Ist mein Kind traumatisiert? - Melissa Goldberg Mintz - E-Book

Ist mein Kind traumatisiert? E-Book

Melissa Goldberg Mintz

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Beschreibung

Wenn ein Kind nach einem belastenden Erlebnis ein verändertes Verhalten zeigt, fragen Eltern sich, ob das noch im Bereich des Normalen liegt oder ob es Zeichen einer Posttraumatischen Belastungsstörung sein könnte. Was braucht das Kind jetzt, um sich wieder sicher zu fühlen? Die erfahrene Psychotherapeutin Melissa Goldberg Mintz erläutert, wie Kinder, je nach Lebensalter, auf belastende Erfahrungen reagieren und wie individuell unterschiedlich solche Reaktionen sein können. Sie gibt Eltern hilfreiche Tools an die Hand und beschreibt, wie sie ihrem Kind in Triggersituationen beistehen können. Ihr Fazit: Auch wenn das, was Eltern selbst tun können, irgendwann an Grenzen stößt und professionelle Hilfe nötig wird, ist nichts so wichtig im Genesungsprozess wie liebevolle elterliche Unterstützung.

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Seitenzahl: 292

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Melissa Goldberg MintzIst mein Kind traumatisiert?Was Eltern wissen sollten und was sie zur Heilung beitragen können

Über dieses Buch

Traumawissen für Eltern und andere Bezugspersonen 

 Wenn ein Kind nach einem belastenden Erlebnis ein verändertes Verhalten zeigt, fragen Eltern sich, ob das noch im Bereich des Normalen liegt oder ob es Zeichen einer Posttraumatischen Belastungsstörung sein könnte. Was braucht das Kind jetzt, um sich wieder sicher zu fühlen? 

Die erfahrene Psychotherapeutin Melissa Goldberg Mintz erläutert, wie Kinder, je nach Lebensalter, auf belastende Erfahrungen reagieren und wie individuell unterschiedlich solche Reaktionen sein können. Sie gibt Eltern und anderen wichtigen Bezugspersonen hilfreiche Tools an die Hand und beschreibt, wie sie dem Kind in Triggersituationen beistehen können. Ihr Fazit: Auch wenn das, was Eltern selbst tun können, irgendwann an Grenzen stößt und professionelle Hilfe nötig wird, ist nichts so wichtig im Genesungsprozess wie liebevolle elterliche Unterstützung.

Dr. Melissa Goldberg Mintz ist klinische Psychologin. Sie ist in eigener Praxis tätig und lehrt am Baylor College of Medicine.

Copyright © der deutschen Ausgabe: Junfermann Verlag, Paderborn 2024

Originalausgabe: Has Your Child Been Traumatized? How to Know and What to Do to Promote Healing and Recovery

Copyright: © 2023 The Guilford Press

A Division of Guilford Publications, Inc. 370 Seventh Avenue, Suite 1200, New York, NY 10001 www.guilford.com

Coverfoto: © Markus Spiske / www.temporausch.com (AdobeStock)

Covergestaltung / Reihenentwurf: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn

Satz, Layout & Digitalisierung: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn

Alle Rechte vorbehalten.

Wir behalten uns eine Benutzung des Werkes für Text und Data Mining i.S.v. § 44b UrhG vor.

Erscheinungsjahr dieser E-Book-Ausgabe: 2024

ISBN der Printausgabe: 978-3-7495-0563-0

ISBN dieses E-Books: 978-3-7495-0564-7 (EPUB), 978-3-7495-0565-4 (PDF).

Vorbemerkung der Autorin

Damit sich möglichst viele in diesem Buch wiederfinden, bezeichne ich Einzelpersonen gemäß den zeitgemäßen sprachlichen Gepflogenheiten abwechselnd mit weiblichen, männlichen oder Pluralpronomen (auf Deutsch durch die Endung :innen, d. Ü.), in der aufrichtigen Hoffnung, dass sich niemand ausgeschlossen fühlt.*

Der Begriff „Eltern“ bezeichnet hier sowohl die leiblichen Eltern des betroffenen Kindes als auch die Sorge- und Erziehungsberechtigten, bei denen es wohnt, zum Beispiel Pflege- oder Großeltern und natürlich auch einzelne Elternteile und Alleinerziehende.

Die als Fallbeispiele dienenden Familien setzen sich aus einzelnen Facetten echter Menschen zusammen, deren persönliche und demografische Daten zum Schutz ihrer Identität geändert wurden.

*  Entsprechend gilt: Überall, wo „Ihr Kind“ steht, sind nicht nur leibliche Kinder gemeint.

Vorwort

Falls der Titel dieses Buches Ihr Interesse geweckt hat, ist das ein Zeichen, dass Sie hier richtig sind. Nehmen Sie sich als Erstes einen Moment Zeit für ein bisschen Selbstwertschätzung: Wenn Ihr Kind traumatisiert ist, teilen Sie gewissermaßen sein Leid ‒ das Gefühl, der Situation nicht gewachsen, überlastet, vielleicht auch vollkommen durch den Wind zu sein. Motiviert von dem Wunsch, sich zu kümmern, schauen Sie sich das Buch näher an. Sie suchen nach Orientierung, Sie wollen Ihr Kind verstehen und ihm helfen. Gleichzeitig brauchen Sie auch selbst das Gefühl, verstanden zu werden, und genau damit holt Sie dieses Buch ab. Sie werden von Erfahrungen anderer Eltern lesen, in denen Sie sich wiederfinden können, zum Beispiel, dass es zwar natürlich, aber auch hinderlich ist, schmerzhafte Gefühle zu verdrängen. Besser ist es, sich mit ihnen auseinanderzusetzen, und indem Sie in diesem Buch nach Antworten suchen, tun Sie genau das. Welch ein Glück für Ihr Kind, dass Sie so gut für es sorgen!

