John Milton: Das verlorene Paradies - John Milton - E-Book

John Milton: Das verlorene Paradies E-Book

John Milton

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Beschreibung

In dem Versepos „Das verlorene Paradies“ wagt sich John Milton an die größtmögliche literarische Herausforderung: die Geschichte des Sündenfalls. Er schildert den Aufstand Luzifers gegen Gott, seinen Sturz in die Hölle und seinen Racheplan, die neu geschaffenen Menschen zu verführen. In kraftvollen Bildern führt Milton durch alle Sphären der Schöpfung - von den Tiefen der Hölle über die paradiesische Erde bis in himmlische Gefilde. Das 1667 erschienene Werk vereint klassische Bildung mit protestantischer Theologie. In zwölf Gesängen entfaltet sich das Drama um Adam und Eva, um Gehorsam und Rebellion, freien Willen und göttliche Gnade. Milton schuf mit dieser komplexen Deutung des biblischen Schöpfungsmythos nicht nur ein Hauptwerk der englischen Literatur, sondern auch eine tiefsinnige Reflexion über menschliche Freiheit und moralische Verantwortung.

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John Milton

Das verlorene Paradies

Kommentierte Ausgabe mit einer Einführung zu Miltons Werk und einer Inhaltsübersicht

Copyright © 2025 Novelaris Verlag

ISBN: 978-3-68931-191-9

Inhaltsverzeichnis

Miltons Leben und Werke

Inhaltsübersicht

Gesang I.

Gesang II.

Gesang III.

Gesang IV.

Gesang V.

Gesang VI.

Gesang VII.

Gesang VIII.

Gesang IX.

Gesang X.

Gesang XI.

Gesang XII.

DAS VERLORENE PARADIES

Erster Gesang.

Zweiter Gesang.

Dritter Gesang

Vierter Gesang

Fünfter Gesang.

Sechster Gesang.

Siebenter Gesang.

Achter Gesang.

Neunter Gesang.

Zehnter Gesang.

Eilfter Gesang.

Zwölfter Gesang.

Cover

Table of Contents

Text

Miltons Leben und Werke

Milton stammte von einer langen Linie achtungswerther Vorfahren ab, den Milton’s von Milton, in der Nachbarschaft von Halton und Thame in Oxfordshire, die viele Generationen durch beträchtliche Güter besaßen. Da sie sich aber der unglücklichen Partei in den Bürgerkriegen der Häuser York und Lancaster anschlossen, so kamen sie dadurch um ihre Besitzungen. Dennoch konnte John Milton, unseres Dichters Großvater, seinen Sohn John in Oxford auf die Schule schicken, wo dieser die Lehren der Reformation annahm, und deshalb vom Vater enterbt wurde. Hierdurch unabgeschreckt von seinen Grundsätzen, ließ er sich nach seinen Studienjahren in London als Notar nieder, verheirathete sich mit Sarah Caston, aus einer angesehenen Familie in Wales, und hatte mit ihr zwei Söhne und eine Tochter, wovon der Aelteste der Dichter war, geboren am 9. December 1608, in der Taufe ebenfalls John genannt. Der Vater, ein Mann von tadellosem Charakter, ansehnlichen Kenntnissen und Anlagen, war außerdem als einer der besten wissenschaftlichen Musiker seiner Zeit geachtet, erwarb sich ein unabhängiges Vermögen und kaufte sich ein kleines Besitzthum zu Horton in Buckinghamshire, wohin er sich in seinem Alter zurückzog.

Da unser Dichter schon in frühester Jugend Zeichen von Genie und Liebe zur Literatur kund gab, und der Vater Beides zu schätzen wußte, so schickte er ihn in die St. Paulsschule und ließ ihm noch zu Hause durch ausgezeichnete Lehrer Privatunterricht ertheilen. Sechszehn Jahre alt, wurde Milton als Pensionär im Christs-Collegium zu Cambridge aufgenommen, wo er sich durch sein ungemeines Streben schon als Schüler Ruhm erwarb. Besonders wurde bei seinem Lobe hervorgehoben, daß er, seit der Wiederbelebung der Wissenschaften, der erste Engländer wäre, der lateinische Verse mit klassischer Eleganz schriebe. Obgleich ihn sein Vater für die Theologie bestimmt hatte, so vereitelte Milton doch bald diese Absicht, indem er erklärte, daß die Verpflichtungen des Geistlichen zu sehr seinen freien Willen und sein Gewissen beschränken würden, daß die Artikel zu unterschreiben so viel sein würde, als sich zum » Sklaven« zu machen. Er erstrebte weder, noch erlangte er je eine Beförderung an der Hochschule, außer daß er zum Magister der freien Künste kreirt wurde, und begab sich nach dem Schlusse seiner Studien auf seines Vaters Landsitz. Dort dichtete er seine » Arkaden« und den » Comus«, Maskenspiele für festliche Gelegenheiten in den Familien benachbarter Adelshäuser, und schrieb den » Allegro« und » Penseroso«, sowie den » Lycidas«, veranlaßt durch den Verlust eines Freundes, welcher ertrank, zwischen seinem dreiundzwanzigsten und achtundzwanzigsten Jahre. Seine Hauptbeschäftigung war aber die begeisterte Lieblingslectüre der Griechen und Römer, deren gesunde Lebensweisheit er einathmete, welche keine Absonderung des Geistes vom Leibe anerkennt. Deswegen trieb er auch, neben der Uebung des Natursinns, der sich in seinen Gedichten kund giebt, die auf der Universität begonnenen ritterlichen Künste hier noch fleißig fort, um seinem Körper Kraft und Gewandtheit zu erhalten, wie er sie denn auch später noch fortsetzte, »damit«, wie er sagte, »der Körper dem Geist ein williges und kräftiges Werkzeug in dem Kampfe für die Religion und für die Freiheit des Landes sei«. Durch Solcherlei befähigte er sich, obgleich bibelgläubiger Christ, doch als echt protestantischer den Geist im Worte zu suchen und durch die That im Leben zu bewähren.

Was jene erwähnten Jugenddichtungen anbetrifft, so sind die » Arkaden« und der » Comus« kleine Gelegenheitsstücke zum Aufführen, wie sie jene Zeit liebte, allegorische Darstellungen, ohne besondere Erfindungskraft; » Allegro« und » Penseroso« dagegen Stimmungsgedichte von größerem poetischen Werth. Zu bemerken ist dabei, daß die bekannten, Shakespeare betreffenden Verse: » Then to the well-trod stage anon – If Johnson’s learned sock be on – Or sweetest Shakespeare, Fancy’s child – Warble his native wood-notes wild« – im »Allegro«, nicht im »Penseroso« stehen. Sein Verkehr im vornehmen Kreise legte in ihm den Grund zu »einer gewissen Zartheit des Gemüths, einem ehrenhaften Stolze und einer Hochachtung vor dem, was er war und was er sein konnte«: Erscheinung, Sitte und Gesinnung des Volksmannes Milton war und blieb aristokratisch nach seinem Ausspruch: »Jeder freie und edle Geist ist als ein Ritter geboren.«

Im Jahre 1638 trat Milton, ausgestattet mit reichem Wissen und gelockt vom Zauber des Schönen, eine Reise nach Italien an. Vor seiner Abreise schrieb er an einen Freund: »Was für sonstige Gaben die Gottheit mir verliehen haben mag – gewiß hat sie mir, wenn je einem Menschen, die Leidenschaft für das Schöne und Gute eingeflößt. Nimmer hat Ceres ihre Tochter Proserpina mit solch unaussprechlichem Eifer gesucht, als ich die Idee des Schönen in allen Formen und Erscheinungen der Dinge zu erfassen strebe – denn vielerlei sind die Gestalten des Göttlichen … Du verlangst zu wissen, welches mein Ziel ist? Durch des Himmels Hülfe unsterblicher Ruhm! Und was ich thue? Ich lasse mir Flügel wachsen und bereite mich zum Fluge, aber noch ist mein Pegasus nicht stark genug, um aufwärts zu schweben in die luftigen Gefilde.« So verließ er seine Heimat zum ersten und einzigen Male.

