It's a date! - Pia Kabitzsch - E-Book

It's a date! E-Book

Pia Kabitzsch

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Beschreibung

Sich nach 36 Fragen rettungslos ineinander verlieben, funktioniert das? Ist Online-Dating wirklich so oberflächlich, wie alle denken? Was sagt die Wissenschaft zu bekannten Dating-Mythen wie der 3-Tage-Regel? Ist die Generation Tinder wirklich beziehungsunfähig? Und wie geht Dating, bei dem man zwar sein Herz riskiert, aber nicht den Kopf verliert? Pia Kabitzsch, Psychologin, Wissenschaftsjournalistin und heißgeliebte Moderatorin des funk-Formats Psychologeek, geht spannenden Fragen zum Thema Dating wissenschaftlich auf den Grund, widerlegt Mythen rund um das Suchen und Finden der Liebe und gewährt einen Einblick in ihr eigenes turbulentes Dating-Leben – witzig, augenöffnend und garniert mit einer Extraportion Liebe. Daten ohne durchzudrehen? Nach diesem Buch wissen wir endlich, wie's geht!

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Seitenzahl: 334

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Pia Kabitzsch

It’s a date!

Tindern, Ghosting, große Gefühle. Was die Psychologie über Dating weiß

 

 

 

Über dieses Buch

Wie du beim Dating zwar dein Herz riskierst, aber nicht den Kopf verlierst

 

Wer sich heute auf die Suche nach der Liebe macht, schlägt sich mit vielen anderen durch einen scheinbar undurchdringlichen Dating-Dschungel, online wie offline. Kein Wunder, dass man sich dabei hin und wieder ganz schön lost fühlt. Die Psychologin Pia Kabitzsch geht spannenden Fragen zum Thema Dating wissenschaftlich auf den Grund, widerlegt Mythen rund um das Suchen und Finden der Liebe und gewährt einen Einblick in ihr eigenes turbulentes Dating-Leben – witzig, augenöffnend und garniert mit einer Extraportion Liebe.

Vita

Bereits im ersten Semester des Psychologie-Bachelorstudiums an der Universität Osnabrück hat Pia festgestellt, dass ihr Herz für die Wissenschaft und nicht für die typische «Therapeuten-Laufbahn» schlägt. Auch wenn die psychologische Forschung sie während ihres Masterstudiums an der Lund University in Schweden sehr begeistert hat, sieht Pia ihre Aufgabe in der Wissenschaftskommunikation. Ihr Ziel ist es, den Menschen zu vermitteln, dass Psychologie uns alle etwas angeht und wir gemeinsam einen Unterschied machen können – mit mehr Verständnis und Akzeptanz für uns und unsere Mitmenschen. Privat ist Pia eine Optimistin, leidenschaftliche Kaffeetrinkerin und Weltenbummlerin, die mit dem Backpack auf dem Rücken und einem Kaffee in der einen und der Kamera in der anderen Hand schon fast 30 Länder bereist hat. Rumour has it, dass Pia die weltbesten Zimtschnecken backt.

Inhaltsübersicht

Widmung

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Teil 1 Nach dem Date ist vor dem Date

To Tinder or not to Tinder, das ist hier die Frage

Tell me what you want, what you really, really want!

Fake it, till you make it? Ein Plädoyer für die ungeschminkte Wahrheit

Part of the Game: Ein Spiel mit Suchtpotenzial

To the left, to the left – Warum wir swipen, wie wir swipen

Sharing is caring, oder etwa nicht? Der Algorithmus hinter den Dating-Apps

The One – Warum es das perfekte Match nicht gibt

High Expectations! Warum wir lieber aufhören sollten zu tippen, um uns im Real Life zu treffen

Teil 2 It’s A Date!

And Action! Wie dein erstes Date zu etwas Besonderem werden kann

Rot, rot, rot sind alle meine Kleider: Anziehen, was andere anzieht?

Not my cup of tea: Warum sich Nähe nicht durch einen heißen Kaffee herstellen lässt

Let’s talk! – Von wegen Schweigen ist Gold!

I know that you’re toxic – Wann du lieber die Beine in die Hand nehmen solltest

What’s cookin’, good lookin’? Was uns auf andere fliegen lässt

Ich kann dich gut riechen – Welchen Einfluss unser Körpergeruch auf die Anziehung hat

Wer die Wahl hat, hat die Qual, oder: Dating-Burn-out wissenschaftlich erklärt

High on Hormones – Was in deinem Körper passiert, wenn du dich verliebst

From Stockholm with Love – Wenn die Bindungsangst kickt

Teil 3 Herz riskiert, nichts passiert?

Soul Mate oder Work it out? Was wir glauben, bestimmt, wie wir lieben

Let’s stay friends – Können wir mit einem Date befreundet sein?

Lovesick – Warum Liebeskummer (k)ein Arschloch ist

Willst du gelten, mach dich selten? Warum du keine 3 Tage warten solltest, ehe du dich meldest

Sieben mehr oder weniger gute Gründe für Ghosting – und einer für radikale Ehrlichkeit

Status: ungeklärt. Ist unsere Generation wirklich beziehungsunfähig?

Bauch über Kopf? Wer entscheidet, ob es Liebe ist?

Nachwort

Danksagung

Quellen

Für meine Schwester

Vorwort

«Kannst du mir mal bitte sagen, was ich falsch mache? Das ist jetzt schon das zweite Mal hintereinander, dass ich nach einem, zumindest in meinen Augen, echt schönen Date abserviert werde! Ich sag’s dir, ich hätte ihm die Geschichte von dem Elefantenbaby in Thailand nicht erzählen sollen.» Mit diesem Wortschwall begrüßte ich meine Freundin Paula am Telefon. Ich hatte ihr vor fünf Minuten einen Screenshot von einer Nachricht geschickt, in der mich der Typ, mit dem ich mich seit ein paar Wochen traf, freundlich, aber bestimmt abservierte. Die drei Dates mit mir seien «wirklich schön» gewesen, und es tue ihm auch «sehr leid», aber er sei im Kopf gerade «einfach nicht frei». Was auch immer das genau heißen mochte, ich fragte nicht nach. Paula unterbrach meinen Monolog, um mir das zu sagen, was ich in dem Moment am allerwenigsten hören wollte: dass Micha wohl – ja, toll, sagen wir es doch, wie es ist – auch nicht der Richtige für mich war. «Zünd eine Kerze an und trauere ein bisschen um ihn», meinte sie halb ernst, halb scherzhaft. Sie wusste, wie gern ich ihn näher kennengelernt hätte, schließlich hatte ich ihr – nachdem ich am Wochenende die Wohnungstür nachts um halb zwei hinter Micha geschlossen hatte – in einer vierminütigen Sprachnachricht in allen Einzelheiten erzählt, was wir für ein un-fass-bar schönes drittes Date hatten.

