all of its negative consequences. Klaus-Wilhelm Hornberg vividly describes an exciting chapter in German history, from inflation=s creeping emergence during the First World War to the hyperinflation of 1922/23. Documents and accounts by contemporary witnesses illustrate the social consequences. There are parallels to the present day, but also clear differences. What lessons can be learned from history?

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Inhalt

Cover

Titelei

1. Einleitung – das Geld ist das Schicksal

2. »Nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles« – die Golddeckung der Mark

Der Goldmechanismus – eine feste Burg

Die Goldeinlösungspflicht – die Solidität des Papiers

Die goldenen Jahre – die Stabilität der Gesellschaft

3. »Geld, Geld und außerdem Geld!« – die Bezahlung der Schlächterei

Die Kassenscheine – das Geld aus dem Nichts

Die Kriegsanleihen – die patriotische Geldanlage

Die Einkommen und Gewinne – der Krieg nährt das Volk

4. Kein Plan übersteht den ersten Schuss – die Illusion der Machbarkeit

Das Versagen der Organisation – die Schwarzmärkte und der Hunger

Die Hoffnung auf die Verlierer – der Feind zahlt alles

Der »Waffenstillstand auf zwanzig Jahre« – die Katastrophe von Versailles

5. »Jetzt kommt es aufs Geld nicht an ...« – die Revolution und die Republik

Die Republik aus Papier – die Überwindung des Chaos

Der Schlag ins Wasser – die Steuerreform

»Die Sonnenpferde der Zeit« – die Verarmung eines Volkes

6. Der Irrsinn wird Methode – die Geldflut spült ins Elend

Die Hoffnung stirbt zuletzt – der schleichende Niedergang

Die Bankrotterklärung – die fehlende Kreditwürdigkeit

Der Sturz ins Nichts – die Nullen geraten außer Kontrolle

7. Der Dämon wird vertrieben – der Glaube an das Gold (1923 – 24)

Roggen oder Land – der Plan für die Rettung

Die Alchemisten im Elfenbeinturm – das Versagen der Wissenschaft

Der Tag danach – die neue Normalität

8. Die Lehren aus der Inflation – das Geld bleibt das Schicksal

Quellen

Literatur

Abbildungsverzeichnis

Der Autor

Klaus-Wilhelm Hornberg, Diplom-Volkswirt und Historiker (Master of Arts), war in der Vermögensverwaltung führender Banken tätig und ist Autor von Fachbüchern zu Finanzthemen.

Die Kombination aus volkswirtschaftlichem – vor allem finanziellem – und geschichtlichem Wissen lenkte sein Interesse auf Themen an der Schnittstelle von Gesellschaft, Ökonomie und Politik. Seit dem sprunghaften Anstieg der Energie- und Lebensmittelpreise 2022 beschäftigt er sich intensiv mit der Inflation vor 100 Jahren und ihren Folgen und auch mit der aktuellen Geldentwertung.

Klaus-Wilhelm Hornberg

Inflation

Ein deutsches Trauma

1. Auflage

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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Umschlagabbildung: iStock/photoschmidt.com und Tuxyso/Wikimedia Commons/CC BY-SA 3.0 (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:1-Mark-1905-Front.jpg), »1-Mark-1905-Front«, Bildbearbeitung, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/legalcode1. Auflage 2024

Alle Rechte vorbehalten© W. Kohlhammer GmbH, StuttgartGesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:ISBN 978-3-17-044957-2

E-Book-Formate:pdf:ISBN 978-3-17-044958-9epub:ISBN 978-3-17-044959-6Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.

Für Hanna,Johann und Antoniaund meinen Bruder Michael, der dieses Buch nicht mehr erlebt hat

1. Einleitung – das Geld ist das Schicksal

Nicht »Die Politik ist das Schicksal« (Napoleon), sondern »Die Wirtschaft ist das Schicksal« (Walther Rathenau) gilt heute.1

Am Anfang ist es ein Rinnsal, kaum der Rede wert. Doch wenn es nicht gebremst, kontrolliert, gesteuert wird, untergräbt das Rinnsal, zu einer Flut anwachsend, die Fundamente von Gesellschaft und Staat. Das Rinnsal heißt Inflation.

Was ist Inflation? Warum ist sie gefährlich? Fragen, die sich aufdrängen, wenn historische und aktuelle Entwicklungen betrachtet werden und in Deutschland die Gemüter bewegen. Die Volkswirte erklären das Phänomen wirtschaftlich und finanziell. Dabei wird jedoch allzu leicht übersehen, dass Inflation, weil sie alle Menschen betrifft, auch eine gesellschaftliche und emotionale Komponente hat: die Angst vor dem Verlust der materiellen Basis des eigenen Lebens geht an niemandem vorbei.

Da alle Theorie grau ist, versuchen die Historiker, am Beispiel der Entwicklung in Deutschland zwischen 1914 und 1924 aufzuzeigen, welche Ereignisse eingetreten sind und wie sich daraus die Inflation entwickelt hat: zuerst ein schleichender Prozess – ein Rinnsal eben – der dazu diente, den Krieg zu bezahlen; dann ein süßes Gift, mithilfe dessen Arbeitsplätze und Löhne und damit der soziale Friede nach Kriegsende gesichert wurde um das Leben in Deutschland zu stabilisieren; schließlich ein Moloch, in dem alles versank, Einkommen und Existenz ebenso wie Zuversicht und Staatsvertrauen. Bis Ende 1923 die Währungsreform der zuletzt lawinenartigen Geldvermehrung ein Ende machte. Erst dann wurde das ganze Ausmaß der Zerstörung von Werten und Existenzen und die Verarmung der Nation sichtbar.

