Isabelle von Bayern - Dumas Alexandre - E-Book

Isabelle von Bayern E-Book

Dumas Alexandre

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Beschreibung

Dieser Roman ist relativ unbekannt und gehört nicht unbedingt zu den ganz großen Werken des Altmeisters der historischen Unterhaltungsromane. Doch Dumas entfaltet mit literarischer Meisterschaft ein Zerrbild von Isabelle von Bayern. Als Haupttitel wäre allerdings "Aus der Zeit Karls VI. von Frankreich" besser geeignet gewesen. Grundlage dieses Romans ist die Ausgabe von 1835 des Magazins für Industrie und Literatur Leipzig, in der Übersetzung von Ludwig von Alvensleben. Die damalige Übersetzung wurde grundlegend überarbeitet und erweitert sowie dem modernen Sprachgebrauch angepasst. Die Handlung beginnt 1389 mit dem Einzug Isabelles in Paris.

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Alexandre Dumas

Isabelle von Bayern

Historischer Roman aus der Zeit Karls VI.

Impressum

Texte: © Copyright by Alexandre Dumas

Umschlag:© Copyright by Walter Brendel

Übersetzer:© Copyrighby Ludwig von Alvensleben

Verlag:Brokatbook Verlag Dresden Gunter Pirntke

Gunter Pirntke

Altenberger Straße 47

01277 Dresden

[email protected]

[email protected]

Inhaltsverzeichnis

Historischer Überblick des Herausgebers

Erster Band.

Vorwort.

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

Zweiter Band.

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

IX.

X.

XI.

XII.

Dritter Band.

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

Über dieses Buch

Historischer Überblick des Herausgebers

Karl VI., auch genannte der Vielgeliebte oder der Wahnsinnige, wurde als ältester von drei überlebenden Kindern der königlichen Eltern, Karl V. von Frankreich und dessen Gemahlin Johanna von Bourbon, am 3. Dezember 1368 in Paris war geboren.

1380 bestieg er 11jährig, 1380 den Thron von Frankreich. Er stand zunächst unter Vormundschaft der drei jüngeren Brüder seines Vaters, die einem Regentschaftsrat bildeten und die Staatsherrschaft ausübten. Dieser Regentschaftsrat wurde auch als Regierung der Herzöge bekannt. Dieser Regentschaftsrat regierte das Land schlecht, nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht, beuteten sie das Land aus und provozierten damit mehrere Aufstände.

1388 übernahm Karl die Regierung selbst. Er hatte zwar den guten Willen zur Verbesserung, konnte sich aber gegen die Berater seines Vaters kaum durchsetzen sorgte kaum für Verbesserungen. Erschwert wurde das auch von einer Geisteskrankheit, die ihm 1392 befiel und die ein Jahr später deutlich ausbrach. Kurzzeitig war er zwar bei klarem Verstand, aber überwiegend handlungsunfähig.

Zu den königlichen Onkels gesellten sich auch der ehrgeizige Bruder des Königs, der Herzog Ludwig von Orléans und die Titelheldin Isabeau de Bavière, der jungen Frau des Königs. Karls Einfluss und Anspruch wurde immer begrenzter.

Anno 1400 gab es in Land zwei Strömungen, die vom Hof ausgingen. Das waren die Orléanisten und die Bourguignons unter Herzog Philipp bzw., nach seinem Tod 1404, um seinen Sohn Herzog Johann Ohnefurcht. Orléans wurde 1407 durch gedungene Mörder des Herzogs Johann Ohnefurcht ermordet. Es kam zum Bürgerkrieg, indem die Armagnacs die Oberhand behielten und 1413 die Herrschaft übernahmen. Die Königin wurde aus dem Thronrat ausgeschlossen.

Die Auseinandersetzungen schwächten Frankreich zunehmend Diese Schwäche nutzte Heinrich V. von England, um neue Raub- und Eroberungszüge auf französischem Boden zu beginnen, bei denen seine Truppen im Herbst 1415 die Normandie besetzten.

1417 verbannte Bernard, inzwischen Konnetable von Paris, die Königin und ihren Hofstaat. Daraufhin verbündete sich die Königin mit Johann von Burgund, bildete eine Gegenregierung in Troyes und eroberte 1418 Paris zurück. Bernard von Armagnac wurde hingerichtet.

Der Dauphin, obwohl Generalleutnant des Königs, blieb unter dem Einfluss der Armagnaken, vor allem der mit ihnen verbündeten Anjou Yolantha von Aragon, seiner Schwiegermutter. Inzwischen standen die Engländer kurz vor Paris, viele Städte und Landstriche waren verwüstet. Die Spaltung der königlichen Familie beunruhigte viele.

1419 traf der Dauphin den Herzog von Burgund auf der Brücke von Montereau und ließ ihm ermorden.

Karls VI. bezeichnete seinen Sohn als sittenlos und als der Thronfolge unwürdig und enterbte ihm 1420. Durch den Vertrag von Troyes vermählten das königliche Paar ihre Tochter Katharina mit Heinrich V. von England und bestimmten diesen zum französischen Thronfolger des vereinigten Königreiches Frankreich und England.

Der französische Kronprinz Karl erkannte den Vertrag von Troyes nicht an und führte den Widerstand fort.

Die bittere Not der Engländer nach der langen Belagerung der Stadt Meaux griff schließlich Heinrichs Gesundheit so stark an, dass er am 31. August 1422 im Schloss Vincennes in der Nähe von Paris an der Ruhr verstarb.

Am 21. Oktober 1422 starb König Karl VI., am 30. Oktober 1422 ließ sich der Dauphin als Karl VII. in Mehun-sur-Yèvre zum König ausrufen. Ihm gelang mit der Hilfe Jeanne d'Arcs zunächst die Wende im Hundertjährigen Krieg, bevor er 1453 mit der Vertreibung der Engländer aus Frankreich den endgültigen Sieg errang. Frankreich wandelte sich unter seiner Herrschaft von einem großen Lehensverband zunehmend zum Nationalstaat.

Warum Dumas Isabelle von Bayrn als Titelheldin gewählt hat, mag sein Geheimnis bleiben. Isabeau de Bavière, vermutlich 1370 in München als Elisabeth von Bayern geboren, war eine Prinzessin von Bayern aus dem Hause der Wittelsbacher. Am 17. Juli 1385 wurde sie in Amiens mit dem ebenfalls noch jugendlichen französischen König Karl VI. verheiratet und war bis zu dessen Tod 1422 Königin von Frankreich.

Isabeau hielt sich in diesen ersten Ehejahren von der politischen Bühne weitgehend zurück und genoss das Leben als französische Königin. Während das Volk hungerte, verursachte ihr Hang zum Luxus erheblichen Unmut.

Isabeau, die sich mit ihrem Bündnispartner Johann Ohnefurcht in Loyalität übte, versuchte, den Anspruch ihres eigenen Sohnes auf den Thron abzuwehren. Das Verhältnis zwischen Mutter und Sohn war ohnehin nicht das Beste, da ihr der erst vierzehnjährige Dauphin fast täglich Vorwürfe bezüglich ihres schamlosen Lebensstils machte. Letzten Endes bestimmte Karl VII., seine Mutter vom königlichen Hof zu entfernen, und wies ihr Quartier in Tours zu. Später befreite Johann Ohnefurcht die Königin aus ihrem Arrest und geleitete sie zurück nach Paris, womit Karl VI. wieder ihrem verhängnisvollen Einfluss ausgesetzt war.

1420 erklärte Isabeau, dass ihr Sohn, der Dauphin, keinesfalls den Thron Frankreichs besteigen könne, weil er kein legitimer Sohn König Karls VI. sei. Da ihr geistig behinderter Mann keine Anklage wegen Ehebruchs erheben konnte und sie als Verbündete des Hauses Burgund keinerlei Befürchtungen haben musste, als Ehebrecherin belangt zu werden, erklärte sie ihren Sohn als außerehelich gezeugt. Mit dieser Behauptung setzte sie den Streit zwischen sich und ihrem Sohn fort, dem sie damit die offizielle Thronfolge aberkannte. Viel mehr noch drängte sie ihren Mann, Karl VI., den Vertrag von Troyes zu unterzeichnen.

Johann Ohnefurcht wurde 1419 ermordet. Isabeau, die somit keinen Verbündeten mehr hatte und auch die Rache der Armagnacs fürchtete, begab sich freiwillig ins burgundische Exil. Am Ende ihres Lebens lebte sie zurückgezogen im Hôtel Saint-Paul in Paris, wo sie im September 1435 starb.

Erster Band.

Vorwort.

Es ist eines der schönsten Vorrechte des Geschichtsschreibers dieses Königs der Vergangenheit, ist es, dass er bei Durchlaufung eines Reiches mit der Feder nur die Trümmer und Leichen berühren darf, um Paläste wieder aufzuführen, Menschen wieder auferstehen zu lassen; auf feine Stimme, wie auf die Gottes, sammeln sich die zerstreuten Gebeine, lebendes Fleisch bekleidet sie, prächtige Gewänder schmücken sie, und in dem ungeheuern Josaphat, in welches drei Jahrtausende ihre Kinder senden, darf der Geschichtsschreiber nur die erwähnen, die feine Laune bezeichnet, ihre Namen nennen, so erheben sie sich im Augenblicke aus dem Grabe, werfen ihr Leichentuch zurück und antworten, wie Lazarus dem Heiland: hier bin ich, Herr, was willst Du von mir?

