Jahrgangsübergreifendes Lehren und Lernen im 2. Zyklus (E-Book) - Ursula Fiechter - E-Book

Jahrgangsübergreifendes Lehren und Lernen im 2. Zyklus (E-Book) E-Book

Ursula Fiechter

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Beschreibung

Dieses E-Book enthält komplexe Grafiken und Tabellen, welche nur auf E-Readern gut lesbar sind, auf denen sich Bilder vergrössern lassen. Der Band gibt Einblick in konkrete jahrgangsübergreifende Praxis in fünf Schulfächern. Es zeigt sich, dass je nach Schulfach unterschiedliche Chancen und Herausforderungen für das jahrgangsübergreifende Lehren und Lernen im 2. Zyklus bestehen. Die fachdidaktischen Konzepte fordern unterschiedliche Zugänge zum Lerngegenstand – unabhängig von der Organisationsform des Unterrichts. Entsprechend gestalten Lehrpersonen Lehr- und Lernarrangements unter Berücksichtigung von Lehrmitteln und Vorgaben der Bildungspolitik.

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Ursula Fiechter / Marco Adamina / Simone Ganguillet / Trime Misini / Beat Reck / Susanna Schwab / Beat Wälti / Laura Weidmann

Jahrgangsübergreifendes Lehren und Lernen im 2. Zyklus

Exemplarische Unterrichtsanalysen und fachdidaktische Herausforderungen

Beiträge für die Praxis, Band 11

 

ISBN Print: 978-3-0355-1902-0

ISBN E-Book: 978-3-0355-1903-7

 

1. Auflage 2021

Alle Rechte vorbehalten

© 2021 hep Verlag AG, Bern

 

hep-verlag.com

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung: Jahrgangsübergreifendes Lehren und Lernen im Zyklus 2

1.1 Differenzierung und Individualisierung als Chance und Herausforderung

1.2 Mehrjahrgangsklassen im Kanton Bern

1.3 Rahmenbedingungen für Fremdsprachen im Zyklus 2

1.4 Der Fokus der Unterrichtsanalysen: Vermittlung, Lernbegleitung, Aneignung

1.5 Zu den einzelnen Beiträgen

2 Fach Mathematik: Individuelles und kooperatives Lernen in jahrgangsübergreifenden Klassen

2.1 Ausgangslage

2.2 Zwei kooperative Lernaufgaben im Fach Mathematik

2.2.1 «Füll den Krug»

2.2.2 «Geschickt zur Zielzahl»

2.2.3 Vergleich der beiden Aufgaben

2.3 Fazit

2.4 Ausblick

3 Fach Natur, Mensch, Gesellschaft: Tiere und Stoffe als Beispiele für Lerngegenstände

3.1 Ausgangslage: Der Lerngegenstand im NMG-Unterricht

3.2 Fallbeispiele: (Natur-)wissenschaftliches Verstehen und Entdecken

3.2.1 Fallbeispiel (Kunst-)stoffe

3.2.2 Fallbeispiel Tiere erfinden

3.3 Diskussion der Ergebnisse

3.3.1 Unterrichtsgegenstand

3.3.2 Die knappe Ressource «Lehrperson»

3.4 Fazit

4 Fach Deutsch: Schreibaufgaben für kreative und umsichtige Autorinnen und Autoren

4.1 Sprach- und schreibdidaktische Grundlagen

4.2 Zwei Unterrichtsbeispiele

4.2.1 «Lustige Geschichte»

4.2.2 «Ein Tag im Leben von…»

