Jenseits von Realismus und Idealismus - Wolfgang Viertel - E-Book

Jenseits von Realismus und Idealismus E-Book

Wolfgang Viertel

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Beschreibung

Die Studien wollen auf den Versuch vorbereiten, die klassische Metaphysik postmodern zu interpretieren. Der erste Teil ist eine kleine Geschichte der Metaphysik, der zweite eine Einleitung in die klassische Ontologie und Metaphysik. Beide Teile verstehen sich als Vorüberlegungen zur Beantwortung der Frage, wie eine Metaphysik nach dem Ende der Metaphysik aussehen könnte.

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Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkung

Die Modelle der Metaphysik in ihrer Geschichte

2.1 Metaphysik der Antike

2.1.1 Parmenides

2.1.2 Platon

2.1.3 Aristoteles

2.1.4 Plotin

2.2 Metaphysik des Mittelalters

2.2.1 Augustin

2.2.2 Thomas von Aquin

2.2.3 Nikolaus von Kues

2.3 Metaphysik der Neuzeit

2.3.1 Descartes

2.3.2 Locke

2.3.3 Spinoza

2.3.4 Leibniz

2.3.5 Berkeley

2.3.6 Hume

2.3.7 Kant

2.3.8 Fichte

2.3.9 Schelling

2.3.10 Hegel

2.3.11 Schopenhauer

2.4 Metaphysik der Moderne

2.4.1 Nietzsche

2.4.2 Heidegger

2.4.3 Wittgenstein

2.5 Die Metaphysik in ihrer Geschichte

Der Kanon der Metaphysik als Leitfaden zu ihrer Überwindung

3.1 Ontologie

3.1.1 Formale Ontologie

Sein und Seiendes

Die Seinsmomente

Die Seinsformen

Die Seinsweisen

Die Seinsmodi

Die Seinsgesetze

Die Transzendentalien

3.1.2 Materiale Ontologie

3.2 Metaphysik

3.2.1 Das Problem der Realität

3.2.2 Das Problem der Kontingenz

3.2.3 Das Problem der Außenwelt

3.2.4 Die Einheit von Realismus und Idealismus

Ausblick

1 Vorbemerkung

Zugegebenermaßen ist der Titel dieser Studien weder neu, noch originell. Es scheint sogar, als ob das durch ihn zur Sprache gebrachte Problem antiquiert, weil längst gelöst ist. Dem ist jedoch nicht so. Die Lösungen, die dieses Problem bereits erfahren hat, sind entweder bloß eingebildet oder mit Voraussetzungen verbunden, die man nicht unbedingt bereit sein wird, mitzugehen. Allerdings sind die Schwierigkeiten, die sich hier in den Weg stellen, von besonderer Art. Denn es ging nicht darum, irgendwelche längst bekannten Argumente zu verbessern, sondern einen neuen Standpunkt zu gewinnen. Dieser erst noch zu gewinnenden Standpunkt wird hier eingegrenzt und aus der Geschichte der Metaphysik entwickelt. Es wird also versucht, einen Standpunkt jenseits von Idealismus und Realismus historisch zu verantworten.

Der erste Teil vorliegender Studien versucht, die wichtigsten Philosophen kurz und prägnant zusammen zu fassen, man kann ihn auch als eine kleine Geschichte der Metaphysik lesen. Der Autor glaubt, hin und wieder etwas mehr als die Gemeinplätze, die man ohnehin in jeder Philosophiegeschichte findet, geboten zu haben. Naheliegend wäre es nun, die Geschichte zur Lehrmeisterin zu machen, indem man eine Entwicklung konstruiert und sie sozusagen linear in die Zukunft fortschreibt. So könnte man doch einfach und sicher die Geschichte voraussehen und jetzt schon die Philosophie der Zukunft zweifelsfrei konstruieren. Aber diese Konstruktionen der Geschichte der Philosophie sind in Wahrheit nur Rückprojektionen der Philosophie der Gegenwart, bzw. dessen, was man für die Philosophie der Gegenwart hält. Ein besonders plattes Beispiel und immer wieder kolportiert ist die Meinung, Plato sei Idealist, Aristoteles Realist. Hier wird darum nicht versucht, die Geschichte der Metaphysik fortzuschreiben, sondern als Ganze zu übersehen, in der Philosophie ihre Geschichte zu reflektieren. Vermutlich kann man heute in der Philosophie nichts mehr beaupten, was nicht schon einmal behauptet wurde. Es scheint alles schon einmal gesagt worden zu sein. Das legt die These vom Ende der Philosophie nahe. Und das Resultat dieses ersten Teils wäre dann die Frage (nebst der Andeutung einer Antwort): Wie kann eine Metaphysik nach dem Ende der Metaphysik aussehen?

Der zweite Teil ist zugleich historisch und sachlich orientiert. Er nimmt das Schema der klassischen Ontologie und Metaphysik und sucht anhand dieses Schemas die alten Fragen neu zu beantworten. Diesem Unternehmen kann man natürlich methodische Naivität vorwerfen, und dieser Vorwurf ist auch nicht ganz von der Hand zu weisen. Die Methode gibt schon die Lösung vor. Und wer eine Reise nach einer im Voraus geplanten Route unternimmt, der wird am Ende nur das zu sehen bekommen, was auf seinem Weg liegt. Aber das klassische Schema der metaphysica hat doch immerhin den Vorzug, ihre relevanten Probleme einmal kanonisiert zu haben. Die in diesem Kanon aufgestellten Probleme müssen gelöst sein, wenn eine Metaphysik vorliegen soll. Von einem Ausliefern an die Methode einer alten, antiquierten und auch schlechten Metaphysik kann hier aber keine Rede sein. Die Methode ist hier nicht Leitfaden der Problemlösung, sondern es werden Probleme und Fragen nach einem gewissen Schema beleuchtet, auch auf das Risiko hin, dass manche Teile dieses Schemas sich als sinnlos erweisen könnten (was auch der Fall sein wird). Dann wird das Schema auch wie von selbst zu einem neuen Ansatz führen, der dann auch die Einheit mit den Fragen und Problemen des ersten Teils sichtbar werden lässt. Der Autor hofft, diesen Ansatz ausgearbeitet in Kürze vorlegen zu können.