Freilich bedarf es eines festen Schrittes, um in die Tiefen der Geschichte hinabzusteigen, einer gewaltigen Stimme, um die Fantome zu befragen, einer Hand, um die Worte niederzuschreiben, die sie diktieren. Die Todesfälle sind zuweilen mit furchtbaren Geheimnissen verbunden, welche der Totengräber mit ihnen in das Grab versenkt. Die Haare Dantes erbleichten bei der Erzählung vom Grafen Ugolino, und seine Augen behielten einen finstern Ausdruck, seine Wangen eine solche Totenblässe, dass die Weiber von Florenz, als Virgil ihn wieder auf die Oberfläche geführt hatte, erkannten, woher der sonderbare Reisende kam; sie zeigten in ihren Kindern und sagten: »Seht Ihr den Mann, der so ernst und traurig vorübergeht? Er ist in die Hölle hinabgestiegen.«

Auf uns besonders wird dieser Vergleich mit Dante und Virgil anwendbar: das Tor des Gewölbes von Saint Denis, welches sich vor uns öffnen wird, hat wohl was Ähnliches von dem Höllentor; dieselbe Sünde paßt wunderbar auf Beide, und wenn wir die Fackel Dante's trügen und durch die Hand Virgil's geführt würden, so würden wir nicht lange unter den drei königlichen Geschlechtern, welche die Grabgewölbe der alten Abtei bevölkern, zu suchen haben, um irgend einen Mörder zu finden, dessen Verbrechen eben so verdammenswert ist, des Erzbischofs Roger, irgend ein Opfer, dessen Unglück eben so beweinenswert ist, als das des Gefangenen im Hungerturm von Pisa.

In diesem weiten Beinhause ist besonders ein Grab, vor dem wir nie vorüber gingen, ohne stehen zu bleiben, die Arme zu kreuzen und die Augen zu senken. Es ist in einem Gewölbe zur Linken ein einfaches Denkmal von schwarzem Marmor, auf dem, dicht nebeneinander, zwei Statuen ruhen, die eines Mannes und die einer Frau. Schon seit vier Jahrhunderten ruhen sie so nebeneinander, mit gefalteten Händen betend; denn der Mann bittet Gott um Verzeihung für einen Zorn, die Frau um Gnade für ihren Verrat; denn Ihr müsst wissen, diese beiden Figuren sind die eines Unsinnigen und einer Ehebrecherin; die Narrheit des Einen und die Liebschaften der Andern färbten zwanzig Jahre lang Frankreich mit Blut, und nicht ohne Grund fügte der Griffel den Worten des Grabmales: »Hier ruht König Karl der Vielgeliebte, seines Namens der Sechste, und die Königin Isabelle von Bayern seine Gemahlin« – weiter unten hinzu: »Betet für sie.«

In Saint Denis also, da wir einmal dort sind, wollen wir die geheimnisvollen Archive der sonderbaren Regierung öffnen, welche, wie einer unserer Dichter sagte: »zwischen der Erscheinung eines Greises und der einer Schäferin stand, und als Denkmal für ihre Dauer nichts hinterließ, als einen bitteren Spott auf das Geschick der Reichen und das Glück der Menschen – das Kartenspiel.«

Für einige weiße Blätter, die es in diesem Buche gibt, werden wir viele finden, welche rot von Blut, schwarz von Trauer sind; denn Gott wollte, dass hienieden sich alles mit diesen drei Farben färben sollte, die er dem menschlichen Leben als Wappen mit der Devise gab: »Unschuld, Leidenschaft, Tod.«

Jetzt wollen wir also das Buch, wie Gott das Leben, bei den weißen Blättern öffnen, schnell genug werden wir zu denen des Blutes und der Trauer gelangen.

I.

Sonntag, den 20. August des Jahres 13891 strömte schon mit Tagesanbruch eine große Volksmenge auf die Straße hinaus, die von Paris nach Saint Denis führt.

Madame Isabelle, Tochter des Herzogs Stephan von Bayern, und Gemahlin König Karls VI. sollte als Königin von Frankreich ihren ersten feierlichen Einzug in die Hauptstadt des Reiches halten.

Um diese Neugier zu rechtfertigen, muss man erwähnen, dass man sich wunderbare Dinge von dieser Prinzess erzählte. Man wusste, dass der König bei dem ersten Zusammentreffen mit ihr, welches an einem Freitag stattfand (15. Juli 1385), leidenschaftlich in sie verliebt geworden wäre, und nur mit Mühe wollte er seinem Oheim, dem Herzog von Burgund, bis zum nächsten Montag Frist geben, die Vorbereitungen zur Vermählung zu treffen.

Diese Vermählung erweckte übrigens große Hoffnungen im Königreiche. Man wusste, dass der König Karl V. auf seinem Totenbett den Wunsch aus gesprochen hatte, sein Sohn möchte sich mit einer bayrischen Prinzess vermählen, um ein Gegengewicht gegen den Einfluss Richards von England zu gewinnen, der die Schwester des deutschen Königs geheiratet hatte. Die Liebe des jungen Prinzen unterstützte daher wunderbar die letzten Wünsche seines Vaters; überdies hatten die Matronen, welche die Braut untersuchen mussten, den Ausspruch getan, dass sie fähig sei, der Krone Erben zu geben, und nach Verlauf eines Jahres machte die Geburt eines Sohnes ihrer Erfahrung Ehre. Es gab freilich einige Unglückspropheten, wie bei dem Beginn einer jeden Regierung, welche sagten, dass alles zum Schlechtesten ausschlagen würde, denn der Freitag sei ein Unglückstag zu einer Brautwerbung. Aber bis jetzt hatte noch nichts ihren Weissagungen Glauben, verschafft, und hätten sie ihre Stimmen erheben wollen, würden sie schnell vor dem Freudengeschrei des Tages verstummt sein, womit wir unsere Geschichte beginnen.

Da die Hauptpersonen, welche in dieser Chronik eine Rolle spielen werden, durch ihre Geburt oder ihren Rang berufen sind, an der Seite der Königin oder in deren Gefolge Platz zu nehmen, wollen wir, mit Erlaubnis des Lesers, dem Zuge folgen, der, um sich in Bewegung zu setzen, nur noch die Ankunft des Herzogs von Touraine, Bruder des Königs, erwartete. Die Einen sagten, die Sorge für seinen Putz halte ihn zurück, Andere, eine der Liebe geweihte Nacht.

Dies wird wenigstens ein bequemes, wenn auch kein neues Mittel fein, mit den Personen und Dingen Bekanntschaft zu machen, und überdies wird es in dem Gemälde, das wir zu entwerfen suchen, einige Details geben, denen es nicht an Eigentümlichkeit und Originalität mangelt.

Wir sagten also, dass an diesem Sonntage viel Volk auf die Straße nach Saint Denis hinaus strömte; es war wunderbar mit anzusehen, wie die Landstraße mit Männern und Frauen so dicht bedeckt war, wie ein Kornfeld mit Halmen; dieser Vergleich wurde noch passender bei jedem Ereignisse, welche die dichte Menschenmenge hin und her wogen ließ wie ein Kornfeld, denn sie war so dicht gedrängt, dass der geringste Stoß sich gleich der ganzen Masse mitteilte.

Um elf Uhr ertönte lautes Geschrei und verkündete der allgemeinen Ungeduld, dass endlich et was Neues sich zeigen sollte. Es war die Königin Johanna und die Herzogin von Orleans, ihre Tochter. Mit Hilfe einiger Diener, welche ihnen voranschritten und das Volk mit Prügeln zurücktrieben, bahnten sie sich einen Weg, und damit die Menschenmasse sich hinter ihnen nicht wieder schlösse, besetzte die berittene Elite der Bürgerschaft von Paris, zwölfhundert an der Zahl, beide Seiten der Straße. Die, welche zu dieser Ehrenwache gewählt worden waren, trugen lange seidene Gewänder, grün und rot, und auf dem Haupte Schweifkappen, deren Spitzen auf die Schultern herabfielen, oder gleich Fahnen flatterten, wenn ein Lufthauch die drückende Atmosphäre erfrischte, die durch den Sand, welchen Pferde und Menschen aufwühlten, noch unerträglicher wurde. Durch diese Bewegung zurück gedrängt, ergoss sich das Volk zu beiden Seiten auf das Feld, und die Straße blieb frei. Das alles geschah weit leichter, als es heut zu Tage der Fall fein würde, denn das Volk glaubte, dass es sich geduldig prügeln lassen müsste. Hier suchte es im vollen Laufe die nächsten höheren Punkte zu erreichen, wo man die Straße übersehen konnte. Im Nu waren Bäume und Häuser mit Menschen bedeckt, und vom untersten Aste bis zum Wipfel, vom Erdgeschosse bis zum Dache, reihte sich Kopf an Kopf. Die, welche eine solche Erkletterung nicht wagten, stellten sich hinter den berittenen Bürgern auf; die Weiber erhoben sich auf die Fuß spitzen, die Kinder kletterten auf die Schultern ihrer Väter; die Einen blickten über die Croupen der Pferde hinweg, die Andern durch deren Beine hindurch. Die Art von Unruhe, welche der Durchzug der Königin Johanna und der Herzogin von Orleans, die sich nach dem Justizpalaste begaben, wo der König ihrer wartete, bewirkte, war kaum beseitigt, als man von der Hauptstraße von Saint Denis her die so lange erwartete Sänfte der Königin kommen sah. Das Volk war sehr neugierig, die junge Prinzess zu sehen, die noch nicht neunzehn Jahr alt war, und auf der die Hälfte der Hoffnungen des Reiches ruhte. Der erste Blick, den die Menge auf sie warf, rechtfertigte vielleicht den Ruf der Schönheit nicht, der ihr vorausgegangen war, denn es war eine sonderbare Schönheit, an die man sich erst gewöhnen musste. Das kam aus dem scharfen Kontrast her, den ihr beinah goldblondes Haar mit den glänzend schwarzen Augenbrauen bildete, Diese charakteristischen Zeichen der Geschlechter des Norden und des Süden kreuzten sich in dieser Frau, und verliehen ihrem Herzen die glühenden Leidenschaften einer jungen Italienerin, ihrer Stirn den stolzen Hochmuth einer deutschen Prinzess2.