In Paris verkehrte er mit Hugo Grotius, ging in Nizza zu Schiff und begab sich über Genua, Livorno und Pisa nach Florenz, wo er zwei Monate im Verkehr mit vielen gelehrten und vornehmen Männern zubrachte, die den schönen, fittigen »Fremdling vom fernen Ufer des Oceans«, den hochgebildeten Weltbürger, den geschmackvollen Sprachkenner bewunderten. In Rom mit dem päpstlichen Bibliothekar Lucas Holstein befreundet, wurde er von diesem dem Cardinal Fr. Barberini, dem Beschützer der Künste und Wissenschaften, vorgestellt, der ihn mit zuvorkommender Güte aufnahm. Nach zwei Monaten reiste er nach Neapel, wo er mit einem Freunde Tasso’s Umgang pflegte. Schon wollte er noch Sicilien und Griechenland besuchen, als ihn die Kunde von den Unruhen in seinem Vaterlande nach diesem zurückrief, denn »er hielt es für niedrig, zu seinem Vergnügen im Auslande zu reisen, während seine Mitbürger zu Hause für die Freiheit kämpften«. So kehrte er denn über Rom wieder nach Florenz, wo er abermals zwei Monate verweilte. In Siena besuchte er den greisen, erblindeten, unter dem Banne der Inquisition schmachtenden Galilei, dessen Anblick in ihm den Haß der alten Reformatoren gegen die Glaubenstyrannei des Papstthums erweckte. Dann ging er über Bologna und Ferrara nach Venedig, wo er einen Monat blieb, übergab seine in Italien gesammelten Bücher einem Schiffe und setzte seine Reise über Verona nach Mailand fort, von wo er nach Genf ging. Hier verkehrte er täglich mit berühmten Bibelkundigen und Gottesgelehrten, vornehmlich mit Johann Deodati und Spanheim, und rüstete sich in dieser Hauptstadt des westeuropäischen Protestantismus, deren Bürger schon vor einem Jahrhundert den Schluß gezogen hatten: »Freie Kirche – freier Staat! –« besonders zu dem Kampfe, dem er entgegen ging, obgleich er schon in Rom, wenn er dazu herausgefordert wurde, darthat, welch eifriger Protestant er war, so daß er dort sogar Lebensgefahr lief.

Er selbst sagt von seinem zweiten Aufenthalt in Rom: »Niemals verläugnete ich weder meine Person, noch meinen Charakter; und während des Zeitraums von ungefähr zwei Monaten vertheidigte ich öffentlich wiederholt, wie ich es schon sonst gethan, die reformirte Religion mitten in der Hauptstadt des Papstthums.«

So kam er denn nach einer Abwesenheit von fünf Vierteljahren über Frankreich wieder in seinem Vaterlande an mit dem bleibenden Gewinn seiner Reise, nämlich der gesteigerten Einsicht in die Bedeutung der Sprache, als Ausdruck des Gedankens, und wie das Stoffliche der damaligen englischen Sprache durch Regel und Wohlklang derselben zu veredeln nothwendig sei. »Ich meine«, sagt er, »daß der höchste Ruhm Dem gebührt, welcher das Gesetz und die Ordnung eines Staates begründet und die Weisheit seines Waltens vor Heimischen und Fremden bewährt; aber ich weise Dem die zweite Stelle an, der durch Regel und Vorschrift die Reinheit der Sprache sicher stellt.« – Ein zweiter Gewinn war die Erkenntniß von der Macht und Würde der Dichtkunst. Er hielt diese, den damaligen leichtfertigen Produkten der englischen Dichter gegenüber, für berufen, » den Samen der Tugend und Sittlichkeit auszustreuen etc.«, dachte ernstlich an eine planmäßige, von oben geleitete ästhetische Erziehung des Volkes und verlangte, daß »wer es nicht vergebens unternehmen wolle, hohe Dinge würdig zu besingen, erst selbst ein wahres Gedicht sein müsse,und setzte sich vor, das zu leisten, was er forderte. Er dachte daran, indem sich Vaterlandsliebe und Frömmigkeit in ihm zu Einer Begeisterung durchdrangen, durch die er Gott verherrlichen und sein Volk veredeln wollte: einen englischen Fürsten oder Ritter aus der sagenhaften Geschichte vor der Eroberung Englands zu seinem christlichen Helden zu wählen, also einen vaterländischen Stoff in poetischer Form religiös zu behandeln. Aber die großen Pläne mußten großen Pflichten weichen. Denn wie Dante, sein großer Vorgänger in der neueren Epik, wurde er erst auf den Kampfplatz der sittlichen, religiösen und politischen Kämpfe gerufen, ehe er sich seinem großen Entwurfe frei und ganz widmen konnte.

In seiner Heimat angelangt, übernahm er nun zunächst die Erziehung seiner Neffen, der Philips (deren Einer, Edward, auch später Milton’s Leben schrieb), und der Söhne einiger seiner Freunde, unentgeltlich, da er in unabhängigen Umständen lebte G. Liebert in seinem » Milton« (Hamburg 1860) meint jedoch, Milton habe das Lehren als Erwerbsquelle benutzen müssen, da die Bürgerkriege seines Vaters Vermögen zerrütteten.. Er unterrichtete jene, außer in den gewöhnlichen auf Schulen und Collegien gelesenen römischen und griechischen Autoren, auch in den seltener gelesenen, wie Vitruv, Frontin, Lucrez, Aratus, Oppian, Aelian, Polyän u. a., und außerdem im Hebräischen, Chaldäischen und Syrischen, im Italienischen und Französischen, wie in der Mathematik und Astronomie, und zwar von früh bis nah an Mitternacht, bei sehr mäßiger Kost. In drei oder vier Wochen vergönnte er sich und seinen Zöglingen einen Lusttag, an welchem einige »Gentlemen« seiner Bekanntschaft und darunter zwei der größten Stutzer seiner Zeit Theil nahmen. Um seine schon leidende Sehkraft zu schonen, mußten ihm die Schüler die Werke laut vorlesen, damit er selbst in das Wesen all ihrer Kenntnisse und Schönheiten sich einweihte. »So lernte er selbst, während er lehrte.«

Doch lange sollte er nicht in dieser Ruhe bleiben. Denn im Jahre 1641 schon wurde er zum Kampf für Wahrheit und Recht aufgerufen, um darin seinen großen Charakter zu bewähren. Es galt den Streit um die Kirchenverfassung. Damals spielten drei Parteien die Hauptrollen: die Episkopalen, die Presbyterianer und die Independenten. Hier schon konnte der englische Protestantismus seinen politischen Charakter nicht verleugnen: die äußere Form des kirchlichen Lebens ist ihm die wichtigste Angelegenheit. Die englische Staatskirche war das Abbild des englischen Staates, aristokratische Monarchie; die Presbyterianer, die Synode der Aeltesten, forderten ein allmächtiges Parlament; die Independenten, die jeder einzelnen religiösen Gemeinde volle Mündigkeit und Selbständigkeit vindicirten, verlangten darum auch die Selbstverwaltung der politischen Gemeinden und Bezirke, somit eine lebendige Freiheit im ganzen Laude.