Deshalb ist die Inflation auch bis heute ein deutsches Trauma. Ein Trauma ist die Folge eines existenziell bedrohlichen Ereignisses oder einer Situation, in der sich die betroffene Person vollkommen hilflos fühlt. Das trifft auf die Inflation vor 100 Jahren zu. Die Zerstörung nicht nur der finanziellen Basis fast aller Menschen, sondern mehr noch die Unterhöhlung der bis dahin als unerschütterlich geltenden Grundsätze der Gesellschaft war eine traumatische Erfahrung: der Verlust des Vertrauens in den Staat, die Gesetze, die materielle Sicherheit und die Zukunftsperspektiven. Denn Geld, das versucht dieses Buch unter anderem zu zeigen, ist vor allem Vertrauen in seinen Wert und seine Stabilität. Dieses Vertrauen ist in hohem Maße eine psychologische Größe und nicht nur eine Sache von Berechnung und Statistik. Der Vertrauensverlust vor 100 Jahren hat sich tief in die Erinnerung der Deutschen eingegraben, denn die Inflation traf fast jeden und ist noch heute Teil von Familien- und Unternehmensgeschichten.

Manches aus dieser Zeit ähnelt den Nachrichten, die auch heute die Medien prägen: steigende Rohstoff- und Energiepreise, Sondervermögen außerhalb des Staatshaushalts, staatliche Eingriffe in die Wirtschaft, Preiskontrollen, Preisdeckelungen, Lieferengpässe. Sicher sind die Regierungen nicht für alle Ursachen von Preissteigerungen haftbar zu machen, aber die Stabilität des Geldes ist stets auch ein Gradmesser für die Stabilität des Staates. Zwar sind die Parallelen der aktuellen Situation mit der Entwicklung vor 100 Jahren mit Vorsicht zu betrachten, doch ganz ausblenden kann man sie nicht.

So sind die Lohnzuwächse in den letzten zehn Jahren bis zur Hälfte von der Inflation »aufgefressen« worden und in vier Jahren (2020, 21, 22 und 23) hat die Inflation die Lohnentwicklung auf Null reduziert oder sogar ins Negative verkehrt: mehr Inflation als Lohnzuwachs! Das Gefühl, sich weniger leisten zu können als noch zehn Jahre vorher, resultiert aus dieser Entwicklung. Die Inflation ist zum stetigen Begleiter geworden. Wir sollten diese Entwicklung ernst nehmen, auch wenn der Vergleich von gestern mit heute einige wichtige Unterschiede aufzeigt. Vor allem ist das Wissen über inflationäre Prozesse heute unvergleichlich größer als vor 100 Jahren. Daher ist Regierungen und Notenbanken klar, dass Inflation keine Probleme löst, sondern im Gegenteil neue schafft. Die Notenbanken handeln unabhängig von der Politik und sind der Geldwert-Stabilität verpflichtet, nicht dem Finanzminister. Vor allem reagiert aber die Bevölkerung sensibel auf Preissteigerungen und würde einen fahrlässigen Umgang mit Preissteigerungen an der Wahlurne bestrafen. Besonders in Deutschland ist die Inflation immer noch ein Thema, dem große Aufmerksamkeit entgegengebracht wird – die Erinnerung an die Inflation vor mehr als 100 Jahren wirkt bis heute nach!

Das ist der wesentliche Unterschied zwischen der Zeit von 1914 – 1923 und heute: 1914 wussten die Deutschen nicht, was Inflation ist. Seit 1871 hatte das Reich als Basis des Geldes Gold benutzt. Die Mark war – wie die Währungen der meisten europäischen Staaten und der USA – mit Gold unterlegt und damit solide, so solide, dass der Brockhaus in seiner Ausgabe von 1908 den Begriff »Inflation« gar nicht enthielt.2 Die Mark, auf Gold gebaut, von der hochangesehenen Reichsbank kontrolliert, war für die Bevölkerung des Reiches das »währende, bleibende, unverrückbare.«3

Nach einer – damals wie heute – über 30-jährigen Phase der Entspannung, internationalen Zusammenarbeit und niedriger Zinsen bei stabilen Preisen kann man das verstehen. Schließlich geht es uns heute nicht viel anders. Mit Kriegsausbruch begann aber die Geldentwertung und zog sich über 10 Jahre hin, bis zu ihrem bitteren Ende. Die Entwicklung zeigt, was passiert, wenn Inflation nicht genügend und nicht frühzeitig beachtet wird. Dieses Buch versucht, das Geschehen nachzuvollziehen und die Wirkung auf Politik, Wirtschaft und Gesellschaft darzustellen. Es versucht auch zu erfassen, warum es nicht gelang, die Inflation unter Kontrolle zu bringen, als sie ihre zerstörerische Wirkung noch nicht voll entfaltet hatte.

Heute schauen wir auf die Zeit und ihr Geschehen zurück und schütteln über manches den Kopf. Hat denn niemand die Gefahren des Gelddruckens erkannt? Manche Ereignisse machen auch nachdenklich: Hätten wir in bestimmten Situationen anders gehandelt? Tatsächlich hatten die handelnden Personen oft nur die Wahl zwischen »Pest und Cholera«. Zugleich werden wir heute Zeugen von Entwicklungen, die an die Vergangenheit denken lassen. Der Staat hat sich in der Corona-Zeit erheblich neu verschuldet und die veränderte Sicherheitslage verlangt aktuell und vermutlich auch in der Zukunft deutlich größere Anstrengungen für den Schutz unseres Landes. Die Rückübertragung von Produktionskapazitäten für sensible Güter aus fremden Ländern nach Europa wird die Produktion verteuern. Die Unsicherheit von Handelswegen und Handelspartnern wird die Importpreise und Transportkosten steigen lassen.

