Irrlicht 30 – Mystikroman - Vanessa Crawford - E-Book

Irrlicht 30 – Mystikroman E-Book

Vanessa Crawford

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Beschreibung

Der Liebesroman mit Gänsehauteffekt begeistert alle, die ein Herz für Spannung, Spuk und Liebe haben. Mystik der Extraklasse – das ist das Markenzeichen der beliebten Romanreihe Irrlicht: Werwölfe, Geisterladies, Spukschlösser, Hexen und andere unfassbare Gestalten und Erscheinungen erzeugen wohlige Schaudergefühle. Die Nordsee übte auf Benedict Trent immer eine besondere Anziehungskraft aus. Der 36jährige Kaufmann, der als Experte im Einkauf für eine große Londoner Firma arbeitete, genoß es, in langen einsamen Spaziergängen am deutschen Nordseestrand die Stimmung aufzunehmen und sich dabei zu entspannen. Sein Beruf brachte es mit sich, daß er durch die ganze Welt reiste, mit den unterschiedlichsten Menschen zusammenkam und immer neue Gegenden kennenlernte. Doch sein liebster Platz befand sich in diesem kleinen Ort, direkt an der Küste. Hier lebte er in einer Pension bei einer reizenden älteren Witwe direkt am Deich, hatte von seinem Zimmer aus einen fantastischen Ausblick auf die stets lebhafte See, und war in wenigen Minuten an einem geschützten und fast menschenleeren Strand. Leider ließ ihm sein Beruf längst nicht so viel Zeit, wie er es sich manchmal gewünscht hätte, doch an diesem Tag gab es keine Verpflichtungen, und Benedict konnte seine Seele baumeln lassen. Mit einem guten Buch saß er geschützt zwischen zwei Dünen, genoß die Sonne und den leichten Wind und blickte ab und zu hinaus in die schier endlose Weite der Nordsee. Weit draußen zogen große Schiffe vorbei, eine teuer aussehende Yacht befand sich in relativer Nähe zum Strand, und der Mann konnte einige Gestalten an Bord sehen. Möwen kreisten unablässig über dem Wasser, und zwei Spaziergänger sammelten eifrig Muscheln. Ein Bild des Friedens und der Stille. Doch dann hielt Benedict inne. Irgend etwas stimmte hier nicht. Suchend schweiften seine Augen über den Strand und die weit ins Wasser ragenden Wellenbrecher. Sein Blick blieb auf einem ungewöhnlichen Gegenstand hängen. Hier am Ufer wurde alles Mögliche angeschwemmt, doch das da drüben sah aus wie ein Bündel Lumpen und war selbst hier nicht alltäglich. Die Ebbe hatte eingesetzt und würde das Bündel vermutlich wieder hinaus auf die offene See ziehen. Aber dann sprang der Mann auf und begann zu laufen. Was er für ein Bündel Lumpen gehalten hatte, war ein Mensch in voller Bekleidung. Langes blondes Haar tanzte im Wasser, das Gesicht war von wächserner Blässe, und vermutlich war die Person längst tot. Doch Benedict rannte auf den Wellenbrecher, stolperte mehrmals über die großen unebenen Steine und das angeschwemmte Treibgut, nur um dann festzustellen, daß er die junge Frau nicht erreichen konnte.

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Irrlicht – 30 –

Wer die Mächte beschwört…

Die Versuchung des Bösen und ihre Folgen

Vanessa Crawford

Die Nordsee übte auf Benedict Trent immer eine besondere Anziehungskraft aus. Der 36jährige Kaufmann, der als Experte im Einkauf für eine große Londoner Firma arbeitete, genoß es, in langen einsamen Spaziergängen am deutschen Nordseestrand die Stimmung aufzunehmen und sich dabei zu entspannen. Sein Beruf brachte es mit sich, daß er durch die ganze Welt reiste, mit den unterschiedlichsten Menschen zusammenkam und immer neue Gegenden kennenlernte. Doch sein liebster Platz befand sich in diesem kleinen Ort, direkt an der Küste. Hier lebte er in einer Pension bei einer reizenden älteren Witwe direkt am Deich, hatte von seinem Zimmer aus einen fantastischen Ausblick auf die stets lebhafte See, und war in wenigen Minuten an einem geschützten und fast menschenleeren Strand.