Bei Dr. Melissa Goldberg Mintz sind Sie auf alle Fälle an der richtigen Adresse. Als ich sie kennenlernte, leitete ich seit mehr als 20 Jahren in Krankenhäusern Patientenedukationsgruppen zum Thema Trauma, Beziehung und Bindung. Im Rahmen ihres Postdoktorandenstipendiums bot sie mir an, mich bei einer solchen Gruppe zu begleiten, und wie Ihnen bei der Lektüre dieses Buches sofort auffallen wird, erwies sie sich als Naturtalent: Sie hatte eine positive Ausstrahlung, war einfühlsam und versiert. Sie beobachtete und hörte gut zu. Sie war begierig zu lernen und ihr Wissen mit anderen zu teilen. Sie drückte sich verständlich aus und verzichtete auf komplizierte Formulierungen und Fachjargon. Über die Jahre haben mich die Teilnehmenden an der Patientenedukation allerhand gelehrt, und so habe ich diese Gruppen immer als Privileg empfunden. Zum Vorteil ihrer Leser:innen hat Dr. Goldberg Mintz aus diesem Privileg das Beste gemacht: Sie hat nie aufgehört zu lernen und zu lehren. Psychologin durch und durch, verbindet sie die Wissenschaft mit der Praxis. Vor allem aber ist ihre Arbeit, auch die schriftliche, durchdrungen von ihrer Menschenliebe.

Einmal, vor vielen Jahren, hielt ich einen Vortrag vor den Familienangehörigen der Betroffenen. Am Ende erhob sich ein Mann ganz hinten im Raum von seinem Stuhl und fragte: „Doktor Allen, all das, was Sie uns hier erzählen ‒ ist das nicht einfach gesunder Menschenverstand?“ ‒ „Exakt!“, erwiderte ich und wies daraufhin, dass gesunder Menschenverstand ein ziemlich ambitioniertes Ziel sei. Dieses Buch ist jedenfalls voll davon. Durch alle ausführlichen Darstellungen schimmert die Kernaussage: Die Beziehung, die Sie zu Ihrem Kind haben, ist das Wichtigste für dessen Gesundheit und Gesundungsprozess. Leitbild ist die sogenannte „sichere und zuverlässige Bindung“. Ein sicher gebundenes Kind vertraut darauf, dass seine Eltern da sind, wenn es in Gefahr oder in Not ist, und dass sie einfühlsam auf seine Gefühle und Schwierigkeiten eingehen. Wie etliche Forschungsarbeiten zeigen, trauen sich Kinder, die auf die Geborgenheit einer sicheren und zuverlässigen Bindung zählen können, ihre Umwelt zu erkunden, weil sie wissen: Sollten sie Trost und Beistand brauchen, werden sie ihn bekommen. Kinder, die sich auf Fürsorge und Verständnis verlassen können, können mit der Zeit eher loslassen und unabhängig werden.

Und noch ein Beispiel für den gesunden Menschenverstand, durch den sich dieses Buch auszeichnet: Je besser Sie im tagtäglichen Miteinander dafür sorgen können, dass sich Ihr Kind geborgen fühlt, desto mehr wird es darauf vertrauen, dass es mit seiner traumatischen Erfahrung bei Ihnen Trost und Hilfe erfährt. Vertrauen und Geborgenheit aber müssen erst entstehen. Es ist ein Prozess, der gleich nach der Geburt beginnt und sich von einem Augenblick zum anderen aus Tausenden und Abertausenden Szenen des zwischenmenschlichen Kontakts entwickelt.

Haben Sie zu diesem Buch gegriffen, weil Sie nicht wissen, wie Sie mit Ihrem traumatisierten Kind am besten umgehen? Sein Verhalten ist so emotional und besorgniserregend, dass Sie ‒ entgegen Ihren besten Absichten, achtsam und einfühlsam darauf zu reagieren ‒ vor einer echten Herausforderung stehen. Perfektionismus ist jedoch keine Option ‒ beileibe nicht. Sie sind frustriert, mutlos, vielleicht sogar erschöpft. Wenn Sie es irgendwie durchschaffen, können Sie das schon als einen Erfolg verbuchen.

Bei der Lektüre dieses Buchs werden Sie feststellen: Sie sind nicht allein. Sie haben eine versierte Psychologin an Ihrer Seite sowie zahlreiche Eltern aus den Fallbeispielen, die Ihnen zeigen, wie Sie die Schwierigkeiten, mit denen Sie konfrontiert werden, meistern. Auch die Ergebnisse der Bindungsforschung stimmen hoffnungsvoll: Wer sich mit einem anderen Menschen emotional verbunden weiß, entwickelt mehr Bindungssicherheit. An dieser Verbundenheit müssen wir manchmal arbeiten, besonders aber im Fall eines Traumas. Und manchmal geht es nicht ohne professionelle Hilfe, die, wenn sie effektiv ist, das fehlende Gefühl der Geborgenheit ersatzweise stiftet. So wird aus Ungeborgenheit Geborgenheit.

Gesunder Menschenverstand ist notwendig ‒ reicht bei einer Traumatisierung aber nicht aus. So schloss ich mich nach jahrelanger Ausbildung und Praxis einer Kolleg:innengruppe an, die an einem speziellen Behandlungsprogramm für stationäre traumatisierte Patient:innen arbeitete. Das dafür notwendige Fachwissen eignete ich mir durch weitere psychotherapeutische Arbeit, Patientenedukation und Forschung an sowie durch das Schreiben von Artikeln und Büchern. Wie Dr. Goldberg Mintz habe ich am meisten von jenen gelernt, die sich am besten auskennen: von den Betroffenen, die unter einem Trauma leiden und Wege zur Heilung gefunden haben. Wenn studierte Profis vieles dazulernen müssen, dann gilt das auch für Eltern, die um den Heilungsprozess ihrer Kinder an vorderster Front kämpfen. Um das Buch von Dr. Goldberg Mintz zu verstehen, braucht man kein abgeschlossenes Psychologiestudium, weil ihr Wissen auf ihrer breit gefächerten Erfahrung mit Patient:innen und deren Familienangehörigen aufbaut und sie es klar vermittelt.