2 Die Modelle der Metaphysik in ihrer Geschichte

2.1 Metaphysik der Antike

Man könnte vermuten, die Griechen seien ein Volk, das zu früh klug geworden ist. So hat sich archaisches Denken in ihre Hochkultur retten können. Als die Griechen begannen zu reflektieren, war die alte archaische Adelsherrschaft mit ihren Vorstellungen vom rechten Handeln noch lebendig. Homer hat ihr das Denkmal gesetzt und allen Griechen ins Gedächtnis geprägt. Das Adlige ist der Edle, er sucht Raufhändel wann und wo es ihm beliebt und nennt es Wahrung seiner Ehre. Er raubt und plündert und die Prosperität seines Landes und seiner Leute ist ihm dabei nicht einmal ein Gesichtspunkt. Dies ist die erste Form von Moral, auf die die Antike reflektierte. Demgegenüber steht dann auch bald die Mahnung der Zukurzgekommenen, aber sich überlegen Fühlenden: Wer hoch steigt, kann auch tief fallen, man halte sich die Unberechenbarkeit des Schicksals stets vor Augen und bescheide sich in seinen Wünschen, so hat man das sicherste Mittel zum Glück in der Hand. Die Wechselhaftigkeit des Schicksals ist eine Mahnung der – heute würde man sagen – Intellektuellen an die Etablierten. Man hat sie ihrer Häufigkeit wegen auch oft als griechischen Pessimismus bezeichnet. Die Philosophen als die Intellektuellen haben bis in die späteste Zeit diese Position geteilt und in ihrer Moralphilosophie allerlei Regeln aufgestellt, um ein solches maßvolles Leben zu verwirklichen. Plato lässt etwa seinen Sokrates sagen: Unrechtleiden ist besser als Unrechttun, Aristoteles empfiehlt im allem die goldene Mitte und die Ataraxie der Spätantike hat ja ebenfalls den Sinn, sich gegen die Unbilden des Schicksals zu wappnen. In der Spätantike empfiehlt man nicht nur ein maßvolles Leben, sondern sogar den Rückzug ins Private, weil man sich in einem Leben in der Öffentlichkeit eben den Wechselfällen des Schicksals aussetzen würde. Man wird aber den Verdacht nicht los, hier handle es sich eben um einen bloß ohnmächtigen und resignierenden Widerstand gegen das unberechenbare Verhalten des Adels, ein ohnmächtiger Versuch, die Adelsmoral abzuschaffen. Die Empfehlung, gerade selbst aktiv zu werden und an der Gestaltung der Welt selbst tätig mitzuwirken, etwa mit dem Ziel, die herrschende Adelsmoral zu beenden und sich nicht nur unzureichend gegen sie zu verteidigen, kam den antiken Philosophen nicht in den Sinn.

Eine ähnliche Verhaftung in archaischem Denken kann man auch in der theoretischen Philosophie beobachten. Es ist ja die große, welthistorische Errungenschaft der Griechen, die Vernunft erfunden zu haben. Das will sagen, nicht durch das Handeln der Götter, sondern durch natürliche Ursachen hat eine Begründung zu erfolgen. Man hat dies unter dem Schlagwort „Vom Mythos zum Logos“ zusammen gefasst. Es war dies die Entdeckung der Vernunft und das Bestreben, die Welt vernünftig zu erklären. Man gab sich also nicht mehr mit der Erklärung zufrieden, Poseidon rühre mit seinem Dreizack das Meer auf und erzeuge so die Stürme, sondern man suchte nach natürlichen Ursachen, z.B. dem Wind. Man war also der Auffassung, in der Welt müsse es vernünftig zugehen. Natürlich hat sich diese neue Art der Begründung allmählich und nicht schlagartig durchgesetzt. Als man begriff, dass mit Göttergeschichten nichts zu begründen ist, da war durchaus noch nicht klar, was an ihre Stelle zu treten hat. Das sieht man an der Vier-Ursachen-Lehre des Aristoteles ganz besonders deutlich. Sie scheint ja der Ausdruck einer Verlegenheit zu sein. Es gibt da einmal die natürlichen Ursachen, die Materie und die Bewegungsursache, aber ebenso ist der Begriff Ursache (causa formalis). Der Begriff begründet hier nicht anders als die natürlichen Ursachen, weil nämlich der Begriff durchaus noch die Tendenz hat, ein Gegenstand, wie etwa ein Tisch oder ein Stuhl zu sein und sich von ihm nicht prinzipiell zu unterscheiden. Der Begriff unterliegt also durchaus noch einem Hang zur Vergegenständlichung. Es war die intellektuelle Großtat des Aristoteles erstmals ein Abstraktum zu begreifen, aber der Begriff als Abstraktum ist nie antikes Gemeingut geworden.

Diese Entdeckung der Vernunft, d.h. des Begriff muss man sich offenbar über den Umweg einer Personalisierung vorstellen. Aus gerechten Handlungen wird keineswegs das Abstraktum Gerechtigkeit, sondern es wird daraus die Rechtsgöttin Dike und erst daraus das noch gegenständliche Allgemeine Gerechtigkeit und bei einem solchen gegenständlichen Allgemeinen scheint es dann in der Antike im Wesentlichen geblieben zu sein. Das zwar durchaus schon entdeckte Abstrakte scheint sich im allgemeinen Bewusstsein nicht etabliert zu haben. Es war also der erste Schritt zur Vernunft, als man die Dike, eine personalisierte Gerechtigkeit, für das gerechte Handeln verantwortlich machte. Als man dann in einem weiteren Schritt die Dike zur Gerechtigkeit abstrahierte, da behielt sie durchaus noch ihre Gegenständlichkeit und dann ist es verständlich wie ein solches Allgemeines real begründen konnte.

Der Begriff hat nicht nur eine Tendenz zur Gegenständlichkeit, sondern auch zur Vollkommenheit. Der Begriff der Gerechtigkeit hat nicht nur die Tendenz, gerecht zu sein, sondern auch die vollkommene Gerechtigkeit zu sein. Der Begriff des Tischs ist nicht nur selbst ein Tisch, sondern ein besonders guter, ein vollkommener Tisch. Die Welt nach Vollkommenheit und Unvollkommenheit einzuteilen ist überhaupt eine Eigenart des antiken Geistes. Ordnung ist besser als Unordnung, Ruhe ist besser als Bewegung und überhaupt Unveränderlichkeit besser als Veränderlichkeit. Und wenn schon Bewegung, dann ist die Kreisbewegung die beste aller Bewegungen, weil er Kreis die vollkommenste aller Figuren ist (weil er symmetrischer als alle anderen Figuren ist). Ebenso ist das Ding unvollkommener als sein Begriff. Dies betont Plato, aber auch Aristoteles kann sich dieser Erkenntnis nicht verschließen: Der Begriff (eidos) ist immerhin das Sein des Dings, also etwas Vornehmeres als das Ding.

