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Vorhang auf für Wirbelwind Jule: Der freche Jugendroman „Jule, kussecht“ von Erfolgsautorin Beatrix Mannel jetzt als eBook bei dotbooks. Kennt ihr das, wenn man auf seinem Bett liegt und völlig sinnlos rumheult? Ich bin Jule – und bei mir geht gerade alles ziemlich den Bach runter: In der Schule macht mir die Klassenzicke das Leben zur Hölle, ich habe Liebeskummer und jetzt hat mich meine Schwester auch noch überredet, in der Theater-AG mitzumachen. Bescheuerte Idee! Aber immerhin macht Twister da auch mit … und den finde ich eigentlich ganz süß. Und wie heißt es doch gleich am Theater? Kuss oder nicht Kuss, das ist hier die Frage! „Einer solch charmanten und frechen Heldin kann man als Leserin nur schwer widerstehen!“ Jugendliteratur aktuell Jetzt als eBook kaufen und genießen: „Jule, kussecht“. Der zweite Band der Jugendbuchserie für Leserinnen ab 12 Jahren von Beatrix Mannel. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 278
Über dieses Buch:
Kennt ihr das, wenn man auf seinem Bett liegt und völlig sinnlos rumheult? Ich bin Jule – und bei mir geht gerade alles ziemlich den Bach runter: In der Schule macht mir die Klassenzicke das Leben zur Hölle, ich habe Liebeskummer und jetzt hat mich meine Schwester auch noch überredet, in der Theater-AG mitzumachen. Bescheuerte Idee! Aber immerhin macht Twister da auch mit … und den finde ich eigentlich ganz süß. Und wie heißt es doch gleich am Theater? Kuss oder nicht Kuss, das ist hier die Frage!
„Einer solch charmanten und frechen Heldin kann man als Leserin nur schwer widerstehen!“ Jugendliteratur aktuell
Über die Autorin:
Beatrix Mannel studierte Theater- und Literaturwissenschaften in Erlangen, Perugia und München und arbeitete dann zehn Jahre als Redakteurin beim Fernsehen. Danach begann sie – auch unter ihrem Pseudonym Beatrix Gurian – Romane für Kinder, Jugendliche und Erwachsene zu schreiben, die in viele Sprachen übersetzt wurden. Für ihre aufwändigen Recherchen reist sie um die ganze Welt. Außerdem gründete sie gemeinsam mit einer Kollegin 2015 die Münchner Schreibakademie.
Zur frechen Jugendbuchserie rund um Jule gehören die folgenden Bände: Jule – filmreif, Jule – kussecht, Jule – schwindelfrei, Jule – zartbitter
Bei dotbooks erschien von ihr bereits die Serie S.O.S. – Schwestern für alle Fälle mit den Einzelbänden:
Willkommen in der Chaos-KlinikEin Oberarzt macht ZickenFlunkern, Flirts und LiebesfieberRettender Engel hilflos verliebtPrinzen, Popstars, Wohnheimpartys
und der historische Jugendroman Die Tochter des Henkers.
Mehr Informationen auch auf der Website der Autorin: www.beatrix-mannel.de
www.münchner-schreibakademie.de/
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eBook-Neuausgabe November 2016
Copyright © der Originalausgabe 2001 Loewe Verlag GmbH, Bindlach
Copyright © der Neuausgabe 2016 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Tanja Winkler, Weichs unter Verwendung eines Bildmotivs von Thaut Images (fotolia.com)
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH
ISBN 978-3-95824-733-8
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Beatrix Mannel
Jule – kussecht
Roman
dotbooks.
Für Ulli,die beste Schwester der Welt
Kennt ihr das, wenn man auf seinem Bett liegt und völlig sinnlos rumheult? Das mache ich gerade, und es bringt natürlich nichts, nur dicke rote Augen und eine geschwollene Nase. Ich konnte noch nie weinen wie eine Feenprinzessin, der Tränen wie schimmernde Glasperlen von der bleichen Wange tropfen. Mir läuft der Rotz aus der Nase, und ich kriege keine Luft. Bestimmt wollt ihr endlich wissen, wieso ich dann trotzdem dieser Tätigkeit so intensiv nachgehe, statt etwas wirklich Schönes zu tun, wie zum Beispiel – ähh – Hausaufgaben zu machen.
Es ist ganz einfach – und einfach schrecklich. In meiner Klasse redet keiner mehr mit mir. Jetzt macht bloß nicht gleich wieder das Buch zu. Ich hab niemanden verpetzt, ich hab auch keiner Freundin den Typen ausgespannt, nein, mein Verbrechen ist anscheinend viel schlimmer: Ich habe eine Zeit lang bei einer Fernsehserie mitgespielt. Und seit das vorbei ist und ich wieder zurück bin, sagen die anderen nur noch zu mir: »Na, fette Fernsehziege« oder auch »Na, Ex-Fernsehstar«. Ich verstehe das nicht. Ich habe mich überhaupt nicht wie ein Star benommen. Ehrlich.
Es klopft an meiner Tür. Ich versuche mir das Gesicht abzuwischen, aber wahrscheinlich ändert das wenig an meinen Kaninchenaugen.
