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Dieses eBook: "Irland" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Jonathan Swift (1667-1745) war ein irischer Schriftsteller und Satiriker der frühen Aufklärung. Er hat auch unter folgenden Pseudonymen geschrieben: Isaac Bickerstaff, A Dissenter, A Person of Quality, A Person of Honour. Er studierte Theologie in Dublin. Er war von 1689-94 Sekretär des Schriftstellers Sir William Temple, danach anglikanischer Geistlicher in Kilkroot/Belfast. Von den frühen schriftstellerischen Versuchen Swifts ist wenig erhalten. Erst nach seiner Rückkehr nach Irland finden sich Schriften, die ihn als den bis heute bekannten Satiriker kennzeichnen. Sein Roman Gullivers Reisen wurde 1726 veröffentlicht. Er schrieb danach mehrfach gegen die Zustände im englisch regierten Irland. Seine bekannteste Satire ist A Modest Proposal, worin er zur Lösung von Überbevölkerung, Armut und Kriminalität vorschlägt, irische Babys als Nahrungsmittel zu nutzen und durch Export Profit daraus zu schlagen. Er schrieb danach mehrfach gegen die Zustände im englisch regierten Irland. Aus dem Buch: "Es ist ein sehr melancholischer Gedanke, dass ein Land wie unsres, während es imstande ist, alles zum Leben Nötige und das meiste, was das Leben behaglich macht, in genügender Menge hervorzubringen, um die vierfache Zahl seiner Einwohner zu ernähren, dennoch unter der schwersten Last des Elends und Mangels leben muss; dass unsere Strassen von Bettlern wimmeln und dass so viele unserer ärmeren Kaufleute, Arbeiter und Handwerker für die Ihren weder Kleidung noch Nahrung zu finden vermögen. Ich denke, es wird deshalb nicht ohne Nutzen sein, wenn ich euch die Hauptursachen dieser elenden Lage, in der wir uns befinden, darlege; dann wird man leichter sagen können, welche Hilfsmittel in unsrer Macht stehn…"
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Historische und politische Schriften (Eine Predigt über die Ursachen der elenden Lage Irlands + Die Flucher-Bank + Ein kurzer Ueberblick über die Lage Irlands + Antwort auf den "Craftsman" und mehr)
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Man kennt Swift gemeinhin als Satiriker. Die Bezeichnung trifft im Grunde nicht zu: Sie begrenzt zu stark. Swift war vor allem ein Intellektueller. Aber ein Intellektueller, der seine ganze Logik auf die Kritik bestehender Dinge verwandte. In ihm ist zweihundert Jahre vor uns ein Kampf lebendig gewesen, der heute in den besten geistigen Strömungen unsres Landes tobt: Der Kampf gegen jede Sentimentalität: gegen die Phrase (der Engländer sagt gegen den »Cant«) und für die Gerechtigkeit. Unpoetischer als Swift kann man nicht sein, weder instinktiv noch bewusst. Aber eine Glut der reinen Intellektualität, der Geisteskühle (wenn es erlaubt ist, diese Gegensätze zusammen zu stellen) hebt sein Lebenswerk, das, als Ganzes gesehn, im wesentlichen ein politisch-publizistisches ist, turmhoch über jede sonstige Publizistik empor, abgesehn vielleicht von den Gipfeln der einschlägigen griechischen und lateinischen Literaturen. Und durch sie wirkt es heute, wo der Streit, um den es sich dreht, längst verhallt ist, fast wie eine neue Art wirklicher Poesie. Die Glut geistiger Kühle, strenger Gefasstheit, gewaltsamer Ruhe nähert ihn in seinen packendsten Momenten einem sonst von ihm nach Anlage, Strebensrichtung, Temperament und Begabung so unendlich verschiedenen Mann, wie Balzac es war. Sie sind Antipoden. Der eine sieht die Einzelheiten, die winzigen Details in den Dingen, die er doch als organisch lebendiges Ganzes fasst; der andre sieht die Formel, die ihnen zugrunde liegt. Der eine will das Bestehende schildern; der andre will es verändern. Der eine arbeitet fast wie ein Schnellmaler, der in Variétés innerhalb weniger Sekunden ein Bild auf die Leinwand wirft, nur dass er aus einem unerschöpflichen Meer unendlicher Mannigfaltigkeit immer Neues heraufholt; der andre kommt mit zäher Unermüdlichkeit zehn, zwanzig, hundertmal auf ein und dasselbe zurück, führt immer von neuem die Axt gegen denselben Baum, wenn er nicht fallen will, und kennt kein Scheitern, weil er niemals etwas verloren gibt, was durch eine äusserliche Tat erreicht werden kann, denn sein stupender Pessimismus richtet sich nur gegen die Menschennatur als solche. Das Fruchtbare an dem einen sind seine Proteusnatur, seine nie versagende Wandlungsfähigkeit, der nichts zu gering und nichts zu gross ist, um es nicht nachzuempfinden, und seine niemals fehlende Wandlungssicherheit; das Fruchtbare an dem andern sind sein starres Ichsein, seine nie erschütterte Persönlichkeit, seine Unwandelbarkeit, und, wenn man will, seine Beschränktheit. Der eine geht in die Dinge hinein und wird zu ihnen; an dem andern zerschellen alle Dinge, an denen nicht er selbst zerschellt. Und trotz all dieser ungeheuren Verschiedenheiten haben sie eins gemein, was mit all diesen Dingen nichts zu tun hat: das ist das Tempo, in dem sie »angreifen«. Gemein ist ihnen die grosse, geistige Leidenschaft. Sie ist bei Swift von solcher Gewalt, dass er aufhört, englischer oder irischer Patriot zu sein. Dabei haben beide sonderbarerweise die gleiche Schranke: Balzac ist überzeugter Katholik, Swift erbitterter Vertreter der Hochkirche. Sonst aber kennen sie keine Fessel: Sie sind international, wie noch kein Sozialist es jemals war. Sie sind fanatische Logiker und von fast unbegreiflicher Gerechtigkeit, die nur versagt, wenn die Religion ins Spiel tritt.
Freilich ist Swifts Gebiet enger begrenzt. Er ist kein »universaler« Geist, hat nie das Bestreben nach Universalität gehabt. Er hat eigentlich überhaupt kein Bestreben, ausser dem der Betätigung. Nichts liegt ihm ferner als jegliches Ideal. Man könnte ihn vielleicht mit einem Uhrwerk von gewaltiger Kraft vergleichen, das vierfach gehemmt ist; gehemmt durch den Mangel an einer Gelegenheit. Wird aber irgendwann dieser Mangel, diese Hemmung behoben, so rast plötzlich das Räderwerk mit einer Kraft, die einem ungeheuren Naturschauspiel gleicht. Es ist, wie wenn in einem Maschinenhaus unvermutet die Treibriemen von dem grossen Rade des zentralen Motors heruntergleiten und die Maschine in solcher Entfesselung zu arbeiten beginnt, dass sie sich schliesslich selbst vernichtet, dass vielleicht durch die ins Unermessliche gesteigerten zentrifugalen Kräfte des Schwungrad zerreissend in alle Richtungen geschleudert wird. Man hat in Swifts leidenschaftlicher Vehemenz die Vorzeichen seines späteren Wahnsinns sehen wollen; aber Temple Scott bemerkt mit vollem Recht, dass vielmehr sein späterer Wahnsinn die Folge seiner ungeheuren Leidenschaftlichkeit gewesen ist. Seine politische Tätigkeit hat da, wo er innerlich beteiligt ist, nichts von jener Glätte moderner Publizistik, die nur sich selbst ins Licht zu stellen sucht. »Was ich für dieses Land getan habe«, sagt er inbezug auf Irland, »entsprang einem tiefen Hass gegen jede Tyrannei und Unterdrückung.« »Es ist Zeit für mich«, schrieb er an den alten Freund Bolingbroke, »dass ich mit der Welt abschliesse, und ich täte es, wenn ich in eine bessere Welt kommen könnte, bevor ich in die beste berufen werde; dann brauchte ich hier nicht, gleich einer vergifteten Ratte im Loch, vor Wut zu sterben.« Jede Untätigkeit ist Gift für ihn, weil er seine Leidenschaft in sich hineinfrisst; jede Betätigung ist wie eine Explosion; sie wirkt befreiend, weil sie der eingesperrten Kraft Abfluss und Ziel verschafft. Die Erscheinungsform aber seiner Betätigung ist die Logik: Logik ist Gerechtigkeit. Bei der Gerechtigkeit hört der Patriotismus auf; denn Patriotismus ist, wie die Liebe, wesentlich Sache der Empfindung, und also etwas Blindmachendes, etwas, was der Gerechtigkeit widerstreitet; ja, eigentlich etwas der Blindheit Entspringendes. Der Mann, der sich trotz christlicher Gesinnung schämte, wenn ihn jemand beten sah, mag vielleicht in seiner heimlichen Kammer einen Rest von Patriotismus bewahrt haben, aber wenn er hinaustritt vor die Öffentlichkeit, so ist er nichts mehr als ein gegen jede Gefühlsregung gepanzerter Denker. Niemals vielleicht wäre es leichter gewesen als damals in Irland, mit Hilfe demagogischer Überredung ein Volk mit all seinen Massenleidenschaften zu entfachen. Swift hat nie überredet; stets nur zu überzeugen gewusst. Dieser Mann kannte seine Macht; er wusste, dass ein Volk hinter ihm stand, aber er macht von der Gewalt über die Gemüter keinen Gebrauch. Sie erfüllt ihn mit Stolz, aber er beutet sie nicht aus. Als nach der Fahndungsproklamation gegen den Verfasser des vierten Tuchhändlerbriefes, den doch jedermann kannte, keine Stimme des Verrats zu finden war (denn es fehlte an einem gesetzlich gültigen Beweis gegen Swift), da lief ein Zitat aus der Bibel um, aus dem heraus der Jubel eines ganzen Volkes klang, das für seinen Streiter selbst zu den Waffen gegriffen hätte; die Stelle lautete: »Und das Volk sprach zu Saul: SollteJonathansterben, der ein solch gross Heil in Israel getan hat? Das sei ferne; so wahr der Herr lebt, es soll kein Haar von seinem Haupt auf die Erde fallen, denn Gott hat’s heute durch ihn getan; also erlöste das VolkJonathan, dass er nicht sterben musste.