Traumatischer Stress kann unterschiedliche Ausmaße und Formen annehmen. Manche Kinder erholen sich schneller als andere, und manche brauchen mehr Hilfe ‒ und auch ihre Eltern. Wie viel, das erfahren Sie in diesem unkomplizierten Ratgeber. Potenziell traumatisierende Situationen sind praktisch überall möglich, und meistens kommt man glimpflich davon. Man wird versorgt, fühlt sich wieder sicher und erholt sich. Mehr ist nicht notwendig. Doch auch unter normalen Umständen hilft es, die extrem belastenden Reaktionsmuster zu erkennen und zu wissen, wie man sich am besten und einfühlsamsten um die Betroffenen kümmert.

Auch wenn traumatisierte Kinder in der Regel bei normaler Fürsorge genesen, sollte man sich der potenziellen Folgen in Form von problematischen Verhaltensweisen und bleibenden Schäden bewusst sein. Aber nicht nur darauf richtet Dr. Goldberg Mintz ihr Augenmerk, sondern auch auf die spezifischen genesungsförderlichen Behandlungsansätze. Diese erfordern immer eine Konfrontation mit den traumatischen Gefühlen und Erinnerungen. Das Erlebte wird verarbeitet, bis man es einigermaßen einordnen und seine Auswirkungen verstehen kann. Am wichtigsten ist bei allen Ansätzen jedoch, dass man über alles nachdenkt und es mit einer zugewandten und einfühlsamen Person bespricht, die sich mit Traumata auskennt.

Dr. Goldberg Mintz liefert nicht nur Informationen über die vielen verschiedenen Möglichkeiten, die es für Kinder mit speziellem Behandlungsbedarf gibt, sondern verrät Ihnen auch, welche davon jeweils am besten passt ‒ auch für Sie und Ihr Kind. Dabei sollten Sie eine Tatsache berücksichtigen, die seit etlichen Jahren immer wieder von verlässlichen Studien belegt wird: Die Qualität der therapeutischen Beziehung trägt weitaus mehr zur Effektivität einer Psychotherapie bei als die Methode und die Art ihrer Anwendung. Mehr noch: Die therapeutische Beziehung ist ganz ähnlich beschaffen wie die zwischen Eltern und Kind, um die es in diesem Buch geht. Als Hauptbezugsperson Ihres Kindes sind Sie während und nach der Therapie für seinen Traumaheilungsprozess am wichtigsten. Was es mit dieser Rolle auf sich hat und wohin Sie sich wenden, wenn Sie professionelle Hilfe brauchen, das erfahren Sie in diesem ausgezeichneten Ratgeber.

Da die Bindungsforschung intensiv auf die frühe Kindheit ausgerichtet ist, befassen sich ihre Studien hauptsächlich mit Müttern. Wie zusätzliche Arbeiten jedoch zeigen, sind die Muster bei Vätern und anderen Betreuungspersonen die gleichen. Entscheidend ist eine sichere Bindung zu einer Person, auf deren Verständnis und Fürsorge man in schwierigen Situationen bauen kann. Genau das beantwortet auch die Frage, die ich einst an meine Patientenedukationsgruppe richtete: „Was müssen Eltern tun, um ihrem Kind zu einem sicheren Bindungsstil zu verhelfen?“

Sich um traumatisierte Kinder zu kümmern ist stressig, und wie dieses Buch zeigt, ist die beste Ressource zur Stressbewältigung eine sichere Bindung. Wer aber Unterstützung geben will, braucht selbst welche, ob aus dem persönlichen Umfeld oder von professioneller Seite. Auch Fachwissen kann nicht schaden. Doch vor allem braucht man eine Fähigkeit, die auch jede versierte Traumatherapeutin besitzen sollte, nämlich Menschlichkeit: sich einem anderen Menschen in Freude wie im Schmerz verbunden zu fühlen. Seelisches Leid von traumatischem Ausmaß benötigt über diese angeborene Fähigkeit hinaus jedoch kompetente Hilfe.

Und die haben Sie hiermit gefunden.

Dr. Jon G. Allen

Menninger Department of Psychiatry and Behavioral Sciences
Baylor College of Medicine

Danksagung

Dieses Buch zu schreiben war ein echter Liebesdienst, der nur dank der Unterstützung und Begleitung einiger sehr besonderer Menschen Früchte getragen hat.

Zuallererst möchte ich den erstklassigen Lektorinnen Kitty Moore und Christine Benton danken. Ihre herzliche Ermutigung, Ihre Begeisterung für dieses Buch, gepaart mit Ihrem aufschlussreichen Feedback, haben dazu beigetragen, dass sich meine anfangs verworrenen Gedanken zu einem lesbaren Buch ordnen konnten. Für Ihre fachkundige und rückenstärkende Anleitung bei der Manuskripterstellung bin ich Ihnen bis in alle Ewigkeit dankbar. Den anregenden, klugen und humorvollen Austausch mit Ihnen beiden habe ich stets sehr geschätzt.

Meine ganze Berufslaufbahn ist geradezu gesegnet mit zahlreichen Mentor:innen, ohne deren kompetente Hilfe dieses Buch nicht zustandegekommen wäre. An zentraler Stelle steht Liz Newlin, die mir klargemacht hat, wie wichtig die Familie für die Traumaheilung ist, sowie Jon Allen, dem ich meine Ansichten zu diesem Thema größtenteils einer von ihm angeregten Mentalisierungsgruppe verdanke. Vielen Dank Ron Acierno, Patty Daza, George Bombel, Chris Fowler, Colleen O’Byrne, Marcia Laviage, Lawrence Thompson Jr., Claudia Mustafa, Sara May, Kim Pfaff, Marcela Torres, Leigh Baker und Drew Westen: Ihr habt mich beruflich immer unterstützt und mich zur Spezialisierung auf die Behandlung von Traumata bewegt.

Vielen Dank auch an Mollie Gordon und Phuong Nguyen für eure Hilfe bei der Anpassung des Lehrplans ‒ ich bin so froh, euch beide an meiner Seite zu haben.

