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Dieser Band enthält folgende Romane: Schwarzer Engel (Ann Murdoch) Sandra Düpree und die Ritter von Rügen (Alfred Bekker) Jagd auf den Jenseitsmörder (Frank Rehfeld) Helen Chambers malt Bilder, die sich unbewusst mit dem Tod beschäftigen. Das zieht den Verbrecher Bannister magisch an, der den Tod selbst als Kunstwerk begreift. Nachdem er von Helen in Notwehr erschossen wurde, kehrt er als Geist zurück. In ihrer Not sucht sie Hilfe beim Geisterjäger Sutton, der sich jedoch als Hochstapler entpuppt. Dennoch nehmen beiden Kampf gegen den Geist auf, weil ihnen niemand sonst helfen kann.
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Seitenzahl: 362
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Jenseitsengel und dunkle Ritter: 3 Geheimnisvolle Thriller
Copyright
Schwarzer Engel
Sandra Düpree und die Ritter von Rügen
Jagd auf den Jenseitsmörder
Dieser Band enthält folgende Romane:
Schwarzer Engel (Ann Murdoch)
Sandra Düpree und die Ritter von Rügen (Alfred Bekker)
Jagd auf den Jenseitsmörder (Frank Rehfeld)
Helen Chambers malt Bilder, die sich unbewusst mit dem Tod beschäftigen. Das zieht den Verbrecher Bannister magisch an, der den Tod selbst als Kunstwerk begreift. Nachdem er von Helen in Notwehr erschossen wurde, kehrt er als Geist zurück. In ihrer Not sucht sie Hilfe beim Geisterjäger Sutton, der sich jedoch als Hochstapler entpuppt. Dennoch nehmen beiden Kampf gegen den Geist auf, weil ihnen niemand sonst helfen kann.
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
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Alles rund um Belletristik!
von Ann Murdoch
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„Ach, du lieber Himmel, Großvater, Lass mich das doch machen. Du sollst doch nicht auf die Leiter steigen“, schalt Sabrina liebevoll. Sie nahm Alistair Ferguson die Bücher aus der Hand, die dieser in das oberste Regal der kleinen, aber gut etablierten Buchhandlung in Soho zurücklegen wollte. Er führte dieses Geschäft schon seit mehr als vierzig Jahren und hatte es immer wieder verstanden, einen festen Kundenstamm aufzubauen und auch zu halten. Außerdem galt er als Experte für alte Schriften und wurde immer wieder für Expertisen herangezogen, wenn es um Versteigerungen ging. Als Kryptologe besaß er den denkbar besten Ruf. Selbst die Polizei hatte schon auf sein Wissen zurückgegriffen, wodurch unter anderem ein groß angelegter Betrug aufgeklärt werden konnte.
Seit einiger Zeit arbeitete Sabrina ebenfalls hier. Sie war die Tochter des einzigen Sohnes, den Alistair hatte. Frederic und seine Frau Mary waren bei einem Eisenbahnunglück ums Leben gekommen, und Alistair hatte das Mädchen zu sich genommen, um es aufzuziehen. Aus dem schüchternen kleinen Kind von damals war eine selbstbewusste junge Frau geworden, die nach ihrem Studium der alten englischen Geschichte, Schriftkunde und Philologie darauf verzichtete, irgendwo in einem Museum oder einer Forschungseinrichtung eine gut bezahlte Stellung anzunehmen. Stattdessen übernahm sie mehr und mehr das Geschäft ihres Großvaters, der alles daransetzte, seiner Enkelin all das Wissen zu vermitteln, was er in vielen Jahren angesammelt hatte. Obwohl er es schätzte, dass Sabrina stets in seiner Nähe war, hätte er es doch lieber gesehen, wenn sie ihre Fähigkeiten voll ausgenutzt hätte. Museen und staatliche Büchereien waren immer froh über Experten, die ihr Handwerk verstanden. Er war mittlerweile weit über siebzig Jahre alt, aber noch immer rüstig und voll von Plänen für eine Erweiterung des Geschäfts.
Doch Sabrina machte sich schon öfter Sorgen, denn ihr entging es nicht, dass der alte Mann sich ab und zu an sein Herz fasste, aber jeden Gedanken an einen Arztbesuch von sich schob.
Zwischen den beiden herrschte ein liebevolles Verhältnis, und Alistair war sicher, dass Sabrina in seinem Sinne weitermachen würde.
Die altmodische Türglocke läutete, und ein Paar mittleren Alters kam herein. Sabrina wollte sich um die beiden kümmern, doch ihr Großvater winkte ab. Er kannte die zwei und wusste, dass hier ganz spezielle Wünsche zu erfüllen waren. Also stieg sie nun die Leiter hinauf, um die schweren Bücher wieder an ihren Platz zu räumen. Versonnen blätterte sie darin, machte dann eine ungeschickte Handbewegung, und einer der wertvollen Bände fiel herunter.
„Hoppla, sind sie immer so stürmisch?", fragte eine freundliche warme Stimme von unten. Ein Mann hatte das Buch aufgefangen und blickte nun bewundernd an der schlanken Gestalt empor.
„Ach Gott, habe ich Sie etwa mit dem Buch verletzt? Tut mir leid, entschuldigen Sie bitte.“ Sie stieg von der Leiter, nahm ihm das Buch aus der Hand und untersuchte es auf Schäden. Erst danach wandte sie sich dem neuen Kunden zu. Was sie sah, ließ ihr Herz für einen Augenblick höher schlagen. Doch sie rief sich selbst zur Ordnung. Seit wann achtete sie denn darauf, ob ein Mann hochgewachsen, schlank und gutaussehend war? Mit dunkelblauen Augen, die ganze Geschichten erzählen konnten, einem schmal geschnittenen Mund und Grübchen in den Wangen? Und dann diese Stimme! Nein, sie hatte bislang kein Interesse an Männern gezeigt, warum sollte sich das ändern?
Sabrina zwang sich dazu, wieder geschäftsmäßig zu werden. „Vielen Dank für Ihre Hilfe. Aber wie kann ich Ihnen helfen? Oder mögen Sie einfach nur ein bisschen stöbern?“
Er strahlte sie an. „Es ist sehr freundlich, dass man sich bei Ihnen erst einmal umsehend darf, bevor man etwas kauft. Aber ich habe in der Tat ein sehr spezielles Anliegen und bin mir gar nicht sicher, ob ich hier überhaupt richtig bin.“
„Dann sollten Sie mir vielleicht erst einmal erklären, um was es geht, und dann werden wir sehen, ob mein Großvater oder ich helfen können.“
„Ich habe von einem alten Freund eine Empfehlung, Mr. Ferguson aufzusuchen. Sie sprechen von Ihrem Großvater, demnach sind Sie Miss Ferguson?“ Seine Augen funkelten vergnügt, und er streckte ihr die Hand entgegen. „Mein Name ist Gideon Dunnett. Ich bin Ingenieur für Minenbau und habe vor kurzem das Erbe meines Onkels angetreten, Lord Pennington. In seinem Nachlass fand ich etwas merkwürdiges, was mir nicht nur Kopfzerbrechen bereitet, sondern vielleicht äußerst wichtig sein könnte.“
Er holte aus der Innentasche seines Jacketts einen Umschlag hervor.
„Dieses Manuskript hat mich ein wenig verwirrt, weil es sich auf etwas bezieht, was mit zum Besitz gehört. Aber ich verstehe da einiges nicht so recht.“ Er brach ein wenig hilflos ab.