Wo liegen die Parallelen zu damals? Wir befinden uns nicht direkt im Krieg, aber wir müssen erheblich mehr für die Sicherheit ausgeben. Wir werden nicht belagert, aber wir müssen die Kosten für eine stärkere Unabhängigkeit von ausländischen Lieferungen stemmen. Deutsche Produkte sind in aller Welt gefragt, aber die jüngsten Entwicklungen zeigen, z. B. in der Automobilindustrie, wie schnell sich das ändern kann.

Auch wenn aktuell kein Grund zu großer Sorge zu bestehen scheint, wäre es doch gut, wenn Politik, Wirtschaft und Gesellschaft dem Thema Inflation und Inflationsgefahr größere Beachtung schenken würden. Denn die Verschuldung des Staates (Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherung einschließlich Nebenhaushalte) steigt spürbar. Die aktuellen 2,3 Billionen Euro4 sind eine abstrakte Größe. Wer kann sich eine solche Schuldenmenge vorstellen? Konkreter wird es, wenn man die Verschuldung auf die Bevölkerung umlegt. Pro Kopf hat sich die Staatsverschuldung seit 1995 verdoppelt: von 25.100 DM auf 25.300 Euro!5

Allerdings ist die Wirtschaftsleistung Deutschlands über viele Jahre stärker gestiegen als die Schulden: von 2013 bis 2020 sanken die Schulden in Prozent des Brutto-Inlandprodukts von 80 % der inländischen Wirtschaftsleistung auf unter 60 %. Erst Corona beendete den positiven Trend und heute liegt die Bundesrepublik mit 65 % wieder deutlich über dieser 60 %-Marke. Und das hat handfeste Gründe:

Der Verteidigungsbereich, lange Zeit ein Stiefkind der staatlichen Vorsorge, muss deutlich aufgestockt werden. Im Kalten Krieg lagen die Verteidigungsausgaben zwischen 3 – 4 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) mit einer Spitze von fast 5 % Anfang der 60er Jahre.6 So teuer wird es in Zukunft hoffentlich nicht wieder, aber es ist zu bezweifeln, dass die jetzt angestrebten 2 % ausreichen werden.

Die Energiewende kostet ebenfalls viel Geld, das die Verbraucher zahlen und die Energie in Deutschland verteuert, also preiserhöhend wirkt. Sollen die Treibhausgasemissionen bis 2050 um 80 % gesenkt werden, steigen die Mehrkosten im Vergleich zu einem »business-as-usual«-Szenario je nach Studie um 15 bis 70 Milliarden Euro jährlich an. Das entspricht zwischen 0,5 bis rund 2 % des heutigen Bruttoinlandsproduktes.7

Die Sozialausgaben des Bundeshaushalts sind 2024 bei 222 Mrd. Euro angekommen.8 Eine Reduzierung dieser Position ist nicht zu erwarten, weil sie politisch schwer durchsetzbar ist.

Es gibt also keinen Grund, sich zurückzulehnen. Das unabhängige Wirtschaftsforschungs-Institut CESifo hat bereits 2013 errechnet, dass die Bundesrepublik selbst bei niedrigen Zinsen und starkem Wachstum die aufgelaufenen Schulden nicht wird tilgen können.9 Sollte diese These zutreffen, werden wir also Altschulden vor uns herschieben und zudem neue hinzufügen. Das Land steht vor der großen Herausforderung, seine Finanzen langfristig unter Kontrolle zu halten. Es ist ein Gebot der finanziellen Verantwortung, mit weiteren Ausgaben vorsichtig zu sein. Allein schon die notwendigen Aufwendungen werden teuer genug!

Angesichts der traumatischen Erfahrungen, die unsere Vorfahren vor 100 Jahren machen mussten, ist es nicht verwunderlich, dass in Deutschland das Thema »Inflation« immer noch mit weit größerer Sensibilität aufgenommen wird als bei unseren Nachbarn, denen diese Erfahrung von Unsicherheit, Armut und Perspektivlosigkeit erspart geblieben ist. Im kulturellen Gedächtnis der Deutschen ist tief verankert, dass die Inflation nicht bloß eine finanzielle Angelegenheit war, sondern die Grundlagen von Gesellschaft, Wirtschaft und Politik untergrub und ernsthaft gefährdete. Der Gesellschaft wurde nicht nur materiell, sondern auch mental »der Boden unter den Füßen« weggezogen und Menschen, die bis dahin in Sicherheit gelebt hatten, blickten in den Abgrund von Armut und zerstörter Zukunft.

Deutschland hat auch erlebt, wie das einen idealen Nährboden bildete für radikale Parteien, Demagogen und Hetzer, mit einfachen Erklärungen (so hieß es: »die Juden/Kommunisten/Kapitalisten sind schuld«) und noch einfacheren Lösungen (»Revolution/Enteignung/Umverteilung und alles wird gut«). Stefan Zweig schrieb in seinen Erinnerungen:10

Nichts hat das deutsche Volk – dies muss immer wieder ins Gedächtnis gerufen werden – so erbittert, so hasswütig, so hitlerreif gemacht wie die Inflation.