Als ich eine halbe Stunde später auflegte, ging es mir schon etwas besser. Ich hatte beschlossen, die ganze Situation aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Ich hatte drei sehr schöne Dates mit Micha, die wir bei einer Flasche Lambrusco, meinem Lieblingswein (don’t judge!), und guten Gesprächen auf meinem Balkon, vor dem Brandenburger Tor oder auf meinem Sofa verbracht hatten. Das war doch was! Und ganz ehrlich, wenn er gerade im Kopf «nicht frei war», dann war das ja wohl sein Problem und nicht meins. Ha, ich wünschte, ich wäre nach dem Korb von Micha auch nur halb so abgeklärt gewesen, wie ich hier gerade rüberkomme. Wenn ich nämlich ganz ehrlich bin, fühlte es sich verdammt scheiße an, – mal wieder – abserviert worden zu sein. Ich kochte mir einen Kaffee mit meiner knallgelben Bialetti, schnappte mir meinen Laptop, ein Teelicht und ein Feuerzeug. Und dann saß ich da. Um 10:30 Uhr vormittags, auf meinem Balkon, bei sonnigen 25 Grad. Und Kerzenschein. Ich wusste nicht: Sollte ich lachen? Oder doch lieber weinen? Und entschied mich für beides.

 

Nur ein paar Tage nachdem ich von Micha abserviert worden war, spazierte ich mit meiner Lektorin Antje über das Tempelhofer Feld. Wir sprachen über Bücher, tauschten Ideen aus, und sie fragte mich, ob ich ein absolutes Herzensthema hätte. Und da wurde es mir plötzlich klar: Ich wollte ein Buch über Dating schreiben. Aber nicht nur irgendein Buch über Dating, sondern ein Buch, das wissenschaftlich fundierte Antworten auf die Fragen parat hatte, die sich gefühlt eine ganze Generation – inklusive mir – stellte: Ist Online-Dating wirklich so oberflächlich, wie alle sagen? Wie soll man mit Ghosting umgehen? (Und was zur Hölle soll das eigentlich?) Hilft Schokolade vielleicht doch gegen Liebeskummer? Kann man diese elektrisierende Anziehung zwischen zwei Menschen erklären? Und: Kann man vielleicht etwas dafür tun, dass der Funke überspringt? Existiert nicht irgendeine Regel, wie lange man Nachrichten austauschen sollte, bevor man einander persönlich trifft? Und überhaupt: Hat nicht endlich jemand eine wissenschaftlich fundierte Anleitung für dieses gottverdammte Dating-Game verfasst? Damit man dabei eben nicht den Kopf, sondern einfach nur sein Herz verliert? Davon mal ab: Ist die Generation Tinder tatsächlich so beziehungsunfähig, wie behauptet wird?

Ich bin Pia, 29 Jahre alt, Berlinerin und studierte Psychologin. Du kennst mich vielleicht von meinem YouTube-Kanal psychologeek, den ich seit Anfang 2020 für funk von ARD und ZDF produziere. Ich habe in meinem Leben schon viel gedatet und mein Herz riskiert. Ich bin Hals über Kopf verliebt in das Leben, immer offen für besondere Momente, Abenteuer, guten Kaffee und neue Begegnungen.

Wenn du dich für echte Dating-Storys und Psychologie interessierst, keine Lust mehr hast, dich planlos durch den (Online-)Dating-Dschungel zu kämpfen, oder endlich verstehen möchtest, was hinter verschiedenen Phänomenen wie zum Beispiel den berühmten Schmetterlingen im Bauch steckt, ist dieses Buch genau richtig für dich. In den nächsten 25 Kapiteln teile ich nämlich Geschichten aus meinem Dating-Leben mir dir, gebe Antworten auf spannende Fragen rund um das Thema Dating, entlarve Mythen, von denen du bestimmt auch schon mal gehört hast, und, ganz wichtig, helfe dir dabei, das (gottverdammte) Dating-Game zu mastern. Gemeinsam kriegen wir das hin!

Als ich angefangen habe, dieses Buch zu schreiben, war ich ziemlich planlos auf den Dating-Apps unterwegs, und nach dem Korb von Micha hatte ich erst mal genug. Durch eine Zufallsbekanntschaft in München bekam ich Lust, es doch wieder zu versuchen, und beschloss, die Mission «Liebe finden» etwas ernster, aber immer noch mit einer ordentlichen Portion Spaß und Leichtigkeit anzugehen. Im ersten Teil des Buches nehme ich dich mit durch die erste turbulente Zeit: von der Generalüberholung meines Dating-Profils (was zum Teufel sollte ich in der Kurzbeschreibung über mich schreiben?) über die ersten Matches und Gespräche bis hin zur ersten Verabredung. Um das eigentliche Dating und die Psychologie dahinter geht es im zweiten Teil des Buches. Ganz ehrlich, ich kann immer noch nicht so ganz glauben, dass ich dir in diesem Buch so offen und ungeschönt von meinem Dating-Leben der letzten Jahre erzähle. Über diese Erfahrungen habe ich bisher nämlich noch nie öffentlich gesprochen – ist ja privat. Ich kann dir gar nicht genau sagen, warum ich mich entschieden habe, jetzt doch öffentlich darüber zu schreiben. Ich kann dir aber sagen, dass du dich besser anschnallen solltest, du begleitest mich nämlich auf eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Und auch im dritten Teil des Buches, der von der Zeit nach dem Dating handelt, wird es emotional. Nach der kleinen Zeitreise durch die Dates der vergangenen Jahre geht es im Hier und Jetzt weiter. Ich erkläre dir, warum Liebeskummer so verdammt wehtut, welche Wege dein Gehirn einschlägt, um sich für oder gegen eine Beziehung zu entscheiden, und warum Ghosting leider keine Seltenheit ist. Im Anhang findest du alle Quellen, die ich für dieses Buch verwendet habe.