Es ist meine große Schwester Cindy, die da durch das Zimmer schwebt und sich auf mein Bett setzt. Sie sieht aus wie immer: perfekt. Sie ist groß und schlank und hat wunderschöne, leuchtende, blonde, lange Haare. Nicht so stachelige, fettige, rote Zipfelfransen wie ich. Cindy rümpft ihre kleine Stupsnase. »Hier mieft es. Du solltest frische Luft reinlassen.« Sie geht zum Fenster und reißt es auf, so weit, dass ich hören kann, wie die Pappel vor meinem Fenster im Sommerwind leise rauscht.
Ist Cindy nicht wunderbar? Sie fragt mich nicht, wieso ich heule, sie gibt keine fiesen Kommentare über mein verquollenes Boxergesicht ab und zwingt mich nicht, sie anzulügen und zu behaupten, ich hätte Heuschnupfen.
Cindy weiß nämlich, dass ich es verabscheue, beim Heulen erwischt zu werden.
Sie dreht sich um und mustert mich mit strengem Blick. »Wieso heulst du denn?«, fragt sie mich allen Ernstes. Von wegen wunderbar!
»Herzblatt hat mir abgesagt«, versuche ich einen Witz, aber Cindy verzieht nicht mal ansatzweise ihre paprikaroten Mundwinkel. »Jule, ich will dir doch nur helfen. Was ist denn los?«
»Nichts«, antworte ich stur und denke: Genau! Das trifft es auf den Kopf. Funkstille. Nichts.
»Was heißt nichts?« Cindy zieht eine Haarsträhne aus ihrem Pferdeschwanz und fängt an, darauf herumzukauen. Ich weiß, was das bedeutet. Sie ist beunruhigt.
»Nichts heißt nichts. Ich habe eine Allergie.« Genau genommen eine Allergie gegen meine Klasse.
»Jule, du bist so kindisch. Als ob ich nicht wüsste, was in der Schule läuft. Ich hab gestern Katharina und Sophie belauscht. Sie saßen im Bus vor mir.«
Meine beiden Lieblinge.
Katharina, Liebling Nummer eins, ist unsere Klassensprecherin und Chefin dieser Schweigekampagne gegen mich. Sie ist in etwa so sympathisch wie eine unterernährte afrikanische Tüpfelhyäne. Allerdings sieht sie aus wie ein Engel: blond, süß, pausbackig ... obwohl, nein, das nehme ich zurück. Das wäre eine Beleidigung für echte Engel.
Sophie, Liebling Nummer zwei, dient Katharina als Leibsklavin und würde auf Befehl ihrer Herrin keine Sekunde zögern, jemandem von hinten ein Messer in die Rippen zu stoßen; allerdings nicht, ohne vorher ihr Make-up zu prüfen.
Dass Cindy es überlebt hat, ein Gespräch der beiden zu belauschen, grenzt an ein Wunder. Schließlich kann sie nicht einmal eine Kakerlake erschlagen!
»Was hatten die Süßen denn so Weltbewegendes zu bereden?«, erkundige ich mich. »Hat sich Katharinas Bauchnabelpiercing entzündet? Oder möchte Sophie nun doch ein passendes Schlangentattoo auf ihrem Knöchel haben?«
Cindy schüttelt ihren Kopf. »Nein, es ging darum, dass du ganz schön alt aussiehst, jetzt, wo keiner mehr mit dir spricht.«
Mir fällt leider nichts ein, was ich dazu sagen könnte. Cindy legt ihren Arm um meine Schultern.
»Mach dir nichts daraus. Sie sind alle bloß neidisch, Jule. Du tust ihnen einen Gefallen, wenn du dich über diese kindische Aktion ärgerst!«
Sie hat gut reden. Cindy kennt solche Probleme überhaupt nicht. Obwohl sie schön und klug ist, schart sich immer ein Pulk von Busenfreundinnen um sie herum. Von den schmachtenden Jungs gar nicht erst zu reden. Ich dagegen habe nur ein paar Kumpels, männliche wohlgemerkt. Einen besten Freund habe ich allerdings auch, Matthias. Aber der ist leider nicht in meiner Klasse. Ich weiß nicht, warum, aber mit Mädchen freunde ich mich schwer an. Vielleicht liegt es an meinen Kilos? Ich bin nämlich 1,68 m und so hoch wie breit. Immer noch, obwohl ich in letzter Zeit dünner geworden bin. Ich kann neuerdings meine Fußspitzen sehen, wenn ich über meinen Bauch gucke, aber von Modelmaßen bin ich weit entfernt.
Cindy spuckt ihre Haarsträhne resolut aus. »Hör mal, Jule, ich kann mir vorstellen, wie schrecklich das für dich ist. Du musst etwas dagegen unternehmen. Und ich habe auch schon eine Idee.« Sie strahlt mich aus ihren blauen Augen an, als würde sie mir gleich ein Geschenk überreichen.
Cindy hat selten überraschende Ideen. Ich bin trotzdem gespannt. Alles ist besser als dieses eisige Schweigen, jeden Tag sechs Stunden oder länger. Cindy steht auf und stolpert über meinen bunten Flickenteppich. Aber sie ist so in Fahrt, dass sie es gar nicht merkt.