Auf der anderen Seite weiß die kulturelle Erinnerung auch, welche Erleichterung von der Währungsreform ausging, von dem Moment, als ein Brötchen nicht mehr Milliarden Papiermark, sondern wie in einer scheinbar längst entschwundenen Zeit wieder nur wenige Pfennige kostete und der Irrsinn endlich vorbei war. »Unglaublich« kommentierte Sebastian Haffner dieses Erlebnis.11

Die Geschichte nahm ein gutes Ende, irgendwann, endlich, siegte die Vernunft, wurden schmerzhafte, aber notwendige Schritte eingeleitet und der Inflationsspuk beendet. Doch der Weg dahin, die zehn (!) Jahre der Entwertung, der Sorgen, der Verarmung, der Zukunftsangst waren lang und hatten große Opfer gefordert. Es waren nicht nur die Schwachen und Wehrlosen, sondern auch die zuvor Starken und Wohlsituierten, die diese Opfer bringen mussten, um den Preis der eigenen Existenz und Lebensfreude.

Gerade weil wir heute in großem Wohlstand leben, sollten wir die Stabilität von Währung und Wirtschaft, Staat und Gesellschaft nicht als selbstverständlich betrachten, sondern uns an die Vergangenheit erinnern und achtsam sein. Dies ist die einzige Möglichkeit zu verhindern, dass Geschichte sich wiederholt!

Endnoten

1Solmssen, Georg, Deutsche Politik und Wirtschaft 1916 – 1933, Bd. 1, München 1934, S. 247.

3Lewinsohn, Richard, Die Umschichtung der europäischen Vermögen, Berlin 1925, S. 12.

4Statistisches Bundesamt, Statista 2024, Staatsverschuldung von Deutschland von 1950 bis 2023 (in Mrd. Euro). https://de.statista.com/statistik/daten/studie/154798/umfrage/deutsche-staatsverschuldung-seit-2003/

5Bund der Steuerzahler, Schuldenuhr, https://www.steuerzahler.de/aktion-position/staatsverschuldung/dieschuldenuhrdeutschlands/?L=0.

6Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI), zit. nach: Statista 2024, Anteil der Militärausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) von Deutschland. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/183106/umfrage/anteil-der-militaerausgaben-am-bip-in-deutschland/

7Energiesysteme der Zukunft, BDI und DENA, Expertise bündeln, Politik gestalten – Energiewende jetzt! Essenz der drei Grundsatzstudien zur Machbarkeit der Energiewende bis 2050 in Deutschland, Berlin 2019, https://energiesysteme-zukunft.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/PDFs/Gemeinsame_Empfehlungen_von_ESYS_BDI_und_dena.pdf, S. 16.

8Bundesfinanzministerium, Monatsbericht Juli 2024, Berlin, https://www.bundesfinanzministerium.de/Monatsberichte/Ausgabe/2024/07/Inhalte/Kapitel-4-Wirtschafts-und-Finanzlage/4-3-entwicklung-des-bundeshaushalts-juni-2024.html#doc414782bodyText2.

9Deutsche Wirtschafts Nachrichten, Berlin, 23. 05. 2013. http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2013/05/22/deutsche-schulden-koennen-nicht-mehr-durch-wachstum-abgebaut-werden/.

10Zweig, Stefan, Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers, Köln 2013, S. 417 f.

11Haffner, Sebastian, Geschichte eines Deutschen. Die Erinnerungen 1914 – 1933, München 2000, S. 65 f.

2. »Nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles« – die Golddeckung der Mark

»Die deutschen Großstädte haben sich glücklich in der Zeit entwickelt, als das fortschrittliche Bürgertum, gesichert durch ein in vernünftigem Maße beschränktes Wahlrecht, die Majorität in den Rathäusern stellte.«12

Die Stabilität der Währungen – nicht nur der deutschen Mark – gründete bis zum Kriegsausbruch 1914 auf zwei Faktoren, die sich gegenseitig ergänzten: Vertrauen und Gold. Das Vertrauen war ein Vertrauen in den Staat, dem man glaubte, dass er für vorgelegtes Geld den Gegenwert in Gold aushändigen würde. Also gab es keinen Grund, diese Goldeinlösepflicht auszuprobieren. Das Vertrauen war da.

Das war auch gut so, denn wären die Bürger des Reiches gekommen, um ihr Geld einzutauschen, wäre die Reichsbank bald in Verlegenheit geraten: die Golddeckung der Mark betrug ein Drittel der umlaufenden Geldmenge, die Umtauschpflicht hätte also nur zu einem Drittel erfüllt werden könne. Aber man wollte sein Geld ja gar nicht eintauschen. Man hatte Vertrauen in den Staat.

Der Goldmechanismus – eine feste Burg

Im Jahr 1871 war im Deutschen Reich der Goldstandard eingeführt worden. Es war dies eine Folge der Reichsgründung. Das geeinte Reich benötigte eine einheitliche Währung, um finanziell und wirtschaftlich ohne das Hindernis unterschiedlicher Zahlungssysteme zusammenwachsen zu können. Ein Teil der französischen Reparationszahlungen von 4,5 Milliarden Franc aus dem Krieg von 1870/71 wurde als Goldreserve bei der Reichsbank hinterlegt. Zusammen mit weiteren Zukäufen am Goldmarkt wurde so eine Goldbasis von einem Drittel des umlaufenden Geldes geschaffen. Per Gesetz war garantiert, dass Papiergeld und Münzen jederzeit in Gold getauscht werden konnten, sofern gewünscht. Die übrigen zwei Drittel der deutschen Geldmenge waren durch Handelswechsel gedeckt, deren Einlösung das Hauptgeschäft der Reichsbank ausmachte.13

Da der Goldstandard in allen Industriestaaten eingeführt worden war, folgte daraus für Handel und Industrie ein System fester Wechselkurse. Und da alle Länder die gleiche Basis für ihr Geld verwendeten, war es ein Einfaches, den exakten Tauschkurs für die Währungen zu errechnen. Man musste nur die Goldmenge, mit der die einzelnen Währungen unterlegt waren, miteinander vergleichen und konnte sagen, wie viele Französische Francs, Englische Pfund oder Italienische Lira man für eine Mark bekommen würde. Das erleichterte den stark wachsenden internationalen Handel auf der Finanzierungsseite erheblich.

