Julia Best of Band 234 - Cathy Williams - E-Book

Julia Best of Band 234 E-Book

Cathy Williams

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Beschreibung

PALMEN IM TROPENWIND Palmenstrände und blaues Meer - Melissa ist hingerissen! Zusammen mit ihrem Chef, dem brillanten Geschäftsmann Robert Downe, reist sie in die Karibik. Drei Jahre hat sie seinem Charme widerstehen können. Doch seit sie Tür an Tür in dem zauberhaften Strandhaus neben Robert schläft, wird die Sehnsucht nach seiner Zärtlichkeit übermächtig … BELÜGE NIEMALS EINEN MILLIARDÄR! "Du hast 48 Stunden Zeit, dich zu entscheiden." Die schöne Chase ist bei diesen eiskalten Worten fassungslos: Der italienische Milliardär Alessandro Moretti lässt sie bei den wichtigen Verhandlungen um ihr Herzensprojekt nur gewinnen, wenn sie seine Geliebte wird! Will er sich mit seinem schamlosen Angebot rächen, weil sie ihn damals verlassen hat? DER PLAYBOY VON TOBAGO Jennifer ist wütend auf sich selbst! Obwohl sie gehört hat, dass Philip DeVere seine Freundinnen wie seine Hemden wechselt, erwidert sie seine stürmischen Küsse. Kann sie ihm vertrauen? Ist es auch für ihn Liebe? Tausend Fragen, auf dieJennifer Antworten finden muss ...

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Seitenzahl: 534

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Cathy Williams

JULIA BEST OF BAND 234

IMPRESSUM

JULIA BEST OF erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Christina SeegerGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

Neuauflage in der Reihe JULIA BEST OFBand 234 - 2020 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg

© 2000 by Cathy Williams Originaltitel: „Assignment: Seduction“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Heike Warth Deutsche Erstausgabe 2002 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe JULIA SOMMERLIEBE, Band 13

© 2014 by Cathy Williams Originaltitel: „Enthralled by Moretti“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Natasha Klug Deutsche Erstausgabe 2015 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe JULIA, Band 2185

© 1991 by Cathy Williams Originaltitel: „Caribbean Desire“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Anke Beckmann Deutsche Erstausgabe 1992 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe ROMANA, Band 909

Abbildungen: Getty Images/AlexVolot, lucky-photographer, lukyeee1976, winyuu, sensationaldesign, alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 12/2020 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733714765

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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Palmen im Tropenwind

1. KAPITEL

Es war halb zehn Uhr nachts und stockdunkel. Melissa kannte die Gegend überhaupt nicht. Die Scheinwerferkegel des Taxis tanzten über zerknülltes Papier und Unrat, das der eisige Wind durch die verlassenen Straßen trieb – zurückgelassen von Leuten, die zu faul waren, einen Abfalleimer zu suchen, oder denen es gleichgültig war, wie es in ihrer Stadt aussah. Es war eine unwirtliche, trostlose Welt da draußen. Eigentlich fehlten nur noch ein paar herumlungernde Gestalten und räudige Hunde, um diese deprimierende Szene zu vervollständigen.

Melissa konnte nur hoffen, dass ihr Ziel weniger unheimlich war.

„Sind Sie sicher, dass die Adresse stimmt, Lady?“, wollte der Taxifahrer jetzt wissen und schaute sie im Rückspiegel an. „Das ist nicht gerade der feinste Teil von London.“

„Ja. Ich werde erwartet“, gab Melissa grimmig zurück. Sie schlug die Beine übereinander und schaute wieder aus dem Fenster. Ihre Laune wurde mit jeder Minute schlechter.

Selbst für Robert Downe war das Ganze ein starkes Stück. Sie gerade mal vierzig Minuten vor dem Treffen zu benachrichtigen, aus ihrer warmen kleinen Wohnung zu vertreiben, vor allem nachdem sie es sich gerade mit dem Essen vor dem Fernseher gemütlich gemacht hatte. Angeblich duldete die Sache keinen Aufschub.

Seit drei Jahren arbeitete sie jetzt für ihn, und von normalen Arbeitsbedingungen konnte keine Rede sein: Manchmal saß sie bis drei Uhr morgens am Schreibtisch, dann wieder war sie mit ihm irgendwo über den Wolken in seinem Privatjet unterwegs oder sie hielten sich an Orten auf, die niemand sonst für Geschäftsverhandlungen überhaupt nur in Erwägung ziehen würde. Konvention war ein Fremdwort für Robert, und um die Meinung anderer Menschen hatte er sich noch nie geschert. Aber bisher hatte er wenigstens ihr Privatleben respektiert und sie zu Hause nicht behelligt. Er verlangte hundertprozentigen Einsatz von allen seinen Mitarbeitern, aber von ihr erwartete er noch mehr: Dass sie seinen manchmal mehr als ausgefallenen Ansinnen auch noch bereitwillig und gut gelaunt, sogar mit Begeisterung nachkam. Dafür – das hatte er ihr bei ihrem Vorstellungsgespräch erklärt, als wäre das ein großes Geschenk und keine Selbstverständlichkeit – sei sie, sobald sie die Bürotür hinter sich zugemacht habe, frei von allen Verpflichtungen und könne nach Lust und Laune über ihre Zeit verfügen.

Allerdings hatte er vergessen, sie darauf hinzuweisen, dass ihre – immerhin sehr gut bezahlte – Arbeit so viel Kraft und auch Zeit aufgrund der Überstunden kostete, dass sie von einem halbwegs normalen Privatleben und etwas Muße nur träumen konnte. Von so spießigen Vorstellungen wie einer Arbeitszeit von neun bis fünf Uhr war ihr Chef meilenweit entfernt. Und er schien tatsächlich verwundert, wenn jemand Uhrzeiten und andere äußere Zwänge nicht ebenso missachtete wie er.