Ich danke meinen Kolleginnen, die ich glücklicherweise meine lieben Freundinnen nennen darf. Adelia Sabinstev, du bist der herzlichste, hilfsbereiteste Mensch, den ich kenne. Danke für deine kontinuierliche Unterstützung und deine fachkundige Beratung beim Überarbeiten von Kapitel 9. Vielen Dank auch an Emily Roth Van Laan, Lindsey Hogan, Brittany Lawnin, Rose Yang, Jenny Hughes und Janelle Veenstra für eure Freundschaft und psychologischen Erkenntnisse.

Vielen Dank an meine Kollegin, die Autorin Ashley Winstead für die Beratung und Aufmunterung hinsichtlich des Verlags.

Ich danke Kathryn Kase, deren aufmerksame Fragen mich zum Nachdenken über die Rolle von Eltern im Heilungs- und Genesungsprozess gebracht haben.

An meine ältesten Freundinnen: Danke Sharone Tobias, für 25 Jahre ambitionierter Träume und Zuneigung, die nicht vor Strenge zurückscheut, die notwendig ist, um ein Buch zu Ende zu schreiben. Und Robyn Munn für deine „charmanten“ Formulierungsvorschläge.

Da dieses Buch während der Schulschließungen, einer Schwangerschaft und der ersten Tage nach der Geburt geschrieben wurde, danke ich der fantastischen „Clique“ der Lehrer:innen, Babysitter, Mütter und Betreuer:innen, die unserer Familie durch diese Zeit geholfen haben, besonders Amanda Moon Lee, Joy Jacobson, Lachelle Henton, Jamie Wilkinson, Jenn Char und Jasmin Prince.

Ich danke meiner Mutter, Carol Goldberg, die jederzeit zuverlässig für mich da ist und mich immerzu antreibt, und meinem Vater, Michael Goldberg, der mir stets alles zugetraut hat.

Meinen Kindern, Sophie und Franklin: Ihr seid mein Ein und Alles. Die Verbundenheit, die ich zu euch beiden spüre, hat das Thema Bindung für mich mit Leben erfüllt. Unser bewusstes Miteinander hat mir Energie für die langen Schreibnächte gegeben.

Und zu guter Letzt danke ich meinem Mann, Evan Mintz. Ich wusste nicht, wie recht ich hatte, als ich bei unserer Hochzeit Freud zitierte: „Wie keck wird man, wenn man sich geliebt weiß!“ Ohne deine emotionale und die praktische Unterstützung beim Formulieren hätte ich es niemals gewagt, ein Buch zu schreiben. All die großartigen Einzeiler und Anspielungen aus der Popkultur sind deinem einfallsreichen Kopf entsprungen. Welch unverhoffter Glückstreffer war es, dich zu heiraten.

Einleitung: Ist Ihr Kind traumatisiert?

Als Erstes möchte ich Ihnen die Geschichte des zwölfjährigen Ricky erzählen. Von all meinen Patient:innen hatte niemand mehr Pech als er. Wie Forschungsarbeiten aus den letzten Jahrzehnten immer wieder belegen, machen zwei Drittel aller Menschen in der Kindheit mindestens eine belastende Erfahrung. Doch dieser Junge hatte gleich mehrere erlebt. Als er ein Baby war, fegte Hurrikan Katrina über New Orleans hinweg und trieb ihn und seine Familie in die Flucht nach Houston. Nur einige Jahre später ‒ sie hatten sich gerade wieder aufgerappelt ‒ kam Hurrikan Harvey. Alles, was sie besaßen, ging in den Fluten unter. Ricky kam in eine neue Schule, wo ein Schlägertyp ihm die Nase brach. Und dann, ausgerechnet auf dem Weg zu seiner ersten Therapiesitzung bei mir, rammte zu allem Überdruss ein Lastwagen das Auto seiner Mutter. Dem armen Kind blieb wirklich nichts erspart.

Ich arbeitete noch nicht so lange als Therapeutin und fühlte mich schon beim Lesen seines Überweisungsberichts überfordert. Wie konnte ich jemandem helfen, der schon so viel durchgemacht hatte? Ich wusste, was auf mich zukam, und war bei unserer ersten Begegnung trotzdem erschrocken. Sein energiegeladenes, beschwingtes und auf schräge Art witziges Auftreten passte so gar nicht zu seiner Leidensgeschichte. Doch dann erzählte er von den regelmäßig wiederkehrenden Albträumen, die immer von Stürmen handelten, und wurde nervös. Auf einmal wirkte er erschöpft. Um herauszufinden, ob er eine Posttraumatische Belastungsstörung hatte, führte ich einen Test bei ihm durch, und das Ergebnis war eindeutig positiv. Trotz alldem schien er sein Leben ganz gut zu meistern. Er war ausgezeichnet in der Schule, hatte seiner Beschreibung nach intakte Freundschaften und überraschend optimistische Erwartungen an seine Zukunft.

Am Ende der Sitzung verstand ich Rickys erstaunlichen Zustand – und zwar in dem Moment, in dem ihn seine Mutter abholte. Er erzählte strahlend, sie habe ihm versprochen, nach jedem Termin Minigolf zu spielen, und sie bestätigte, das sei ihr gemeinsames „Mutter-Sohn-Ding“. Als ich die beiden mit der Zeit besser kennenlernte, dämmerte mir, dass die Mutter mit ihrer Methode schon zur Heilung ihres Sohnes beigetragen haben musste, noch bevor er meine Praxis überhaupt betreten hatte. In der Folge arbeitete ich mit Ricky an seinem Trauma und mit seiner Mutter an praktischen elterlichen Fähigkeiten. Nach einigen Monaten waren seine Albträume und andere Traumasymptome so gut wie verschwunden. Und wie ich Jahre später zu meiner Freude erfuhr, hatte er ein Begabtenstipendium für eine renommierte Universität bekommen, und seine Mutter war noch immer sehr stolz auf ihn.

Mit dieser Geschichte möchte ich Ihnen zeigen, wie wichtig die Eltern-Kind-Beziehung ist, besonders aber für den Traumaheilungsprozess. Ich würde sogar so weit gehen und behaupten, eine liebevolle und fürsorgliche Beziehung zu einer fähigen Betreuungsperson ist für die Genesung des Kindes wertvoller als wöchentliche Therapiesitzungen, und seien sie in der besten Praxis der Welt. Mit anderen Worten: Dass Ihr Kind sich von seinem Trauma erholt und wieder aufblüht, liegt hauptsächlich an Ihnen!