Das System hatte allerdings auch Schwächen. Die Golddeckung der Währungen hing von der Goldproduktion ab. Wenn eine wachsende Wirtschaft auch eine größere Geldmenge benötigte, um den zunehmenden Güterverkehr bezahlen zu können, musste zusätzliches Gold gekauft werden. War das knapp, stieg der Goldpreis. Aufgrund der Goldfunde in den USA wuchs die Goldförderung von ursprünglich 15 Tonnen bis Mitte des 19. Jahrhunderts auf 209 Tonnen und blieb auf diesem Niveau.14 Es war aber abzusehen, dass die Goldförderung langfristig nicht mit dem Wirtschaftswachstum mithalten konnte. Des Weiteren liefen die internationalen Finanzströme so reibungslos, weil die Leitwährung das Britische Pfund war. Es galt als »as good as gold« und war der Standard im Zahlungsverkehr, da Großbritannien mit seinem Kolonialreich den weltweiten Handel beherrschte. Doch die Zeit, in der die britische Währung das Maß der Dinge war und alle anderen Währungen sich mit ihren Zahlungsmodalitäten und Zinssätzen danach richteten, gingen dem Ende entgegen. Frankreich und das Deutsche Reich und auch andere Staaten strebten nach größerer Unabhängigkeit von der britischen Dominanz. Das Pfund Sterling war nicht nur die Leitwährung, sondern der Zinssatz, den die Bank of England festlegte, war darüber hinaus bestimmend für die übrigen Industrienationen. Doch die wachsende wirtschaftliche Stärke unter anderem des Deutschen Reiches und die damit einhergehenden ausgeprägteren inländischen Konjunkturzyklen machten in all den aufstrebenden Ländern eine eigenständigere Finanzpolitik notwendig. Daher funktionierte der scheinbar felsenfeste Goldblock nicht so lehrbuchmäßig, wie er eigentlich hätte sollen. Erhöhte die Bank of England zum Beispiel die Zinsen, um im Vereinigten Königreich die Konjunkturentwicklung zu bremsen, mussten die anderen Länder nachziehen. Wenn nicht, drohte ein Abfluss an Gold (Mark wurde in Gold, das Gold in Pfund Sterling getauscht), um es in England zu höheren Zinsen anzulegen. Doch die Zinsentwicklung in England war nicht auf die deutsche oder französische Wirtschaft ausgelegt. Und so traten Berlin und Paris zunehmend in Konkurrenz zu dem alten Bankenplatz und strebten nach größerer Unabhängigkeit.

Die Wissenschaftler begannen sich Gedanken zu machen, wovon die Stabilität des Geldes abhängen sollte, wenn nicht vom Gold. Doch erste Gedanken, die Währung nicht mehr physisch durch Gold, sondern durch gesetzliche Garantien, also nominal zu besichern, stießen auf wenig Gegenliebe. Konservative Fachleute lehnten es ab, ein neues System einführen, da das bisherige sich bewährt hatte und die sich abzeichnenden Probleme noch nicht gravierend waren. Sollte das dynamische Wirtschaftswachstum anhalten, würde man zusätzliche Goldreserven anlegen, um die erhöhte Geldmenge, die man dann benötigte, zu besichern. Kein Grund also, höchst theoretische Gedanken jetzt umzusetzen. Im Gegenteil: das würde nur zu Unruhe in Wirtschaft und Finanzwelt führen. So wie es war, schien es gut!

Die Goldeinlösungspflicht – die Solidität des Papiers

Gold – das war das Solide, Dauerhafte, Unzerstörbare. Der Nimbus des Goldes hält bis heute an und in Krisen steigt der Preis des Goldes, als ob es eine Versicherung gegen die Unsicherheit der Gegenwart bieten könnte. Das mag ein Überbleibsel der Zeit sein, als die aufstrebenden Industriestaaten ihre Währung mit Gold besicherten. Damit war eine vertrauenswürdige Grundlage für das Geld geschaffen: Der Goldpreis war von der Regierung unabhängig und Gold war eine stabile Größe. Das Vertrauen, das der neuen Reichswährung entgegengebracht wurde, war flankiert von einem stetigen Wachstum der Wirtschaft und des allgemeinen Wohlstands. Von 1850 bis 1913 stieg das Netto-Inlandsprodukt in Deutschland um das Fünffache, das war eine durchschnittliche Wachstumsrate von 2,6 % pro Jahr.15 Das klingt wenig spektakulär, doch der außerordentlich lange Zeitraum von 64 (!) Jahren, in dem dieses Wachstum – wenn auch unter Schwankungen – stattfand, machte das Deutsche Reich zu einer führenden Wirtschaftsnation in der Welt. Nach dem Krieg erinnerte man sich sehnsüchtig an die finanzielle Stabilität und wirtschaftliche Prosperität. Ein »verlorenes Paradies«, so schien es, und der Wunsch nach der Wiedereinführung einer goldgedeckten Währung blieb lebendig.

