Jeremias - Zweig Stefan - E-Book

Jeremias E-Book

Zweig Stefan

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Beschreibung

Stefan Zweigs "Jeremias" war eines der ersten Theaterstücke, das sich klar gegen den zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im Jahre 1917 tobenden Ersten Weltkrieg aussprach. Der aus Wien stammende Zweig trat in die Fußstapfen von Hofmannsthal und Schnitzler und erlangte durch seine Arbeit als Romanautor und historischer Biograph internationalen Ruhm. Sein kosmopolitischer Geist wurde durch die Idiotie des Krieges zutiefst erregt - ein Gefühl, das in "Jeremias", seinem einzigen bedeutenden dramatischen Werk, zum Ausdruck kommt. Das biblische Thema des Stücks diente lediglich als Deckmantel für sein eigentliches Anliegen. Das Drama besteht aus neun Szenen, die mit dem Ausbruch des Krieges gegen die Assyrer beginnen und mit der Zerstörung Jerusalems enden. Die einzige voll entwickelte Figur ist der Prophet selbst, der jede Szene mit seinen wortgewaltigen Selbstgesprächen und Ermahnungen beherrscht. Alle anderen - seine Mutter, der König, die Beamten, die Priester und das Volk von Jerusalem - sind nur Begleitstimmen eines Chores. Diese Konzentration auf eine einzige Figur, die als Sprachrohr des Autors dient, kennzeichnet das Werk als expressionistisch. Die Sprache, die sich eng an die Heilige Schrift anlehnt, ist in einer blumigen, bildhaften Prosa gehalten, die sich in den emotionaleren Passagen zu einem unregelmäßigen Metrum und gereimten Versen steigert. Der Verlauf der Ereignisse folgt zwar dem biblischen Bericht, spiegelt aber durchaus die heutige Situation in Nahost wider.

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Jeremias

 

Eine dramatische Dichtung in neun Bildern

 

STEFAN ZWEIG

 

 

 

 

 

 

Jeremias, S. Zweig

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

 

ISBN: 9783849680099

 

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

 

 

INHALT:

DIE GESTALTEN DES GEDICHTS. 1

DAS ZWEITE BILD. DIE WARNUNG... 12

DAS DRITTE BILD. DAS GERÜCHT.. 31

DAS VIERTE BILD. DIE WACHEN AUF DEM WALLE.. 42

DAS FÜNFTE BILD. DIE PRÜFUNG DES PROFETEN.. 60

DAS SECHSTE BILD. STIMMEN UM MITTERNACHT.. 78

DAS SIEBENTE BILD. DIE LETZTE NOT.. 104

DAS ACHTE BILD. DIE UMKEHR.. 117

DAS NEUNTE BILD. DER EWIGE WEG... 141

 

DIE GESTALTEN DES GEDICHTS

 

ZEDEKIA, der König

PASHUR, der Hohepriester

NACHUM, der Verwalter

IMRE, der Älteste der Bürger

ABIMELECH, der Oberste der Kriegsknechte

HANANJA, der Profet des Volkes

Schwertträger, Krieger, Knechte

 

JEREMIAS

SEINE MUTTER

JOCHEBED, eine Anverwandte

ACHAB, der Diener

BARUCH, ein Jüngling

SEBULON, sein Vater

 

DAS VOLK VON JERUSALEM

DIE GESANDTEN NABUKADNEZARS

CHALDÄISCHE UND ÄGYPTISCHE KRIEGER

 

Der Schauplatz des Gedichts ist Jerusalem zur Zeit seines Untergangs.

 

 

DAS ERSTE BILD. DIE ERWECKUNG DES PROFETEN

 

„Rufe mir, so will ich dir antworten und dir anzeigen große und gewaltige Dinge, die du nicht weißt.“

Jer. XXX, 3.

 

Das flache Dach auf dem Hause des Jeremias, weißgequadert und blinkend im matten Mond. In der Tiefe mit Türmen und Zinnen, mit Schlaf und Stille Jerusalem. Alles ist reglos ringsum, nur der Wind der ersten Frühe fährt manchmal tönend durch das Schweigen.

Plötzlich Schritte, polternd und hastig, die Treppe empor. Jeremias im losen Kleid, die Brust offen, wie ein Gewürgter keuchend, stürmt herauf.

JEREMIAS: Die Tore rammelt zu ... die Riegel vor ... zum Wall ... zum Walle!... Oh Wächter, schlimme Wächter ... sie kommen ... sie sind da ... Brand über uns ... im Tempel Brand ... Hilfe ... zu Hilfe!... Die Mauer fällt, die Mauer ...

JEREMIAS (ist bis zum Rande des Daches vorgestürmt und hält plötzlich inne. Sein Schrei prallt gell gegen die weiße Stille. Er schrickt zusammen, ein Erwachen kommt über ihn. Sein Blick tastet wie der eines Trunkenen über die Stadt hin, seine Arme, die schreckhaft gespreizten, brechen langsam nieder, müde streift die Hand über die offenen Lider): Wahn! Wieder Trug und Traum, der fürchterliche! Oh Träume, Träume, Träume, wie voll ist ihrer das Haus!

(Er beugt sich über den Rand der Mauer und blickt hinab:)

Friedlich die Stadt, friedlich das Land, in mir nur dieser Brand, nur meine Brust ein Feuer! Oh, wie sie selig ruht in Gottes Arm, von Schlaf bebrütet, überdacht von Frieden, ein Tau von Mond auf jedem Haus und Schlummer, sachter Schlummer auf jedes Hauses Stirn. Nur ich, ich brenne Nacht um Nacht, stürz hin mit allen Türmen, fliehe Flucht, vergeh in Flammen, nur ich, nur ich, zerwühlt die Eingeweide, fahr taumelnd hoch vom heißen Bett zum Mond, daß er mich kühle! Nur mir sprengt Traum den Schlaf, nur mir frißt feurig Graun das Schwarze von den Lidern! Oh Marter dieses Bilds, oh Irrwitz von Gesichten, die trügerisch im Blut sich ballen und matt schmelzen dann im wachen Mond!

