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Seitenzahl: 140
KÖNIGS ERLÄUTERUNGEN
Band 330
Textanalyse und Interpretation zu
Theodor Fontane
IRRUNGEN, WIRRUNGEN
Martin Lowsky
Alle erforderlichen Infos für Abitur, Matura, Klausur und Referat plus Musteraufgaben mit Lösungsansätzen
Zitierte Ausgaben: Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Husum: Hamburger Lesehefte Verlag, o. J. (172. Heft)
Über den Autor dieser Erläuterung: Martin Lowsky, Studium der Romanistik, Mathematik und Vergleichenden Literaturwissenschaft in Tübingen und Heidelberg, Promotion 1975. Abhandlungen, auch Bücher, zur deutschen und französischen Literatur (Bloch, Fontane, May, Arno Schmidt, Storm, Valéry, Voltaire u. a.) und zur Pädagogik (Erich Fromm). Redaktionstätigkeit für das Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft (Husum) und die Forschungen zu Paul Valéry/Recherches Valéryennes (Universität Kiel). Unterricht an einem Gymnasium in Kiel. In der Reihe Königs Erläuterungen sind von Martin Lowsky zuletzt erschienen: Erläuterungen zu Theodor Fontane: Frau Jenny Treibel. Erweiterte Fassung. 2011. Erläuterungen zu Theodor Storm: Der Schimmelreiter. 2008.
Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52 a UrhG: Die öffentliche Zugänglichmachung eines für den Unterrichtsgebrauch an Schulen bestimmten Werkes ist stets nur mit Einwilligung des Berechtigten zulässig.
2. Auflage 2012
ISBN 978-3-8044-6928-0
© 2002, 2010 by C. Bange Verlag, 96142 Hollfeld Alle Rechte vorbehalten! Titelbild: Cordula Trantow in dem Fernsehfilm „Irrungen und Wirrungen“ © ullstein bild – Heinz Köster
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INHALT
1. Das Wichtigste auf einen Blick - Schnellübersicht
2. Theodor Fontane: Leben und Werk
2.1 Biografie
2.2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund
Preußen und Berlin
Die Literaturszene
2.3 Angaben und Erläuterungen zu wesentlichen Werken
3. Textanalyse und -interpretation
3.1 Entstehung und Quellen
3.2 Inhaltsangabe
3.3 Aufbau
Die Grundstruktur der Handlung
Chronologie
Orte und Geografie
3.4 Personenkonstellation und Charakteristiken
Lene
Botho
Frau Dörr
Frau Nimptsch
Gideon Franke
Käthe von Sellenthin
Kurt Anton von Osten
3.5 Sachliche und sprachliche Erläuterungen
3.6 Stil und Sprache
Fontane – leicht zu lesen
Dynamik des Erzählens: Vorausdeutungen
Dynamik des Erzählens: Das Spiel mit Wörtern und Namen
Dynamik des Erzählens: Motivverdoppelungen und Motivwiederholungen
Ein Blick in die Literaturtheorie: Diskurs und Intertextualität
Intertextuelle Einflüsse auf Irrungen, Wirrungen
Erzählperspektiven und Perspektivenwechsel
3.7 Interpretationsansätze
Klarstellung: Fontanes Realismus
Irrungen, Wirrungen – ein Gesellschaftsroman
Irrungen, Wirrungen – ein Roman des gesellschaftlichen Wandels
Irrungen, Wirrungen – ein psychologischer Roman
Irrungen, Wirrungen – ein Entwicklungsroman
Schlussüberlegung: Welcher Interpretationsansatz ist der wichtigere?
4. Rezeptionsgeschichte
Irrungen, Wirrungen und die begeisterten Leser
Irrungen, Wirrungen in der Literaturwissenschaft
Irrungen, Wirrungen im 21. Jahrhundert
5. Materialien
Die Menschen im Deutschen Kaiserreich
Äußerungen Fontanes
Berühmte Deutungen
Moderne Beobachtungen
6. Prüfungsaufgaben mit Musterlösungen
Aufgabe 1 ***
Aufgabe 2 *
Aufgabe 3 ***
Aufgabe 4 **
Literatur
Zitierte Ausgabe
Gesamtausgaben
Übergreifende Darstellungen
Über Fontane-Verfilmungen
Zu Irrungen, Wirrungen
Internet-Adressen
Verfilmungen
Damit sich jeder Leser in unserem Band rasch zurechtfindet und das für ihn Interessante gleich entdeckt, hier eine Übersicht.