Als der Krieg ausgebrochen war, wurde am 4. August 1914 die Goldeinlösungspflicht der Reichsbank aufgehoben, die Golddeckung der Mark blieb jedoch aufrechterhalten. Der Goldbestand der Reichsbank wurde sogar erhöht, um dem neutralen Ausland gegenüber die Stabilität und Solidität der Mark beweisen zu können. Dazu wurden die Bürger mit großem propagandistischem Aufwand motiviert, ihre Goldmünzen der Reichsbank gegen den gleichen Betrag in Papiergeld zu übergeben. Und tatsächlich gaben viele Deutsche, patriotisch und staatstreu, Gold für Papier. Doch trotz der beeindruckenden Erfolge der Umtauschaktionen schätzte mancher Bürger einige solide Goldmünzen doch höher als patriotische Gesten: von den rund 5 Mrd. Mark, die als Goldmünzen im Umlauf waren, wurden bis Ende 1914 ganze 2 Mrd. Mark umgetauscht!16 Diejenigen, die ihre Goldmünzen behielten, sollten ihre Skepsis gegenüber dem Papiergeld bald bestätigt finden.

Die goldenen Jahre – die Stabilität der Gesellschaft

Genauso solide wie die Währung schien auch die Gesellschaft. Nachdem das Kaiserreich zusammengebrochen war und die Wirren von Revolution, Inflation und unsicherer Zukunft die Menschen ängstigten, strahlte die »gute alte Zeit« Verlässlichkeit und Solidität aus – wie die Goldmünzen, mit denen man gezahlt hatte. In der Tat war die Gesellschaftsordnung des wilhelminischen Deutschland festgefügt und stabil. Der wirtschaftliche Aufstieg des Reiches nach seiner Gründung 1871 überzeugte selbst Skeptiker von der Stärke und Dynamik dieser jungen Nation, die erst so spät zu sich gefunden hatte. Die »Deutsche Stärken« waren Bevölkerungswachstum, Rechtsstaatlichkeit, industrieller Erfolg und Bildung.17

Dieser Anstieg an Wohlstand und Selbstbewusstsein basierte auf einer unabhängigen Justiz, einer funktionierenden Verwaltung und einer stetig verbesserten Infrastruktur.18 Durch die Bismarcksche Sozialgesetzgebung hatten die Arbeiter einen aus heutiger Sicht bescheidenen, für damalige Verhältnisse allerdings vorbildlichen Schutz vor Krankheit, Unfall und Altersarmut. Zugleich wurde die SPD bei aller Rhetorik zu einer Partei, die sich mit dem Staat aussöhnte und die Gedanken an Revolution und Umsturz stillschweigend zu den Akten legte. Ebenso die Gewerkschaften: so wie die Arbeiter Anschluss an den modernen Staat fanden, änderten sie ihre Ziele und wollten Reform statt Revolution.19

Das Bürgertum besetzte die Führungspositionen in Verwaltung, Schulen, Universitäten und der Industrie und teilte sich auf in ein Bildungs- und ein Wirtschaftsbürgertum. Der Deutsche Reichstag – das Parlament des Deutschen Reiches – wurde von allen männlichen Bürgern des Reiches in gleicher und geheimer Wahl gewählt. In den Einzelstaaten des Reiches und in den Kommunen dagegen galt das Drei-Klassen-20 bzw. das Zensuswahlrecht.21 So war sichergestellt, dass die besitzenden sozialen Schichten, also Adel und Bürgertum, die beherrschende Stellung in Politik, Verwaltung und Wirtschaft einnahmen und die Entwicklung des Gemeinwesens auf kommunaler und Länderebene nach ihren Vorstellungen gestalten konnten. Diese beherrschende Position wurde allerdings zunehmend in Frage gestellt, als die aufstrebende Industrie immer mehr qualifizierte – und entsprechend gut bezahlte – Arbeiter benötigte, von denen nach und nach immer mehr die Bedingungen des Drei-Klassen-Wahlrechts erfüllten, sodass ihre politischen Vertreter – in der Regel Abgeordnete der SPD – in den Parlamenten immer stärker Einfluss auf das politische Geschehen nehmen konnten. Die bürgerlichen Parteien mussten daher zunehmend auf diese neu entstehende Wählerschicht eingehen. Die politischen Verhältnisse begannen sich zu wandeln!

Der Adel dagegen konnte mit der Dynamik der Entwicklung nicht mithalten: Von den traditionellen Positionen in Politik, Diplomatie und Militär abgesehen fiel er in der Bedeutung für die Entwicklung des Reiches immer mehr zurück. Selbst beim Militär wurde seine Stellung zusehends schwächer: Vor Kriegsausbruch waren bereits knapp 70 % der Offiziere bürgerlicher Herkunft.22

Die wilhelminische Gesellschaft war von bürgerlichen Wertvorstellungen wie Leistung, Erfolg, Fleiss und Kultur geprägt. Die Entwicklung des Reiches führte auch zu einer Erweiterung der bürgerlichen Schicht. Es entstand die neue Gruppe der technischen und kaufmännischen Angestellten.23 Sie verdienten ihren Lebensunterhalt durch geistige statt körperliche Arbeit und standen sozial zwischen Unternehmern und Arbeiterschaft. Abfällig wurde diese Gruppe auch als »Stehkragen-Proletariat« bezeichnet. Es war ein weiteres Zeichen der wirtschaftlichen Dynamik des Kaiserreiches: die wachsenden Unternehmen benötigten auf allen Ebenen mehr Verwaltungspersonal. Von 1882 bis 1907 verdoppelte sich die Zahl der Arbeiter, die Zahl der Angestellten versechsfachte sich!24