4.3 Fazit: Situierte und profilierte Schreibaufgaben für jahrgangsübergreifendes Lernen

5 Fach Französisch: Comment parcourir les parcours?

5.1 Einleitung

5.2 Fallbeispiele

5.2.1 Fallbeispiel «plusieurs parcours»

5.2.2 Vermittlungsseite «plusieurs parcours»

5.2.3 Aneignungsseite «plusieurs parcours»

5.2.4 Fallbeispiel «un jeu d’un parcours»

5.2.5 Vermittlungsseite «un jeu d’un parcours»

5.2.6 Aneignungsseite «un jeu d’un parcours»

5.3 Diskussion der Ergebnisse

5.4 Fazit und Ausblick

6 Fach Englisch: To JüL or not to JüL, that is RARELY the question

6.1 Ausgangslage

6.2 Fallbeispiele

6.2.1 Fallbeispiel A: Ritual und Zahlen

6.2.2 Fallbeispiel B: Wortschatz fünf Sinne

6.3 Diskussion der Ergebnisse

6.4 Fazit und Ausblick

7 Schlussdiskussion

7.1 Was ist der Lerngegenstand und wie wird er als jahrgangsübergreifendes Phänomen inszeniert?

7.1.1 Der Lerngegenstand im Sinne von Medium und Thema

7.1.2 Der Lerngegenstand im Sinne von Thema und Aufgabe

7.1.3 Der Lerngegenstand im Sinne von Kompetenzen

7.2 Die Rolle von Lehrmitteln und die knappe Ressource Lehrperson

7.3 Leistungskategorien und Arten der Differenzierung

7.4 Fazit und Ausblick

Tabellenverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1Einleitung: Jahrgangsübergreifendes Lehren und Lernen im Zyklus 2

Ursula Fiechter, Simone Ganguillet, Trime Misini, Susanna Schwab und Laura Weidmann

 

In unserem Forschungsprojekt untersuchen wir den jahrgangsübergreifenden Unterricht in fünf Schulfächern im Zyklus 2. Im Lehrplan 21 befasst sich der Zyklus 2 mit den Schulstufen 3. bis 6. Klasse (D-EDK, 2014) resp. dem 3. bis 6. Schuljahr. Beim Zyklus 2 handelt es sich um Schülerinnen und Schüler der Altersgruppe zwischen 8 und 12 Jahren.

Uns interessiert nun die Frage, wie der Lerngegenstand im jahrgangsübergreifenden Fachunterricht von den Lehrpersonen angelegt und von den Schülerinnen und Schülern bearbeitet wird. Diese Fragestellung ist insofern bedeutsam, als insbesondere im Kanton Bern Mehrjahrgangsklassen, also Schulklassen, die zwei oder mehr Schuljahrgänge umfassen, im Zyklus 2 stark verbreitet sind (vgl. Kapitel 1.2). Im Rahmen des Projektes verwenden wir die Begriffe «jahrgangsübergreifendes Lernen» und «jahrgangsübergreifender Unterricht». Die Begriffe «altersdurchmischt», «altersgemischt» und «jahrgangsübergreifend» werden im deutschsprachigen Raum synonym eingesetzt. Aus unserer Sicht bezeichnet der Begriff «jahrgangsübergreifend» jedoch am genausten, dass in der Mehrjahrgangsklasse mehrere Schuljahrgänge zusammengefasst sind. Mit dem Begriff «jahrgangsübergreifendes Lernen» wird ein Unterrichtsarrangement bezeichnet, in dem sich Schülerinnen und Schüler mit einem gemeinsamen Lerngegenstand auseinandersetzen (vgl. Wannack, 2015). Neben den Chancen des jahrgangsübergreifenden Unterrichts bestehen auch Herausforderungen. In Kapitel 1.1 werden Chancen und Herausforderungen erörtert, die unser Projekt in die aktuelle Diskussion um (Fach-)Didaktik einordnen und auf die wir uns immer wieder beziehen. Zudem sind diese Konzepte für die Gestaltung des jahrgangsübergreifenden Unterrichts bedeutsam.