»Du trittst in die Theater-AG ein. Da sollen sehr nette Leute drin sein, nicht solche Giftspritzen wie in deiner Klasse. Und außerdem wird sie vom Zwilling geleitet.«
Ich bin verblüfft. Und zwar zum einen, weil meine Schwester gerade das Wort »Giftspritze« in den Mund genommen hat. Das ist höchst ungewöhnlich. Cindy spricht sonst immer druckreif. So etwas Ordinäres wie »Mist«, geschweige denn »Scheiße« oder »Arschloch«, kommt niemals aus ihrem Mund gekrochen. Sie ist einfach nicht fähig zu bösen Gedanken. Zum anderen habe ich keinen blassen Schimmer, wen sie mit Zwilling meint. Ich frage nach, und prompt bekommt Cindy einen verzückten Gesichtsausdruck.
»Zwilling ist der neue Deutschlehrer in der Oberstufe. Er hat eine Theater-AG für alle Jahrgangsstufen gegründet.«
»Machst du auch mit?«
Cindy schüttelt den Kopf. »Ich muss leider fürs Abi lernen. Endspurt! Wenn alles gut geht, dann helfe ich vielleicht bei den Kostümen oder Kulissen. Ich sag dir, dieser Zwilling ist wunderbar.« Cindy dreht begeistert eine Haarsträhne hin und her.
»Und was soll ausgerechnet mir die Theater-AG bringen? Dann sagen die anderen bloß, ich will jetzt auch noch ein Bühnenstar werden ...«
»Quatsch, wenn du in der Theatergruppe nicht geschnitten wirst, dann verpufft diese miese Aktion doch total.«
Ich überlege kurz. Was meint ihr? Ist das eine gute Idee? Oder macht es alles noch schlimmer? Andererseits, schlimmer kann es sowieso nicht mehr werden.
Cindy zumindest ist begeistert von ihrem Vorschlag. Oder liegt das vielleicht eher an dem Lehrer ihres Vertrauens?
»Woher kennst du den Zwilling?«
»Er ist mein neuer Deutschlehrer, Frau Meister musste den Kurs abgeben, weil sie angeblich einen Nervenzusammenbruch hatte.«
»Und was gefällt dir so an ihm?«
Cindy zieht ihre Nasenflügel zusammen. Das tut sie immer, wenn sie angestrengt nachdenkt. Und es sieht ein bisschen so aus, als würde sie gleich in Ohnmacht fallen, weil ihre Nase ganz weiß wird. Schließlich schüttelt sie den Kopf. »Ich habe keine Ahnung. Er ist nicht wie Superman oder so, aber er hat was. Er ist, na ja, er ist klug.«
Na prima! Das sollte man von einem Lehrer wohl erwarten dürfen, oder? Und hattet ihr schon mal einen Lehrer, der Superman ähnelte? Ich nicht. Das Beste, an das ich mich erinnere, war mal ein Sportlehrer, der ausgesprochen durchtrainiert war. Aber leider hatte er so einen ekligen blonden Schnauzer und spuckte beim Reden.
Cindy setzt sich wieder dicht neben mich aufs Bett. Wie macht sie es nur, dass sie immer so angenehm riecht? Fast so gut wie Mama. Cindy nimmt meine Hand. O Gott, was soll das werden? Schwören wir gleich auf die Bibel, die Wahrheit zu sagen und nichts als die Wahrheit? Cindy schaut mich durchdringend an. »Also versprich mir, dass du gleich morgen zum Zwilling gehst und dich eintragen lässt.«
»Ich schwöre, so wahr mir Gott helfe! Amen«, rufe ich mit kräftiger Stimme und schlage mir mit der freien Hand auf meine ziemlich magere Brust.
»Dass du aber auch über alles Witze machen musst.« Enttäuscht steht Cindy auf und verlässt mein Zimmer. Tja ihr merkt schon, sie hat, und das ist eins der wenigen Dinge, die ihr fehlen, wenig Sinn für Humor.
Ich sinke zurück auf mein Bett und starre aus dem offenen Fenster. Ich liebe diese Silberpappel. Wenn die Blätter durch den Wind hin und her flirren, sieht das aus wie flüssiges Quecksilber und manchmal sogar wie das Glitzern der Sonne auf dem Meer. Vielleicht denkt ihr jetzt, dass es ziemlich öde ist, so einen Baum anzuglotzen, wo es doch jede Menge Soaps gibt oder Playstation 2. Na ja, erstens habe ich keinen Fernseher in meinem Zimmer, weil meine Eltern in dieser Hinsicht aus dem Mittelalter sind. Und zweitens ist das auch etwas ganz anderes. Ich sag es nicht gerne, weil es sich ganz schön verrückt anhört. Aber der Baum versteht mich irgendwie. Ich kann mit ihm reden. Der Baum weiß auch, dass ich davon träume, ein wunderbarer, zarter, goldener Glanz zu sein. Oder vielleicht sollte ich sagen, dass ich davon geträumt habe. Manchmal kommt es mir so vor, als würde ich mit diesem Wunsch etwas zu hoch greifen. Oder zu niedrig.
Das Gute an dem Baum ist, dass er sich nicht verändert. Nur wie ich ihn sehe – das ist anders. Manchmal kommt er mir böse vor oder gemein. Aber das ist nur in meinem Kopf, denn der Baum, bleibt immer derselbe. Ist das nicht verrückt? Aber jetzt hab ich euch genug mit dem Baumkram voll gelabert.