Auch an den Universitäten änderten sich die Verhältnisse: Der Einfluss der Professoren aus den klassischen Fächern (Philologie, Philosophie, Geschichte, Alte Sprachen, Theologie) nahm ab, die »Mandarine«25 verloren ihre herausgehobene Position als Wahrer von Bildung und Kultur. Es war Kaiser Wilhelm II. selbst, der mit dem Satz, das Land brauche »keine jungen Griechen und Römer, sondern tüchtige Deutsche«,26 zu einer stärker praktisch orientierten Schul- und Universitätsausbildung aufrief. Jedoch galt, unabhängig von allen Debatten: »Auf dem Gipfel der Menschheit und Geschichte stand eine deutsche Universität, stand ihr Absolvent, der Bildungsbürger«.27 Die Wirtschafts- und Bildungsbürger definierten sich über Leistung, Wohlstand und den humanistischen Geist und genossen hohes Ansehen. Dabei wurde wirtschaftliche Leistung zwar bewundert, doch Bildung war das herausragende Merkmal des Bürgertums. Mit zunehmender wirtschaftlicher Dynamik hob sich das Wirtschaftsbürgertum immer stärker vom bescheidenen Einkommensniveau der Bildungsbürger ab.28 Doch unabhängig von den Trennlinien des Einkommens und Vermögens war es die bürgerliche Kultur, die das Recht, die Öffentlichkeit, das Vereinswesen, den Wohnstil, die Literatur und die Kunst dominierte.29 Insgesamt machte um die Jahrhundertwende das Wirtschaftsbürgertum 3 – 5 % der Bevölkerung aus, das Bildungsbürgertum 1 % und das Kleinbürgertum rund 25 %.30 Die bürgerliche Schicht umfasste also insgesamt rund 30 % der Bevölkerung. Aufgrund des herrschenden Wahlrechts war die bürgerliche Mehrheit noch unangefochten: in Frankfurt, einer wohlhabenden, bürgerlich dominierten Stadt, hatten die konservativ-liberalen Parteien am Vorabend des Krieges zusammen eine Mehrheit von 48 der insgesamt 71 Sitze der Stadtverordnetenversammlung.31 Dieser Erfolg war dem Wahlkampf geschuldet, in dem die bürgerlichen Parteien einen Teil der Positionen der SPD übernommen hatten. Je stärker die SPD wurde, desto stärker mussten die bürgerlichen Parteien auf die Anliegen der Arbeiterschaft eingehen.

Die feinen Risse, die sich vor dem Krieg zeigten, hatten keine Sprengkraft für die Gesellschaft des Kaiserreiches und wären mit kluger Politik zu bewältigen gewesen. Nach dem Elend von Krieg und Nachkriegszeit entstand in der Erinnerung das glorifizierte Bild der »guten, alten Zeit«. Eine Ahnung von dem, was verloren gegangen war, hatte der Historiker Friedrich Meinecke auf dem Heimweg nach einem Beethoven-Konzert Ende 1918:32

Merkwürdig still war es auf Plätzen und Straßen, als wir nach Hause gingen. Meine Empfindung aber war: Wir haben die letzten Klänge einer untergehenden schöneren Welt eben gehört.

Endnoten

12Das Zitat in der Kapitelüberschrift stammt von Johann Wolfgang von Goethe, Faust I, es lautet vollständig: »Nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles. Ach wir Armen!« Stuttgart 2000, Zeile 2802 ff.Heilbrunn, Ludwig, Eine Lebensskizze, Manuscript o. J., Institut für Stadtgeschichte Frankfurt (im folgenden: ISG), Chroniken, S5/249, S. 129.

13Handelswechsel dienen der zeitversetzten Bezahlung einer Warenlieferung: der Käufer stellt den Wechsel über die Kaufsumme aus und verpflichtet sich gegenüber dem Verkäufer, diese Summe spätestens nach 90 Tagen zu zahlen. Der Verkäufer kann den Wechsel während dieser 90 Tage bei seiner Bank einreichen und erhält die Kaufsumme minus eines Abschlags gutgeschrieben (Diskontierung). Die Bank kann den Wechsel dann bei der Zentralbank einreichen und erhält von dieser die Wechselsumme minus den Diskont – wiederum vermindert durch einen Abschlag (Re-Diskontierung). Die Zentralbank legt den Wechsel dann bei Fälligkeit dem Käufer vor und erhält die volle Summe. Die Differenz zwischen dem um den Abschlag verminderten Re-Diskontierungs-Betrag und der vollen Summe, die vom Käufer gezahlt wird, ist der Gewinn der Zentralbank.

14Metal production & Clio Infra & USGS. Zit. nach: https://ourworldindata.org/grapher/gold-production.

15Borchardt, Knut, Die Münz- und Bankreform der Reichsgründungszeit, in: Deutsche Bundesbank (Hrsg.), Währung und Wirtschaft in Deutschland 1876 – 1975, Frankfurt am Main 1976, S. 21.

16Taylor, Frederick, Inflation. Der Untergang des Geldes in der Weimarer Republik und die Geburt eines deutschen Traumas, München 2013, S. 23.

17Hampe, Peter, Sozioökonomische und psychische Hintergründe der bildungsbürgerlichen Imperialbegeisterung, in: Vondung, Klaus (Hrsg.), Das wilhelminische Bildungsbürgertum. Zur Sozialgeschichte seiner Ideen, Göttingen 1976, S. 79.