1.1Differenzierung und Individualisierung als Chance und Herausforderung

Lehrpersonen, die an Mehrjahrgangsklassen unterrichten, sind herausgefordert, das fachliche Lehren und Lernen mit den zur Verfügung stehenden Lehr- und Lernmaterialien an die Situation der Mehrjahrgangsklasse anzupassen. Falls sie den Unterricht jahrgangsübergreifend, d.h. ein Lernen am gemeinsamen Lerngegenstand, gestalten möchten, müssen sie Lehrinhalte so differenzieren und individualisieren, dass Lernen am gleichen Lerngegenstand für Schülerinnen und Schüler jahrgangs- und entwicklungsgemischt möglich ist. Da die Lehrperson sich in der Mehrjahrgangsklasse vom Ideal (und von der Fiktion) der leistungshomogenen Lerngruppe verabschieden muss, bedarf es für den Unterricht einer gezielten Auseinandersetzung damit, was von wem und wie gelernt werden soll. Der Fachinhalt sowie die didaktischen Möglichkeiten der Aufbereitung für den Unterricht fordern die Lehrperson heraus, will sie die unterschiedlichen Voraussetzungen der Lernenden in der Mehrjahrgangsklasse berücksichtigen. In diesem Sinne bietet die jahrgangsübergreifende Schulklasse die Chance, den Unterricht weiterzuentwickeln sowie die Adaptivität von Lernangeboten und Lernbegleitung zu verbessern. Gleichzeitig ist diese Chance auch mit Herausforderungen verbunden. Stichworte in diesem Zusammenhang sind Differenzierung und Individualisierung als didaktische Massnahmen.

Reusser und sein Team weisen darauf hin, dass für die beiden Konzepte «Differenzierung» und «Individualisierung» «[e]ine allgemein akzeptierte Definition […] ebenso [fehlt] wie eine genaue Vorstellung des Zusammenspiels» (Reusser et al., 2013, S. 57). In der Diskussion scheint jedoch Einigkeit darüber zu bestehen, dass sich die beiden Begriffe auf die Gestaltung des Lernangebots durch die Lehrperson beziehen. (Innere) Differenzierung oder Binnendifferenzierung soll den Lernenden in der Unterrichtssituation ihren Voraussetzungen entsprechendes Lernen ermöglichen. Dies geschieht durch die Schaffung «unterschiedliche[r] Zugänge und Bearbeitungsmöglichkeiten» (ebd.). Es wird davon ausgegangen, dass Differenzierungsmassnahmen die «Passung zwischen Unterrichtsangebot und individuellen Nutzungsmöglichkeiten» (ebd.) verbessern oder überhaupt erst ermöglichen. In dieser Logik beschreibt (innere) Differenzierung das Lernangebot, Individualisierung bezieht sich dann nach Reusser et al. (2013) auf die Nutzung dieses Angebots durch die Lernenden. Auf eine Kurzformel gebracht heisst dies: Differenzierung schafft Lernangebote für individualisiertes Lernen (vgl. ebd., S. 57). Damit wird der heutigen Vorstellung entsprochen, dass Individuen lernen, d.h., dass sie sich den Lerngegenstand auf ihre eigene Weise aneignen. Für die Lehrperson bedeutet dies, dass sich ihre anspruchsvolle Aufgabe darauf beschränkt, «Lernen via kognitiv aktivierende Angebote anzuregen und die Lernprozesse der Individuen adaptiv und zielbezogen zu begleiten» (ebd.). Wie Reusser und Team weiter betonen, ist die «Notwendigkeit zur Gestaltung solcher Arrangements […] bei Lerngruppen mit erweiterter Heterogenität (u.a. integrative Volksschule, Mehrjahrgangsklassen) offensichtlicher als bei vermeintlich homogenen Jahrgangsklassen in äusserlich gegliederten Schulsystemen» (ebd., S. 57–58).

In Bezug auf die Entwicklung von Unterricht unterscheidet die fachdidaktische Forschung zwischen zwei Aspekten oder Ebenen von Unterricht. Die «Oberflächen-, Sicht- oder Handlungsstrukturebene» bezeichnet «die dramaturgische Gestaltung der Handlungsoberfläche des Unterrichts, die Choreographie, d.h. [die] austauschbaren Methoden, Sozial- und Inszenierungsformen» (Reusser, 2019, S. 144). Davon werden die Tiefenstrukturen von Unterricht unterschieden, welche Unterrichtsmerkmale «wie transparenter Stoffaufbau, Verständnisklarheit, Klassenführung, kognitive Aktivierung und ein lernförderliches Sozialklima ebenso wie eine Grundvorstellung über den Aufbau vollständiger Lehr-Lernzyklen» (ebd., S. 145) umfassen. Diese Unterscheidung wurde und wird in der fachdidaktischen Forschung zu Unterricht stark rezipiert (vgl. Adamina et al., 2019; 2020; Labudde & Metzger, 2019; Fiechter et al., 2015). Sie interessiert uns in Zusammenhang mit Differenzierung und Individualisierung von Lerngegenständen in den Fächern Deutsch, Englisch, Französisch, Mathematik und Natur, Mensch, Gesellschaft (NMG).