Zwei kurze Hinweise noch, bevor es losgeht: Die Geschichten, die ich in diesem Buch beschreibe, sind so oder so ähnlich passiert. Um die Privatsphäre der Personen zu schützen, die in den folgenden Kapiteln auftauchen, habe ich die Namen, den Kontext und (zu) private Informationen ein wenig abgeändert. Außerdem: Leider ist die psychologische Forschung immer noch sehr heteronormativ. Das bedeutet, die meisten Studienergebnisse, die ich dir im Laufe des Buches vorstelle, beziehen sich auf heterosexuelle Männer und Frauen oder auch auf cis-gender-heterosexuelle Paare. Das heißt aber nicht, den Forschenden wäre nicht bewusst, dass es neben Heterosexualität weitere sexuelle Orientierungen gibt und sie die queere Community diskriminieren wollten. In der Wissenschaft herrscht vielmehr größtenteils Einigkeit darüber, dass bis auf vereinzelte geringfügige Unterschiede die Psychologie hinter Dating, Verliebtheit und Liebe bei allen Menschen gleich ist und die Studienergebnisse auch auf andere Beziehungskonstellationen übertragbar sind. Love is love!

Teil 1Nach dem Date ist vor dem Date

To Tinder or not to Tinder, das ist hier die Frage

Es war der dritte Tag der Erstiwoche, der Einführungswoche für die Erstsemester der Uni Osnabrück, und mein achter Tag in dieser neuen, im Vergleich zu Berlin ziemlich kleinen, aber doch sehr schönen Stadt. Ein paar meiner zukünftigen Kommilitoninnen und ich saßen im Lieblings Kaffee, einem Laden direkt am Domplatz unseres neuen Zuhauses, nippten an Milchkaffees und aßen Waffeln mit heißen Kirschen.

«Ich bin später noch verabredet, komme aber vielleicht nach», sagte ich entschuldigend, als die Mädels am Tisch den Plan schmiedeten, am Abend erst in kleiner Runde vorzuglühen und danach feiern zu gehen. «Er heißt Johannes, und wir haben uns vor ein paar Tagen beim, äh … Bäcker kennengelernt.» Die anderen sahen mich erwartungsvoll an. «Ich hatte nicht genug Kleingeld dabei, und … ja, da hat er mir ausgeholfen, voll nett», stammelte ich, als Katharina mich ein bisschen irritiert fragte, mit wem ich denn verabredet sei und wo ich denn so schnell jemanden kennengelernt hätte. Dass ich Johannes, bevor die Erstiwoche überhaupt losging, schon zwei Mal getroffen hatte, behielt ich lieber für mich. Katharina und ich waren zu dem Zeitpunkt die einzigen beiden Singles in der Runde. Ach, was sage ich, die einzigen beiden Singles im Studiengang. So hat es sich zumindest angefühlt.

Ich lud Johannes abends zu mir in meine Dreißig-Quadratmeter-Dachgeschosswohnung ein, wir kochten Pasta und landeten irgendwann im Bett. Das war das erste Mal, dass ich mit jemandem Sex hatte, mit dem ich nicht fest zusammen war. Ich war 21, fühlte mich frei, draufgängerisch und furchtbar erwachsen. Zumindest so lange, bis er fluchte, weil das Kondom gerissen war, und mir auffiel, dass die Pille, die ich am Morgen hätte nehmen sollen, noch in der Packung steckte. Shit. Natürlich malte ich mir gleich aus, wie es wohl wäre, als alleinerziehende Mutter zu studieren. Johannes, die Ruhe in Person, versuchte, mich zurück ins Bett zu ziehen und mich davon zu überzeugen, dass alles halb so wild sei. Keine gute Kombination! «Entspann dich, Prinzessin! Du holst dir morgen einfach die Pille danach, und gut ist.» Ja, das waren seine Worte. Ich wusste zwar, dass er recht hatte, aber sein lapidarer Kommentar war zu viel für mich. Als er dann noch glaubte, mir verkünden zu müssen, dass ihm das Gleiche schon mal mit seiner Ex-Freundin passiert sei, war der Abend für mich gelaufen. Er machte sich auf den Heimweg, und ich löschte Lovoo von meinem Handy.

Dass Johannes und ich uns nicht beim Bäcker kennengelernt hatten, sondern auf einer Dating-App, habe ich meinen Kommilitoninnen, die über die Jahre zu sehr guten Freundinnen geworden sind, bis heute nicht erzählt. Mir fiel es damals nicht leicht, sie anzulügen, ganz im Gegenteil. Aber die kleine Notlüge kam mir weniger schlimm vor, als zuzugeben, dass ich auf einer Dating-App unterwegs war.

Als ich im Oktober 2013 für mein Psychologiestudium von Berlin nach Osnabrück zog, war Online-Dating noch lange nicht so verbreitet und sozial akzeptiert wie heute. Das war damals nur etwas für, ich zitiere mein Umfeld: «Leute, die im echten Leben niemanden abbekommen» und «Leute, die nur Bock auf eine schnelle Nummer haben». Da ich von den Mädels, die ich zu dem Zeitpunkt gerade mal ein paar Tage kannte, in keine der beiden Schubladen gesteckt werden wollte, hatten Johannes und ich uns eben nicht online, sondern «beim Bäcker» kennengelernt. Andere schienen ähnlich wenig Interesse an Stigmatisierung zu haben: «Wir sagen, dass wir uns im Club über den Weg gelaufen sind, okay?» Solche Formulierungen las ich immer wieder in den Profilbeschreibungen. Ja, lass uns einfach Club oder Bäcker sagen, Hauptsache, nicht online.