18Dilcher, Gerhard, Das Gesellschaftsbild der Rechtswissenschaft und die soziale Frage. in: Vondung, Klaus (Hrsg.), Das wilhelminische Bildungsbürgertum. Zur Sozialgeschichte seiner Ideen, Göttingen 1976, S. 56.

19Kroll, Frank Lothar, Geburt der Moderne, Politik, Gesellschaft und Kultur vor dem Ersten Weltkrieg, Berlin 2013, S. 67.

20Beim Drei-Klassen-Wahlrecht wählten die – nur männlichen – Wahlberechtigten, die die meisten Steuern zahlten, in der 1. Abteilung. Es wurden so viele Wahlberechtigte in diese erste Abteilung eingeteilt, bis ein Drittel des Steueraufkommens erreicht war. In die 2. Abteilung wurden diejenigen eingeteilt, die unter den verbleibenden Wahlberechtigten die größte Steuerleistung erbrachten, bis ein weiteres Drittel des Gesamtaufkommens erreicht war. Die übrigen Wahlberechtigten bildeten die 3. Abteilung. Dadurch war die politische Dominanz der wohlhabenden adeligen und bürgerlichen Schicht gewährleistet.

21Das Zensuswahlrecht verlangte zur Erlangung der Wahlberechtigung z. B. in Frankfurt die preußische Staatsbürgerschaft, mindestens ein Jahr Aufenthalt in der Stadt, ein Einkommen von mindestens 700 Gulden (stieg bis zur Jahrhundertwende auf 1200 Mark) oder ein Wohnhaus bzw. ein Gewerbe mit mindestens zwei Gesellen. Wahlberechtigt waren nur Männer.

22Kroll, Moderne., S. 76 – 79.

23Lederer, Emil, Kapitalismus. Klassenstruktur und Probleme der Demokratie in Deutschland 1910 – 1940, Göttingen 1979, S. 82.

24Lederer, Kapitalismus, S. 25 f.

25Ringer, Fritz K., Die Gelehrten. Der Niedergang der deutschen Mandarine 1890 – 1933, München 1987.

26Naumann, Michael, Bildung und Gehorsam. Zur ästhetischen Ideologie des Bildungsbürgertums. in: Vondung, Klaus (Hrsg.), Das wilhelminische Bildungsbürgertum. Zur Sozialgeschichte seiner Ideen, Göttingen 1976, S. 35.

27Naumann, Bildung und Gehorsam, S. 52.

28Wehler, Hans-Ulrich, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, Von der »Deutschen Doppelrevolution« bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges, München 2008, S. 764.

29Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, S. 766.

30Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, S. 705.

31Maly, Karl, Geschichte der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung, Das Regiment der Parteien 1901 – 1933, Frankfurt 1995, S. 206.

32Friedrich Meinecke nach: Gerwarth, Robert, Die größte aller Revolutionen. November 1918 und der Aufbruch in eine neue Zeit, München 2018, S. 128.

3. »Geld, Geld und außerdem Geld!« – die Bezahlung der Schlächterei

»Krieg! Es war Reinigung, Befreiung, was wir empfanden, und eine ungeheure Hoffnung.«33

Am 28. Juni 1914 feierte die Frankfurter Gesellschaft auf der Rennbahn. Bevor man in die Ferien aufbrach, traf man sich bei dieser Gelegenheit noch einmal. Die heitere Stimmung wurde gestört durch die Nachricht, der österreichische Thronfolger sei in Sarajewo ermordet worden.34 Doch schien auch diese Krise – wie so viele Balkankrisen zuvor – durch Politik und Diplomatie beigelegt werden zu können. Ein Irrtum, wie bald deutlich wurde: Die europäischen Mächte begannen mobil zu machen, und inmitten des patriotischen Jubels erklärte der Frankfurter Rechtsanwalt Ludwig Heilbrunn seinem Sohn Robert, dass Deutschland in einem Krieg alles verlieren und nichts gewinnen könne.35

Diese Warnung lief der Volksmeinung und auch der Überzeugung von Politikern und Militärs zuwider. Denn kluge Köpfe bewiesen, dass ein Krieg nur kurz andauern würde und die Soldaten wären, »bevor die Blätter fallen«, wie es der Kaiser verkündete, wieder zuhause. Siegreich natürlich. Siegreich deshalb, weil Europa aufgerüstet hatte und alle kriegführenden Staaten glaubten, ihre gewaltigen Armeen würden den oder die Gegner niederwerfen.36 Auch deshalb, weil niemand eine Idee hatte, wie die riesigen Heeres- und Flottenverbände auf Dauer versorgt und kampfkräftig gehalten werden konnten. Und deshalb neigten die Militärs dazu, den Krieg jetzt herbeizusehnen, bevor noch größere Armeen noch größere Gefahren und Herausforderungen heraufbeschwören würden. Die Bevölkerung dagegen konnte sich nicht vorstellen, dass die lange Friedensperiode zu Ende gehen würde.37

Doch dann kam alles anders als geplant und gehofft: der Krieg wurde vom patriotischen Abenteuer, in das tausende junger Männer nicht schnell genug ziehen konnten, zur Katastrophe und zum entsetzlichen Zustand.38 Die Lazarette und Friedhöfe füllten sich, die Geschäfte leerten sich, die Sorge um die Soldaten an den Fronten mehrten sich und die Siegeshoffnungen sanken. Nicht zuletzt stellte sich die Frage: Wie werden die ungeheuren Anstrengungen bezahlt?