Leider ließ ihm sein Beruf längst nicht so viel Zeit, wie er es sich manchmal gewünscht hätte, doch an diesem Tag gab es keine Verpflichtungen, und Benedict konnte seine Seele baumeln lassen. Mit einem guten Buch saß er geschützt zwischen zwei Dünen, genoß die Sonne und den leichten Wind und blickte ab und zu hinaus in die schier endlose Weite der Nordsee. Weit draußen zogen große Schiffe vorbei, eine teuer aussehende Yacht befand sich in relativer Nähe zum Strand, und der Mann konnte einige Gestalten an Bord sehen. Möwen kreisten unablässig über dem Wasser, und zwei Spaziergänger sammelten eifrig Muscheln. Ein Bild des Friedens und der Stille.

Doch dann hielt Benedict inne. Irgend etwas stimmte hier nicht. Suchend schweiften seine Augen über den Strand und die weit ins Wasser ragenden Wellenbrecher. Sein Blick blieb auf einem ungewöhnlichen Gegenstand hängen. Hier am Ufer wurde alles Mögliche angeschwemmt, doch das da drüben sah aus wie ein Bündel Lumpen und war selbst hier nicht alltäglich. Die Ebbe hatte eingesetzt und würde das Bündel vermutlich wieder hinaus auf die offene See ziehen.

Aber dann sprang der Mann auf und begann zu laufen. Was er für ein Bündel Lumpen gehalten hatte, war ein Mensch in voller Bekleidung. Langes blondes Haar tanzte im Wasser, das Gesicht war von wächserner Blässe, und vermutlich war die Person längst tot. Doch Benedict rannte auf den Wellenbrecher, stolperte mehrmals über die großen unebenen Steine und das angeschwemmte Treibgut, nur um dann festzustellen, daß er die junge Frau nicht erreichen konnte. Vielleicht lebte sie ja doch noch, auch wenn das im Augenblick unwahrscheinlich schien. Kurz entschlossen riß er sich die Jacke und die Hose vom Körper und sprang in das kühle Wasser, schwamm mit kräftigen Zügen ein Stück hinaus und bekamen endlich Stoff zu fassen, bevor der starke Ebbstrom die Gestalt wieder in das offene Meer ziehen konnte. Seine Finger tasteten nach der empfindlichen Haut am Hals und fühlten tatsächlich schwachen Pulsschlag. Trent zerrte die Frau mit sich in Richtung Ufer und schaute sich suchend um. War denn ausgerechnet jetzt kein Spaziergänger in der Nähe? Nein, wirklich nicht. Unter Aufbietung aller seiner Kräfte gelang es Benedict, mit der leblosen Gestalt den rettenden Sandstrand zu erreichen. Sofort begann er mit Maßnahmen zur Wiederbelebung und sah zu seiner Erleichterung einen Mann mit einem Hund näher kommen.

»Haben Sie ein Telefon dabei? Rufen Sie sofort einen Notarzt und einen Krankenwagen!«

Der Mann reagierte ohne zu zögern. Benedict bemühte sich weiter um die Frau und sprach dabei heftig auf sie ein.

»Nun komm schon, Mädchen, atme! Ich habe dich doch nicht da herausgeholt, nur damit du jetzt stirbst. Los, atme!«

In der Ferne war bereits das Jaulen der Sirenen zu hören, als Trent endlich Erfolg hatte. Die Brust hob und senkte sich, dann schoß ein Schwall graues Meerwasser aus dem Mund der Frau, ein röchelnder Atemzug folgte, dann kann ein ersticktes Husten.

»Gott sei Dank«, stieß der Mann hervor und legte schützend seinen Arm unter ihren Kopf. Mittlerweile begann er trotz der warmen Sonne zu frieren, wie mußte es dann erst der Frau ergehen? Benedict bemerkte jetzt, wie hübsch sie sein mußte, wenn sie nicht gerade wie eine nasse Katze aussah. Das lange blonde Haar umrahmte ein schmales Gesicht mit vollen Lippen. Die Augen besaßen lange Wimpern, die Nase war klein und wohlgeformt. Nun schlug die Frau endlich die Augen auf. Benedict sah in leuchtendes Blau, wie er es nur selten erblickt hatte.

