Inspiration 1/2024 (Doppelnummer) - Verlag Echter - E-Book

Inspiration 1/2024 (Doppelnummer) E-Book

Verlag Echter

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Beschreibung

Mit dem Thema dieser Ausgabe wagen wir uns auf brüchiges Terrain. In einer Zeit von Heil und Heilung zu sprechen, in der wir feststellen wie viele Menschen gerade durch undurchsichtige oder bestenfalls unvorsichtige Heilsversprechen gebrochen wurden und an Leib und Seele verwundet zurückblieben, ist heikel. Dennoch ist es ein wichtiges Thema von Spiritualität und Glaube. Die christliche Botschaft wäre nichts ohne die liebevolle Heilszusage Gottes an den Menschen. Aber diese Zusage ist kein einfaches Versprechen, keine Vertröstung auf eine undefinierte Zukunft. Sie ist eine unverrückbare Zusage. Was bedeutet das für christliche Lebenskunst und Spiritualität? Wie buchstabiert sich die Frage und die Hoffnung auf Heil aus? Kann man im Angesicht all des Unheils eigentlich noch verantwortet von Heil sprechen? Was bedeutet Heil, wenn Heilung nicht mehr zu erwarten ist? Zwischen der Heilszusage und der Realität tun sich also Abgründe auf – denn alle Menschen erleben Brüche, Ohnmacht, Unheil. Mit diesen Erfahrungen zu leben und sich dennoch nicht zu verlieren und sich getragen zu fühlen, ist herausfordernd. Menschen sehnen sich nach Heil und Heilung. Aber nach einer, die nicht einfach nur vertröstet, sondern in und mit den Brüchen Hoffnung gibt. Natürlich können wir in dieser Ausgabe der inspiration nur kleine Fenster und Gucklöcher in dieses sehr komplexe Themenfeld öffnen. Mit Sicherheit werden wir auch wichtige Aspekte außen vorlassen müssen. Unsere Auswahl an Beiträgen soll also zugleich Geschmack machen, mehr und tiefer der Frage nach Heil und Heilung nachzugehen. Wir wünschen Ihnen inspirierende Lesezeit.

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Impressum

50. Jahrgang – Heft 1–2, Juni 2024

ISSN 2366-2034

Die Zeitschrift »inspiration« erschien bis zum 41. Jahrgang 2015 unter dem Titel »meditation« mit der ISSN 0171–3841

Verlag: Echter Verlag GmbH, Dominikanerplatz 8, 97070 WürzburgTelefon (0931) 6 60 68-0, Telefax (0931) 6 60 68-23, Internet: www.echter.de

Layout: Crossmediabureau, Jürgen Georg Lang, Gerolzhofen

E-Book-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim, www.brocom.de

Die Zeitschrift und alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt.

Beirat:

Dr. habil Benedikt Collinet

Prof. in Dr. Kristina Kieslinger

Prof. Dr. Andreas Wittrahm

Redaktion:

Maria Gondolf, E-Mail: [email protected]

Clarissa Vilain, E-Mail: [email protected]

inspiration erscheint in 2024 mit zwei Doppelnummern

Bezugspreis: jährlich: 32,00 €, Einzelheft 19,00 € zuzüglich Versandkosten

Auch als digitale Ausgabe erhältlich.

Informationen unter www.echter.de/zeitschriften/inspiration

Abonnementskündigungen nur zum Ende des jeweiligen Jahrgangs

Auslieferung: Brockhaus, Kommissionsgeschäft GmbH, Kreidlerstraße 9, 70806 Kornwestheim

Bildnachweis:

Titelmotiv: Panka Chirer-Geyer – www.panka.info

Quellenverweis Bibelstellen:

Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift

© 2016 Katholische Bibelanstalt GmbH, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Diesem Heft liegt folgender Prospekt bei:

Gottes Wort im Kirchenjahr, Echter Verlag

Wir bitten um Beachtung.

