Irrwege des Lebens - Andrea Kempf - E-Book

Irrwege des Lebens E-Book

Andrea Kempf

4,9

Beschreibung

Die frei erfundene Geschichte, ereignete sich im Jahre 1850, im niederbayerischen Markt Velden. Dort lebte eine Bauernfamilie mit ihren Kindern. Eines Tages kam es zu einem tragischen Ereignis, eins der Kinder verunglückte schwer! Der Unfall des Kindes und der Verlust dessen alltäglichen Lebens in der gemeinsamen Familie, machte die Mutter anfällig für psychische Manipulation. Durch Macht und Habgier eines Priesters, lief die Familie Gefahr, zerstört zu werden.

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Zum Roman

Die frei erfundene Geschichte, ereignete sich im Jahre

1850, im niederbayerischen Markt Velden.

Dort lebte eine Bauernfamilie mit ihren Kindern.

Eines Tages kam es zu einem tragischen Ereignis, eins

der Kinder verunglückte schwer!

Der Unfall des Kindes und der Verlust dessen alltäglichen

Lebens in der gemeinsamen Familie, machte die Mutter

anfällig für psychische Manipulation.

Durch Macht und Habgier eines Priesters, lief die Familie

Gefahr, zerstört zu werden.

Inhaltsverzeichnis

Das Treffen am Fluss

Der traurige Weg in die Freiheit

Ein Wiedersehen mit Charlotte

Familienglück

Das Wochenbettfieber

Charlottes Überfürsorge

Geistige Andenken

Vom Glück verlassen, Seelenschmerz

Ein Arzt ist kein Prophet

Gefühle des Vaters

Der Glücksjäger

Macht und Habgier

Lotte – die innere Stimme

Bedingungslose Mutterliebe

Zum richtigen Augenblick

Der Anfang vom Ende

Freud und Leid

Liebe, Hoffnung und Beharrlichkeit

Der Plan

Der Freitod

Literaturverzeichnis

Das Treffen am Fluss

Neunzehntes Jahrhundert, im Jahre 1834.

Lorenz sitzt zusammengekrümmt auf dem Bett in seiner kleinen Kammer.

Wie Ketten, hat er die Arme um seine angehobenen Beine geschlungen und die Hände derart stark in einander verkeilt, dass die Knöchelchen bereits weiß hervortreten.

Jedes Mal, presst er dabei seine Ohren zwischen die Knie, um das donnernde Gebrüll in seinem Kopf zu mildern.

Sein Herz klopft wie wild und er hat Angst, entsetzliche Angst vor seinem eigenen Vater!

Allzu häufig hat Lorenz in seinem noch jungen Dasein erleben müssen, das sich dieses Geschrei zu einem wahren Wutanfall entwickelt und dessen Höhepunkt sich dann mit Prügel und Schlägen entlädt.

Es vergeht selten ein Tag, ohne dass der Alte tobt, wenn nicht mit ihm, dann mit seiner Mutter.

Leise, schon fast kleinlaut, vernimmt Lorenz ihre Stimme aus der Küche.

„Du konst erm do ned zwinga, orne zheiran, die a ga ned mog!“

„A Geid hods aba.“

„Aba koa Liab is zwischn erna!“

„Hoit Goschn Weib, da Bua durt wos i sog.“

Der junge Mann weiß, von wem sein Vater spricht.

Das Mädchen heißt Johanna, ist siebzehn und im gleichen Alter wie Lorenz.

Im Nachbarort gibt es einen reichen Großbauern und sie ist die einzige Tochter.

Was das liebe Geld angeht, wäre sie mit Sicherheit eine erfolgreiche Heirat.

Aber das ist auch schon alles, was Lorenz glanzvolles über das junge Fräulein zu sagen hat.

„So a schircha Hofa und a Dodschn is a! A koa Foi, de heirat i gwis ned!”

Lorenz lockert seinen Griff und die Beine gleiten an der Bettkante herab.