Was ihren Körper betraf, so hätte ein Bildhauer dem Modell einer aus dem Bade steigenden Diana keine anmutigen Formen wünschen können. Ihr Gesicht bildete jenes vollkommene Oval, dem Raphael zwei Jahrhunderte später seinen Namen verlieh. Die engen Kleider und dicht anliegende Ärmel, welche man zu jener Zeit trug, ließen ihre schlanke Taille und ihren vollen gerundeten Arm sehen; ihre Hand ließ sie vielleicht mehr aus Koketterie, als aus Nachlässigkeit, auf dem Wagenschlage ruhen, und sie glich einem Basrelief von Alabaster auf goldenem Grunde. Ihr übriger Körper war zwar durch die Felder der Sänfte verborgen, aber nach dem, was man sah, hielt man sich überzeugt, dass er auf Feenbeinen, auf Kinderfüßen ruhen müsste. Das fremdartige Gefühl, von dem man bei ihrem ersten Anblicke ergriffen wurde, verschwand beinahe sogleich, und der glühende Blick ihrer Augen übte jene Zauberkraft aus, welche Milton, und nach ihm alle Dichter, als das charakteristisch und verhängnisvolle Zeichen der Schönheit ihrer gefallenen Engel angeben.

Die Sänfte der Königin wurde durch die sechs ersten Großen von Frankreich begleitet; an ihrer Spitze waren der Herzog von Touraine und der Herzog von Bourbon. Der Name des Ersten leite unsere Leser nicht irre; sie mögen darunter den jüngern Bruder des Königs, den jungen und schönen Prinzen von Valois erkennen, der vier Jahr später den Titel eines Herzogs von Orleans annahm, den er durch seinen Verstand, sein Unglück und seine Liebschaften so berühmt gemacht hat. Seit einem Jahr war er vermählt mit Galeas von Visconti Tochter, die anmutige historische Erscheinung, welche unter dem Namen Valentine von Mailand besungen wurde, und deren Schönheit selbst in ihrer ersten Blüte nicht im Stande war, den königlichen Schmetterling zu fesseln. Wahr ist es, dass er der schönste, reichte und eleganteste Herr des Hofes war. Man fühlte, wenn man ihn sah, dass alles an ihm Freude und Jugend sein müsse, dass er das Leben empfangen hätte, um zu leben, und dass er lebte; dass das Unglück wohl ihm entgegen kommen könnte, aber er nicht dem Unglück; dass dieser sorglose Pagenkopf mit blondem Haar und blauem Auge nicht geschaffen sei, lange Zeit ein großes Geheimnis oder einen traurigen Gedanken zu bewahren, und dass Beide bald über die Lippen gleiten würden, die so unbesonnen und rosig waren, wie die eines Weibes. An diesem Tage trug er mit einer Anmut, die nur ihm eigen war, ein prachtvolles Gewand, das er sich zu dieser Gelegenheit hatte machen lassen. Es war eine Robe von schwarzem Sammet mit dunkelrotem gefüttert; an den Ärmeln zog sich eine Stickerei in Gestalt eines Rosenzweiges herunter; der Stamm war von Gold gestickt, hatte auf beiden Seiten Blätter von Smaragd, und zwischen diesen funkelten auf jedem Arme elf Rosen von Rubinen und Saphiren; die Knopflöcher erinnerten an einen alten Orden, den die Könige von Frankreich gestiftet hatten; sie waren mit Stickerei eingefasst, und hatten, in den Ecken eine Quaste von Perlen. Der eine Schoß, welscher das Knie bedeckte, das von der Sänfte abgewendet war, wurde ganz von einer goldnen Sonne bedeckt, welche der König zu einer Devise erwählt hatte, und die Ludwig XIV. später erneuerte. Der andere Schoß, auf den die Königin mehrmals ihre Blicke richtete, denn er zeigte ganz offenbar ein verborgenes Emblem, das sie zu enträtseln suchte, der andere Schoß also, sag' ich, hatte einen jungen, silbernen Löwen, der gefesselt war und den eine in die Wolken sich verlierende Hand lenkte. Er hatte die Umschrift: Wohin ich will. – Die reiche Kleidung wurde durch ein Barett von rotem Samt vollendet; dieses war mit prächtigen Perlenschnüren umwunden, deren jede einzelne so tief herabhing, dass er während des Gespräches mit der Königin die vom Zügel freie Hand damit spielen ließ.

Den Herzog von Bourbon werden wir mit wenigen Worten erwähnen. Er war einer jener Prinzen, welche ihren Namen in das Buch der Geschichte nur als Sohn oder Vater großer Männer einschreiben.

Hinter ihnen ritten der Herzog Philipp von Burgund und der Herzog von Berry, Brüder Karls V. und Oheime des Königs. Es war eben der Herzog Philipp, welcher die Gefahren des Königs Johann zu Poitiers und dessen Gefangenschaft zu London teilte, und der durch seine Tapferkeit auf dem Schlachtfelde, wie durch einen Muth im Gefängnisse, den Beinamen des Verwegnen erhielt welchen ihm sein Vater gab, und welchen Eduard bestätigte, als er eines Tages bei einer Mahlzeit dem Mundschenken des Königs von England, der ihn eher bediente, als den König von Frankreich, eine Maulschelle gab, indem er dazu rief: »Meister, wer hat Dich denn gelehrt, den Vasallen vor dem Lehnsherren zu bedienen?«

Der Andere war der Herzog von Berry, welcher mit dem Herzoge von Burgund während des Wahnsinns des Königs, die Regentschaft von Frankreich teilte, und der durch seinen Geiz wenigstens ebenso sehr dazu beitrug, das Reich in das Verderben zu stürzen, wie der Herzog von Orleans durch seine Verschwendung.

Auf diese folgten Peter von Navarra und der Graf von Ostrevent. Da sie aber. Beide nur wenig Teil an dem nehmen, was wir erzählen wollen, verweisen wir die Leser auf ihre Biographien. Hinter dem König folgte in ihrer Sänfte auf einem reich geschmückten Pferde die Herzogin von Berry; neben ihr ritten die Grafen von Nevers und von La Marche. Auch hier wieder drängt der berühmtere Namen den unbedeutenden in den Hintergrund.

Dieser Graf von Nevers, Sohn Philipps und Großvater Karls, wird einst Johann von Burgund sein. Sein Vater hieß der Verwegne; sein Enkel wird der Kühne heißen, und die Geschichte hat ihm den Beinamen des Furchtlosen gegeben.

Der Graf von Nevers war am 12. April 1385 mit Margarethe von Hennegau vermählt, und jetzt 22 Jahr alt; ohne eben groß zu sein, war er doch kräftig und schön gebaut. Sein Auge war zwar klein und hellblau, wie das des Wolfes, aber glänzend und drohend; seine Haare, die er lang und glatt gekämmt trug, waren von jenem violetten Schwarz, von dem nur die Federn des Raben einen Begriff geben können; sein Bart war rasiert und ließ offen ein volles, frisches Gesicht sehen, ein Bild der Kraft und Gesundheit. An der Nachlässigkeit, mit der er den Zügel seines Pferdes hielt, erkannte man das Vertrauen des Reiters. Seiner Jugend ungeachtet, und obgleich er noch nicht zum Ritter geschlagen war, hatte er sich doch schon mit der Kriegsrüstung vertraut gemacht, und keine Gelegenheit versäumt, sich Mühseligkeiten zu unterwerfen und an Entbehrungen zu gewöhnen. Strenge gegen Andere und sich selbst, fühllos gegen Hunger und Durst, Kälte und Hitze, hätte man ihn für einen jener Männer aus Stein halten sollen, auf welche die Bedürfnisse des Lebens keine Herrschaft ausüben. Hochmütig gegen die Großen, herablassend gegen die Kleinen, säte er unablässig Hass bei seines Gleichen, Liebe bei den Geringeren für sich aus. Er war allen heftigen Leidenschaften zugänglich, aber er wusste sie in der Brust zu verbergen, und diese Brust unter dem Harnisch, dieser Wall von Erz und Fleisch, verbarg einen Abgrund, in den keines Menschen Auge dringen konnte, und in welchem der Vulkan, scheinbar verlöscht, seine innern Eingeweide verzehrte, bis er den günstigen Zeitpunkt gekommen glaubte; dann brach er finster und zürnend aus, und wehe dann dem, auf den die vernichtende Lava seines Zornes sich ergoss. An diesem Tage, und ohne Zweifel um einen Kontrast gegen Ludwig von Touraine zu bilden, war der Anzug Johanns von Nevers von übertriebener Einfachheit. Er trug ein Gewand, kürzer als gewöhnlich, von violettem Sammet, mit geschlitzten, herabhängenden Ärmeln, ohne Schmuck oder Stickerei; um den Leib wurde es durch einen Gürtel von Stahlplatten zusammen gehalten, und an diesem hing ein Schwert mit Gefäß von angelaufenem Eisen; auf der Brust sah man ein enganliegendes Wams von himmelblauer Farbe, welches um den Hals mit einem goldenen Bande festgehalten wurde; ein Barett war schwarz, und ein einziger Diamant bildete die Agraffe, aber es war der, welcher später unter dem Namen des Sancy unter die Kron-Juwelen Frankreichs kam3.