»Bleiben Sie still liegen« sagte er ruhig. »Ein Arzt wird gleich hier sein.«

Ihr Blick war der eines verängstigten Tieres, und ihre rechte Hand griff an den Hals, wo eine silberne Kette mit einem ungewöhnlichen Anhänger zu sehen war. Er war so lang wie zwei Finger, oval geformt und besaß ein irisierendes Muster, das ständig in Bewegung schien. Die schlanke Hand der Frau schloß sich so eng darum, als hinge ihr Leben davon ab.

»Wie heißen Sie?« fragte Benedict, um sie ein wenig abzulenken.

Sie öffnete den Mund, starrte ihn dann aber nur gequält an.

»Ich weiß es nicht. – Oh, Gott, ich weiß es nicht. Ich habe meinen eigenen Namen vergessen.« Sie besaß einen kleinen Akzent in der Sprache, den Benedict für Französisch hielt, doch er konnte sich täuschen. Die Qual in ihren Augen rührte ihn zutiefst. Beruhigend strich er ihr über die Wange.

»Sie haben einen Schock erlitten, da kann das durchaus passieren. Morgen geht es Ihnen schon wieder besser, dann werden Sie sich bestimmt an alles erinnern. Wenn Sie gestatten, werde ich Sie im Krankenhaus besuchen.«

Stumm nickte sie. Ihre Hand umklammerte noch immer den Anhänger. Nun aber war der Notarzt heran und kümmerte sich um die Patientin.

»Gut gemacht«, lobte er schließlich, als die Sanitäter die Trage zum Rettungswagen brachten. »Sie ist völlig unterkühlt und hat einen schweren Schock, mehr kann ich im Moment noch nicht sagen. Sind Sie ein Freund der jungen Dame?«

Trent schüttelte den Kopf und schaute ihr hinterher. »Nein, eigentlich nicht. Ich hielt sie für ein Bündel Lumpen, das die Flut angeschwemmt hatte, bis ich die Wahrheit erkannte.«

»Das war hochanständig von Ihnen. Nicht jeder hätte sein Leben riskiert. Aber Sie sollten zusehen, daß Sie ins Trockene kommen, sonst müssen Sie selbst mit einer Lungenentzündung rechnen.«

»Ja, danke, da haben Sie wohl recht. Darf ich die junge Dame im Krankenhaus besuchen?«

»Ich wüßte nichts, was dagegen spricht. Wahrscheinlich kann sie sich morgen auch schon wieder an alles erinnern. Es wird die Polizei auf jeden Fall interessieren, wie dieser Unfall passiert ist. Es erscheint mir eher unwahrscheinlich, daß sie beim Segeln über Bord gegangen ist, dafür trägt sie nicht die richtige Kleidung. Nun ja, es gibt bestimmt eine einleuchtende Erklärung.« Der Arzt konnte nicht wissen, wie sehr er sich irrte. Die Geschichte war unglaublich, und sie war zu diesem Zeitpunkt noch lange nicht beendet.

Benedict beeilte sich jetzt, in seine Pension zu kommen. Er war völlig durchgefroren, und er sehnte sich nach einem heißen Bad. Die Wirtin stellte erst einmal keine lästigen Fragen, sondern sorgte mit einem Grog dafür, daß er auch von innen aufgewärmt wurde.

Ein bunter Blumenstrauß schob sich in das Krankenzimmer, und die Patientin blickte erstaunt auf. Dann aber trat ein schüchternes Lächeln auf ihr Gesicht, als sie den Besucher hinter dem Blumenstrauß erkannte.

»Sie sind es, mein Lebensretter. Kommen Sie herein, bitte.«

Benedict trat näher und küßte ihr ungeniert die Hand. Ihre Schönheit verschlug ihm fast den Atem, auch wenn sie nur ein unansehnliches Krankenhaushemd trug.

Er bemerkte, daß auch jetzt die silberne Kette mit dem Anhänger um ihren Hals hing.

»Ich hoffe, Sie fühlen sich jetzt besser als gestern. Wollen Sie mir jetzt Ihren Namen verraten?«

Sofort verdüsterte sich das schöne schmale Gesicht. »Daran kann ich mich noch immer nicht erinnern«, flüsterte sie. »Es tut mir leid.«

»Ihnen tut es leid? Welch ein Unsinn. Sie können doch nichts dafür. Was sagen denn die Ärzte?«

Sie zuckte die Achseln. »Die retrograde Amnesie könnte durch den Schock hervorgerufen worden sein. Die Erinnerung kann schlagartig zurückkehren, oder vielleicht doch erst im Laufe der Zeit in Bruchstücken. Nichts Genaues weiß man nicht«, fügte sie ironisch hinzu.