Er beugt sich nach vorne, öffnet die Lade an der Kommode neben seinem Bett und holt bedachtsam ein wunderschönes, herzförmiges Stück Holz heraus. Es hat die Größe einer Münze und hängt ein einem schlichten Lederband.

Zwei filigran geschnitzte Buchstaben verzieren die bauchigen Seiten dieses herzförmigen Anhängers. Ein C und ein L – Charlotte und Lorenz.

Heimlich, immer dann, wenn seine Eltern zu Bett gingen, hat er das kleine Holzstückchen mit dem Messer bearbeitet.

Dabei war er gedanklich ständig bei Charlotte und mit leidenschaftlichen Gefühlen für sie hegend, hat er somit etliche Abende verbracht.

„Des Madl wui i moi heiran – sunst koa andre!”

Ratlos betrachtet er das selbstgeschnitzte Herz.

Wie soll er es bloß fertig bringen, seinen Vater zu überzeugen, das für ihn beim Heiraten nur die Liebe zählt und nicht das Geld?

Niemals würde der alte Schreihals mit Charlotte einverstanden sein! Ihre Mutter verstarb bei der Geburt des vierten Kindes und ihr Vater, ein armer Flickschuster, musste sehen, wie er sich mit den vier Kindern alleine durchschlug.

Da kam es schon mal vor, das Charlotte in der Schulpause an einer trockenen Brotrinde kaute.

Lorenz, der seine Schulzeit bereits beendet hat, erinnert sich noch gut daran.

Er ließ es sich damals nicht nehmen, Charlotte mit seinen eigenen, massig mit Butter beschmierten Brotstullen, zu versorgen.

Dadurch lernten sich die beiden immer besser kennen.

Der Wusch, Charlotte auch mal außerhalb der Schule zu treffen, wurde bei Lorenz immer größer.

Doch das Mädchen war schüchtern und zierte sich. Der Abschluss des Schuljahres rückte damals immer näher und damit auch die Gefahr, sie nicht mehr zu treffen.

„D Schui is beud zend für mi. I wui di aba wieda seng!“

Vorsichtig berührt er die Spitzen ihrer langen, braunen Haare.

„Wuist des a?“

Charlotte begriff, wenn sie jetzt mit Lorenz kein Treffen ausmacht, wird es schwer werden, ihn wiederzusehen.

Es schickt sich nicht als junges Madl, zu Hause bei einem Burschen vorbeizuschauen.

„Ja, i wui a!“

Sie spürt seine Finger an ihrem Haar und ihre Wangen erröten.

„I gfrei mi sackrisch! Hindam Hof, flussobawerts, hod da Vatan s Gros ho lassn. Wend Son unda get, bi i do.“

Sanft berührt sie seine Hände – sie hat bei ihm ein gutes Gefühl!

Nie wird er diesen wunderbaren Abend je vergessen!

Er selbst kam ein bisschen früher. Um ihre erste Verabredung für beide unvergesslich zu gestalten, entschied sich Lorenz dazu, eine Decke, etwas Brot und Käse und auch eine Kerze mitzubringen.

Er wollte sie damit Überraschen und wenn er ehrlich war, auch ein bisschen Eindruck bei ihr schinden.

Als er damalig seine Vorbereitungen beendet hatte, erschien auch schon Charlotte wie verabredet am Fluss.

Ein wenig scheu, aber auch sichtbar erstaunt, trat sie einst an die Decke heran.

„Des host aba sche gmacht!“

„Bei so an liabm un schenan Madl, muas ma si scho wos eifoin lassn.“

Als Lorenz sich vom Boden erhebt um Charlotte gegenüber zu treten, bemerkt er ein angenehmes Kribbeln im Bauch.

„Wundasche bist in deim Kleidl.“

„Is vo meina Muatta. Nua bei an bsondan Grund hods des trong.“

Das mit Streublümchen gemusterte, zartfarbige Sommerkleid hatte einen weiten, mit reichlich Spitzen verzierten Ausschnitt – ein wahrer Anziehungspunkt für Lorenz Augen!

„Kum, setz ma uns aufd Deckn.“

Sachte zieht er sie mit sich zu Boden und dabei landet Charlotte sanft in Lorenz Armen.