Wir trachteten besonders darnach, die beiden edlen Herren näher kennen zu lernen, welche wir beständig zur Rechten und Linken des Königs wiederfinden, und die neben dem traurigen, dichterischen Gesichte Karls und dem glühenden, leidenschaftlichen Isabelles, die wichtigsten Personen dieser unglücklichen Regierung waren. Denn für sie teilte sich Frankreich in zwei Parteien, und nahm zwei Herzen an, deren eines bei dem Namen Orleans, das andere bei dem Namen Burgund lebhafter klopfte. Jede Partei teilte den Hass und die Liebe dessen, den sie zu ihrem Oberhaupte gewählt hatte, liebte in ihrer Liebe, hasste in ihrem Hasse, vergaß alles, um sich nur ihrer zu erinnern, alles, ja sogar den König, der ihr Herr, Frankreich, das ihre Mutter war.

Auf einer Seite des Weges ritt auf einem weißen Pferde Madame Valentine, welche wir unsern Lesern schon als die Gemahlin des jungen Herzogs von Touraine vorgestellt haben. Sie verließ ihr schönes Vaterland, die Lombardei, und kam zum ersten Male nach Frankreich, wo ihr alles neu und reich erschien. Zu ihrer Rechten ritt Messire Peter von Craon, der teuerste Günstling des Herzogs von Touraine, in einer Kleidung, welche der seines Herrn glich, und die dieser als Zeichen der Freundschaft ihm hatte machen lassen. Er war ungefähr von gleichem Alter mit dem Herzoge, schön wie dieser, und nahm, gleich ihm, das Wesen der Unbefangenheit und Heiterkeit an. Prüfte man ihn jedoch näher, so konnte man leicht erkennen, dass im Grunde dieses dunkeln Auges der Ausdruck aller Leidenschaften eines heftigen Herzens ruhte; dass er jenen eisernen Willen besaß, der stets ein Ziel erreicht, sei es im Hasse, sei es in der Liebe, und dass wenig dabei zu gewinnen war, ihn zum Freunde zu haben, Alles zu fürchten, wenn man ihn zum Feinde hatte. Links neben der Herzogin und im voller Eisenrüstung, die er eben so leicht trug, wie die andern Herren ihre Samtgewänder, ritt der Sir Olivier von Clisson, Konnetabel von Frankreich, Sein aufgeschlagenes Visier ließ das offene, treue Gesicht des alten Kriegers blicken, und eine Narbe die sich über die Stirn zog, ein blutiges Andenken der Schlacht von Auray, bewies, dass das mit Lilien geschmückte Schwert, welches an seiner Seite hing, nicht der Intrigue oder Gunst, sondern wirklichen treuen Diensten gewährt worden war. Clisson, in der Bretagne geboren, war in England erzogen worden, doch mit achtzehn Jahren kehrte er nach Frankreich zurück, und seit Zeit kämpfte er eifrig und tapfer in den königlichen Heeren.

Wir begnügen uns, nachdem wir die genannten Personen dem Auge der Leser vorübergeführt haben, bloß die Namen derer zu nennen, welche folgten. Es waren die Herzogin von Burgund und die Gräfin von Nevers, geführt durch den Messire Heinrich von Bar und den Grafen von Namur.

Dann die Herzogin von Orleans, auf einem schönen reich geschmückten Zelter, geführt durch Messire Jacob von Bourbon und Messire Philipp von Artois.

Dann die Frau Herzogin von Bar mit ihrer Tochter, begleitet von Messire Karl d'Albret und dem Herrn von Coucy, dessen Name allein eine große Erinnerung erwecken würde, beeilten wir uns nicht, seine Devise mitzuteilen, welche die bescheidenste oder die hochmütigste ihrer Zeit war. Sie lautete:

»Prinz und Herzog bin ich nicht.«

»Aber doch der Herr von Coucy.«

Der andern Herren, Damen und Fräulein, welche teils zu Ross, teils zu Wagen, teils in Sänften folgten, erwähnen wir weiter nicht. Wir führen nur an, dass die Spitze des Zuges, das die Königin, schon die Vorstadt erreichte, als die Pagen und Reitknechte, die das Ende bildeten, Saint Denis noch nicht verlassen hatten. Während des ganzen Weges wurde die junge Königin mit dem Rufe: »Weihnachten« begrüßt, welches damals den Ruf: »Es lebe der König!« ersetzte, denn in jener Zeit des Glaubens hatte das Volk noch kein Wort gefunden, welches seine Freude besser ausdrückte, als jener Ruf, der an die Geburt des Heilandes erinnerte. Beinahe überflüssig ist es, hinzuzufügen, dass die Blicke der Männer sich zwischen Isabelle von Bayern und Valentine von Mailand teilten, so wie die der Frauen zwischen dem Herzoge von Touraine und dem Grafen von Nevers.

An dem Tore von Saint Denis machte die Königin Halt, denn hier hatte man für sie die erste Station bereitet. – Es war eine Art von großem Ruhealtar, wie beim Frohnleichnamsfest. Er war ganz mit weißem Atlas bekleidet und darüber hing ein Himmel voll goldener Sterne. In den Wolken, welche diesen Himmel bildeten, schwebten Kinder, als Engel gekleidet; sie sangen leise und melodisch und bildeten den Chor für ein schönes Mädchen, das die Mutter Gottes vorstellte. Auf dem Schoß hielt sie ein Kind, das Jesuskind vorstellend. Der Gipfel dieses Himmels, der die Wappen von Frankreich und Bayern trug, wurde die Sonne erleuchtet, die wir als die Devise des Königs erwähnten. Die Königin fand viel Vergnügen an diesem Schauspiele und lobte die Anordnung sehr. Als die Engel ihren Gesang beendigt hatten, und man glaubte, dass die Königin alles in Augenschein genommen hätte, öffnete sich das Altarblatt und ließ die ganze große Rue Saint Denis bedeckt, wie ein ungeheures Zelt erblicken; alle Häuser waren mit Camelot oder Seide bekleidet, so dass Froissard sagt, man hätte glauben sollen, das Tuch koste kein Geld, oder man wäre in Alexandrien oder Damaskus.

Die Königin blieb einen Augenblick halten, man hätte glauben können, sie zögere, die Hauptstadt zu betreten, die sie mit solcher Ungeduld erwartete, mit so viel Liebe begrüßte. Sagte ihr vielleicht eine geheime Ahnung, ihr, die so jung, so schön, dass einst ihre Leiche verwünscht und verflucht eben diese Stadt verlassen sollte, auf dem Rücken eines einzigen Schiffers, dem der Schlossvogt von Saint Paul den Auftrag erteilt hatte, das, was von Isabelle von Bayern übrig blieb, den Mönchen von Saint Denis zu überbringen.

Sie setzte sich indessen wieder in Bewegung, aber man sah sie erbleichen, als sie die lange Straße betrat und die ungeheure Masse trennte jene Menschenmauern, die sich nur zusammenschieben durften, um zwischen sich König, Sänfte, Pferde zu zermalmen. Indessen geschah kein Unglück; die Bürger blieben in ihren Reihen, und bald kam man zu einer Fontaine, die mit himmelblauem Tuch, mit goldnen Lilien besäet, bedeckt war. Rings um diesen Springbrunnen standen gemalte und geschnitzte Säulen, an denen man die edelsten Wappenschilder Frankreichs aufgehängt hatte. Statt des Wassers sprudelte die Fontaine, Piment und Hyppocras durch Spezereien und aromatische Kräuter Asiens wohlriechend gemacht; um die Säulen standen junge Mädchen, welche goldne Gefäße und silberne Becher in den Händen hielten und der Königin, den Prinzen und Herrn ihres Gefolges einen Trunk boten. Die Königin nahm einen Becher aus der Hand eines dieser Mädchen, setzte ihn an die Lippen, ihr eine Ehre zu erzeigen, und gab ihn dann gleich zurück. Aber der Herzog von Touraine riss eben den Becher aus der Hand des jungen Mädchens, schien die Stelle zu suchen, an der die Lippen der Königin geruht hatten, presste sie an die seinigen und trank mit einem Zuge den Wein aus, an dem der Mund der Königin nur genippt hatte. Die Farbe, welche einen Augenblick von Isabellens Wangen gewichen war, kehrte schnell darauf zurück, denn über die Handlung des Herzogs konnte man sich nicht täuschen, denn so stets sie auch war, ging fiel doch nicht unbemerkt vorüber und man sprach am Hofe während des Abends viel dar über, doch selbst die entgegengesetztesten Meinungen stimmten dahin überein, dass der Herzog sehr kühn gewesen sei, sich eine solche Freiheit gegen die Gemahlin seines Herrn zu erlauben, die Königin sehr nachsichtig, sie nur durch ihr Erröten zu missbilligen.