„Da sind wir“, verkündete der Taxifahrer und hielt vor einem wenig einladenden Lokal mit dem Namen „Al’s“ an. Offenkundig überkam ihn bei dessen Anblick leise Wehmut in Erinnerung an wildere Jahre: „Hier war ich auch schon ein paar Mal. Aber das ist eine Weile her.“ Er seufzte leise. „Innen ist es besser“, fügte er tröstend hinzu, als er Melissas skeptischen Blick bemerkte. „Und achten Sie am besten gar nicht auf die Motorradfahrer. Die tun nur so wild. In Wirklichkeit sind sie die reinsten Lämmer.“

Die „Lämmer“, etwa zehn an der Zahl, ließen unter Entwicklung eines höllischen Lärms nacheinander ihre schweren Maschinen an. Einer spuckte kräftig aus, irgendjemand machte, dem johlenden Gelächter nach zu schließen, offenbar eine anzügliche Bemerkung.

Ich bringe Robert um, dachte Melissa, und wenn ich dafür den besten Job verliere, den ich je hatte! Wie kam er dazu, sie an einen solchen Ort zu bestellen!

„Soll ich auf Sie warten, falls Ihr Freund nicht auftaucht?“, bot der Taxifahrer an.

Melissa bezahlte ihn. „Nein, danke.“

„Es gefällt Ihnen wohl ein bisschen wilder, was?“, meinte der Fahrer zwinkernd und grinste dabei so zweideutig, dass Melissa keine einigermaßen höfliche Antwort darauf einfiel. Deshalb stieg sie lieber aus, ohne etwas darauf zu erwidern, und warf die Tür hinter sich zu.

Die sibirische Kälte traf sie wie ein Schlag, und sie zog ihren Mantel fest zu. Mit den Händen in den Taschen, die Schultern hochgezogen, eilte sie zur Tür, den Kopf gegen den beißenden Wind gebeugt. Vor der Tür standen ein paar fröstelnde schäbige Gestalten und debattierten über irgendetwas. Aus dem Augenwinkel bemerkte Melissa, dass sie ihre Diskussion unterbrachen, um sie neugierig zu beobachten. Sie verkrampfte sich unwillkürlich, machte aber ein teilnahmsloses Gesicht.

Als sie die Tür aufschob, empfing sie lautes Stimmengewirr, ohrenbetäubende Countrymusic und ein Schwall von Zigarettenrauch. Beherrscht wurde der Raum von einer langen geschwungenen Bar, an der sich Männer in abgewetzten Jeans und mit auffallend langen Haaren drängten. Einige Blondinen saßen bei ihnen, die meisten tranken das Bier aus der Flasche.

Melissa holte tief Atem, um sich für alles Kommende zu wappnen, und wagte sich dann todesmutig ins Gewühl. Am anderen Ende des verräucherten Raums waren drei Billardtische aufgebaut, und aus irgendeinem Lautsprecher tönte die schnulzige Klage über das Ende einer Liebe. Nach ein paar Sekunden hatte sie den Urheber ihrer schlechten Laune entdeckt und machte sich mit schnellen, entschlossenen Schritten, den Kopf hoch erhoben, die Hände immer noch in den Manteltaschen, auf den Weg zu ihm. Neugierige Blicke folgten ihr.

Robert war eine Legende in Finanzkreisen und galt dort als begabt und exzentrisch. Mit seinem Vater zusammen, der als kleiner Fischverkäufer angefangen hatte, hatte er sich zielstrebig hochgearbeitet. Und er war ein Frauenheld, der seiner flüchtigen Eroberungen allerdings immer schnell überdrüssig wurde. Melissa hätte manche Geschichte von seinen „Opfern“ erzählen können.

Im Moment hielt er gerade Hof. Er hatte den Stuhl zurückgeschoben und leicht nach hinten gekippt, um seine langen Beine besser unter dem Tisch unterbringen zu können. Sein Publikum hing förmlich an seinen Lippen, offenbar entzückt von jedem Wort, das er von sich gab.

Melissa selbst war ja auch nicht vor seinem Charme gefeit, alles andere als das, wenn sie es auch nicht nach außen zeigte. Gegen seine schier überwältigende Ausstrahlung konnte man gar nicht immun sein – zumal er damit auch noch ein umwerfendes Äußeres verband. Obwohl sie schon einige Zeit für ihn arbeitete, war seine Wirkung auf sie so stark wie am ersten Tag.

Er sah wirklich unglaublich, ach was, überirdisch gut aus. Die schwarzen Haare trug er kurz, und seine Augen waren von einem tiefen Blau – dem Blau, das der Himmel hatte, wenn der Tag sich verabschiedete und die Nacht herandämmerte. Irgendwie hatten diese Augen etwas Erotisches. Nicht, dass Melissa in Gefahr war, darauf hereinzufallen, sicher nicht! Aber natürlich konnte ihr nicht entgehen, welche Wirkung er auf Frauen hatte. Gern gab sie es allerdings nicht zu. Ganz gleich, wie alt oder schön die Frauen waren, ob verheiratet oder nicht, sie alle verfolgten Robert mit Blicken, wenn er irgendwo in ihrer Nähe auftauchte.

„Sie kommen spät“, stellte er jetzt ohne Einleitung fest, als sie vor ihm stehen blieb.

Sie ignorierte die interessierten Blicke der anderen Männer und sah ihren Chef streng an. „Hätten Sie vielleicht die Freundlichkeit, mir endlich zu sagen, was so wichtig ist, dass Sie mich mitten in der Nacht aus meiner warmen Wohnung scheuchen und durch halb London hetzen? Ein merkwürdiger Ort für eine sogenannte wichtige Besprechung ist das.“ Sie legte den Kopf schief, und ihr volles goldblondes Haar, das sie in der Eile nicht mehr zusammengebunden hatte, wippte gegen ihre Schulter. „Bei dem Lärm versteht man ja sein eigenes Wort nicht. Wie man sich da vernünftig unterhalten soll, ist mir schleierhaft.“

Robert Downe beklagte sich gelegentlich darüber, dass Melissa ihm gegenüber zu wenig Respekt an den Tag lege, keiner seiner anderen Angestellten traue sich das. Aber sie hatte die Erfahrung gemacht, dass eine gewisse Respektlosigkeit die einzige Möglichkeit war, mit ihm fertig zu werden, wenn er in einer seiner ungeduldigen, fordernden Phasen war.