Sabrina lachte kurz auf. „Das klingt bis jetzt nicht sehr einleuchtend, Mr. Dunnett. Darf ich mal sehen?“ Ihre blauen Augen leuchteten, und er fühlte sich seltsam berührt. Ihm waren schon viele schöne Frauen begegnet, doch Sabrina war nicht nur bildhübsch, sie strahlte auch eine besondere Anmut aus und besaß das gewisse Etwas, das eine Frau von anderen abhob. Sie nahm das handgeschriebene Manuskript, das aus mehreren Blättern bestand, und stutzte.
„Aber das sind ja uralte Aufzeichnungen. Und die tragen Sie einfach so herum?“
Er zuckte die Schultern. „Ich kann nicht sagen, ob dieses Manuskript wirklich wertvoll ist. Aber ich bin eher über das erschrocken, was ich dort entziffern konnte, auch wenn es nicht viel ist. Ich muss gestehen, ich habe so meine Schwierigkeiten mit der Handschrift und der damaligen Schreibweise. Doch ich fürchte fast, es hat etwas mit dem ziemlich plötzlichen Tod meines Onkels zu tun.“
„Halt, Moment, langsam, das ist mir zu hoch“, unterbrach Sabrina, die sehr genau spürte, dass der Mann von einer inneren Erregung erfüllt war, die ihr mehr als ungewöhnlich erschien. „Mr. Dunnett, verzeihen Sie, aber ich glaube, mein Großvater ist doch wohl der richtige Ansprechpartner für Sie.“
„Ja, das fürchte ich auch fast.“ Er griff sich an den Kopf, und ein verlegenes Lächeln erschien auf seinem Gesicht. „Sie müssen mich ja für völlig überdreht halten. Tut mir leid, aber ich bin selbst noch ganz verwirrt.“
„Ist schon in Ordnung.“ Sabrina blickte zu Alistair Ferguson gegenüber, der gerade die beiden Kunden fertig bedient hatte. „Kommen Sie, Großvater kann diesen Text vermutlich sogar fließend übersetzen, während ich noch ein wenig länger brauche. - Großvater, bitte, hast du einen Augenblick Zeit?“
Alistair trat näher, seine wachen intelligenten Augen huschten zwischen den beiden hin und her, als würde er mehr sehen. Er streckte die Hand aus, um den Kunden zu begrüßen.
„Mr. Dunnett, wenn ich mich nicht irre? Patrick hat mir schon erzählt, dass sie mich wahrscheinlich aufsuchen werden, weil sie ein handgeschriebenes Manuskript übersetzt haben möchten?“
„Ich fürchte mittlerweile, es ist mehr als nur das“, sagte Gideon mutig.
Noch einmal musterte Alistair den Mann. Sabrina wusste, dass ihr Großvater eine Art sechsten Sinn besaß, mit dem er Menschen auf Anhieb richtig einschätzen konnte. Er schien auch dieses Mal zu einem Ergebnis gekommen zu sein, denn er warf einen Blick zur Uhr und schaute dann seine Enkelin an.
„Es ist schon später Vormittag. Wollen wir abschließen und unseren Gast zum Essen einladen? Dann können wir uns in aller Ruhe um sein Problem kümmern.“
Sie stellte keine weiteren Fragen, war im Gegenteil sogar erfreut, dass sie auf diese Weise die Gelegenheit bekam, sich noch etwas länger mit diesem sympathischen Mann zu unterhalten.
„Eine gute Idee, es ist heute ohnehin nicht viel los“, stimmte sie zu und amüsierte sich ein wenig über die Verblüffung von Gideon. „Kommen Sie, Mr. Dunnett, hier nebenan gibt es ein kleines Restaurant, in dem man hervorragend essen kann. Es gehört einem alten Freund meines Großvaters. Dort sind wir auch ungestört, und Sie können Ihre ganze Geschichte in aller Ruhe erzählen.“
Sabrina verschloss die Tür sorgfältig, Alistair schaltete die Alarmanlage ein und zog Gideon am Arm mit sich.
„Kommen Sie, es sind nur ein paar Schritte.“
Keine fünf Minuten später saßen die drei in einem gemütlichen Restaurant, das von außen sehr unscheinbar wirkte. Alistair hatte dem Wirt mit einer Handbewegung die Bestellung aufgegeben, und nun sah er Dunnett auffordernd an.
„Mein Freund Patrick kannte Ihren Onkel recht gut und hat mir erzählt, dass der Tod sehr plötzlich eingetreten ist. Mein Beileid, Mr. Dunnett. Aber ich muss gestehen, dass Patrick die Umstände etwas merkwürdig fand, auch deswegen, weil Ihr Onkel vorher seltsame Andeutungen gemacht hat. Es wäre also sicher hilfreich, wenn Sie mir nicht nur das Manuskript geben, sondern möglichst auch alles erzählen, was Ihnen bekannt ist.“
Gideons Gesicht hatte seine Empfindungen widergespiegelt, und nun war er vollends verblüfft.
„Sie reden wie ein Polizist, Mr. Ferguson. Dabei bin ich nur hergekommen, um Ihnen dieses Manuskript vorzulegen.“
Alistair nickte ernst. „Richtig. Aber dieses Schriftstück ist eines von dreien, in denen es um mysteriöse Vorgänge geht, die alle mit den Steinskulpturen zu tun haben, die im Park von Pennington Castle stehen. Oder habe ich da unrecht?“
„Sie sind bemerkenswert gut informiert.“ In der Stimme von Gideon war ein wenig Misstrauen zu hören.
„Diese Schriftstücke sind in Fachkreisen gut bekannt - das heißt, zwei von ihnen. Das dritte galt lange als verschollen, bis ich vor einigen Jahren von seinem Vorhandensein erfuhr. Leider konnte ich es bis heute nicht in Augenschein nehmen Ich gehe nun davon aus, dass Sie es gerade bei sich tragen. Ein guter Schriftsachverständiger ist meist auch eine Art Detektiv.“
Nun verstand Gideon schon etwas mehr. Er legte den Umschlag mit dem wertvollen Papier auf den Tisch.
„Dann will ich versuchen, alles nacheinander zu erzählen, auch wenn das nicht viel ist. Ich bin Ingenieur und habe bis vor zwei Wochen noch an einer Mine in Australien gearbeitet. Dann erhielt ich überraschend einen Brief von meinem Onkel Jason, in dem er mich bat, so rasch wie möglich nach England zurückzukehren. Er fürchtete sich vor etwas, wollte jedoch im Brief nichts darüber schreiben. Ich konnte meine Arbeit nicht von heute auf morgen liegen lassen und kehrte erst eine Woche später zurück. Da lag mein Onkel bereits auf dem Totenbett und hatte mir nur einen weiteren Brief hinterlassen.“
„Haben Sie den auch dabei? Kann ich ihn mal sehen?", fragte Alistair sachlich.
„Ja, natürlich, ich trage ihn tatsächlich bei mir.“ Er zog ein einfaches Blatt Papier hervor und reichte es dem anderen Mann, der halblaut vorlas, so dass auch Sabrina informiert war.