Wenn es in der Welt vernünftig zugeht, dann kann das nicht unsere menschliche Konstruktion sein, sondern die Welt selbst muss vernünftig sein. Sie besitzt eine Ordnung und sie ist schön, vollkommen und zweckmäßig. Darum nennt man sie auch Kosmos. Natürlich ist sie dann auch ewig, aber von endlicher Ausdehnung. Klarerweise ist Technik dann höchstens Nachahmung der Natur, denn in einer vollkommenen Welt kann es nichts von Grund auf Neues geben.

Der Begriff hat also die Tendenz zur Vollkommenheit. Er ist das Wesen, das wahre Ding oder die Substanz (die aristotelische Substanz ist wesentlich Begriff). Kurz, er ist das Seiende. Das Seiende ist ewig, weil es besser ist, ewig zu sein als zeitlich. Es verändert sich nicht, weil das Unveränderliche besser ist als das Veränderliche. Vor allem aber: Das Seiende ist selbständig, denn Selbständigkeit ist besser als Unselbständigkeit. Unselbständig Seiendes kann nicht Substanz sein. Man kann geradezu sagen, die Selbständigkeit ist der Sinn von Sein in der antiken Philosophie.

Andererseits ist der antiken Philosophie Vieles nicht geläufig, was uns heute selbstverständlich scheint. Da ist zunächst die Subjektivität. Die Welt ist uns so gegeben, wie es unser Erkenntnisvermögen vorschreibt. Die Welt ist eine Konstruktion unseres Erkenntnisvermögens. Dieser Gedanke, der doch zum Grundbestand neuzeitlicher Philosophie gehört, ist jedem antiken Philosophen vollkommen fremd, dabei ist er doch naheliegend. Man könnte vermuten, man müsse erst die Innerlichkeit entdecken, bevor man die Welt als Außenwelt verstehen könne. Das mag sein, obwohl der Spätantike so etwas wie Subjektivität durchaus nicht fremd war.

Aber dass dieses Innere die Welt konstituieren könne, darauf kam man seltsamerweise nicht. Aber wenn man die Welt als ein sinnvolles und geordnetes Ganzes ansieht, von dem der Mensch ein Teil ist, dann ist es verständlich, wenn man nicht auf die Idee kam, die Welt als Konstitution eines Subjekts zu verstehen. Von der antiken Seelenvorstellung geht aber kein Weg zur modernen Subjektivität. Seele steht nicht im Gegensatz zu Materie, Seele ist das, was sich selbst bewegt – auch Pflanzen oder Sterne haben eine Seele. Es gibt keinen konzeptionellen Unterschied zwischen den uns umgebenden Dingen und der Seele, sie ist nur ein besonderes Ding. Von gleicher Art wie die sichtbaren Dinge sind auch die Begriffe, nur dass die einen das Wesen der anderen sind. Der Unterschied von sichtbarem Ding und Begriff ist der von eigentlich und uneigentlich und keinesfalls ein Unterschied von Materie und Bewusstsein. Eine solche Unterscheidung ist modern und für die antike Philosophie höchst unpassend. Dann ist auch klar, dass die Unterscheidung Idealismus – Realismus ebenso unpassend ist. Und wenn man – wie oft geschieht – Plato den Idealisten und Aristoteles den Realisten nennt, dann ist das eine unzulässige Modernisierung, mit der man wieder einmal das Wesentliche gerade verschleiert.

Weniger bekannt ist schließlich die Tatsache, dass die antike Philosophie so etwas wie Existenz nicht kannte. Das Konzept der Existenz ist eine Erfindung des Mittelalters. Hätte man einem antiken Philosophen gesagt: Die Vorstellung, die du da hast, mag ja ganz interessant sein, aber entspricht ihr auch ein reales Ding? so hätte er dieses Argument wohl nicht verstanden. Ist das Gedachte (und das ist etwas anderes als das, was man sich gerade ausdenkt) ewig, unbeweglich, unveränderlich und vor allem selbständig, so existiert es eben, denn das sind doch die Bedingungen für seine Existenz. Die heute übliche Vorstellung von Existenz als einer Existenz in Raum und Zeit setzt als sein Korrelat ein geistiges Vorliegen voraus, das gerade nicht in Raum und Zeit ist, welchen Unterschied die Antike nicht machte und nicht machen konnte.

2.1.1 Parmenides

Sucht man die Lehre des Parmenides auf ihren entscheidenden Punkt zu bringen und in einem einzigen Satz zusammenzufassen, muss man nicht lange suchen: Sein ist und Nichtseiendes ist nicht. So könnte man jedenfalls fr. 2, 3 übersetzen. Aber dies ist nur eine von vielen möglichen Übersetzungen. Im griechischen Original fehlt nämlich das Subjekt und die Übersetzer sehen sich darum genötigt, ein Subjekt zu ergänzen, weshalb man aber nicht glauben sollte, Parmenides habe das Subjekt vergessen oder mutwillig weggelassen. Auch glaube man nicht, der Satz sei eine bloße Banalität oder Tautologie. Dazu betrachte man den Nachsatz: Nichtseiendes ist nicht, womit gemeint ist: Nichtseiendes in jeglicher Form ist unmöglich. Das ist es, was Parmenides sagen will, aber es ist kaum möglich, diesen Umstand positiv zu formulieren und daraus resultieren die Schwierigkeiten, die man mit diesem Satz hat. In der negativen Formulierung ist alles gesagt und darum wird auch verständlich, warum in seiner positiven Formulierung das Subjekt fehlt und fehlen kann. Diese Aussage: Nichtsein in jeglicher Form ist unmöglich, könnte man den Hauptsatz der Philosophie des Parmenides nennen.