Ich hole das Powerbook unter meinem Bett hervor und schließe es an die ISDN-Leitung an, um meine Mails zu checken. Das Powerbook hat mir Stefan geschenkt, bevor er nach Los Angeles gezogen ist, um zu lernen, wie man richtig Filme macht. Stefan war Aufnahmeleiter bei der Fernsehserie, bei der ich mitgemacht habe, und ich bin in ihn verliebt. Heute wird vielleicht doch noch mein Glückstag, denn er hat mir eine Mail geschickt.
«Liebe Jule», schreibt er. Immerhin «Liebe», nicht «Hallo».
«Sorry für die späte Antwort. Aber hier ist so viel los, ich komme zu nichts. Ich hoffe, dir geht es gut. Küsse, Stefan.»
Ich starre auf den Bildschirm. Das soll ein Brief sein? Am liebsten würde ich Stefans altes Powerbook an die Wand werfen. Ich verstehe das nicht. Wir waren doch so verliebt. Ehrlich, er war auch in mich verliebt. Ich weiß, das ist schwer zu glauben. Schließlich bin ich nicht gerade Julia Roberts, noch nicht mal eine Sparversion, aber trotzdem, er hat mich geküsst und noch ein bisschen mehr.
Und jetzt?
Jetzt schreibt er mir immer weniger. Ob er eine andere Freundin hat? Eine Amerikanerin? Ich sehe knackige Cheerleader in kurzen Röckchen mit Pompoms vor ihm herumwedeln und bekomme bei dieser Vorstellung Herzweh. Es fühlt sich an, als würde eine große Eisenspange über meine Brust gelegt und zugedrückt. Und das Schlimmste daran ist, ich kann überhaupt nichts machen. Ich sitze in München auf meinem Bett und kann nichts machen. Dabei würde ich am liebsten zu Stefan fliegen und nachsehen, was dort los ist.
Ich laufe in meinem Zimmer hin und her. Nicht wie ein Tiger im Käfig, sondern wie eine Irre. Mach dir nichts vor, Jule, sagt mein Gehirn. Stefan ist viel älter als du. Für den warst du ein nettes Mädel, nichts weiter. Vergiss ihn.
Mein Herz erwidert: Das kann ich nicht.
Worauf mein Gehirn klugscheißert: Dann musst du es üben. Lern einen anderen kennen.
Hahaha. Noch mehr so gute Vorschläge, und ich lache mich tot. Obwohl, vielleicht ist es doch keine schlechte Idee. Wozu habe ich denn Internetanschluss? Ich könnte zumindest ein bisschen chatten. Aber zuerst schreibe ich eine tolle Antwort auf diesen Nicht-Brief.
«Lieber Stefan», beginne ich. Und halte inne.
Auf keinen Fall! Ich schreibe besser: «Hi Stefan, bitte schick mir keine Mails mehr. Sie brechen mir das Herz, und das willst du doch sicher nicht, oder?»
Nein, so geht das auch nicht. Vielleicht: «Hi Stefan, leider habe ich keine Zeit mehr für dich, weil ich den Dings von dieser neuen Boygroup zum Lover habe.»
Schwachsinn. Stefan würde sich mit seinen braunen Augen einen abgrinsen, mit den muskelbepackten Schultern zucken und mich für total beschränkt halten.
Also entscheide ich mich für ein «Hi Stefan, danke für deine Mail. Bis bald, Jule.»
Ja, das ist gut. Knapp, nicht zu beleidigt. Das schicke ich aber erst in zehn Tagen ab.
Und damit mir nicht noch mehr böse Gedanken durch den Kopf wirbeln, mache ich mich auf in meinen Lieblings-Chatraum für Munich Teens und Twens. Ich habe übrigens den Chatnamen Silberglanz123, und prompt stürzen sich Tigerfell77, Kussecht99 und Muskeljohnny auf mich. Ich weiß nicht, wie es euch beim Chatten geht. Ich finde es meistens nicht besonders prickelnd. Immer dieselben Fragen: «Hey, wo kommst du her?» und «Was machst du gerade?» Ich antworte dann wahlweise: «Meinen Goldfisch füttern» oder auch «Mein Haar runterlassen» oder «100 Liegestütze». Ich würde zu gern mal schreiben: «Ich posiere gerade nackig vorm Spiegel», nur um zu sehen, was passiert.
Aber das traue ich mich nicht. Man weiß ja nie, ob man dann nicht lauter Telegramme von fiesen Gruftie-Perverslingen kriegt. Natürlich wollen Tigerfell und Kussecht als Erstes wissen, woher ich käme. Ich kontere mit «Neuseeland» und behaupte, dass ich erst seit kurzem in Deutschland sei. Radebreche ein bisschen Deutsch. Das macht Spaß.
Und ich verrate auch, dass ich weiblich bin. Die anderen drei geben an, m. zu sein. Auf meine Frage, was denn das bei ihnen bedeute: m. wie »mental gestört« oder m. wie »muskelbepackt« oder m. wie »muss ich erst meine Mama fragen«, antwortet leider nur noch Kussecht99. Er schreibt, ich könnte mir aussuchen, was ich von den drei ms am liebsten hätte: M wie »Mettwurst«, M wie »Mundgeruch« oder M wie »Möchte dich gern kennen lernen«. Leider ruft in diesem Moment meine Mutter zum Abendessen. Und sie mag es nicht, wenn wir zu spät kommen. Also verabschiede ich mich mit einem freundlichen «cu» und gehe ins Esszimmer.