 

Heute ist alles anders. Online-Dating ist in den letzten Jahren zu einem regelrechten Trend geworden, und halb Berlin ist tapeziert mit riesigen Werbeplakaten, die Lust auf die unterschiedlichsten Dating-Apps machen sollen. «Date jemanden, der genauso romantisch ist wie du!» steht zum Beispiel in großen weißen Buchstaben auf Werbeplakaten der Dating-App OkCupid. Tinder ist da unromantischer unterwegs und versucht, die Berliner:innen mit dem Slogan «Single macht, was Single will» oder «Single küsst, wen Single küsst» zu catchen und auf die App zu locken. Mittendrin im (Online-)Dating-Dschungel: meine Single-Freundinnen und ich. Drei von uns vier sind längst auf Dating-Apps unterwegs, und auch wenn meine Freundin Marie es nicht hören will, bin ich mir ziemlich sicher, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis auch sie resigniert und sich auf einer Dating-App anmeldet. Bisher beharrt sie zwar noch auf ihrer Meinung, dass Online-Dating nichts für sie sei und ihr so «ganz klassisch im echten Leben» schon noch ein Traumtyp über den Weg laufen werde. Wenn Paula, Hanna und ich ihr von unseren Dates mit den Typen erzählen, die wir online kennenlernen, kommt sie aber ins Grübeln, ob sie es nicht doch mal versuchen sollte. Schließlich seien ja offenbar doch «ganz normale Menschen» auf den Dating-Apps aktiv. Und auch die Tatsache, dass immer mehr Personen aus unserem Umkreis ihre:n Partner:in online kennenlernen, scheint sie langsam, aber sicher zu überzeugen. I mean, let’s face it: Online ist das neue klassisch!

Ich liebe es, mich mit meinen Single-Freundinnen über unsere Dates auszutauschen, und bin froh, dass Online-Dating heute kein Tabuthema mehr ist. Es ist bei uns fast schon Tradition, dass wir nach einem Date gemeinsam lachen, uns füreinander freuen, weinen und, das kommt auch ab und zu vor, Typen gedanklich auf den Mond schießen. Außerdem gibt es zwischen uns eine Art unausgesprochene Vereinbarung, dass wir uns gegenseitig Profile von Männern schicken, von denen wir denken: Hey, der Typ, der könnte meiner Freundin gefallen.

Dass Online-Dating boomt, zeigt sich nicht nur anhand der zahlreichen Dating-Apps, die man sich heute mit nur wenigen Klicks aufs Handy laden kann, sondern auch an den Ergebnissen einer Umfrage von 2020. Demnach haben schon 28 Prozent der Erwachsenen in Deutschland Erfahrungen mit Online-Dating gemacht. Das mag vielleicht nicht nach viel klingen, man muss aber bedenken, dass an der Umfrage nicht nur Singles teilgenommen haben, sondern auch Personen, die seit Jahren in festen Beziehungen oder verheiratet sind und somit nie zu Zeiten von Online-Dating auf der Suche nach einer Beziehung waren. Unter diesem Gesichtspunkt ist es schon bemerkenswert, dass mehr als jede vierte Person auf den Dating-Apps aktiv war. 64 Prozent der Nutzer:innen auf den Dating-Apps weltweit sind dabei männlich und 36 Prozent weiblich. Dieses Geschlechterungleichgewicht könnte ein Grund dafür sein, warum man es als heterosexuelle Frau potenziell leichter hat als ein heterosexueller Mann, online zu daten. Schließlich kommen auf jede Frau fast zwei Männer, aber auf jeden Mann nur eine halbe Frau. Dafür, dass es häufig mal heißt, Online-Dating funktioniere nicht, sind Nutzer:innen auf den Dating-Apps recht erfolgreich, zumindest wenn sich Erfolg dadurch definiert, dass die Nutzung der Dating-Apps zu einer Affäre oder einer Beziehung führt. Im Rahmen einer anderen Umfrage von 2020 haben fast 50 Prozent der Befragten angegeben, auf den Plattformen einen festen Partner oder eine feste Partnerin und/oder einen «erotischen Kontakt» gefunden zu haben. Und von den Personen, die in Deutschland in einer frischen Beziehung sind, berichteten ebenfalls die meisten (43 Prozent), dass sie ihre:n jetzige:n Partner:in online kennengelernt hätten, gefolgt von einem Kennenlernen über den Freundes- und Bekanntenkreis (31 Prozent) und beim Ausgehen (neun Prozent).

Bevor ich angefangen habe, für dieses Buch zu recherchieren, war ich der festen Überzeugung, dass bis auf ein paar schwarze Schafe – die gibt es schließlich immer – die große Mehrheit auf Dating-Apps single wäre. Warum sollte man auch sonst auf einer Dating-, und die Betonung liegt auf Dating, App unterwegs sein? Laut einer repräsentativen Studie der Universität Flensburg von 2020 ist aber nur ungefähr die Hälfte der User:innen zwischen 18 und 27 Jahren auf Tinder single. Die Hälfte! Die anderen Nutzer:innen sind entweder in einer festen Partnerschaft (47 Prozent) oder in einer offenen Beziehung (zwei Prozent). Sorry, aber, what the fuck?

Die Frage ist: Was suchen die ganzen Nicht-Singles auf den Dating-Apps? Diese Frage haben sich auch die Wissenschaftlerinnen Elisabeth Timmermans und Elien De Caluwé gestellt und im Rahmen einer Studie von 2017 untersucht, aus welchen Gründen Menschen tindern.