Das klingt nach einer schweren Bürde: Die Zukunft Ihres Kindes liegt in Ihren Händen. Ganz schön viel Verantwortung! Aber keine Angst ‒ die Betreuung eines traumatisierten Kindes erfordert weder therapeutisches Können auf professionellem Niveau noch weise Erkenntnis oder ein übernatürliches Maß an Kraft und Geduld. Tatsächlich verfügen Sie jetzt schon über das, was Kinder, die etwas Schreckliches erlebt haben, am meisten brauchen, nämlich Liebe und Einfühlungsvermögen. Wie Sie damit den Heilungsprozess wirksam unterstützen können und was es mit dem Trauma konkret auf sich hat, das erfahren Sie in diesem Buch.

Diese wichtige Rolle, die Eltern im Heilungsprozess ihrer Kinder spielen, interessiert mich seit meiner Mitarbeit an der Untersuchung einer bewährten Methode zur Taumabehandlung namens traumafokussierte kognitive Verhaltenstherapie (TFKVT). Im Rahmen dieser Studie fiel mir auf, dass die posttraumatischen Belastungssymptome bei vielen Kindern nachließen und sich diejenigen am meisten und schnellsten erholten, die besonders liebevoll und achtsam betreut wurden. Nachdem ich nun zehn Jahre lang in diesem Bereich gearbeitet habe, bin ich zu dem Schluss gekommen, dass Therapie manchmal notwendig ist, die Kinder aber noch mehr brauchen, um sich von ihrem Trauma völlig zu erholen. Eine starke Verbindung zwischen Bezugsperson und Kind begünstigt den Heilungsprozess, und manchmal reicht sie allein sogar aus.

Hat Ihr Kind etwas emotional Belastendes oder physisch Verletzendes erlebt, und nun fragen Sie sich, ob es vielleicht traumatisiert ist? Oder braucht es offensichtlich Unterstützung, aber Sie sind sich nicht sicher, wo Sie beginnen sollten? Oder sind Sie wegen Ihres Kindes in Sorge, weil es sich anders verhält als sonst? Ist es beispielsweise aggressiver, hat es keine Lust, sich mit anderen zu treffen oder haben sich seine Noten verschlechtert, und Sie verstehen nicht, warum? Oder Sie wissen nicht, wie Sie in dem Moment reagieren sollen, wenn es, wie so oft in letzter Zeit, empfindlich ist, Panikattacken hat, gestresst wirkt und von Erinnerungen an den Vorfall gequält wird?

In diesem Buch will ich Ihnen helfen zu verstehen, was mit Ihrem Kind los ist und was es nach einem potenziell traumatischen Erlebnis durchmacht. Außerdem will ich Sie dazu befähigen, dem Kind bei der Verarbeitung beizustehen.

Was Sie von diesem Buch erwarten können

Grundsätzlich kann Ihnen dieses Buch nützlich sein, wenn Sie glauben, dass Ihr Kind etwas potenziell Traumatisches erlebt hat, Sie aber nicht wissen, was nun zu tun ist, und sich Fragen wie die folgenden stellen:

Wird es meinem Kind wieder gut gehen? Oder wird das Erlebte für immer Narben hinterlassen?

Wie werden Kinder überhaupt traumatisiert?

Was ist eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)?

Warum verhält sich mein Kind anders als andere Kinder, die das Gleiche erlebt haben?

Was kann ich tun, um zu helfen?

All diese Fragen sind vollkommen normal. Kinder haben ihr eigenes Innenleben, das sie selbst nicht verstehen und erst recht nicht anderen gegenüber erklären können. Das gilt besonders, wenn sie das Teenageralter erreicht haben und alles noch komplizierter ist. Deshalb möchte ich es Ihnen so leicht wie möglich machen, indem ich mein Buch mit Beispielen und Anekdoten aus meiner Praxis anreichere, durch die Sie wichtige Themen besser verstehen können, etwa wann die Reaktion auf ein potenziell traumatisches Erlebnis Grund zur Sorge gibt und wann professionelle Hilfe angesagt ist.

Sie werden in der Lage sein, Ihrem Kind das zu geben, was es nach einer belastenden Erfahrung braucht, allem voran eine Grundlage für den Heilungsprozess und ein Schutzschild gegen zukünftige traumatische Belastungen. Sie werden fähig sein,

auf Traumatrigger zu reagieren,

verwirrende und problematische neue Verhaltensweisen zu verstehen (z. B. eine verstärkte Neigung zum Weinen),

Regeln aufzustellen und durchzusetzen,

Vermeidungsverhalten zu erkennen und damit umzugehen,

die für Teenager typischen Probleme im Zusammenhang mit Traumata anzugehen, z. B. riskante und impulsive Handlungen,

und das Wiederauftreten von Traumasymptomen im späteren Leben des Kindes zu verhindern.

Diese Anleitung zur adäquaten Beelterung von Kindern nach einem potenziell traumatischen Erlebnis besteht aus zwölf Kapiteln. Die ersten geben einen Überblick über das Thema Trauma und sollen Ihnen helfen, die verwirrenden Tage, Wochen und Monate nach einem potenziell traumatischen Erlebnis zu verarbeiten und die schwierige Frage zu klären, ob Ihr Kind traumatisiert ist oder nicht. Des Weiteren werden Sie verstehen lernen, warum manche Kinder Traumasymptome entwickeln und manche nicht und wie man zwischen gesundem und besorgniserregendem Verhalten unterscheidet. Und wenn Sie diese grundlegenden Aspekte im Zusammenhang mit Traumata und traumatischen Reaktionen verstanden haben, kommen wir noch einmal auf das zu sprechen, was eines der wichtigsten Hilfsmittel zum Aufbau von Resilienz im Umgang von Widrigkeiten darstellt: die starke Eltern-Kind-Beziehung. Diese können Sie vertiefen, indem Sie die hier vorgestellten konkreten, heilsamen und leicht umsetzbaren Fähigkeiten erlernen.