Sie kannte ihn durch die enge Zusammenarbeit viel zu gut, um sich von seinem Ungestüm zu sehr beeindrucken zu lassen. Außerdem hatte sie keine Lust, ihn wie ein rohes Ei zu behandeln und sich selbst dabei zu verleugnen. Wenn es darauf ankam, hatte sie einen ebenso starken Willen wie er.

Robert schenkte ihr einen waidwunden Blick, aber sie fiel nicht darauf herein. In den letzten Jahren hatte sie ihre Erfahrungen gemacht und wusste, was sie von seinem nach außen getragenen gekränkten Selbstbewusstsein zu halten hatte: nichts.

„Da sieht man, was ich durchmachen muss“, sagte er zu niemandem im Besonderen, und Melissa verschränkte die Arme über der Brust und betrachtete ihn grimmig.

Der Mann neben ihm stieß einen leisen Pfiff aus und begutachtete Melissa mit offenkundigem Wohlwollen. „Meine Sekretärin kann da jedenfalls nicht mithalten“, bemerkte ein anderer seiner Begleiter, ein Mann mit einem Bart, düster. „Die ist ein richtiger Drachen, außerdem mindestens sechzig. Sie vermiest mir die ganze Arbeit.“

„Seit wann arbeitest du? Du malst doch den ganzen Tag nur nette Bildchen.“

Melissa ließ sich einen Moment ablenken. „Sind Sie Künstler?“

„Architekt. Als Buße für meine Sünden.“

„Mit dem Gesicht hatte er keine andere Wahl, als einen Beruf zu lernen, bei dem er sich nicht allzu oft in der Öffentlichkeit zeigen muss“, erklärte Robert Melissa ernst.

Sie hätte fast gelacht, aber sie beherrschte sich gerade noch rechtzeitig. Schließlich war sie allem Anschein nach für nichts und wieder nichts hierher beordert worden, und das sollte er büßen. Das war das Problem mit Robert Downe. In einem Augenblick hätte man ihn noch eigenhändig erwürgen können, im nächsten war er ohne jede Vorwarnung einfach nett und komisch, sodass man sein Vorhaben fast vergaß.

„Jedenfalls ist deine Sekretärin nicht von deinem hübschen Äußeren abhängig, um unter die Leute zu kommen“, gab der Architekt zurück, grinste und zwinkerte Melissa zu.

„Sie findet ohnehin nicht, dass ich besonders gut aussehe. Habe ich recht, Mellie?“ Dabei sah Robert sie unter seinen dunklen Wimpern so schmelzend an, wie er es sonst nur bei seinen langbeinigen Schönheiten tat. Sie schob nur andeutungsweise eine Augenbraue hoch.

„Und deshalb“, teilte sie ihrem kleinen Publikum trocken mit, „arbeite ich immer noch für ihn.“

„Sie würde mich nicht einmal gegen den Kaiser von China eintauschen“, behauptete Robert selbstgefällig.

Melissa verdrehte als Antwort nur kurz die Augen. „Warum haben Sie mich kommen lassen?“, wollte sie dann wissen.

„Seien Sie doch nicht so ungeduldig. Entspannen Sie sich lieber.“ Robert schenkte ihr ein strahlendes Lächeln, auf das sie mit einem Stirnrunzeln reagierte. „Harry hat heute Geburtstag“, berichtete er und wies auf einen bärtigen Mann an der Theke, der gerade seine Bierflasche an den Mund setzte. „Er ist heute vierzig geworden.“ Er beugte sich zu ihr und flüsterte ihr ins Ohr: „Wir haben eine Überraschung für ihn vorbereitet.“

Melissa war es unangenehm, wenn er ihr so nahe war. Sie brauchte eine ganz klare Grenze zwischen sich und ihm, um ihr Seelenheil zu bewahren und ihm nicht schutzlos ausgeliefert zu sein. Im Büro hatte sie keine Probleme damit, denn da war sie sich ihrer Rolle sicher. Aber hier, in einer schummrigen, zweifelhaften Bar, in Gesellschaft seiner Freunde, fühlte sie sich auf eine Weise verletzlich und angreifbar, die ihr nicht ganz geheuer war.

„Wir haben einen Geburtstagskuchen besorgt“, vertraute Robert ihr an. „So ein Ding, aus dem eine Frau hüpft, die dann singt und tanzt.“

„Großartige Idee“, sagte Melissa trocken. „So gar nicht chauvinistisch. Und was hat das mit mir zu tun? Sie werden mich ja wohl nicht deshalb herbestellt haben.“

„Nein.“ Er betrachtete sie düster. „Sie sind ja schlimmer als ein Gefängniswärter“, fügte er dann wenig galant hinzu. Seine Freunde beobachteten ihn mit unverhohlener Neugier. „Das Gesicht eines Engels, aber das Herz einer geborenen Diktatorin.“

Melissa errötete. Das sagte er nur, weil er sie nicht kannte. Am liebsten hätte sie ihm widersprochen. Aber stattdessen atmete sie nur tief durch und schwieg. Es hatte ja doch keinen Sinn.

„Okay, Sie haben gewonnen. Gehen wir in Als Büro, dann können Sie in einer Stunde schon wieder im Bett liegen.“ Robert stand auf, und wieder spürte Melissa diese starke männliche Ausstrahlung, die von ihm ausging.