Ich nutze Dating-Apps ja hauptsächlich für die Beziehungssuche, um Männer kennenzulernen, sie zu daten und in ihnen im besten Fall langfristig meinen Partner in Crime zu finden. Auf unverbindliche One-Night-Stands oder Sexbekanntschaften bin ich nicht aus, so wie viele andere Nutzer:innen, die auf Tinder aktiv sind, um sexuelle Erfahrungen zu sammeln. Allerdings habe ich Tinder schon aus Gründen der Geselligkeit genutzt, um Leute kennenzulernen und eine gute Zeit mit ihnen zu haben, ohne sexuelle oder romantische Hintergedanken. Ich habe während meines Psychologiestudiums zum Beispiel für einige Wochen in England und in Australien ein Forschungspraktikum absolviert und dort über Tinder Anschluss zu den Einheimischen gefunden. Auch meine Freundin Hanna nutzt Tinder regelmäßig, um auf ihren Reisen Locals nach Tipps zu fragen, wo es zum Beispiel das leckerste landestypische Essen in der Umgebung gibt oder wo an dem Abend die beste Party steigt. Sie sagt, das sei besser als jeder Reiseführer. Laut der offiziellen Homepage von Tinder ist die App in 190 Ländern und mehr als 40 Sprachen verfügbar. Warum sollte man diese Möglichkeit also nicht nutzen, um andere Reisende und Locals kennenzulernen und sich Tipps von ihnen einzuholen? Mit eigentlichem Dating hat das allerdings nichts zu tun, genauso wenig wie die Suche nach Bestätigung auf Tinder. Im Rahmen der Studie von 2017 hat sich nämlich herausgestellt, dass die Nutzer:innen teilweise nur für diesen Ego-Boost, den wir wahrscheinlich alle kennen, auf Tinder unterwegs sind. Es gibt ihnen ein gutes Gefühl, ein Match zu haben und Aufmerksamkeit in Form von Nachrichten zu bekommen, ehrliches Interesse an Dating haben sie jedoch häufig nicht. Auch die reine Neugierde treibt viele Leute auf Tinder. Sie wollen herausfinden, was es mit Tinder auf sich hat, wer in ihrer Umgebung auf der App aktiv ist, und laden sich aus diesem Grund die Dating-App auf ihr Handy. Sie wollen den Hype um Tinder und Co. verstehen und die App einfach mal ausprobieren – auch in diesem Fall häufig ohne Hintergedanken. Kennst du dieses Swipen aus Langeweile oder zum Zeitvertreib? Es gab Phasen, in denen habe ich in jeder freien Minute die Tinder-App geöffnet und mich durch die verschiedenen Profile geswipt. Gar nicht mal so sehr, weil ich ernsthaft Lust darauf hatte, jemanden kennenzulernen, sondern weil es Spaß macht und weil die Zeit mit Tindern relativ schnell vergeht. Ich habe schon häufiger meine S-Bahn Station verpasst, weil ich so vertieft in das Dating-Game war. Und auch um sich vor so lästigen Aufgaben wie zum Beispiel der Klausurvorbereitung, der Steuererklärung oder der Büroarbeit zu drücken, wird laut der Studie von 2017 Tinder von Nutzer:innen geöffnet. Die einen prokrastinieren, indem sie sich stundenlang Katzenvideos auf Instagram anschauen, andere swipen sich auf Tinder die Finger wund, um sich von der Arbeit abzuhalten. User:innen drücken sich mit Tinder aber nicht nur vor der Arbeit. Während ich nach dem Korb von Micha erst mal die Schnauze gestrichen voll von Online-Dating und Dating im Allgemeinen hatte, nutzen andere Tinder, um über die Ex-Beziehungen hinwegzukommen und sich vom Liebeskummer abzulenken. Wie oft haben mich auf den Dating-Apps schon Nachrichten mit der Info erreicht, dass Person XY gerade frisch getrennt und auf Tinder nur auf der Suche nach Ablenkung und Zerstreuung sei. Ich schätze deine Ehrlichkeit, aber nein danke!

Was meine Freundin Marie zuletzt wahrscheinlich dazu treiben wird, eine Dating-App zu nutzen, ist der Druck von außen und eine Art Gruppenzwang. Schließlich bekommt sie fast wöchentlich von uns zu hören, dass sie sich endlich anmelden solle, und langsam, aber sicher ist sie, dank der Corona-Pandemie, in der es ja fast unmöglich war, offline jemanden kennenzulernen, fast die Letzte aus ihrem Umfeld, die noch nicht online datet. Der Druck von außen und das Bedürfnis nach Zugehörigkeit wurden ebenfalls im Rahmen der Studie als Gründe genannt, Online-Dating zu betreiben, genauso wie der Wunsch, zu flirten und sich mit Leuten zu connecten, die die gleiche sexuelle Orientierung haben.

Ich habe über Tinder bereits tolle Menschen kennengelernt und hatte außergewöhnliche, seltsame, absurde und teils ziemlich verrückte Dates mit den unterschiedlichsten Männern. Ich bin zum Beispiel für ein erstes Date von Schweden aus nach Spanien geflogen, habe einen Arzt kennengelernt, mit dem ich so überhaupt keine Verbindung aufbauen konnte, und direkt bei einem ersten Date vor einem Typ, den ich erst ein paar Tage zuvor bei Tinder kennengelernt hatte, einen Seelenstriptease hingelegt. Aber dazu mehr im zweiten Teil des Buches.

Seitdem ich die Studie über die verschiedenen Motive der Nutzer:innen auf Tinder gelesen habe, sehe ich Dating-Apps allerdings in einem neuen Licht. Auf Tinder & Co. sind wir Menschen auf so viel mehr auf der Suche als nach dem nächsten Date. Plötzlich ergibt alles Sinn: die zahlreichen Matches in meinem Tinder-Profil, bei denen es nie über diese kurze «It’s A Match!»-Euphorie hinausging, weil meine Kontaktversuche (selbst ist die Frau!) nie beantwortet wurden. Und die vielen angeregten Chats, wenn es denn zu einem Nachrichtenaustausch kam, die bei dem Vorschlag meinerseits, das Gespräch bei einem Späti-Getränk weiterzuführen, abgebrochen oder mit einem «Hey, da gibt es etwas, das du wissen solltest» quittiert wurden. Ich habe solche Reaktionen lange eher auf mich bezogen, dachte, dass ich irgendwas «Falsches» geschrieben, die andere Person mich vielleicht aus Versehen nach rechts statt links gewischt hatte oder mich niemand kennenlernen wollte. Ganz klar, das wird zum Teil sicher zutreffen. Aber wenn man bedenkt, dass viele Menschen auf Dating-Apps aktiv sind, ohne die Absicht zu verfolgen, jemanden kennenzulernen, ist es gar nicht so verwunderlich, dass aus vielen Matches und Online-Bekanntschaften niemals Begegnungen im Offline-Leben werden. Auf der einen Seite freut sich mein angekratztes Dating-Ego über diese Erkenntnis, auf der anderen Seite bin ich genervt. Schließlich bedeutet das auch, dass man genau wie im Offline-Leben auch auf Dating-Apps erst mal abklopfen muss, ob die Person single, vergeben oder vielleicht sogar verheiratet ist. Irgendwie hatte ich gehofft, dass die App einem diese lästige Detektivarbeit abnehmen würde.

Tell me what you want, what you really, really want!

Ich war beruflich in München unterwegs und hatte am ersten Abend Natalie und Anton im Vorhoelzer Forum auf der Dachterrasse der TU München kennengelernt. Ich war alleine dort und hatte mich, als die dunklen Wolken am Himmel immer näher kamen und der Donner nicht mehr zu überhören war, neben die beiden unter das Vordach gesetzt. Natalie und Anton wirkten wie zwei gute alte Freund:innen, die sich lange nicht gesehen hatten.