Im 2. Kapitel beschreiben wir Fontanes Leben und stellen den zeitgeschichtlichen Hintergrund dar:
Theodor Fontane lebte von 1819 bis 1898, die meiste Zeit in Berlin.
Das Deutsche Reich bestand seit 1871, seine Hauptstadt Berlin wuchs stark. Die politische Macht lag noch beim Adel, aber das Bürgertum gewann an Einfluss. Der Realismus war die maßgebliche Richtung in der Literatur.
Irrungen, Wirrungen, einer von Fontanes ‚Frauen-Romanen‘, ist 1887 erschienen. Zuvor war Fontane durch seine Gedichte und seine Wanderungen durch die Mark Brandenburg berühmt geworden.
Im 3. Kapitel bieten wir eine Textanalyse und -interpretation.
Irrungen, Wirrungen – Entstehung und Quellen:
1882
hat Fontane den Roman entworfen. Fünf Jahre lang zog sich die Entstehung hin. Fontane hat auch den Schauplatz ‚Hankels Ablage‘ aufgesucht, dort 1884 die erste Niederschrift.
1887
Abdruck in Fortsetzungen in der ‚Vossischen Zeitung‘
1888
Irrungen, Wirrungen als Buch
Inhalt:
Der Roman umfasst 26 Kapitel.
Die kleinbürgerliche Kunststickerin Lene und der Adlige Botho verlieben sich. Ihr Verhältnis währt drei Monate. Botho trennt sich von Lene, die Rücksicht auf seine Herkunft und seine Familie veranlassen ihn dazu.
Im zweiten Teil (ab dem 16. Kapitel) werden die getrennten Wege der beiden erzählt. Botho heiratet seine reiche Kusine Käthe, Lene wird schließlich die Frau des Fabrikmeisters Gideon.
Chronologie und Schauplätze:
Der Roman spielt in den Jahren 1875 bis 1878. Schauplatz ist Berlin sowie – in den Kapiteln 11 bis 13 – der Ausflugsort ‚Hankels Ablage‘ bei Berlin. Briefe berichten aus der Kurstadt Schlangenbad im Taunus.
Personen:
Die Hauptpersonen sind
Lene Nimptsch:
Anfang oder Mitte zwanzig, hübsch, von Beruf Kunststickerin,
ehrlich und selbstbewusst,
neigt gelegentlich zum Sticheln,
Botho von Rienäcker:
groß und charmant, Leutnant,
akzeptiert die Menschen aller Schichten,
seiner adeligen Herkunft verhaftet,
konfliktscheu,
sowie
Frau Dörr,
Frau Nimptsch,
Gideon Franke (am Ende Lenes Ehemann),
Käthe von Sellenthin (Bothos Frau ab 16. Kapitel)
und Kurt Anton von Osten.
Stil und Sprache Fontanes:
Fontanes Erzählen ist dynamisch. Zu dieser Dynamik gehören
die Vorausdeutungen,
das Spiel mit Wörtern und Namen,
die Motivverdoppelungen.
Wir behandeln
die literaturwissenschaftlichen Begriffe Diskurs und Intertextualität,
die intertextuellen Einflüsse auf Irrungen, Wirrungen.
Es gibt verschiedene Erzählperspektiven. Sie wechseln im Roman.
Interpretationsansätze:
Wir klären den Realismus Fontanes,
und wir erkennen: Irrungen, Wirrungen ist
ein Gesellschaftsroman
und insbesondere ein Roman über den gesellschaftlichen Wandel,
ein psychologischer Roman
und insbesondere ein Entwicklungsroman.
Fontane beobachtet genau – gesellschaftskritisch und psychologisch.
Theodor Fontane 1819–1898
Jahr
Ort
Ereignis
Alter
1819
Neuruppin
Geburt am 30. 12. als ältester Sohn des Apothekers Louis Henri Fontane und seiner Frau Émilie, geb. Labry. Beide haben französische Vorfahren.
1827
Swinemünde (an der Odermündung, heute: Świnoujście)
Nach Pleite des Vaters Neuexistenz
7
1833
Berlin
Schüler der Berliner ‚Gewerbeschule‘ (Oberrealschule)
13
1836
Berlin
Fontane erwirbt das ‚Einjährige‘, d. h. die Mittlere Reife. Beginn seiner Apothekerlaufbahn (in Berlin, Leipzig, Dresden, Letschin)
16
1846
Berlin
Fontane trägt im ‚Tunnel über der Spree‘, einem literarischen Klub, seine Balladen vor; darunter Der alte Zieten.