Sein Reichtum machte es ihm möglich, sich jeden Wunsch zu erfüllen. Und so konnte er es sich leisten, sein Haus mit den teuersten Bildern und Teppichen auszustatten und allen möglichen kostspieligen Hobbys nachzugehen, wann immer er Lust dazu hatte. Aber so viel Geld und Macht er auch besaß, er konnte damit eine gewisse Härte und Rastlosigkeit nicht verbergen, die auf Gegner so einschüchternd wie auf Frauen erotisch wirkte.

Seine wirtschaftliche Stellung hatte er sich schwer erarbeitet, und das sah man ihm an. Er wirkte wie ein Mann, der keine Furcht kannte. Dagegen konnte er seinem Gegenüber, wenn es sein musste, ziemliche Angst einflößen.

Aber zum Glück ließ Melissa sich davon nicht beeindrucken.

„He, wann ist die Hochzeit, Robbo?“, rief einer der Männer Robert nach, als er sich mit Melissa im Gefolge seinen Weg zwischen Tischen und Stühlen hindurch bahnte.

Melissa sah die Röte an seinem Hals hochsteigen und erlebte eine der seltenen Gelegenheiten, bei denen es ihrem Chef vorübergehend die Sprache verschlug. Aber dieses Wunder hielt nicht lange an.

„Ihr glaubt doch nicht im Ernst, ich würde auch als Pantoffelheld enden wollen wie ihr? Herzlichen Dank!“ Er grinste.

„Du hast einfach noch nicht die richtige Frau gefunden, die dir die Pantoffeln anzieht. Allerdings, wenn man sich die Dame neben dir anschaut …“

„Das könnt ihr ja in der Zwischenzeit besprechen. In einer Stunde bin ich wieder da.“ Robert nahm sich eine Weinflasche vom Tisch.

Melissa hatte ihn, seit sie für ihn arbeitete, schon öfter außerhalb des Büros erlebt, zum Beispiel, wenn er Gäste bewirtete. Aber nie war er so entspannt gewesen wie heute. Einmal hatte sie ihn auch zufällig im Theater getroffen, in Begleitung einer seiner glamourösen Freundinnen. Und immer war er makellos gekleidet gewesen.

Heute trug er ausgeblichene Jeans und dazu ein kariertes Baumwollhemd, dessen Ärmel er aufgerollt hatte. Darin sah er so überwältigend männlich aus, dass sie um ihr seelisches Gleichgewicht fürchtete. Es war besser, sie schaute ihn gar nicht an.

„Als Büro“ stellte sich als überraschend hübscher kleiner Raum heraus, der mit seinem etwas ungehobelten Ambiente wenig zu tun hatte. Auf dem dicken eierschalenfarbenen Teppich stand ein kleiner hölzerner Schreibtisch mit einem Computer. Auf einem Beistelltisch befanden sich ein Faxgerät, zwei Telefone und mehrere ordentlich aufgereihte Aktenordner.

Die Wände waren in einem ziemlich ungewöhnlichen Grünton gestrichen, der dem Raum etwas Frisches gab. Robert setzte sich hinter den Schreibtisch, und Melissa nahm auf eine Handbewegung hin ihm gegenüber Platz.

Ihren Mantel hatte sie längst ausgezogen und hängte ihn jetzt über die Lehne eines Stuhles. Dann wartete sie, die Hände im Schoß gefaltet, bis Robert geruhte, ihr mitzuteilen, warum er sie mitten in der Nacht hatte kommen lassen. Zumindest war der leicht wilde Blick von seinem Gesicht verschwunden. Auf irgendwelche ausgefallenen Ideen ihres unberechenbaren Chefs hatte sie im Moment wenig Lust. Das war eine ihrer Schwächen, wie sie es manchmal empfand, dass sie so schlecht mit exzessivem oder auch nur wenig ungewöhnlichem Verhalten umgehen konnte: mit Betrunkenheit, Hysterie, Leidenschaft. Das alles zählte in diese Kategorie und noch einiges mehr. Ihre Mutter hatte sie so erzogen, dass sie sich ständig Zügel anlegte, sich ständig kontrollierte. Melissa bedauerte das häufig, aber sie kam trotzdem nicht dagegen an.

„Also …“ Robert lehnte sich in seinem Stuhl zurück und streckte die langen Beine unter den Schreibtisch. Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf und sah Melissa an. „Was halten Sie von meinen Freunden?“, fragte er dann unerwartet.

Melissa zuckte nicht mit der Wimper. „Sie machen einen sympathischen Eindruck.“

„Sehr geschickt“, gab er zurück und betrachtete sie ausgiebig aus halb geschlossenen Augen. „Legen Sie Ihre korrekte Sekretärinnenrolle eigentlich auch gelegentlich ab?“, wollte er dann wissen.

Melissa sah an ihm vorbei zur Wand. Seine Frage war völlig unangemessen. Sie hatte eigentlich gedacht, dass sie dieses Kapitel hinter sich hätten. Als sie mit zweiundzwanzig Jahren bei ihm angefangen hatte zu arbeiten, war er davon fasziniert gewesen, dass eine so junge Frau so beherrscht, so kühl, so unnahbar sein konnte. Er hatte sie damals nach ihren Vorlieben und Abneigungen, ihrer Vergangenheit und ihrem Hintergrund ausgefragt, sogar nach ihrem Liebesleben hatte er sich erkundigt. Aber sie hatte ihm sehr schnell zu verstehen gegeben, dass ihn ihr Privatleben nicht das Geringste anging. Das hatte er seitdem immer beherzigt.