Hier begann Milton’s geistige Thätigkeit: man kann ihn als » einen Tagesschriftsteller im größten Stil ansehen«; und dies war seine rechte Stellung und Aufgabe in den Tagen des Kampfes. »Ich bot«, sagt er selbst, »der Kirche und dem Staate die Früchte meiner Studien ohne Entgelt; mir genügte die Zufriedenheit mit mir selbst, der Beifall der Guten und die Freude am Gebrauch des freien Wortes.« – Liebert sagt in seinem, in der Anmerkung citirten trefflichen Buche über Milton: »Die Schriften, welche Milton während der zwanzig Jahre der englischen Revolution herausgab, scheiden sich in drei Gattungen: Schriften über Kirche und Glauben, – über Sitte und Bildung, – über Recht und Staat; oder um ihres Verfassers eigene Worte zu brauchen: über religiöse, häusliche und bürgerliche Freiheit. Zur ersten Gattung gehören seine Streitschriften gegen das göttliche Recht der Prälaten (fünf an der Zahl); ferner seine Rede für Duldung und Preßfreiheit; endlich die beiden Aufsätze, in denen er kurz vor dem Eintritt der Restauration sein Ideal der freien christlichen Gemeinde entwickelte. Die zweite Gattung umfaßt vier Schriften über Ehe und Ehescheidung (wozu er, wie weiterhin berührt werden soll, Veranlassung in seinem Leben fand), woran sich ein kleines Buch über Erziehung schließt. Die dritte Gattung endlich bietet uns jene Meisterwerke der Beredsamkeit, in denen Milton gegen das göttliche Recht der Könige zu Felde zog und zugleich dem Ausland und der Nachwelt gegenüber die Vertheidigung des Volkes von England unternahm (fünf Schriften). Damit hängen jene Schriften zusammen, durch welche er, kurz vor der Wiederkehr Karls II., sein Ideal eines freien englischen Staates empfahl und gegen pfäffische Angriffe die rechtliche und religiöse Gültigkeit der republikanischen Verfassung bewies.« – Wer sich über den Inhalt dieser einundzwanzig Streitschriften und hauptsächlich über die darin entwickelten Grundsätze Milton’s von Freiheit und Recht genauer unterrichten will, der findet in der angezogenen Schrift Liebert’s volle Befriedigung. Außerdem schrieb er: » Darstellung der christlichen Glaubenslehre, einzig und allein auf die heilige Schrift gegründet«, und »Ausführliche Anweisung zur logischen Kunst, nach der Lehrweise des Petrus Ramus vorgetragen«, also eine Anleitung zur Philosophie; erst 1672 erschienen, wie vorhergenannte Schrift erst 1823 unter altem Wust aufgefunden worden ist. Milton’s letzte Schrift, die ein Jahr vor seinem Tode erschien, ist die: » Ueber wahre Religion, Ketzerei, Kirchentrennung und Duldung, sowie über die besten Mittel gegen das Wachsthum des Papismus«. Hiermit schließt sich die Reihe seiner Prosaschriften, die Milton wohl hinlänglich als denkenden Kämpfer, als heldenmäßigen Verfechter von Wahrheit, Freiheit und Recht kund thut.

Im Jahre 1643 machte er während der Pfingstfeiertage einen Monat lang eine Reise auf das Land und erregte das Erstaunen seiner Zöglinge und seiner Familie damit, daß er als seine Frau Miß Mary Powell, die älteste Tochter Mr. Richard Powell’s von Forest Hill in Oxfordshire, eines Friedensrichters und Grundeigenthümers, einführte. Es ergab sich jedoch bald, daß die an heiteres, geselliges Leben gewöhnte junge Frau sich zu den Ihrigen zurücksehnte aus dem stillen ernsten Hause ihres Mannes und eine Einladung zu den Ihrigen bewirkte. Von diesem Besuche kehrte sie, trotz der Mahnungen Milton’s, selbst nach hinlänglich langer Zeit nicht zurück. Der alte Powell hielt es mit dem Könige, der sich zu Anfang des Jahres 1643 aus London entfernt und dadurch das Zeichen zum Bürgerkriege gegeben und sein Hauptquartier in Oxford aufgeschlagen hatte. Powell betrachtete also die Verbindung mit dem Rebellen Milton als einen Schandfleck auf seinem Wappen und antwortete auf Milton’s rechtmäßige Forderung in gröblicher Weise. Dadurch hielt dieser die Ehe für aufgelöst und somit auch die äußere Trennung für gerechtfertigt. So entstanden denn seine Schriften über Ehescheidung bis zu der: »Colasterionoder die Tortur« betitelt, von 1644-46. Gleichzeitig erschienen auch sein » Brief über Erziehung« und seine » Areopagitica oder Rede für die Preßfreiheit«. Die Presbyterianer, für die er gegen die Episkopalen gekämpft hatte, veranlaßten, daß er wegen dieser Schriften vor die Lords geladen wurde; doch sprach man ihn bald von den Anklagen frei. Unterdeß hatte Karl I. seine letzte Schlacht bei Naseby verloren, und der alte Powell suchte den Schutz der siegreichen Partei. In Folge dessen sandte er Milton seine Tochter wieder zu, der ihr vergab und die heruntergekommene Höflingsfamilie über zwei Jahre lang in seinem Hause aufnahm. Doch seine Ehe war und blieb eine unerfreuliche und selbst seine Töchter, mit Ausnahme der einen, arteten der Mutter nach. Dies bewog ihn zu der späteren Ansicht, von der Frau das biblische Wort Gehülfin als Dienerin des Mannes zu deuten. – Seine Schüler vermehrten sich indeß, und sein Vater zog zu ihm, starb aber 1647 in vorgerücktem Alter.

Von 1645-49 war das öffentliche Wirken Milton’s unterbrochen, währenddem sich der Gegensatz zwischen Volk und König entwickelte. In dieser Zeit verfolgte er das gute alte Recht des englischen Volkes und schrieb die ersten vier Bücher seiner » Geschichte Britanniens«, die er später bis zur normannischen Eroberung fortsetzte und im Jahre 1670 herausgab. Er konnte sich dieser Arbeit um so freier widmen, da sich nach seines von ihm geliebten Vaters Tode seine Zöglinge vermindert hatten. Da nahm 1648 die englische Revolution eine neue große Wendung. Cromwell hatte den Aufstand der royalistischen Presbyterianer durch den Sieg bei Preston niedergeworfen, Schottland unschädlich gemacht, und ließ die bekannte »Reinigung« des Parlaments vornehmen, wodurch das sogenannte »Rumpfparlament« entstand, welches, im Sinne der bewaffneten Independenten, den König in Anklagestand versetzte und 1649 zum Tode verurtheilte. Nun schickte Milton obenerwähnte politische Schriften in die Welt, widerlegte die Schrift: »Eikon Basilike« (das Bild des Königs) durch den » Ikonoklastes« (Bildzertrümmerer) und des berühmten Salmasius: »Vatermörder«, durch die » Defensio pro populo Anglicano«, und führte die Sache der Republik. Im Jahre 1649 wurde er durch den Staatsrath zum lateinischen Sekretär der auswärtigen Angelegenheiten ernannt, welches Amt er bis zur Restauration bekleidete. Im Jahre 1652 verlor er einen Sohn als Kind und bald darauf starb seine Frau im Kindbett. Seine Lage war derartig, daß er eine zweite, Catharina, Tochter eines Kapitäns Woodcock, heirathete, die ebenfalls im ersten Kindbett starb, und ihr nach ihr Kind.

Im Jahre 1652 wurde Milton vollkommen blind in Folge vielen Studirens von Jugend auf, häufigen Kopfwehes und fortwährenden Arzneinehmens; doch erschienen seine Augen klar und fleckenlos, so daß man nur in der Nähe sein Blindsein erkannte. Die kleineren Dienstpflichten von Milton’s Staatsamt besorgten theils sein Neffe Philips, theils der Dichter Andr. Marvel, welcher vom Jahre 1657 bis zur Restauration Hülfssekretär war. Cromwell bediente sich Milton’s mit großer Klugheit und großem Vortheil zu seinen Staatszwecken. Milton’s Hauptpflicht bestand darin, die Staats-Dokumente vorzubereiten, da Cromwell selbst, mit Hülfe seines Staatsraths, das ganze Regierungswerk durch all dessen Departements besorgte. Nach Cromwell’s Tode blieb Milton unter Richard Cromwell und dem Parlament im Amte und veröffentlichte 1659: » Eine Abhandlung über die Stellung des Staates in geistlichen Dingen«, sowie: » Betrachtungen über die leichtesten Mittel, Miethlinge aus der Kirche zu entfernen«. Und als die öffentlichen Angelegenheiten sich immer mehr zum Umsturz der Republik neigten und die Restauration der königlichen Familie anstrebten, schrieb er das, was er als die letzte Stimme der ersterbenden Freiheit ansah, seinen: » Sichern und leichten Weg zur Begründung eines freien Gemeinwesens, verglichen mit den Gefahren, welche die Wiedereinführung des Königthums nach sich ziehen müßte«. Aber das republikanische Fieber hatte sich gelegt; die Nation war der Unruhen satt, und die Monarchie wurde zur Freude aller Freunde der Ruhe und Ordnung wiederhergestellt.