Bald darauf lenkte jedoch ein neues Schauspiel die Aufmerksamkeit von diesem Ereignisse ab. Man war bei dem Kloster der Dreieinigkeit angelangt, vor dessen Toren sich ein Gerüst, in Gestalt eines Theaters, erhob, auf dem die Waffentaten des Königs Sallah - Eddim dargestellt werden sollten. Die Christen fanden daher auf einer Seite, die Sarazenen auf der andern, und unter beiden konnte man die Hauptpersonen jenes berühmten Lanzenbrechens erkennen, denn die Schauspieler trugen die Rüstungen des dreizehnten Jahrhunderts und die Wappen und Devisen derer, die sie vorstellten. Im Hintergrunde saß der König Philipp August von Frankreich und um ihn her standen die zwölf Pairs seines Reichs. In dem Augenblicke, als die Sänfte der Königin vor dem Gerüste Halt machte, trat der König Richard Löwenherz aus den Reihen, näherte sich dem König von Frankreich, ließ sich vor ihm auf ein Knie nieder, und bat um die Erlaubnis, die Sarazenen bekämpfen zu dürfen. Philipp August gewährte sie ihm huldreich, und sogleich fand Richard auf, trat zu feinen Gefährten zurück, ordnete sie zum Kampf, und griff sogleich die Ungläubigen an. Es entstand nun ein heftiger Kampf bis zuletzt die Sarazenen besiegt und in die Flucht geschlagen wurden. Ein Teil der Flüchtlinge rettete sich durch die Fenster des Klosters, die mit dem Gerüste in gleicher Linie lagen und die man zu diesem Zweck offen gelassen hatte. Es wurden aber dennoch eine Menge Gefangene gemacht; der König Richard führte sie vor die Königin, welche um ihre Freilassung bat und als Lösegeld eines ihrer goldnen Armbänder dem Sieger überreichte.

»Ha«, sagte der Herzog von Touraine, indem er seine Hand auf die Sänfte stützte, »hätte ich gewusst, dass ein solcher Lohn des Siegers wartete, so hätte kein andrer als ich die Rolle des Königs Richard spielen dürfen.«

Isabelle sah auf das zweite Armband nieder, mit dem ihr andrer Arm noch geschmückt war, schnell aber unterdrückte sie ihre erste Bewegung, welche ihren Gedanken verraten hatte, und sagte:

»Ihr seid verrückt und unsinnig, Herr Herzog; solche Spiele sind gut für Gaukler und Possenreißer, ziemte sich aber nie für den Bruder des Königs.«

Der Herzog von Touraine schien antworten zu wollen, doch die Königin gab das Zeichen zum Aufbruche, wendete den Kopf zu dem Herzoge von Bourbon und sprach mit ihm, ohne ihren Schwager wieder anzusehen, bis sie vor dem zweiten Tore von Saint Denis anlangte, welches das Malertor hieß und unter Franz I. abgetragen wurde. Hier war ein kostbares Schloss erbaut, über dem, wie bei dem ersten Tor, ein gestirnter Himmel hing, an dem in ihrer ganzen Majestät Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist erschienen; um die Dreieinigkeit standen Chorkinder, welche mit zarter Stimme das Gloria und Veni creator sangen. In dem Augenblicke, als die Königin anlangte, öffnete sich die Pforte des Paradieses und zwei Engel mit goldnem Heilgenschein und gemalten Flügeln, der eine rosenroth, der andere blau gekleidet, traten daraus her vor; sie trugen gewaltige Schnabelschuhe, ganz mit Silber gestickt; ließen sich bis zu der Königin her ab, setzten ihr eine schöne goldne Krone mit Edelsteinen geschmückt, auf das Haupt, indem sie dazu sangen:

»Dame, umschlungen von Lilienband,

Ihr seid die Königin von Paris,

Von Frankreich und dem ganzen Land;

Wir gehn zurück ins Paradies.«

Bei diesem letzten Verse kehrten sie in den Himmel zurück, dessen Tür sich hinter ihnen schloss.

Auf der, der Himmelstür entgegengesetzten Tür warteten aber andere Personen auf die Königin, und man machte sie darauf aufmerksam, damit deren Anblick ihr keine Schrecken einflöße, was ohne diese Vorsicht gewiss der Fall gewesen sein würde. Es waren die Deputierten der sechs Handelsabteilungen; sie trugen einen Thronhimmel und kamen, ihr altes Privilegium in Anspruch zu nehmen, welches sie berechtigte, die Könige und Königinnen von Frankreich, sobald sie in Paris ihren Einzug hielten, von dem Tor von Saint Denis bis zu dem Palaste zu geleiten. Ihnen folgten die verschiedenen Repräsentanten der verschiedenen Gewerke, sie trugen Charaktermasken und stellten die sieben Todsünden vor: den Stolz, den Geiz, die Trägheit, die Üppigkeit, den Neid, den Zorn und die Leckerhaftigkeit; als Gegensatz waren dann die sieben christlichen Tugenden da: der Glaube, die Hoffnung, das Mitleid, die Mäßigung, die Gerechtigkeit, die Klugheit, die Kraft. In einiger Entfernung von Ihnen und eine besondere Gruppe bildend, fanden der Tod, das Fegefeuer, die Hölle und das Paradies. Die Königin zeigte bei dem Anblicke dieser sonderbaren Maskerade, obgleich darauf vorbereitet, einen gewissen Widerwillen, sich ihr anzuvertrauen. Der Herzog von Touraine seinerseits war sehr verdrießlich, seinen Platz an der Seite der Sänfte aufgeben zu sollen, aber die Abgeordneten des Volkes nahmen, gestützt auf ihr Vorrecht, die beiden Seiten der Sänfte ein. Der Herzog von Bourbon und die anderen Herren hatten die Sänfte bereits verlassen und ihre Plätze eingenommen. Isabelle wendete sich zu dem Herzoge von Touraine, der hartnäckig halten blieb, und sagte ihm:

»Monseigneur, ist es Euch gefällig, diesen guten, Leuten. Euern Platz abzutreten, oder erwartet Ihr dazu unsern besondern Befehl?«

»Ja, Madame und Königin« erwiderte der Herzog, »ich erwartete den Befehl von Euch und besonders einen Blick, der die Kraft verliehe, zu gehorchen.«

»Mein Herr Schwager«, sagte Isabelle, indem sie sich auf die Seite des Herzogs neigte, »ich weiß nicht, ob wir uns im Laufe dieses Abends noch wiedersehen können, aber vergesst nicht, dass ich morgen nicht nur Königin von Frankreich, sondern auch Dankspenderin des Turnieres bin, und dass dies Armband der Lohn des Siegers sein wird.«

Der Herzog neigte sich bis zum Rande der Sänfte. Die, welche entfernter waren, sahen in diesem Gruße nur ein Zeichen der Ehrfurcht, welche jeder Untertan, wäre er auch ein Prinz von Geblüt, seiner Königin schuldig ist; aber Einige, welche so standen, dass sie den engen Zwischenraum zwischen der Sänfte und dem Pferde erblicken konnten, glaubten zu bemerken, dass die Lippen des Herzogs sich auf die Hand seiner Schwägerin pressten, und das zwar mit einem Feuer und einer Ausdauer, welches die bloße Etikette des Handkusses nicht gestattete.

Wie dem aber auch sei, erhob sich der Herzog, die Stirn funkelnd vor Freude und Glück; Isabelle ließ die langen Barben ihres Kopfputzes wie einen Schleier über ihr Gesicht fallen, ein letzter Blick wurde durch diesen gefälligen Vorhang zwischen ihnen gewechselt, und der Herzog sprengte dann zu seiner Gemahlin zurück, um den Platz einzunehmen, den bis jetzt der Konnetabel von Clisson inne gehabt hatte. Während dessen erhoben die sechs Deputierten der Kaufleute den Thronhimmel über die Sänfte der Königin; die sieben christlichen Tugenden und die sieben Todsünden traten dahinter, und hinter ihnen wieder gingen mit der Ernsthaftigkeit, die ihrer Rolle zukam, der Tod, das Fegefeuer, die Hölle und das Paradies. Der Zug setzte sich wie der in Bewegung, aber ein komischer Umstand störte bald die Anordnung.