1.2Mehrjahrgangsklassen im Kanton Bern

Um unsere Fragestellung zu beantworten, beforschten wir den jahrgangsübergreifenden Fachunterricht in zwölf Schulklassen bei insgesamt 14 Lehrpersonen. Dabei suchten wir Lehrpersonen aus, die möglichst jahrgangsübergreifend unterrichten, d.h. die Lerngruppe lernt am gleichen Lerngegenstand. Dank guter Feldkontakte konnten wir meist entsprechende Lehrpersonen finden. In den Fächern Mathematik, NMG und Deutsch konnten wir denn auch durchgängig jahrgangsübergreifenden Unterricht beobachten. Für die beiden Fremdsprachen Französisch und Englisch gestaltete sich die Suche schwieriger. Die Gründe hierfür werden in Kapitel 1.3 dargelegt. In neun verschiedenen Schulen beobachteten wir den Unterricht in den Fächern Deutsch, Englisch, Französisch, Mathematik und NMG. Insgesamt waren wir in 99 Lektionen als Beobachtende anwesend. Zudem führten wir Gespräche mit den Lehrpersonen, Schülerinnen und Schülern, sammelten Lernspuren und Unterrichtsmaterialien sowie Informationen über die Schulen. In einzelnen Schulklassen konnte der Unterricht in drei, in anderen in zwei oder auch nur in einem Schulfach beobachtet werden. Tabelle 1 zeigt auf, in welchen Fächern wie viele Lektionen beobachtet wurden, wie viele Lehrpersonen dabei involviert und wie viele Schulklassen je Fach beteiligt waren.

Anzahl beobachtete Lektionen, Lehrpersonen und Schulklassen in den Schulfächern

Schulfach

Deutsch

Englisch

Französisch

Mathematik

NMG

Anzahl Lektionen

20

15

22

30

14

Beteiligte LP

5

3

4

6

3

Anzahl Schulklassen

5

3

4

6

3

Tabelle 1: Anzahl der beobachteten Lektionen in den Fächern, beteiligte Lehrpersonen (LP) und Schulklassen

In den verschiedenen Schulen fanden wir unterschiedliche Varianten von Mehrjahrgangsklassen vor. Vier Schulklassen waren aus drei Jahrgängen (4.–6. Schuljahr) zusammengesetzt, zwei davon in ländlichem Umfeld. Zwei Schulklassen im ländlichen Umfeld bestanden aus vier Jahrgängen (3.–6. Schuljahr). Vier Schulklassen, drei in ländlichem, eine in städtischem Umfeld, waren zweistufig organisiert.

Im Kanton Bern sind Mehrjahrgangsklassen auf der Mittelstufe (Zyklus 2) verbreitet. Sie machen mehr als die Hälfte aller Schulklassen dieser Stufe aus.

Reine Jahrgangsklassen Kanton Bern Zyklus 2

3. Klasse

251

4. Klasse

242

5. Klasse

250

6. Klasse

239

Total Jahrgangsklassen Kanton Bern Zyklus 2

982

Reine Mehrjahrgangsklassen mit nur 3. und 4. Klasse

Total

396

Reine Mehrjahrgangsklassen mit nur 5. und 6. Klasse

Total

364

Mehrjahrgangsklassen mit 3.- oder 4.-Klässlern sowie weiteren Jahren (aber ohne die Mehrjahrgangsklassen mit nur 3.- und 4.-Klässlern)

Total

348

Mehrjahrgangsklassen mit 5.- oder 6.-Klässlern sowie weiteren Jahren (aber ohne die Mehrjahrgangsklassen mit nur 5. und 6. Klässlern)