Nach der Restauration fand es Milton nöthig, sich in dem Hause eines Freundes zu verbergen, bis der Sturm vorüber sein würde. Das Haus der Gemeinen verordnete (16. Juni 1660), »daß der Kronanwalt durch schriftliche Anklage gegen Milton verfahren, und daß man ihn durch Sergenten herbeiholen lassen sollte«. Da man aber berichtete, daß er sich verborgen habe, so wurden seine » Vertheidigung des englischen Volkes« und sein » Ikonoklastes« durch den Henker verbrannt; schließlich aber wurde er in den Generalpardon mit eingeschlossen und endlich am 15. Dec. freigelassen. Auch hierbei zeigte sich Milton’s Muth. Denn während ein Anderer froh gewesen wäre, mit heiler Haut davon zu kommen, erhob er Klage wegen der übermäßigen Gebühren, die der Sergent gefordert hatte, und die Klage wurde dem Comité der Privilegien übergeben. Bischof Newton (einer seiner Biographen, aus dem und den beiden andern, Edw. Philips und Jam. Prendeville, gegenwärtige Notizen zusammengetragen sind), sagt: »So muthig war Milton zu allen Zeiten in Vertheidigung der Freiheit gegen alle Eingriffe der Gewalt, und selbst als Gefangener wollte er doch als freigeborener Engländer behandelt sein.« – Man hat sich gewundert, daß sich die königliche Prärogative der Begnadigung auch auf Milton erstreckt hat. Aber man braucht blos einen Blick auf Milton’s Leben und die Stellung des Hofes zu thun, um sie erklärlich zu finden. Milton hatte Freunde, sogar unter den Rathsmitgliedern und dem loyalen Adel, die sich für ihn verwandten; er war nicht direkt an dem Morde Karls I. betheiligt; er zog nie die Waffen gegen ihn; nie hat er, weder durch Rede noch durch Schrift dessen Hinrichtung empfohlen; besaß nie direkt die Macht, als gesetzgebendes Glied das Ereigniß zu fördern; war keiner seiner Richter; daher konnte er nicht dem Bereich der königlichen Wiedervergeltung anheimfallen, und außerdem gehörte es zur Politik Karls II., nicht ohne Noth blutdürstig zu sein. Schließlich kann man hinzufügen, daß der König weit davon entfernt war, ein Feind der Musen zu sein.

Nach seiner Begnadigung veranlaßte ihn sein schwankender Gesundheitszustand, daß er in Folge des Raths eines Freundes sich zum dritten Male verheirathete, und zwar mit Elis. Minshul, einer Verwandten desselben. Die er zu Frauen wählte, waren alle Jungfrauen. Er selbst sagte: »Ich stimme Denjenigen gänzlich bei, welche eine Jungfrau mit geringem Vermögen, aber wohlerzogen, einer Wittwe vorziehen.« – Bald nachher trug man ihm sein früheres Amt als lateinischer Sekretär wieder an, was er jedoch ablehnte. Und als ihn seine Frau, es anzunehmen, drängte, sagte er: »Du hast Recht; denn du willst, wie andere Weiber, in deiner Kutsche fahren; was aber mich anbelangt, so ist dies mein Ziel, als Ehrenmann zu leben und zu sterben.«

Als ihm jetzt Jemand als Vorleser und Schreiber fehlte, nahm er einen jungen Quäker, Elwood, zu sich, den er aber zu diesem Behufe erst vollkommen unterrichten mußte. Als die Pest in London 1665 ausbrach, ging er nach Chalfont St. Giles in Buckinghamshire, wo Elwood kurze Zeit vorher die Stellung eines Lehrers in der Familie eines reichen Quäkers angetreten hatte. Als Milton ihn nicht länger für seine Dienste belohnen konnte, war Elwood bemüht, seinem Wohlthäter eine Wohnung zu verschaffen. Dort besuchte er ihn beständig, und eines Tages gab ihm Milton ein starkes Manuscript mit und bat ihn, es ihm sicher wieder zuzustellen, nachdem er es gelesen. Als dies geschehen, fragte ihn Milton, was er davon dächte? »Ich sagte ihm dies bescheiden, aber freimüthig«, erzählt Elwood, »und fügte dann, nach längerem Gespräch darüber, scherzend hinzu: Du hast viel vom Verlorenen Paradiese gesungen, aber was hast du vom wiedergefundenen zu sagen? – Er gab hierauf keine Antwort, sondern saß eine Weile sinnend; dann brach er dies Gespräch ab und ging zu einem andern Gegenstand über.« Als ihn Elwood später in London besuchte, zeigte ihm Milton sein Wiedergewonnenes Paradies und sagte scherzend zu ihm: »Dies verdankt Dir seine Entstehung; denn Du setztest mir den Gedanken dazu in den Kopf durch Deine Frage in Chalfont, da ich vorher nicht daran gedacht hatte.« – »Er nennt das Verlorene Paradies sein Gedicht; denn verloren hatte er alles, was ihn beglückte; zuletzt selbst das Vertrauen auf sein Volk, das die gute Sache der Freiheit wegwarf und verläugnete: der tapfere Anwalt der Wahrheit und des Rechts, der bis zuletzt auf seinem Posten ausharrte, sprach vergebliche Worte zu seinen Landsleuten; er wurde von dem vornehmen, wie von dem geringen Pöbel verhöhnt und verlacht.« Selbst seine Töchter, mit Ausnahme der jüngsten, Deborah, die ihm treulich, so gut sie es vermochte, das Augenlicht zu ersetzen suchte, kränkten ihn, wo sie konnten, nahmen ihm seine Bücher, beredeten Andere, ihn zu betrügen, wünschten ihm den Tod und lebten während der letzten fünf oder sechs Jahre seines Lebens getrennt von ihm.

Wenn Milton in seinen polemischen Prosaschriften, wie Liebert sagt, »die Schlußfolgerungen des Protestantismus am entschiedensten gezogen, den Zusammenhang zwischen geistiger und bürgerlicher Freiheit am lebendigsten dargestellt, als Grundlage des freien Staats den freien Menschen bezeichnet, das Leben der Einzelnen zu bessern gesucht, um das Ganze zu veredeln, und den Aufbau einer vernünftigen Gesellschaft von unten auf empfohlen, das schöne alte Wort Republik wieder zu Ehren gebracht und den verständigen Sinn und Zweck des Gemeinwesens von übernatürlichem Spuk, womit derselbe im sogenannten »christlichen« Mittelalter getrübt worden war, gereinigt hat«: so steht doch Milton der Dichter noch höher, als Milton der Schriftgelehrte und Milton der Denker. Seine religiösen und philosophischen Studien nicht nur, sondern auch seine Leistungen im öffentlichen Leben sind als die Stufen anzusehen, auf denen er zur Poesie emporstieg. Liebenswürdige, edelempfundene Verse waren die ersten Aeußerungen seines Genius, unsterbliche Verse, den erhabensten vergleichbar, die je in einer menschlichen Sprache gesungen wurden, zogen die große Summe seines Lebens. »Lange wählend und spät beginnend« schrieb er im Laufe von etwa zehn Jahren mit Unterbrechungen sein Heldengedicht, und vollendete es erst im Jahre 1665, fand aber erst zwei Jahre später (1667) einen Verleger, dem er es für die schmählich kleine Summe von fünf Pfund verkaufte. (Im Ganzen erhielt er für drei Auflagen, d. h. 3900 Exemplare, 20 Pfd., die ihm noch um zwei gekürzt wurden. Interessant ist, wie der bloße Originalvertrag darüber, nachdem er durch mehrere Hände gegangen, von dem Besitzer desselben 1826 für 40 Pfd., dann in der Auktion für 60, 1830 für 63 Pfd. und endlich von S. Rogers für 100 Guineen erworben wurde.)