eISBN: 978-3-4290-6729-8

Inhalt

inspiration

Heft 1–2.24 · Heil und Heilung

Editorial

Wissenschaftliche Reflexionen

Ass.-Prof.in Dr. Magdalena Lass, KU Linz

»Ein fröhliches Herz tut der Gesundheit gut, […]« Spr 17,22a

Prof. Dr. Markus Weißer, Universität Passau

Die heilsame Zusage Gottes

Frater Thomas Väth OH, Regensburg

Die heilende Spiritualität der Hospitalität

Dr. Nadja Rosmann, Düsseldorf

Eine Bevölkerung geht in Deckung

Persönliche Zugänge

Lea Döring und Sr. Devota Lanius

Ein Gespräch über Heil und Heilung

Sabine Tschon, Innsbruck

Ein persönlicher Erfahrungsbericht

Dr. Michael Utsch

Gesundheit als Heilsversprechen?

Berufliche Perspektiven

Dr. Dr. Dirk Fischer, München

Die Sehnsucht nach Heilung und Heil als Grundbedürfnis des Menschen

Dr. Hans-Rudolf Stucki, Bern

Spiritualität tut not

Prof. Dr. Martin Weber, Mainz

»Heil-Werden« bei unheil-barer Erkrankung?

Bettina Hoffe, Herzogenrath

Unheil und Heil im Notfall

Inspiration in Kunst und Kultur

Prof. Dr. Andreas Wittrahm, Katho NRW

Wie heilt man eine »Gott-Demenz«?

Pascal Collinet & Priv-Doz. Dr. Benedikt Collinet

Von zerbrochenen Gefäßen

Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

mit dem Thema dieser Ausgabe wagen wir uns auf brüchiges Terrain. In einer Zeit von Heil und Heilung zu sprechen, in der wir feststellen wie viele Menschen gerade durch undurchsichtige oder bestenfalls unvorsichtige Heilsversprechen gebrochen wurden und an Leib und Seele verwundet zurückblieben, ist heikel. Dennoch ist es ein wichtiges Thema von Spiritualität und Glaube. Die christliche Botschaft wäre nichts ohne die liebevolle Heilszusage Gottes an den Menschen. Aber diese Zusage ist kein einfaches Versprechen, keine Vertröstung auf eine undefinierte Zukunft. Sie ist eine unverrückbare Zusage.

Was bedeutet das für christliche Lebenskunst und Spiritualität? Wie buchstabiert sich die Frage und die Hoffnung auf Heil aus? Kann man im Angesicht all des Unheils eigentlich noch verantwortet von Heil sprechen? Was bedeutet Heil, wenn Heilung nicht mehr zu erwarten ist?

Zwischen der Heilszusage und der Realität tun sich also Abgründe auf – denn alle Menschen erleben Brüche, Ohnmacht, Unheil. Mit diesen Erfahrungen zu leben und sich dennoch nicht zu verlieren und sich getragen zu fühlen, ist herausfordernd. Menschen sehnen sich nach Heil und Heilung. Aber nach einer, die nicht einfach nur vertröstet, sondern in und mit den Brüchen Hoffnung gibt.

Natürlich können wir in dieser Ausgabe der inspiration nur kleine Fenster und Gucklöcher in dieses sehr komplexe Themenfeld öffnen. Mit Sicherheit werden wir auch wichtige Aspekte außen vorlassen müssen. Unsere Auswahl an Beiträgen soll also zugleich Geschmack machen, mehr und tiefer der Frage nach Heil und Heilung nachzugehen.