Total

203

Total Mehrjahrgangsklassen im Kanton Bern Zyklus 2

1311

Tabelle 2: Lernendenstatistik 2019 zu Schulklassen im Kanton Bern unterschieden nach Jahrgangs- und Mehrjahrgangsklassen (Quelle: Bildungs- und Kulturdirektion Kanton Bern, 2020)

Wie Tabelle 2 zeigt, gibt es im Kanton Bern im Jahr 2019 im Zyklus 2 insgesamt 2293 Schulklassen. Davon sind 982 Jahrgangsklassen (42,8 Prozent). Von den 1311 Mehrjahrgangsklassen sind 760 Klassen aus zwei Schuljahrgängen zusammengesetzt. Dies entspricht einem Anteil von 58 Prozent der Mehrjahrgangsklassen und rund einem Drittel (33,1 Prozent) aller Schulklassen im Zyklus 2 im Kanton Bern. 42 Prozent der Mehrjahrgangsklassen bestehen somit aus drei und mehr Schuljahrgängen. Die Wichtigkeit und Bedeutung der Auseinandersetzung mit Lerngelegenheiten für Mehrjahrgangsklassen ist damit gegeben.

1.3Rahmenbedingungen für Fremdsprachen im Zyklus 2

Obwohl im Kanton Bern im Zyklus 2 Mehrjahrgangsklassen sehr verbreitet sind, stellen sich insbesondere für den Unterricht in den Fremdsprachen besondere Herausforderungen, die den Rahmenbedingungen des Fremdsprachenunterrichts geschuldet sind. Betrachten wir zuerst die Lektionentafel für den Zyklus 2 (Tabelle 3), so stellen wir fest, dass die drei Promotionsfächer Deutsch, Französisch und Mathematik im 3. und 4. Schuljahr 13 Wochenlektionen ausmachen. Im 5. und 6. Schuljahr beanspruchen sie insgesamt 12 Wochenlektionen. Das Fach Englisch beginnt im 5. Schuljahr und hat zwei Wochenlektionen zur Verfügung. Die beiden Fremdsprachen Französisch und Englisch sind mit vergleichsweise wenig Wochenstunden bestückt. Dies hatte und hat Konsequenzen auf die Organisation des Fremdsprachenunterrichts sowie auf die Möglichkeiten, den jahrgangsübergreifenden Fremdsprachenunterricht im Rahmen des Projekts zu beobachten.

Lektionentafel (gültig für 39 Schulwochen)

2. Zyklus

3. Schuljahr

4. Schuljahr

5. Schuljahr

6. Schuljahr

Deutsch

5

5

5

5

Englisch

2

2

Französisch

3

3

2

2

Mathematik

5

5

5

5

NMG

6

6

6

6

Tabelle 3: Lektionentafel der für die Untersuchung berücksichtigten Schulfächer für den 2. Zyklus (Quelle: https://www.erz.be.ch/erz/de/index/kindergarten_volksschule/kindergarten_volksschule/lehrplan_21/lektionentafel.html [24.11.2020])

Die Vorverlegung des Fremdsprachenunterrichts mit der Einführung zweier Fremdsprachen im Zyklus 2 stellt Lehrpersonen vor zusätzliche Herausforderungen. An dieser Stelle sollen drei neue Herausforderungen besonders hervorgehoben werden: a) fehlende Erfahrung mit Fremdsprachenunterricht; b) Lerngegenstand «Fremdsprache»: zugleich Medium und Lerngegenstand; und c) fehlende oder wenig Unterstützung für Fremdsprachenunterricht in Mehrjahrgangsklassen seitens der obligatorischen Lehrmittel.

 

Zu a) fehlende Erfahrung Fremdsprachenunterricht:

Die Vorverlegung zweier Fremdsprachen an die Primarstufe bedingte neue Lehrpläne sowie neue Lehrmittel, welche gleichzeitig die Neukonzeption des Fremdsprachenunterrichts (vgl. Passepartout Projektbeschrieb, 2007) umsetzten. Seit der Einführung von Französisch (August 2011) und von Englisch (August 2013) stehen Lehrpersonen infolgedessen vor der Aufgabe, neue Schulfächer mithilfe neuer Lehrmittel nach neuen fremdsprachendidaktischen Methoden und Ansätzen zu vermitteln. Dementsprechend haben Lehrpersonen im Zyklus 2 oft noch keine langjährige Erfahrung mit Fremdsprachenunterricht.