Seine Berührungen sind weich und nicht drängend, so dass sie in ihrem Inneren, nicht das Gefühl verspürt, ihm entrinnen zu wollen.

Fasziniert von diesem Moment, einander zu spüren und zugleich das einmalige Farbenspiel der untergehenden Sonne zu erleben, verzaubert beide zu tiefst.

Als es endgültig dunkel wurde, brennt Lorenz die Kerze an.

Es herrscht eine wohlfühlende und entspannte Atmosphäre zwischen ihnen. Sie essen Käse und Brot und unterhalten sich dabei über alles Mögliche.

„Sog moi, is des woar, wos d Leid üba di song?“

Erstaunt schluckt Lorenz seinen Käse runter und runzelt die Stirn.

„Wos songs den üba mi?“

„Das d Johanna a moi heiratst.”

„A geh, so a schmarn! Wer bhauptn so wos?”

„Dei Vattan azeits beim Wirt umanand.”

Lorenz ärgert sich und die schöne Stimmung ist im nu dahin.

Wie soll er denn Charlotte erklären, dass es seinem Alten nur um das verfluchte Geld geht.

Rückt er durch das Verhalten seines Vaters, nicht selbst in ein ungünstiges Licht?

Er liebt Charlotte so sehr, es würde ihm das Herz brechen, wenn sie derart schlecht von ihm denken würde!

Ohne nachzudenken, lässt er seinen Gefühlen freien Lauf.

Lorenz streicht über ihre weichen Wangen. Seine andere Hand legt er um ihre Taille und zieht sie ohne zu zögern, ganz nah an sich heran.

Es streicheln nicht mehr seine Finger, sondern sein warmer Atem über ihr Gesicht – Charlotte erschaudert!

Noch fester sinkt sie in seine Arme und in ihr Herz pocht bis zum Hals.

Lorenz halb geöffneter Mund umschließt den ihrigen und seine Hand wandert zu ihrem tief ausgeschnittenen Dekolletee.

Er spürt ihre weichen, wohlgeformten Brüste unter dem dünnen Stoff ihres Kleides und sein Körper schmerzt bereits, so stark ist sein Verlangen nach ihr.

Letztendlich siegt aber doch seine Vernunft. Zu wichtig ist Charlotte für ihn – ihre Gefühle, was sie denkt- als das er seine Lust bei der erstbesten Verabredung an ihr stillt!

Liebevoll sieht er in ihre Augen und kann in ihnen das gleiche Bedürfnis und Verlangen erkennen, wie bei sich selbst. Und diese Tatsache macht ihn unendlich glücklich!

„I bi voier Glik! No nia hod mi a Bursch so drugt wia du.“

„Glab ma, d Johanna werd i nia mois heiran!”

In diesem Moment ist es Lorenz auch wichtig, Charlotte von seinen Eltern zu erzählen.

„Mein Vatta geds nua ums Goid! Friast, eus meine Eutern keirat ham, hams ned fui kod. Den Hof hams se se daspad und daabat. Mei Vatta is scho oft ins Wirtsheisl ganga und hods Goid vasuffa. Bes un grantlat is a dann und schlogt scho a moi zu! Da kumt erm Johanna grod recht, do gangat a Goid eine.“

„Und dei Muttan, wos sogt de?“

Der bitterer Gesichtsausdruck von Lorenz verändert sich.

Güte und Wärme machen sich auf seinem Gesicht breit.

„De is herznsguad! Sogt imma zmir, heirat nie ohne Liab im Herzn! Ausadem hodsas megli gmacht, das i bi zum End ind Schui geh konnt und d Hofabat hods dawei fir mi übanoma.“

Zufriedenheit macht sich auf dem Gesicht von Charlotte breit. Mit Sicherheit wäre sie verzweifelt und unglücklich gewesen, wenn sich das dumme Gerede der Leute bewahrheitet hätte.

Sie ist erst fünfzehn Jahre alt und hat wenig Erfahrung mit Burschen.