Ich liebe meine Eltern. Sie sind wirklich in Ordnung, wenn man einmal von Mamas Wahnvorstellung absieht, dass sie unbedingt unsere Freundin sein will. Ich kann das nicht. Mama ist meine Mutter, und mit der kann man doch nicht über alles reden, oder?
Auf unsere gemeinsamen Abendessen legen Mama und Papa viel Wert. Sie finden, wir sollten uns einmal am Tag erzählen, was alles in unserem Leben passiert ist. Eigentlich keine schlechte Idee, wenn man etwas zu erzählen hat.
Schon seit Tagen sauge ich mir fröhliche Geschichten aus den Fingern. Wie wir Frau Dr. Reiflein eine überreife Tomate an die Tafel geschmissen haben. Wie Katharina bei ihren Lateinhausaufgaben herumgestottert hat. Ja, ich weiß, das ist nicht wirklich lustig, aber besser, als vom Schweigen zu sprechen.
Cindy sieht das allerdings ganz anders, für sie ist Mama nämlich nicht nur eine Mutter, sondern eine Freundin. Deshalb könnte es sein, dass Cindy ihr von Katharina, der Hyäne, und ihrer Kampagne gegen mich berichtet. Und das wäre mein Untergang, denn Mama ist imstande, zu meinem Klassenlehrer zu gehen und ihn wütend zu fragen, was zum Teufel in seiner Klasse los ist. Dann bin ich endgültig unten durch.
Zum Glück bespricht Cindy mit Mama den nächsten Einkaufstrip zu H&M. Mama hat es aufgegeben, mich dorthin zu schleppen. Es ist mir wirklich schleierhaft, wie man Spaß daran haben kann, in winzigen, flugzeugtoilettengroßen Umkleidekabinen Kleider anzuprobieren. Außerdem gibt es dort sowieso nichts Passendes für mich, außer riesigen Hängeblusen in gedeckten, stumpfen Farben oder Plastikchiffonteilen. Ich lasse mir lieber etwas mitbringen, das ich dann kommentarlos anziehe.
»Du siehst krank aus, Jule.« Mein Vater mustert mich eindringlich und unterbricht damit Cindys und Mamas Einkaufsträume. Mama sieht mir in die Augen. »Du hast Recht, Martin. Jule, seit du nicht mehr beim Fernsehen bist, kommst du mir verändert vor.«
»Ich fühle mich sehr gesund«, antworte ich bestimmt und fahre, ohne Atem zu holen, fort, »und muss noch kurz zu Matthias. Er braucht meine Hilfe bei einem Referat.« Nichts wie weg hier. Meine Mutter wirft mir einen missbilligenden Blick zu und nickt dann nachdenklich.
In Sekundenschnelle bin ich dem Familientisch entflohen und im dritten Stock, denn Matthias ist nicht nur mein Freund, sondern er wohnt auch noch im selben Haus.
Zoe, Matthias' kleine Schwester, macht die Tür auf und lässt mich rein. Ich lege den Zeigefinger auf die Lippen, zwinkere ihr zu und schleiche zu Matthias' Tür, um ihn zu überraschen.
»Taraaa!«, rufe ich in ein leicht abgedunkeltes Zimmer, und bevor ich noch kapiere, in welchen Fettnapf ich nun schon wieder getreten bin, brüllt Matthias: »RAUS!« In Großbuchstaben.
Mist! Ich habe nicht daran gedacht, dass Aische zu Besuch sein könnte. Aische ist seine erste große Liebe, und normalerweise treffen sie sich niemals bei ihm zu Hause. Obwohl ihre Eltern in Deutschland geboren sind und Aische auch kein Kopftuch trägt, darf sie sich nicht alleine mit Jungs treffen. Matthias hat sich Stunden um Stunden bei mir beklagt, dass Aische das immer respektiert hat. Und ich dumme Gans laufe in dem Moment ein, wo Matthias endlich einmal allein mit Aische sein kann.
Beschämt stehe ich vor seiner Tür. Zoe kommt durch den Flur und zeigt mir ihre neue Superhaar-Barbie. »Wieso hast du mir nicht gesagt, dass Matthias Besuch hat?«, blaffe ich sie an. Sie schaut erstaunt und legt ihren Zeigefinger auf die Lippen. Und ich schäme mich noch mehr. Sie kann ja nichts dafür. Am liebsten würde ich schon wieder heulen, aber es reicht für heute, findet ihr nicht?
»Bist du traurig?«, fragt mich Zoe und streckt mir ihre Superhaar-Barbie entgegen. »Ich leih sie dir, wenn du willst!«
Leider bleibt mir jedes Wort im Hals stecken, und ich renne zur Wohnungstür. Nur zurück in mein Zimmer, oder besser nicht, sonst fragt Mama, wieso ich schon wieder da bin.
Ich haste also die Treppen abwärts und frage mich bei jedem Schritt, ob ich mich nicht gleich über das Eisengeländer ganz nach unten stürzen sollte.