Wir wünschen Ihnen inspirierende Lesezeit,

Ihre

Maria Gondolf

Clarissa Vilain

Wissenschaftliche Reflexionen

wann ging mir auf

dass die wunder-

kräfte der mutter

begrenzt sind

wie viele fremd-

körper sind in mir

wie viele wunden

sind unterdrückt

sehnen voller

sucht und selbst-

bezogenheit – ich

bin dir nebulös

der herzschmerz

heilsbedürftig und

verwiesen auf gott

der uns frei macht

Michael Lehmler

Ass.-Prof.in Dr. Magdalena Lass, KU Linz

»Ein fröhliches Herz tut der Gesundheit gut, […]« Spr 17,22a

Gesundheit und Krankheit in den Biblischen Schriften

Die Bibel hält vor allem in den Schriften des Ersten Testaments Beschreibungen von Gesundheit und Krankheit bereit, die auch im aktuellen Diskurs bedeutsam sind. Nicht das einzelne Gebrechen oder dessen reine Abwesenheit stehen im Mittelpunkt, sondern das Ganzsein, Heilsein, eben der Blick auf den ganzen Menschen an Körper und Seele. Wie dies beschrieben ist und dass das nicht immer ohne Verzweifeln an dem Gott einhergeht, von dem ja Gutes wie Böses kommt, legt Magdalena Lass, Assistenz-Professorin der alttestamentlichen Bibelwissenschaft an der KU Linz, in ihrem Beitrag dar.

In der Zeit der Coronapandemie erfreute sich dieses Bibelzitat1 großer Beliebtheit. Als Spruch auf der Homepage, als mutmachender Wunsch bei diversen Newslettern wurde er gerne verwendet, um den Menschen zu helfen, nicht zu verzagen. Dabei ist die Übersetzung spannend. Schlägt man den Vers in der Lutherübersetzung von 2017 nach, so tut das fröhliche Herz »dem Leibe wohl«, die Elberfelder Übersetzung von 2006 schreibt »bringt gute Besserung«. Im hebräischen Text steht hier geha/ ein Wort für Heilung. Sucht man im Alten Testament weiter nach dem Begriff Gesundheit, so wird schnell klar, dass es in der hebräischen Sprache kein Wort gibt, das unserem Konzept von Gesundheit entspricht. Es wird nicht von Gesundheit als etwas Allgemeines oder Abstraktes gesprochen, sondern immer ganz konkret von einer Krankheit und deren Heilung bzw. vom Ganz-Sein (tmm/תמם) des Menschen oder seinem Heil-Sein (schalom/שָׁלוֹם).2 Den Wunsch nach Gesund-Sein bzw. Heil-Sein hat es natürlich auch zu biblischer Zeit gegeben.

Auch moderne Theorien von Gesundheit definieren diese wieder sehr breit und sehen sie als mehr als das Fehlen von diagnostizierbaren Krankheiten. Aaron Antonovsky legt seiner modernen medizin-soziologischen Theorie auch einen weiten Gesundheitsbegriff zugrunde, das wird schon an seiner Wortschöpfung »Salutogenese« sichtbar. Er fragt dabei nicht nach der Entstehung von Krankheit (Pathogenese), sondern nach der Entstehung von Gesundheit. »Gesund« heißt lateinisch »sanus«, und Gesundheit »sanitas«. Ganz korrekt müsste es also eigentlich »Sanuto- oder Sanitasgenese« heißen. Aber er verwendet für seine Theorie den Begriff »salus«. Dieser kann auch mit Gesundheit wiedergegeben werden, meint aber weitaus mehr, nämlich Heil, Rettung, Wohlbefinden.3 »Es geht letztlich um das Leben als Ganzes. Es geht um das »salus«, das Heil, das »Heil-Sein« in einer ganzheitlichen, umfassenden Hinsicht.«4 Dieser Zustand von Gesund-Sein bzw. Heil-Sein ist auch biblisch mehr als nur das Fehlen von Krankheit und Gebrechen. Er ist auch nicht nur körperlich gedacht, sondern umfasst auch soziale/ethische und spirituelle/theologische Aspekte. Dabei ist das ganzheitliche biblische Verständnis vielleicht gar nicht so weit von der Gesundheitsdefinition der WHO entfernt. Die WHO definiert Gesundheit folgendermaßen:

»Health is a state of complete physical, mental and social well-being and not merely the absence of disease or infirmity.«5

Dieser Zustand von Gesund-Sein bzw. Heil-Sein ist auch biblisch mehr als nur das Fehlen von Krankheit und Gebrechen. Er ist auch nicht nur körperlich gedacht, sondern umfasst auch soziale/ethische und spirituelle/theologische Aspekte.