26
1848
Berlin
Während der Revolution Teilnahme an Barrikadenkämpfen: Fontanes rebellische Zeit
28
1849
Berlin
Fontane gibt den Apothekerberuf auf. Im folgenden Jahr Heirat mit Emilie, geb. Rouanet. Erste Gedichtbände erscheinen.
29
1855
London
Pressebeauftragter der preußischen Regierung bis 1859. In dieser Zeit Reise nach Schottland
35
1860
Berlin
Fontane wird Redakteur bei der konservativen ‚Preußischen Zeitung‘, genannt ‚Kreuz-Zeitung‘. Fontanes konservatives Jahrzehnt beginnt. Vorbereitung der Wanderungen durch die Mark Brandenburg, die ab 1862 erscheinen.
40
1870
Berlin
Fontane verlässt die ‚Kreuz-Zeitung‘ und wird Theaterkritiker für die ‚Vossische Zeitung‘.
50
Herbst 1870
Lothringen, Besançon, Atlantikinsel Oléron
2-monatige Gefangenschaft in Frankreich während des deutsch-französischen Krieges
50/51
1874
Venedig, Florenz, Rom, Neapel
3-wöchige Reise nach Italien
54
1878
Berlin (seit 1872 endgültige Wohnung
Potsdamer Straße 134 c)
Vor dem Sturm erscheint. Es ist der erste von insgesamt 17 Romanen Fontanes.
58
1880
Berlin
Die Ballade Die Brück’ am Tay erscheint.
60
1885
Berlin
Unterm Birnbaum erscheint, eine von Fontanes Kriminalgeschichten.
65
1887
Berlin
Irrungen, Wirrungenerscheint.
67
1890
Berlin
Stine erscheint, nach Cécile (1886) und Irrungen, Wirrungen der dritte Roman über eine Frau, deren Liebe von der Gesellschaft verachtet wird.
70
1892
Berlin
Frau Jenny Treibel, der Roman über das Berliner Bürgertum, erscheint.
72
Ende 1892
Berlin, Riesengebirge
Fontane, an Gehirnanämie erkrankt, genest durch die Arbeit an Meine Kinderjahre.
72/73
1894
Berlin
Effi Briest erscheint.
74
1898
Berlin
Tod am 20. September. Der Stechlin, im Jahr zuvor in einer Stuttgarter Wochenzeitung erschienen, kommt als Buch heraus.
78
ZUSAMMENFASSUNG
Wichtig war in den 1880er Jahren:
Preußen und Berlin haben eine Vormachtstellung im Deutschen Reich.
Der Adel hat die politische Macht.
Das Bürgertum gewinnt an Einfluss.
Die Hauptstadt Berlin wächst schnell.
Ferner: Die literarische Richtung des Realismus hat ihren Höhepunkt.
Preußen und Berlin
In den 70er und 80er Jahren des 19. Jahrhunderts war Preußen mit seiner Hauptstadt Berlin erstarkt wie nie zuvor. Im deutsch-dänischen Krieg 1864 hatte es das heutige Schleswig-Holstein und Nordschleswig hinzugewonnen, und im deutsch-französischen Krieg 1870/71 hatte es, gemeinsam mit den süddeutschen Staaten, Elsass-Lothringen erobert. Im Jahre 1871, am Ende dieses Krieges, war in Versailles bei Paris der preußische König Wilhelm I. zum deutschen Kaiser ausgerufen worden. Das Deutsche Reich war damit gegründet, Preußen hatte darin eine Vormachtstellung.
Das Deutsche Reich hatte Frankreich eine Kriegsentschädigung von 5 Milliarden Franken abgefordert, eine riesige Summe, die die Wirtschaft ankurbelte und auch den Ausbau des Eisenbahnnetzes vorantrieb. Man nennt diese Zeit die ‚Gründerjahre‘. Den Fabrikanten und Industriellen brachten diese Jahre einen bisher unbekannten Reichtum. Auch der kleinbürgerliche Mittelstand, Gewerbetreibende und Handwerksmeister – wie der Gärtnereibesitzer Dörr in Irrungen, Wirrungen –, hatten Teil an diesem Aufschwung. Das Kapital der Fabrikanten beherrschte die Wirtschaft. Die politische Macht jedoch hatte der Adel.
In hohem Ansehen stand das Militär, denn die militärischen Siege, zusammen mit Bismarcks Diplomatie, hatten die Gründung des Deutschen Reichs ermöglicht. Nur Adlige konnten Offiziere werden.