Diesen Hauptsatz muss man noch durch einen zweiten Satz ergänzen, denn natürlich wird man sofort fragen: Warum eigentlich soll Nichtsein in jeglicher Form unmöglich sein? Man wird antworten: Nichtseiendes ist eben nicht, also in jeder Form unmöglich. Aber gegen dieses Argument wird man einwenden: Blaue Schwäne gibt es nicht, aber jeder weiß doch, was mit einem blauen Schwan gemeint ist. Man kann von ihm auch etwas aussagen, nämlich dass er nicht existiert. Blaue Schwäne gibt es also irgendwie und auch wieder nicht. Mithin scheint das Argument des Parmenides falsch zu sein. Man sollte aber besser einmal fragen, welche Vorstellung von Sein denn Parmenides haben muss, damit sein Argument gültig sein kann. Dazu beleuchte man noch einmal seinen Hauptsatz: Nichtsein in jeglicher Form ist unmöglich. Warum ist es unmöglich? Weil es zu denken unmöglich ist. Und wenn es zu denken unmöglich ist, dann kann es auch nicht existieren. Damit ist gesagt, dass das Denken allein die Wahrheit liefert, nicht die Sinne. Hinter dem Sichtbaren liegt die wahre Welt des Denkens. Warum dies so ist, erklärt Parmenides ebenfalls: Denken und Sein ist dasselbe (fr. 5). Nimmt man diesen Satz wörtlich, scheint er zu sagen: Der Denkakt ist das Sein, das alles Seiende seiend macht. Das ist natürlich eine unzulässige modernistische Deutung. Man muss sich auch hüten, den Satz insofern subjektivistisch, also modern zu lesen, als ob das Denken das Seiende produziere. Dann müsste man sich ja fragen: Man kann doch auch Falsches denken – ist jetzt überhaupt alles, nur weil es gedacht ist, seiend? Besser wäre: Seiendes ist Denkinhalt. Aber auch das könnte man subjektivistisch deuten.

Parmenides hat aber das, was er meint, an einer anderen Stelle deutlicher formuliert: Dasselbe ist Denken und woher der Gedanke ist, denn nicht ohne das Seiende, worin eine Aussage ihr Sein hat, wirst du das Denken finden (fr. 8, 33ff). Woher der Gedanke ist, ist also das Seiende. Dazu bedenke man weiter, dass für Parmenides (wie für alle Griechen) das Denken ein geistiges Schauen ist. Das Seiende ist nur im Akt dieses schauenden Denkens gegeben. Eine naheliegende Deutung wäre die einer prästabilierten Harmonie von Denken und Sein: Alles Seiende ist (glücklicherweise) denkbar und alles Denken erfasst (glücklicherweise) Seiendes. Diese Übereinstimmung von Denken und Sein kann nur durch eine unbegreifbare, aber gottlob vorhandene Harmonie beider möglich sein. Obwohl diese Deutung nahe liegt, ist sie doch sachlich vollkommen unbefriedigend und darum Parmenides nicht zu unterstellen.

Befriedigender ist dagegen folgende Lösung: Das Seiende ist geistiger Inhalt und folglich nur mit den Mitteln des Geistes erfassbar. Das meint Parmenides, wenn er sagt, Denken und Sein sind dasselbe. Man kann sagen, das Seiende ist Bewohner einer zweiten Welt, der Welt des Denkens, der Welt des Eigentlichen, die sich von der uneigentlichen, der Welt der menschlichen Meinungen, der Doxa absetzt. Damit kann man die Theorie des Parmenides auf zwei Kernaussagen reduzieren: 1. Es gibt eine zweite Welt, jenseits der Meinungen der Menschen, der Doxa. Diese Welt ist die Verstandeswelt, die Welt der geistigen Inhalte und dieser Inhalt ist das Seiende. 2. Nichtsein in jeglicher Form ist dann unmöglich, weil es kein möglicher Denkinhalt ist. Wir Heutigen würden sagen: Weil der Satz vom Widerspruch verletzt ist.

Dem Seienden werden nun verschiedene Eigenschaften beigelegt, die den Eindruck erwecken, das Seiende sei ein materieller Körper. Von ihm werden sechs Eigenschaften, die in drei Gruppen zusammengefasst sind, ausgesagt. Das Seiende ist a) ungeworden und unvergänglich, b) ganz und einheitlich, c) unerschütterlich und vollendet.

Dass das Seiende nicht entstehen oder vergehen kann, leuchtet ein, denn es könnte nur aus Nichtseiendem entstehen oder in Nichtseiendes vergehen. Dieses Argument scheint darauf hinzudeuten, dass das Seiende ein materielles Ding ist. Aber dies ist keineswegs zwingend, denn Parmenides könnte auch gemeint haben, das Seiende sei kein Ding in der Zeit.

Wenn Parmenides das Seiende ganz und einheitlich nennt, dann will er sagen, es sei unteilbar und homogen (fr. 8,22). Denn hätte es Teile oder wäre inhomogen, dann wäre es an einer Stelle nicht das, was es an anderer Stelle ist, hätte also am Nichtsein Anteil. Auch hieraus kann man nicht schließen, das Seiende sei ein materielles Ding im Raum. Es könnte ebenso intendiert sein, das Seiende sei kein Ding im Raum.

Schließlich wird das Seiende unerschütterlich und vollendet genannt. Dies meint, das Seiende erleide keine Veränderung (fr. 8,26 – 33). Dies folgt schon aus der ersten Eigenschaft des Seienden. Hier begründet er es damit, dass das Seiende vollendet ist und das meint, es mangelt ihm an nichts (fr. 8, 33), sonst hätte es ja Anteil am Nichtsein. Aus diesen Attributen folgt natürlich auch nicht, das Seiende sei materieller Körper, es könnte ebensogut, und dies wäre logischer und natürlicher, geistiger Inhalt sein.

Nach Meinung der meisten Interpreten folgt aber aus all diesen Attributen, das Seiende sei ausgedehnt, genauer von endlicher Ausdehnung. Tatsächlich aber erwähnt Parmenides dieses Attribut nicht. Was er sagt ist vielmehr: Das Seiende gleicht einer Kugel (fr. 8, 43f) – es ist also keine Kugel. Aber wäre es ein materieller Gegenstand, könnte es doch nichts anderes als eine Kugel sein. Auch dies ist ein Hinweis darauf, dass das Seiende nur geistiger Inhalt sein kann. Doch was ist eigentlich ein geistiger Inhalt? Wir Modernen fühlen uns sofort genötigt, das Phänomen des Geistes als ein Produkt des womöglich sogar menschlichen Gehirns zu begreifen. Für die Griechen konnte Geist aber noch etwas Selbständiges sein, das also zu seiner Existenz keines anderen bedarf.