« Und als Walpole, der den Verfasser ebenfalls kannte, davon sprach, ihn verhaften zu lassen, fragte man ihn, ob er ein Heer von zehntausend Mann übrig hätte. Swift liess sich nicht beirren, obwohl er all das wusste. Dass er es wusste, zeigt seine Antwort auf den Vorwurf des Lord Oberrichters Whitshed, er habe das Volk aufgewiegelt. »Aufgewiegelt!« rief er: »Hätte ich nur einen Finger gehoben, man hätte Sie in Stücke gerissen!« Es mag vielleicht Augenblicke gegeben haben, in denen er sich bezwingen musste, um kühl zu bleiben, um alles, was in ihm tobte, durch den Kanal der unerbittlichen Logik abzuleiten; aber es ist ihm stets gelungen. Nie gewinnt der reine Hass die Oberhand. Er war Denker, aber da er Engländer war, so verlor er sich nie im Theoretischen. Er greift stets in die Dinge hinein, die ihn rings umgeben. Er hätte irgendwo leben können, in Deutschland, Schweden oder China, und er wäre dort der Anwalt aller Unterdrückten geworden, wie er es zufällig in Irland wurde. Denn es war ihm eine Notwendigkeit, um sich zu blicken und alle Dinge nachzuprüfen; er appelliert nicht an begrenzte Empfindungen, sondern stets nur an die reine Logik. Er greift die Dinge auf und erzählt sie; und dadurch leiht er den ihnen innewohnenden Widersprüchen eine Zunge : nüchtern kühl, fast erbittert sachlich. Bezeichnend sind dafür seine Predigten, deren ausgesprochenstes Beispiel diesen Band seiner Werke eröffnet. Da, wo der Durchschnittsprediger eingesetzt hätte, bricht er ab. Er spricht von den Armen; er kann nicht anders, er untersucht als Politiker die Ursachen der grossen Armut im Lande; er gibt die Mittel der Abhilfe an; und schliesslich fügt er hinzu: »Ich könnte hier, wenn meine Zeit es erlaubte, viele Gründe anführen, die euch zu Werken der Barmherzigkeit überreden müssten; aber ihr hört sie so oft von der Kanzel herab, dass ich gern hoffe, ihr werdet sie jetzt nicht mehr nötig haben.« Welcher Pastor hätte jemals eine Predigt so geschlossen? Jeder hätte sie hier begonnen. Aber für ihn ist das Interesse erschöpft, wo das Sachliche aufhört und die Empfindung beginnt: die mache jeder mit sich selber ab! Er hat überzeugt, das Überreden bleibe andern vorbehalten. So ist es auch mit seiner Satire. Nicht durch sein eigenes Lachen wirkt er: »Humor« ist seine Sache nicht. In seinem Geist lässt er die Dinge nur in ihren eigenen Entwicklungsgleisen vorwärts laufen, bis sie halt machen am Prellbock ihrer äussersten Konsequenz; oder mit einem andern Bild: er projiziert sie von einer winzigen aber intensiven Lichtquelle aus auf einen weit entfernten Bildschirm. So stellt er sie hin, als wären sie wirklich da. An seinem Gesicht ist dabei nicht zu erkennen, ob er selbst sie komisch findet. Deshalb konnte man auch auf den Gedanken kommen, gewisse Vorschläge, die zu seinen satirischen Meisterwerken gehören (man findet sie am Schluss dieses Bandes), seien wirklich ernst gemeint und seien gar nicht »Satire«. Sie sind es auch nicht: sie sind nur das erbitterte Lachen dessen, der alles andre versucht hat: wie wenn jemand vergessen hätte, einem Freund, der mit dem Schnellzug entfährt, eine wichtige Mitteilung zu machen, und er liefe nun aufgeregt eine Strecke weit hinter dem Zuge her, um dann mit einem grellen Gelächter ob der eigenen Narrheit halt zu machen. Die Dinge selber sind grotesk; die blosse Menschlichkeit ist grotesk: Swift holt nur das Groteske aus ihnen heraus und unterschlägt die nicht grotesken Seiten, weil man zuvor das Groteske nicht sehn wollte. Er steigert, er wandelt die Proportionen: und das hat, verbunden mit dem Geist der Erbitterung, der Menschenfeindschaft, der in solchen Augenbücken aus ihm spricht, etwas Schauerlich-Unmenschliches. Deshalb kann man auch Swift aus seinen Satiren allein nicht kennen lernen. Ohne die politischen Schriften fehlen die Voraussetzungen der Satire. Es fehlt die menschliche Begründung eben dieser Logik, wenn auch im letzten Sinne jede strenge Logik etwas Unmenschliches hat. Denn schliesslich ist auch die Gerechtigkeit unmenschlich, und Swift ist ja gerecht; soweit ein Mensch gerecht sein kann.
Swift kam im Jahre 1713 als Dechant nach Dublin. Kühl empfangen. Und er verliess Irland fast unmittelbar darauf von neuem, um in London zwischen Bolingbroke und Oxford zu vermitteln. Zehn Jahre darauf war erDerDechant,DerBürger Irlands. Glockengeläut empfing ihn, wohin er kam; man errichtete Triumphbögen, wenn er irgendwo einzog; man prägte Medaillen zu seinen Ehren, auf Ladenschildern sah man den Kopf des »Tuchhändlers«, und in billige Taschentücher webte man sein Bildnis ein: er war in Wahrheit ein Gott geworden.
Hatte er selbst dergleichen erwartet? Wohl schwerlich. Er hatte mit ungeheurer Sicherheit des Griffs eine gewaltige Bewegung entfesselt, aber er hätte wohl kaum geglaubt, wie tief sie alles aufwühlen sollte. Und woher kam das? Swift war ein Mensch von ungeheurem Selbstgefühl. Und welches Selbstgefühl gliche jemals dem einer Masse? Swift war ein Mann, der ungeheure Demütigungen ertragen hatte. Und hier war ein Volk, das man schmählicher demütigte, als je eine Nation gedemütigt worden war. Swift kannte die Armut. Irland war arm. Swift empfand mit dem gemeinen Mann: das hatte er gelernt. Und in Irland war fast nur noch der gemeine Mann zu Hause. Kein Wunder also, dass er die Töne anschlug, die Widerhall fanden. Er hatte einmal an Sir William Temple, seinen frühern Brotherrn, von dem er im Streit geschieden war, einen Brief mit der Bitte um ein Leumundszeugnis schreiben müssen, weil man ihm ohne das nicht die Weihe geben wollte. Er hatte fünf Monate dazu gebraucht, sich zu zwingen. Und schliesslich hatte ihn die Notwendigkeit, sein tägliches Brot zu verdienen, genötigt. Er brauchte wohl auch in spätem Jahren nur an diese Zeit zu denken und sich diesen demütigen Bittbrief in das Gedächtnis zu rufen, um mit jedem gebeugten Stolz zu empfinden. Swift hatte viel für andre getan, als er eine Weile in London fast allmächtig gewesen war: er sagt von sich selbst, er habe an die fünfzig Menschen zu Amt und Würden gebracht, und keiner von allen sei ein Verwandter gewesen. Und doch gab man ihm, als er für das Harley-Ministerium eine Titanenarbeit vollbracht hatte, statt eines Bischofssitzes in England die Dechantei von St. Patrick in Dublin. Ebenso hatte Irland England mehr Vorteil gebracht als alle andern Länder der Welt zusammen genommen; und man speiste es mit Woods Halfpence ab. Für seine eigene Person hatte Swift stets alles in sich selbst hineingewürgt, aber hier schrie aus ihm ein Volk mit den Protesten, die seinem Innern am vertrautesten waren.
War seine Wirksamkeit planvoll angelegt? Darüber lässt sich heute schwerlich noch ein Urteil fällen. Sicher ist, dass ihm Woods Halfpence, von denen weiter unten die Rede sein wird, nur den Vorwand lieferten für einen viel weiter zielenden Angriff gegen ein ganzes System der Unterdrückung. Wir können uns heute sogar eingestehn, dass viele der Ausgangspunkte seiner Polemik Nichtigkeiten waren; ja, dass er Unrecht hatte im Kampf um das Einzelne. Darum bleibt doch die grosse Leistung bestehen. Es ist heute gleichgültig, ob es für Irland vorteilhaft gewesen wäre, wenn Irland die Nationalbank, die man damals plante, erhalten hätte, und deren Zustandekommen er durch seine »Flucherbank« hindern half. Was Swift durch seine Erweckung der ganzen Nation vollbrachte, war wichtiger als die Frage nach Recht oder Unrecht im kleinen Kampf. Er hätte hundertmal im Einzelnen Recht haben dürfen: hätte nicht stets sein Kampf über das Einzelne hinausgeführt, so würde man ihn schon längst nicht mehr lesen.