Das ist heute wirklich ein rabenschwarzer Tag. Ich kann mich nicht erinnern, dass je ein Tag derart mies gewesen wäre. Dann kann es ja nur noch besser werden, sagt eine Stimme in meinem Kopf. Papperlapapp (das ist übrigens ein schönes altmodisches Wort. Das P kann man so richtig zornig spucken und dann gleich so viele Ps, macht Spaß, findet ihr nicht?). Papperlapapp, sagt also die andere Stimme, es könnte noch viel schlimmer kommen. Aber ich habe keine Lust, dieser Stimme zu glauben. Bestimmt ist das heute der absolute Tiefpunkt, und ab morgen geht es besser. Morgen gehe ich zu diesem Zwilling und melde mich fürs Theater an. Morgen werde ich mir eine Eisenhaut aus glänzendem Stahl zulegen, und alles Schweigen meiner Klasse wird an mir abprallen wie an einem ... an einem Eisblock.
Eis ist eine gute Idee. Zufällig bin ich vor der Eisdiele gelandet. Und ich sehne mich nach einem dicken, fetten Nussbecher mit extra Sahne. Leider habe ich kein Geld dabei. Doch der italienische Ober, der mich sofort als Stammgast erkennt, winkt mir fröhlich zu, als wäre heute ein ganz gewöhnlicher Spätsommerabend und nicht der Weltuntergang. Vielleicht kaufe ich ein Eis, tue dann so, als hätte ich mein Geld vergessen, und bringe es morgen nachträglich vorbei. Ja, das mache ich.
Schwindeln ist übrigens eine meiner Lieblingsbeschäftigungen – auch wenn es für euch vielleicht so aussieht, als würde ich vorwiegend heulen. Aber ehrlich, ich heule wirklich selten.
Und so sitze ich Minuten später an dem grünen Eisentisch und löffle meinen Nussbecher. Wie die Sahne sich mit dem Haselnusseis in meinem Mund verbindet und dann den Rachen runterschmilzt, das ist einfach lecker. Ich werde nie verstehen, wie jemand nur Knäckebrot mit Radieschen essen kann. Als ich genüsslich den letzten Rest aus dem Glas kratze, stehen plötzlich Aische und Matthias vor mir.
»Tut mir Leid, dass ich dich so angebrüllt habe,« sagt Matthias verlegen.
»Mir tut es Leid, dass ich euch gestört habe. Ich werde in Zukunft immer anklopfen.«
Aische sagt gar nichts. Sie steht neben Matthias und lächelt beschwingt. Dabei bekommen ihre schwarzen Augen kleine Lichter, und ihr brombeerdunkler Mund öffnet sich, sodass man die weißen Zähne sieht. Habt ihr auch davon gelesen, dass das Lachen eigentlich aus einer Drohgebärde entstanden ist? Das war natürlich lange, bevor die Affen zu Menschen wurden. Trotzdem ist es etwas, das ich mir nicht vorstellen kann. So ein Lachen, wie es Aische gerade im Gesicht hat, macht Menschen schön. Ich weiß, das klingt dämlich. Schließlich sind sogar Damenbinden schön, formschön, um genau zu sein. Aber wie nennt ihr es, wenn von einem Menschen dieses Leuchten ausgeht, wenn jemandem ein glückliches Strahlen sogar durch die Haut schimmert? Was kann man da anderes sagen als: Das ist schön!
Und es macht meinen miesen Tag tatsächlich auch ein bisschen schöner.
Matthias räuspert sich. »Ich bringe Aische jetzt nach Hause.«
»Du klingst wie ein Macho! Wie wär's mit: Ich begleite Aische jetzt nach Hause?«
»Ich sehe, du hast deinen Humor wieder gefunden«, grinst Matthias. »Willst du hier warten? Dann spendier ich dir noch ein Eis.«
»Ich weiß ja nicht, wie lange du für den Rückweg brauchst.«
Er tauscht einen kurzen Blick mit Aische. »Das geht bestimmt ziemlich schnell. Aisches Eltern sehen uns nicht so gern zusammen.«
»Dann warte ich. Schönen Abend noch, Aische!«
Die beiden gehen nebeneinander, ohne sich zu berühren, und doch bilde ich mir ein, dass man ihre Verliebtheit sofort sieht. Oder denke ich das nur, weil ich es weiß? Ich hätte Lust, die Dame am Nebentisch mit der Dauerwelle aus Stahlwolle nach ihrer Meinung zu fragen. Aber dann traue ich mich doch nicht. Bei meinem Pech heute ist sie vielleicht schwerhörig. Und wenn ich etwas nicht besonders mag, dann lautes Reden, wenn viele Leute zuhören können.
Eigentlich wundert mich, dass ich nicht eifersüchtig auf Aische bin. Aber noch viel erstaunlicher finde ich es, dass Aische nicht sauer auf mich ist. Mir würde es überhaupt nicht passen, wenn ich nach Hause müsste, während Stefan sich mit einem anderen Mädchen träfe, ganz egal wie platonisch auch immer.
Aber Matthias und ich kennen uns schon so lange, und da war nie auch nur ein Funken von etwas anderem als Freundschaft.
Ich bin noch ganz in Gedanken versunken, als Matthias schon wieder vor mir steht.
»Gut, dass du kommst. Ich habe nämlich gar kein Geld dabei!«, begrüße ich ihn.
»Du hast Nerven!«
»Nein, Mut. Und jetzt, wo du da bist, nehme ich noch einen Nussbecher.«
Matthias bestellt für sich Spaghettieis. Das ist ein alter Streitpunkt zwischen uns. Wie kann ein richtiger Junge so ein Warmduschereis mögen? Es sieht aus wie ein Haufen Würmer, und gleichzeitig hat es was von »Mamis Liebling isst heute die Miracolispaghetti mal kalt«. Eklig. Aber darüber diskutiere ich nicht mehr mit ihm, er liebt es nämlich trotzdem.