An der Ecke der Rue de Lombards und der Rue Saint Denis machten zwei Menschen auf einem Pferde gewaltiges Aufsehen. Die Menge war so dicht gedrängt, dass man nicht begreifen konnte, wie sie hierhergekommen waren. Freilich muss man bemerken, dass sie sich nicht sehr um die Drohungen der armen Teufel kümmerten, die sie auf ihrem Wege über den Haufen ritten. Ihre Kühnheit ging so weit, den öffentlichen Diener zu trotzen und mit stoischer Gleichgültigkeit die Prügel hinzunehmen, die sie ihnen erteilten, um fiel zurück zu treiben. Drohungen und Schläge waren verloren. Sie drangen immer weiter vor und gaben rechts und links die Püffe, die sie empfingen, mit Wucher zurück. Vor sich trieben sie die Menschen durch ihre Pferde auseinander, wie der Kiel eines Schiffes die Wogen des Meeres teilt, und schlossen sich hinter ihnen auch ebenso wieder. Auf diese Weise war sie noch zu rechter Zeit gekommen, den Zug zu sehen, und man hoffte, dass sie ihn ruhig vorüber ziehen lassen würden, aber in dem Augenblicke, als die Königin Isabelle ihnen gegenüber war, schien der, welcher die Zügel des Pferdes hielt, von seinen Kameraden einen Befehl zu empfangen. Schnell gehorchend gab dieser mit dem langen Stocke, den er in der Hand hielt, dem Kopfe und der Croupe der beiden Pferde der Bürgergarde, die an dem Durchgange hielten, einen tüchtigen Schlag. Das eine sprang vorwärts, das andere zurück, und so öffnete sich eine Art von Bresche, welche die Doppelreiter benutzten, mitten in den Zug zu sprengen. Sie kamen zwei Schritt vor dem Pferde der Herzogin von Touraine vorüber, welches dadurch scheu wurde und gewiss Madame Valentine umgeworfen haben würde, hätte nicht der Sir von Craon den Zügel des Pferdes ergriffen, als es eben überschlagen wollte. Die beiden Reiter ritten gerade auf die Königin zu, warfen das Paradies auf die Hölle, den Tod auf das Fegefeuer, die christlichen Tugenden auf die Todsünden. So gelangten sie bis zu der Sänfte unter dem lauten Geschrei des Volkes, welches sie für Bösewichter oder für Wahnsinnige hielt, und verfolgt von den Herzogen von Touraine und von Bourbon, welche irgendeine verräterische Absicht fürchteten, und das Schwert gezogen hatten sie zu verteidigen.

Die Königin ihrerseits hatte viel Furcht über den ganzen Lärm. Sie wusste die Ursache davon noch nicht, als sie die beiden Schuldigen zwischen dem Abgeordneten des Kaufmannstandes und der Sänfte erblickte. Ihre erste Bewegung war, sich rückwärts zu werfen, aber der auf der Croupe des Pferdes sitzende Reiter flüsterte ihr heimlich einige Worte, lüftete seine Kuppe, zog eine schwere goldene Kette mit Diamanten und Lilien vor und hing sie der Königin um den Hals, welche sich anmutig vorbeugte, das Geschenk zu empfangen, dann gab er seinem Pferde die Sporen und sprengte wie ein Blitz davon. Fast in demselben Augenblicke langten die Herzöge von Touraine und Burgund an; sie hatten von dem Vorgefallenen nichts gesehen, als dass diese Männer die Königin in ihrer Gewalt hielten und schwangen ihre Schwerter unter dem Geschrei: »Tod, Tod den Verrätern!«

Das Volk stand überall so dicht gedrängt, dass sich kaum bezweifeln ließ, sie würden die unbekannten Reiter einholen, zumal diese eben so viel Mühe hatten die Rue Saint Denis zu verlassen, wie zu vor, in sie einzudringen. Jedermann erwartete daher eine Katastrophe, als die Königin sich in ihrer Sänfte erhob, die Arme gegen ihren Vetter und ihren Schwager ausstreckte und ängstlich ausrief: »Messeigneurs! Was wollt Ihr beginnen? Es ist der König!«

Die beiden Herzöge hielten sogleich an, zitterten jetzt selbst, dass ihrem Herrscher etwas widerfahren möchte; sie stellten sich im Bügel hoch in die Höhe, streckten ihre Schwerter mit gebieterischer Bewegung gegen das Volk aus und schrien mit lauter Stimme: »Es ist der König, Ihr Herren!«– Dann schwangen sie ihre Barett's und riefen: »Ehre und Achtung dem König!«

Der König, denn es war in der Tat Karl VI. selbst, der hinter dem Messire Karl von Sabois auf der Croupe saß, antwortete auf diese Worte, indem er seine Kapuze erhob und an seinem langen kastanienbraunen Haar, an seinen blauen Augen, seinem etwas großen aber mit prächtigen Zähnen gezierten Munde, an der Anmut seines Benehmens, und besonders an dem Wohlwollen, das aus seinem Gesichte sprach, erkannte das Volk den König, für den es, ungeachtet des Unglückes, von dem es während seiner Regierung bedrückt wurde, den Namen des Vielgeliebten bewahrte, den es ihm an dem Tage seiner Thronbesteigung im Voraus gab. Das Geschrei: »Weihnachten!« ertönte jetzt von allen Seiten; die Stallmeister und Pagen schwangen die Banner ihrer Gebieter, die Damen ihre Schärpen und Tücher. Die Riesenschlange, die sich die ganze Länge der Rue Saint Denis hinzog, schien ihre Lebendigkeit zu verdoppeln und tätiger ihre bunten Ringel von dem Schweife nach dem Kopfe zuzuschieben, denn Jeder machte den Versuch, den König zu sehen, aber die offene Bahn benutzend, die Ehrfurcht vor ihm bildete, als sein Inkognito verraten war, war Karl VI. schon verschwunden. Es verlief wohl eine halbe Stunde, die dies Ereignis gestört hatte, ehe die Ruhe wieder hergestellt war. Die Menge wurde noch durch eine Aufregung gestört, welche verhinderte, dass Jeder feinen Platz wie der einnahm. Messire Peter von Craon benutzte dies, um boshaft gegen Madame Valentine zu bemerken, dass ihr Gemahl, der vielleicht allein den Aufenthalt verringern könnte, wenn er an ihre Seite zu rückkehrte, ihn im Gegenteil verlängere, indem er mit der Königin plaudere und so die Sänfte, die das Signal zum Wiederaufbruche geben sollte, ab hielt, sich in Marsch zu setzen. Madame Valentine versuchte bei diesen Worten gleichgültig zu lächeln, aber ein halb unterdrückter Seufzer rang sich dabei aus ihrer Brust und strafte ihre Zunge Lügen; denn, sagte sie mit einer Stimme, deren Zittern sie vergeblich zu verbergen suchte: »Messire Peter, wes halb macht Ihr diese Bemerkung nicht gegen den Herzog selbst, da Ihr doch dessen Vertrauter seid?«

»Ich werde mich hüten, es ohne Euern besondern Befehl zu tun, Madame; seine Rückkehr beraubt mich des Vorrechtes, das feine Abwesenheit mir gibt: allein über Sie zu wachen.«

»Mein einziger und wahrer Hüter ist der Herr Herzog von Touraine, und da Ihr nur meinen Befehl abwartetet, so eilt, ihm zu sagen, ich wünschte, dass er zurückkehre.«

Peter von Craon verneigte sich und überbrachte dem Herzoge die Worte der Madame Valentine. In dem Augenblicke, als sie Beide zu ihr zurückkehrten, ertönte unter der Menge ein gellender Schrei; ein junges Mädchen war in Ohnmacht gefallen. Dies Ereignis war etwas zu gewöhnliches bei solchen Fällen, als dass die hohen Personen, mit denen wir uns beschäftigen, darauf nur im Geringsten hätten achten sollen. Sie kehrten daher, ohne auch nur die Augen nach jener Gegend zu wenden, wo das Ereignis stattgefunden hatte, auf ihren Platz, neben der Herzogin von Touraine zurück. Als hätte der Zug nur hierauf gewartet, setzte er sich sogleich in Bewegung, aber bald fand er einen neuen Grund, Halt zu machen.

Vor dem Tor des Châtelet von Paris war ein Gerüst erbaut; es stellte ein hölzernes Schloss dar, war aber so bemalt, als wäre es aus Stein, und an dessen Flügeln fanden zwei Wachthäuschen mit vollkommen gerüsteten Schildwachen. Der große Saal des untern Geschosses fand den Blicken der Zuschauer offen, als wäre die Mauer nach der Straße eingerissen worden. In diesem Saale stand ein Bett, das so reich und prachtvoll geschmückt war, wie das des Königs in seinem Hôtel Saint Paul; in diesem Bett, welches das Lager der Gerechtigkeit darstellte, befand sich ein junges Mädchen, als die heilige Anna.