Benedict stellte fest, daß ihr Akzent jetzt womöglich noch ausgeprägter war. Doch sie kannte sich recht gut mit den deutschen Redewendungen aus, was ein Hinweis darauf sein konnte, daß sie entweder lange hier gelebt oder eine umfassende Schulung genossen hatte. Benedicts Großmutter stammte aus Deutschland, er war daheim zweisprachig aufgewachsen und hatte seine Ferien regelmäßig hier verlebt.

Neben Englisch und Deutsch sprach er fließend Französisch und Italienisch, was ihm in seinem Beruf sehr zugute kam.

»Da Sie jetzt keinen Namen haben, gestatten Sie mir bitte, Ihnen einen zu verleihen, bis Ihnen der eigene wieder einfällt.«

»Oh, die Polizei war schon hier, und auch ein Psychiater. Man nennt mich Maria Müller, doch das ist wohl nur für die Akten. Wahrscheinlich hat man auch schon eine Nummer darangehängt.« Sie lachte unglücklich auf. »Haben Sie etwas Besseres anzubieten?«

Erst jetzt ging ihr auf, daß Trent und sie die Sprache gewechselt hatten.

»Unglaublich, wir sprechen französisch. Wie sind Sie darauf gekommen?«

»Ihr Akzent hat Sie verraten, aber das hilft wahrscheinlich noch nicht viel. Wie wäre es mit Denise?«

»Klingt falsch.«

»Wieder ein kleiner Hinweis. Und was halten Sie von Charlotte?«

»Gefällt mir wesentlich besser.«

»Dann bleiben wir vorerst dabei. Was ist denn das letzte, woran Sie sich erinnern können?«

»Nichts, gar nichts«, erklärte sie unglücklich. »Es ist, als wäre mein Leben erst gestern angefangen. Aber ab und zu glaube ich alles wieder zu wissen, dann ist etwas in meinem Kopf, was ich nicht fassen kann, was aber wichtig für mich ist.«

»Quälen Sie sich nicht«, bat Benedict und nahm ihre schmale Hand in die seine. Flüchtig schoß es ihm durch den Kopf, daß er gerade dabei war, sich heftig in die Unbekannte zu verlieben. Nun, warum auch nicht? Er war ungebunden. Hoffentlich war das diese junge Frau auch.

»Erzählen Sie mir etwas über diesen Anhänger. Er ist ungewöhnlich.«

Unbewußt schloß sich ihre Hand um das seltsame Schmuckstück.

»Ich wollte, ich wüßte etwas darüber. Aber ich bin sicher, daß dieser Anhänger wichtig für mich ist. Warum interessiert Sie das?«

»Ach, nur so«, gestand Benedict. »Sie sind eine sehr interessante und schöne Frau. Da interessiert mich eben alles.«

Leichte Röte zog über ihre Wangen. »Das ist sehr freundlich von Ihnen, obwohl Sie doch sonst nichts über mich wissen.«

»Nun, ich habe Sie aus dem Wasser gezogen, obwohl ich nichts über Sie wußte.«

Bevor sie antworten konnte, klopfte es an der Tür, und ein Mann kam herein, Benedict vermutete gleich, daß es sich um einen Polizisten handelte.

»Hauptkommissar Zimmermann«, stellte er sich vor. »Oh, ich sehe, Sie haben Besuch, ich warte…«

»Nein, bitte, Sie können vor Herrn Trent reden. So wie es aussieht, ist er der einzige, zu dem ich überhaupt eine Art Kontakt habe.«

»Wie Sie wünschen«, erklärte der Beamte brummig, der sichtlich gern allein mit ihr gesprochen hätte. »Stehen Sie in irgendeiner Beziehung zu der Dame?« erkundigte er sich bei Benedict. Der verneinte.

»Ich habe Vertrauen zu ihm«, beharrte Charlotte.

»Nun gut. Ihre Kleidung hat uns keinen weiteren Anhaltspunkt gebracht. Sie ist relativ teuer, von bester Qualität und vermutlich in Frankreich gekauft worden. Aber das muß ja nichts heißen. Eine Tasche hatten Sie nicht bei sich. Wir sind also darauf angewiesen, daß Ihre Erinnerung zurückkehrt, damit wir herausfinden können, wer Sie sind.«

»Sobald meine Erinnerung zurückkehrt, weiß ich selbst wieder, wer ich bin«, gab sie ironisch zu bedenken. Offenbar mochte sie den Polizisten nicht.