Und immer gleich der Traum, gleich dieser Wahn, Nacht, Nacht und Nacht, der gleiche Schrecken sich im Fleische bäumend, der gleiche Traum zu gleicher Qual entbrennend! Wer tat dies in mein Blut, dies Gift der Träume, wer, wer jagt mich so mit Schrecknis? Wer hungert meines Schlafs, daß er ihn wegfrißt mir vom Leibe, wer quält, wer quälet mich? Mond, Nacht, Gestirn, ihr kalten Zeugen, wer, wer plaget mich, und wem, wem wache ich? Oh Antwort, Antwort! Wer bist du, Unsichtbares, das vom Dunkel zielt auf mich mit Pfeilen des Entsetzens, wer bist du, Schrecknis, die mich nachts beschläft, daß ich dein schwanger ward und mich hinkrümme in den Wehen? Warum dies Grauen mir, nur mir in dieser Stadt voll Schlummer und Entsinkens!

(Er horcht in die Stille hinein. Immer fiebriger.)

Oh Schweigen, Schweigen, immer Schweigen und innen Aufruhr noch und aufgewühlte Nacht. Mit heißen Fängen krallt sichs ein in mich und kann sie doch nicht fassen, mit Bildern geißelts mich und weiß nicht, wer mich treibet, in leere Luft hinfallen meine Schreie! Wohin, wohin entfliehn? Oh wirr Geheimnis dieser Jagd, der ich erliege, und weiß nicht, wessen Ziel und wem zur Beute! Tu auf dich, Netz und Wirrnis, den Sinn sag dieser Qual, du Unsichtbarer, oder laß von mir, ich kann, ich kann nicht mehr. Laß ab, du Jäger, oder fasse mich, in Wachen ruf mich, nicht im Traum, in Worten sprich und nicht in Bildern brenne, – tu auf dich, der du mich verschließest, den Sinn sag dieser Qual, den Sinn, den Sinn!

EINE STIMME (leise rufend vom Dunkel her. Sie scheint aus Tiefen oder Höhen zu kommen, geheimnisvoll in ihrer Ferne): Jeremias!

JEREMIAS (taumelnd, wie von Steinwurf getroffen): Wer?... mein Name ... war dies mein Name nicht ... rief es von Sternen, riefs aus meinem Traum?... (Er horcht hinaus. Alles ist wieder stumm.)

JEREMIAS: Bist du es, Unsichtbarer, der mich jagt und plaget ... bin ich es selbst, tönt mein hinstürmend Blut ... noch einmal sprich, daß ich dich kenne, Stimme ... noch einmal ruf mich an ... noch einmal, einmal sprich ...

DIE STIMME (näher tastend): Jeremias!

JEREMIAS (zerschmettert in die Knie stürzend): Hier bin ich, Herr! Es hört dein Knecht! (Er lauscht atemlos. Nichts regt sich ringsum.)

JEREMIAS (erbebend vor Leidenschaft): Sprich, Herr, zu deinem Knecht! Du riefest meinen Namen, so gib die Botschaft auch, auf daß mein Sinn sie fasse. Wach bin ich deinem Wort und offen deiner Rede! (Er lauscht wieder angespannt. Tiefes Schweigen.)

JEREMIAS: Ist es vermessen, daß ich dein begehre? Ein Unbelehrter bin ich und geringer Knecht, ein Staubkorn deiner Erde, doch dein ist alle Wahl! Der du Könige kiesest aus den Hirten und oft entsiegelst eines Knaben Mund, daß er dann glühet deiner Rede, – du wählst nach andern Zeichen. Wen du berührest, Herr, der ist erwählet, wen du erwählest, Herr, der ist berufen. War schon dein Ruf dies, der an mich ergangen, oh sieh, ich habe ihn vernommen; bist du es, Herr, der mich gejagt, so sieh, ich flieh dir nicht. Faß deine Beute, Herr, greife dein Wild oder jag weiter mich zum Ziele! Nur mach mich wissend, daß ich dich nicht fehle, tu auf die Himmel deines Wortes, daß ich dich erschau, dein Knecht!

DIE STIMME (näher, eindringlicher): Jeremias!

JEREMIAS (entbrennend): Ich höre, Herr, ich höre! Mit meiner ganzen Seele horche ich dir zu! Aufgetan sind die Quellen meines Bluts und strömen, ausgereckt jede Faser meines Leibs, dich zu fassen, offen bin ich, unwürdig Gefäß, deiner Verkündung. Rede mir deine Rede, befiehl deine Befehle, dein bin ich mit dem Fleisch und dem Inwendigen meiner Seele! Ich will werden in deinem Willen und vergehen in deinem Geheiß. Ich will verlassen, die ich liebte, um deinetwillen und abseits werden meinen Freuden, ich will lassen die Süße des Weibes und die Hausung der Menschen, in dir allein will ich wohnen und wandern deine Wege. Keinen Ruf will ich hören, da ich deinen erhörte, und ertauben der Rede von Menschen. Dir allein gelobe ich mich, Herr, dir allein, denn durstig ist meine Seele deines Dienstes – offen bin ich deinem Wort und gewärtig deiner Zeichen!

DIE STIMME DER MUTTER (nun schon ganz nahe und kenntlich): Jeremias!

JEREMIAS (in Ekstase): Brich ein in mich, Herr, mein Herz birst vom Schauer deiner Nähe schon! Schütte dich aus, selig Gewitter; wühl mich auf, daß ich deinen Samen trage, mache fruchtend meine Erde, mache trächtig meine Lippe – einbrenn mir das Brandmal deiner Hörigkeit! Wirf dein Joch über mich, siehe, gebeuget schon ist mein Nacken, – dein bin ich, dein für immerdar. Nur erkenne mich, Herr, wie ich dich erkenne, nur laß mich deine Herrlichkeit schauen, wie du erschautest im Dunkel meine Niedrigkeit, den Weg nur weise deines Willens, Herr, weise ihn, weise ihn deinem ewigen Knecht!