»Welches Eis isst eigentlich Aische am liebsten?«, erkundige ich mich.
Matthias weiß genau, worauf ich hinauswill; und grinst. »Zitronensorbet«
Da fällt mir spontan bloß »Sauer macht lustig« ein, aber ich will nichts Falsches über Aische sagen, denn sie ist echt okay. Mit ihr könnte ich mich anfreunden. Zu dumm, dass die beiden nicht in meiner Klasse sind.
Also erzähle ich Matthias lieber von Stefans öder E-Mail und frage nach, was Jungs, die solche Mails verschicken, sich dabei denken.
»Nichts«, kommt es sofort von Matthias.
»Ein bisschen wenig, wenn man seiner Freundin schreibt, findest du nicht?«
Matthias schaufelt einen Berg Eismaden mit roter Soße in den Mund und nickt ernsthaft. »Vergiss ihn!«, nuschelt er dann.
»Kann ich nicht.« Seltsamerweise macht diesmal die eiserne Klemmspange über meine Brust Pause. Vielleicht, weil ich nicht allein bin? Oder weil ich gerade Zuckersüßes in mich reinstopfe?
»Solltest du aber. Erst wenn du den Kerl abgehakt hast, bist du offen für einen neuen.«
»Wohl heimlich in den Büchern deiner Mutter gelesen, Dr. Freud?«
Matthias' Mutter Marion ist Psychologin. Mein Freund und Ratgeber zuckt mit seinen Schultern und versucht betont lässig, den Ober herbeizuwinken, leider vergeblich. Der Kellner ignoriert ihn einfach. Komisch, das Gleiche passiert immer meinem Vater.
Ich kann es nicht ausstehen, wenn bis auf den Kellner alle Gäste darüber informiert sind, dass man zahlen will. Es sieht so dämlich aus.
Ich wünsche mir dann einen Vater, der bloß cool und lässig einmal mit den Fingern zu schnippen braucht, und sofort kommen alle angerannt, um sich nach seinen Wünschen zu erkundigen.
Matthias reißt mich aus meinen Gedanken.
»Mann, Jule, kannst du nicht mal ernst sein?«
»Wenn ich ernst werde, heule ich gleich wieder, also verzichte ich lieber drauf.«
Matthias reißt erstaunt die Augen auf. So etwas habe ich noch nie zu ihm gesagt.
»Mach dir keine Sorgen«, beruhige ich ihn. »So weit lasse ich's nicht kommen.«
Erleichtert macht er sich wieder über sein Eis her.
»Wie kommt es, dass Aische heute bei dir zu Besuch war?«, wechsele ich das Thema.
»Sie hat ihre Eltern angelogen. Und das wegen mir. Sie hat ihnen gesagt, dass sie bei dieser Theater-AG mitmacht.« Matthias lächelt geschmeichelt.
Hey, was ist denn das für ein Typ, der da unter meinem alten Kumpel zum Vorschein kommt?
»Stimmt das wirklich, oder wird die Theatergruppe bloß als Ausrede für heimliche Treffen mit dir benutzt?«
»Heute war leider eine Ausnahme. Die Proben fangen nächste Woche an.« Matthias seufzt abgrundtief.
»Wie wäre es, wenn du mitmachst? Ich komme übrigens auch!«
»Du tickst wohl nicht richtig!« Matthias ist entrüstet. »Seit wann spielen Legastheniker bei Theaterstücken mit? Allein die Leseprobe würde mich umbringen!«
Das habe ich im Eifer des Gefechts total vergessen. Wie schwach von mir! Aber in unserer Freundschaft ist das so unwichtig, ich vergesse es immer wieder.
»Es werden bestimmt noch andere Leute gesucht. Muss ja nicht jeder gleich die Hauptrolle spielen ...«
»Wie wär's mit Souffleur?« Er macht sich über sich selbst lustig und stottert übertrieben: »D-duuud-d-d-duuuurrchchch d-d-d-d-d-d-die-s-s-see ho-ho-o-oh-le Ga-Ga-Ga-Ga...«
Leider muss ich lachen, weil er dabei sein Gesicht verzerrt wie Quasimodo kurz vor einem Gehirnschlag und absichtlich seine Augen verdreht. Das heißt nicht, dass ich Stottern lachhaft finde, aber Matthias bringt das so komisch, dass ich nicht anders kann. Ich schlage ihm kräftig auf den Rücken, als hätte er eine Betriebsstörung. Sofort wird er wieder ernst. »Wenn ich so darüber nachdenke, ist es vielleicht doch eine gute Idee. Jule, du bist manchmal gar nicht so doof, wie du aussiehst.«
Ist er nicht nett? Als der Kellner endlich kommt, stehen wir auf und gehen zusammen nach Hause.
Eine Stunde später im Bett überlege ich mir gerade, dass mein rabenschwarzer Tag ein mittelgraues Ende genommen hat, als Cindy ihren Kopf durch die Tür steckt. Sogar mit einem verwaschenen Handtuchturban sieht sie aus, als käme sie frisch vom Laufsteg.
»Und, hast du es dir überlegt?«
»Ja. Ich bin dabei!«
»Gut«, stellt sie zufrieden fest, schließt leise die Tür und überlässt mich meinen Träumen. Die zumindest sind rosafarben.