Doch Lorenz ansprechende Art und wie er mit ihr, aber auch mit seinen Mitmenschen umgeht, beeindruckt sie sehr – ein interessanter junger Mann!

„Du schaugst mi lieb o, wos dengstn grod Charlotte?“

Das junge Mädchen wird bis zu beide Ohren rot, aber sie sagt trotzdem offen und ehrlich was sie denkt.

„I dat di gern wida seng Lorenz.“

„I di a und da bring i da a wos mit!“

Der traurige Weg in die Freiheit

Ja, so war er - der erste gemeinsame Abend am Fluss.

Wunderbar, nie wird Lorenz ihn vergessen!

„Wird Zeit, das is beud wida sig. Bin gspannt, ob da Anhänga ihr gfoid?“

Zufrieden mit seinem Werk, dreht er das Lederband zwischen seinen Finger und drückt den herzförmigen Anhänger behutsam an seine Lippen.

Doch plötzlich kommt ein lautes Krachen aus der Küche.

Es lässt ihn erschrocken aufhorchen und das gleichzeitige Wehgeschrei seiner Mutter, fährt ihn bis in die Glieder.

Erneut steigt panische Angst in ihm auf. Er kommt einfach nicht gegen diese Furcht an!

Gleichgültig, ob er jetzt von diesen Angstattacken Atemnot bekommt oder nicht, seine größte Sorge gilt in diesem Augenblick nur seiner Mutter.

„Wos macht da, da eud Blerheus? Hoffentli durda ihra ka Gwoid o?“

Lorenz stürzt den Gang entlang und reißt die Küchentüre auf.

Die Obstschale aus Ton liegt zerbrochen auf dem Boden und das Obst kugelt über die Dielenbretter.

Er sieht, wie sich sein Vater bedrohlich nahe über seine Mutter beugt und laut auf sie einschimpft.

„Du bled Henna! Wos wuist mit da Liab, davo ko ma si nix kaffa.“

Lorenz tritt schnell auf seinen Vater zu und legt ihm seine Hand auf die Schulter. Mit besänftigendem Ton versucht er den Alten von seiner Mutter abzulenken.

„Lass guat sei Vattan. I heirat ka Madl, de I ned liab!”

Bis Lorenz sich versieht, packt der Vater ihn am Handgelenk und dreht ihm den Arm auf den Rücken.

Dem Burschen stockt der Atem - ein höllischer Schmerz zieht sich bis in seine Schulter!

„Lass mi los, du duast ma weh!“

Als die Mutter versucht ihrem Sohn zu helfen, wird sie von ihrem Mann grob zurückgestoßen. Der Stuhl kippt mit samt seiner Frau nach hinten und polternd schlägt sie mit ihrem Kopf auf dem Boden auf.

„Bevor i di los las schwerst, das d Johanna heirast!“

„Nia im Lem wer i des doa!

Lorenz Augen glühen vor Zorn.

Aus den Augenwinkeln erkennt er, dass seine Mutter sich stark benommen an ihren Hinterkopf fast. Mit letzter Kraft, versetzt er seinem Vater einen derart heftigen Tritt gegen das Knie, das dessen Knochen knacken und er zusammensinkt.

Als der Junge frei ist, kümmert er sich sofort besorgt um seine Mutter. Er beugt sich über sie und versucht ihr aufzuhelfen.

„Kum Muttan, schde auf.“

Die Stimme versagt ihr, als Antwort bekommt er nur ein heisernes Flüstern.

„I ko ned. Mei Kopf und Ohn, in dene sausts wi wuid.“

Lorenz nimmt ihren Arm und legt in sich um den Hals.

Vorsichtig greift er unter ihre Axel und stemmt sie hoch.

„I bring di in Kamma. I glab es is bessa, wenns di hilegst.“

Langsam schleift er sie von der Küche in das elterliche Schlafzimmer und legt sie behutsam ins Bett.

Als er das Kissen zurechtrutscht, bemerkt er, dass ein wenig Blut aus ihrem rechten Ohr läuft.