Jetzt hob er beide Hände. „Ist ja schon gut. Sie brauchen nicht so eisig zu schauen. Fast hätte ich einen Augenblick lang vergessen, dass persönliche Fragen nicht erlaubt sind.“ Aber er lachte dabei. Besonders beeindruckt wirkte er nicht. „Ich hätte es Ihnen auch lieber morgen früh gesagt, aber wie Sie wissen, fliege ich für eine Woche nach New York, und die Sache ist dringend.“

„Sie hätten mir Ihre Anweisungen auch telefonisch geben können“, warf Melissa ihm spitz vor. „Das tun Sie ja sonst auch.“

„Aber dann wäre die Überraschung nicht so gelungen. Außerdem wollte ich Ihr Gesicht dabei sehen.“

Ein Gefühl dunkler Vorahnung beschlich Melissa. Es gefiel ihr nicht, wie er das Wort Überraschung betont hatte, und sein Gesichtsausdruck verstärkte ihre Skepsis noch. Er hatte so etwas Selbstzufriedenes.

„Und was ist das für eine Überraschung?“

Sie konnte Überraschungen nicht leiden. Das war auch etwas, das sie ihrer Mutter zu verdanken hatte. Natürlich war es für diese nicht leicht gewesen, ihre Tochter allein aufzuziehen – nicht zuletzt deshalb, weil sie so bitter und misstrauisch gegenüber anderen Menschen geworden war. Dann hatte sie noch einmal geheiratet, aber diese Ehe war wegen der ständigen Seitensprünge ihres Mannes in die Brüche gegangen. Danach hatte sie es sich regelrecht zur Mission gemacht, Melissa jedes Verhalten auszutreiben, das auch nur annähernd als impulsiv und leichtsinnig verstanden werden konnte. Denn, so pflegte sie zu predigen, das sei der Untergang von Melissas Stiefvater gewesen. Und dabei hatte sie die Lippen zu einer dünnen Linie zusammengepresst, als wäre ihr Mann der Teufel in Person gewesen.

Sorglosigkeit und Leichtsinn hatten in Melissas Bewusstsein den Stellenwert einer Todsünde angenommen, auf die eine zwar nicht klar definierte, aber auf jeden Fall schreckliche Strafe folgte. Später, als sie schon erwachsen gewesen war und ein anderes Verständnis für das Leben hatte, hatte sie immer noch unter dem Erbe ihrer Mutter gelitten – und war doch unfähig gewesen, sich davon zu lösen.

„Haben Sie einen gültigen Reisepass?“, wollte Robert jetzt wissen.

„Das wissen Sie doch.“ Es konnte doch wohl nicht sein, dass er sie hierher hatte kommen lassen, nur um das von ihr zu erfahren!

„Und haben Sie jemanden, der sich um Ihre Wohnung kümmert? Blumen gießen, den Goldfisch füttern, Post aus dem Briefkasten holen und so weiter?“

„Ich habe keinen Goldfisch.“ Melissa sah ihn ein wenig verwirrt an. „Und ich habe immer noch nicht die geringste Ahnung, was das hier werden soll. Die Pflanzen halten im Übrigen auch ein paar Tage ohne Gießen durch.“

Robert rutschte auf seinem Stuhl nach vorn, stützte die Ellbogen auf die Schreibtischplatte und legte das Kinn auf die gefalteten Hände. „Es geht um mehr als nur ein paar Tage, eher zwei Monate. Und jetzt kommt die Überraschung: Sie dürfen nach Hause, nach Trinidad, und Kindheitserlebnisse auffrischen!“ Er setzte sich wieder zurück und betrachtete seine Sekretärin triumphierend. „Na, war das eine Überraschung?“

2. KAPITEL

Melissa hatte zehn Tage Zeit, um ihren Schock zu überwinden und zu regeln, was zu regeln war, wenn man für zwei Monate ins Ausland ging.

Mit „Überraschung“ hatte die Reise wenig zu tun, denn mit einer Überraschung verband sie eigentlich etwas Angenehmes und Schönes. Beispielsweise war man überrascht, wenn man davon überzeugt war, dass alle Welt den eigenen Geburtstag vergessen hatte, nur um dann beim Heimkommen von allen Freunden mit knallenden Champagnerkorken begrüßt zu werden.

Ein „Schock“ war es dagegen, wenn einem der Chef eröffnete, dass er eine grandiose Idee gehabt habe und diese grandiose Idee darin bestand, dass er seine Sekretärin mit auf eine Insel nehmen wollte, an die diese sich kaum erinnerte. Und vor allem auch nicht erinnern wollte.

„Warum haben Sie bis jetzt denn kein Wort davon gesagt, dass wir nach Trinidad fliegen?“, hatte sie ihn gefragt, nachdem sie sich halbwegs erholt hatte.

„Sie könnten ruhig ein paar Freudentränen angesichts meiner kleinen Überraschungsbombe vergießen.“

„Bombe“ ist das richtige Wort, dachte Melissa, aber sie brachte trotzdem eine Art Lächeln zu Stande, während sie fieberhaft über Gründe nachdachte, warum sie auf gar keinen Fall mitfliegen konnte.

Trinidad, das Paradies in der Sonne, war Teil ihrer Vergangenheit – einer Vergangenheit, mit der sie längst abgeschlossen hatte. An die sechs Jahre, die sie dort im Alter zwischen fünf und elf Jahren verbracht hatte, hatte sie kaum noch eine Erinnerung – und wenn, dann hauptsächlich an die endlosen erbitterten Streitereien zwischen ihrer Mutter und ihrem Stiefvater, der dort für eine Ölgesellschaft gearbeitet hatte. Zuerst hatte sie nicht verstanden, worüber die beiden sich stritten, und als sie es dann verstand, hatte sie umso mehr das Bedürfnis gehabt, wegzulaufen und sich irgendwo zu verstecken, wo niemand sie fand.

Sie war immer davon überzeugt gewesen, dass ihre Abneigung gegen jede Art von Streit und Konfrontation aus dieser Zeit herrührte, die auch im Nachhinein von den lauten, aggressiven Stimmen ihrer Eltern bestimmt schien, die alles andere überdeckten.

Aber ihre Erinnerungen – so weit es welche waren – waren ihre Sache und gingen niemanden etwas an, am wenigsten ihren Chef.