Anschließend werde ich die nach potenziell traumatischen Vorfällen häufig beobachteten typischen Verhaltensänderungen bei kleineren und größeren Kindern sowie bei Jugendlichen erläutern. Aus den Geschichten meiner Patient:innen habe ich Fallbeispiele zusammengesetzt, die veranschaulichen, worauf Sie sich nach einem potenziell traumatischen Erlebnis einstellen können: sogenannte Traumatrigger, die an den schrecklichen Vorfall erinnern und das Erlebte plötzlich wieder wachrufen, erhöhte Emotionalität, Vermeidung, geringfügiges und grobes Fehlverhalten, Selbstverletzung und impulsive Handlungen. Wie Sie für das Kind auf heilsame Weise damit umgehen können, erfahren Sie im dritten Teil dieses Buchs.

Manchmal allerdings erwirkt auch die beste Eltern-Kind-Beziehung keine Erholung von einem traumatischen Erlebnis. Dann ist professionelle Hilfe empfehlenswert. In Kapitel 11 erhalten Sie einen Überblick über die verschiedenen Therapieangebote sowie eine strukturierte Herangehensweise, wie Sie jemanden finden, der oder die zu dem Kind, der Familie oder auch für Sie selbst passt.

Das letzte Kapitel bereitet Sie auf den Umgang mit Stolpersteinen vor, auf die Ihr Kind im Lauf seines Lebens treffen kann. Viele Kinder und Jugendliche mit potenziell traumatischen Erfahrungen führen später scheinbar davon unberührt ein gesundes, erfülltes Leben. Sie können sich also durchaus gut entwickeln. Doch selbst bei erfolgreich behandelten traumatisierten Kindern können die Symptome irgendwann später wiederkehren. Wenn Sie sich darauf einstellen, können Sie das Selbstbewusstsein Ihres Kindes stärken und ihm sagen, was es im Fall einer Symptomrückkehr tun kann.

So mit Wissen und Fähigkeiten ausgestattet, werden Sie in der Lage sein, den Heilungsprozess Ihres Kindes auf dem Weg in eine gesunde, glückliche Zukunft zuversichtlich zu begleiten.

TEIL I: TRAUMA

1. Was ist ein Trauma?

Auf meiner Autofahrt zur Arbeit komme ich immer an einem Einkaufszentrum vorbei. Darin befinden sich ein chinesisches Restaurant, ein Süßwarenladen und auch eine kleine Arztpraxis, das „24-Stunden-Trauma-Center“.

Der Name macht mich jedes Mal stutzig. Denn so, wie der Begriff „Trauma“ im Alltag verwendet wird, klingt es nicht gerade nach einem echten Notfall, der sofort behandelt werden muss. Da schimpfen Schülerinnen über ihre „traumatische“ Chemieklausur, eine frisch verheiratete Frau bezeichnet die Hochzeitsfeier mit den Schwiegereltern als „voll traumatisierend“ oder in der Arbeitspause regt man sich über die letzte Folge der zurzeit angesagtesten Serie auf, ist „geschockt, ja richtig traumatisiert“.

Solch ein inflationäres „Trauma“ wird wohl eher in einer SMS an den Freund oder die Freundin verarbeitet als in der Notfallpraxis des Einkaufszentrums am Rand einer Autobahn.

Auch die Menschen, die zu mir in die Praxis kommen, sprechen über ihr Trauma. Dieses muss wie eine körperliche Wunde ärztlich behandelt werden, jedoch weder mit Antibiotika noch indem man es vernäht. Ein psychisches Trauma hat nichts mit verletztem Gewebe zu tun. Und auch nicht mit den kleinen Missgeschicken, über die man sich im Alltag so gerne unterhält.

In der Psychologie und Psychotherapie bezeichnet der Begriff Trauma eine biologische, psychische und soziale Reaktion auf ein wirklich furchterregendes Erlebnis. Sein beobacht- und beschreibbarer Einfluss auf die Betroffenen wird meist als „Traumareaktion“ bezeichnet. Diese fällt von Mensch zu Mensch unterschiedlich aus. In grobe Kategorien zusammengefasst handelt es sich um überfallartige Erinnerungen an das Erlebte (Intrusionen und Flashbacks) und Albträume; eine erhöhte Erregbarkeit, die sich zum Beispiel als Schreckhaftigkeit und Konzentrationsschwierigkeiten äußert; das Meiden von Menschen, Orten und Dingen, die an das Trauma erinnern; sowie zunehmend negative Gedanken und Gefühle in Bezug auf die eigene Person und das Leben an sich.

Im Bereich der psychischen Gesundheit wird mit dem Begriff Trauma nicht leichtfertig umgegangen, denn schließlich handelt es sich um eine ernst zu nehmende Störung, die, wenn sie unbehandelt bleibt, stark beeinträchtigen kann. Wird sie jedoch korrekt behandelt, kann sie nicht nur heilen, sondern sogar Kraft für ein selbstbestimmtes Leben geben.

Ereignisse, die ein Trauma verursachen können

Woher kommt also ein Trauma? Wodurch wird es verursacht? Welche Erlebnisse zählen als traumatisch? Traumatisch kann im Grunde beinahe alles sein, das Furcht erregt. Entscheidend ist hier, wie Menschen im Lauf der Zeit darauf reagieren. Wie Psychologieexpert:innen jedoch herausgefunden haben, sind bestimmte Arten von Erlebnissen geradezu prädestiniert für Traumareaktionen, besonders aber bei Kindern.

Potenziell traumatisch sind meist Vorfälle, bei denen man mit dem Tod, einer schweren Verletzung oder sexueller Gewalt bedroht oder direkt konfrontiert wird. Man muss das jedoch nicht unbedingt am eigenen Leib erfahren; mitzuerleben, wie anderen etwas Schreckliches zustößt, kann ausreichen. Sogar nachträglich zu erfahren, dass ein Mensch, der einem nahesteht oder den man braucht, derartig betroffen ist. All das kann ein Trauma hervorrufen, erst recht, wenn es wiederholt geschieht oder extrem ist.