Sucht man einmal Parmenides in systematischer Hinsicht zu würdigen, so ist zunächst seine These, Nichtsein in jeglicher Form ist unmöglich, zu würdigen. Wäre sie richtig, ergäben sich merkwürdige Konsequenzen. Zunächst könnte ein Ding keinerlei Eigenschaften haben: Dieser Apfel ist grün. Also ist er nicht blau und damit hätte er schon Anteil an Nichtsein. Es dürfte dann aber nicht einmal Dinge geben: Dies ist ein Apfel – folglich keine Birne, und damit hätte das Ding schon am Nichtsein Anteil. Wäre es ausgedehnt, wäre es zumindest in Gedanken teilbar und der Teil A wäre dann eben nicht der Teil B, er hätte also wieder am Nichtsein Anteil. Das Seiende dürfte also nichts als eine teillose Monade sein, sozusagen ein Punktteilchen. Das ist sicher keine befriedigende Konsequenz.

Stellt man sich aber einmal auf den Standpunkt des natürlichen Denkens, auf einen lebensweltlichen und (in einem unterminologischen Sinn) phänomenologischen Standpunkt, dann wird man Parmenides recht geben und ihn für seinen Mut, sich vor den Konsequenzen nicht zu scheuen sogar bewundern müssen. Das natürliche Denken wird doch sagen, das Seiende ist irgendwie alles und es wird weiter sagen, es komme ihm eine gewisse Würde zu. Dies Letztere wird der moderne Leser gern bereit sein zu kritisieren und zu sagen, das komme eben daher, das Parmenides das Seiende vergegenständlicht, d.h. Sein und Seiendes identifiziert. Aber das ist eine moderne, insbesondere heideggersche Unterscheidung, das natürliche Denken macht sie keineswegs. Wenn das Seiende aber irgendwie alles ist, dann kann es nichts geben, das nichtseiend wäre. Dies wäre zum Einen ein Widerspruch und zum Anderen würde es dem Seiendes etwas von seiner Würde (nämlich alles sein) nehmen. Alle Thesen, die neben dem Seienden noch ein Nicht-Seiendes annehmen, nehmen das Seiende in jener zweifachen Weise nicht ernst. Lässt man also den natürlichen Verstand sprechen, hat Parmenides völlig recht. Parmenides war nur konsequent und hat aus seinen Voraussetzungen die einzig möglichen Konsequenzen gezogen. Diese Konsequenzen stehen aber im eklatanten Widerspruch zur lebensweltlichen Erfahrung (wie bereits erwähnt). Parmenides ist also genötigt, diesen offenbaren Widerspruch wegzuerklären. Er tut dies, indem er das Denken, das die Wahrheit trifft, von der bloßen Meinung der Masse der Menschen unterscheidet. Diese Meinung (Doxa) ist der bloße Augenschein, der uns aber über die wahren Verhältnisse täuscht, die uns nur das Denken geben kann. Das überzeugt aber nicht, denn man müsste klären, wie das Sein die Bewegung, mithin die bloße Meinung, zu generieren in der Lage ist.

Aus diesem Problem des Parmenides hat man in der Folge nahezu immer, d.h. von Plato beginnend, den Schluss gezogen, Sein trete immer nur zusammen mit Nicht-Sein auf. Aber dies würde Parmenides nur als eine Ausflucht erscheinen, denn dann müsste man ja behaupten, das Nicht-Sein ist in gewisser Weise seiend. Wenn es aber aus dem Problem des Parmenides keinen Ausweg zu geben scheint, dann sollte man doch konsequenterweise sagen: Wenn die Vorstellung des Seins aporetisch ist, warum nicht ganz auf sie verzichten?

2.1.2 Platon

Platon ist der erste Philosoph, dessen Werk offenbar vollständig oder nahezu vollständig überliefert ist. Die Bedeutung seiner Philosophie wurde früh erkannt und es ist gesagt worden, die gesamte abendländische Philosophie seien Fußnoten zu Plato. Das ist zwar eine Halbwahrheit, zeigt aber, welch eine überragende Bedeutung Plato in der gesamten Geschichte der Philosophie hat. Das mag wohl auch daran liegen, dass Plato für viele Interpretationen offen ist. Man kann ihn wörtlich nehmen, man kann ihn aber auch in einem übertragenen Sinn verstehen. Dann ist er leicht aktualisierbar, allerdings meist um den Preis der Inkonsistenz der Texte. Darum wird hier eine eher wörtliche Interpretation vorgenommen.

Vielleicht ist es angebracht, in Platos Philosophie mit folgender Überlegung einzuführen: Warum erkennen wir eigentlich dieses Ding, das da vor uns steht, als Tisch? Weil wir den Begriff des Tischs auf dieses Etwas anwenden. Plato nennt es Idea oder Eidos und man hat sich angewöhnt, es „Idee“ zu nennen. Der Sache nach ist es aber ungefähr das, was wir heute einen Begriff nennen würden (Über etwaige Unterschiede wird noch zu reden sein). Jedenfalls lässt sich an der Antwort Platos kaum etwas aussetzen. Verallgemeinert lautet sie: Begriffe bestimmen unsere Wirklichkeit. Aus diesem kaum bestreitbaren Ansatz hat dann Plato einige Folgerungen gezogen, die das Spezifische seiner Position ausmachen und die man sich angewöhnt hat, Platonismus zu nennen. Die wichtigste dieser Folgerungen ist wohl: Begriffe führen insofern eine selbständige Existenz, als sie unabhängig von unserem Erkenntnisvermögen existieren, sie sind sozusagen Gegenstände. Diese Vergegenständlichung des Begriffs könnte man als das proton pseudos der platonischen Philosophie bezeichnen. Wenn man beachtet, dass die Ideen gegenüber den Dingen selbständig sind, hat man eine Zwei-Welten-Lehre und aus ihr erwachsen die meisten der Probleme, die die Ideenlehre aufgibt.

Ideen sind Begriffe. Allerdings ist der Terminus „Begriff“ zu Platos Zeiten nicht bekannt. Betrachtet man die Texte, stößt man auf vier Gruppen von Aussagen:

Die Idee ist

Allgemeines (z.B. Phaid 76 d),

Paradigma (z.B. Rep 484 e),

Seiendes (z.B. Phaid 75 d) und

Ursache (z.B. Phaid 100 c).

Es ist gerade die Kunst der Platointerpretation, diese vier Bestimmungen zusammen zu denken.

Ist also die Idee Allgemeines, dann ist sie das, was gewissen Dingen gemeinsam ist. Die Idee des Tisches ist eine Abstraktion, in der das Gemeinsame aller Tische herausgehoben wurde. Aber wie wollen wir denn das Gemeinsame aller Tische herausheben, wenn wir dieses Gemeinsame nicht vor dem Abstrahieren bereits kennen. Aus diesem Dilemma findet Plato den Ausweg, die Ideen liegen ein für allemal bereit und wenn wir erkennen, dann abstrahieren wir nicht die Dinge zu Begriffen, sondern wir wenden den bereitliegenden Begriff auf die Dinge an. Auf alles, was jemals Tisch sein kann, wird die Idee des Tischs dann anzuwenden sein. In diesem Sinn ist die Idee des Tisches auch Vorbild für alle Tische: Alles, was je Tisch sein will, muss seiner Idee nachkommen. Auch unsere Begriffe sind Paradigmen, denn wir messen doch alles Neue an unseren Begriffen und suchen es unter die uns bekannten Begriffe zu bringen. Plato geht aber noch einen Schritt weiter und diesen weiterführenden Punkt hat er an späterer Stelle wieder zurückgenommen (genauer im Dialog Parmenides): Die Idee des Schönen z.B. ist doch das Vorbild von allem Schönen. Also ist sie doch selbst schön. Ebenso ist die Idee des Großen groß und konsequenterweise müsste dann auch die Idee des Tisches ein Tisch sein, u. zw. ein vorbildlicher Tisch. Diese Vorstellung hat aber Plato selbst mit dem sog. Argument vom dritten Menschen widerlegt (Parm 132 a). Wenn also das Schöne selbst keineswegs schön ist, so ist es doch ein Allgemeines und insofern ein vorbildlich Schönes, insofern wir alles Neue an diesen Begriff angleichen oder von ihm ausschließen.

Wir würden heute sagen, der Begriff ist ein Allgemeines, das insofern selbständig ist, als wir ihn stets anwenden. Und weil wir alles Neue gemäß unseren Begriffen zu verstehen suchen, ist der Begriff auch Paradigma. Man kann dann auch sagen, Begriffe bestimmen unsere Wirklichkeit und insofern sind sie das Sein der Dinge.

Diese Begriffe liegen bei Plato aber vergegenständlicht vor, sie sind ein für allemal bereitliegende, ewige und selbständige geistige Wesen. Sie sind aber nicht – wie bereits Aristoteles annehmen wird – Abstraktionen der Dinge. Nicht der Begriff entsteht aus den Dingen, sondern umgekehrt die Dinge aus dem Begriff. Insofern nennt Plato die Begriffe die Ursachen der Dinge. Daran wäre auch nichts auszusetzen, wäre der Begriff Ursache im Sinn der causa formalis, d.h. begriffliche Bestimmung des Dings. Das ist er natürlich auch, aber Plato redet so, als ob die Idee das Ding real erzeugt: Als Begriffsbestimmung erzeugt sie das Ding real. Dies ist aber keineswegs so absurd ist, wie es zunächst klingt, es bedeutet nur: Das Wesentliche des Dings ist begriffliche Bestimmung. Erhält das Ding eine begriffliche Bestimmung, dann wird es – als das, was es ist – erzeugt, und zwar durchaus real erzeugt. Die Frage bleibt allerdings: warum sollte die Idee Dinge erzeugen und nach welcher Regel tut sie dies, d.h. warum ist X gerade ein Tisch und Y gerade ein Stuhl? Man könnte mit Plato antworten: Weil es besser ist, wenn X ein Tisch und Y ein Stuhl ist. Oder: Die Idee des Guten macht, dass die Dinge so sind, wie sie sind und dieser, von der Idee des Guten eingerichtete Stand der Dinge, ist sinnvoll so, wie er ist. Das ist aber nur eine ungeklärte und unbegründete Behauptung, wie überhaupt Platos Bemerkungen über die Idee des Guten in dieser Unbestimmtheit bleiben.

Dennoch werden die Dinge durch die Ideen bestimmt und insofern sie seiend sind, sind sie es durch die Ideen. So kann man durchaus reden, auch dann, wenn der Begriff Allgemeines ist, denn es gibt am Ding schlechthin nichts, was nicht begriffliche Bestimmung wäre. Ein anderes Problem liegt vor, wenn die Idee vergegenständlicht ist, dann hätte man zwei Wesen: auf der einen Seite den unbestimmten Gegenstand, auf der anderen Seite die ihn bestimmende, ewige, unveränderliche, selbständige Idee und hätte sich dann zu fragen, wie die Idee in das Ding kommen kann. Natürlich kann man sich nicht vorstellen, die Idee würde etwas von dem, was sie hat, auf die Dinge übertragen, denn dann würde ja von der Idee bald nichts mehr übrig sein, dann wäre die Idee der Größe, wenn sie ihre Größe an die Dinge abgäbe, bald klein. Man kann eben nicht das, was man strikt getrennt hat, wieder versuchen zusammenzufügen.

Nimmt man aber einmal Platos These hin: Die Dinge haben an den Ideen Anteil, die Ideen sind seiend, die Dinge jedoch nur, insofern sie an den Ideen teilhaben. Dann sind die Dinge seiend, insofern sie begrifflich bestimmt sind. Die Ideen dagegen sind seiend, insofern sie ewig, unveränderlich, selbständig und vor allem nicht wie die Dinge fremdbestimmt sind. Man kann sagen, die Ideen sind sie selbst und der Sinn des Seins ist für Plato das Selbstsein.

Die Ideen haben aber auch Beziehungen untereinander. Das Art – Gattung – Verhältnis kennt man seit Platon. Die Begriffe bilden sogar eine Hierarchie mit einigen wenigen Grundbegriffe an der Spitze, über die Plato aber keine einheitlichen Angaben macht. Mit dem Art – Gattung – Verhältnis kann man die Existenz der Gattungsbegriffe erklären, nicht jedoch die der Artbegriffe. Darum hat Plato das Art – Gattung – Verhältnis in einer Beziehung aufgehoben, die man Dialektik nennt. Ihren Grundgedanken kann man sich so klarmachen: Wenn man etwa wissen will, was „rot“ ist, dann ist es doch sicher nicht „grün“, „blau“, „gelb“, „braun“, usw. Kann man das Rote nun von allen anderen Farben unterscheiden, hätte man das Rote bestimmt. Es bestimmt sich also gegen alles andere und man kann so mit Sinn sagen: Das Rote und überhaupt jeder Begriff ist das, was es nicht ist. Eine solche Bestimmung des Roten gelingt aber nur innerhalb der Farben, d.h. die dialektische Bestimmung eines Begriffs gelingt nur, wenn sein übergeordneter Begriff bereits bestimmt ist.

Die Ideen bestimmen die Dinge und alles, was am Ding seiend ist, ist es vermöge einer Teilhabe an Ideen. Bleibt vom Ding etwas zurück, wenn man ihm die begriffliche Bestimmung nähme? Theoretisch wären zwei Antworten möglich: Die Idee entäußert sich in irgendeiner Weise zum Ding oder es gibt etwas, das bereitliegt, das von der Idee bestimmt oder mit Inhalt gefüllt wird. Zunächst ist das Ding ein Zusammenvorliegen von Qualitäten (und darum sowohl Einheit, als auch Vielheit) (Soph 251 a – b). Dann wäre es eine Menge, die von den Ideen mit Inhalt gefüllt wird. Im Dialog Timaios erwähnt Plato ein sog. Aufnehmendes, es ist ein unbestimmt Bereitliegendes, einem Gefäß vergleichbar, das der Idee Raum gibt und von ihr qualifiziert wird (Tim48 e ff). Ein solches Aufnehmendes passt nicht recht in ein idealistisches System, denn es ist ja gerade nicht begrifflich bestimmbar, aber es ist trotzdem irgendwie seiend. Plato sah sich vielleicht genötigt, ein solches Aufnehmendes anzunehmen, um die Dinge der Natur verstehen zu können, aber es erzeugt viele Probleme. Zunächst kann es das Problem der Bestimmtheit nicht lösen (warum ist das da ein Tisch und kein Stuhl?). Das Problem der Bestimmtheit ist ein Problem, das der Idealismus aufgibt und wenn das Aufnehmende nicht geeignet ist, dieses Problem zu lösen, dann kann der Idealismus an dieser Stelle etwas nicht erklären, was er erklären muss oder man hat mit diesem Aufnehmenden einen Bereich, der dem Idealismus nicht zugänglich ist. Dann wäre Platos System dualistisch. Weiterhin muss die Welt der Dinge konsistent sein, es kann also nicht jedes Ding mit jeder beliebigen Idee zusammengehen, noch mit jedem anderen Ding zusammen bestehen. Dieses Problem entsteht, wenn man von vornherein eine Welt der Dinge und eine Welt der Ideen trennt, denn dann hat man Schwierigkeiten, beide Welten sinnvoll aufeinander zu beziehen

Man kann Platos Philosophie als eine Reaktion auf Parmenides lesen und sich dann fragen, wie und warum sah er sich genötigt, Parmenides zu korrigieren. Man wird gegen Parmenides immer die Realität geltend machen und sagen: Aber es gibt doch seiendes Einzelnes. Man kann es theoretisch wegerklären, es bleibt doch Einzelnes, das (in irgendeiner Weise) ist. Andererseits hat doch auch Parmenides recht, wenn er sich gegen eine Vielheit des Seienden verwahrt. Es ist theoretisch einfach unbefriedigend, Seiendes zu vervielfachen. Da hilft es auch nichts, wenn man einwendet: Dieses Problem entsteht nur dann, wenn man Sein und Seiendes identifiziert und damit das Sein vergegenständlicht. Es bleibt einfach unbefriedigend zu sagen: Das Seiende ist vieles.

Für Plato existieren zunächst die Dinge – wenn auch in geringerem Maße. Im eigentlichen Sinn aber existieren die Ideen. Sie sind selbständig und selbstbestimmt und gerade darum existieren sie. Wenn nun die Idee A existiert, dann ist sie zumindest nicht die Idee B. Parmenides würde sagen, sie habe Anteil am Nichtsein. Diese Folgerung kann man aber nicht ziehen, wenn man von vornherein eine Vielheit an Seiendem annimmt. Nichtsein ist vielmehr Verschiedensein (Soph 257 b), also in gewisser Weise ebenso seiend. Ein echtes Nichtsein kann es dann aber nicht geben, denn alles ist begrifflich bestimmt und darum seiend, denn ein Unbestimmtes ist zu denken nicht möglich und kann folglich auch nicht existieren. Wie Parmenides scheint auch Plato kein Nichtsein im strikten Sinn zu kennen. Aber das Sein ist ihm nicht eines, sondern in viele Seiende geteilt. Das ist offenbar deshalb möglich, weil Sein für ihn Bestimmtsein ist. Bestimmtsein ist aber nur dialektisch, d.h. gegen andere Bestimmtheiten möglich. Auf diese Weise kann man von der Einheit des Seienden in ihrer Vielheit reden.

2.1.3 Aristoteles

Die Wirkung des Aristoteles auf die abendländische Philosophie, ja auf die abendländischen Denkgewohnheiten ist so tiefgreifend, dass wir diese Wirkung kaum noch bemerken. Aristoteles ist nämlich der Erfinder des Gegenstands als eines Trägers von Eigenschaften. Dieses Dingkonzept ist weder naheliegend, noch alternativlos, es empfiehlt sich höchstens durch unsere Sprechgewohnheiten. Wir haben nämlich die Tendenz, das Ding als Satzsubjekt zu deuten und die Qualität als Prädikat eines Subjekts. Aber dass ein solches Konzept keineswegs auf der Hand liegt, ist uns kaum noch bewusst.

Man scheint die Philosophie des Aristoteles anhand von vier Grundsätzen verstehen zu können:

1. Seiend ist immer nur das Einzelne. Man sollte das nicht so verstehen, als ob damit nur das sinnlich Gegebene gemeint wäre. Andererseits hat Aristoteles sicher eine gewisse Präferenz für die Dinge der Natur. Selbständige Dinge sind für Aristoteles in einem besonderen Maße seiend, während anderes nur in einem geringeren Sinn seiend ist. So z.B. die Gattungsbegriffe, die insofern kein Einzelnes sind, als sie eine Zusammenfassung und Abstraktion von Einzelnem sind. In gewisser Weise kann man sie natürlich auch als Einzelne bezeichnen, da sie doch von anderem wohlunterschieden sind. Auch Relationen sind seiend, wenn auch in geringerem Maße, obwohl man sie doch nicht als Einzelne bezeichnen kann. Man kann das Einzelne aber auch in einem sehr allgemeinen Sinn verstehen, dann ist obiger Satz aber nicht besonders interessant, denn man kann in gewissem Sinn alles, was man nur irgendwie benennen kann, als Einzelnes bezeichnen. Die erste These ist also am besten so zu verstehen, dass die Dinge in besonderem Maße seiend sind, alles andere aber nur in einem eingeschränkten Sinn.