„Es ist völlig ausgeschlossen, dass ich endlos wegbleibe“, hatte sie argumentiert.

„Es sind lediglich acht Wochen. Das ist doch nicht endlos.“

„Und was passiert in der Zeit mit meiner Wohnung?“ Aber während sie das noch fragte, merkte sie schon, dass seine Laune sich deutlich verschlechterte. „Ich kann sie doch nicht einfach leer stehen lassen.“

„Und warum nicht?“

„Es könnte eingebrochen werden.“

„Das könnte auch passieren, wenn Sie sich darin aufhalten.“

„Aber meine Pflanzen …“

„Die kann eine Freundin oder Nachbarin gießen. Die werden Sie ja wohl haben.“

„Natürlich, aber …“

„Nichts aber, Mel.“ Robert lehnte sich zurück und betrachtete sie eine Weile. „Ich habe auf der Insel ein Grundstück angeboten bekommen, das für meine Zwecke ideal ist. Damit hätte ich nie gerechnet, es war einfach Glück. Und deshalb brauche ich Sie. Sie wissen, wie ich arbeite, ich muss Sie nicht ständig überwachen oder Ihnen jede Kleinigkeit erklären. Außerdem sind Sie alleinstehend und haben keine Bindungen …“ Er machte eine kleine Pause. „Das stimmt doch, oder? Es gibt doch keinen Freund, der irgendwelche Ansprüche darauf erhebt, dass Sie ihm pünktlich um halb acht Uhr das Essen servieren und alle zwei Tage mit ihm ins Bett gehen?“ Sein amüsierter Ton hätte auch von wohlwollenderem Publikum als Beleidigung empfunden werden können.

„Und warum nicht jeden Tag?“, gab Melissa böse zurück und bereute ihren scharfen Ton sofort, als sie einen Funken Interesse in Roberts tiefblauen Augen entdeckte. „Außerdem können Sie nicht zwei Monate nicht im Büro erscheinen.“

„Doch, genau das kann ich. Schließlich gehört mir der Schuppen.“

Auf die Weise waren sie keinen Schritt weitergekommen, und Melissa hatte schließlich keine andere Wahl gehabt, als, wenn auch widerwillig, zuzustimmen.

Und so hatte sie Sommerkleidung gekauft in Geschäften, die bis zur Decke mit dicken Strickpullovern und Pelzjacken angefüllt waren. Sie hatte ihre Nachbarin mit deren Aufgaben für die nächsten zwei Monate vertraut gemacht und versucht, die beiden Mädchen, die bei der Aussicht, im Büro ohne sie zurechtkommen zu müssen, in schiere Panik geraten waren, zu beruhigen. Schließlich hatte sie ihnen versprechen müssen, sich zweimal täglich telefonisch zu melden, um für alle Eventualitäten gewappnet zu sein und Risiken auszuschalten.

Als sie jetzt aus dem Flugzeugfenster in den grauen Tag hinausschaute, war sie zufrieden. Alles hatte geklappt. Robert hatte recht gehabt. Es war gar nicht so schwierig, ihr normales Leben einfach acht Wochen zu unterbrechen. Sie würde niemandem fehlen, musste keine Rücksicht auf Kinder nehmen, einen Liebhaber trösten oder Eltern beschwichtigen. Nicht einmal um eine Katze musste sie sich sorgen.

Das ließ ihr genügend Raum, um sich Gedanken über diese bevorstehende traumatische Rückkehr in ihre Vergangenheit zu machen. Und sie konnte in aller Ruhe über etwas anderes und ebenso Beunruhigendes nachdenken, nämlich dass sie praktisch vierundzwanzig Stunden am Tag in der Gesellschaft von Robert Downe zubringen würde, ohne die Möglichkeit, sich in ihre private Höhle zurückziehen zu können.

Natürlich bot das Hotel ihr einen gewissen Schutz, aber die Vorstellung, dass sie bei jeder Mahlzeit mit ihm zusammen sein musste, verursachte ihr Bauchweh.

Zwar wusste sie noch nicht, wie sein Arbeitsplan aussah, aber sie würde schon dafür sorgen, dass seine geschäftlichen Besprechungen mit all den Anwälten und Bauunternehmern, den Architekten und Ingenieuren und all den anderen Leuten, die an der Hotelplanung beteiligt sein würden, mittags und abends beim Essen stattfanden. Dabei würde sie dann entweder im Hintergrund wirken und Notizen machen, falls notwendig, oder sonst einfach in ihr Hotelzimmer verschwinden, wo sie nichts von Robert hörte und sah.

Als das Flugzeug kurz nach halb sieben Uhr abends landete, hatte ihre Nervosität einer gesunden Neugier Platz gemacht. Von hier waren sie und ihre Mutter vor vierzehn Jahren wie ein paar Diebe geflohen, ohne jeden Besitz, und hatten ihren Stiefvater in Gesellschaft seiner neuesten Freundin zurückgelassen.

Langsam wuchs das Gefühl von Vertrautheit. Melissa ging durch die Passkontrolle, holte ihr Gepäck vom Fließband und machte sich damit auf den Weg zum Zoll. Hinter den Absperrgittern warteten Menschentrauben auf Freunde, Verwandte, Bekannte. Sie hielt nach Robert Ausschau, aber er schien nicht darunter zu sein. Es war heiß wie im Backofen, aber es war eine drückende, schwüle Hitze, und innerhalb kürzester Zeit klebten ihre blauen Hosen und die Bluse an ihr.

Ein kleiner dunkelhäutiger Mann bot ihr sein Taxi an, aber sie lehnte ab in der vagen Hoffnung, dass ihr nervtötender Chef wunderbarerweise in absehbarer Zeit doch noch erschien. Aber sie kannte ihn gut genug, um sich damit abzufinden, dass er noch eine Weile auf sich warten lassen würde. Vielleicht war ihm ja ein wichtiges Telefonat dazwischengekommen. Und so schob sie ihre Koffer zur Seite und ließ sich resigniert auf einer Bank nieder.