Um dies Schloss hatte man so viel schöne grüne Bäume gepflanzt, dass sie einen schattigen Wald bildeten, in welchem eine Menge Hafen und Kaninchen umherliefen, während zahlreiche Vögel aller Farben von Zweig zu Zweig hüpften. Die Menge wunderte sich hierüber sehr, denn sie fragte sich, wie man sonst so wilde Tiere in diesem Grade hätte zähmen können. Das Staunen stieg aber noch bedeutend, als man aus diesem Walde einen schönen weißen Hirsch hervortreten sah, der so groß war, wie die, welche im Garten des Königs sich befanden, und so künstlich gearbeitet, dass man ihn für lebend halten musste, denn ein Mensch, der darin verborgen war, bewegte seine Augen, öffnete seinen Mund und ließ seine Beine gehen. Sein Geweih war vergoldet, auf dem Halse trug er eine Krone, welche der königlichen ähnlich war, und auf der Brust hing ihm ein azurblaues Schild mit drei goldenen Lilien, das Wappen des Königs und Frankreichs. Schön und stolz trat so das edle Tier gegen das Lager der Gerechtigkeit vor, nahm mit dem rechten Vorderlaufe das Schwert, das Symbol derselben, hob es in die Luft und ließ es erzittern. In diesem Augenblicke traten aus dem entgegengesetzten Teile des Waldes ein Löwe und ein Adler hervor, die Symbole der Kraft, und diese wollten ihm mit Gewalt das heilige Schwert entreißen; aber zwölf junge, weißgekleidete Mädchen, in der einen Hand einen goldenen Rosenkranz, in der andern ein blankes Schwert tragend, traten jetzt aus dem Wald und umgaben, als Symbole der Religion, den Hirsch, wie zu dessen Verteidigung. Nach einigen vergeblichen Versuchen kehrten der Adler und Löwe besiegt in den Wald zurück. Der lebende Wald, welcher die Gerechtigkeit verteidigte, öffnete sich jetzt, und der Hirsch neigte anmutig die Knie vor der Sänfte der Königin, und diese liebkoste ihn, wie sie bei den Hirschen zu tun pflegte, die der König in dem Garten seines Hôtels hatte. Diese Anordnung fanden sowohl die Königin als die Herren ihres Gefolges sehr sinnreich.

Indessen war die Nacht angebrochen, denn seit Saint Denis hatte man nur im langsamen Schritt vorwärts kommen können, und die verschiedenen Schauspiele während des Weges hatten den Marsch sehr verzögert; endlich nahte man sich, doch der Kirche von Notre Dame, wohin die Königin sich begeben sollte. Nur der Pont- au- Change blieb noch zu überschreiten, und man glaubte nicht, dass bis dahin irgendetwas Neues erdacht werden könnte, als man plötzlich ein wunderbares Schauspiel er blickte. Ein Mensch, wie ein Engel gekleidet, er schien an dem Dach der Türme von Notre Dame; er trug in jeder Hand eine prächtige Fackel, und ging auf einem so feinen Seile, dass man es kaum erkennen konnte. Er stieg über die Dächer der Häuser herab, und schien wie durch Wunder durch die Luft zu gleiten, bis er sich auf einem der Häuser, welche die Brücke bekränzten, niedersetzte. Als die Königin ihm gegenüber war, verbot sie ihm, aus Furcht vor irgendeinem Unglücksfalle, auf dem Wege zurück zu kehren, auf welchem er gekommen war er aber wusste wohl, aus welchem Grunde dieser Befehl entsprang, achtete nicht darauf, und ging rückwärts das Seil hinan, um der Königin nicht den Rücken zuzuwenden. So erreichte er die Höhe des Turmes der Kathedrale und verschwand durch eben die Öffnung, durch welche er herausgekommen war. Die Königin fragte, wer dieser leichte, gewandte Mensch wäre, und man sagte ihr, dass es ein Genueser von Geburt und Meister in dieser Art von Spielen sei. Während dieser letzten Darstellung hatten sich die Vogelhändler in großer Menge auf der Straße der Königin versammelt; sie hatten in Käfigen eine Menge Sperlinge und ließen diese fliegen, als die Königin vorüber kam. Dies war ein alter Gebrauch, der auf die Hoffnung anspielte, welche das Volk bei jeder neuen Regierung hat: dass sie nämlich neue Freiheiten mit sich bringen werde. – Der Gebrauch ist verschwunden, die Hoffnung geblieben.

In der Kirche von Notre Dame fand die Königin auf den Stufen des Altars den Bischof von Paris, bekleidet mit Mitra und Stola, dem Helm und Harnisch unters Heilandes; rings um ihn her stand die hohe Geistlichkeit und die Deputierten der Universität, welche ihr Titel als älteste Tochter des Königs berechtigte, der Krönung beizuwohnen. Die Königin stieg aus der Sänfte, und ebenso auch die Damen ihres Gefolges; die Ritter sprangen von den Pferden, übergaben diese ihren Pagen oder Stallmeistern, und begleitet von den Herzögen von Touraine, von Berry, von Burgund, und von Bourbon, trat sie in die Kirche ein, während der Bischof und die Geistlichkeit laut das Lob Gottes und der Heiligen Jungfrau sangen.

Dem großen Altare gegenüber angelangt, kniete Madame Isabelle ehrfurchtsvoll nieder, und nachdem sie ihr Gebet gesprochen, schenkte sie der Kirche von Notre Dame die goldene Krone, welche die Engel am zweiten Tor von Saint Denis ihr aufs Haupt gesetzt hatten. Messire Johann de la Rivière und Messire Johann le Mercier überreichten ihr dafür eine noch schönere, prachtvollere, der ähnlich, welche der König trug, wenn er auf einem Thron Sitzung hielt. Der Bischof fasste sie bei der Lilie, in die ihre Spitze auslief, die vier Bischöfe hielten sie mit der Hand, und setzten sie leise auf die Stirn der Madame Isabelle. In diesem Augenblicke ertönten lauten, allgemeinen Freudengeschrei, denn jetzt erst war Madame Isabelle wirkliche Königin von Frankreich.

Die Königin und die Herren verließen hierauf die Kirche und bestiegen ihre Sänften, Zelter und Rosse wieder. An beiden Seiten des Zuges trugen sechshundert Diener brennende Fackeln, so dass es in den Straßen hell war, als fände die Sonne am Himmel.

Die Königin wurde zu dem Palaste von Paris geführt, wo sie der König erwartete, an seiner Rechten die Königin Johanna, an seiner Linken die Herzogin von Orleans. Vor ihm angelangt, verließ die Königin ihre Sänfte und kniete vor ihm nieder, wie sie in der Kirche getan; dadurch wollte sie andeuten, dass sie Gott als ihren Herrn im Himmel, wie den König als ihren Gebieter auf Erden anerkenne, Der König hob sie auf und umarmte sie. Das Volk schrie: »Weihnacht!« denn es glaubt, indem es seine Herrscher so einig, so jung, so schön erblickte, dass die beiden Schutzengel Frankreichs die Rechte und die Linke Gottes verlassen hätten.

Die Herren beurlaubten sich hierauf von dem König und der Königin, um sich in ihre Hôtels zurück zu ziehen; nur die blieben bei ihnen, welche zu ihrem Hofstaate gehörten. Das Volk harrte noch vor dem Palaste aus und schrie so lange Weihnacht, bis der letzte Page hinter dem letzten Ritter eingezogen war. Dann schloss sich das Tor, die Fackeln zerstreuten sich oder verlöschten allmählich, Und die Menge verlief sich durch die tausend Straßen, welche sich, wie die Adern des Körpers, durch alle Richtungen der Hauptstadt hinziehen. Bald war der Lärmen nur noch ein Gemurmel, doch auch dies verstummte endlich ganz. Eine Stunde später war alles Schweigen und Finsternis.

Wir verbreiteten uns etwas ausführlich über den Einzug der Königin Isabelle in Paris, über die Personen, welche sie begleiteten und über die Feste, welche bei dieser Gelegenheit gegeben wurden; das aber nicht blos, um dem Leser einen Begriff von den Sitten und Gebräuchen jener Zeit zu geben, sondern auch, um zu zeigen, wie, gleich dem ersten schwachen Quell der Flüsse, schwach und schüchtern jene verderbliche Liebe, jener tödliche Hass entstanden, die sich von dort herschreiben. Jetzt werden wir sie erblicken, wie sie bei jedem Winde sich regen, unter Stürmen und Widerwärtigkeiten anwachsen, und wie sie Frankreich so tiefe Wunden schlugen, wie ihr Übermaß jene unglückselige Regierung bezeichnete.

 

II.

Es gibt wohl keinen Romanschreiber oder Historiker, der nicht seine Betrachtungen über große Wirkungen aus geringen Ursachen angestellt hätte, und in der Tat ist es auch unmöglich, die Falten des Herzens oder die Tiefen der Geschichte zu erforschen, ohne darüber zu erschrecken, wenn man sieht, wie leicht ein unbedeutender Umstand, der unbemerkt vorüberging, als er sich zutrug, nach einer gewissen Zeit eine Katastrophe für ein Menschenleben oder für ein ganzes Reich sogar werden kann. Es ist daher auch für den Dichter, wie für den Philosophen vom höchsten Interesse, nach der vollendeten Katastrophe in deren Tiefe hinabzusteigen, wie in den Krater eines ausgebrannten Vulkanes, und sie dann in allen ihren Windungen und Verzweigungen bis zur Quelle zu verfolgen. Wahr ist es, dass die, welche durch ihren Geist zu dergleichen Forschungen getrieben werden, und sich ihnen mit Ausdauer und Leidenschaft hingeben, dabei Gefahr laufen, allmählich ihre älteren Begriffe gegen neuere umzutauschen, und je nachdem sie von der Flamme der Wissenschaft oder dem Sterne des Glaubens sich leiten lassen, werden sie aus gottesfürchtigen Leuten Atheisten, oder aus Irreligösen Gläubige; denn in der Verkettung der Umstände glaubt der Eine die phantastische Laune des Zufalls, der Andere die leitende Hand Gottes zu sehen. Der Eine sagt mit Hugo Foscolo: »Verhängnis«, der Andere mit Sylvio Pellico: »Vorsehung.« Dadurch sprechen sie die beiden Worte aus, welche man auch durch: »Verzweiflung« und »Ergebung« bezeichnen könnte.