„Mein lieber Gideon, ich bedaure sehr, dass du nicht mehr rechtzeitig eingetroffen bist. So bleibt mir nur, dich auf diesem Wege zu warnen. Unsere Vorfahren haben sich einst mit Mächten eingelassen, die niemand wirklich beherrschen kann. Bis heute ist es niemandem aus unserer Familie gelungen, das Böse, das heraufbeschworen wurde, zu bannen. Mir bleiben nur noch wenige Stunden, dann werde ich tot sein. Der Fluch der Schwarzen Engel hat auch mich eingeholt. Du musst den Schwarzen Stein mit Leben füllen, nur dann kann der Fluch gebrochen werden. Du brauchst das Wissen aus dem hinterlegten Manuskript, jemanden, der dir uneigennützig hilft, und alles Glück, das es auf der Welt gibt. Du bist der letzte unserer Familie, es liegt allein an dir, den Fluch zu brechen. Du magst diese Zeilen etwas seltsam finden, aber ich wage nicht, mehr zu schreiben. So leid es mir tut, du musst alles allein herausfinden. Aber du kannst dir Hilfe holen. Frage Patrick, er wird mehr wissen. Und als letztes ein guter Rat von einem Mann, der dich mehr als alles in der Welt schätzt - zögere nicht, so schnell wie möglich eine Familie zu gründen. Du brauchst Nachkommen, die dann hoffentlich keine Angst mehr haben müssen. Ich wünsche mir so sehr, dass es dir gelingen möge, den Fluch für alle Zeiten aufzuheben. Auch wenn ich es dir nie gesagt habe, ich liebe dich wie einen eigenen Sohn. Behalte mich in guter Erinnerung, dein Onkel Jason.“
Alistair runzelte die Stirn. „Das klingt in der Tat ein wenig konfus. Aber nun gut, erzählen Sie weiter.“
Gideon wartete ab, bis die Bestellung auf dem Tisch stand. Ein einfaches Nudelgericht mit einer Sauce, die köstlich duftete.
„Ja, da gibt es nicht mehr viel zu erzählen. Ich kam praktisch in dem Moment an, da mein Onkel in der Familiengruft bestattet wurde, und gleich nach der Zeremonie nahm mich der Notar beiseite und eröffnete mir, dass ich der einzige Erbe bin. Er gab mir zusätzlich einen Umschlag, in dem sich dieses Manuskript befand und ermahnte mich, den letzten Willen meines Onkels zu erfüllen. Nun, genau das habe ich in der Tat vor, und das nicht nur, weil ein ansehnliches Vermögen damit verbunden ist. Ich schätzte meinen Onkel sehr, und weil diese ganzen Umstände doch sehr mysteriös sind, will ich mehr darüber herausfinden. Dazu benötige ich aber zuerst eine Übersetzung dieser alten Schrift. Und selbst dann weiß ich noch nicht recht, was zu tun ist. Sie scheinen entschieden mehr darüber zu wissen, Sir.“
„Wer oder was ist der Schwarze Engel?", platzte Sabrina heraus.
„Eine Statue aus schwarzem Marmor. Wunderbar lebensecht gearbeitet, ein Meisterwerk der Bildhauerkunst. Übrigens gibt es noch zwei weitere dieser Art, die jedoch im Verfall begriffen sind. Mehr weiß ich auch nicht darüber. Ich hoffe, dass in diesem Manuskript noch etwas dazu zu finden ist.“ Abrupt hob er den Kopf und schaute Alistair fragend an. „Ihren Andeutungen nach, die genauso mysteriös sind wie das Manuskript, könnten Sie selbst schon mehr darüber erzählen als ich.“
Ferguson machte noch immer keine Anstalten den Text zu lesen und zu übersetzen. Stattdessen fixierte er Gideon.
„Sind Sie bereit das Erbe anzunehmen, Mr. Dunnett? Mit allen Konsequenzen, die sich möglicherweise daraus ergeben können?“
Der runzelte die Stirn. „Warum habe ich nur das Gefühl, dass Sie wesentlich mehr wissen als Sie sagen, Mr. Ferguson?“
„Nun, weil es vielleicht so ist?", schmunzelte der ältere Mann. „Aber bitte, beantworten Sie zuerst meine Frage. Dann weiß ich, dass ich unsere Zeit nicht vergeude. Und überlegen Sie sich Ihre Antwort gut. Wollen Sie das Erbe unter allen Umständen annehmen?“
Gideon zögerte nicht eine Sekunde lag, er hatte sich offenbar schon vorher Gedanken gemacht.
„Ja, das will ich. Mein Onkel hatte seine Gründe, mir diese Bürde, die es vermutlich sein wird, auf die Schultern zu legen. Ich werde mich nicht weigern. Aber ich habe doch wohl ein Recht Einzelheiten zu erfahren.“
„Bravo, junger Mann. Dann ist es wohl an der Zeit, Ihnen eine fast unglaubliche Geschichte zu erzählen, die mich selbst schon fast mein ganzes Leben begleitet.“
Sabrina hörte fassungslos zu. Was war hier aus der einfachen Anfrage nach einer Übersetzung geworden? Hatte sie wirklich noch bis vor einer guten halben Stunde geglaubt, dass dieser sympathische Gideon Dunnett einen zweiten Blick wert war, so ahnte sie jetzt, dass er und auch sie selbst in eine Sache von gewaltigen Ausmaßen verwickelt waren, von der sie alle bis jetzt nicht einmal einen Bruchteil kannten. Ihr Großvater hütete offenbar seine Geheimnisse recht gut, denn bis jetzt hatte sie nicht einmal geahnt, dass er eine Art Geheimnisträger war. Sie fühlte gespannt wie eine Sehne am Bogen und lauschte aufmerksam, um endlich alles zu erfahren.
Ein Blick in das Gesicht von Gideon bewies ihr, dass es ihm nicht anders erging.
Alistair steckte sich eine Gabel voll Nudeln in den Mund, kaute und trank einen Schluck Wein.
„Das ist das erste Mal, dass ich mit jemandem darüber spreche, der nicht eingeweiht ist. Und wir sind nur noch sechs, die darüber Bescheid wissen. Schade, dass Ihr Onkel sich uns nicht offenbart hat. Wir hätten ihn retten können – naja, vielleicht.“
„Nun spann uns doch nicht länger auf die Folter“, empörte sich Sabrina. Er strich ihr sanft über die Wange.
„Schon gut, mein Kind. Du sollst alles erfahren, und glaube mir, jedes Wort ist wahr. Mr. Dunnett, ich fürchte, Sie haben ein sehr schweres Erbe angetreten.“
*
Alistair nahm noch einen Schluck von dem leichten Tafelwein, tupfte sich den Mund ab und lehnte sich dann zurück.
„Das sechzehnte Jahrhundert war reich an Künstlern, die zu Ehren Gottes und für die Eitelkeit der Mächtigen unschätzbare Kunstwerke erschufen. Leonardo da Vinci war nur einer von ihnen, aber sein Ruf war in der ganzen bekannten Welt weit verbreitet. Längst nicht alle Kunstwerke, die ihm zugeschrieben werden, ob es sich nun um Gemälde, Skulpturen oder Entwürfe für neue Erfindungen handelte, konnte er selbst zu Ende bringen. Es war normal, dass er den Anfang machte, genaue Instruktionen gab, und den Rest seinen Mitarbeitern und Schülern überließ. Selbst Heinrich VIII bestellte bei ihm ein Gemälde und mehrere Skulpturen, die jedoch nie geliefert wurden. Einer seiner Mitarbeiter, ein gewisser Tristan dei Viora, machte allerdings Geschäfte auf eigene Rechnung. Er bot einem englischen Händler drei Skulpturen an, die angeblich komplett aus der Hand des Meisters stammten, von ihm jedoch wegen kleinerer Schönheitsfehler verworfen worden waren. Wie hätte der Händler wissen können, dass Leonardo nicht einmal die Entwürfe für diese Skulpturen gesehen hatte? Der Preis jedenfalls war fast lächerlich zu nennen, und der Händler zögerte nicht lange, ein solches Angebot gab es nicht einmal in dieser Zeit alle Tage.