Als Milton 1666 wieder in sein Haus in London zurückkehrte, betraf ihn der Verlust von 2000 Pfd., die er vor der Restauration beim Acciseamt niedergelegt hatte; sein Londoner Besitzthum wurde durch das große Feuer zerstört und anderes Eigenthum durch die Unredlichkeit seiner Agenten und seine eigene Unachtsamkeit betreffs weltlicher Angelegenheiten verzettelt. Daher konnte er sich nicht mehr eines regelmäßigen Schreibers bedienen, sondern war genöthigt, seine Zuflucht zu gelegentlichen Diensten der Art, namentlich einiger Freunde, oder eines unerfahrnen jungen Menschen zu nehmen, den er dafür unterrichtete; meistens erwies ihm diese jetzt seine Tochter Deborah. Im Jahre 1670, worin er seine »Geschichte Englands« veröffentlichte, erhielten auch das Wiedergewonnene Paradies und der Samson Agonistes die Druckerlaubniß, erschienen jedoch erst 1671. – Der Held des » Paradise regained« ist Jesus, der Vollbringer des Wunders der Erlösung, aber nur dargestellt in der Versuchung Jesu durch Satan in der Wüste. Ziel und Zweck desselben ist: die Menschen vor Scheingütern und Scheinverdiensten zu warnen, und der Unterschied zwischen beiden Geschichten besteht darin, daß in dem frühern und größern die Handlung, im spätern der Lehrzweck überwiegt. Milton läßt die Göttlichkeit seines Helden so viel als möglich beiseite; er versetzt ihn in eine vollkommen menschliche Lage, unterwirft ihn Prüfungen, nicht wesentlich verschieden von denen eines jeden hochstrebenden Menschen; kurz macht ihn zu einem begreiflichen Ideal der Tugend und zwar der puritanischen. Er läßt Gott den Vater sagen: »Ich wählte mir diesen vollkommenen Menschen, der um seiner Tugend willen mein Sohn heißt«. Schon in dem Selbstgespräch, welches er beim Eintritt in die Wildniß hält, zeigt sich der Charakter Jesu, bei dem Milton Züge von sich entlehnt: wie er sich von Kindheit an zum Kampfe für die Wahrheit und das Recht geboren geglaubt und deswegen noch jung schon im göttlichen Gesetz geforscht habe; wie er sein Volk von dem römischen Joch zu befreien sich gesehnt habe, und es ihm doch menschlicher und himmlischer erschienen sei, an der Menschen Brust mit gütigen Worten zu klopfen, sie zu mahnen und jedes Herz zu locken, und nur den Frevelmuth der Schlechten zu strafen. Er sehe nun seine Bestimmung: im Dulden stark, getreu bis in den Tod zu sein und, schuldlos selbst, der Menschen Schuld zu sühnen. Satan erscheint ihm darauf, in Gestalt eines Landmanns, redet Jesus als den Sohn Gottes an und verlangt von ihm, daß er Steine in Brod verwandle, um sie beide zu sättigen. Jesus weist es ab, sich durch ein Wunder zu beglaubigen, und äußert, daß er den Versucher recht wohl kenne. Satan bemerkt dagegen: er habe wahrscheinlich schlimme Vorurtheile gegen ihn, halte ihn für einen Feind der Menschen, was er keineswegs sei, vielmehr diene er ihnen als Hausgenoß und Rathgeber. Jesus antwortet ihm, sein Rath sei Lüge, wie er denn als Orakelspender Jahrhunderte lang die Heiden getäuscht habe. Satan vertheidigt die Nothlüge u. s. w. – Hierauf verschwindet er und beräth sich mit seinen Genossen über neue Fallstricke. Den Vorschlag Belial’s, Jesum durch schöne Weiber zu verführen, verwirft er, weil Jesus darüber erhaben sei. Jener kehrt, von einer Schaar böser Geister begleitet, in die Wüste zurück, wo er den nach vierzigtägigem Fasten vom Hunger Gequälten durch ein reiches Festmahl verlocken will. Aber sowohl dieses, als Reichthum, Ehre, Freunde, Herrschaft, Sieg und Ruhm, die ihm Satan anbietet, verschmäht er. Da erinnert ihn dieser an die Befreiung seiner Nation und giebt ihm die Mittel dazu an. Jesus nennt aber den Krieg einen Beweis der Schwäche, nicht der Stärke der Menschen; sein Zweck sei ein höherer, als die Erfüllung der alten Prophetensprüche von Wiederherstellung des Thrones Davids: die Befreiung, die er bringe, gelte der ganzen Menschheit. Hieraus geht Satan sogleich ein und räth ihm, den Tiberius vom Throne zu stoßen und sich so den Besitz der ganzen Welt zuzueignen, denn »nur wer Alles habe, der habe überhaupt etwas«. Als er auch hiermit zurückgewiesen wird, meint Satan: verstehe er ihn recht, so verlange er nicht nach weltlicher Macht, sondern wünsche geistig zu wirken und zu herrschen. Dazu reichten aber Moses und die Propheten nicht aus, sondern er müsse sich mit heidnischer Bildung und Weisheit vertraut machen. In der Verwerfung dieser aber zeigt Milton hier am entschiedensten, daß er auf dem jüdisch-christlichen Standpunkt der englischen Protestanten stehe.

Wenn schon das »Verlorene Paradies« eine sehr dramatische Textur hat, so ist das »Wiedergewonnene« fast reiner Dialog, in welchem das Thema der Versuchung und der Zurückweisung, jene mit scharfsinniger Kasuistik, diese mit würdevoller Widerlegung, dialektisch hin- und hergeworfen wird. Milton neigte sich dem Dramatischen und Lehrhaften zu, weshalb er selbst auch dem spätern Werke den Vorzug gab und endlich sogar zum reinen Drama überging. Dies war der » Samson Agonistes« (Simson der Kämpfer), ein Trauerspiel in antiker Form und Haltung, worin er seinen persönlichen Gefühlen nach den Erfahrungen seines Lebens und der traurigen Lage seines Alters bei einem Weltwesen und dem derzeitigen Zustande seines Volkes, die ihn anwiderten, Luft machte. »Rings um ihn her taumelte der Leichtsinn, tollte der Frevel; die Bösen hatten das Strafgericht vergessen, das ihre Väter traf; sie pochten auf das Recht des Augenblicks, sie verhöhnten und verfolgten die Guten; wer um der Tugend willen arm und elend war, der empfing Spott statt Ehre. Sollte diesem Uebermuth nichts Anderes begegnen, als christliche Langmuth? Nein, Milton haßte seine Feinde; er wollte sie stören in ihrer frechen Lust, sie züchtigen für ihren Hohn, ihnen drohen mit dem bösen Ende, das ihrer wartete. Demgemäß ist nun der Gegenstand gewählt und das Trauerspiel angelegt. Es ist eine furchtbare Confession von Miltons Erfahrungen, Leiden und Gedanken. Der Eingangsmonolog enthält schon eine ergreifende Darstellung des Unglücks, blind zu sein, noch mehr, es in Gefangenschaft zu sein. Der Chor der Landsleute des »Helden der Rache« sucht ihn zu trösten oder seinen Jammer mit dem seinigen zu mischen. Ihm schildert Samson seine undankbare Nation, bauet aber auf den einzig wahren Gott, der die Götzen seiner Feinde zertrümmern werde. Ueber das Erscheinen Delila’s ergießt sich des Helden Zornausbruch, der Milton’s Erinnerung in dieser Beziehung voll ausspricht, und der Chor giebt Miltonsche Ansichten über die Frauen und die Ehe wieder. Der Ausgang der Tragödie wird nach der Erzählung der Bibel in antiker Weise von einem Boten berichtet. Der Held rächt sich in seinem Selbstuntergange: die gute Sache siegt in der endlichen Niederlage der Schlechten. Und Milton hatte richtig gewahrsagt. In kurzem erfüllte sich, was er im voraus hatte kommen sehen; aber er erlebte es nicht mehr. Denn am 8. November 1674 starb er, mißachtet, arm und verlassen. Ein Freund, der ihn in seinen letzten Lebenstagen besuchte, beschreibt seine Lebensweise folgendermaßen: »Ich fand ihn in einem kleinen Hause, welches, soviel ich mich erinnere, nur Ein Zimmer auf einem Flur hatte, und in diesem eine Treppe hoch, die mit grünem Schimmel überzogen war. Dort sah ich John Milton in einem Armstuhle in schwarzen und ziemlich saubern Kleidern sitzen, blaß, doch nicht abgezehrt, seine Hände und Finger gichtisch und voll kalkiger Anschwellungen. Im Gespräch äußerte er in Bezug hierauf, daß seine Blindheit ihm erträglich sein würde, wäre er nur frei von Gicht. Ein Muster von Nüchternheit und Mäßigkeit, trank er selten Wein oder starke Getränke. Auch in seiner übrigen Lebensweise war er sehr enthaltsam, obgleich wählerisch im Genusse; er esse nur, meinte er, um zu leben, und lebe nicht, um zu essen. In seiner Jugend opferte seine Wißbegierde die Nächte, entwöhnte sich aber später davon, als seinen Augen und seiner Gesundheit nachtheilig, und ging früh zu Bett, stand früh auf, las ein Stück der hebräischen Bibel, brachte eine oder zwei Stunden mit Betrachtung zu und frühstückte, studirte dann bis Zwölf, erging sich darauf eine Weile und aß zu Mittag (gewöhnlich in der Küche), spielte dann auf der Orgel und ließ seine Frau oder eine seiner Töchter dazu singen, studirte darnach bis sechs, wenn Freunde ihn besuchten, aß um acht Uhr sehr mäßig zu Nacht und rauchte dann seine Pfeife bei einem Glase Wasser. Im Sommer saß er oft mit seinen Freunden vor der Hausthür.«