DIE MUTTER (ist suchend die Treppe emporgestiegen. Ihr Blick ist ängstliche Sorge, ihre Stimme voll Zärtlichkeit): Oh hier ... hier bist du, mein Kind.

JEREMIAS (auffahrend von den Knien, voll Schreck und Ingrimm): Weg ... fort ... oh, verloschen die Stimme ... zerschlagen der Weg ... verborgen für immer ...

DIE MUTTER: Weh ... wie du hier stehest im dünnen Gewand am Kalten der Mauer ... komm hinab, mein Kind ... Fieber schwelt her von den Sümpfen des Morgens ...

JEREMIAS (voll Wildnis): Was folgst du mir, was verfolgst du mich! Oh Jagd ohne Ende, umstellt von Stirn und Rücken, in Wachen und Schlaf ...

DIE MUTTER: Jeremias, wie faß ich dich? Ich lag unten im Schlafe, da war mir, als hörte ich Zwiesprach vom Dache und Rede und Wort ...

JEREMIAS (auf sie zu): Du hörtest ... Du auch ... um der ewigen Wahrheit willen ... Du hörtest Ihn reden, vernahmest den Ruf ...

DIE MUTTER: Wen meintest ... keinen seh ich mit dir ...

JEREMIAS (sie fassend): Mutter ... ich beschwöre dich, sprich mir ... Tod oder Seligkeit trägt mir dein Wort ... Du hörtest eine Stimme ... wachen Sinnes hörtest du sie ...

DIE MUTTER: Eine Stimme hört ich vom Dache und tastete, daß ich dich weckte. Doch kalt war das Linnen, leer lag dein Bett. Da fiel Angst über mich, und ich rief deinen Namen ...

JEREMIAS (erschwankend): Du riefest ... Du riefest meinen Namen ...

DIE MUTTER: Zu dreien Malen rief ich ihn ... Doch warum ...

JEREMIAS: Zu dreien Malen? Mutter, des bist du gewiß ...

DIE MUTTER: Dreimal rief ich dich an ...

JEREMIAS (mit brechender Stimme): Zernichtung und Hohn! Oh, Trügnis überall, außen und innen. In Angst schrie eine zu mir, und mein Grauen vermeinte den Gott ...

DIE MUTTER: Wie bist du sonderlich! Kein Unrecht glaubt ich zu tun. Und stieg, da keiner Antwort gab, selbstens empor, ob hier einer wäre. Doch keiner war hier.

JEREMIAS: Oh doch! Ein Rasender, ein Verblendeter ... oh Qual und Marter der Träume ... Sinn und Widersinn im Betruge ... ich Narr, ich Narr meines Wahns!...

DIE MUTTER: Was redest du ... was ficht dich an ...

JEREMIAS: Nichts, Mutter, nichts ... nicht achte meiner Worte ...

DIE MUTTER: Nein, Jeremias, ich achte ihrer, doch sie verschließen sich mir. Jeremias, ein fremder Geist ist über dich kommen, fremd ward und feindlich dein Sinn. Was ist dir geschehen, mein Kind, was quälet, was sorget dich?

JEREMIAS: Nichts quält mich, Mutter ... mich schwülte das Bett ... Kühlung kam ich zu trinken ...

DIE MUTTER: Nein, du verschließt dich, du Harter, vor mir und bist doch offen meiner Seele. Meinst du, ich wisse nicht, wie du umgehst seit Monden Nacht um Nacht; meinest du, ich hörte nicht das Stöhnen deines Schlafs und den Angstschrei deines Schlummers? Oh, offenen Auges hör ich dich im Dunkel, wie du umwanderst ruhlos im Haus, Schritt für Schritt hör ich dich schreiten, und Schritt für Schritt mitwandert mein Herz. Was ists, das dich quälet? Tu dich auf, du Verschlossener, nicht birg meiner Sorge die Qual!

JEREMIAS: Nicht sorge dich, Mutter! Nicht sorge dich!

DIE MUTTER: Wie soll ich deiner nicht sorgen? Bist du denn meiner Tage Tag nicht und meiner Nächte Gebet? Aus den Händen bist du mir gewachsen, darin ich dich trug, doch meine Seele, noch hält sie dich inne, daß sie wache deines Lebens. Oh, ich wußte es vordem, eh du es wußtest, ich sah es, eh du es schautest, seit Monden schon: es ist ein Schatten auf dein Antlitz gefallen und eine Sorge in deine Seele. Du bist fremd worden deinen Freunden und abseits der Fröhlichen, den Markt meidest du und der Menschen Haus. In Gedanken vergräbst du und des Lebens versäumest du dich. Jeremias, besinne dich, zum Priester bist du gezogen, dein harret des Vaters Gewand, daß du lobpreisest den Herrn mit Psalter und Gesang. Heb auf dein Antlitz vom Dunkel in den Tag, es ist Zeit, daß du bauest dein Leben, daß du beginnest dein Werk!

JEREMIAS: Nicht ist Zeit jetzt des Beginnens! Zu nah ist das Ende!

DIE MUTTER: Es ist Zeit! Es ist Zeit! Mannbar bist du des langen, eines Weibes verlanget dies Haus und der Kinder, damit erweckt sei deines Vaters Bild.

JEREMIAS (in grimmigem Schmerz): Ein Weib heimführen in Wüstung? Kinder zeugen dem Würger? Wahrlich, nicht bräutlich nahet die Stunde!

DIE MUTTER: Ich faß dich nicht.

JEREMIAS: Soll ich bauen ein Haus in den Abgrund und mein Leben in den Tod? Soll ich säen der Fäulnis und lobpreisen die Vernichtung? Ich sage dir, Mutter, wohl dem, der sein Herz nicht hängt jetzt ans Lebendige, denn wer atmet diesen Tag, trinkt schon von seinem Tod.