So wurden die drei Schwarzen Schwestern nach England gebracht, wo der damalige Lord Pennington eine ziemlich hohe Summe für sie bezahlte. Er ließ die drei Skulpturen in seinem Park aufstellen und freute sich daran. Mit den Statuen gelangten auch drei - nun, sagen wir Zertifikate - in den Besitz des Lords, der sich zunächst nicht um diese Papiere kümmerte.
Doch irgendwann las er, was dort geschrieben stand und wusste, dass er sich das Unheil ins Haus geholt hatte. Diese drei Skulpturen erwachen unter bestimmten Umständen zum Leben und richten dabei großes Unheil an. Gemeinsam sind sie kaum aufzuhalten, wie der Lord erkannte, als er nacheinander den Tod der meisten Mitglieder seiner Familie zu betrauern hatte. Und mit jedem Tod schienen die Statuen mehr Macht zu erhalten. Doch auch die Erlösung der Menschen und die Vernichtung der Skulpturen stehen in diesem Manuskript beschrieben, wenn man denn in der Lage ist, die Worte richtig zu lesen und zu deuten.
Über die Jahrhunderte hinweg gelang es trotz der Bemühungen vieler Menschen nur einmal, eine der Skulpturen zu bannen. Seitdem verwittert diese Skulptur, fällt aber nicht restlos zusammen, so dass davon ausgegangen werden muss, dass noch immer ein Rest von bösem Leben in ihr vorhanden ist. Vor etwa fünfundfünfzig Jahren war es mein Vater, der als Gelehrter mit diesem Phänomen konfrontiert wurde. Damals gehörten zum Ring der Wissenden sieben Personen, einer von ihnen war mein Vater, der bei dem Versuch, eine der Schwarzen Schwestern zu zerstören, selbst sein Leben ließ.
Ich trat in seine Fußstapfen, lernte alles, was es zu lernen gab und studierte alle alten Schriften, die zu finden waren. Meine Kollegen halfen mir, so gut sie konnten, und mit vereinten Kräften gelang es uns schließlich, eine Menge Informationen über diese Schwarzen Engel herauszufinden, was meinen Vater jedoch nicht mehr lebendig machte. Doch es gelang uns niemals, auch den dritten Schwarzen Engel anzugreifen, weil das entsprechende Manuskript dazu fehlte. Unsere Nachforschungen liefen ins Leere, und unsere Nachfragen bei Lord Jason Pennington wurden nicht einmal beantwortet.
Bis vor etwa sechs Monaten. Da wandte sich der Lord persönlich über meinen alten Freund Patrick an mich und gestand ein, dass er das Manuskript besaß. Doch er verlangte eine Gegenleistung, bevor er es herausgeben wollte. Er wollte selbst Mitglied in unserem Ring werden, was wir jedoch nicht zulassen konnten. Der Ring erfüllt eine spezielle Funktion, und mehr als sieben Personen dürfen es nicht sein, so wie auch sechs von uns nichts erreichen können. Das Zusammenspiel von Wissen, Intuition und Erfahrung ist, das seit Jahrhunderten den Erfolg garantiert Unsere Weigerung wurde mit Verbitterung aufgenommen. Verzeihen Sie mir diese klaren Worte, Mr. Dunnett, aber es war tatsächlich so, obwohl ich ihren Onkel eigentlich für einen klugen Mann und verständigen Menschen gehalten habe, der Verständnis hätte aufbringen müssen. Es tut mir leid, dass er nicht uns diese ganze Sache überlassen hat, sonst könnte er vielleicht noch leben. Umso mehr bin ich dankbar, dass Sie den Weg zu mir gefunden haben.“
Gideon stieß zischend die Luft aus. „Das alles klingt mehr als unglaublich, Mr. Ferguson, und wahrscheinlich würde ich Ihnen auch kein Wort glauben, wenn nicht zu viel passiert wäre, was genau in dieses Schema hineinpasst. Allerdings bleiben hier noch viele offene Fragen, wie Sie zugeben werden, speziell was diesen Ring der Wissenden angeht. Das klingt ja schon fast wie ein Geheimbund.“
„Um Himmels willen, davon sind wir mittlerweile weit entfernt, auch wenn unsere Arbeit nicht unbedingt allgemein bekannt ist. Aber in früheren Zeiten war es tatsächlich so, doch heutzutage ist es eher ein Privileg, dem Ring anzugehören.“
Sabrina runzelte die Stirn. „Heißt das, Großvater, dass ihr euer ganzes Leben darauf verwendet haben, die Statuen zu vernichten?“
Er schaute sie schmunzelnd an. „Das klingt wie eine fixe Idee und wäre eine ziemliche Verschwendung, findest du nicht? Nein, gerade durch die enge geistige Zusammensetzung unserer Gruppe konnte es uns gelingen, eine ganze Reihe anderer wissenschaftlicher Rätsel zu lösen. Doch es stimmt schon, wir haben viel Zeit darauf verwendet, die Schwarzen Engel zu zerstören, alles andere stand nie an erster Stelle.“
„Ich habe Ihnen also gar keine Neuigkeiten erzählt?", bemerkte Gideon. „Aber jetzt sagen Sie mir doch, welche Auswirkungen diese Skulpturen überhaupt haben. Ich gestehe, ich kann mir in dieser Beziehung gar nichts vorstellen.“
Alistair seufzte. „Soweit wir wissen, gibt es zwei Möglichkeiten, wie sich der verderbliche Einfluss bemerkbar macht. Zum einen kann ein Mensch vom Bösen übernommen werden, so dass alle seine Handlungen nur auf Machtentfaltung und vielleicht auch auf Vernichtung anderer ausgerichtet ist. Zum anderen - und das betrifft die stärkeren Charakter - werden die teuflischen Gestalten versuchen, jemandem zu schaden. Sei es durch körperliche Qualen, extreme Versuchung oder auch psychischen Druck. Sollten sie keinen Erfolg haben, werden sie selbst alles daran setzen, den augenblicklichen Herrn auf Pennington Castle zu vernichten. Ihr Onkel war ein starker Mann, Mr. Dunnett, deswegen hat er nicht überlebt.“
Gideon war bleich geworden. „Verstehe ich Sie eigentlich richtig, wenn ich davon ausgehe, dass dieses Erbe jetzt auf mich übergegangen ist? Muss ich ebenfalls damit rechnen...?“
Ferguson nickte ernst. „Aber Sie haben einen Vorteil, junger Mann. Sie haben sich von Anfang an um unsere Hilfe bemüht. Der Ring der Wissenden wird alles tun, um Sie zu schützen und Ihnen diese Plage endgültig vom Hals zu schaffen. Auch wenn wir im Augenblick nur sechs Personen sind, weil einer von uns gegangen ist, haben wir die Möglichkeit einiges zu unternehmen, bis ein neues Mitglied diesen Platz eingenommen hat.“
„Dann darf ich Sie bitten, mich morgen auf Pennington Castle aufzusuchen? Sie werden sicher die Statuen selbst in Augenschein nehmen wollen. Und vielleicht haben Sie bis dahin auch schon erste neue Erkenntnisse...“
„Ich kenne die Skulpturen natürlich längst“, unterbrach Alistair. „Aber Sie haben recht, ich sollte mal wieder nach dem Rechten sehen. Außerdem werde ich mich heute noch mit meinen Kollegen in Verbindung setzen.“
„Ich komme mit“, warf Sabrina entschlossen ein.