Wahrscheinlich durch die Verachtung dieser kleinen Umstände und sorgsamen Nachforschungen haben unsere neuern Historiker uns das Studium unserer Geschichte so trocken und ermüdend gemacht. In der Organisation der menschlichen Maschine sind nicht die Lebensorgane das Interessanteste, sondern die Muskeln, welche durch sie die Kraft erhalten und durch die zahllose Verzweigung der Adern ihnen das Blut zuführen.

Dem oben ausgesprochenen Tadel wollten wir uns entziehen und laden dadurch vielleicht den entgegengesetzten auf uns; aber es ist unsere Überzeugung, dass keine Stufe der Jakobsleiter übersprungen werden darf, dass jedes Ereignis mit einem früheren zusammenhängt, und so viel es in unserer Gewalt steht, werden wir daher nie den Faden zerreißen lassen, der die kleinen Ereignisse mit den großen Katastrophen verknüpft, und unsere Leser dürfen ihm daher nur folgen, um sich durch die Irrgewinde des Labyrinthes zu finden.

Diese Erklärung schien uns nötig beim Anfange eines Kapitels, das man sonst vielleicht als fremd für das betrachten möchte, was wir beschrieben, und ohne Zusammenhang mit dem, was kommen wird. Freilich würde man den Irrtum bald bemerkt haben, aber die Erfahrung macht uns zittern, dass man uns nach einzelnen Teilen beurteilt, ehe man uns ganz hat kennen lernen. Nach dieser Erklärung nun kehren wir zu unserm Gegenstande zurück.

Fürchtet der Leser nicht, sich mit uns in die öden, finstern Straßen von Paris zu wagen, so führen wir ihn an die Ecke der Rue Coquillière und der Rue du Séjour. Kaum dort angelangt, sehen wir durch eine Seitentür des Hôtel de Touraine, welches später das Hôtel Orleans wurde, einen Mann heraustreten, der in einen weiten Mantel gehüllt war, dessen Kappe ihm über das Gesicht fiel, und deren man sich in jener Zeit bediente, wenn man unbekannt bleiben wollte. Nachdem dieser Mensch stehen geblieben war, um die zehn Glockenschläge zu zählen, welche eben von der großen Uhr des Louvre herüber tönten, erinnerte er sich ohne Zweifel, dass diese Stunde gefährlich sei, denn um nicht unvorbereitet zu fein, zog er das Schwert aus der Scheide, stützte die Spitze auf den Boden und bog die Klinge hin und her, als wolle er sich ihrer Tüchtigkeit versichern. Ohne Zweifel zufrieden mit dieser Prüfung, trat er seinen Weg an, in dem er mit dem Schwerte Funken aus den Steinen schlug und halb laut ein Lied vor sich hin summte.

Wir wollen ihm durch die Rue des Etuves folgen, können es aber nur langsam thun, denn an dem Heiligenbilde der Ecke blieb er stehen, ein Gebet zu sprechen; nach dessen Beendigung fuhr er in seinem Gesange fort, wo er stehen geblieben war, verfolgte die Rue Saint Honoré und sang immer leiser, je mehr er sich der rue la Ferronnerie näherte; in dieser angelangt, verstummte er ganz und ging leise an der Mauer des Kirchhofs der Saints Innocens hin; als er ungefähr Dreiviertel derselben zurückgelegt hatte, wendete er sich plötzlich, ging quer über die Straße, blieb vor einer niedrigen Tür stehen und that drei leise Schläge daran. Er schien erwartet worden zu sein, denn man antwortete ihm so gleich:

»Seid Ihr es, Meister Ludwig?«

Auf seine bejahende Antwort öffnete sich behutsam die Tür und schloss sich sogleich hinter ihm.

In dem Hause blieb die Person, die wir hier Meister Ludwig nennen hören, stehen, steckte das Schwert wieder in die Scheide, warf seinen Mantel über der Führerin Arm und erschien in einem einfachen, aber eleganten Kleide. Sein Anzug war der eines Stallmeisters aus gutem Hause, es bestand aus einem Barett von schwarzem Samt und einem Wams von demselben Stoff und gleicher Farbe; die Ärmel waren vom Handgelenke bis zur Schulter aufgeschlitzt und ließen enganliegende grüne Unterärmel sehen; ein enganliegendes Beinkleid von violettem Zeuge vollendete den Anzug. Auf dem einen Schenkel trug er ein Wappen mit drei goldenen Lilien und darüber eine herzogliche Krone.

Als Meister Ludwig sich von dem Mantel befreit sah, widmete er, obgleich er weder Licht noch Spiegel hatte, einige Augenblicke seiner Toilette, und erst, nachdem er sein Collet glatt gezogen und sich die Haare aus der Stirn gestrichen hatte, dass sie glatt und anmutig auf die Schultern herabfielen, sagte er in leichtem Tone:

»Guten Abend, Amme Jehanna; Ihr seid eine gute Wächterin, ich danke. Was macht Eure junge Gebieterin?«

»Sie wartet Eurer!«

»Es ist gut, hier bin ich. In ihrem Kämmerlein, nicht wahr?«

»Ja, Meister.«

»Ihr Vater?«

»Schläft.«

»Gut!«

Die Spitze seines Schnabelschuhes traf in diesem Augenblicke die erste Stufe der Wendeltreppe, welche in die oberen Stockwerke des Hauses führte, und obgleich es ganz dunkel war, stieg er die Treppe mit einer Leichtigkeit hinauf, welche zeigte, dass er hier bekannt sei. Im zweiten Stockwerk angelangt, sah er durch eine angelehnte Tür einen Lichtstrahl fallen; so gleich näherte er sich, drückte sie vollends auf und befand sich in einem Gemache, dessen Geräte den Mittelstand verrieten.

Der unbekannte war auf den Zehen und unbemerkt eingetreten, und konnte so einen Augenblick das anmutige Gemälde betrachten, das sich ihm darbot.

Neben einem Säulenbett mit Gardinen von grünem Seidenzeuge kniete ein junges Mädchen vor einem Betpulte; sie trug ein langes weites Gewand, dessen bis zur Erde herabhängende Ärmel schön gerundete Arme und zarte weiße Hände erblicken ließen, auf denen in diesem Augenblicke ihr Haupt ruhte; ihre langen, blonden Haare fielen in gefälligen Ringeln über die Schultern bis zu dem Boden. In ihrer ganzen Erscheinung lag etwas so Einfaches, so Himmlisches, so Ätherisches, dass man sie für ein Wesen aus einer andern Welt hätte halten können, wenn nicht unterdrücktes Schluchzen die Erdentochter verraten hätte, das Weib, das geboren und erschaffen ist, um zu leiden.

Als der Unbekannte diese Tränen hörte, machte er eine Bewegung, und das junge Mädchen sah sich um. Regungslos blieb er stehen, als er sie so traurig und blass erblickte.

Sie stand auf und näherte sich langsam dem schönen jungen Manne, den sie schweigend und verwundert kommen sah. Einige Schritte vor ihm blieb sie stehen und beugte ein Knie vor ihm.

»Was macht Ihr, Odette zu fügte er; »was bedeutet diese Stellung zu »Es ist die«, erwiderte sie traurig, »welche einem armen Kinde, wie ich bin, einem großen Prinzen, wie Sie, gegenüber, gebührt.«

»Träumt Ihr, Odette?«

»Wollte der Himmel, dass ich träumte, gnädiger Herr, und dass ich beim Erwachen wieder wäre, wie damals, ehe ich Euch sah, ohne Tränen im Auge, ohne Liebe im Herzen.«

»Meiner Treu, Ihr seid nicht gescheit, oder es hat Euch jemand eine Lüge angeheftet, kommt!« Bei diesen Worten umschlang er das junge Mädchen mit seinen Armen und zog es empor; sie aber beugte den Oberkörper zurück und wehrte ihn mit beiden Händen von sich ab, ohne sich jedoch von ihm frei machen zu können.

»Ich bin nicht verrückt, gnädiger Herr!« fuhr sie fort, »und Niemand hat mir eine Lüge gesagt. Ich sah Euch.«

»Und wo?«

Bei dem Zuge, als Ihr mit der Frau Königin spracht, und ich habe Euch wiedererkannt, obgleich Ihr sehr prachtvoll gekleidet war, Monseigneur.«

»Ei, Ihr täuscht Euch, Odette, irgend eine Ähnlichkeit führt Euch irre.«

»Ja, ich habe es auch glauben wollen und hätte es vielleicht auch geglaubt, aber ein anderer Herr kam und sprach mit Euch, und ich erkannte in ihm den, der vorgestern mit Euch hier war, den Ihr Euern Freund nanntet, und von dem Ihr mir sagte, er stände mit Euch im Dienste des Herzogs von Touraine.«

»Peter von Craon?«

»Ja, ich glaube, das ist der Name, den man mir nannte. Nach einer Pause fuhr sie dann traurig fort:

»Ihr habt mich nicht gesehen, Monseigneur, denn Ihr hattet nur Augen für die Königin, Ihr hörtet den Schrei nicht, den ich ausstieß, als ich ohnmächtig wurde und zu sterben glaubte, denn Ihr hörtet nur die Stimme der Königin, und das ist ganz natürlich, denn sie ist so schön! – Ach mein Gott, mein Gott!«

Bei diesen Worten brach das arme Kind abermals in einen Strom von Tränen aus.