DIE MUTTER: Welch ein Wahn ist über dir? Wannen war sanfter die Zeit, wann stiller im Frieden dies Land?

JEREMIAS: Nein, Mutter, sie sagen Friede und Friede, die Toren, aber es ist darob kein Friede noch, und sie legen sich nieder und vermeinen Schlaf, die Arglosen, und schlafen schon in ihren Tod. Mutter, eine Zeit ist nahe wie keine gewesen je in Israel, und ein Krieg, wie noch keiner über Erden gefahren! Eine Zeit, daß neiden werden die Lebendigen die Toten in der Grube um ihren Frieden und die Schauenden die Blinden um ihr Dunkel. Noch ist es nicht sichtig den Toren, noch ist es nicht offenbar den Träumern, doch ich, ich hab es geschauet Nacht um Nacht. Immer höher brennet der Brand, immer näher nahet der Feind, er ist da, der Tag des Getümmels und der Zertretung, schon steiget des Krieges rot Gestirn aus der Nacht.

DIE MUTTER: Entsetzen ... wie wüßtest du's?...

JEREMIAS: Ein Wort, ein heimlich Wort ist über mich kommen,

Da ich Gesichte beschaute des Nachts

Und irrging in Träumen.

Furcht und Bangnis fiel über mich,

Meine Gebeine erbebten wie eine Klapper,

Und gleich rissiger Mauer

Einstürzte mein Herz. –Mutter,

Ich habe Dinge gesehen,

Wenn die stünden geschrieben,

Würde starren der Menschen Haar

Und der Schlaf fallen wie Asche

Von ihrem Gesicht.

DIE MUTTER: Jeremias ... was ist über dich ...

JEREMIAS: Das Ende nahet, das Ende,

Es fahret aus

Dräuend von Mitternacht,

Feuer sein Wagen,

Würgung sein Flug!

Schon rauschen Schrecknis die heiligen Himmel,

Schon bebt die Erde von Donner und Huf.

DIE MUTTER (im Entsetzen): Jeremias!

JEREMIAS (sie anfassend, lauschend): Hörst du ... hörest du nicht, es rauschet, es rauschet schon nah ...

DIE MUTTER: Nichts höre ich! Es morgent. Hirtenflöten wachten im Tal, und ein klein Wind umspielet das Dach.

JEREMIAS: Ein klein Wind?

Wehe, wehe!

Gewaltigen Rauschens

Wächst er empor,

Sturmwind von Gott.

Aus dem Geklüfte

Der Mitternacht

Kommt er gefahren,

Schrecknis schwingt er

Über die Stadt.

Mutter! Mutter! Hörst du es nicht:

Schwert klirrt im Wind,

Räder rollt die rauschende Welle,

Lanze blinkt und Harnisch die Nacht,

Krieger und Krieger, unendliche Scharen

Schüttet der Sturmwind über das Land.

DIE MUTTER: Wahnwitz von Träumen! Wirrnis und Trug!

JEREMIAS: Es nahet, es nahet,

Fremd Volk,

Mächtig und alt

Aus dem Osten der Erde,

Unendliche Fülle

Rauschen sie an,

Wie Blitz fliegen weit ihre windigen Pfeile,

Ihre Rosse sind alle mit Eile behufet,

Ihre Wagen starr wie die Felsen geschient.

Und inmitten ausfähret

Mit blutiger Krone

Der Stürzer der Städte,

Der Zünder der Brände,

Der Zwingherr der Völker,

Der König, der König von Mitternacht.

DIE MUTTER: Der König von Mitternacht ... Du träumest ... der König von Mitternacht.

JEREMIAS: Den Er erweckte,

Den Er erwählte,

Als harten Vollstrecker

Härtesten Spruchs,

Daß er strieme das Volk um all seiner Fehle,

Daß er mahle die Mauer und berste die Türme,

Daß er lösche das Licht und das Lachen der Häuser,

Daß er tilge die Stadt und den Tempel von Erden

Und pflüge die Straßen Jerusalems.

DIE MUTTER: Irrwitz und Frevel! Ewig währet Jerusalem!

JEREMIAS: Es fällt!

Was Gott berennet,

Hat nicht Bestand!

Von untenher

Werden dorren seine Wurzeln,

Und von obenher

Geschnitten seine Frucht!

Mit der Axt und dem Brande

Wird der Reisige roden

Israels Forst und Zions Gefild.

DIE MUTTER (ausbrechend): Es ist nicht wahr!

Du lügst! Du lügst!

Nie wird ein Feind diese Stadt umwallen,

Nie Zion zittern, nie Davids Burg fallen!

Und wenn der Feind von den Enden der Erde käm,

Ewig werden die ragenden Mauern,

Ewig die Herzen Israels dauern,

Ewig währet Jerusalem!

JEREMIAS: Es stürzet! Gebrochen ist der Stab und gezeichnet die Stunde! Das Ende nahet, Israels Ende!

DIE MUTTER: Gottesleugner! Gottesleugner! Des Herrn Erwählte sind wir und werden dauern über die Zeiten! Nie vergehet Jerusalem!

JEREMIAS: Ich habe es geschauet in meinen Träumen, offenbar ward es meinen Gesichten!

DIE MUTTER: Frevler, wer so träumet, und Frevler siebenfach, wer glaubt solchen Träumen! Wehe, wehe, daß ichs erlebe, mein eigen Blut zaget an Zion und zweifelt des Herrn! Jeremias, Jeremias, willst du, daß mir zum Abscheu werde mein Schoß?

JEREMIAS: Wider Willen kam mir das Grauen, nicht vermag ich zu wehren den Gesichten.

DIE MUTTER: Halte dich wach im Gebet wider sie, und an dem Namen des Herrn zerschellet ihr Trug. Jeremias, besinne dich: eines Gesalbten Sohn bist du und geweiht, daß deine Stimme lobsinge dem Herrn, daß sie erhebe die Herzen der Zagenden und mit Mut fülle der Verstöreten Sinn!