Sachte streichelt Lorenz seiner Mutter über die Stirn.

Wieder greift diese panische Angst nach ihm und legt sich dabei schwer um seine Brust. Tiefe Sorgenfalten zeichnen seine Stirn, der Junge ahnt schlimmes.

„Des bdeit nix guats, wenn Bluad ausn Ohrwaschl laft.

Mutta, i hoi an Dokta!“

Doch da antwortet sie bereits nicht mehr.

Erneut berührt er ihr Gesicht und dabei fühlt sich ihre Haut kalt und schwitzig an, ihr Atem geht flach.

Eilig verlässt er den Raum. In Gedanken ist er längst auf dem Weg zum Arzt.

Als er an der Küche vorbeigeht, reißt ihn der Anblick seines Vaters aus der Besinnung.

Der junge Mann stockt und betrachtet verächtlich, wie der Alte versucht, sich an der Tischkante hochzurappeln, aber ohne Erfolg!

Der Vater gerät dadurch immer mehr in Rage und ist völlig erzürnt darüber, dass sein eigen Fleisch und Blut es wagt, ihm solche Schmerzen zuzufügen.

„Der ko wos dalem! Wen i den in d Finga grig, dem brich i ole Knocha.“

„I hob koa Fuacht mehr vo dir.“

Der Kopf des Alten fährt herum und mit eiskaltem Blick fixiert er seinen Sohn.

„Wie kostas wong, d Hand gega dein eignan Vatta zhem?“

„Hob i a Weu kod?“

„A Zucht un a Odnung, de muas sei!”

„Na, du bist vui zweit ganga. So get ma net mit seine Laid um.“

„Awos, zimpali seids ole zwoa!“

„Koan Foi wernd Mutta und i mehr mit dir unta orn Dach lem!“

„Wos soi des hosn?“

„I hoi an Dokta für Mutta, sie bluat ausn Ohrwaschl. Und danoch meud i di beim Gmeindevorsteha!“

Entsetzt lehnt sich der Vater ans Tischbein und schnappt mühsam nach Luft.

„Dlängste Zeit bist mei Bua gwesn, wennst des wagst!“

„Wurscht is ma, an Vatta, der nur zurdrischt, den brach i ned!“

Und damit ist das Gespräch für Lorenz beendet, er möchte mit diesem gewalttätigen Menschen, auch wenn es sein eigener Vater ist, nichts mehr zu tun haben!

Gleichgültig wie es dem Alten gesundheitlich geht, Lorenz verlässt mit eiligen Schritten das Haus und macht sich auf den Weg in den Ort.

Bedauerlicherweise trifft Lorenz auf der Krankenstation den Arzt nicht an. Aber die Krankenschwester verspricht ihm, den Doktor sofort zu ihnen nach Hause zu schicken, sobald dieser zurück ist.

Als der junge Mann das Armenhaus wieder verlässt, hadert er mit sich selbst.

Soll er sich nun wirklich trauen, seinen Vater beim Gemeinderatvorsteher anzuzeigen?

„Doch, i durs!“

Als Lorenz soeben das Rathaus betreten will, ruft eine vertraute Stimme seinen Namen.

„Lorenz! Sche di zum seng.“

Charlotte gerade jetzt zu treffen, ist Lorenz sehr unangenehm. Er ist viel zu aufgewühlt und außerdem in großer Sorge um seine Mutter.

Was würde sich Charlotte bloß denken, wenn er ihr von den schrecklichen Dingen, die bei ihm zu Hause vorgefallen sind, berichten würde?

Am liebsten würde er selbst reis aus von Daheim nehmen, so belastend sind dort die Zustände für ihn.

„Grias de Charlotte.“

Lorenz gibt sich zurückhaltend. Sein Verhalten ist vollkommen anders als wie sonst.

Charlotte spürt, dass irgendetwas nicht stimmt. Aufmerksam betrachtet sie den jungen Mann.