Unter den häufigsten Traumaursachen, die in meiner Praxis vorkommen, sind Autounfälle. Manche Kinder sind direkt davon traumatisiert, manche durch die Nachricht, dass die Eltern bei einem heftigen Zusammenstoß verletzt wurden. Auch ein Kind, das vom Spielplatz aus einen Autounfall mitansieht, kann davon traumatisiert werden, vor allem, wenn der Aufprall äußerst brutal und der Anblick schockierend oder grauenvoll ist. Nach einem solchen Szenario wäre es völlig normal, wenn das Kind Schlafstörungen hätte oder in keinem Auto mehr mitfahren wollte. Normalerweise lassen Symptome wie diese im Lauf des Heilungsprozesses nach. Tun sie das nicht oder verschlimmern sie sich gar, können wir sicher davon ausgehen, dass das Kind traumatisiert ist. Ihm hat der Tod oder eine schwere Verletzung gedroht, es hat eine Traumareaktion, und diese beeinträchtigt sein Alltagsleben.

Das ist ein Trauma.

Belastende Kindheitserfahrungen

Ein Kind, das etwas Traumatisierendes erlebt hat – das klingt erst mal erschreckend. In Wirklichkeit kann jedes Kind eine potenziell traumatische Erfahrung gut verarbeiten. In den meisten Fällen ist tatsächlich keine professionelle Hilfe nötig, weil die Traumasymptomevon selbst abklingen. Auch die Albträume nach einem Autounfall verschwinden mit der Zeit, ganz ohne Therapie.

Doch leider ist das nicht immer so. Im schlimmsten Fall bleiben langfristige seelische Schäden zurück.

Mitte der 1990er-Jahre führten die amerikanische Gesundheitsbehörde Centers for Disease Control and Prevention (CDC) und die Krankenversicherung Kaiser Permanente gemeinsam eine Studie durch, bei der mehr als 17 000 Krankenversicherte befragt wurden. Sie ergab, dass bestimmte Kindheitserfahrungen lebenslange Folgen für die physische und psychische Gesundheit haben. Diese potenziell traumatischen Erlebnisse wurden als „adverse childhood experiences“ („ACEs“) bezeichnet: belastende Kindheitserfahrungen. Die durch diese und andere Studien ermittelten ACEs sind im folgenden Kasten aufgeführt. Die ausführliche (jedoch nicht allumfassende) Liste zeigt, wie vielschichtig und nuanciert potenziell traumatische Erlebnisse sind.

Die CDC–Kaiser-Studie ermittelte folgende belastende Erfahrungen:

körperliche Gewalt

verbale / emotionale Gewalt

sexuelle Gewalt

körperliche Vernachlässigung

emotionale Vernachlässigung

Substanzmissbrauch im häuslichen Umfeld

Miterleben von häuslicher Gewalt

Inhaftierung eines Haushaltsmitglieds

psychische Erkrankung im häuslichen Umfeld

Verlust eines Elternteils / der Eltern aufgrund von Trennung oder Scheidung, weil sie das Kind im Stich lassen, es weggeben oder aussetzen

Potenziell traumatische Erlebnisse in Forschung und Therapie

Diese belastenden Erfahrungen wurden ausgewählt, weil sie bei den untersuchten Personen am häufigsten vorkamen, doch andere Studien ermittelten weitere:

MobbingVerkehrsunfallder plötzliche, unerwartete oder schockierende Verlust einer geliebten PersonSubstanzmissbrauch eines Geschwisterssexuelle Gewalt beim Datingemotionaler Missbrauch in BeziehungenWohnungslosigkeitKrieg, Flucht, Aufenthalt im FlüchtlingslagerNaturkatastrophenAmoklauf an der SchuleTerrorangriff und Massenmordein aggressives soziales Umfeldmedizinisches Trauma

In meiner eigenen Praxis bin ich außerdem auf Traumata gestoßen, deren ungewöhnliche Ursachen zwar nicht forschungsgestützt, aber nicht weniger entsetzlich sind:

Angriff durch ein Haustierals Nichtschwimmer ins Wasser geworfen zu werdenAnblick nicht altersgerechter, z. B. pornografischer Inhalte bei Nachbarn oder Geschwisternallein eingesperrt zu sein (im Zimmer, im Fahrstuhl)auf unbestimmte Zeit von einer ganz und gar fremden Person betreut zu werdenkörperliche Strafen für schlechtes Benehmen wie z. B. auf Reiskörnern zu knien

Alles, was dem Kind Angst bereitet, was ihm – oder auch einer ihm nahestehenden Person – Gewalt antut oder eine Gefahr für Leib und Leben darstellt, kann als traumatisch erlebt werden.

Forschungsstudien ergaben, dass solche Erlebnisse im Lauf des Lebens bestimmte Risiken erhöhen, nämlich für psychische Störungen (z. B. Depressionen oder Suizidalität), soziale Probleme (z. B. Schulabbruch, hochriskantes Sexualverhalten) und sogar körperliche Krankheiten (z. B. Diabetes und Herzleiden). Diese Ergebnisse machen immer wieder deutlich, wie verheerend sich belastende Erlebnisse und Traumata auf das Leben von Kindern auswirken können.

Wer sich für das Wohlergehen von Kindern einsetzt, mag solche Informationen niederschmetternd finden. Doch gerade weil so viel auf dem Spiel steht, kommt es auf die adäquate Reaktion und die richtige Unterstützung nach einem potenziell traumatischen Vorkommnis an. In diesem Buch beschreibe ich, wie diese aussehen kann und welche Strategien am besten geeignet sind, damit Sie Ihr Kind vor den schlimmsten Folgen bewahren können.

Weshalb belastende Kindheitserfahrungen traumatisch sein können

Im amerikanischen Fernsehen gab es früher eine Sonntagsmatinee für Kinder namens Wonderama. Am Ende der dreistündigen Sendung, in der Kinder tanzten, spielten und lustige Sketche vortrugen, sang der Moderator Bob McAllister begleitet von seinem jugendlichen Publikum das Lied: „Kids Are People Too“ (Auch Kinder sind Menschen).