JEREMIAS: Wie kann ichs, wie kann ichs! Selbst bin ich der Verstörteste aller! Laß ab von mir, Mutter, laß ab!

DIE MUTTER: Ich lasse nicht dein und nicht deine Seele dem Zweifel. Jeremias, mein einzig Kind, höre mich an! Geheimes künde ich dir zum erstenmal, daß erwache dein Herz. Höre mich, die ich zu dir rede aus meiner Not. Auch ich war eine Verzagete einst, denn zehen Jahre verschloß der Herr meinen Schoß. Spott ward ich den Gefährtinnen und der Kebsen Gelächter. Zehen Jahre trug ich es duldend und zagete schon, aber im elften entbrannte mein Herz, und ich ging in Gottes Haus, daß Er Frucht schenke meinem Schoß.

JEREMIAS: Zum erstenmal kündest du dies ... zum erstenmal.

DIE MUTTER: Und ich warf mich zur Erde und tränkte sie mit meinen Tränen und gelobete: so ein Sohn mir geschenkt sei, ihn zu weihen dem Herrn. Ich gelobete zu schweigen und kein Wort zu tun vom Munde in meiner schweren Zeit, daß ihm dereinst der Rede Fülle sei, zu lobpreisen den Gott.

JEREMIAS: Mich gelobet ... Mutter!... auch du ... auch du ...

DIE MUTTER: Selbigen Tages erkannte dein Vater mich, und ich ward dein gesegnet. Jeremias, höre, Jeremias, neun Monde begrub ich getreu die Stimme in meinem Leibe, daß dir alle Fülle des Wortes sei, daß du Lobkünder werdest des ewigen Gottes! So lösete ich mein Wort, und wir zogen dich auf, daß du lerntest die Schrift, und lieblich klang deine Stimme zum Psalter. Jeremias, nun weißt du: zum Priester bist du geweiht von Anbeginn und zum Lobkünder des Herrn. Zerreiß deiner Träume Netz und tritt in den Tag.

JEREMIAS: Oh, zwiefach Gelöbnis, Mutter, oh, zwiefach Zeugnis dieser Nacht. Zum andern Male hast du mich erwecket dem Leben, ein Wissender bin ich worden an deinem Wort, denn wundersam: ich schrie auf meine Frage zu Gott, und er entsandte dich mir zur Rede! Oh Geheimnis dieses Wegs, oh Stachel der Träume, der mich aufstieß, oh Lockung der Bilder, die mich weckten, oh trefflicher Jäger, der nicht fehlet! Nun weiß ich, wer geschlagen an meines Schlafes Wand, bis ich aufstund von meines Lebens Schlummer, nun weiß ich, wer drängete meine Säumnis, nun weiß ich, wer mich gefordert ...

DIE MUTTER: Was ward dir! Wie eines Trunkenen gehet deine Rede ...

JEREMIAS: Ja, trunken bin ich nun der Gewißheit seines Willens und so voll der Rede, daß mich der Odem in meinem Innern ängstet. Die Siegel sind gebrochen meines Mundes, und mir brennet die Lippe der Verkündung ...

DIE MUTTER: Wehe, wenn du sie kündest deine Träume, die verruchten! Mein Sohn bist du nicht, schreist du aus solchen Wahn!

JEREMIAS: Dein Sohn, Mutter? Oh, wie sehr bin ich dein Sohn, wie dir gleich im Geschehen! Wisse, auch ich bin ein Unfruchtbarer gewesen, und Er hat mir ein Wort gezeuget und ein Geheimnis. Erneut habe ich, Mutter, dein Wort, auch ich habe mich ihm gelobet ...

DIE MUTTER: So tritt hin in sein Haus, daß du ihm opferst, der dich erweckte, daß du lobpreisest seinen Namen!

JEREMIAS: Nein, Mutter, nicht Opferers Dienst hab ich genommen – selbst will ich das Opfer sein. Ihm bluten entgegen meine Adern, ihm brennet mein Fleisch, ihm flammet meine Seele. Ich will ihm dienen, wie keiner gedient, seine Wege sind meine Wege nunab. Oh, siehe, schon morgents im Tale, und auch in mir war es Tag aus den Dunkelheiten! Sein Himmel brennet in Feuer, und auch mir entbrannte das Herz. Oh, Wagen Elias, auffahrend im Feuer, reiß mit meine Rede, daß sie niederstürze wie Donner in der Menschen Tag! Wehe, mir brennet die Lippe schon, fort, ich muß fort ...

DIE MUTTER: Wohin willst du vor Tag?

JEREMIAS: Ich weiß nicht, Gott weiß es.

DIE MUTTER: Doch sage, was planest du?

JEREMIAS: Ich weiß nicht, ich weiß nicht! Sein ist mein Herz, sein ist die Tat!

DIE MUTTER: Jeremias, ich lasse dich nicht, du schwörest mir denn, daß du verschweigst deine Träume ...

JEREMIAS: Ich schwöre nicht! Ihm allein bin ich verschworen!

DIE MUTTER: ... daß du nicht kündest Schrecknis vor dem Volke.

JEREMIAS: Sein ist die Verkündung, mein nur die Lippe!

DIE MUTTER: Wehe, du fliehest mein Wort! So höre und wisse: wer ausgehet Zweifel zu säen in Israel, geht nicht mehr ein in mein Haus.

JEREMIAS: Sein ist mein Wort, sein meine Hausung.

DIE MUTTER: Wer nicht glaubet an Zion, ist nicht mehr mein Sohn!

JEREMIAS: Sein bin ich allein, der mich eintat deinem Leibe.

DIE MUTTER: So weichest du? Aber höre vordem noch, Jeremias, höre, eh du auftust die Lippe vor dem Volke: Ich fluche aus meiner Seele Kraft dem, der Schrecknis wirft über Israel, ich fluche ...

JEREMIAS (schauernd): Nicht fluche, Mutter, nicht fluche!

DIE MUTTER: Ich fluche dem, der Sturz sagt den Mauern und Wüstung den Gassen, ich fluche dem, der Tod schreit über Israel. Möge sein Leib in Feuer fallen und seine Seele in des lebendigen Gottes Faust.