So war sein Weg ein vorgeschriebener. Er griff in vielen einzelnen Fragen ein in den Meinungsstreit. Und jedesmal, wenn er es tat, griff er weiter aus. Das typische Beispiel sind die Tuchhändlerbriefe. Er wendet sich zunächst gegen die Einführung einer bestimmten Münze in Irland, die er für verderblich hält; er richtet seinen offenen Brief an die Ladenbesitzer und das gewöhnliche Volk. Dann schreibt er einen zweiten Brief, den er an seinen Drucker adressiert. Dieser Brief steht ein klein wenig ausserhalb der Linie, die vom ersten zum vierten führt; er ist der Schachzug eines Diplomaten. Denn Walpole wollte einen Kompromiss: geknechtet musste Irland bleiben, wie es geknechtet war. Aber die entfesselte Bewegung musste gleichfalls zum Schweigen kommen. Carteret, der mit den einflussreichsten Leuten in Irland befreundet war, wurde zum Lord Statthalter ernannt und die Summe der einzuführenden Münzen auf vier Elftel des ursprünglichen Betrags herabgesetzt. Vielleicht hätte Irland sich gefügt; die öffentliche Meinung, diese Schöpfung Swifts, begann zu ebben: da schrieb Swift seinen zweiten Brief, um die geweckte Stimmung wach zu halten. Ein dritter folgte: gerichtet an den hohen und niedern Adel Irlands. Er enthält die beissende Kritik des offiziellen Berichts, der in London von der Ratskommission über diese ganze Angelegenheit erstattet wurde. Er geht schon direkt gegen England; aber er redet noch von nichts anderm als dem strittigen Punkt. Das ganze Land geriet in fiebrische Erregung. Das Volk, das erst lau gewesen war und der Frage fast gleichgültig gegenüber gestanden hatte, sieht jetzt Sein oder Nichtsein in der Ablehnung oder Zulassung dieser Münze: das ist des Tuchhändlers Werk. Der Tuchhändler aber holt, während er insgeheim Couplets und Strassenballaden ins Volk streut, zu seinem gewaltigsten Schlage aus. Es musste wirken wie ein planvoll angelegter Streich. Als liesse hier ein Mann die Maske fallen, der nur auf den Augenblick gewartet hatte, in dem er den Feind am verletzlichsten Punkt würde packen können. »Es handelt sich ja gar nicht um Woods Halfpence«, scheint der Autor hier zu rufen; »es handelt sich ganz einfach darum, ob ihr frei seid oder Sklaven!« Und wie der Schlag getroffen hatte, das zeigte sich in der Promptheit, mit der die Verfolgung gegen den Tuchhändler eröffnet wurde. Man warf den Drucker ins Gefängnis und ächtete Swift, indem man jedem, der den Verfasser der Briefe verraten wollte, eine Belohnung von dreihundert Pfund versprach. Es war nicht das erste Mal, dass Swift sich in dieser Lage sah. Schon nach der Veröffentlichung der Schrift: »Ein Vorschlag, allgemein nur irische Erzeugnisse zu benutzen,« war die Verfolgung eröffnet worden. Aber damals hatte sich die Jury, nachdem man sie neunmal nach jedem Freispruch zurückgeschickt hatte, bereit finden lassen, den Drucker durch ein sogenanntes »special verdict« dem Gerichtshof auszuliefern. Swift hatte ihn durch persönliche Fürsprache beim Herzog von Grafton, dem damaligen Lord Statthalter, retten müssen. Diesmal löste der Lord Oberrichter nach des Druckers erstem Freispruch die Jury auf; und die neueinberufene Jury lehnte nicht nur die Erhebung der Anklage ab, sondern stellte dem Tuchhändler zum Entsetzen des Richters ein Ehrenzeugnis aus, indem sie jeden als Feind der Nation erklärte, der den Versuch wagen sollte, trotz allem Woods Halfpence in Irland einzuführen. Jetzt sah Walpole ein, dass er nachgeben musste. Aber er tat es doch noch nicht gleich. Er ernannte eine seiner Kreaturen, Hugh Boulter, zum Primas von Irland und zum Erzbischof von Armagh. Und selbst der konnte nichts andres tun als zum Rückzug raten. Und wenig Monate nach des Tuchhändlers fünftem Brief (in unsrer Ausgabe ist es der sechste, denn der eigentliche fünfte wurde damals noch nicht veröffentlicht), zeigte sich Irlands Sieg über England dadurch, dass man Wood sein Patent entzog. Es war ein Sieg Swifts über Walpoles Politik.
Swifts Kampf ging weiter. Er ruhte nicht. Dies war nur der Sieg in einem Punkt: und alles Elend blieb bestehn. Er schrieb den Traktat über die Lage Irlands, die »Geschichte der Dame, der Unrecht geschah«, die »Antwort auf eine Denkschrift«, und schliesslich den offenen Brief an Walpole. Das war der letzte Versuch, auf die allgemeine Gestaltung der Politik Englands Irland gegenüber einzuwirken. Er war erfolglos. Nun blieb nur die Selbsthilfe, England zum Trotz. Aber das Volk war zu phlegmatisch; es war nicht aufzurütteln. Und Swifts Stimme schlägt um zu einem jähen Gelächter; es folgen die beiden Schriften : »Ein bescheidener Vorschlag usw.« und »Antwort auf den Craftsman«. Zwei kleine Schriften, die in allen Litteraturen der Welt an konzentriertem Hohn ohne gleichen dastehn. Das ist, vom Appendix abgesehn, der vorliegende, erste Band. Um ihn zu verstehn aber ist es nötig, in kurzen Zügen auf die damalige rechtliche Lage Irlands einzugehn.
Inhaltsverzeichnis
Als unter Heinrich VII. der Prätendent Perkin Warbeck in Irland gelandet war und königliche Würde angenommen hatte, erliess er mit dem irischen Parlament eine Reihe von Gesetzen. Darin lag die Möglichkeit einer Lostrennung Irlands von England. Um dieser Möglichkeit den Boden zu entziehn, wurde Poynings Akte erlassen. Dieses Gesetz besagte, dass in Irland hinfort kein Parlament mehr tagen sollte, wenn nicht des Königs Statthalter und Rat dem König zuvor alle Angelegenheiten und Gesetze mitgeteilt hätten, die beraten werden sollten; der König und sein Rat sollten sie begutachten und zur Beratung freigeben, ehe das Parlament mit der unter dem Landessiegel Englands erteilten Erlaubnis berufen werden durfte. Dieses Gesetz, erlassen von einem willfährigen Parlament, sollte niemals »England das Recht verleihen, für Irland Gesetze zu geben« (Lecky); aber es bildet den Ausgangspunkt für die ganze Reihe von englischen Übergriffen, deren Folge die Verarmung Irlands war; freilich erst zusammen mit der »Union«, die unter Heinrich VIII. gesetzlich festgelegt wurde.
Irland ist ein von der Natur insofern sehr begünstigtes Land, als es einesteils die am weitesten nach Westen vorgeschobene Mark Europas ist und andrerseits durch seine Bodenverhältnisse ganz von selbst zur Viehzucht getrieben wird. Jener erste Umstand scheint es vorbestimmt zu haben für die Rolle, die heute England an sich gerissen hat: die Rolle der Mäkler für die ganze Welt. Der zweite Umstand legte ihm nahe, entweder Vieh auszuführen oder sich zum Fabrikanten desjenigen Erzeugnisses zu machen, das durch Jahrhunderte hindurch der begehrteste Handelsartikel war, und dessen Äquivalent auch heute noch an zweiter Stelle steht: der Wolle. Ein Blick auf die Karte lehrt, dass jedenfalls zwischen Amerika und Europa Irland der gegebene Vermittler war, nicht England. Und wenn England in der Wollfabrikation schon früh Irland den Rang ablaufen konnte, so lag das an den inneren Verhältnissen Irlands, das lange unter Aufständen, Kriegen usw. zu leiden hatte, und auch daran, dass Irland es lange vorzog,lebendesVieh auszuführen. Aber gegen Ende des 17. Jahrhunderts erreichte die irische Wollindustrie, geweckt vor allem durch törichte Gesetze, die Irlands Blüte verhindern sollten (siehe unten), tatsächlich einen solchen Höhepunkt, und sie war damals so sehr vervollkommnet, dass England sich für gefährdet hielt und auf Abwehr sann. Durch jene beiden oben erwähnten Gesetze, Poynings Akte und das Unionsgesetz, war Irland nicht rechtlich, wohl aber in der Schätzung aller massgebenden Kreise in England in eine Stellung herabgedrückt, die sich nur noch wenig von der einer eroberten Kolonie unterschied; daher denn auch niemand an wirtschaftliche Abwehr dachte, wie sie heute die einzige Möglichkeit bieten würde. Man zog ein vereinfachtes Verfahren vor. Ehe wir näher auf dieses Verfahren eingehn, müssen wir kurz erwähnen, wer zu Swifts Zeiten von der englischen Politik der Beeinträchtigung geschädigt wurde.