Solcher Art war das Leben, Wirken und Ende eines Mannes, der, unter guten Verhältnissen geboren und erzogen, sich in seiner Jugend durch Schönheit der Erscheinung (seine Studiengenossen in Cambridge nannten ihn das »Fräulein«), durch früh angeeignetes umfangreiches Wissen, durch Hebung in ritterlichen Künsten und Reisen, auf denen er mit berühmten Gelehrten und hochgestellten Leuten bekannt und von ihnen geachtet und geehrt wurde, durch Dichtungen in vier Sprachen, und endlich durch eine Haltung auszeichnete, die ihn des Verkehrs in höhern Lebenskreisen würdig machte – und der durch seinen Freiheitssinn in religiöser, wie in politischer Beziehung, indem er offen unerschrocken und unermüdlich für Vernunft, Wahrheit und Recht in die Schranken trat und den Kampf für sie aufnahm, sich solchen Lohn erntete.

Es ist ein eignes Schicksal, daß die wahren, großen Epiker der neuern Zeit ein so tragisches Ende ihrer Lebenstage hatten – man denke, außer Milton, an Dante und Camoens. Bojardo, Ariosto, Tasso und Andere sind hieher nicht zu rechnen, selbst Klopstock nicht, weil diese, abgesehen von der Größe als epische Dichter, nicht selber Helden waren wie jene, und also auch deren Schicksal nicht erfuhren. Camoens setzte aus Patriotismus sein Leben ein und verlor dabei ein Auge, und sein Vaterland befand sich, als er sich des Ruhms und der Anerkennung hätte erfreuen können, theils durch eine fürchterliche Pest, theils durch die unheilvolle Unternehmung Sebastian’s in Afrika, in solcher Trauer und Verwirrung, daß es den Verherrlicher seiner Geschichte vergaß und unbelohnt und verlassen in einem Hospitale sterben ließ; und Dante starb, lange Jahre heimatlos umherirrend und fremdes Brod essend, in der Verbannung. Aber weil diese nebst Milton im Leben selbst ihr ganzes Sein als Menschen für einen großen Zweck einsetzten, darum mußte jenes auch, seinem irdischen Theile nach, scheitern; darum tragen aber auch ihre Geisteswerke das Gepräge des Ewigen an sich, und deren Anerkennung, ja Bewunderung steigert sich von Jahrhundert zu Jahrhundert.

Milton’s Verlorenes Paradies erlebte nach der dritten Auflage, die vier Jahre nach seinem Tode erschien, unzählige Ausgaben. Zehn Jahre nach jener (1688) wurde unter dem Patronat des Lord Somers eine Folioausgabe auf Subscription veranstaltet, wofür sich 500 der ausgezeichnetsten Leute Englands unterzeichneten. Im Jahre 1695 wurde die erste mit Noten veröffentlicht. In Deutschland wurde es schon früh durch eine (jambische) Uebersetzung von E. G. v. Berge vom Jahre 1682, also acht Jahre nach Milton’s Tode, bekannt; sowie später noch mehr durch die von Addison’s vortrefflicher Kritik und Charakteristik des Gedichts (in seinem »Spectator«) angeregte Prosa-Uebersetzung Bodmer’s, durch den und Breitinger es, in dem bekannten literarischen Streit mit Gottsched, und damit die englische Poesie überhaupt, Einfluß auf die deutsche Dichtung und namentlich auf Klopstock und die Anhänger seiner Richtung gewann.

Gegenwärtige Uebersetzung ist bestrebt, Vers um Vers das Original wortgetreu wiederzugeben, außer wo es der Genius der deutschen Sprache nicht gestattet; nur im Metrum hat man sich, wie es bei unserm dramatischen Verse üblich, des Wechsels der zehn- und eilfsylbigen Jamben bedient, wie dies schon bei der Uebersetzung des Dante geschehen.

Inhaltsübersicht

Gesang I.

Ankündigung des Gegenstandes: des Menschen Ungehorsam und in Folge dessen der Verlust des Paradieses, in das er gesetzt war. Dann wird der Uranstifter seines Falles, die Schlange, oder vielmehr Satan in der Schlange, vorgeführt, der, sich gegen Gott empörend und viele Legionen Engel auf seine Seite ziehend, auf Gottes Geheiß mit seiner ganzen Schaar in den Abgrund der Tiefe gestürzt wurde. Nach der Schilderung dieses Vorganges schreitet das Gedicht schnell in die Mitte der Dinge, indem es Satan mit seinen Engeln als in der Hölle befindlich darstellt, die sich jedoch nicht im Mittelpunkt der Erde befindet, da Himmel und Erde noch nicht geschaffen waren, sondern an einem Orte von äußerster Finsterniß, sehr schicklich Chaos benannt. Hier kommen Satan und seine Engel, die, vom Donner getroffen, betäubt auf dem glühenden Pfuhle liegen, nach einiger Zeit wieder zu sich, und Ersterer fordert den, welcher, der Reihe und Würde nach, ihm zunächst liegt, zur Rede auf. Sie besprechen sich über ihren jämmerlichen Sturz. Satan weckt alle seine Legionen, die, gleich ihm, bis jetzt besinnungslos dalagen, auf. Sie erheben sich. Ihre Zahl, ihre Schlachtrüstung werden geschildert, ihre Hauptanführer genannt, und zwar nach den Götzenbildern, die nachmals in Kanaan und den benachbarten Gegenden verehrt wurden. An diese richtet Satan seine Anrede, tröstet sie mit der Hoffnung, den Himmel noch wiederzugewinnen, spricht ihnen jedoch zuletzt von einer neuen Welt und einer neuen Art von Geschöpfen, die nach einer alten Prophezeiung oder einem Gerücht im Himmel geschaffen werden sollten (denn daß es lange vor der sichtbaren Schöpfung Engel gegeben habe, war die Meinung vieler alten Kirchenväter). Um die Wahrheit dieser Weissagung auszufinden und was darüber zu beschließen sei, beruft er volle Versammlung. Er überredet sie zu offenem Kriege. Das Pandämonium, der Palast Satans, erhebt sich, schleunigst aus der Tiefe aufgerichtet; dort sitzen die höllischen Pairs zum Rath versammelt.