„Nein, auf keinen Fall“, wehrte ihr Großvater ab. „Das ist eine Sache, die dich gar nichts angeht. Du wirst sicherlich eines Tages in meine Fußstapfen treten, so hoffe ich, aber diese Angelegenheit muss vom Ring der Wissenden geregelt werden.“
Sie funkelte ihn plötzlich angriffslustig an. „Willst du damit vielleicht sagen, dass eine Frau, mag sie auch noch so gut ausgebildet sein, in diesem elitären Kreis nichts zu suchen hat? Im Übrigen könnte ihr doch sowieso nichts tun, weil ihr gerade nur sechs Leute seid, wie du gesagt hast. Ihr braucht also einen Nachfolger. Warum nicht mich?“
Ein schmerzlicher Ausdruck erschien auf dem Gesicht des älteren Mannes. „Es hat nichts damit zu tun, dass du eine Frau bist, der Ring hat im Laufe seines Bestehens immer wieder Frauen in seinen Reihen gehabt. Nein, Kind, ich mache mir Sorgen um dich. Du bist noch nicht so weit, dass du den drohenden Gefahren begegnen könntest.“
„Und woher willst du das wissen?", fragte sie herausfordernd. „Du hast mir nicht nur eine Menge über Kryptographie und Schriftkunde beigebracht, du hast mich auch eine Menge über das Leben gelehrt. War das alles etwa falsch?“
Gideon war hingerissen von der jungen Frau. Sie strahlte neben ihrer Schönheit auch Kraft und Autorität aus, der sich die meisten Menschen beugen würden. Sabrina Ferguson war wohl mit Abstand die ungewöhnlichste Frau, der er bislang begegnet war. Nur Alistair Ferguson schien davon unbeeindruckt, obwohl er seine Enkelin mit einem anerkennenden Blick musterte.
„Es wäre ein Armutszeugnis für mich, hättest du das alles nicht schon aufgenommen, um es auch anzuwenden. Aber hier gibt es Gefahren, denen du nicht so einfach gegenübertreten kannst. Du weißt nicht, was dich erwartet.“
„Und du kannst mich nicht immer beschützen, Großvater. Ich bin erwachsen geworden, und du musst dich damit abfinden, dass ich eigene Wege gehen werde. Solltest du mir verweigern...“
„Bitte“, wandte Gideon ein, dem diese kleine Auseinandersetzung nun doch etwas peinlich war. „Mr. Ferguson, ein Vorschlag zur Güte. Sie kümmern sich um den Schwarzen Engel, während Miss Sabrina die Gastfreundschaft von Pennington Castle in Anspruch nimmt. Sollten Sie zu der Ansicht kommen, dass für Ihre Enkelin keine Gefahr besteht, können Sie die junge Lady mitarbeiten lassen. Ich fürchte nämlich, sie wird sonst doch keine Ruhe geben.“ Die letzten Worte fügte er mit einem Lächeln hinzu und verschlang die junge Frau mit seinen Blicken.
Argwöhnisch schaute Alistair den jungen Mann an, sah aber nur ehrliche Offenheit und eine gewisse Besorgnis. Im Übrigen gefiel es ihm auch nicht, vor einem Fremden mit seiner Enkelin zu streiten. Brummend und zögernd gab er nach.
„Nun gut, vielleicht werde ich ja sogar etwas Hilfe brauchen. Aber du wirst dich nicht selbst in Gefahr bringen, und du wirst darauf hören, was ich dir zu sagen habe.“
Sie verbarg ein kleines triumphierendes Lächeln. „Ist in Ordnung, Großvater“, stimmte sie sanftmütig zu.
Nun war es Gideon, der sich ein Lächeln verbeißen musste. Sabrina würde sicher doch noch irgendwie ihren Kopf durchzusetzen wissen, sie wickelte ihren Großvater mühelos um den kleinen Finger.
Doch keiner der drei konnte zu diesem Zeitpunkt wissen, welche Folgen das nach sich ziehen sollte.
*
„Erzähle mir mehr vom Ring der Wissenden“, bat Sabrina am Abend. „Oder ist es doch ein Geheimbund, über den man besser kein Wort verliert?“
„Aber nein“, sagte Alistair leise. „Der Ring der Wissenden ist sogar schon oft in das Licht der Öffentlichkeit getreten. Und manches wissenschaftliche Gremium hat nur zu gerne die Dienste von Fachleuten dieser Klasse in Anspruch genommen. Du weißt schließlich genau, wie häufig schon meine Expertisen angefordert wurden. Selbst die Polizei greift gerne darauf zurück. Was also sollte daran geheimnisvoll sein?“
„Das beantwortet immer noch nicht meine Bitte. Du weichst mir doch nicht etwa aus, Großvater?“
„Ich? Niemals. Ich bin ja nicht einmal um Worte verlegen, wenn meine Enkelin versucht mich in die Enge zu treiben.“ Die Lachfältchen um seine Augen verzogen sich, als er sie liebevoll musterte.
„Dann fang endlich an, Worte zu finden“, forderte sie schmunzelnd.
Er lehnte sich in seinem gemütlichen Sessel zurück und zündete in aller Seelenruhe eine Pfeife an. Ein Genuss, den er sich nicht häufig gönnte.
„Der Ring der Wissenden ist schon sehr alt, seine Gründungsmitglieder stammten aus den Resten der Tempelritter. Nach ihrer Zerschlagung im vierzehnten Jahrhundert zerstreuten sich die wenigen, die das Massaker überlebt hatten, in ganz Europa und versuchten ein neues Leben aufzubauen. Viele von ihnen stammten aus vornehmen Häusern, hatten aber außer der Kriegskunst nichts weiter gelernt und verlegten sich teilweise darauf, mit nicht ganz legalen Mitteln ihr Leben zu fristen. Einige wenige aber besaßen den Ehrgeiz, mit dem erlernten Wissen etwas Besseres anzufangen. Sie wurden Ärzte, Wissenschaftler oder auch Fürsten. Es war ein Zeitalter des Aberglaubens, der Hexenverfolgung und des blutigen Wahnsinns. Aber es gab tatsächlich noch Rätsel im Überfluss, wobei die Kirche eine tragende und tragische Rolle spielte. Sie hatte das Weltbild für die gesamte Menschheit festgelegt, und dieses Dogma war eine unumstößliche Tatsache. Nach Meinung der Kirchenlehrer gab es nichts mehr zu entdecken, was nicht vom Papst in Rom als feststehende Tatsache verkündet worden war. Also mussten diese Forschungen damals noch im Geheimen stattfinden.
Sieben Männer fanden sich am 14. Februar 1342, dem Tag des Heiligen Valentin, auf dem Landgut von Archibald Billingstone zusammen, sie schworen Geheimhaltung und Loyalität untereinander. Einige von ihnen hatten aus dem Orient wunderbare Dinge mitgebracht, die schon eine Untersuchung wert waren. Es gab zu Anfang eigentlich nur Kleinigkeiten, die ihr Interesse weckten, doch nach und nach wurde der Forschungsdrang größer. Trotz der Geheimhaltung wurden die Namen und Fähigkeiten alsbald bei gewissen Leuten bekannt und leider auch weitergegeben. Selbst die Obrigkeit wurde aufmerksam, aber noch gab es nichts, was man den Leuten zur Last legen konnte.
Als die ersten Mitglieder starben, gab es viele, die an ihre Stelle treten wollten, doch die Auswahl geschah im geheimen und nur durch die Abstimmung der übrigen Mitglieder. Und nur wer zum Ring der Wissenden gehörte, kannte alle seine Kollegen.