Irlands Bevölkerung bestand zunächst aus den katholischen Iren, den eingewanderten, protestantischen Engländern und im Norden einer kleinen Kolonie presbyterianischer Schotten. Die Iren trieben fast ausschliesslich Ackerbau; die Schotten im Norden (Ulster) hielten die ganze Leinenindustrie in Händen; und gerade den eingewanderten Engländern des Ostens blieb damals fast nichts als die Wollindustrie und der Handel mit den Wollfabrikaten.
Zunächst also liess England es sich angelegen sein, Irlands Produktion lahmzulegen. Die ersten diesbezüglichen Gesetze richteten sich gegen die Ausfuhr von Rindvieh und Produkten der Rindviehzucht. Die englischen Gutsherrn hatten den Anstoss gegeben, indem sie sich darüber beklagten, dass die Einfuhr irischen Rindviehs in England den Pachtzins drücke.
1665 und 1680 wurden die beiden Akte erlassen, die die Einfuhr jeden Viehs (Rinder, Schafe und Schweine), die Einfuhr von Rindfleisch, Schweinefleisch, Speck, Hammelfleisch, Butter und Käse verboten. Diese Einfuhrverbote waren von allen vor Swifts Zeit zum Schaden von Irland erlassenen Gesetzen aus mehreren Gründen die wichtigsten. Erstens hatte Irland für diese Waren keinerlei andern Markt ausser England, und also war das Einfuhrverbot gleichbedeutend mit einem Verbot der Ausfuhr aus Irland: eine Massregel, zu der man sich direkt damals noch nicht entschliessen konnte. Zweitens aber hatte diese Lahmlegung des Handels mit Vieh und Fleisch gerade die Folge, die irischen Züchter fast ausschliesslich auf die Schafzucht zu werfen, d. h. die Wollindustrie auf ihre Höhe zu heben.
Der erste Versuch, Irlands von da an immer bedrohlicher werdende Wollausfuhr einzuschränken, geschah unter Wilhelm III. Es liefen beim englischen Parlament Klagen ein, dass die irische Fabrikation dem englischen Handel Eintrag täte. Das Unterhaus wandte sich an den König, und der König wies den Lord Statthalter in Irland an, dafür zu sorgen, dass das irische Parlament sich mit den Klagen im englischen Unterhause eingehend beschäftigte, um dann Massnahmen zu treffen, damit die Wollindustrie eingeschränkt und die Leinenindustrie begünstigt würde. Das irische Parlament fügte sich. In einer Dankadresse an den König erklärte es sich bereit, die Leinenfabrikation nach Kräften zu begünstigen und die Wollausfuhr möglichst so einzuschränken, dass sie England nicht mehr zum Schaden gereichte. Zu dem Zweck wurde ein hoher Ausfuhrzoll auf alle Wollfabrikate gelegt. Aber das genügte den englischen Händlern keineswegs. »Diese Nachgiebigkeit«, sagt Monck Mason, der Geschichtsschreiber von St. Patricks Cathedral, »schien die Eifersucht zwischen den beiden Nationen nur noch zu erhöhen; denn die Bevölkerung Englands meinte, die irischen Fabrikate seien zu einem sehr gefährlichen Grade der Vollkommenheit gelangt, da man annähme, dass sie einen so übertriebenen Zoll vertragen könnten.«
1699 also wurde vom englischen Parlament eine Akte erlassen, dass niemand aus Irland Wolle ausführen dürfte, es sei denn nach England oder Wales; und zwar sollten alle Wollfabrikate nur zwischen bestimmten Häfen hin und her laufen. Wenn nun England tatsächlich nur die Rolle eines Hafens oder Stapelplatzes gespielt hätte, so wäre der Schlag, wenn auch schwer, so doch nicht vernichtend gewesen. Aber England erhielt seine alten Einfuhrzölle auf Wolle auch gegen Irland aufrecht, ganz gleichgültig, ob die Ware zum Verbrauch im Lande eingeführt werden sollte oder tatsächlich nur Transitgut war. Das bedeutete eine vollständige Ausschaltung Irlands aus dem Wollhandel der Welt. Freilich hatte die Akte diese Wirkung, wenn sie auch auf die Dauer unvermeidlich war, nicht unmittelbar. Zunächst nämlich nahm der irische Wollhandel nicht ab, sondern zu, und zwar als Schmuggelhandel; aber zugleich begann die Abwanderung der Weber nach den nördlichen Ländern Europas und nach Spanien. Diese eingewanderten Weber bildeten sozusagen den Kern neuer Industrialkolonien. Deutschland, Holland, Nordfrankreich wurden Englands Konkurrenten, nachdem sie von den Iren gelernt hatten, was bisher Fabrikationsgeheimnis der britischen Inseln gewesen war. So wurde Irland entvölkert, und zwar waren es gerade die betriebsamsten Leute, die ihm entzogen wurden, und war England auch selbst in seinem Handel der in erster Linie leidende Teil, solange der irische Schmuggelhandel blühte, so versiegten doch auch allmählich in Irland die Quellen eben dieses Schmuggelhandels, weil erstens durch die Abwanderung Mangel an Arbeitskräften eintrat, und weil zweitens die Auswanderer den Bedarf der Länder, in die man exportierte, immer vollständiger deckten. (Siehe Swift, Die gegenwärtige elende Lage Irlands, Seite 311.)
Nun aber der Handel. Mit den europäischen Ländern beschränkte sich der Handel im wesentlichen auf einen Austausch der Produkte. Reiner Zwischenhandel spielte damals wie heute innerhalb Europas kaum eine Rolle. Er beschränkte und beschränkt sich auf den Überseeverkehr. Überseeverkehr nun hiess damals für alle nicht romanischen Länder mit Ausnahme Hollands und Englands selber Verkehr mit den englischen Kolonien in Amerika. Nur dieser Handel machte das »Hinterland«, das Irland fehlte, entbehrlich. Für ihn gab Irland im Grunde die natürlichen Häfen her. (Swift, Ein kurzer Überblick usw. Seite 265.) Tatsächlich war der irische Überseehandel bis zum Jahre 1663 nicht gering. In diesem Jahr aber wurde in England die zweite Navigationsakte erlassen, die verbot, irgendwelche europäischen Produkte in die englischen Kolonien einzuführen, es sei denn in englischen Schiffen und aus englischen Häfen.
So war Irland gewissermassen eingeschlossen von Verboten und auf den Verkehr im Innern seiner eigenen Grenzen beschränkt. Nun ist es für ein unabhängiges freies Land immerhin möglich, in vollständiger Abgeschlossenheit ein stagnierendes Leben zu führen. Aber für Irland war es eben durch seine Union mit England nicht möglich. Ein Land, das seinen Fürsten nicht innerhalb seiner Grenzen beherbergt, ist schon dadurch gezwungen, Geld auszuführen, weil es eben diesen Fürsten zu erhalten hat. Wäre auch kein einziger andrer Antrieb vorhanden, so zwänge schon dieser eine Umstand es, Handel zu treiben, damit für das abfliessende Geld Ersatz ins Land kommt (man vergesse dabei nicht, dass Geld nur ein Symbol für Ware ist). Irland mit seinen weiten Gebieten, die für den Ackerbau untauglich, aber für die Viehzucht vortrefflich geeignet sind, war ausserdem gezwungen, für die Deckung seiner eigenen Notdurft mindestens Getreide einzuführen. Wobei noch ganz abgesehn ist von allen Luxusartikeln, Wein, Seide usw., die die reicheren Einwohner nicht entbehren wollten. Ein Land wird wohlhabend, wenn seine Ausfuhr die Einfuhr übersteigt, d. h. wenn es mehr produziert als verbraucht, oder wenn ein Mangel der direkten Ausfuhr ausgeglichen wird durch einen ausgedehnten Zwischenhandel, wie es bei England lange der Fall war. Irland waren Ausfuhr wie Zwischenhandel genommen; seine Einfuhr wuchs infolge der Entmutigung vieler Erwerbszweige und infolge eines zunehmenden Luxusbedürfnisses (dieses Zunehmen war eine universale Erscheinung) fortwährend.
Aber das war nicht alles. Ein weiterer Grund der Verarmung Irlands liegt in dem sogenannten »absenteeism«, d. h. in dem Umstand, dass gerade die reicheren unter den irischen Eingeborenen, namentlich die Grossgrundbesitzer, lieber in England lebten als in Irland. Swift führt als Ursachen dieser Erscheinung des absenteeism Vergnügungssucht, Neugier und Königstreue an. Aber er erwähnt an einer Stelle auch die tiefer liegende Ursache dieser geradezu verderblichen Gewohnheit des Adels.
Immer mehr nämlich war es Brauch geworden, die hohen Stellungen in Verwaltung, Kirche und Heer lediglich englischen Bewerbern zu verleihen, und zwar als eine Art Versorgung. Nun ist es einerseits natürlich, dass ein Beamter, der, von Geburt und nach Empfindung Engländer, nicht unbedingt im Lande zu sein braucht, wenigstens so oft er kann, in seine Heimat zurückkehrt: wieder ein Kanal, durch den irisches Geld, nämlich das Gehalt der Beamten, ins Ausland floss. Vor allem aber nahm diese immer mehr um sich greifende Gewohnheit dem irischen Adel die Möglichkeit der Versorgung seiner jüngeren Söhne. Irische Ämter wurden von England aus besetzt. Was also war natürlicher, als dass der Adel mit seiner relativen Unabhängigkeit von dem verpachteten Grund und Boden nach England übersiedelte, um vielleicht so für seine jüngeren Söhne durch direkten Einfluss bei Hofe eine Stellung zu erlangen. Es ist leicht zu sehn, dass dadurch der grössere Teil des in Geld umgesetzten Bodenertrags zur Bestreitung des kostspieligen Aufenthalts in London nach England wanderte. Und ebenso viel, wie dadurch England Zuwachs erhielt, entging auf diese Weise den irischen Gewerbetreibenden. Schuhe, Kleidung, Nahrung und Putz wurden in England gekauft; Maurer, Zimmerleute, Glaser usw. blieben in Irland beschäftigungslos und überliessen sich wilden Spekulationen, die zu ihrem Verderben führen mussten. (Siehe diesen Band Seite 273.)
Viele Nebenursachen, die alle auf das gleiche Ziel hinwirkten, und viele Wirkungen, die diese wie jene aufgezählten Ursachen hatten, wird man aus Swifts Schriften ersehn. Sie hier alle zu erwähnen, wo es nur darauf ankommt, einen Überblick über die Ereignisse zu geben, würde zu weit führen.
Ein also verarmtes Irland demnach war es, das im Jahre 1722 von einem neuen Schlag bedroht wurde. Am 12. Juli dieses Jahres nämlich wurde William Wood, Esq., sein Freibrief zur Ausprägung von 108 000 Pfund Kupfer für Irland erteilt.
Oft schon hatte das irische Volk gebeten, man möge ihm die Erlaubnis erteilen, eine eigene Münze zu errichten. Stets erfolglos. Statt dessen wurden immer von neuem Freibriefe an Privatpersonen erteilt, die das Recht erhielten, für Irland Geld zu prägen. Man findet das nähere über diese Präzedenzfälle im dritten Tuchhändlerbrief dieses Bandes (Seite 129). Woods Freibrief unterschied sich von den früheren vor allem dadurch, dass er keinerlei Garantien für eine loyale Ausbeutung des Privilegs verlangte. Da liegt der Schwerpunkt. Weniger wichtig erscheint uns heute die angebliche Minderwertigkeit des Metalls usw. Auf jeden Fall sträubte sich das irische Parlament von Anfang an gegen die Münzen, und erst auf der Nichtachtung, die die Proteste der irischen Körperschaften fanden, konnte sich Swifts Feldzug aufbaun. Diesen Feldzug hier im Einzelnen zu schildern, hiesse dem grösseren Teil dieses Bandes sein Interesse nehmen. Man wird ihn lieber im Original verfolgen, als ihn sich paraphrasieren lassen.
Zum Schluss dieser Vorbemerkungen möchte der gegenwärtige Herausgeber, der selbstverständlich auf einer ganzen Reihe von Vorgängern in England fusst, vor allem seine Verbindlichkeiten gegenüber Herrn Temple Scott und den Mitarbeitern an seiner trefflichen Taschenausgabe Swifts in vollstem Umfang anerkennen. Er hat sich in der Einordnung der einzelnen Bestandteile dieses Bandes fast durchweg an die durch Scotts Ausgabe festgelegte Reihenfolge halten können, da sie nicht nur den besten Überblick über Swifts Wirken gibt, sondern auch wissenschaftlich in ihrer Chronologie ausgezeichnet fundiert ist und in manchen Punkten geradezu als grundlegend bezeichnet werden kann.
Inhaltsverzeichnis
Diese Predigt gibt einerseits wenig über Swifts politische Tätigkeit in Irland, was nicht auch in den rein polemischen Schriften zu finden wäre; andererseits aber zeigt sie, wie er den Iren selbst gegenüberstand, deutlicher, als manche seiner sonstigen Schriften. Ferner ist sie ein sprechendes Beispiel dafür, wie Swift zu predigen pflegte. Wenn auch das Thema in besonderem Grade unreligiös ist, so ist doch schon das bezeichnend für den Dechanten, der als Prediger eine Stellung völlig für sich einnimmt. Uns sind nur zwölf Kanzelreden Swifts erhalten, und alle zeichnen sich durch eine grosse Nüchternheit aus, wenn man sie als oratorische Werke betrachtet. Aber in der Kühnheit, mit der der Prediger seine Pfarrkinder selbst angreift und ihre wirtschaftliche Lage bespricht, zeigt sich seine ganze Natur, die stets eine Kampfstellung sucht, um sich zu äussern.
Psalm 144. Ein Teil des 14. und 15. Verses.
»Dass keine Klage auf unsern Gassen sei. Wohl dem Volk, dem es also gehet!«
Es ist ein sehr melancholischer Gedanke, dass ein Land wie unsres, während es imstande ist, alles zum Leben Nötige und das meiste, was das Leben behaglich macht, in genügender Menge hervorzubringen, um die vierfache Zahl seiner Einwohner zu ernähren, dennoch unter der schwersten Last des Elends und Mangels leben muss; dass unsere Strassen von Bettlern wimmeln und dass so viele unserer ärmeren Kaufleute, Arbeiter und Handwerker für die Ihren weder Kleidung noch Nahrung zu finden vermögen.
Ich denke, es wird deshalb nicht ohne Nutzen sein, wenn ich euch die Hauptursachen dieser elenden Lage, in der wir uns befinden, darlege; dann wird man leichter sagen können, welche Hilfsmittel in unsrer Macht stehn, um wenigstens einen Teil dieser Übel zu beseitigen.
Denn es ist ewig zu beklagen, dass wir unter vielen Nachteilen leiden, die nicht durch uns verschuldet, die uns allein eigen sind, und über die keine andre Nation unter dem Himmel zu klagen je Grund gehabt hat.
Ich will daher zunächst einige Ursachen unsres Elends erwähnen, denen wir, wie ich glaube, nicht abhelfen können, bevor Gott es denen, die stärker sind, ins Herz gibt, uns die allergewöhnlichsten Rechte und Privilegien der Brüder, der Mituntertanen, ja, der Menschen zu verleihen.
Die erste Ursache unsres Elends liegt in dem unerträglichen Druck, der auf jeden Zweig unsres Handels ausgeübt wird, so dass wir für unsre strengen Nachbarn geworden sind als wie Holzhauer oder Wasserträger.
Die zweite Ursache unsrer elenden Lage liegt in der Narrheit, der Eitelkeit und Undankbarkeit jener ungeheuren Zahl, die sich für zu gut halten, um in dem Lande, das ihnen das Leben gab und ihnen noch immer ihr Brot gibt, zu leben; und die ihre Tage lieber unter denen verbringen, die sie von Herzen verachten, die dort ihren Reichtum verzehren und ihrem Mutterlande die Eingeweide aus dem Leibe ziehn.
Diese Dinge habe ich nur flüchtig berührt, weil ich fürchte, ihnen ist nicht abzuhelfen; und ausserdem bin ich mir sehr wohl bewusst, wie bereit manche Leute sind, an der ehrlichen Wahrheit Anstoss zu nehmen. Deshalb werde ich auch mehrere Missstände übergehn, unter denen wir wahrscheinlich noch lange stöhnen werden.
Ich gehe also dazu über, ein par weitere Ursachen der Armut dieser Nation aufzuzählen, durch die sie unfehlbar dem äussersten Verderben anheimfallen muss, wenn sie noch lange bestehn bleiben.
Die erste besteht in dem ungeheuerlichen Hochmut und der Eitelkeit beider Geschlechter, zumal des schwächeren Geschlechts, dem man mitten in der Armut erlaubt, sich in allerlei Ausgaben zu stürzen und mit seiner Kleidung Verschwendung zu treiben; vor allem aber setzen die Frauen ihren Stolz darein, nichts zu tragen, was nicht vom Ausland kommt; und sie verschmähen Wachstum und Erzeugnis ihres eigenen Landes selbst in den Dingen, in denen sie im Lande zum halben Preis besser bedient werden können; und das hat einen solchen Umfang angenommen, dass sie die ganze Jahresrente eines hübschen Guts zugleich auf ihrem Leibe tragen. Und da in diesem Geschlecht ein Geist des Neides lebt, vermöge dessen sie es nicht ertragen können, andre besser gekleidet zu sehn als sich selbst, so wollen auch die, deren Vermögen die Ihren kaum mit der Lebensnotdurft zu versorgen vermag, durchaus mit den reichsten und grössten unter uns wetteifern, und zwar zu ihrem eigenen Verderben und zu dem ihrer Nachkommenschaft.
Doch auch die Männer machen sich dieser verderblichen Narrheit nicht minder schuldig; sie wollen den Flitterprunk und die Ziererei nachahmen, die in den letzten Jahren in unser Nachbarkönigreich Eingang fand (wie denn Narren immer nur die Fehler Bessergestellter nachahmen), und können in ihrem eigenen Lande keine Stoffe finden, die würdig wären, ihre Leiber aus Staub zu zieren, während ihre Seelen jeder wertvollen Eigenschaft bar sind.