Gesang II.

Die Berathung beginnt; Satan zieht in Erwägung, ob noch eine Schlacht für die Wiedererlangung des Himmels zu wagen sei. Einige rathen dazu, andere rathen sie ab; endlich erlangt ein dritter Vorschlag, in Bezug auf das von Satan schon Erwähnte, den Vorzug, nämlich die Wahrheit jener Prophezeiung oder Ueberlieferung im Himmel, betreffs einer neuen Welt und einer andern Art von Wesen, mit ihnen gleich oder doch nicht viel tiefer stehend, die um diese Zeit entstehen soll, zu erforschen. Sie sind bedenklich, wer auf diese schwierige Untersuchung ausziehen soll. Satan, ihr Oberhaupt, unternimmt selbst und allein die Reise; man erweiset ihm Ehrerbietung und Beifall. Nachdem auf solche Weise die Rathsversammlung geschlossen worden, gehen die Uebrigen auseinander und an ihre verschiedenen Geschäfte, wozu ihre Neigung sie führt, um sich bis zu Satans Rückkehr die Zeit zu vertreiben. Dieser begiebt sich auf die Fahrt und kommt an die Thore der Hölle, die er verschlossen findet. Sie werden von Sünde und Tod, den von ihm Erzeugten bewacht, die sie ihm folglich zuletzt öffnen, und er betritt nun den weiten Schlund zwischen Hölle und Himmel. Nur mit großer Schwierigkeit durchmißt er ihn, vom Chaos, dem alten Beherrscher dieses Raumes, bis zum Erblicken der neuen Welt, die er sucht, geleitet.

Gesang III.

Gott, von seinem Himmelsthrone herab, sieht Satan nach der eben neugeschaffenen Welt hinfliegen, und zeigt ihn seinem Sohne, der zu seiner Rechten sitzt. Er sagt den Erfolg voraus, daß Satan das Menschengeschlecht verführen werde, und spricht seine Gerechtigkeit und Weisheit von aller Zurechnung frei, da er das Menschengeschlecht mit freiem Willen und dem Vermögen begabt habe, dem Versucher zu widerstehen; erklärt jedoch, daß er geneigt sei, es zu begnadigen, sobald es nicht aus bösem Willen, wie Satan, sondern durch diesen verführt, fallen sollte. Der Sohn Gottes zollt seinem Vater Lob und Dank für die Kundgebung seiner gnädigen Absichten gegen die Menschen. Gott aber erklärt dagegen, daß dem Menschen nicht Vergebung zu Theil werden könne, wenn nicht der göttlichen Gerechtigkeit Genugthuung geschähe. Denn der Mensch habe dann die Majestät Gottes beleidigt, weil er darnach gestrebt habe, Gott zu gleichen, und deshalb müsse er, mit seiner ganzen Nachkommenschaft dem Tode geweiht, sterben, wenn sich Niemand fände, der für diese Beleidigung Genüge thäte und sich der Jenem bestimmten Strafe unterzöge. Der Sohn Gottes erbietet sich selbst freiwillig zur Auslösung für den Menschen; der Vater nimmt ihn als Opfer, als Mittler an, bestimmt seine Menschwerdung, und durch den Himmel schallt der Lobgesang der Engel, denen er die Verehrung des Sohnes gebietet. Zu den Hymnen ertönen die Harfen in vollem Chore, welcher Vater und Sohn feiert. Unterweilen läßt sich Satan auf der öden Wölbung des äußersten Kreises der Welt nieder, wo er, in der Irre wandernd, einen Ort findet, welcher der Limbus der Thorheit ist, und wohin alle eitlen Dinge und eitlen Menschen versetzt werden: ruhmgierige Könige und Krieger, überspannte Philosophen, abergläubische und hochmüthige Priester finden dort alle die Nichtigkeiten, die ihnen äußerst werthvoll dünken. Satan kommt an das Himmelsthor, welches beschrieben wird, und fliegt von da auf die Sonne. Dort findet er Uriël, den Bewalter dieses Kreises, verwandelt sich jedoch vorher in die Gestalt eines der geringeren Engel, und indem er eine starke Wißbegierde vorgiebt, die neue Schöpfung und die Menschen, welche Gott darein gesetzt hat, kennen zu lernen, fragt er jenen nach dem Orte ihres Wohnsitzes. Der Engel lobt ihn und zeigt ihm die glückliche Stätte. Satan eilt dahin und läßt sich auf dem Berge Niphates nieder und rastet dort.

Gesang IV.

Satan, der nun Eden erblickt und sich dem Orte nahe befindet, wo er jetzt das kühne Unternehmen wagen muß, zu dem er sich allein gegen Gott und den Menschen anheischig gemacht, verfällt in mannichfache Zweifel gegen seine Kraft, in allerlei Leidenschaften: Furcht, Neid und Muthlosigkeit. Nach und nach aber bestärkt er sich wieder im Bösen, und geht nach dem Paradiese hin, dessen äußerer Anblick und dessen Lage beschrieben wird. Er setzt über seine Umgrenzung weg und läßt sich in der Gestalt eines Raben auf dem Baume des Lebens, als dem höchsten in Edens Garten, nieder, sich von dort umzuschauen. Beschreibung dieses Gartens. Satans erstes Erblicken von Adam und Eva; seine Bewunderung ihrer äußerst schönen Gestalt und ihres glücklichen Zustandes, doch verbunden mit dem Entschluß, ihren Fall zu bewirken. Er belauscht ihr Gespräch, erfährt daraus, daß ihnen verboten worden, von dem Baume der Erkenntniß zu essen, bei Strafe des Todes, und beschließt, hierauf seine Versuchung zu gründen, dadurch, daß er sie verleitet, das Gebot zu übertreten. Dann verläßt er sie einige Zeit, um auf andere Weise Weiteres von ihrem Zustande zu erfahren. Inzwischen steigt Uriël auf einem Sonnenstrahl hernieder und warnt Gabriël, der das Thor des Paradieses in Hut hatte, daß ein böser Geist dem Abgrunde entkommen wäre und seinen Bereich in Gestalt eines guten Engels nach dem Paradiese hinab durchzogen hätte; er sei aber bald an seinen wilden Geberden erkannt worden. Gabriël verspricht, ihn noch vor Tagesanbruch aufzufinden. Unterdeß kommt der Abend heran; Adams und Eva’s Gespräch, ehe sie zur Ruhe gehen, wird mitgetheilt, ihre Laube beschrieben; ihr Abendgebet. Gabriël schickt die Schaaren seiner Nachtwache aus, ringsher das Paradies zu umschreiten und beordert zwei wackere Engel nach Adams Laube, damit der böse Geist den beiden Schlafenden kein Leid zufügen möchte. Die Engel finden dort den bösen Feind in Gestalt einer Kröte an dem Ohr Eva’s sitzen, um sie in einem Traume zu versuchen, und bringen den Widerstrebenden zu Gabriël. Von diesem zur Rede gestellt, giebt er trotzige Antwort und fordert jenen zum Kampfe heraus, wird aber durch ein himmlisches Warnungszeichen daran gehindert und entflieht aus dem Paradiese.

Gesang V.