 

Zu b) Lerngegenstand «Fremdsprache»:

Im Fremdsprachenunterricht bedingt die Beschreibung des Lerngegenstandes gegenüber den nicht sprachlichen Schulfächern eine Besonderheit, da die Sprache zugleich Medium und Lerngegenstand ist. Eine weitere Herausforderung ist dabei die Lehrpersonensprache. Auf die Lehrpersonensprache und die Sprachkompetenz der Lehrperson wird in den jeweiligen Kapiteln (5 für Französisch und 6 für Englisch) näher eingegangen.

 

Zu c) Fremdsprachenunterricht an Mehrjahrgangsklassen:

Bereits während der Erprobungsphase der neuen Lehrmittel wurde in einer externen Evaluation des Passepartout-Projekts (Singh und Elmiger, 2017) in Bezug auf den Fremdsprachenunterricht in Mehrjahrgangsklassen festgehalten, dass sich das Unterrichten in Mehrjahrgangsklassen als schwierig gestaltet und die Lehrpersonen den grossen Vorbereitungsaufwand beklagen. Singh und Elmiger (2017) weisen darauf hin, dass es wünschbar wäre, organisatorische Verbesserungen in solchen Klassen anzubringen, wie beispielsweise eine Erhöhung der Lektionenzahl oder die Aufteilung der Klassen für den Fremdsprachenunterricht (ebd., S. 64).

Die Bildungs- und Kulturdirektion des Kantons Bern (BKD) hat ein Merkblatt mit Empfehlungen zur Organisation des Fremdsprachenunterrichts herausgegeben (BKD, 2019). Nebst der Empfehlung, parallele Mehrjahrgangsklassen in den Fremdsprachen in Jahrgangsklassen zu unterrichten, wird im Merkblatt festgehalten, dass grundsätzlich nicht mehr als zwei Niveaus gleichzeitig unterrichtet werden sollen. Für unser Projekt bedeutete dies, dass die Suche nach Schulklassen, in denen jahrgangsübergreifend Englisch oder Französisch unterrichtet wird, sich schwierig gestaltete.

Empfehlungen zum Fremdsprachenunterricht in Mehrjahrgangsklassen wurden auch von den beiden Lehrmittelverlagen (Schulverlag plus für Französisch sowie Klett und Balmer für Englisch) herausgegeben. Auf die Empfehlungen der beiden Verlage wird in den entsprechenden Kapiteln näher eingegangen.

Seit der Einführung von zwei Fremdsprachen im Zyklus 2 haben sich in der Praxis verschiedene Varianten für den Unterricht in Mehrjahrgangsklassen herauskristallisiert. So werden beispielsweise Zusatzlektionen für Halbklassenunterricht gesprochen. Häufig wird der Fremdsprachenunterricht auch jahrgangsspezifisch eingeteilt, sodass beispielsweise alle Schülerinnen und Schüler des 3. Schuljahres über die einzelnen Mehrjahrgangsklassen hinweg zusammengenommen werden. Dann findet allerdings kein jahrgangsübergreifendes Lernen statt.

Abschliessend kann zu den Rahmenbedingungen im Fremdsprachenunterricht festgehalten werden: Lehrpersonen im Zyklus 2 wurden und werden neben der allgemeinen Knappheit an Ressourcen (vgl. Breidenstein, 2014) mit einer Vielzahl von Herausforderungen konfrontiert. Dazu gibt es im Fremdsprachenunterricht in Mehrjahrgangsklassen zusätzliche Differenzierungsmassnahmen zu bewältigen und zu meistern.