„Wos isn los?“

„Nix. I hob koa Zeit, i muas wieda horm.“

„Aba du bist sonst a ned so seidsam.“

„I bit di sche Madl – las orfach guat sei!“

„Hob i domois wos feusch gsogt oda do am Fluss?”

Lorenz ist hin und her gerissen. Soll er Charlotte erzählen was passiert ist oder nicht?

Wenn er allerdings ernsthaft die Absicht verfolgt, sie zu bitten, eines Tages seine Frau zu werden, dann hat sie ein Recht darauf, zu erfahren was passiert ist.

„Na host ned.“

Im Gegenteil, denkt Lorenz, spricht es aber nicht aus.

Er hat sich an dem Abend wirklich so zusammenreißen müssen, um nicht über sie herzufallen und sein Verlangen nach ihr zu stillen.

Mit hängenden Armen steht er Charlotte gegenüber und sieht sie traurig an.

„Da Vatta hod Mutta mitn samten Stui gschdessn.“

„Waruma des?“

„Da Grobian hod mi backt un bi i gschagt hob, hoda ma dn Arm umdrat.“

Voller Mitgefühl nimmt sie seine Hand.

„Und wos is dann gscheng?“

„D Mutta woit ma heifa und da hodas mit samt an Stui umgschdessn.“

„Hodse sie wehdo?“

„Mitn Schel is aufn Bon gfoin und bliad ausn Orwaschl.“

„Und dei Vatta, wos is mit dem?“

„Knocha hob i erm brocha!”

Bestürzt weicht die junge Frau einen Schritt zurück und lässt seine Hand fallen.

„Bist völli odrat?!“

Freilich sieht Lorenz in Charlottes Erschrecken sofort die befürchtete Ablehnung gegen seine Person.

„Wos häd I andas macha soin? Mutta oda mi ebba wieda schlong lassn?”

Tränen seelischer Schmerzen füllen seine blauen Augen und seine wohlgeformten, vollen Lippen beben vor Groll.

Für Charlotte steht außer Zweifel - Lorenz hat seinen Vater nicht grundlos verletzt!

Abscheulich muss das Verhalten des Vaters gegenüber seines Sohnes und dessen Mutter gewesen sein!

Die Angst von Lorenz, um die körperliche Unversehrtheit der Mutter und um seiner selbst, lässt sogar den größten Gefühlsdusel erahnen, wieviel emotionales und körperliches Leid er bisher ertragen musste.

Sie würde sich niemals anmaßen, über Lorenz Verhalten zu urteilen, letztendlich war sie auch zu keiner Zeit dabei.

Trotz dieser unglücklichen Geschichte macht dieser Bursche sie irgendwie neugierig!

Charlotte weiß natürlich, dass es jetzt nicht gerade der geeignetste Zeitpunkt ist, ihm das zusagen. Aber bereits am Fluss hätte sie es zugelassen, mehr mit ihm zu erleben.

Tja notgedrungen – es bleibt ihr auch schon nichts anderes übrig – beendet sie lieber ihre blühende Phantasie!

„Und wos wuistn im Ratheisl?“

„An Vatta meidn.“

„Lass sei Lorenz. Es wird si scho a andra Weg findn.“

„Mornst wirkli?“

„Mach di mit deim Vattan ned no unglicklia, eust eh scho mit erm bist!“

Einsichtsvoll nickt Lorenz mit dem Kopf.

„Dann mach i mi glei zruck aufn Weg zum Hof. I dad mi a weng bessa fuin, wenn i di bei mir häd, kumst mit?“

Charlotte zögert nicht lange.

„Freili kum i mit!“

Auf dem Rückweg unterhalten sich die beiden kaum miteinander, nur ihre Hände haben sie eng ineinander verschlungen.

Viel zu vordergründig ist die furchtbare Situation, mit der Lorenz sich auseinander setzen muss. Er merkt aber, wie beruhigend Charlottes Nähe für ihn ist.

Als sie sich dem elterlichen Hof nähern, entdecken sie den Einspänner.

„Des werd da Dokta sei!“

Lorenz wird es flau im Magen, seine Schritte werden unweigerlich schneller. Hoffentlich ist es mit seiner Mutter nichts Ernstes!