Die Kirche allerdings sah diese kleine Bruderschaft als Ärgernis an und versuchte ihnen nachzustellen, um die Forschungsergebnisse ad absurdum zu führen und ihnen vielleicht sogar Ketzerei nachzuweisen. Einige der Mitglieder wurden verhaftet, gefoltert und hingerichtet. Doch es gab immer wieder Menschen, die das Risiko auf sich nahmen, allein um des Wissens willen ihr Leben zu riskieren.
Im sechzehnten Jahrhundert kam es nicht nur zu diversen Reformationen, es war auch eine Hoch-Zeit der Wissenschaft. Danach verliert sich das Wirken des Bundes ein wenig, wie aus den peinlich genau geführten Aufzeichnungen hervorgeht. Während der großen Hexenverfolgungen in ganz Europa versuchte der Ring der Wissenden die Leiden zu lindern, setzte sich aber schließlich selbst den Verdächtigungen aus, mit dem Teufel im Bunde zu stehen. Seit dem dreißigjährigen Krieg, von dem wir hier in England nur mittelbar betroffen waren, ging die Nachfolge in unserer Bruderschaft stets auf ein Familienmitglied über. Und dabei hat es nie Unterschiede gegeben zwischen den Geschlechtern. Frauen hatten bei uns stets die gleichen Rechte und Pflichten, dazu brauchten wir keine Emanzipation.“
„Und wann hattest du vor, mich mit dem Gedanken vertraut zu machen, dass ich einer relativ unbekannten Bruderschaft angehören werde?", fragte Sabrina ein wenig spöttisch.
„An dem Tag, an dem du endlich seine Doktorarbeit fertig schreibst, die du bisher vor dir hergeschoben hast, weil du sie für unnötig hältst. - Sabrina, du besitzt so viel Wissen, Intelligenz und Talent. Warum vergeudest du sie hier bei mir? Dein Platz ist in einer der großen Hochschulen oder in einem Forschungsinstitut, nicht in einem Antiquariat.“
„Aber du weißt doch, dass ich kein Interesse daran habe. Warum soll ich mich damit plagen, eine Doktorarbeit zu schreiben über Dinge, die andere Leute nicht einmal interessieren? Unser Fachgebiet ist zwar hochinteressant und äußerst wichtig, aber trotzdem nur wenigen Menschen bekannt. Ich brauche keine Doktorarbeit, um mein Wissen anzuwenden.“
„So solltest du das nicht sehen. Ein Titel kann dir eine Menge Türen öffnen.“
„Das Thema hatten wir doch schon“, wehrte sie ab. „Und ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass man unbedingt einen Titel haben muss, um in den Ring der Wissenden aufgenommen zu werden. Also ist es nur ein Umweg, den du einschlägst, um mich zu deiner Ansicht zu bekehren.“
„Wie gut du mich doch kennst, mein Kind. Aber es ändert nichts an meiner Überzeugung.“
„Ich werde noch einmal darüber nachdenken“, versprach sie. „Aber diese Geschichte vom Ring der Wissenden interessiert mich mehr. Das war doch eine sehr gekürzte Fassung, die du mir da vorgesetzt hast.“
„Solltest du jemals ein Mitglied werden, steht es dir frei, die Aufzeichnungen zu lesen und dich über alles kundig zu machen, was dich interessiert. Für jetzt muss es reichen“, sagte er abschließend.
Sie verzog ein wenig das Gesicht.
„Dann willst du mir auch nicht sagen, wer alles dazugehört? Besteht diese Geheimhaltung über die Mitglieder immer noch?“
Er schmunzelte. „Nur gegenüber neugierigen jungen Frauen, die ihr eigenes Wissen noch nicht ausgereizt haben.“
Sie ließ einen abgrundtiefen Seufzer hören. „Ich denke darüber nach, versprochen.“
*
Gideon Dunnett hatte einen Wagen geschickt. Zum Schloss gehörte viel Personal, und er empfand es als eine Geste der Höflichkeit, seine Gäste auf bequeme Weise zu befördern. Der Chauffeur war in schweigsamer älterer Mann, der den schweren Wagen sicher durch den Stadtverkehr und dann hinaus auf das freie Land steuerte. Nach gut einer Stunde Fahrt näherten sie sich einer Toreinfahrt. Ein hoher Zaun begrenzte ein riesiges Grundstück. Eine Weile führte die Straße durch einen gepflegten Park, dem ein Labyrinth aus Buchsbaum folgte. Dahinter erstreckte sich ein regelrechter Skulpturenpark, in dem eine Unmenge an Statuen zu finden waren.
Sabrina versuchte im vorbeifahren einen Blick auf die ominösen Schwarzen Engel zu erhaschen, doch bei der Vielzahl der Statuen war sie nicht sicher, ob sie wirklich die richtigen gesehen hatte.
Pennington Castle selbst war ein Schloss aus dem 15. Jahrhundert. Ein langgestrecktes Gebäude, an deren Enden rechts und links trutzige Türme standen. Unzählige Fenster deuteten an, dass sich im Inneren ganze Zimmerfluchten befanden, die heute sicher nicht mehr alle benutzt wurden.
„Du meine Güte, da drinnen kann man sich bestimmt verlaufen“, staunte Sabrina.
„Stimmt“, sagte Alistair. „Und soweit ich weiß, sind alle Räume voll möbliert. Es würde mich interessieren, welche Pläne dein junger Mann damit hat.“
„Mein junger Mann?“ Sabrina schnappte empört nach Luft. „Wie kommst du denn auf eine derart absurde Idee?“
Ihr Großvater lachte leise auf. „Ich habe Augen im Kopf, mein Kind. Und die haben gesehen, wie ihr euch angeschaut habt. Es mag ja sein, dass ihr selbst noch nicht genau wisst, dass ihr euch mehr als sympathisch seid. Aber für mich war das schon mehr als nur ein bisschen auffällig.“
„Also wirklich, Großvater, du hast dir da etwas eingebildet.“ Sie wurde unwillkürlich rot und spürte doch ein Ziehen in ihrem Herzen. Ganz sicher hätte sie nichts dagegen, Gideon Dunnett näher kennenzulernen, aber bis jetzt war da wirklich nichts weiter als Sympathie. Und außerdem, vielleicht war der Mann ja längst vergeben. Doch nein, dann hätte er sie bestimmt nicht so angesehen. Nun gut, sie würde jetzt erst einmal die Gastfreundschaft von Pennington Castle und Gideon Dunnett genießen. Dann konnte man weitersehen.
Schon in der Halle kam der junge Lord auf seine Gäste zugelaufen und begrüßte sie herzlich. Sabrina schaute sich neugierig um und bemerkte, dass einige Leute eifrig damit beschäftigt waren, Wände und Böden zu vermessen, wie auch Skizzen aus dem Stegreif zu zeichnen. Als sie Gideon wieder anblickte, spürte sie seine Empfindungen wie körperliche Berührungen. Seine Augen strahlten intensiv und zeigten an, dass Alistair mit seiner Ansicht gar nicht so unrecht hatte.