«Hey, das Buch habe ich auch gelesen», kommentierte Natalie, als ich «Everything I Know About Love» von Dolly Alderton beiseitelegte, um die neuen Nachrichten auf meinem Handy zu checken. Natalie, Anton und ich kamen ins Gespräch, teilten uns die Kirschen, die ich eigentlich fürs Frühstück gekauft hatte, und rannten am Ende zu dritt durch den strömenden Regen zur nächsten U-Bahn-Station. Was ich nicht wusste: Natalie und Anton waren gar keine guten alten Freunde, sondern hatten gerade ihr erstes Tinderdate – und ich hatte es aus Versehen gecrasht.

In den nächsten Tagen traf ich mich noch zweimal mit Natalie. Einmal auf einen Gin Tonic auf ihrem kleinen Balkon in der Münchener Innenstadt und einmal im Soda, einer Bar in der Türkenstraße, auf eine große Maracujasaftschorle. Beide Male redeten wir fast ausschließlich über Dates – und unverbindlichen Sex.

Ich selbst habe mich noch nie mit jemandem verabredet, der mir schon durch anzügliche Nachrichten signalisiert hat, dass er unverbindlichen Sex sucht. Ich habe Booty Calls, getarnt als unschuldige «Na, was machst du gerade?»-Nachrichten, die gegen Mitternacht auf meinem Sperrbildschirm aufploppen, bisher mit einem «Ich lege mich jetzt in Seesternposition in die Mitte von meinem Bett und höre Bibi Blocksberg zum Einschlafen» beantwortet. Von den meisten Männern habe ich danach nie wieder etwas gehört. Auf Bibi Blocksberg ist Verlass.

Ich finde es völlig okay, wenn Leute Dating-Apps nutzen, um Sexbekanntschaften zu machen, keine Frage, aber für mich ist das nichts. Sex ist für mich etwas sehr Intimes, von dem ich mir bisher nicht vorstellen kann, es mit jemandem zu teilen, zu dem ich kaum eine Verbindung habe. Natalie kommentierte an dem Abend zwischen zwei Schluck Gin Tonic, dass ich viel zu romantisch für Online-Dating sei und es bei vielen Tinder-Dates doch so oder so auf unverbindlichen Sex hinauslaufen würde. Ergebnisse einer Studie von 2018 zeigen, dass Natalie mit ihrer Einschätzung gar nicht so unrecht hat. Ganz klar, Tinder ist definitiv mehr als «nur» eine Sex-App, aber trotzdem berichtet in der Studie jede fünfte Person, mindestens schon einmal einen One-Night-Stand mit einem Tinder-Match gehabt zu haben. Und sogar jede dritte Person gibt an, sich schon mindestens einmal mit einem:einer anderen User:in über einen längeren Zeitraum für unverbindlichen Sex getroffen zu haben. Dabei berichten Frauen in der Studie im Durchschnitt häufiger von Sex mit Tinder-Matches als Männer. Als ich das las, dachte ich mir nur: Wait, what? Sind nicht Männer eher diejenigen, die auf unverbindlichen Sex auf den Dating-Apps aus sind? Schließlich haben sie doch laut einem ziemlich weit verbreiteten Mythos einen viel stärkeren Sexualtrieb als Frauen und denken alle sieben Sekunden an Sex.

Auch wenn ich als Psychologin mit wissenschaftlicher Ausbildung nicht recht nachvollziehen kann, warum sich dieser Mythos so hartnäckig hält – schließlich würde das bedeuten, dass Männer fast ausschließlich an Sex denken, und ganz so triebgesteuert schätze ich sie dann doch nicht ein –, frage ich mich, ob nicht doch ein Fünkchen Wahrheit in diesem Mythos steckt.

Der amerikanische Wissenschaftler Terri Fisher und seine Forschungsgruppe haben im Rahmen einer Studie von 2012 Versuchsteilnehmer:innen gebeten, eine Woche zu zählen, wie häufig sie an Sex, Essen oder Schlaf denken. Die Ergebnisse zeigen, dass Männer etwas häufiger an Sex denken als Frauen. Allerdings dachten Männer auch häufiger an Essen und Schlafen. Also ja, die Gedanken von Männern kreisen in der Studie tatsächlich öfter um Sex als die von Frauen, aber sie denken auch insgesamt mehr an ihre eigenen Bedürfnisse. Wie kann man das erklären? Die Wissenschaftler:innen vermuten, es könnte daran liegen, dass Männer mehr auf ihre eigenen Bedürfnisse achten als Frauen. Die Psychologin Terri Conley und ihre Kolleg:innen erklären weiter, Forschung habe gezeigt, dass Männer sozialisiert werden, den Fokus auf sich selbst und die eigenen Bedürfnisse zu legen, während Frauen so sozialisiert werden, dass sie diese häufiger in den Hintergrund stellen.

Bisher bin ich davon ausgegangen: Je häufiger jemand an Sex denkt, desto größer muss auch der Sexualtrieb sein. Aber jetzt, da ich weiß, dass unsere sexuellen Gedanken zu einem gewissen Grad von der Gesellschaft verzerrt sind, frage ich mich, ob Frauen und Männer nicht vielleicht doch einen ähnlich hohen Sexualtrieb haben und Frauen diesen nur seltener oder heimlicher ausleben, weil sie Angst vor Verurteilung haben. Das könnte erklären, warum sie bei einigen anonymen Umfragen durchschnittlich genauso häufig wie Männer angeben, in der Studie von 2018 sogar häufiger, sich schon mal mit einem Tinder-Match zum Sex getroffen zu haben. Schließlich bekommt davon ja niemand etwas mit, wenn man sich über Dating-Apps zum Sex verabredet, mal abgesehen von den jeweiligen Sexpartner:innen. Untersuchungen zeigen, dass der Unterschied zwischen den Geschlechtern in Sachen Sex geringer wird, wenn Frauen sich sicher sind, dass sie für ihr Verhalten nicht verurteilt werden können.