Spannend ist, dass in dieser modernen Begriffsbestimmung nicht nur die körperliche und mentale/psychische Gesundheit vorkommen, sondern auch die soziale Dimension einen wichtigen Stellenwert innehat. Gesundheit betrifft also auch hier nicht nur das Individuum, sondern die Gemeinschaft, in der wir leben, unsere Beziehungen zueinander. Aus biblischer Sicht müsste hier noch die spirituelle Dimension ergänzt werden, also die Beziehung zu Gott. Heil-Sein meint das Wohlergehen auf all diesen Ebenen. Somit hat Gesund-Sein und Heil-Sein auch immer etwas mit Gerechtigkeit zu tun. Biblisch kann man Heil-Sein nicht ohne den Bezug zur Gemeinschaft und zu Gott denken. Es geht wesentlich darum, dass unsere Beziehungen »stimmen«, gerecht und wahrhaftig sind, dass das Leben nach Gottes Weisung geordnet ist. Das Gesund-Sein des Einzelnen ist damit eng mit dem Heilszustand der Gemeinschaft und der Welt verbunden. Thomas Staubli drückt das prägnant so aus: »Der menschliche Körper ist ein Schlüsselsymbol für den Weltzustand.«6 Die Heilung eines Gebrechens ist mit dem Wiederherstellen von Ordnung im sozialen aber auch im kultischen Sinn verbunden.7 Aus dieser Perspektive ist auch verständlich, warum die Heilungen Jesu als eschatologische Heilszeichen gedeutet wurden. Am menschlichen Körper wird durch die Heilung sichtbar, was für die Heilszeit erwartet wird. Etwas vom erhofften und erwarteten Weltzustand macht sich an konkreten Menschen, an deren konkreten Körpern erlebbar. Dabei wird auch bei den neutestamentlichen Heilungsgeschichten deutlich, dass es nicht bloß um die körperliche Heilung geht, sondern darum, dass der geheilte Mensch wieder in Beziehung zu Gott und den Menschen kommt. Es geht also um mehr als nur um Symptomfreiheit, es geht um Heil(ung) auf allen Ebenen.8

»Der menschliche Körper ist ein Schlüsselsymbol für den Weltzustand.«

Krankheit

Auch das Wort »Krankheit« bezeichnet biblisch nicht das Abstraktum, sondern hat immer ganz reale Erfahrungen der Schwäche und Gebrechlichkeit im Blick. Nur die konkrete Krankheit ist erfahrbar und kann gedeutet und (hoffentlich) auch geheilt werden. In den biblischen Texten erscheint ein kranker Mensch oft als einer, der außerhalb der Lebensordnung steht und je nach der Schwere der Erkrankung bereits zur Sphäre des Todes zu zählen ist (vgl. Ps 88,4ff). Dass Krankheiten nicht nur den Körper allein betreffen, ist in den biblischen Texten deutlich.

Gerade in den Psalmen haben wir Krankheitsbeschreibungen, die die soziale Dimension darstellen. Ein lyrisches-Ich wendet sich in der persönlichen Not an Gott und klagt das eigene Unglück. Das sind im Falle von Krankheit einerseits Beschreibungen des körperlichen Zustandes und andererseits die Beschreibung der sozialen Ächtung und der Vereinsamung, die damit einhergeht. In Psalm 38,12 wird geklagt, dass die Mitmenschen fernbleiben, in Psalm 88,9 kommt noch die Verachtung dazu. Der Psalm 41 beschreibt zwar, dass Menschen zu Besuch kommen, diese aber keinen Trost und keine Hilfe bringen, sondern lediglich falsche Worte (Ps 41,7f). Hinter dem Rücken des Kranken wird dann geredet und getuschelt. Auch das ist eine Form der sozialen Ausgrenzung. Ijob wird in seinem Unglück und seiner Krankheit (Ijob 2,7) von Freunden besucht. Sie harren sieben Tage stumm mit ihm aus und begleiten ihn in seinem Leid und seiner Trauer. Die Gespräche, die dann geführt werden, sind zwar wohlgemeinte Reden zu Sinn und Ursache von Leid, doch sind sie für Ijob nicht tröstlich. Auch wenn die Erklärungsversuche der Freunde nicht zutreffend sind, so bewirken sie doch ein »Durcharbeiten« durch das Leid und für Ijob wird im Verlauf des Buches immer klarer, dass er eine Antwort Gottes fordern möchte.