„Ich möchte dieses alte Gemäuer nicht einfach so stehen lassen“, erklärte Dunnett. „Darum prüfe ich gerade die Möglichkeit, das Schloss zu einem Hotel umzubauen. Naja, eigentlich ist es schon eher beschlossene Sache. Die Kosten, die hier laufend anfallen, sind sehr hoch, und die Einnahmen im Vergleich dazu doch sehr niedrig. Als Museum würde das Schloss ebenfalls nicht genug einbringen. Doch ein Hotel der Oberklasse, mit historisch eingerichteten Räumen und erstklassigem Personal könnte auch für Gäste aus dem Ausland interessant sein.“
Alistair nickte anerkennend. „Mir scheint, die Sache hat Hand und Fuß. Aber schon der Umbau wird Unsummen verschlingen. Haben Sie das Geld, oder müssen Sie teure Kredite aufnehmen?“
„Großvater“, schalt Sabrina. „Das ist doch eine sehr private Angelegenheit.“
„Nein, lassen Sie nur, Miss Ferguson. Ab einer bestimmten Größenordnung wird Geld so abstrakt, dass es nichts privates mehr daran gibt. Ja, Mr. Ferguson, den größten Teil der Gelder besitze ich, und wenn ich noch einige Wertgegenstände verkaufen kann, wird es wohl reichen. Hypotheken für diese Art von Umbau sind einfach zu teuer, weil die Banken einen Risikoaufschlag verlangen. Aber noch ist es nicht ganz so weit. Ich will erst einmal verschiedene Planungen prüfen, und ich will den Tod meines Onkels aufklären. Aber bevor wir darangehen, darf ich Ihnen doch sicherlich erst einmal eine Erforschung anbieten.“
Er führte seine Gäste in einen gemütlich eingerichteten Salon und bemerkte voller Freude, dass es Sabrina gefiel. Doch keiner von den dreien hatte wirklich Sinn, eine Teestunde zu genießen, so angenehm sie auch sein mochte.
Alistair holte die Übersetzung des Manuskriptes hervor und legte sie auf den Tisch.
„Dieser Text unterscheidet sich grundlegend von den anderen“, sagte er ernst. „Bisher hatten wir stets eine Beschreibung der Statuen selbst und Hinweise darauf, wem sie nachgebildet waren, daher wissen wir auch, dass es sich in der Tat um drei leibliche Schwestern gehandelt hat. Innerhalb des Textes waren Schlüsselwörter eingearbeitet, mit denen sich der Bann aufheben ließ, wenn man selbst die seelische Stärke und die entsprechende Formel besaß. Doch auch bei den zwei, die wir bisher wieder in ganz normalen Stein verwandeln konnten, war es notwendig, dass sich jemand opferte, um die eingeschlossene Seele zu befreien. Hier dürfte das fast unmöglich werden.“
Erschreckt und mit großen Augen griff Sabrina nach dem Blatt und begann zu lesen. „Angelina, der schwarze Engel von Sorento, wird überdauern alle Ewigkeit. In makellosen Marmor gehauen wurde eingefangen die Seele der dunklen Hexe, um ihre Macht auf immer zu erhalten. Wer den Mut hat, darf sich ihr nähern und sie verehren, dann wird sie bereit sein, ihre Macht auszudehnen. Wer es jedoch wagt, ihre Kräfte herauszufordern, wird vernichtet und dazu verdammt, auf alle Zeit in der Dunkelheit zu dienen. Verflucht sei derjenige, der die Mächte zu bannen versucht. Die Schwarze Angelina wird alle gefallenen Engel anrufen, und der Kampf wird schrecklich sein. Darum seid gewarnt. Verehrt die Schwarze Angelina und hütet euch davor, sie anzugreifen.“
Sabrina blickte ratlos zwischen den beiden Männern hin und her. „Wie soll ich das verstehen? Jemand hat die Seele einer Frau in dieser Statue eingeschlossen? Die Seele einer Hexe? Aber das ist doch absurd. Aberglaube aus dem tiefsten Mittelalter. Es kann doch nicht sein, dass wir diesen Unsinn ernst nehmen? - Oder doch?“ Sie sah das angespannte Gesicht ihres Großvaters und die bestürzte Miene von Gideon. „Wir nehmen das doch nicht wirklich ernst?", wiederholte sie hilflos. „Wisst ihr vielleicht doch noch mehr darüber?“
Gideon legte ihr eine Hand auf den Arm, sie verspürte ein Prickeln bei dieser Berührung und wünschte sich plötzlich, von dem Mann fest in die Arme genommen zu werden.
„Ich habe im Schreibtisch meines Onkels weitere Aufzeichnungen gefunden“, sagte er ruhig. „Seit die drei Skulpturen hier stehen, hat es immer wieder unerklärliche Vorfälle gegeben. Das reichte von plötzlichen gewaltsamen Todesfällen über Besessenheit oder Amoklauf bis hin zum Mord ohne Motiv. Und besonders häufig waren Frauen betroffen. Eine der Ladys auf Pennington Castle besaß selbst den Ruf einer Hexe, sie veranstaltete rund um die Schwarzen Engel Beschwörungen und legte sogar ein spezielles Pentagramm an. Drei der Felder füllen die Engel aus, ein weiteres belegte sie selbst, und das letzte wurde von demjenigen besetzt, den sie verhexen wollte. Angeblich taucht dieses Pentagramm in bestimmten Nächten immer wieder auf und kann von demjenigen benutzt werden, der sich auf diese Künste versteht.“
Sabrina schüttelte den Kopf. „Das ist vollkommen unmöglich. Keiner von uns kann ernsthaft annehmen, dass dieser Aberglaube aus dem Mittelalter sich bis in die heutigen Tage erhalten hat. Diese Beschwörungen mögen in früherer Zeit die Ansicht der Menschen bestätigt haben, dass Unglücksfälle oder Krankheiten auf das Wirken einer Hexe zurückzuführen waren. Aber eine Seele in Stein eingeschlossen - nein, vollkommen unmöglich. Genauso gut kann man heute behaupten, dass mit dem Internet ein Mord möglich wäre. Das ist ebenso absurd.“
„Leider kann ich das aber nur bestätigen“, fiel ihr Großvater ein, bevor sie weiter extreme Vergleiche heranziehen konnte. „Mein Vater berichtete dem Ring der Wissenden davon und stellte sich dann diesen Phänomenen. Es gelang ihm trotz der dunklen Mächte dieses Pentagramms den zweiten Engel zu zerstören, doch es kostete sein Leben.“
Sabrina schüttelte sich und versuchte sich langsam mit dem Gedanken vertraut zu machen, dass sie es hier wirklich mit Dingen zu tun hatte, die weitab lagen vom praktischen und wissenschaftlichen Verständnis. Widerstrebend akzeptierte sie zunächst diese Aussagen, doch sie war noch längst nicht bereit, selbst daran zu glauben.
„Ich will diese sagenhaften Skulpturen sehen“, erklärte sie entschlossen. „Das alles ist viel zu unglaublich, als dass ich es einfach so hinnehmen würde. Ich will mir selbst ein Bild machen.“
„Ich bin damit nicht einverstanden“, entgegnete Alistair. „Ich habe dir vorhergesagt, dass dies nichts ist, was dich etwas angeht. Du bist hier als Gast im Schloss, alles andere ist meine Sache.“
„O nein, Großvater, so geht das aber nicht.“ Flammende Empörung war in ihren Augen zu lesen. „Ich habe bis jetzt jedes Wort verfolgt und weiß darüber mindestens soviel wie Gideon. Außerdem hast du selbst gesagt, dass auch im Ring der Wissenden Frauen willkommen wären. Ihr seid nur sechs. Ich stelle mich als siebte Person zur Verfügung. Und ich lasse mich jetzt nicht einfach ausschließen und auf das Abstellgleis schieben. Im Übrigen werde ich mit Sicherheit Möglichkeiten finden, die Skulpturen...“ Sie hatte wie selbstverständlich den Vornamen von Dunnett benutzt, was dieser zufrieden zur Kenntnis nahm.