JEREMIAS: Nicht Fluch sprich ... Mutter ... vielleicht stößt Er mich unter ihn ...

DIE MUTTER: Ich fluche dem Zweifler, der mehr vertrauet den Träumen denn Gottes Barmherzigkeit! Ich verfluche, ich verfluche den Leugner Gottes und wäre es mein Kind! Zum letztenmal, Jeremias ... wähle!

JEREMIAS: Ich ... geh ... meinen Weg ... (Er beginnt mit schwerem Schritt zur Treppe zu treten.)

DIE MUTTER: Jeremias ... mein einzig Kind bist du und meines Alters Trost ... entweiche meinem Fluch ... denn Gott wird ihn erhören, wie er erhörte mein Gelöbnis.

JEREMIAS: Auch ich bin ihm gelobet, Mutter, auch mich hat er erhöret. Lebe wohl! (Er schreitet die erste Stufe hinab.)

DIE MUTTER (aufschreiend): Jeremias! Über mich geht dein Schritt! Du zertrittst mir das Herz!

JEREMIAS: Ich weiß die Straße nicht, die ich schreite ... ich fühl die Steine nicht, die ich trete ... ich fühl einen Ruf nur ... einen Ruf, der mich rufet ... und ich folge dem Ruf ...

(Er steigt langsam die Stufen nieder, das Antlitz ernst und verhalten, die Augen starr in den Himmel.)

DIE MUTTER (zur Treppe hinstürzend, in Verzweiflung): Jeremias!... Jeremias!... Jeremias!...

(Keine Antwort. Der Schrei verhallt zur Klage und schwingt allmählich ganz ins Schweigen zurück. Einsam steht die einstürzende Gestalt der Mutter vor dem hohen Himmel, über den sich tragische Morgenröte wie ein Schein von Feuer und Blut mählich zu verbreiten beginnt.)

 

 

DAS ZWEITE BILD. DIE WARNUNG

 

„Die Profeten, die vor mir gewesen sind von alters her, haben wider viel Länder geweissaget von Krieg, von Unglück und Pestilenz;

wenn aber ein Profet von Frieden weissagt, den wird man kennen, ob ihn der Herr wahrhaftig gesandt hat, wenn sein Wort erfüllet wird.“

Jer. XVIII, 8/9.

 

Der große Platz von Jerusalem, der mit vielen Stufen aufsteigend in den Säulenvorhof der Burg von Zion führt, rechts zum königlichen Palaste und mittseits zum anschließenden Tempel. Auf der andern Seite ist der geräumige Platz von Häusern und Gassen begrenzt, die nieder und gebückt scheinen gegen den hochragenden Bau. Die Eingänge in den Palast sind umschmückt von Girlanden und prächtigem Zedergetäfel; in breite, kunstvolle Brunnenschalen des Vorhofs fließt Wasser nieder, rückwärts glänzt dunkel das erzgetriebene Tor des Tempels.

Vor der Säulenhalle des Palastes, auf der Straße und die Stufen empor wirr durcheinandergedrängt das Volk von Jerusalem, eine farbige, erregte Masse von Männern, Frauen und Kindern, die von einhelliger Erwartung bewegt sind. Die Menge hat viele Stimmen, die in den Augenblicken des Geschehens oft in einen einzigen Schrei zusammenfließen, sonst sich aber erregt widerstreiten. Im gegenwärtigen Augenblicke sind alle in die Richtung der Gassen gewandt und drängen sich in erwartender Unruhe.

STIMMEN: Der Wächter hat schon gerufen vom Turm ... nein, noch nicht ... doch, ich habe das Horn gehört ... ich auch ... ich auch ... sie müssen nahe sein ... von wo kommen sie ... werden wir sie sehen ...

ANDERE STIMMEN: Vom Tore Moria kommen sie ... hier müssen sie vorbei ... sie gehen zum Palast ... laßt die Gasse frei, ... ja ... ja ... wir wollen sie sehen ... weicht zurück ... macht Raum ... Raum für die Ägypter ...

EINE STIMME: Aber ist es gewiß auch, daß sie kommen?

EINE ANDERE STIMME: Den Boten sprach ich, der ihnen vorausgeeilt.

STIMMEN: Er hat den Boten gesprochen ... erzähle ... wie viele sind ihrer ... bringen sie Geschenke ... wer ist ihr Führer ... was bringen sie ... erzähle, Isaschar!

(EINE GRUPPE bildet sich um den Mann Isaschar.)

ISASCHAR: Ich vermag nur zu berichten, was der Bote, mein Schwäher, mir gesagt. Die ersten Krieger Ägyptens sind es, die Pharao uns sandte, und Sklaven sind viele mit ihnen, die Geschenke bringen auf Sänften und Tragen. Seit Salomos Tagen ward nichts ihresgleichen gen Zion gebracht.

STIMMEN: Es lebe Pharao ... Ruhm seiner Herrschaft ... Heil Ägypten!

EINE STIMME: Sie sagen, auch eine Tochter Pharaos reise mit ihnen, daß sie Zedekia vermählt werde. Ist es wahr, Isaschar?

ISASCHAR: Es ist wahr. Eine Tochter Pharaos geleiten sie. Die Schönste ist sie seiner Töchter, und er hat sie Zedekia gewählt.

STIMMEN: Ruhm Pharao ... Heil Zedekia ... werden wir sie schauen ... Heil Ägypten!...

EIN ALTER MANN: Unheil kam von je über Israel von den fremden Weibern der Könige ...

STIMMEN: Ja, sie wenden den Sinn der Gerechten ... fort mit ihnen ... was schmähst du Ägypten ... ja, was wollen, sie ... was bedeutet die Sendung ... seit wann ist Freundschaft zwischen Ägypten und Israel ... was wollen sie?

EINE STIMME: Ein Bündnis bietet Pharao Necho wider Nabukadnezar, ich weiß es von Abimelech.