Berlin, seit 1871 Reichshauptstadt, wuchs, da seine aufstrebende Industrie die Arbeiter anzog. Auch junge Frauen kamen als Dienstmädchen in großer Zahl nach Berlin. Für diese Unterschicht war das Elend groß; fünfköpfige und noch größere Familien wohnten oft in einem einzigen Raum zusammen. 1871 hatte Berlin 930.000 Einwohner, 1875, zur Handlungszeit von Irrungen, Wirrungen, waren es etwa 1.100.000, und im Jahre 1887, als der Roman erschien, waren es fast 1.800.000 Einwohner. Das war eine Verdoppelung der Bevölkerung binnen 16 Jahren! Die wilden Müll- und Schutthaufen im 9. Kapitel des Romans waren typisch für die wachsende Großstadt. Allmählich wurde die Infrastruktur Berlins aufgebaut: Seit 1873 erfolgte der Bau der Abwasser-Kanalisation (der 1893 beendet war, abgesehen von Randbezirken), 1881 fuhr die erste Straßenbahn, und 1882 wurde das erste Stück der Stadtbahn (S-Bahn) eröffnet. Schon vorher waren viele Ausflugsziele mit der Eisenbahn zu erreichen.
Otto von Bismarck, der Reichskanzler, betrieb eine Politik der Festigung des deutschen Staates. Dabei arbeitete er vor allem mit den Nationalliberalen, der Partei des wohlhabenden Bürgertums, zusammen. Die Adligen, die auf ihre Privilegien bedacht waren, waren in vielen Fragen Bismarcks Gegner. (Auch der erzkonservative Adlige Onkel Kurt in Irrungen, Wirrungen hat diese Haltung.) Die entschiedensten Gegner Bismarcks, der selbst überzeugter Monarchist war, waren jedoch die Sozialdemokraten. 1878, mit den sogenannten Sozialistengesetzen, wurden die sozialdemokratischen Bestrebungen im Reich verboten, doch dieses Verbot, formal gültig bis 1890, ließ sich nicht durchsetzen. Ab 1883 betrieb Bismarck seine Sozialgesetzgebung, die die Krankenversicherung für Arbeiter einführte. Ein Ziel Bismarcks war dabei auch, die Kampfbereitschaft der Sozialdemokraten zu schwächen.
Im Jahre 1888 stieg Wilhelm II. auf den Kaiserthron. 1890 entließ er Bismarck. Unter Wilhelm II. verfolgte Deutschland immer mehr ein Großmachtstreben in Konkurrenz mit den anderen europäischen Mächten.
Die Literaturszene
Der Roman Irrungen, Wirrungen ist ein großes Werk des literarischen Realismus. Die 1880er Jahre, in denen Fontane an Irrungen, Wirrungen arbeitete, sind eine Blüte und auch schon eine ausklingende Zeit des Realismus in Deutschland. Hier einige Angaben zum Realismus:
1882
veröffentliche Conrad Ferdinand Meyer seine Novelle Gustav Adolfs Page,
1886
erschien der Roman Martin Salander von Gottfried Keller,
1888
erschien Theodor Storms Novelle Der Schimmelreiter,
realistische Werke, in denen der Einzelne im Kampf mit der übermächtigen Gesellschaft steht.
In diesen Jahren publizierten auch sogenannte Reiseschriftsteller ihre Erzählungen über exotische Länder; so Balduin Möllhausen (Der Leuchtturm am Michigan, mit einer Einleitung von Theodor Fontane, 1882) und Karl May (Durch das Land der Skipetaren, 1888). Beide Autoren wollten den Lesern ein realistisches Bild fremder Regionen vermitteln.
Die modernste Strömung in dieser Zeit war aber nicht mehr der Realismus, sondern der Naturalismus. Ein Blick auf den Naturalismus: In Frankreich erschien 1885 Émile Zolas Roman Germinal, der das grausame Los der Grubenarbeiter darstellte, und 1882 wurde das Drama Die Gespenster des Norwegers Henrik Ibsen uraufgeführt. 1888 veröffentlichte Gerhart Hauptmann die Novelle Bahnwärter Thiel, die Beschreibung einer zerrütteten Familie.
Erst mit knapp 58 Jahren, im Jahre 1878, veröffentlichte Theodor Fontane seinen ersten Roman, erst als 67-Jähriger beendete er Irrungen, Wirrungen. Man könnte meinen, Fontane sei ein Spätentwickler. Aber in Wahrheit sind Fontanes Romane die folgerichtig gewachsenen Gipfelleistungen seines Lebens.