Die beiden Männer wechselten einen raschen Blick, in dem sowohl Resignation als auch Belustigung lagen, dann seufzte Alistair, und Gideon zuckte die Schultern.
„Schon gut, du kannst dir jedes weitere Wort für den Moment sparen, mein Kind“, gab der ältere Mann nach. „Du sollst die Schwarze Angelina sehen. Am besten gehen wir jetzt sofort, dann haben wir es hinter uns.“
Triumph lag in den Augen der jungen Frau, sie stand auf und lief zur Tür. Kopfschüttelnd folgten ihr die beiden Männer hinaus.
Gideon führte seine Gäste über die rückwärtige Haustür direkt in den Skulpturenpark hinein, und schon aus einiger Entfernung ragten die drei Statuen aus den anderen heraus. Die zwei, von denen Alistair behauptete, sie wären vernichtet, zeigten deutliche Spuren des Verfalls. Der schwarze Marmor besaß unzählige Risse, und einige Kanten waren abgesplittert. Wind und Wetter hatten ebenfalls ihre Spuren hinterlassen.
Doch die dritte Statue, die Schwarze Angelina, strahlte in voller Schönheit und schon fast beängstigender Realität.
Sabrina stand vor der lebensgroßen Skulptur, die von ihrem Sockel auf sie hinabsah und starrte ihr in die Augen. Eine schlanke Gestalt in einem bodenlangen Gewand, lockige Haare fielen offen bis auf die Schultern, und das Gesicht war zart und ebenmäßig geschnitten wie das der lebenden jungen Frau, die ihr direkt gegenüberstand. Fast furchterregend jedoch reckten sich die ausgebreiteten Flügel am Rücken, sie nahmen den Menschen den Sonnenschein weg.
Die beiden Männer betrachteten die Skulptur bewundernd und doch skeptisch. Hier hatte ein Meister seines Fachs gearbeitet. Dem Bildhauer war es gelungen den Faltenwurf des Kleides herauszuarbeiten, die Hände streckten sich dem Betrachter entgegen und zeigten selbst die feine Zeichnung der Fingernägel. Und das Gesicht schien tatsächlich ein eigenes Leben zu besitzen. Der schwarze Marmor zeigte im hellen Sonnenlicht und den selbst hervorgerufenen Schatten ein ganz eigenes Mienenspiel. Es fehlte tatsächlich nur noch, dass die Augen sich öffneten und die Menschen anblickten.
Sabrina stand noch immer bewegungslos da, und Alistair stieß sie sanft an. Ihm fiel in diesem Moment auf, dass die Gesichtszüge seiner Enkelin und der Statue sich auf verblüffende Weise ähnlich waren.
Bedauernd kehrte Sabrina in die Wirklichkeit zurück. „Sie ist wunderschön“, flüsterte sie ehrfürchtig.
In Alistair klingelten plötzlich die Alarmglocken. Konnte es sein, dass Sabrina gerade der Magie der Statue verfiel? Das dürfte auf keinen Fall geschehen. Niemals hätte er damit gerechnet, dass es so schnell geschehen könnte.
Er warf dem schwarzen Engel einen misstrauischen Blick zu. „Komm, Sabrina, ich glaube, das reicht erst einmal als Eindruck.“
„Aber sie ist wirklich wunderschön“, flüsterte die junge Frau ergriffen. „Welch eine Frau mag das gewesen sein, deren Seelen hier drinnen eingeschlossen ist?“ Sie stellte es plötzlich nicht mehr in Frage, dass diese Skulptur nicht nur einem lebenden Menschen nachempfunden war, sondern dass die Seele dieser Person sich darin befand. Auch Gideon begriff in diesem Moment, dass mit Sabrina etwas Ungeheuerliches vorgegangen war.
Ein Diener aus dem Schloss trat näher und meldete, dass Besuch eingetroffen war. Gideon war dankbar für diese Abwechslung. „Wer ist das denn?", wollte er wissen.
„Lady Barbara St. John.“
Die Miene des Mannes hellte sich auf, er kannte die Frau offenbar. „Lady Barbara ist die Tochter meines direkten Nachbarn, Lord Witherspoon“, erklärte er. „Kommen Sie, ich will Sie bekannt machen. Es ist schön, die Nachbarschaft zu pflegen, wenn man noch neu in der Gegend ist.“
Alistair runzelte die Stirn. Was hatte er mit den Nachbarn von Dunnett zu schaffen? Aber er blieb höflich und folgte seinem Gastgeber. Nur Sabrina blieb noch einmal stehen und führte stumme Zwiesprache mit dem schwarzen Engel. Ferguson fand das beängstigend und wollte seine Enkelin mit sich ziehen.
„Ich komme sofort, nur einen Augenblick noch“, wehrte Sabrina sein Drängen ab. Er gab nach. Nun ja, was sollte schon passieren?, beruhigte sich der ältere Mann selbst und ging schon voraus.
Wie hätte er auch wissen sollen, dass Sabrina längst Kontakt zu Schwarzen Angelina aufgenommen hatte, ohne sich dessen überhaupt bewusst zu sein?
*
Es war schon seltsam. Im ersten Augenblick, da Sabrina in das Gesicht der Statue blickte, hatte sie das Gefühl, sie seit Ewigkeiten zu kennen und mit ihr zu reden.
„Wer bist du?", fragten ihre Gedanken. „Wie kommt es, dass du ein in Stein gehauenes lebendes Wesen bist?“
„Das ist Magie“, entstand überraschend die Antwort. „Auf diese Weise ist es möglich, ewig zu leben. Möchtest du noch mehr darüber wissen? Ich kann es dich lehren, wenn du es selbst willst.“
„Wie soll das gehen? Du bist ein Stein.“ Sabrina verspürte ein Lachen in ihrem Inneren.
„Das ist nur eine äußere Form, die keine Rolle spielt. Wenn du den festen Willen hast, dann komm heute Nacht zu mir, und du wirst sehen, was alles möglich ist.“
„Mein Großvater wird es nicht erlauben. Er hält es – er hält dich für gefährlich.“
„Daran tut er gut. Schließlich sind Männer längst nicht in der Lage, die Mächte in unserem Inneren zu beherrschen. Aber du brauchst doch nicht wirklich seine Erlaubnis, oder?“
Sabrina kam kurzzeitig wieder zu sich. Was passierte hier eigentlich? Das war doch verrückt. Aber ein Blick in das schwarze Gesicht, das so ausdrucksvoll wirkte, ließ die junge Frau sofort wieder in die andere Welt eintauchen.
Das war der Augenblick, in dem Alistair sie mit sich ziehen wollte, aber sie konnte sich noch nicht von dieser faszinierenden Gestalt lösen.
Ferguson entfernte sich, und Sabrina spürte wieder die Anwesenheit der Schwarzen Angelina in sich selbst.
„Du kannst meine Nachfolgerin werden“, kam das verlockende Angebot.
„Und was muss ich dafür tun?“
„Ich werde es dir beibringen. Komm heute Nacht hierher, genau um halb eins. Du wirst schon sehen.“
Erst jetzt brach der Kontakt endgültig ab. Sabrina war etwas verwirrt. Sie hatte offensichtlich geträumt und war beeinflusst durch die seltsamen Worte aus dem Manuskript. Kein normaler Mensch konnte sich mit einem Wesen aus Stein unterhalten. Einbildung war es, nichts weiter. Sie schüttelte über sich selbst den Kopf und folgte ihrem Großvater in das Schloss zurück. Ihre Schritte waren energisch, und sie rief sich selbst zur Ordnung.