So lässt man unsre Kaufleute und Ladenbesitzer, die mit einheimischen Waren handeln, hungern, und nur die werden ermuntert, die das Königreich zugrunde richten, indem sie ausländische Eitelkeiten unter uns einführen.
Eine weitere Ursache unsres Niedergangs ist unsre grosse Üppigkeit, deren Hauptstütze darin besteht, dass ihr Material der Nation für die wenigen wertvollen Dinge gebracht wird, die uns noch geblieben sind; und eben darum fehlt es so vielen tausend Familien an der einfachsten Notdurft des Lebens.
Drittens überlassen sich in den meisten Teilen dieses Königreichs die Eingeborenen von frühester Jugend an so sehr dem Müssiggang und der Faulheit, dass sie oft lieber betteln und stehlen als sich durch ihre eigene Arbeit erhalten. Sie heiraten, ohne im geringsten darauf zu achten oder daran zu denken, ob sie auch imstande sind, irgendwie für ihre Familien zu sorgen; und während man in allen fleissigen Nationen in den Kindern eine Hülfe für ihre Eltern sieht, sind sie bei uns mangels einer frühen Anleitung zur Arbeit für das Haus eine unerträgliche Bürde und für die Allgemeinheit eine schwere Last; das zeigt sich in der ungeheuren Anzahl zerlumpter und nackter Kinder in Stadt und Land, die umhergeführt werden von vagabundierenden Frauen und aufgezogen in Unwissenheit und allerlei Lastern. Schliesslich liegt eine Hauptursache des Elends dieser Nation in jener ägyptischen Knechtschaft unter grausamen, tyrannischen, habgierigen Gutsherrn, die da erwarten, dass alle, die unter ihnen leben, ohne Stroh Ziegelsteine machen sollen, die sich ärgern und neidisch werden, wenn sie einen ihrer eigenen Pächter in einem heilen Rock sehn oder wenn er imstande ist, sich einmal im Monat eine behagliche Mahlzeit zu leisten; dadurch wird der Mut des Volks gebrochen und für die Sklaverei vorbereitet, denn die Pächter und Kätner sind fast im ganzen Königreich in jeder Hinsicht und in jedem Sinne ebenso wirkliche Bettler wie die, denen wir auf den Strassen unsre Almosen geben. Und diese grausamen Gutsherrn entvölkern das Königreich mit jedem Tage immer mehr, indem sie ihren elenden Pächtern gegen jede Vernunft und Gerechtigkeit und entgegen dem Brauch und der Einsicht aller andern Nationen verbieten, ihren Boden zu pflügen; dadurch sind zahllose Familien gezwungen worden, entweder das Königreich zu verlassen oder umherzuziehen und die Zahl unsrer Bettler und Diebe zu vermehren.
So und viel schlimmer noch ist unsre Lage gegenwärtig, hätte ich nur Musse oder Redefreiheit, sie Euch darzulegen; und deshalb ist das nächste, was zu betrachten wäre, ob sich ein wahrscheinliches Abhilfsmittel gegen wenigstens einen Teil dieser Übel finden liesse; denn die meisten sind ganz verzweifelt.
Da aber das ein zu ausgedehnter Gegenstand ist, um ihn jetzt zu behandeln, und da mich der Zweck meiner Rede darauf beschränkt, einige Fingerzeige hinsichtlich der Armen dieser Stadt zu geben, so will ich mich in diesen Grenzen halten. Es steht in der Tat in der Macht der Gesetzgeber, in jedem Kirchspiel des Königreichs eine Schule zu gründen, wo die geringeren und ärmeren Kinder englisch schreiben und lesen lernen, und den Lehrern ein angemessenes Gehalt zu geben. Das würde mit der Zeit jene Barbarei und Unwissenheit beseitigen, um deretwillen unsre Eingeborenen von allen Ausländern so verachtet werden; sie würden dahin kommen, dass sie den Regeln der Vernunft entsprechend denken und handeln; und dadurch würde ein Geist des Fleisses, des Erwerbssinns und der Ehrlichkeit unter ihnen geweckt werden. Und wahrhaftig, wenn wir bedenken, eine wie niedrige Steuer für ein solches Werk genügen würde, so ist es ein öffentliches Ärgernis, dass etwas Derartiges noch nie versucht worden ist, ja, dass man vielleicht noch nie daran gedacht hat.
Um den Mangel eines solchen Gesetzes auszugleichen, haben sich mehrere fromme Personen in vielen Teilen dieses Königreichs durch die grossen Bemühungen und das gute Beispiel der Geistlichen bestimmen lassen, in manchen Kirchspielen Armenschulen zu errichten; und oft tragen die reichsten Pfarrkinder zu ihnen am wenigsten bei. In diesen Schulen lernen die Kinder (oder wenigstens sollten sie es lernen) lesen und schreiben und rechnen; und diese Kinder sollten wenn möglich von ehrlichen Eltern abstammen, die durch die Hand Gottes vor Alter, Krankheit oder anderm unvermeidlichem Unglück hilflos geworden sind; nicht die Brut verworfener Vagabunden; denn es ist keineswegs vernünftig, wenn die Almosen wohlwollender Leute dazu benutzt werden, die Unzucht jener lasterhaften, zügellosen Frauen zu ermuntern, die unsre Strassen mit ihren erborgten oder unehelichen Kindern füllen.
In jenen Armenhäusern, die zu ihrer Erhaltung gute Kapitalien und Einkünfte besitzen und deren es zum Ärgernis der Christenheit in diesem Königreich so wenig gibt – in solchen Armenhäusern, sage ich, sollten alle Kinder von Bürgern und Freisassen stammen, die ins Unglück geraten sind; und man sollte sie zu einem guten Gewerbe erziehn. Aber in den kleinen Armenschulen der Kirchspiele, die ganz ohne Mittel sind, wenn nicht wohltätige Leute gelegentlich freundlich helfen – da missbillige ich die Sitte, die Kinder in andern als den niedrigsten Gewerben in Lehre zu geben, unbedingt; sonst wird der arme, ehrliche Bürger, der eben imstande ist, sein Kind aufzuziehen und bei einem guten Meister eine kleine Summe dafür zu zahlen, völlig aus dem Feld geschlagen, und ihm wird vielleicht der Bastard irgend eines Bettlers vorgezogen. Daher haben wir auch einen solchen Überfluss an Lehrlingen und Arbeitern, wie ihn unser entmutigtes Land nicht beschäftigen kann; und ich fürchte, der grössere Teil unsrer Räuber, Taschendiebe und andern Vagabunden gehört zu dieser Zahl.
Um also diese Armenschulen der Kirchspiele allgemein und gründlich nutzbar zu machen, darin stimme ich vielen gescheiten Leuten bei, müsste der ganzen Angelegenheit eine neue Wendung gegeben werden.
Ich glaube, keine Klage kann gerechter sein, als jene, die wir in fast jeder Familie hören; die Klage über die Narrheit und Unwissenheit, die Trägheit und Verderbnis und die unwirtschaftliche, verschwenderische Charakteranlage der Dienstboten, die tatsächlich zu einem der vielen öffentlichen Missstände des Königreichs geworden sind. Ich glaube, mir werden augenblicklich nur wenig Brotherrn zuhören, die sich davon nicht aus eigener Erfahrung überzeugt hätten. Und ich bin fast sicher, dass durch die Verdorbenheit der Dienstboten mehr Familien aller Stände zugrunde gerichtet worden sind, als durch alle andern Ursachen zusammengenommen. Das kann auch nicht weiter wundernehmen, wenn wir bedenken, aus welchen Kinderstuben heraus so viele in unsre Häuser eintreten. Zunächst haben wir die Horde ruchloser Buben, die an den meisten Ecken dieser Stadt herumlungern und die öffentlichen Tore belagern. Das ist die Brut von Bettlern; aufgezogen, um zu stehlen, sowie sie nur gehn oder sprechen lernen, werden sie, wenn sie in die Jahre kommen, angestellt, um sich in den untersten Stellungen Brot zu verdienen; dabei üben sie sich in jeder Art von Halunkerei, und wenn sie erwachsen sind, so müssen sie, falls sie nicht in einer Diebesbande ihren Unterhalt finden, nach einem Dienst suchen. Die zweite Kinderstube besteht in dem barbarischen und öden Teil des Landes, aus dem solche Burschen hierher kommen, um ihr Glück zu machen; vom Misthaufen weg sind sie in Müssiggang, Unwissenheit, Lug und Diebstahl aufgezogen. Aus diesen beiden Kinderstuben, sage ich, kommt eine grosse Anzahl unsrer Dienstboten zu uns, und sie genügt, um alle übrigen anzustecken. Daher ist das ganze Geschlecht der Dienstboten in diesem Königreich in so schlechten Ruf geraten, dass einige Leute, die aus England herübergekommen sind, um grosse Ämter zu verwalten, sich geradezu geweigert haben, irgend einen unter uns geborenen Dienstboten in ihre Häuser aufzunehmen. Daraus kann man ihnen auch keinerlei Vorwurf machen; denn wenngleich es nicht unmöglich ist, für einen guten Dienst einen ehrlichen Eingeborenen zu finden, so ist doch die Suche zu mühsam und das Wagnis für einen Fremden zu gross.