Darin heißt es: „We may be young, and not full grown / But we have problems of our own“ (Sind wir auch jung und noch nicht erwachsen, haben wir doch unsere eigenen Probleme). MacAllister war zwar kein Psychologe, hat aber dennoch einen wichtigen kinderpsychologischen Nerv getroffen: Ein Kind zu sein ist mitunter alles andere als leicht!

Das Lied geht im Wortlaut folgendermaßen weiter: „Unser Tag ist nicht immer nur ein Kinderspiel / wir spielen, gewinnen und verlieren / wir machen Hausaufgaben, lernen in der Schule / und versuchen uns an die goldene Regel zu halten“ (die heißt: Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu, d. Ü.).

Eltern finden, ihre Kids haben es leicht. Sie müssen nicht arbeiten, keine Rechnungen bezahlen, keine nennenswerte Verantwortung tragen. Das mag ja stimmen, aber Verantwortung bringt auch Struktur ins Leben, und die brauchen Kinder. Mangelt es ihnen an Struktur, leiden sie darunter. Für Kinder ist die Welt riesig, verwirrend und schwer durchschaubar. Jeder Tag bringt neue Erkenntnisse, die sie wie Puzzleteile zusammenzusetzen versuchen, um sich ein grobes Bild von all dem zu machen. Sie lernen, wachsen heran und entwickeln unterdessen verschiedene Vorstellungen davon, wie die Dinge funktionieren sollten – ihr persönliches Weltbild. In der Psychotherapie sagen wir dazu „Schemata“.

Stellen Sie sich ein Kleinkind vor, das zum ersten Mal eine Katze sieht. Sie ist klein, flauschig, hat vier Beine und einen Schwanz. Ein Kätzchen. Sieht das Kind später zum ersten Mal einen Welpen – oder irgendein anderes kleines, flauschiges Tier mit vier Beinen und einem Schwanz –, ruft es vielleicht „Kätzchen!“, denn es passt in sein Kätzchen-Schema. Nachdem jemand es korrigiert und ihm den Unterschied zwischen Katze und Hund erklärt hat, wird es seine Schemata aktualisieren und zu einem neuen, differenzierten Verständnis seiner Umwelt gelangen.

Erste Erkenntnisse, welchen Einfluss Schemata auf die psychische Gesundheit haben, lieferte der Psychiater Dr. Aaron Beck. 1967 erschien sein erstes Buch mit dem Titel The Diagnosis and Management of Depression. Dem Autor zufolge beziehen sich Schemata nicht nur auf die Dinge in unserer Umwelt, sondern auch auf den Sinn, den sie für uns ergeben. Diese Konzepte sind meist stillschweigend, aber tief im Bewusstsein verankert: Eltern sind fürsorglich. Die Welt ist sicher und gerecht. Guten Menschen passiert Gutes und schlechten Menschen Schlechtes.

Meistens behalten wir unsere Schemata das ganze Leben bei. Sie erklären uns, wie die Welt funktioniert – beziehungsweise, wie sie funktionieren sollte. So nützlich sie auch sind – bisweilen geraten sie in Konflikt mit der Realität. Und dies, was selbst die reifsten Erwachsenen manchmal vor Herausforderungen stellt, kann für Kinder geradezu verheerend sein.

Etliche meiner Patient:innen haben ein derart folgenschweres Trauma, dass sie ihr Schema revidieren müssen: Vielleicht ist die Welt doch nicht so sicher.

Stellen Sie sich einen zehnjährigen Jungen vor, der seine Mutter an der Tür verabschiedet, weil sie einkaufen gehen will. Das tut sie dauernd. Nie passiert ihr etwas. Er hat keinen Grund zu befürchten, dass irgendwelche bösen Mächte eingreifen und ihr etwas zuleide tun. Doch eines regnerischen Abends wird sie auf dem Parkplatz des Supermarkts von einem Auto angefahren, das auf dem glatten Asphalt ins Schleudern geraten ist. Verletzt kommt sie ins Krankenhaus und wird ohne bleibende Schäden entlassen. Ihr Sohn dagegen kommt zu der Schlussfolgerung: Einkaufen zu gehen ist wohl doch nicht so sicher. Also ist es höchst gefährlich da draußen. Der Vorfall stellt sein Weltbild infrage.

Durch sein revidiertes Schema fühlt und verhält sich der Junge von nun anders als sonst. Wenn Mama ihre Einkäufe tätigen will, bekommt er Angst und fleht sie an, nicht wegzugehen. Regen und Donner empfindet er nicht mehr als normale Wettererscheinungen, sondern als echte Bedrohung. Also bleibt er lieber drinnen, als mit seinen Freunden rauszugehen und mit ihnen durch die Pfützen zu plantschen. Seine veränderten Schemata wirken sich störend auf sein normales Leben aus. Das, was da zum Vorschein kommt, das ist das Trauma.

Vermeidung: Eine Bewältigungsstrategie, die das Trauma begünstigt

Auf Angst gründende Schemata lösen also Ängste aus, die man durch Vermeidung zu verringern und damit zu bewältigen hofft. So könnte der Junge aus dem Beispiel auf seine längst genesene Mutter einreden, ja nicht einkaufen zu gehen, um sich den draußen vor der Haustür lauernden Gefahren nicht auszusetzen. So sinnvoll diese Strategie kurzfristig auch sein mag, untergräbt sie doch den natürlichen Heilungsprozess. Denn je stärker ein Kind stressverursachenden Menschen, Orten und Situationen aus dem Weg zu gehen sucht, desto größer und bedrohlicher werden sie.

Um meine Patient:innen darüber aufzuklären, welche Rolle das Vermeiden in der posttraumatischen Belastung spielt, greife ich zu einer hilfreichen Metapher: dem Angsttiger aus dem Buch Get Out of Your Mind and Into Your Life von Stephen Hayes (erschienen 2005; deutsch: In Abstand zur inneren Wortmaschine,