»Liegen denn keine Meldungen über vermißte Personen vor?« fragte Trent sachlich und war erstaunt über den verärgerten Blick.

»Wir kennen unsere Arbeit, Herr Trent. Selbstverständlich haben wir gleich über Europol alle möglichen Anfragen und Kontakte überprüft. Nichts. – Sie können sich also immer noch nicht erinnern, Frau Müller?«

Benedict schüttelte den Kopf bei dieser Anrede. Der Name paßte absolut nicht zu ihr, aber für den bürokratischen Ablauf war er vermutlich unumgänglich.

»Nein«, kam die klägliche Antwort.

»Dann stellt sich die Frage, was nach Ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus weiter geschehen soll. Wir werden Sie wohl in eine psychiatrische Anstalt einweisen lassen müssen, bis Ihr Gedächtnis wiederhergestellt…«

»Das kommt auf keinen Fall in Frage«, unterbrach Benedict scharf. »Sie wird in die Pension ziehen, in der ich auch wohne. Von dort aus kann sie zu den therapeutischen Sitzungen gehen, solange es nötig ist.«

»Und wer soll das bezahlen? Schließlich muß jemand für die Kosten aufkommen.«

»Das erledige ich«, erklärte Trent mit fester Stimme.

Mißtrauen spiegelte sich im Gesicht des älteren Mannes. »Aus welchem Grund sollten Sie das tun, wenn Sie die Frau vorher nicht gekannt haben?«

»Schon mal was von Menschenfreundlichkeit gehört?«

»Sie müssen das wirklich nicht tun, Herr Trent, ich möchte Ihnen nicht zur Last fallen.«

»Quatsch, Sie fallen mir nicht zur Last. Und da ich schon mal Ihr Leben gerettet habe, fühle ich mich für Sie verantwortlich. Ist das so abwegig? Oder spricht aus behördlicher Sicht etwas dagegen, wenn ich die Verantwortung für die junge Dame übernehme? Sollte es notwendig sein, würde ich auch eine schriftliche Verpflichtung eingehen.«

»So einfach ist das nicht. Sie sind Ausländer…«

»Ich besitze einen deutschen Paß, auch wenn ich nicht ständig hier lebe. Sonst noch etwas?«

»Ich werde mich erkundigen, ob es Hemmnisse gibt«, sagte Zimmermann widerwillig.

»Dann wäre das für heute sicherlich alles. Ich werde mich darum kümmern, daß ein guter Psychologe engagiert wird.«

»Können Sie sich das eigentlich leisten?« kam eine letzte Frage von dem Beamten.

»Wollen Sie meine Kontoauszüge überprüfen?«

Auffallend schnell verabschiedete sich der Polizist, und Benedict war wieder mit Charlotte allein.

»Warum tun Sie das für mich?« fragte sie scheu. »Sie nehmen da ziemlich viel auf sich.«

»Du lieber Himmel, ich kann Sie doch nicht in den Klauen der Bürokratie lassen. Das würde ich nicht mal meinem schlimmsten Feind wünschen. Außerdem bin ich schrecklich neugierig. Ich will wissen, wer Sie sind.«

»Vielleicht werden Sie enttäuscht sein, wenn sich herausstellt, daß ich nur ein ganz einfaches Mädchen bin – oder vielleicht sogar eine gesuchte Terroristin«, fügte sie nicht ganz ernsthaft hinzu.

»Dann werde ich Sie auf den rechten Weg zurückbringen. Jetzt werden Sie erst einmal gesund, so daß Sie diese gastliche Stätte verlassen können, dann sehen wir weiter.« Er schaute sich noch einmal genauer das Amulett an, doch es glich nichts von dem, was er jemals gesehen hatte. Geschickt brachte er das Gespräch immer wieder auf kleine Einzelheiten, die mit dem Vorleben von Charlotte zu tun haben konnten, doch vorerst zeigte sich keine neue Erinnerung.

Drei Tage später wurde die Frau entlassen, und Benedict machte mit ihr einen ausgedehnten Einkaufsbummel, um sie mit dem Notwendigsten auszustatten.