Wenn wir die vielen Unglücksfälle durchgehn, die einzelne Familien treffen, so wird sich herausstellen, dass die Dienstboten bei allen Ursache und Werkzeug waren: wird uns Hab und Gut unterschlagen, vergeudet und ruiniert? Brennt unser Haus bis auf den Erdboden nieder? Es geschieht durch die Faulheit, die Trunksucht oder die Schurkerei der Dienstboten. Werden wir im Bett beraubt oder ermordet? Unsre Diener sind mit den Tätern im Bunde. Geraten wir in Streit und Missverständnisse mit unsern Nachbarn? Begonnen und entfacht sind sie durch die falschen und boshaften Zungen unsrer Dienstboten. Werden die Geheimnisse unsrer Familien verraten und üble Gerüchte über uns verbreitet? Unsre Dienstboten sind die Urheber. Erheben sich falsche Ankläger wider uns (ein Übel, das in diesem Lande nur zu häufig auftritt)? Sie haben mit unsern Dienstboten unterhandelt. Verraten unsere Kinder in ihren Worten und Handlungen Narrheit, Heimtücke, Hochmut, Rachsucht, Grausamkeit und Ungehorsam? Lassen sie sich verführen zu Unzucht und ärgernisserregenden Ehen? Es geschieht alles durch unsre Dienstboten. Ja, selbst die Irrtümer, Narrheiten, Versehen und Absurditäten derer, die in unserm Dienst stehn, vermögen den mildesten in Harnisch und ausser Fassung zu bringen, und oft sind sie so folgenschwer, dass sie ganze Familien in Verwirrung bringen.
Da also nicht nur der Frieden und die Ruhe unsres Hauses und die Wohlfahrt unsrer Kinder, sondern selbst die Sicherheit unsres Lebens, unser Ruf und unser Vermögen so sehr von der Wahl unsrer Dienstboten abhängig sind, so scheint mir, es wäre eine Aufgabe für die Weisheit der Nation, in einem so wichtigen Punkt Vorkehrungen zu treffen. Inzwischen aber wäre zu wünschen (und vielleicht würde es auch noch zweckdienlicher sein), dass die Kinder beiderlei Geschlechts, die in den Armenschulen der Gemeinden Unterkunft finden, in einer Weise aufgezogen würden, die sie gelehrig machte und instand setzte, zu lernen, was nur in irgend einem Dienst verlangt werden mag. Sie sollten zum Beispiel lesen und schreiben lernen, und auch ein wenig rechnen; man sollte sie darin unterweisen, die Grundlagen der Religion zu erfassen, Sauberkeit zu üben, im Geist der Ehrlichkeit, des Fleisses und der Sparsamkeit zu leben; und für jedes Versäumnis in einem dieser Punkte sollte man sie streng bestrafen. Denn es ist das Unglück der Menschheit, dass Kinder, die nicht in früher Jugend regelmässig unterrichtet wurden und dadurch das erwarben, was ich eine gelehrige Anlage nenne, im Lauf ihres Lebens nicht das Leichteste ohne grosse Schwierigkeit zu lernen vermögen, sondern stets linkisch und ungewandt bleiben; denn sowohl ihr Geist wie ihr Körper wird steif und unbiegsam; das sehn wir auch an jenen adligen Herrn, denen die Nachsicht ihrer Eltern nur ein paar Jahre der Schule ersparte und die die verlorene Zeit nie wieder einbringen können, so dass sie in Unwissenheit und allerlei Lastern aufwachsen, wofür es im ganzen Lande nur zu viele Beispiele gibt. Um aber auf das zurückzukommen, wovon ich sprach: wenn diese Armenkinder in der erwähnten Weise vorbereitet und dann bei den Familien der Gutsherrn oder Bürger in die Lehre gegeben würden (und ein kürzlich erlassenes Gesetz sucht diesen Brauch sehr zu fördern), so würden sie, da sie von Anfang an gewohnt sind, stets etwas Nützliches zu lernen, in einem Monat mehr Kenntnisse erwerben, als ein anderer ohne diese Vorbereitung in einem Jahre erwerben könnte; und inzwischen wären sie, soweit ihr Alter und ihre Kraft es erlauben, in der Familie schon sehr nützlich. Und wenn solche Kinder in die verständigen Jahre kommen, werden sie wahrscheinlich ihren Mitdienstboten ein nützliches Beispiel geben und sich wenigstens für die andern als eine starke Hemmung erweisen; denn ich denke mir, jedermann wird zugeben, dass ein einziger ehrlicher, fleissiger Diener im Hause eine Fülle von Unheil in der Familie verhüten kann.
Das sind die Gründe, weshalb ich soviel Gewicht auf diesen Punkt lege, und ich hoffe, alle, die mir zuhören, werden sie erwägen.
Ich will jetzt einiges über jene grosse Anzahl von Armen sagen, die als Bettler unsre Strassen heimsuchen und uns mit ihrem beständigen Schreien und ihrem flehenden Drängen die Ohren füllen. Das kann ich kühn ein unnötiges Übel nennen, wie es die grobe Nachlässigkeit und der Mangel an Vorsorge bei denen, deren Pflicht es ist, solche Dinge zu verhindern, über uns gebracht hat. Aber bevor ich weiter gehe, lasst mich in Demut versuchen, Gottes Gnade und Gerechtigkeit und sein Handeln an den Menschen zu rechtfertigen. In diesem Punkt hat er nicht so hart an seinen Geschöpfen gehandelt, wie manche denken mögen, wenn sie sehn, dass so viele elende Wesen aus Mangel zugrunde zu gehn bereit sind. Denn bei strenger Untersuchung würde sich unfehlbar herausstellen, dass es unter zwanzig dieser Elenden kaum einen gibt, der seine gegenwärtige Armut nicht seinen eigenen Fehlern verdankt, seiner dauernden Faulheit und Nachlässigkeit, seiner unvorsichtigen Heirat, als er nicht die geringste Aussicht hatte, eine Familie ernähren zu können, seiner törichten Verschwendung, seiner Trunksucht und andern Lastern, durch die er das Seine vergeudet und sich für sein Alter Krankheiten zugezogen hat. Und um ganz offen zu reden: ist es irgendwie recht oder vernünftig, dass Menschen, die sich viele erlaubte Befriedigungen und Annehmlichkeiten versagt haben, und zwar ebenso sehr aus einem Gewissensprinzip heraus wie aus Vorsicht, um nämlich nicht der Allgemeinheit zur Last zu fallen, die Bürde tragen müssen, andre zu erhalten, die sich durch ihre Faulheit, ihre Ausschweifung und ihre Laster so weit herunter gebracht haben, dass sie kein Stück Brot mehr besitzen? Und doch bilden solche und keine andern bei weitem die grösste Zahl nicht nur derer, die in unsern Strassen betteln, sondern auch derer, die wir arme, ins Unglück geratene Hausväter nennen und die wir leicht als wirkliche Gegenstände der Wohltätigkeit bemitleiden, indem wir sie von den gewöhnlichen Bettlern unterscheiden, wiewohl in Wahrheit beide ihr Verderben derselben Ursache verdanken. Nur ist jener zu feinfühlig erzogen, um es zu ertragen, dass er halb nackt in den Strassen umhergehn muss; oder er ist zu stolz, um seine Armut einzugestehn. Was aber den Handwerker oder sonstigen Gewerbetreibenden angeht, der geltend macht, er sei zu alt geworden, um noch zu arbeiten oder sich um sein Geschäft zu kümmern, und der deshalb als ins Unglück geratener Hausvater Hilfe erwartet; können wir den nicht fragen, weshalb er nicht in seiner Jugend und in den Tagen seiner Kraft für das Alter vorgesorgt hat, während er doch so viele Beispiele von Leuten vor sich sah, die durch ihren Müssiggang und ihre ruchlose Ausschweifung ins Verderben gerieten? Und um ein wenig höher hinaufzusteigen: Wie kommt es, dass so viele Bürger und Ladenbesitzer der angesehensten Gewerbe, die früher eine gute Figur abgaben, durch ihren kostspieligen Hochmut und ihre Eitelkeit ins Unglück geraten, weil sie nämlich ihre Kinder prunkvoller erziehn und kleiden, als ihre Mittel oder der Lebensrang, den sie erwarten sollten, erlauben?
Da aber selbst die besten von uns nur zu viele Schwächen haben, für die sie eintreten müssen, dürfen wir gegen die der andern nicht allzu streng sein. Und wenn also unser Bruder infolge von Kummer, Krankheit oder andrer Schwächung nicht mehr in der Lage ist, sein Leben zu erhalten, so sollten wir ihn nach besten Kräften unterstützen, ohne allzu genau nach den Ursachen zu forschen, die ihn in sein Elend gebracht haben. Immerhin jedoch sollten wir zu dem Zweck, und um unsre Wohltätigkeit in die richtigen Kanäle zu leiten, erwägen, wer und wo die Wesen sind, die vor allem zu unterstützen unsre Aufgabe ist.