In den Psalmen wird die theologische Dimension von Krankheiten thematisiert. Vereinsamung ist beispielsweise nicht nur ein Aspekt der sozialen, sondern auch der theologischen Dimension.

In den Gesprächen Ijobs mit seinen Freunden, aber auch in den Psalmen wird die theologische Dimension von Krankheiten thematisiert. Vereinsamung ist beispielsweise nicht nur ein Aspekt der sozialen, sondern auch der theologischen Dimension. Der Zustand der Krankheit wird als Abwenden Gottes bzw. als Gottesferne wahrgenommen und dadurch auch in die Nähe der Totenwelt gerückt.

In einer monotheistischen Religion kann die Herkunft von Krankheiten nicht durch andere, böse Gottheiten erklärt werden. Seuchen und Krankheiten kommen nicht einfach von einer »Seuchen-Gottheit«, wie etwa Reschef (syrisch-palästinischer Gott). Monotheistisch gedacht kommt alles, Gutes wie Schlechtes von ein und derselben Gottheit. Im Lied des Mose findet sich diese Einsicht sehr prägnant ausgedrückt.

Dtn 32,39: Jetzt seht: Ich bin es, nur ich, / und es gibt keinen Gott neben mir. / Ich bin es, der tötet und der lebendig macht. / Ich habe verwundet; nur ich werde heilen. / Niemand kann retten aus meiner Hand.

Kommen aber auch Krankheiten und Leiden von Gott, stellt sich die Frage, welchen Sinn diese haben. Im Alten Orient werden Krankheiten grundsätzlich als Ursache von gestörten Beziehungen interpretiert. Dabei geht es nicht nur um das konkrete soziale Gefüge, in dem die erkrankte Person lebt, sondern auch um die Beziehungen zu den Toten und die Beziehungen zu den Gottheiten. Krankheit wird dabei zum Symbol für Chaos oder Unordnung. Sie wird geheilt durch die Wiederherstellung der rechten Ordnung, der rechten Beziehung. So findet man in mesopotamischen Texten oft die Vorstellung, dass eine Krankheit durch absichtliches oder unabsichtliches Erzürnen einer Gottheit ausgelöst wird.9

Kommen aber auch Krankheiten und Leiden von Gott, stellt sich die Frage, welchen Sinn diese haben.

In den biblischen Texten kommt zu dieser Vorstellung noch durch den sogenannten »Tun-Ergehen-Zusammenhang« eine ethische Komponente dazu. Auslöser einer Krankheit ist dann eine falsche Tat, ein Abweichen von Gottes Weisung durch die erkrankte Person oder auch durch deren Vorfahren. Eine bewusste oder unbewusste Sünde hat das Beziehungsgefüge gestört und so die Erkrankung ausgelöst. Dieses Denkmuster findet man immer wieder in den Psalmen (Ps 38,4–5) aber auch in narrativen Texten (2 Sam 24,10ff; 1 Kön 17,17f). Dabei wird aber (gerade in Psalmen und Ijob) auch das Problem thematisiert, dass nicht immer klar ist, worin die Sünde besteht und ob überhaupt eine besteht. Biblische Texte wehren sich aber auch gegen eine allzu verkürzte Anwendung des Tun-Ergehen-Zusammenhangs (vgl. Ijob 2,7; Gottesknechtslieder Jes 52–53). Krankheit kann auch als Prüfung, Warnung oder Erziehungsmaßnahme Gottes interpretiert werden, wie es etwa Elihu (Ijob 33,14ff), einer der Freunde Ijobs macht.10 Um die Beziehung zu Gott wieder herzustellen, braucht es nicht unbedingt einen Gottesmann, Priester oder Arzt. Die Betenden der Psalmen bitten Gott direkt um Heilung. Erst nach der Genesung wird als Dank der Tempel besucht und ein Opfer dargebracht. Nach erfolgter Heilung und Reinigung war der Mensch wieder kult- und sozialfähig.