„Laf vor Lorenz, i kum da dann scho nache.“

Charlotte lässt sich absichtlich Zeit. Sie will auf keinen Fall, diese familiären Situation stören.

Als damals ihre eigene Mutter verstarb, empfand sie es als äußerst unangenehm, in diesem Moment Menschen um sich zu haben.

Kaum das das junge Madl den Hauseingang betreten hat, da vernimmt sie auch schon einen grauenhaften Schrei.

Dieser klingt so wehmütig und traurig, dass es Charlotte ganz schwer ums Herz wird.

Behutsam schreitet sie den Flur entlang und bleibt dann vor einem Zimmer stehen, aus dem sie ein herzzerreißendes Schluchzen hört.

Langsam drückt sie die Tür auf.

Lorenz sitzt am Kopfende des Bettes, mit dem Rücken zu ihr. Verkrampft hält er die kalte und schlaffe Hand seiner Mutter zwischen seinen Händen.

Charlotte kann sein von tiefster Traurigkeit gezeichnete Gesicht nicht sehen, bloß erahnen!

Auf der anderen Bettseite steht ein älterer, großgewachsener Mann mit einer ledernen Tasche.

Sie erkennt ihn sofort wieder! Von damals, als ihre Mutter starb, war er auch da.

Charlotte fröstelt es, das alles hier ist so schrecklich!

Unsicher wendet der Doktor sich an Lorenz. Irgendetwas bedrückt den Mann, das merkt Charlotte rasch.

Ein lautes Räuspern durchdringt den Raum.

„Ich konnte leider nichts mehr für deine Mutter tun. Sie war bereits verstorben, als ich ankam.“

Lorenz beißt sich vor Bitterkeit auf die Unterlippe.

„Bevor ich den Bestatter benachrichtige, gibt es noch was, dass ich dir zeigen muss.“

„Dn Bstatta ko mei Vatta hoin, schließli hoda mei Muatta a aufn Gwissn!“

Grimmig starrt der junge Mann auf das bleiche Gesicht seiner Mutter.

„Das kann er aber nicht mehr – er hat sich im Stall erhängt.“

Jegliche Farbe weicht aus Lorenz Gesicht, er wird immer blässer. Wie ein angeschossenes Tier stiert er den Doktor an - für ihn ist das, was er soeben hörte unfassbar!

Auch Charlotte ist erschüttert.

„Um Gods wuin! Lorenz wos machstn jetzt?“

„Ko Anung?“

„Kommt, wir müssen ihn vom Balken abmachen und herunterheben.“

Nur ungern und zögerlich erhebt sich Lorenz vom Bett seiner geliebten Mutter. Charlotte zupft ihn deswegen am Hemdsärmel.

„Du konst nix mehr für sie dor, kum da Doktor bracht di!“

Zu dritt verlassen sie die Schlafkammer und gehen in den Stall, der am Wohnhaus angrenzt. Weiterhin kreidebleich und mit wackeligen Schritten, folgen sie mit etwas Abstand dem Arzt.

Beim Gehen legt Lorenz eine Hand auf die Schulter von Charlotte und zieht sie dadurch näher zu sich heran.

„I bi so froh, dast bei mir bist.“

„Es warat sche gwesn, wenn ma uns unta andre Umständ wieda gseng hättn, glamas Lorenz!“

„I woas scho! Eus ma uns vor boar Dog gseng ham, war eus no andas.“

Charlotte lehnt ihren Kopf an seine Schulter.

„Ja so schneii kons geh! Korne Eutern mehr, jetzta bist ganz aloa.“

„Bi i des wirkli – aloa?“

Charlotte versteht die Zweideutigkeit von Lorenz Worten sehr gut. Sie würde nichts lieber tun, als ihn um den Hals nehmen und sagen, dass sie sich in ihn verliebt hat!

Aber es passt jetzt einfach nicht, der Zeitpunkt dafür ist äußerst ungünstig.

Charlotte bleibt stehen und schaut ihm tief in die Augen.