STIMMEN: Heil Abimelech, unser Führer ... kein Bündnis ... kein Bündnis mit Ägypten ... kein Bündnis mit Mizraim ... wider wen ist das Bündnis ...

ISASCHAR: Warum kein Bündnis mit ihnen? Mächtig sind sie, und vereint wären wir stark wider unsern Unterdrücker. Zehntausend Sichelwagen vermag Pharao Necho ins Blachfeld zu stellen, und seine Bogenschützen und Reiter sind ohne Zahl. Er will aufstehen wider Assur, unsern Peiniger, und sie begehren unseres Beistands.

DER ALTE: Kein Bündnis mit Ägypten! Unser Kampf ist nicht der ihre!

ISASCHAR: Unsere Not ist die ihre, sie wollen nicht Knechte sein der Chaldäer!

STIMMEN: Wir auch nicht ... wir auch nicht ... nieder mit Assur ... zerbrechen wir das Joch ... hüten wir uns ...

BARUCH (ein Jüngling, ekstatisch): In Ketten gehen unsere Tage und mit güldenen Schäkeln unsere Boten allneumonds gen Babel. Wie lange wollen wir es dulden noch?

SEBULON (der Vater Baruchs): Schweige ... nicht dein ist die Rede ... eine linde Knechtschaft ist Chaldäas Joch ...

STIMMEN: Aber wir wollen nicht länger Knechte sein ... die Stunde der Freiheit ist gekommen ... nieder mit Assur ... verbinden wir uns Ägypten ...

SEBULON: Nie kam Gutes von Mizraim. Man muß prüfen und erwägen, man muß mißtrauen und gedulden.

STIMMEN: Die Geräte des Tempels muß man schaffen ... nicht länger soll Baal sich ihrer ergötzen ... nieder mit den Räubern des Tempels ... jetzt ist es die Stunde ...

ANDERE STIMMEN (von der Tiefe der Gasse her): Sie kommen! Sie kommen!

STIMMEN (von allen Seiten jauchzend): Sie kommen ... Raum ... macht Raum ... sie kommen ... hier herauf ... zurück hier ... ich sehe sie schon ... hier kannst du sie sehen ...

(DAS VOLK stürmt die Stufen empor und bildet eine Gasse, durch die nun die Gesandtschaft der Ägypter zum Palaste ziehen kann. Man sieht vorerst nur die Lanzenspitzen der Krieger über dem Gewoge der lärmenden Menge leuchten.)

STIMMEN: Wie stolz sie gehen ... wer ist der Führer ... Araxes ist es ... die Geschenke ... die Sänften ... seht diese, sie ist verhüllt ... die Tochter Pharaos muß es sein ... heil Araxes ... heil Ägypten ... wie schwer sie tragen an den Truhen, Gold muß darin sein ... wir werden es zahlen müssen mit Blut ... die Schwerter, seht die kurzen ... die unsern sind besser ... wie hochmütig sie gehen ... gewaltige Krieger müssen es sein ... es lebe Pharao Necho ... es lebe Ägypten ... heil ... Gott strafe Assur ... heil Ägypten ... heil Araxes ... es lebe Necho ... Segen über Pharao ... geheiligt unser Bund ... heil euch ... heil euch ...

(DIE MENGE umdrängt mit frenetischen Jubelrufen den Zug der Ägypter.)

(DIE ÄGYPTER, reichgeschmückt, schreiten stolz und ernst durch die Reihen. Sie klirren die Schwerter zusammen und danken würdevoll.)

BARUCH (von den Stufen herab): Der König erfülle eure Wünsche! Er schließe den Bund!

STIMMEN: Ja ... ja ... auf gegen Assur ... zerbrechen wir das Joch ... es lebe Necho ... Segen über eure Ankunft ... Rache für Zion ...

ANDERE STIMMEN: Zum Palast ... geleitet sie zum Palast ... zum Könige ... er schließe den Bund ... es lebe Araxes ... Segen über Zedekia, unsern König ... ein König der Knechte ... nein ... nein ... Freiheit ... auf zum Palast ...

(DIE ÄGYPTER sind die Stufen empor zum Palast geschritten und in die Säulenhalle eingetreten. Hinter ihnen strömt der Schwall des Volkes. Andere Schwärme verlaufen sich in den Gassen. Es bleiben auf den Stufen nur einzelne kleine Gruppen älterer Leute zurück, während die Krieger und die Frauen schaulustig den Ägyptern nachstürmen, die Sänften umdrängen und mit dem Zuge im Säulenvorhof verschwinden.)

BARUCH (der ihnen ekstatisch zugewinkt hat): Ich muß mit ihnen.

SEBULON: Du bleibst!

BARUCH: Ich will es schauen, ich will es erleben, wie Israel aufsteht wider seine Peiniger. Meine Seele verzehrt sich, das Gewaltige zu erschauen, und nun ist die Stunde genaht.

SEBULON: Du bleibst! Gott wägt seine Stunden, nicht wir. Des Königs ist die Entscheidung.

BARUCH: Wie sie jubeln! Laß mich mit ihnen sein, mein Vater, daß ichs erlebe.

SEBULON: Oft und oft noch wirst du's erleben. Denn immer jubelt das Volk zu den lauten Worten, immer läuft es hinter dem Gepränge.

EIN ANDERER: Was verweigerst du ihm die Freude? Ist der Tag unseres Sehnens nicht erschienen? Freunde sind Israel erstanden.

SEBULON: Nie war Mizraim Israels Freund.

BARUCH: Unsere Schmach ist die ihre, Israels Not die Ägyptens.

SEBULON: Nichts gemein haben wir mit den Völkern der Erde. Einsamkeit ist unsere Gewalt.

DER ANDERE: Aber sie wollen für uns kämpfen.

SEBULON: Für sich wollen sie kämpfen. Jedes Volk kämpft nur für sich allein.

BARUCH: Sollen wir Knechte bleiben, soll Zedekia ein König sein der Sklaven und Zion ein Pflichtling Chaldäas? Oh, daß er ein König wäre, Zedekia ...