Irrungen, Wirrungen gehört zu den drei ‚Frauen-Romanen‘ Theodor Fontanes, in denen er beschreibt, wie junge Frauen eine Liebesbeziehung eingehen, die den herrschenden Normen und Anstandsregeln widerspricht. Cécile, der erste dieser Frauen-Romane, bewegt sich in Adelskreisen (Cécile ist eine ehemalige Fürstengeliebte, die unter Vorurteilen leiden muss), Irrungen, Wirrungen beschreibt die Liebe zwischen der kleinbürgerlichen Stickerin Lene und einem jungen adeligen Offizier, und Stine ist die Geschichte der Liebe zwischen einer einfachen Näherin und einem Grafen. Die drei Frauengestalten besitzen eine große seelische Stärke. Sie erleben den Konflikt mit der Gesellschaft und sind dabei ihren männlichen Partnern überlegen. Auf diese Weise übt Fontane eine scharfe Kritik an den Verhältnissen der Epoche.
In diese späten Romane ist Fontanes künstlerisches Können eingeflossen, das er sich lebenslang bei seiner Arbeit mit verschiedenen literarischen Genres wie seinen Balladen, seinen Reiseberichten Wanderungen durch die Mark Brandenburg und seinen Theaterkritiken erworben hat. Seine Berufsjahre als Apotheker haben Fontane ebenfalls geprägt, und natürlich haben auch seine politischen Erfahrungen in Deutschland und England in seine Romane Eingang gefunden. „Wie er ganz zuletzt war, so war er eigentlich“[1] – mit diesem Satz lässt sich der Autor Theodor Fontane treffend charakterisieren. Fontane hat den Satz einmal über seinen Vater ausgesprochen.
Schon 1875 schrieb Fontane: „Der moderne Roman soll ein Zeitbild sein, ein Bild seiner Zeit.“[2] Die Übersicht (siehe vorangehende Seite 16) über Fontanes Entwicklung zeigt, dass er bewusst oder unbewusst immer auf dieses große Ziel hingearbeitet hat.
Fontane selbst hat seine Romane gern auch als ‚Novellen‘ bezeichnet.
ZUSAMMENFASSUNG
1882
Fontane entwirft Irrungen, Wirrungen.
1884
Aufenthalt im Gasthof ‚Hankels Ablage‘, erste Niederschrift
1886
Überarbeitung
1887
Abdruck in Fortsetzungen in der ‚Vossischen Zeitung‘
1888
Buchausgabe
Unter dem Datum 12. Dezember 1882 steht in Theodor Fontanes Tagebuch: „Novellenstoff aufgeschrieben (‚Irrt, wirrt‘).“ Fontane hatte also damals den Roman – er nennt ihn selbst Novelle – entworfen, und er hatte sogar schon, wie er sich später erinnerte (Brief[3] vom 28. 4. 1890), die ersten vier Kapitel niedergeschrieben.
Die Romanhandlung geht nicht auf einen speziellen Vorfall zurück wie im Falle der Ehebruch-Romane L’Adultera und Effi Briest. Fontane hat sich in Irrungen, Wirrungen von literarischen Werken beeinflussen lassen (Fontane war auch ein großer Leser!). Wir kommen im Abschnitt ‚Intertextuelle Einflüsse‘ (S. 74 ff.) hierauf zu sprechen. Vielleicht spielen in Irrungen, Wirrungen auch eigene alte Liebeserlebnisse mit hinein (siehe Kapitel Rezeptionsgeschichte, S. 97).
Nach 1882 ließ Fontane den Stoff liegen. Laut Tagebuch hat er ihn im April 1884 wieder aufgenommen, im Mai 1884 mehrere Orte des Romans wie das Hinckeldey-Grab, den Rollkrug und den Jakobi-Kirchhof aufgesucht und sich am 12. Mai 1884 in der Nähe des Gasthofes ‚Hankels Ablage‘ einquartiert. Dort brachte er im Laufe von zwei Wochen die erste Fassung des Werkes vollständig zu Papier. In den folgenden zwei Jahren war er mit seinen Romanen Cécile und Stine beschäftigt. Im April 1886 begann Fontane mit der „Korrektur“, wie er es nannte, d. h. mit der sorgfältigen Überarbeitung und sprachlichen Ausfeilung der ersten Fassung. Dies war seine Hauptbeschäftigung bis Ende des Jahres.
‚Hankels Ablage‘: Fassade des Hotel-Restaurants Segler-Schloss bei Zeuthen, Provinz Brandenburg © ullstein bild – Haeckel- Archiv, undatierte Aufnahme
Anfang Juli 1887 sandte Fontane das nun endgültige Manuskript an die ‚Vossische Zeitung‘. Diese Tageszeitung brachte den Roman in Fortsetzungen vom 24. Juli bis 23. August 1887. Der Titel lautete hier: