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Eine Frauenleiche ohne Kopf wird in der Region Neusiedl am See am Hackelsberg gefunden. Ein schwieriger Fall für Chefinspektor Frank Unterreiner und Bezirksinspektor Sigmund Kasper. Wird es bei der einen Leiche bleiben oder handelt es sich um eine Mordserie? Frank Unterreiner ist ein erbarmungsloser, beinharter Ermittler mit untrügerischem Instinkt. Gemeinsam mit seinem unerfahrenen, aber gutmütigen und fleißigen Kollegen bildet er ein hervorragendes Ermittlerteam.
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Seitenzahl: 111
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Jagdfreunde
Ein Burgenland-Krimi
von Werner Köhler
Alle Personen und Ereignisse in diesem Roman sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen oder mit tatsächlichen Ereignissen wären also rein zufällig.
Er stapfte schwerfällig durch den Schnee und zog einen, mit einem großen, hellen Bündel beladenen Schlitten hinter sich her, die Hände auf dem Rücken. Die Schneeflocken waren so groß und dicht, dass man kaum die eigene Hand vor dem Gesicht erkennen konnte. Es hatte erstmals in diesem Winter Minusgrade und der See würde zufrieren. Er musste sich beeilen und bahnte sich auf dem vertrauten Pfad zum See, neben dem mannshohen Schilf den Weg zur Hütte, deren Umrisse langsam erkennbar wurden.
Vor der Eingangstür hob er das mit Bettlaken eingewickelte Bündel vom Schlitten und sperrte das Schloss zitternd, mit klammen Fingern auf. Das Knarren der Tür war angesichts des Schneesturms kaum zu hören. Das Innere der Hütte war in der Dunkelheit nicht zu erkennen, ein gähnendes schwarzes Loch.
Er schob das Bündel mit einem Ruck durch die Tür und schloss diese hinter sich.
Er betätigte den Lichtschalter und es offenbarte sich eine schlichte Seehütte in Pfahlbauweise, wie sie rund um den Neusiedlersee häufig zu finden waren. In der Mitte der Hütte stand ein Holztisch vollgeräumt mit Essensresten und halbvollen Gläsern, dazu zwei Stühle und eine Holzbank mit blauweiß karierten Auflagen.
Jetzt im Licht zeigte sich auch die Gestalt des Mannes. Er war überdurchschnittlich groß, kräftig und hatte bereits graue Haare mit starken Geheimratsecken. Sein Gesicht war kantig, mit schmalen Lippen und etwas heruntergezogenen Mundwinkeln. Die Augen waren tiefblau und ohne Ausdruck, kalt wie die eines Grönlandhais.
Der Mann begann das verschnürte Bündel zu entwirren. Als die darin eingewickelte Leiche einer Frau zum Vorschein kam, verzerrte sich sein Gesicht zu einer hämisch grinsenden Fratze.
Die Augen der toten Frau waren halb geöffnet, ihr Gesicht war grau, die blonden Haare klebten an ihrer Stirn. Sie war etwa 30 Jahre alt.
Der Mann zog ein Bowiemesser und begann sein grausiges Handwerk. Er trennte mit mehreren gewaltigen Schnitten den Kopf der Frau vom Rumpf. Danach wickelte er den Kopf der Toten in ein kleineres Laken, das Bündel mit dem Rumpf verschnürte er wieder fest.
Nachdem er die Tür zum Steg geöffnet hatte, zog er das Bündel mit dem Rumpf hinaus und warf es in den See. Die nur millimeterdicke Eisdecke zerbrach und nach einiger Zeit ging das Bündel unter.
Er reinigte den Boden in der Hütte mit Essigwasser und trug den in ein Laken eingewickelten Kopf der Frau wieder zum Schlitten hinaus. Die Hütte ließ der Mann unversperrt. Er zog den Schlitten mit dem Kopf einige hundert Meter und warf diesen schließlich mit einer Kreiselbewegung in das Schilf. Den Schlitten stieß er mit dem Fuß ebenfalls in das Schilf und machte sich ohne Eile auf den Weg in die Dunkelheit.
Das Schneetreiben hatte aufgehört und erst jetzt konnte man erkennen, dass der Mann sein rechtes Bein beim Gehenstark nachzog.
In den nächsten drei Wochen war es bitterkalt und der Neusiedlersee wurde von einer dicken Eisschicht überzogen. Eisläufer tummelten sich täglich zu Hunderten auf dem See.
Es würde bis zum Frühjahr dauern, bis die Leiche der Frau gefunden werden würde. Vielleicht wird sie aber auch nie gefunden. Es gibt angeblich dutzende Leichen, verborgen im Schilf des Sees.
Es war halb fünf Uhr morgens, als Franks Handy minutenlang ununterbrochen auf dem Nachttisch neben dem Doppelbett vibrierte.
„Geh doch endlich ran!“
Lisa stieß ihren Mann am Ellenbogen unsanft an, drehte sich wieder auf ihre Seite und zog die Decke über ihren Kopf.
Chefinspektor Frank Unterreiner setze sich auf und blickte benommen und verständnislos auf sein Diensthandy, als ob er nicht bis drei zählen konnte. Ein Glück, dass ihn so niemand im Dienst zu sehen bekam.
Als er wieder bei sich war, nahm er den Anruf an und sagte nur mit verlegter Stimme:
„Unterreiner, was gibt’s?“
„Morgen Chef. Zwei Geocacher haben eine Leiche ohne Kopf am Hackelsberg gefunden!“
Bezirksinspektor Sigmund Kasper schrie fast vor Aufregung, sodass Frank Unterreiner sein Handy kurz etwas vom Ohr weghalten musste.
„Was, mitten in der Nacht, ist heute der 1. April?
Was heißt überhaupt Geocacher?“
Frank hatte schon davon gehört, im Freundeskreis gingen durchaus der eine oder andere diesem Hobby nach. Er stellte die Frage trotzdem bewusst, um Zeit zu gewinnen und seinen Kreislauf in Schwung zu bringen. Es war gestern spät geworden.
„Geocaching ist so eine Art moderne Schatzsuche mit GPS-Gerät. Wenn man den Schatz, meistens eine kleine Dose, gefunden hat, muss man sich in ein Logbuch eintragen, als Beweis für den Fund quasi. Die beiden Geocacher waren mit UV-Lampen unterwegs und haben einen Nachtcache gesucht, als sie die Leiche entdeckt haben.“
Bezirksinspektor Kasper zeigte sich überaus dienstbeflissen.
„Aha. Danke Kollege. Und der Kopf?“
Frank Unterreiner war jetzt hellwach.
„Haben wir noch nicht gefunden.“
Der Bezirksinspektor antwortete etwas kleinlaut.
„Ich bin in 15 Minuten da.“
Der Chefinspektor legte auf und sagte fast flüsternd zu seiner Frau:
„Eine Leiche, ich muss los.“
Er ging raschen Schrittes ins Badezimmer.
Sein Gang war überhaupt sehr eigentümlich, eine Mischung aus energischem Marschieren und einem wankenden Seemannsgang.
Sein Körper wog sich beim Gehen nämlich wie ein Schiff am offenen Meer seltsam hin und her. Dennoch ging er so schnell, dass die meisten Menschen kaum Schritt halten konnten.
Im Büro nannten ihn alle Kollegen aufgrund dieser Eigenart nur „der Marschierer“.
Sein 15-jähriger Sohn schlief noch tief und fest in seinem Zimmer. Man konnte die Atemgeräusche deutlich hören.
Er war ein toller Bursche, aber Mitten in der Pubertät und das machte doch das Leben unnötig schwer. Sein Gesichtsausdruck bewegte sich zwischen Langeweile, Zorn und Trauer.
Frank nahm noch einen Schluck Kaffee und fuhr los zum Kirchberg. Er hatte es diesmal nicht weit, da sie in Winden am See wohnten.
Nach dem Tod seines Vaters vor fünf Jahren waren sie in das Haus mit Seeblick gezogen und er hatte sich zur Landespolizeidirektion Burgenland versetzen lassen.
Niemand verstand diese Entscheidung damals, war er doch in Wien ein aufsteigender Stern am Inspektoren Himmel, aber er war nun mal ein Freigeist und kein Karrieremensch. Hier im Burgenland fühlte er sich wohl, anerkannt und sicher. Es gab keine Konkurrenten, die ständig danach trachteten, ihm das eine oder andere Hackl ins Kreuz zu werfen.
Er stellte sein Fahrzeug am Kirchberg ab und ging zu Fuß weiter, bei der „Gottesanbeterin“ Skulptur des Bildhauers Bertoni vorbei auf den Hackelsberg.
Heute war der 25. März, es war noch dunkel, aber von den Temperaturen her schon frühlingshaft. Man benötigte nur eine leichte Jacke.
Vor einem Gebüsch sah er Bezirksinspektor Sigmund Kasper, zwei Ortspolizisten und die beiden Geocacher aufgereiht warten.
Etwas abseits, wie immer eine Zigarette rauchend, stand die Gerichtsmedizinerin Dr. Hertha Gross und grinste ihm entgegen.
Dr. Gross war ein wahrer Spürhund, sehr taff und immer sehr direkt. Hart, härter, Hertha.
Frank nickte in Richtung Kollegen und steuerte geradewegs auf Dr. Gross zu.
Sie winkte gleich ab.
„Die Leiche ist zu stark verwest, ich kann dir noch überhaupt nichts sagen, außer, dass es sich um eine jüngere Frau handelt und sie schon seit zwei oder sogar drei Monaten hier liegt. Bei dem kalten Winter kann ich es noch nicht genau bestimmen, erst nach der Obduktion. Sie hat eine dornige Rose in der Leiste tätowiert, das konnte ich gerade noch erkennen. Der Kopf wurde fein säuberlich abgetrennt mit einem scharfen Gegenstand, vermutlich ein Messer mit einer langen Klinge, ein Jagdmesser etwa. Sie wurde sicher nicht hier getötet.
Es gibt so gut wie keine Spuren, der Rest folgt heute Nachmittag.“
„Danke Hertha, das ist ja schon sehr viel.“
Frank starrte auf die Überreste der armen Frau.
Ihm wurde leicht übel, nicht vom Anblick der Leiche, dafür hatte er schon zu viel gesehen, aber er hatte den Kaffee zu schnell hinuntergewürgt und außerdem überkam ihn eine Art von Melancholie.
Ein schlechtes Zeichen.
Ein Irrer, der eine kopflose Leiche hierher auf den Hackelsberg schleppte, da steckte zu viel Wahnsinn dahinter.
Es würde wohl nicht bei einer Leiche bleiben.
Frank blickte sich um und betrachtete den Fundort der Leiche.
„Die Tote wurde jedenfalls nicht drapiert, sondern gut versteckt. Das spricht wohl nicht für eine Mafia-Fehde.“
„Das kann man noch nicht sagen, denke ich. Es kann alles sein, auch eine Beziehungstat. Du kannst nichts von vornherein ausschließen. Aber das weißt du ja selbst, mein Lieber.
Ich gehe dann mal und wir sehen uns am Nachmittag.“
Dr. Gross dämpfte ihre Zigarette mit dem Schuh aus und schritt gemächlich zu ihrem Wagen.
Die beiden Geocacher waren junge Burschen, etwa 18 Jahre alt. Frank Unterreiner musterte sie kritisch und fragte ohne Begrüßung:
„Warum wart ihr gerade hier unterwegs?“
Der größere der beiden antwortete zuerst:
„Wir sind an der HTL für Flugzeugbau in Eisenstadt und wollten schon immer einen Nachtcache suchen.“
„Der Cache ist aber nicht so frequentiert, der letzte Fund war im September“, warf sein Kollege nervös ein.
„Ziemlich genau bei den Zielkoordinaten haben wir dann die Leiche entdeckt.“
Er sah zerknirscht auf seine Füße.
„OK. Mein Kollege nimmt euch mit auf die Dienststelle für eure Aussage. Falls wir noch etwas brauchen, melden wir uns.“
Frank nickte den beiden Burschen zu und wandte sich an den Bezirksinspektor.
„Morgen Kollege Kasper. Check mal die Vermisstenfälle, vor allem im Milieu, sie hatte eine dornige Rose in der Leiste tätowiert. Und lass dir die Geocaching Daten der beiden Jungs geben, nur zur Sicherheit.“
„Alles klar, Chef, mach ich, die beiden Geocacher sind sauber, gelt Chef?
Warum wohl die Leiche hierhergeschleppt wurde?“
Bezirksinspektor Kasper sah seinen Vorgesetzten erwartungsvoll an.
„Nein, die beiden Jungs haben damit sicher nichts zu tun, es war purer Zufall, dass die Leiche entdeckt wurde. Der Täter, ich gehe mal davon aus, dass es sich um einen sehr kräftigen Mann handelt, wollte offenbar, dass seine Tat möglichst lange verborgen bleibt.
Schauen wir Mal, ob es bei der einen Leiche bleibt.“
Bezirksinspektor Sigmund Kasper wurde blass.
„Du rechnest mit noch mehr Leichen, Chef?“
Eine Mordserie war wohl das Schlimmste in der Karriere eines Inspektors, eine hetzerische Presse, hunderte Anrufe von Spinnern, Dauerstress und ein bleibender Schaden an der eigenen Seele.
„Ist nur so ein Gefühl.“
Bezirksinspektor Kasper biss sich auf die Lippen und runzelte die Stirn.
Er war nach Abschluss der Akademie gerade zwei Jahre in der Dienststelle in Neusiedl. Inzwischen war er hervorragend integriert und als gutmütiger, fleißiger Mitarbeiter bei allen anerkannt.
Sigmund Kasper kannte seinen Chefinspektor nur zu gut und wusste, dass man sich auf seinen untrügerischen Instinkt verlassen konnte.
Er bewunderte diese Eigenschaft an seinem Vorgesetzten.
Die Kollegen von der Spurensicherung waren inzwischen eingetroffen und gingen wortlos und ohne jede Hektik ihrer Arbeit nach.
Inzwischen dämmerte es schon.
Frank Unterreiner fuhr in die Dienststelle nach Neusiedl und berichtete seiner Vorgesetzten, Dezernatsleiterin Dr. Renate Kampl.
Dr. Kampl war eine attraktive Frau in den Fünfzigern und in der Dienststelle äußerst beliebt. Sie war grundsätzlich eine angenehme Chefin, die den Inspektoren nach dem Laisser-faire Prinzip viel Freiraum einräumte.
Nur manchmal, wenn ihr der Stress zu viel wurde, neigte sie zur Hysterie. Ihre Augenlider zuckten dann heftig und der Schweiß trieb ihr aus allen Poren. Außerdem war ihr ein gutes Einvernehmen mit den Medien äußerst wichtig.
„Das mit dem fehlenden Kopf muss ich der Presse weitergeben. Das gibt ein Theater!“
Die Dezernatsleiterin sinnierte vor sich hin.
„Warte damit noch, sprich vorerst nur von einem möglichen Unfall beim Wandern!
Bleib vorerst Herrin im eigenen Haus.“
Frank sah Dr. Kampl fest in die Augen.
„Das kann man doch nicht so erklären, das fällt auf jeden Fall auf mich zurück.“
Sie machte eine abwehrende Handbewegung.
„Den Kopf könnte auch ein Fuchs entfernt haben. Glaube mir, es ist besser, wenn du uns etwas Luft verschaffst. Das wird ohnehin ein Mordstrara.“
Dr. Kampl starrte Frank zunächst verständnislos an.
Dann nach ein paar Augenblicken verzog sie die Lippen.
„Meinetwegen. Macht euch an die Arbeit und geht möglichen Vermisstenfällen nach, vor allem im Milieu.
Die tätowierte Rose könnte ein Indiz dafür sein.“
„Alles klar, wir berichten dir.“
Frank nickte zustimmend und besprach anschließend die Sachlage nochmals mit Bezirksinspektor Kasper.
Die Nachschau der Vermisstenfälle auch bei Interpol ergab nichts Passendes.
Es würde also alles wieder einmal bei Dr. Gross und ihrem kriminalistischen Spürsinn liegen.
Am späten Nachmittag stattete ihr Frank raschen Schrittes einen Besuch ab.
„Ah der Marschierer, komm nur näher, mein Lieber.“
Die Ärztin grinste dem Chefinspektor entgegen.
Sie kannten sich seit der Schulzeit, waren auf demselben Gymnasium in der Billrothstraße und hatten als Teenager sogar miteinander geknutscht.
Inzwischen war Frank glücklich verheiratet und Vater eines pubertierenden Sohnes, während Hertha Gross nach zwei gescheiterten Beziehungen ihr Single Dasein genoss.