Da steuerte ein dünner Mann mit kaffeebrauner Haut auf sie zu. „Miss Melissa James?“

„Ja.“

„Mr. Downe schickt mich. Ich soll Sie abholen.“

„Aha. Wie haben Sie mich erkannt?“

„Mr. Downe hat gesagt, ich könnte Sie gar nicht verfehlen. Sie würden bestimmt in einer Ecke sitzen und leidend dreinschauen.“

Ich darf nicht vergessen, ihn umzubringen, zu vierteilen und dann die einzelnen Teile in alle vier Himmelsrichtungen zu verstreuen, nahm Melissa sich grimmig vor.

„Und wo hält Mr. Downe sich derzeit auf, wenn ich fragen darf?“

„Im Kiskidee. Er muss noch arbeiten und konnte deshalb nicht selbst kommen.“

Sie standen jetzt neben einer staubigen, im Parkverbot abgestellten Limousine. Roberts Abgesandter warf Melissas Gepäck in den Kofferraum und öffnete ihr die Tür, bevor er selbst hinters Lenkrad rutschte. Ein Glück, dass er offenbar nicht zum Reden aufgelegt war. So hatte sie Muße, die Landschaft in sich aufzunehmen. Es waren gemischte Gefühle, die sie beherrschten, und ihr war ein wenig flau im Magen.

Vieles hatte sich verändert – und doch nichts wirklich, auch wenn die Straßen in besserem Zustand waren als damals und sich unter die alten Häuser von Port of Spain ein paar neue und moderne Bürogebäude gemischt hatten. Undeutliche Erinnerungen an Freunde ihrer Kindheit kamen hoch. Was mochte aus ihnen geworden sein? Als sie damals mit ihrer Mutter nach England zurückgekehrt war, war die Verbindung zu ihnen abgerissen. Jetzt konnte sie sich kaum noch an ihre Namen und Gesichter erinnern.

Sie kamen nur stockend vorwärts, bis sie die Außenbezirke der Stadt erreicht hatten, dann wurde der Verkehr flüssiger. Schließlich fuhren sie eine gewundene Straße entlang, die sich gelegentlich ansteigend, dann wieder abfallend an der felsigen und üppig bewachsenen Küste entlangzog.

Nach eineinhalb Stunden tauchte ein Strand vor ihnen auf. Melissa erinnerte sich noch sehr gut daran. Aber jetzt war es zu dunkel, um etwas erkennen zu können, und sie war zu müde, um enttäuscht zu sein. Sie wollte jetzt einfach nur im Hotel ankommen, duschen und sich ausruhen – allein und ungestört. Der Rest konnte bis morgen warten!

Offenbar war sie eingenickt, denn als sie die Augen wieder aufschlug, stand der Wagen. Und ihr Blick fiel auf ihren Chef, der durch das offene Fenster auf sie hinuntersah.

„Na, da sind Sie ja endlich“, stellte er nüchtern fest. „Und in einem Stück.“ Er zog die Wagentür auf, und sie wäre ihm fast entgegengefallen. Mit Mühe gewann sie ihr Gleichgewicht zurück. „Tut mir leid, dass ich Sie nicht selbst abholen konnte“, entschuldigte er sich. Dann umfasste er ihre Schultern und hielt sie auf Armeslänge von sich. „Sie haben mir gefehlt. Da drinnen stapelt sich die Arbeit schon meterhoch.“

„Herzlichen Dank“, antwortete Melissa trocken und schüttelte seine Hände ab, „es ist doch immer wieder schön zu wissen, dass man gebraucht wird.“

Der Fahrer ging mit dem Gepäck voraus, und Melissa folgte mit Robert. Die Nachtbrise ließ das Laub in den Bäumen rascheln, im Hintergrund rauschte das Meer wie ein stetes, gleichmäßiges Atmen, auf- und abschwellend wie eine Symphonie im Zusammenklang mit all den anderen Geräuschen der Nacht: dem Zirpen der Grillen und Quaken der Frösche, dem Rascheln kleiner Tiere im Gebüsch. Es war eine friedliche Stimmung.

„Wo ist das Hotel?“, fragte Melissa, während sie Robert den schmalen, von blühenden Pflanzen halb überwucherten Weg entlang folgte. Sie standen jetzt vor einem Haus, und statt zu antworten schob Robert nur die angelehnte Tür auf und ließ sie vorausgehen.

„Nicht Hotel. Haus.“

Melissa blieb in dem bunt gefliesten luftigen Vorraum stehen und fuhr herum. „Was soll das heißen: Haus?“, wollte sie wissen.

„Stellen Sie das Gepäck einfach neben den Tisch, Raymond. Ich bringe es später selbst in Miss James’ Zimmer. Und sagen Sie Ihrer Frau, sie braucht erst um neun Uhr zu kommen.“

„Aber Sie haben gesagt, dass wir in einem Hotel wohnen!“ Melissas Stimme klang schrill. Sie musste eine aufkommende Hysterie bekämpfen.