Nach dem alten Gesetz dieses Reiches, das noch in Kraft ist, ist jede Gemeinde verpflichtet, ihre eigenen Armen zu erhalten; und wenn das manchen auch als nicht sehr gerecht erscheinen mag, weil einige Gemeinden reich sind und wenig Arme beherbergen, andre aber umgekehrt, so denke ich doch, es lässt sich mit Recht verteidigen. Denn in den entlegenen Landgemeinden der öden Teile dieses Königreichs ist die Notdurft des Lebens so billig, dass es für die Einwohner nur eine geringe Bürde ist, wenn sie die kranken Armen erhalten müssen. Doch will ich mich in dem, was ich zu sagen gedenke, lediglich auf diese Stadt beschränken, wo wir nicht nur von unsern eigenen Armen, sondern von einer weit grössern Zahl aus allen Gegenden des Reichs überlaufen werden. Nun behaupte ich, dass diesem Übel der Überfüllung mit so vielen fremden Bettlern, die nicht den geringsten Anspruch an unsre Wohltätigkeit besitzen und die wir unmöglich erhalten können, leicht abzuhelfen wäre, wenn die Regierung dieser Stadt es nur in Verbindung mit der Geistlichkeit und den Gemeindebeamten für der Mühe wert hielte, dafür zu sorgen; und ich bin überzeugt, dass wenig Dinge diese Sorge eher verdienen. Denn wenn jede Gemeinde eine Liste der bettelnden Armen aufstellte, die zu ihr gehören, und einen jeden zwänge, ein Abzeichen zu tragen, das mit einem Merkmal und mit einer Nummer versehen wäre, so dass alle, denen sie begegnen, es sehn und erkennen müssten, und wenn sie ihnen ferner unter schweren Strafen im Fall der Übertretung auferlegten, nur innerhalb der Grenzen ihres eigenen Kirchspiels zu betteln, indem sie alle Überläufer aus andern Kirchspielen vertrieben, so könnten wir endlich ihre Zahl berechnen; und wenn die Vagabunden vom Lande aus der Stadt verjagt würden, so wäre der Rest nicht mehr zu zahlreich, um von den Vorübergehenden unterhalten zu werden; auch würde kein Bettler, wiewohl er auf sein eigenes Kirchspiel beschränkt ist, gehindert sein, von der ganzen Stadt seine Almosen zu erhalten; denn in diesem Fall würden jene wohlwollenden Leute, die durch die Strassen gehn, ihr Almosen dem geben, den sie für einen geeigneten Empfänger halten; und zwar ohne Rücksicht darauf, wo sie ihn finden, wenn er sich nur innerhalb seines eigenen Kirchspiels hält und dessen unterscheidendes Merkmal trägt. In den Kirchspielen aber, die an die Säume und Vororte der Stadt grenzen, und in denen sich Überläufer vom Lande zu verbergen pflegen, muss man sie zwingen, nach Hause zurückzukehren, wenn sie niemanden finden, der ihnen hilft; denn ihnen fehlt das Zeichen, das allein sie zum Betteln berechtigt. In dieser Hinsicht wäre zu wünschen, dass man die unteren Gemeindebeamten mehr ermutigte, ihre Pflicht zu tun, indem sie alle nicht ins Kirchspiel gehörigen Bettler vertreiben, statt ein Auge zuzudrücken, wie sie es, nach dem, was ich höre, gegen eine kleine Zahlung tun. Denn die ganze Stadt würde weit mehr dadurch sparen, dass sie viele hundert Bettler los wird, als sie verlieren könnte, wenn sie den Gemeindebeamten ein angemessenes Gehalt zahlte.
Es könnte seltsam und unerklärlich scheinen, dass jemand, der wahrscheinlich durch Ausschweifung, Unzucht und Faulheit in Not geraten ist, wiewohl er die Stirn bat, jeden, dem er begegnet, öffentlich anzubetteln, dennoch zu stolz sein sollte, die Gemeindeabzeichen zu tragen, die ihm so sehr zum Vorteil gereichen müssten, da sie ihn von der grossen Zahl derer befreien würden, die jetzt den grössern Teil dessen, was ihm gebührt, abfangen. Und doch steht es fest, dass viele öffentlich erklären, sie würden niemals diese Abzeichen tragen; und viele andre würden sie verstecken oder fortwerfen. Aber dagegen gibt es ein kurzes, gerechtes und einfaches Verfahren: man stellt sie als Landstreicher und unverschämte Bettler vor Gericht und treibt sie mit Gewalt zur Stadt hinaus.
Ich ermahne also alle, die mich hören, ernsthaft, sobald dieses Auskunftsmittel der Abzeichen eingeführt wird, ihre Almosen keinem öffentlichen Bettler mehr zu geben, der sich diesem Befehl nicht unbedingt fügt, durch den die Zahl unsrer Armen so vermindert werden wird, dass man für den Rest weit leichter wird sorgen können. An unsern Ladentüren werden dann nicht mehr in der Verkleidung von Bettlern so viele Langfinger und Taschendiebe herumlungern, und unsre Strassen werden nicht mehr so viele Gefahren bergen für alle die nachts auszugehn gezwungen sind.
Ich habe damit meine Gedanken über diesen Gegenstand, der uns so nahe angeht, ganz offen ausgesprochen. Es ist sicherlich schlimm für jedes christliche Land, das Gott mit Fruchtbarkeit gesegnet hat und wo das Volk die guten Rechte und Privilegien der Menschheit geniesst, dass es überhaupt Bettler geben kann. Aber ach! Unter uns, wo durch die Benachteiligungen, unter denen wir leiden, und die Härten, die wir zu ertragen gezwungen werden, durch die Trägheit, die Unwissenheit, die Gedankenlosigkeit, die Verschwendungssucht, die sklavische Veranlagung und die unsaubere Lebensweise der armen papistischen Eingeborenen, sowie auch durch die grausame Bedrückung der Gutsherrn, die frohlocken, wenn sie ihre Lehnsleute im Staube sehen, die ganze Nation selbst schon fast an den Bettelstab gebracht worden ist – wie können wir, sage ich, in einer solchen Nation etwas andres erwarten, als überlaufen zu werden von Geschöpfen des Elends und der Not? Deshalb kann es keine andern Mittel und Wege geben, um diese Stadt von einem so unerträglichen Missstand zu befrein, als dass wir uns, so viel wir können, bemühn, die Bürde gleichmässiger zu verteilen, auch unserseits zur Unterhaltung der Armen beizutragen und die Landstreicher und Strolche zur Rückkehr in ihre jeweilige Heimat auf dem Lande zu zwingen, damit sie dort jenen Bedrückern aufs Gewissen fallen, die ihnen zuerst all ihre Habe raubten.
Ich könnte hier, wenn die Zeit es erlaubte, viele Gründe anführen, die zu Werken der Barmherzigkeit überreden müssten; aber ihr hört sie so oft von der Kanzel herab, dass ich gern hoffe, ihr werdet sie jetzt nicht nötig haben. Ausserdem war es vorläufig nur meine Absicht, euch zu zeigen, wo eure Almosen zu Gottes Ehre und eurem eigenen Vorteil und Behagen im Dienste eures Landes und zum Nutzen der Armen am meisten angebracht sind. Ich wollte, ihr erwöget und bedächtet alle, was ich gesagt habe, und ihr bemühtet euch je nach eurem Stand und euren Fähigkeiten, es in Wirklichkeit umzusetzen; und Gott verleihe euch guten Erfolg. Ihm samt Seinem Sohn und dem Heiligen Geiste sei alle Ehre usw.
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und alles Tragbare, was aus England kommt, unbedingt abzulehnen und zu verleugnen.
Es zeigt das besondere Glück und die besondere Vorsicht des Volkes in diesem Reich, dass wir gerade die Waren und Erzeugnisse, die von Seiten Englands den grössten Hemmnissen begegnen, am fleissigsten anbauen und verbreiten. Den Ackerbau, für den alle weisen Nationen vor allem gesorgt haben, und zu dessen Ermunterung es in England so viele Gesetze gibt, begünstigen wir so sehr, dass die Gutsherrn ihren Pächtern überall bei schweren Strafen verbieten, zu pflügen und sich nicht damit zufrieden geben, ihnen wie in England gewisse Beschränkungen aufzuerlegen. Eine Wirkung zeigt sich schon jetzt in dem fabelhaft hohen Preis des Korns und in der Einfuhr von London als dem billigeren Markt. Und da die Bevölkerung der Reichtum eines Landes ist und unsre Nachbarn alles getan haben und noch tun, um unsre Wolle für uns zum Gift und für sich zum Monopol zu machen, so haben die politischen Gutsherrn von Irland ungeheure Striche des besten Landes entvölkert, um Schafe darauf weiden zu lassen.
Ich könnte mit einer Liste der wunderbaren Gesetze und Steuern, die wir in den letzten dreissig Jahren erlebt haben, einen Band füllen, der so dick wäre wie die Geschichte der Weisen von Schilda. Freilich ist schon seit mehreren Jahren unser vorteilhafter Wollhandel mit Frankreich unsre einzige Stütze gewesen; er hat uns all das wenige Geld geliefert, mit dem wir unsre Pacht bezahlten und auf den Markt gingen. Doch unsre Kaufleute versichern mir, »diesem Handelszweig habe der gegenwärtig schwankende Wert der französischen Münze grossen Abbruch getan, und der grössere Teil des französischen Weins werde in bar bezahlt, ohne dass man noch irgend welche Waren von hier hinüberführe.«
Da wir aber so allgemein danach streben, unsre Herden zu vermehren, so mag es der Mühe wert sein, einmal zu untersuchen, was wir mit unsrer Wolle beginnen sollen, wenn Barnstaple mit Ware überschwemmt ist und unsre französischen Handelsbeziehungen versagen sollten.