SEBULON: Schweige, ich befehle es dir. Nicht ziemt es den Knaben, die Könige zu richten.

BARUCH: Jung bin ich, doch wer ist Jerusalem, wenn die Jugend nicht? Die Bedächtigen nicht haben es gebaut. David, der Junge, hat sie getürmet und groß gemacht unter den Völkern.

SEBULON: Schweige, nicht dein ist das Wort auf dem Markte.

BARUCH: Sollen nur die Bedächtigen reden, nur die Greise beraten, daß Israel ergreise vor den Jahren und Gottes Wort faule in unsern Herzen? Unser ist die Stunde, unser die Rache. Ihr habt euch gebeuget, wir wollen uns erheben, ihr habt gezögert, und wir wollen vollbringen, ihr hattet den Frieden, und wir wollen den Krieg.

SEBULON: Was weißt du vom Kriege, du Vorwitziger. Wir, die Väter, haben ihn gekannt. Er ist groß in den Büchern, aber ein Würger ist er in Wahrheit und ein Schänder des Lebens.

BARUCH: Ich fürchte ihn nicht. Ein Ende der Knechtschaft!

EINE STIMME: Einen Eid des Friedens hat Zedekia geschworen.

STIMMEN: Ungültig ist der Eid ... er zerbreche den Schwur ... kein Eid gilt den Heiden ...

STIMMEN (von rückwärts aus der Gasse kommend, im Jubel): Abimelech! Heil Abimelech ... Abimelech, unser Führer ... heil dir ...

(DIE GRUPPEN sammeln sich um Abimelech, den Obersten der Krieger, und jubeln ihm zu.)

STIMMEN: Abimelech ... ist es wahr, daß Ägypten ein Bündnis bietet ... raffe dein Schwert ... auf, ziehe wider Assur ... raffe Israels Kraft ... wir sind bereit ... wir sind bereit ...

ABIMELECH (auf der Höhe der Stufen zu der Menge): Sei bereit, Volk von Jerusalem, denn nahe ist die Stunde deiner Freiheit.

(DIE MENGE, die ihn umringt, bricht in Jubelschreie aus.)

ABIMELECH: Pharao Necho hat uns seine geharnischte Hand geboten. Er will sich uns gesellen, daß wir selbzweit Assurs Macht brechen, und wir wollen es tun, mein Volk von Jerusalem. Bereit sind deine Streiter, gerüstet deine Kämpfer, geschirrt deine Wagen, gespannt deine Bogen, nun stähle dein Herz, Volk von Jerusalem.

DIE MENGE (jauchzend): Auf gegen Assur ... Krieg mit Chaldäa ... heil Abimelech ...

EIN KRIEGER: Wie die Schafe werden wir sie vor uns hertreiben. Sie haben sich matt gemacht in den Frauenhäusern, und ihr König trug nie eines Kriegers Gewand.

EINE STIMME: Das ist nicht wahr!

DER KRIEGER: Wer sagt, es sei nicht wahr?

EINE STIMME: Ich sage es. In Babel bin ich gewesen und habe Nabukadnezarn gesehen. Er ist gewaltig und sein Kriegsvolk ohne Makel.

STIMMEN: Du Schurke, lobpreisest du unsere Feinde ... ein Gekaufter ist er ... sein Weib ist eine Chaldäerin ... sie hat gehurt mit allen Knechten Babels ... Verräter ...

DER KRIEGER (vortretend zu den Sprechenden): Willst du sagen, wir könnten ihrer nicht obsiegen?

DIE STIMME: Ich sage, daß sie mächtig sind, die Chaldäer.

DER KRIEGER (auf ihn eindringend): Meine Faust sieh hier und sage noch einmal, sie seien besser denn Israel.

STIMMEN: Sag es noch einmal ... zerreißt ihn ... Verräter ... Verräter ...

DER SPRECHER (von allen gefaßt, eingeschüchtert): Nicht das sagte ich ... ich meinte ... ich meinte, daß ihrer viele sind.

ABIMELECH: Immer waren unserer Feinde viel, und immer haben wir sie geschlagen.

STIMMEN: Wer kann an wider uns ... alle haben wir geschlagen ... Moab zerschmettert und Ammon ... Sanherib und seine Tausendmaltausend ... die Philister und Amalek ... Wer kann uns widerstehn ... Tod über den, der uns schmäht ...

(EINIGE BOTEN eilen aus dem Palast.)

DIE MENGE (sie umdrängend): Wohin eilet ihr ... was bringt ihr ... wen suchet ihr ... was ist ...

EIN BOTE: Der König hat den Rat berufen.

STIMMEN: Krieg ... er beschließet den Krieg ... Krieg ...

ABIMELECH: Wen hat er berufen?

DER BOTE: Imre, den Ältesten, Nachum, den Verwalter; und auch an dich ergehet sein Ruf.

ABIMELECH: Zauderern bin ich gesellt und Klüglern, die das Wort wägen und schauern vor der Tat. Aber ich bringe mein Schwert, und ich will es von mir werfen, darf ich es nicht zücken wider Assur. Dein ist die Stunde, ich kämpfe für sie, Volk von Jerusalem!

DIE MENGE: Heil Abimelech ... Heil Abimelech ... heil dir, du Gottesstreiter ... heil ...

(ABIMELECH eilt in den Palast.)

BARUCH: Ihm nach, ihm nach! Der König soll unsere Stimme hören, er höre unsern Willen erdonnern vor seinem Palast.

SEBULON: Ich verstoße dich, wenn du nicht schweigest. Der König will beraten, und Ruhe muß sein um den Ratschluß.

BARUCH: Er soll nicht beraten. Er beschließe! Er beschließe den Krieg! Wir alle wollen den Krieg.

STIMMEN: Ja, wir alle ... wir alle ... schreit auf zu ihm ...

EINE STIMME: Nein, ich will keinen Krieg ... ich will keinen Krieg ...