2. Die Dinge sind in besonderem Maße seiend, insofern sie selbständig sind (Aristoteles sagt meist ’abgetrennt’). Unter diese These fällt die bekannte Unterscheidung von Substanz (Ousia) und kategorialen Bestimmungen. Die Substanz ist der selbständige Gegenstand, der zu seiner dauerhaften Existenz kein anderes benötigt. Die Kategorien sind das, was nur an der Substanz existieren kann, wie z.B. die Qualität, die Quantität, die Relation, usw., was also unselbständig ist. Die kategorialen Bestimmungen sind also keineswegs nichtseiend, sie sind nur weniger seiend als die Substanz. Die Substanz ist selbständig, während die kategorialen Bestimmungen (wie z.B. ist rot, ist 2m lang, ist Vater, steht neben dem Tisch) nur an der Substanz existieren. Aus diesem Grund sind sie nur eingeschränkt seiend. Die Einteilung des Seienden in Substanzen und kategorialen Bestimmungen ist natürlich nicht vollständig. Unerwähnt in dieser Einteilung bleiben etwa die sonst von Aristoteles oft bedachten Gattungen. Sie sind ebenfalls auf Grund ihrer unvollständigen Existenz eingeschränkt seiend.

Aber auch die Substanzen selbst sind in unterschiedlichem Maße seiend. Aristoteles unterscheidet am Ding Stoff (Hyle) und Form (Eidos). So ist etwa an einer Statue der Stoff der Stein und die Form die Gestalt. Oder bei einem Haus ist der Stoff das Baumaterial, die Form der Begriff des Hauses, wie er sich in seiner Definition ausdrückt.

Dies ist aber nicht so zu verstehen, als sei das Ding aus Stoff und Form zusammengesetzt, sondern Stoff und Form sind zwei Aspekte des Dings. Beide scheinen zunächst reine Relationsbegriffe zu sein. Weiterhin ist die Form aber auch eine verwirklichte Möglichkeit und der Stoff eine noch nicht verwirklichte Möglichkeit. Der Stoff kann zu etwas werden, er ist der Möglichkeit nach etwas anderes. Trotzdem kann man nicht sagen, der Stoff sei der Möglichkeit nach Form oder er könne zur Form werden, vielmehr ändern sich die Eigenschaften des Felsblocks, wenn der Bildhauer aus dem Stein die Statue meißelt. Stoff und Form sind eben Aspekte des Dings und nicht ihre realen Teile. Dennoch gibt es Dinge, die zu vielem werden können und Dinge, die ein solches Potential nicht besitzen, weil sie alles, was in ihnen liegt, bereits verwirklicht haben. Man könnte also eine Hierarchie der Dinge aufstellen, beginnend mit jenen, an denen nichts oder fast nichts verwirklicht ist, bis zu den Dingen, die keinerlei Stoff mehr enthalten und nur Wirklichkeit sind. Erstere sind die bekannten Elemente Feuer, Wasser, Luft und Erde, wozu als fünftes noch die himmlische Materie, der Äther, hinzukommt. Sie sind reine Möglichkeit und enthalten noch keine Verwirklichung. Aber die Elemente kommen nie rein vor, insofern sind sie Abstraktionen. Es gibt z.B. nicht Feuer, sondern immer nur Feuer in einer bestimmten Gestalt. Andererseits ist Gott das Wesen, das keinerlei Stoff an sich hat und nur Form ist. Was nun bloß der Möglichkeit nach existiert, das ist in geringerem Maße seiend als das, was bereits verwirklicht ist. So sind etwa die Elemente in geringerem Maße seiend als etwa die Tiere, während jene in geringerem Maße seiend sind als Gott, an dem es keinerlei Möglichsein gibt.

3. Soweit die Substanz der Wirklichkeit nach existiert, ist sie Form (Eidos), also ist das Ding vermöge seiner Formbestimmung (Eidos) seiend. Das Eidos ist der Begriff des Dings, wie er sich etwa in der Definition äußert. Der Begriff ist aber ein Allgemeines, während das Ding ein Einzelnes ist. Hier scheint also ein Widerspruch vorzuliegen. Dies entspricht aber durchaus unserer Sprechweise. Denn wenn man fragt ’Was ist das?’, erhält man z.B. die Antwort ’Ein Tisch’. Wir fragen also nach einem Individuum und bekommen ein Allgemeines zur Antwort. (Je nach Intention der Frage erwarten wir aber auch eine Antwort der Art: ’Das ist mein Tisch’ oder ’Das ist der Tisch meines Bruders’. Hier erhält man zwar ein Individuum zur Antwort, aber die Frageintention ging nicht auf das Ding, sondern auf die Beziehungen, in denen es steht. Der Fragende weiß hier bereits, dass es sich um einen Tisch handelt.) Das Ding ist also durch seinen Artbegriff vollständig bestimmt und insofern befindet sich Aristoteles auch in Einklang mit unserer Redeweise. Man hat eingewandt (Zeller), das Ding sei schließlich ein Individuum, der Begriff aber ein Allgemeines und für Aristoteles gehe auch die Wissenschaft nur auf das Allgemeine; die Wissenschaft könne also niemals das Ding in seiner Individualität erfassen. Man kann natürlich erwidern, die gesamte Antike habe noch gar keine Vorstellung von der Individualität. Aber Aristoteles hat doch völlig recht mit seiner Behauptung, das Wesen des Dings liege in seinem Begriff, d.h. das Sein des Dings ist sein Begriff (Met Z11, 1037a30), seine Individualität ist eine unwesentliche Bestimmung an ihm. Will man ein Ding als Individuum bestimmen, so ist das zwar durchaus möglich, aber nur mit kategorialen und d.h. unwesentlichen Bestimmungen.