Der Morgen nahet; Eva erzählt Adam ihren beunruhigenden Traum. Dieser gefällt ihm nicht, doch tröstet er sie. Sie treten aus der Laube zu ihrem Tagewerk heraus und erheben vor dem Ausgang derselben ihre Morgenhymne. Um den Menschen jede Zuflucht zur Entschuldigung zu nehmen, sendet Gott den Raphaël an sie ab, sie wegen des Ungehorsams, wegen ihres freien Zustandes und des in ihrer Nähe befindlichen Feindes zu warnen, ihnen zu sagen, wer dieser sei und war, daß er ihnen feindlich gesinnt sei und außerdem sonst noch alles, was Adam zu wissen nöthig wäre. Raphaël läßt sich zum Paradiese nieder. Sein Erscheinen wird geschildert, und wie sein Kommen von Adam, der vor seiner Laube sitzt, schon von ferne erspähet wird. Dieser geht ihm entgegen, führt ihn in die Laube und bewirthet ihn mit den ausgesuchtesten Früchten des Paradieses, die er und Eva gepflückt haben. Ihr Tischgespräch wird mitgetheilt. Raphaël richtet seine Botschaft aus, erinnert Adam an seinen Zustand und seinen Feind; berichtet, auf die Bitte desselben, wer dieser Widersacher sei und wie er dazu wurde, indem er von der ersten Empörung im Himmel und der Veranlassung dazu zu erzählen beginnt: wie der mächtige Erzengel Satan von Gott abfiel und mit seinen Legionen von Anhängern, unter dem Vorwande, den Messias würdig zu empfangen, nach seinem Reiche »im Norden« zog; wie er sie dort zum Aufruhr zu bewegen suchte und auch zum Abfall überredete, Abdiël, einen Seraph, ausgenommen, der dem Abtrünnigen abzurathen wagt, dann ihm Widerstand leistet und ihn verläßt, um Gott dessen Kriegserklärung zu bringen.

Gesang VI.

Raphaël fährt zu berichten fort, wie Michaël und Gabriël ausgesandt wurden, gegen Satan und seine Engel zu kämpfen. Die erste Schlacht wird beschrieben. Abdiël führt mit den von ihm gewonnenen Schaaren den ersten Angriff auf Satan aus, den er zum Wanken bringt. Nun fordern die Posaunen zum allgemeinen Angriff auf und fürchterlich entbrennt die Götterschlacht. Satan sucht, nachdem er Wunder der Tapferkeit gethan, den Erzengel Michaël zum Einzelkampfe auf. Sie rennen auf einander ein und Michaël zertrümmert Satans Schwert und verwundet ihn selbst. Der Sieg ist zum Vortheil der guten Engel entschieden. Waffenstillstand während der Nacht, welche Satan dazu benutzt, um einen Rath zusammenzurufen und Höllenmaschinen zu erfinden, womit er am folgenden Tage Michaël und seine Schaaren in die Enge bringt. Diese jedoch, allmählich wieder von ihrer Bestürzung zurückkommend, reißen Berge aus, schleudern sie gegen ihre Feinde und überwältigen so die Schaaren und Maschinen Satans. Am dritten Tage sendet Gott seinen Sohn, um den Krieg, der dennoch forttobt, zu beenden; denn diesem, dem Messias, hat er den Ruhm dieses Sieges aufbewahrt. Mit der Allmacht des Vaters ausgerüstet, zieht dieser nun heran auf seinem Streitwagen und gebietet allen seinen Legionen, nicht am Kampfe der Entscheidung theilzunehmen. Mit seinem Wagen stürzt er, donnerbewaffnet, mitten unter seine Feinde, verfolgt sie, die zu widerstehen unfähig find, bis an die Mauern des Himmels, die sich vor ihm öffnen, und treibt sie aus dem Reiche der Wonne hinaus in die flammende Tiefe der ewigen Pein. – Dort, so schließt Raphaël den Bericht, hausen sie jetzt; der Messias kehrt im Triumph zu seinem Vater zurück; Satan aber hat sich wieder auf die Oberwelt geschlichen, um die Menschen zu verderben.

Gesang VII.

Die Erzählung des himmlischen Boten hat Adams Wissenstrieb erweckt und er wünscht nun auch etwas darüber zu vernehmen, wie und durch welche Veranlassung Gott die Welt, deren Bewohner er ist, geschaffen habe. Raphaël theilt ihm mit, daß Gott, nachdem der Sohn Satan und seine Anhänger aus dem Himmel vertrieben, seinen Willen erklärt habe, noch eine Welt und andere Wesen zu schaffen, die sie bewohnen, um die verlornen Engel zu ersetzen und sie durch die Anlage des Menschen zur Veredlung zu beschämen. Somit sendet er seinen Sohn mit einem Geleit von Engeln, um das Werk der Schöpfung in sechs Tagen zu vollenden. Schilderung der sechs Schöpfungstage. Die Einsetzung des Sabbath’s feiert die Vollendung des Werkes und Hymnen der Engel begleiten die Rückkehr des Sohnes in den Himmel.

Gesang VIII.

Adams durch diese Mittheilung gesteigerte Lernbegierde fragt jetzt auch nach dem Zweck von Sonne, Mond und Sternen; ihm däucht nicht, daß sie um der Erde willen da seien. Eva geht bei diesem Gespräch, nach ihren Blumen zu sehen. Raphaël berichtet zwar, was er von der Astronomie weiß, räth Adam jedoch, nicht über Entferntes und Verborgenes zu grübeln, sondern »demüthig weise« nur das ihn Angehende, das im täglichen Leben Vorliegende zu bedenken, und Adam stimmt in diese Lehre beifällig ein. Um sich der ihn beglückenden Nähe Raphaëls noch länger zu erfreuen, erzählt er diesem alles, dessen er sich seit seiner Erschaffung erinnert, des Entzückens bei seinem Erwachen zum Leben; seines Gespräches mit Gott, betreffs seiner Einsamkeit und sein Verlangen nach einem Wesen, das seine »vernünftigen Freuden« mitgenösse, und wie Gott seinen Wunsch gewährte. Hier folgt die Erzählung von der Rippe und seiner ersten seligen Begegnung mit Eva. Der Engel warnt ihn vor blinder Liebe und Unterwerfung unter die Macht des Sinnlichen, und nachdem er ihn zur Festigkeit ermahnt, scheidet er.

Gesang IX.

Nachdem Satan die Erde umkreist, schleicht er sich als ein Nebel mit dem Wasser des Tigris bei Nacht in das Paradies ein und schlüpft in die schlafende Schlange. Adam und Eva gehen am Morgen an ihre Arbeit, und Eva schlägt vor, daß sie gesondert jedes an ihr Werk gehen. Adam mahnt sie an die Gefahr, daß der böse Feind, vor dem sie gewarnt worden, wenn er sie allein fände, sie versuchen möchte. Eva fühlt sich durch den Argwohn ihrer Schwäche beleidigt und besteht darauf, allein zu gehen, um darzuthun, daß sie der Versuchung zu widerstehen vermöge. Adam giebt schließlich nach, und die Schlange findet sie allein. Listig schleicht sie sich an Eva heran, erst sie anschauend, dann sie anredend, und erhebt mit großer Schmeichelei Eva’s Schönheit über die aller andern Geschöpfe. Eva fragt voll Erstaunens, die Schlange reden zu hören, wie sie zur menschlichen Sprache komme. Die Schlange antwortet, daß, nachdem sie von der Frucht eines gewissen Baumes im Garten gekostet, ihr, die bis dahin beider unfähig gewesen, sowohl zu Sprache als Vernunft gekommen sei. Eva bittet jene, ihr diesen Baum zu zeigen und findet in ihm den verbotenen Baum der Erkenntniß. Die bereits kühner gewordene Schlange verführt sie endlich durch viele Trugschlüsse dazu, einen der glänzenden Aepfel zu pflücken und zu essen. Sie erfreut sich an seinem Geschmacke, preist den Baum der Erkenntniß und betet ihn an. Dann überlegt sie, ob sie Adam zum Theilnehmer machen soll oder nicht. Endlich bringt sie auch ihm von der Frucht. Entsetzt vernimmt er, was sie gethan; doch erwägend, daß sie vielleicht nach diesem Fehltritt sterben müsse, beschließt er, aus überfließender Liebe, ihr Geschick mit ihr zu theilen, und so ihr Vergehen zu mindern suchend, ißt auch er von der Frucht. Sie fallen in fleischliche Lust; aber nach ihrem Erwachen werden sie sich ihrer Blöße bewußt und schämen sich ihrer; doch Scham und Reue machen alsbald der Zwietracht und gegenseitigen Anklagen und Vorwürfen Platz.

Gesang X.