Paula, Hanna und Marie sind so wie ich eher romantisch eingestellt und im Online- und Offline-Leben auf der Suche nach einer festen Beziehung. Es gab aber auch schon wildere Zeiten, in denen Paula Dating-Apps ausschließlich nutzte, um Männer abzuschleppen. «Wenn der Sex gut ist, warum nicht?», lachte sie, als ich sie auf ihre Bettgeschichten ansprach. Sie kam damals gerade aus einer langjährigen Beziehung, hatte das Bedürfnis, sich auszutoben, und genoss es, von verschiedenen Männern gleichzeitig umgarnt zu werden. «Aber immer schön Kondome benutzen, hörst du», erwiderte ich und fühlte mich dabei ein bisschen wie ihre Mutter. Ich freute mich, durch ihre lebendigen und manchmal sehr detaillierten Erzählungen Teil ihrer Abenteuer zu sein.

Der Mythos, dass Männer auf den Dating-Apps nur nach unverbindlichem Sex suchen und Frauen nach der großen Liebe, ist also totaler Quatsch! Wenn du beim Online-Dating nicht auf unverbindlichen Sex aus bist und dich die vorgestellten Studienergebnisse ein wenig verunsichert haben, kann ich dich beruhigen: Insgesamt hat in der Studie von 2018 zwar mehr als ein Drittel der Tinder-Dates zu unverbindlichem Sex geführt, aber auch mehr als 25 Prozent zu einer festen Beziehung. Außerdem spielten die Nutzungsmotive hier eine entscheidende Rolle: Je größer der Wunsch, über eine Dating-App eine Beziehung zu finden, desto seltener auch die One-Night-Stands und die unverbindlichen Sexbeziehungen.

Auf einigen Dating-Apps kann man mittlerweile sogar einstellen, was man auf der App sucht: eine feste Partnerschaft, was Lockeres oder mal schauen, was sich ergibt. In einem ersten Impuls wollte ich sofort einstellen, dass ich jemanden für eine feste Partnerschaft suchte. Ich habe mich dann aber doch für «Mal schauen, was sich ergibt» entschieden. Nicht, weil ich plötzlich Lust auf irgendwelche unverbindlichen Bettgeschichten hatte, sondern weil mir der Gedanke nicht gefiel, schon vor dem ersten Kennenlernen festzulegen, wohin es gehen musste. Ich wünsche mir zwar, dass ich jemanden kennenlerne, der so wie ich auf der Suche nach etwas Festem ist, möchte den Reiz des Anfangs, die Ungewissheit, wohin sich das alles entwickelt, beim Dating aber nicht missen. Und ganz ehrlich, wenn aus einer Online-Bekanntschaft eine Freundschaft entsteht, ist das doch auch super! Männern, die explizit angaben, auf der Suche nach etwas Lockerem zu sein, schrieb ich dennoch erst mal nicht. Wir wollten nicht das Gleiche. Entscheidend ist, dass du dir darüber im Klaren bist, was du willst, wenn du die Dating-App anschmeißt, denn ob unverbindlicher Sex und neue Erfahrungen, Freundschaften oder große Liebe – alles ist möglich! Gar nicht so anders als im Offline-Leben.

Fake it, till you make it? Ein Plädoyer für die ungeschminkte Wahrheit

Ich hatte die Dating-Apps seit dem Korb von Micha nicht mehr geöffnet und mich komplett in meine Arbeit vertieft. Ich liebe es, Skripte für meine psychologeek-Videos zu schreiben und mit meinem Kameramann Benni die Videos in unserem kleinen Studio im Souterrain eines Wohnhauses in der Nähe des Treptower Parks aufzunehmen. Der Gedanke, dass ich mit meinen Videos zu psychischen Erkrankungen so viele Menschen erreiche und einen Beitrag im Kampf gegen die Stigmatisierung von psychisch erkrankten Menschen leisten kann, lässt mein Herz höher schlagen. Normalerweise erzählte ich Benni bei den Drehs regelmäßig von meinem Dating-Leben, aber in den letzten Wochen genoss ich es, mal nichts zu berichten zu haben. Die Gespräche mit Natalie und die Tatsache, dass ich aus Versehen ihr Tinder-Date in München gecrasht hatte, weckten in mir allerdings die große Lust, doch wieder jemanden kennenzulernen. Jemanden, mit dem ich mir den ersten Kaffee des Tages an dem wackeligen Holztisch an meinem Küchenfenster, in das morgens die Sonne reinscheint, teilen konnte. Jemanden, der mir Lieder schickt, von denen er denkt, dass sie mir gefallen könnten, und mich am Ende des Tages fragt, was ich Schönes erlebt habe. Jemanden, der bleibt, und das nicht nur für ein paar gemeinsam verbrachte Dates, sondern bestenfalls für immer. Ich wollte das, was Benni mit seiner Frau hatte, und auch er wünschte mir von Herzen, dass ich einen passenden Männer-Fang machte. Nachdem ich ihm bei einem Dreh von dem Korb von Micha erzählt hatte, schrieb er mir bei WhatsApp Folgendes:

Benni: Ich habe auf der Rückfahrt gedacht, dass ich dir wünsche, dass dir der Mann über den Weg läuft, mit dem du ein wunderbares Date hast. Und der danach nicht mit der Situation überfordert ist. Du hast es so was von verdient!

Wie recht er hatte. Ich hatte es, so wie alle, die sich eine Beziehung wünschen, wirklich verdient. Diesmal wollte ich es aber anders angehen, irgendwie bewusster und nicht wie bisher einfach so ohne Plan drauflosdaten. Gar nicht so einfach, wie sich in den nächsten Tagen und Wochen herausstellen würde.