Gott als der eigentliche Arzt

In Ex 15,26 findet sich eine Selbstbezeichnung Gottes als Arzt (»[…] Denn ich bin der HERR, dein Arzt.«). Interessant ist, dass im Kontext das Halten der Gebote mit dem Schutz vor Krankheiten in Beziehung gebracht wird. Auch hier sind die rechte Lebensordnung und die Beziehung zwischen Mensch und Gott im Blick. Dass biblisch eher selten von Ärzten erzählt wird, hat möglicherweise in diesem Gottesbild einen Grund. Wenn Gott für das Wohlergehen und die Gesundheit der Menschen zuständig ist, tritt die Aufgabe der Ärzte zurück. Wenn Propheten wie Elija oder Elischa Heilungen vollbringen (1 Kön 17,17–24; 2 Kön 4,17–34), sind sie Vermittler der göttlichen Heilskraft.11In manchen Bibelstellen kommt auch eine etwas seltsam anmutende Skepsis gegenüber Ärzten zum Ausdruck (Sir 38).

Im Markusevangelium parallelisiert sich Jesus selbst durch ein Sprichwort mit einem Arzt, indem er sagt, dass er zu den Sündern gerufen ist, wie ein Arzt zu den Kranken (Mk 2,17). Die Bezeichnung Jesu als Arzt findet sich aber erst später (etwa ab dem 2.Jh. n.Chr.).12

Schlussbemerkungen

Umfassendes Wohlergehen – also der Zustand von vollständigem körperlichem, geistigem und sozialem Wohlergehen13 – wird biblisch theozentrisch gedacht. Stefan Seiler weist darauf hin, dass es ein Geschehen im Gegenüber zu Gott ist und dabei gleichzeitig auch als Geschenk Gottes wahrgenommen wird. Deshalb lassen sich biblisch auch die Konzepte von »Heil« und »Heilung« nicht trennscharf auseinanderhalten.14 Seiler arbeitet die theozentrische Sicht auf Gesundheit und Wohlergehen heraus und stellt dabei fest, dass alttestamentlich nicht die Gesundheit das höchste Gut ist, sondern die intakte Beziehung zu den Mitmenschen und vor allem zu Gott. Die Gottesbeziehung ist seiner Ansicht nach Voraussetzung für wahre »Lebensqualität«.15 Auch wenn den biblischen Texten kaum medizinisches Wissen bekannt war und viele Vorstellungen rund um Krankheiten nicht mehr aktuell erscheinen, so kann doch der breite Blick auf Gesundheit und Wohlergehen der Menschen auch für heute bereichernd sein.

1Wenn nicht extra angeführt, werden Bibelstellen nach der revidierten Einheitsübersetzung von 2016 wiedergegeben.

2Vgl. Schiller, J., Art.: Gesundheit in: WiBiLex (https://bibelwissenschaft.de/stichwort/19472/) 2010.

3Vgl. Heyl, A. von / Kemnitzer, K. / Raschzok, K., Einführung, in: Heyl, A. von / Kemnitzer, K. / Raschzok, K. (Hg.), Salutogenese im Raum der Kirche. Ein Handbuch, Leipzig, 2015, 11–22, 13.

4Vgl. Heyl, A. von / Kemnitzer, K. / Raschzok, K., Einführung, 13.

5World Health Organization, Constitution of the World Health Organization, https://www.who.int/about/accountability/governance/constitution [14.03.2024].

6Staubli, T., Biblische Anthropologie und Gesundheitsprävention, in: ThPQ 150 (2002) 361–368, 362.

7Vgl. Staubli, T., Biblische Anthropologie, 361–368.

8Vgl. Heyl, A. von / Kemnitzer, K. / Raschzok, K., Einführung, 18.

9Vgl. Barbara Böck, B., Art.: Krankheit und Heilung (Alter Orient), in: WiBiLex (https://bibelwissenschaft.de/stichwort/24036/) 2011.

10Vgl. Staubli, T. / Schroer, S., Menschenbilder der Bibel, Ostfildern 2014, 474–480.

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