1.4Der Fokus der Unterrichtsanalysen: Vermittlung, Lernbegleitung, Aneignung

Im Projekt geht, es wie einleitend ausgeführt, um die Frage, wie der Unterricht in der Mehrjahrgangsklasse organisiert ist, wie das jahrgangsübergreifende Lernen am gleichen Gegenstand arrangiert wird. Zudem rekonstruieren wir, wie der Lerngegenstand, d.h. die fachlichen und fachdidaktischen Aspekte, aufbereitet, eingeführt und vermittelt werden. Für die Beschreibung der Unterrichtsbeispiele wählen wir die Aspekte der Vermittlung sowie Lernbegleitung und Lernunterstützung durch die Lehrperson und der Aneignung durch die Lernenden.

Lernbegleitung und -unterstützung bezeichnet Reusser (2019) als die «wichtigsten Professionalisierungs- und Entwicklungsaufgabe[n] von Lehrpersonen» (S. 157). Denn bei der Lernbegleitung stehen die «Tiefenstrukturen», die fachlichen und fachdidaktischen Aspekte, im Vordergrund. Die unterschiedlichen Lernvoraussetzungen und das unterschiedliche Vorwissen der Lernenden fordern die Lehrperson heraus. Insbesondere im Setting der Mehrjahrgangsklasse muss sie sich von einem «eng geführten Klassenunterricht […] verabschieden» (ebd.). Gefragt sind schliesslich «Kompetenzen der individuellen und gruppenbezogenen Lernunterstützung» (ebd.). «Dies heisst, flexibel auf wechselnde Bearbeitungsstände, Verständnisschwierigkeiten und Lernfortschritte einzugehen, Unterstützungsbedarfe zu erkennen und fachlich angemessene Hilfestellungen zu geben» (ebd.). Fachliche und fachdidaktische Grundlagen sind Voraussetzungen für eine zielführende Lernunterstützung. Die Lehrperson soll in der Lage sein, die Schülerinnen und Schüler individuell zu begleiten, dies vor dem Hintergrund einer grösseren Bandbreite an Lernvoraussetzungen in der Mehrjahrgangsklasse. Diese Problematik wird von Breidenstein (2014) aufgegriffen und unter institutionellen Bedingungen des Schulalltags diskutiert. Der Autor interessiert sich dafür, wie Lehrpersonen der Anforderung an individuelle Begleitung in einem Setting nachkommen, das sich vom «eng geführten Klassenunterricht» (Reusser, 2019, S. 159) verabschiedet hat. Breidenstein und sein Forschungsteam «fragen anhand der Beobachtung des praktischen Vollzugs individualisierten Unterrichts nach den zugrunde liegenden Handlungs- und Strukturproblemen» (Breidenstein, 2014, S. 36). Die Forschenden diskutieren die beobachteten Praktiken von Lehrpersonen unter dem Stichwort der «Knappheit der Ressource Lehrkraft» (ebd., S. 48). Nicht alle Lernenden können gleichzeitig hinsichtlich ihrer individuellen Fragen betreut und in ihrem Lernprozess begleitet werden. Gemäss Breidenstein wird «die Diskrepanz zwischen der Kapazität der Lehrperson und der Vielzahl der Schüleranfragen im individualisierten Unterricht nur […] durch eine gewisse Standardisierung der Schülertätigkeiten und damit der Problemstellungen» (ebd., S. 48) lösbar. Die Dezentrierung des Unterrichtsgeschehens, also die Tatsache, dass der Unterricht nicht mehr um die Erklärungen und Handlungen der Lehrperson, sondern auf das selbstständige und individualisierte Lernen und Arbeiten der Schülerinnen und Schüler hin organisiert ist, hat (neue) Praktiken der (Selbst-)Steuerung und (Selbst-)Kontrolle zur Folge. Das selbstständige Arbeiten der Lernenden geschieht durchwegs auf der Basis bereitgestellter Materialien wie Arbeits- resp. Aufgabenblätter und Lehrmittel. Breidenstein problematisiert diese Form des Lehr-Lernarrangements wie folgt: «Das konkrete Hantieren mit dem Material scheint gegenüber Lerninhalten bzw. -prozessen dominant zu werden» (ebd., S. 45). Ähnliche Beobachtungen machten bereits Liebers et al. (2008) in ihrer Untersuchung zur flexiblen Schuleingangsphase.