Auf der sechsstündigen Zugfahrt von München zurück nach Berlin und weiter nach Hamburg nahm ich mein Dating-Profil etwas genauer unter die Lupe. Was ich online gestellt hatte? Natürlich nur die vorteilhaftesten Bilder von mir, und bis auf die Angabe meiner Größe, 1,78 Meter, und einem halb lustig, halb ironisch gemeinten «What’s cookin’, good lookin’?», gefolgt von diesem Pasta-Emoji, stand kein einziges weiteres Wort über mich in der Kurzbeschreibung. Mein Profil war, wie wahrscheinlich die meisten Profile auf Dating-Apps, ein klarer Fall von selektiver Selbstdarstellung: Ich gab nur ausgewählte Informationen über mich preis. Ich wollte lustig, locker und attraktiv wirken und präsentierte mich auf den Fotos von meiner Schokoladenseite. Wenn man meine Bilder sah, hätte man annehmen können, dass ich 24/7 in der Weltgeschichte unterwegs war, superviel Spaß beim Essen hatte (Der Witz, den die Pizza erzählt hat, war aber auch lustig! … nicht), immer zurechtgemacht war und mindestens drei Kilogramm weniger wog als mein Offline-Ich. Dass ich die meisten Tage ungeschminkt und in meiner grauen Frottee-Schlafanzughose mit pinken Sternchen vor dem Laptop hockte und arbeitete, seit Wochen nicht mehr beim Sport geschweige denn auf Reisen gewesen war (danke, Corona!), das konnte man von meinem Tinder-Profil nicht ablesen. Bei Hanna und Paula sah es ganz ähnlich aus. Etwas widerwillig zeigten sie mir ihre Tinder-Profile und siehe da: Auch sie hatten nur die schönsten Bilder von sich hochgeladen. Von Pickeln, Cellulite, Fettröllchen und Alltag fehlte auch auf ihren Profilen jede Spur. Das einzige authentische Bild war das von Paula, wie sie der Kamera selbstbewusst einen Stinkefinger zeigte und dabei herzlich lachte. Auf dem Dating-Profil meines besten Freundes entdeckte ich vor ein paar Jahren sogar ein Bild von uns beiden am Strand in Kalifornien, als er mich damals in San Francisco besuchte. Das Bild war zu dem Zeitpunkt bestimmt schon fünf oder sechs Jahre alt. Zu seiner Verteidigung muss ich allerdings einwenden, dass er sich optisch, bis auf die Frise, in den letzten Jahren kaum verändert hat.

Im Rahmen einer Studie von 2011 erklärten Forscher:innen, dass man die Profile auf den Dating-Portalen nicht als die tatsächliche Darstellung der Person verstehen dürfe, sondern als eine Art Versprechen. Ein Versprechen darauf, wer die Person hinter dem Profil sein könnte. Fake it, till you make it, sozusagen. Was glaubst du, wer macht häufiger Gebrauch von solchen Beschönigungen bei Fotos? Männer oder Frauen? Du kannst es dir bestimmt schon denken: Frauen. Zu dieser Erkenntnis ist zumindest eine Studie von 2009 gekommen. Die Fotos von Frauen wurden durchschnittlich als weniger zutreffend bewertet, da sie häufiger ältere und bearbeitete Fotos einstellten, als das bei Männern der Fall war. Ich muss aber sagen, dass ich auch schon Typen gedatet habe, die auf ihren Fotos anders, meistens besser, aussahen als im Real Life.

Es gibt noch weitere Geschlechtsunterschiede: Wenn du dir die Fotos auf den Dating-Profilen mal genauer anschaust, fällt dir vielleicht auch auf, dass Frauen auf ihren Profilbildern durchschnittlich häufiger lachen als Männer und Frauen sich auf den Bildern eher klein machen, während Männer auffällig aufrecht stehen.

Ganz ehrlich, hier fühle ich mich ein wenig ertappt. Auch ich halte mein Handy immer ganz schön hoch, um von weiter oben ein Selfie zu machen. Ich finde, dass ich aus diesem Blickwinkel attraktiver und wahrscheinlich auch kleiner aussehe. Sozialisation lässt grüßen! Das, und dass ich für eine Frau relativ groß bin, könnte übrigens auch der Grund sein, warum ich bei einem ersten Date ab und zu mit einem «Boah, du bist in echt ja viel größer, als ich dachte, krass» begrüßt wurde – jedenfalls bevor ich meine Größe ins Profil geschrieben habe. Joa, ist auch schön, dich zu sehen! Auf der anderen Seite habe ich aber auch schon mal jemanden online kennengelernt, von dem ich mir sicher war, dass er mindestens ein paar Zentimeter größer sein würde als ich. Auf seinen Bildern wirkte er nämlich riiiiesig. Als beim ersten Date dann plötzlich ein gerade mal 1,70 Meter großer Mann vor mir stand, habe ich ganz schön irritiert aus der Wäsche geschaut. Auch wenn ich in dieser Situation mal wieder feststellte, dass ich eigentlich auf größere Typen stehe, habe ich uns eine Chance gegeben. Schließlich ist Größe ja nicht alles. Mein Onkel ist zum Beispiel auch ein gutes Stück kleiner als meine Tante, und die sind überglücklich zusammen. Wir haben uns dann ein paarmal getroffen und waren sogar gemeinsam für ein spontanes Wochenende in Barcelona. So richtig wohl habe ich mich neben ihm allerdings nicht gefühlt, unabhängig davon, dass unsere Persönlichkeiten auch nicht so ganz harmonieren wollten. Ich mag es, einen großen Mann an meiner Seite zu haben, bei dem ich mich «sicher» fühle, auch wenn es vielleicht komisch klingt. Seitdem frage ich geradeheraus nach, wie groß die Männer sind, mit denen ich auf Dating-Apps schreibe, wenn sie ihre Größe nirgends angegeben haben. Ich weiß ja jetzt, was ich will.

Keine Ahnung, wie es dir geht, aber ich bin mir nicht ganz sicher, was ich von dieser selektiven Selbstdarstellung auf Dating-Apps halten soll. Auf der einen Seite eröffnet sich dadurch die Chance, sich ganz bewusst so attraktiv wie nur irgendwie möglich darzustellen und den bestmöglichen ersten Eindruck bei anderen zu hinterlassen, was ja erst mal nicht verkehrt ist. Außerdem finde ich es cool, dass durch die Fotos und die Beschreibung schon ein gewisser Teil der Persönlichkeit hinter dem Profil aufscheint – auch und gerade weil die Informationen ganz bewusst ausgewählt sind. Leute, die über mein Profil stolpern, wissen sofort: Okay, Pia, 29, aus Berlin, reist gerne (und freut sich über Pizza). Auf der anderen Seite wirkt diese selektive Selbstdarstellung auf mich inzwischen zu inszeniert, irgendwie fake. Die Person, die ich auf meinem Profil präsentiere, bin zwar irgendwo ich, aber mein Leben ist längst nicht immer so spaßig und abenteuerlich, wie es auf den Fotos aussieht. Und von meiner Schokoladenseite bekommt man mich eigentlich auch eher selten zu sehen. Das Foto, das ich letztens von mir geschossen habe, als ich aus Versehen durch einen Wisch die Selfie-Kamera auf meinem Handy angeschmissen habe, würde hier definitiv besser passen. Aber verschrecken wollte ich die Männer auf den Datings-Apps ja auch nicht.