Charlotte wohnte nun schon eine ganze Woche in der kleinen Pension, wurde von Elsa Winter, der Vermieterin, bemuttert und kam auch innerlich langsam ein wenig zur Ruhe. In mehreren Erinnerungsblitzen hatte sie etwas aus ihrem früheren Leben gesehen, aber noch ergab das alles keinen Sinn. Bilder aus Paris waren aufgetaucht, doch das mußte nichts zu bedeuten haben, obwohl auch ihre ursprüngliche Kleidung aus Frankreich stammte. Interessanter war da schon die Tatsache, daß Charlotte nicht nur deutsch, englisch und französisch sprach, sondern auch mit dem Arabischen und der alten ägyptischen Schriftsprache vertraut war. Benedict hatte als Hobby die Archäologie versunkener Städte, und so gab es eine Reihe von Büchern, die von Charlotte mit Begeisterung, aber auch Skepsis aufgenommen worden waren. Trent hatte in seiner Firma um einige Tage Urlaub wegen einer dringenden Familienangelegenheit gebeten und auch bekommen. Nun ließ er über das Internet und seine zahlreichen Kontakte in aller Welt nach Charlotte und ihrer wahren Identität suchen.

Ein erster Erfolg kam aus Marseille, wo ein Kollege glaubte, das Gesicht der jungen Frau schon einmal gesehen zu haben. Außerdem interessierte Benedict sich weiter für den Anhänger und suchte nach einem Hinweis auf dieses ungewöhnliche Stück.

Zwischen den beiden jungen Leuten hatte sich ein enges vertrauensvolles Verhältnis gebildet, und Elsa Winter hatte Charlotte vom ersten Augenblick an ins Herz geschlossen. Sie hatten alle drei an diesem Abend zusammen gesessen und über alles Mögliche geredet, nur nicht über die anstehenden Probleme. Charlotte hatte sich früh zurückgezogen. Sie wurde immer wieder von Albträumen und heftigen Kopfschmerzen gequält und war noch längst nicht wieder im Vollbesitz ihrer geistigen und körperlichen Kräfte. Schon bald lag das Haus auf dem Deich im tiefsten Frieden.

Charlotte schrak aus einem wirren Traum hoch und spürte augenblicklich die Anwesenheit eines anderen Menschen.

»Wer sind Sie? Was tun Sie hier?« fragte sie entsetzt.

»Gib es mir«, forderte eine dumpfe Stimme. Im fahlen Mondlicht, das durch einen Spalt in den Vorhängen hereinfiel, sah sie eine hochgewachsene vermummte Gestalt.

»Was wollen Sie?«

»Gib es mir – freiwillig«, wiederholte die Stimme.

Charlotte wußte plötzlich, daß der Anhänger gemeint war; ihr letztes Bindeglied zu ihrem früheren Leben. Den würde sie ganz bestimmt nicht hergeben.

»Nein«, sagte sie also mutiger, als sie sich eigentlich fühlte.

»Was wissen Sie über mich und den Anhänger? Sagen Sie es mir! Wer und was bin ich? Woher kennen Sie mich? Wer sind Sie?«

Die Gestalt gab ein unwilliges Knurren von sich. »Das interessiert mich nicht. Ich habe ein Recht, das Amulett zu fordern, aber du mußt es mir geben, denn du hast die Macht über das Erbe, auch wenn du nicht einmal weißt, was du alles damit tun kannst.« Der Mann, der sich unter der Maske verbarg, trat näher, streckte gebieterisch eine Hand aus und berührte den Anhänger am Hals der jungen Frau. Sie fühlte unglaubliche Kälte und wich zurück, doch der Anhänger reagierte auf die Berührung. Es blitzte einmal kurz auf, dann begann die Oberfläche zu leuchten und veränderte sich rasend schnell, bis seltsam vertraute Flächen entstanden und einige Punkte wie Wegweiser strahlten.

Unwillkürlich schrie Charlotte auf, als die nun entstehende Hitze ihr die Haut verbrannte.

»Du bist eine Närrin«, zischte der Fremde. »Hast du denn tatsächlich alles vergessen? Weißt du nicht einmal mehr, welche Macht du in deinen Händen hältst? Welch eine Verschwendung. Erinnere dich, Priesterin! Erinnere dich an deine Bestimmung.«