Ich verabscheue Turnhallen. Erstens stinkt es da nach jahrhundertealtem Schweiß, Gummimatten und Staub. Und zweitens sind es die Stätten meiner grausamsten Niederlagen. Wenn ihr eine Figur wie ich hättet, wüsstet ihr, wovon ich rede.
Wie oft habe ich – einem schlappen Kartoffelsack gleich – an diesem idiotischen Doppelbarren gehangen und den zuckrig guten Zureden meiner diversen Sportlehrer gelauscht: »Komm ... (fehlte eigentlich bloß noch ein putt, putt), na komm schon, Jule, das schaffst du doch, so ein kleinen Felgaufschwung, das ist doch kein Problem, oder?«
Natürlich ist das ein Problem, ich bin ja nicht Arnold Schwarzenegger. Besonders von mir gehasst ist das Hochklettern am Seil. Da war und bin ich die ultimative Witzfigur.
Und das genau ist auch die einzige Möglichkeit, sich nicht zum vollständigen Trottel zu machen. Nämlich selbst darüber Witze zu reißen. Am Seil beispielsweise führe ich stets eine kleine, kreischende Affenschaukelnummer vor, die alle mit Genuss anschauen. Alle bis auf die Sportlehrer.
Wenn ich ehrlich bin, dann sind das die Momente, in denen ich gern wie meine Schwester wäre: gertenschlank. Dann nehme ich mir vor, weniger zu essen, aber ich schaffe es nicht. Manchmal habe ich das Gefühl, es liegt genau daran. Ich denke, ich sollte abnehmen, und sofort habe ich nur noch eines im Sinn. Essen.
Zum Glück kann man sich in der Oberstufe seine Sportarten selber aussuchen. Im Schwimmen bin ich nämlich unschlagbar. Ich schwimme tausend Meter unter zwanzig Minuten. Aber nur, wenn ich muss. Ich sehe keinen Sinn darin, mich freiwillig so anzustrengen, dass ich ins Schwitzen komme.
Aber jetzt ist diese Gefahr in die Ferne gerückt, denn in unserer alten Turnhalle findet kein Sportunterricht, sondern das erste Treffen der Theater-AG statt. Es sind weniger gekommen, als ich gedacht habe. Ich hätte geschworen, dass sich allein aus meiner Klasse mindestens sieben Mädchen dem Kampf um die Hauptrolle stellen würden, aber es ist nur Lisa da.
Lisa ist auch eine Untergebene von Katharina, der Hyäne. Komisch, dass die Hyäne nicht danach lechzt, sich auf der Bühne bewundern zu lassen! Lisa ist allerdings nicht so mies wie Sophie, denn wenn Katharina außer Sichtweite ist, dann spricht sie sogar mit mir. Trotzdem erinnert mich Lisa an ein graues Schaf. Ja, ihr habt euch nicht verlesen, graues Schaf. Diese so genannten grauen Mäuse gibt es doch eigentlich gar nicht. Habt ihr euch eine Maus mal genauer angesehen? Ich schon, letzten Sommer auf dem Balkon. Sie hatte lebendige, glänzende Knopfaugen und trippelte aufgeregt schnuppernd hin und her. Keine Sekunde hielt sie still. Seitdem weiß ich, dass Mäuse alles andere als langweilig sind. Obwohl, Schafe vielleicht auch nicht?
Wie auch immer, Tiervergleiche hinken sowieso. Auf jeden Fall wirkt an Lisa alles langweilig. Ihre dunkelblonde Naturkrause, ihre durchschnittliche Figur, ihre 08/15-Jeans. Ihr Stimmchen. Wenn sie nicht dauernd mit der Hyäne zusammenhängen würde, müsste ich mich jedes Mal bei ihrem Anblick fragen, woher ich sie kenne. Es ist mir ein Rätsel, was ausgerechnet sie in der Theater-AG will. Sucht sie einen Job als Souffleuse?
Ich wende meinen Blick von Lisa, bevor ich gähnen muss, und mustere die anderen Anwärter auf den Schul-Oscar. Nick Petri aus der Zwölf ist da, der heimliche Schwarm aller Mädchen, na ja, fast aller. Ich bin nämlich nicht sein Fan. Ich habe übrigens keinen blassen Schimmer, wieso ich ihm nicht zu Füßen liege. Denn Nick ist auf den ersten Blick unglaublich nett. Der Typ, der dir deine ölige, dreckverschmierte Radkette wieder auflegt oder dich auf seiner Stange nach Hause fährt, wenn du einen Platten hast. Noch dazu ist er Trampolinspringer. Perfekt proportionierte Muskeln. Nicht wie bei diesen Bodybuildern, bei denen man Angst hat, dass ihr Gehirn gleich vom Bizeps zerquetscht wird. Zu guter Letzt sieht er unverschämt gut aus, ihr wisst schon, dieser dunkle, südländische Typ. Und er hat nicht mal Haare auf dem Rücken!
Nick scheint der Einzige zu sein, dem seine Ausstrahlung nicht auffällt. Trotzdem gehe ich davon aus, dass er einfach nur besonders trickreich ist und diese angebliche Ahnungslosigkeit als Köder benutzt. Momentan hat er keine Freundin. Ein Ausnahmezustand, der nicht lange anhalten wird.