„Was ist es für ein Gefühl, wieder nach Hause zu kommen?“

„Und jetzt erfahre ich, dass wir zusammen in einem Haus wohnen?“

„Sie sehen aus, als könnten Sie eine Dusche brauchen. Aber das ist ja auch kein Wunder. Sie sind völlig falsch angezogen.“

„Das ist absolut lächerlich! Ich kann unmöglich zwei Monate lang mit Ihnen in einem Haus wohnen!“

„Und warum nicht?“

„Darum nicht!“

„Auch nicht, wenn ich hoch und heilig verspreche, Sie nicht anzurühren? Ganz gleich, wie Ihr heißer Sex-Appeal und diese blitzenden großen braunen Augen mich auch in Versuchung führen?“ Robert lachte, als Melissa ihn mit einem vernichtenden Blick bedachte. „Ist ja schon gut! Ich hatte wirklich zwei Zimmer im Hotel gebucht, aber selbst das nächste Hotel ist noch viel zu weit von dem Grundstück entfernt. Und deshalb blieb mir am Ende gar nichts anderes übrig, als ein Haus zu mieten. Es ist einfach bequemer. Und jetzt machen Sie sich frisch und leisten mir noch ein bisschen Gesellschaft auf der Terrasse. Dann werde ich Sie einweihen, was Sie die nächsten Tage erwartet.“

„Robert …“ Melissa verschränkte mit einem Seufzer die Arme vor der Brust. Es war einfach unmöglich, ihm zu erklären, warum sie nicht mit ihm unter einem Dach leben konnte. Wie konnte sie ihm sagen, dass sie zwar mit all seinen wechselnden Stimmungen umgehen konnte, dass sie auch problemlos sein meist atemberaubendes Tempo mitmachte und kühle Haltung bewahrte, auch wenn er durchs Büro fegte und alles aufwirbelte – aber dass die Vorstellung, mit ihm zusammen zu sein, wenn sie nicht arbeiteten, sie regelrecht in Panik versetzte? Wie konnte sie ihm je erklärlich machen, dass die Art, wie er sie aufzog, helle Aufregung in ihr auslöste, auch wenn sie selbst nicht sagen konnte, warum? Weil sie den Grund dafür ja selbst nicht kannte …

„Ja?“

„Wo ist mein Zimmer?“

„Den Gang hinunter rechts, die letzte Tür. Bis gleich.“

Er pfiff, als er sie verließ.

Ein besonders guter Anfang war das nicht. Melissa hatte eine unbestimmte Vorahnung, dass sich daraus eine der größeren Katastrophen ihres Lebens entwickeln würde. Kein sicheres Hotel mit vielen Menschen, kein steriles Besprechungs- und Arbeitszimmer. Nur sie beide, der schützenden Büroumgebung beraubt. Wer wusste schon, was ihm einfallen würde? Seine kleinen Anzüglichkeiten konnten genauso aufwühlend sein wie seine Hände auf ihrer Haut – soweit sie sich das überhaupt vorstellen konnte. Sie hatte vom ersten Tag ihrer Zusammenarbeit an deutlich gemacht, dass die Grenze ihrer Beziehung sehr klar war, und sie würde auch hier strikt auf einem rein geschäftlichen Verhältnis bestehen. Sollte er sie doch für eine Langweilerin halten, wenn er wollte.

Sie duschte schnell und ging dann ins Freie. Die Hitze des Tages war verflogen, die Nachtluft war angenehm kühl. Das Meeresrauschen hatte etwas wunderbar Beruhigendes, Rhythmisches wie afrikanische Trommelschläge. Aus dem offenen Hof öffnete der Blick sich auf die Palmen, die die kleine weiße Sandbucht säumten.

„Ich bin hier unten am Strand!“

Robert stand bis zu den Knöcheln im Wasser. „Links ist eine Treppe.“

Melissa fuhr sich unwillkürlich mit der Zungenspitze über die trockenen Lippen, atmete tief durch und machte sich dann vorsichtig auf den Weg die Betontreppe hinunter zum Strand. Mit einer Hand hielt sie sich am Geländer fest, in der anderen hatte sie, ganz die perfekte Sekretärin, Block und Stift.

Robert wartete, die Arme vor der Brust gefaltet, die nackten Füße leicht ausgestellt. Es war zu dunkel, als dass Melissa seinen Gesichtsausdruck hätte erkennen können, aber seine Haltung wirkte entspannt auf sie.

„Ich dachte, wir wollten arbeiten“, sagte sie, als sie schließlich vor ihm stand. Es war eine kleine Bucht, und im Hintergrund, hinter den Palmen, zogen sich Büsche und Bäume den ganzen Abhang bis zum Haus hinauf. Der Sand fühlte sich fest und hart an, das Meer war tiefschwarz, nur kleine weiße Schaumkräusel tanzten darauf.

„Ich habe es mir anders überlegt“, verkündete Robert fröhlich, breitete ein Handtuch auf dem Sand aus und legte sich darauf. Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf und schaute in den sternenlosen Himmel hinauf. „Ich dachte, Sie könnten mir vielleicht etwas über das Land erzählen. Wie lange haben Sie hier gelebt – fünf Jahre? Sechs Jahre?“

„Ich kann mich nicht mehr besonders gut daran erinnern“, antwortete Melissa ausweichend. Sein T-Shirt war hochgerutscht, und das Stück Haut, das darunter zum Vorschein kam, irritierte sie. „Ich war erst elf Jahre alt, als wir wegzogen.“

„Und Warum? Weil Daddy nach Hause zurückbeordert worden ist?“

„Nein.“ Sie hatte genug von seinen Fragen. „Wie sieht unser Arbeitsplan für morgen aus? Soll ich hierbleiben oder brauchen Sie mich bei einer Geschäftsbesprechung?“

„Setzen Sie sich doch endlich“, befahl er ungeduldig. „Mir tut allmählich der Nacken weh vom Hochschauen. Außerdem kann ich im Dunkeln Ihr Gesicht nicht erkennen, wenn Sie so weit weg sind.“

Er rutschte ein Stückchen auf die Seite und klopfte neben sich. „Es macht mich nervös, wenn ich nur Ihre vorwurfsvolle Stimme höre und Sie nicht richtig sehe.“ Er lachte leise. „Jetzt setzen Sie sich schon. Nur Mut. Ich beiße nicht. Haben Sie denn gar keine romantische Ader? Es ist eine wunderschöne Nacht, wir sind an einem Sandstrand am Meer, allein, über uns rauschen die Palmen … Entspannen Sie sich, Melissa, und erzählen Sie mir von früher.“

„Ich bin hier, um zu arbeiten, Robert“, erinnerte Melissa ihn kühl. „Wenn Ihnen der Sinn nach einem romantischen Tropenabend steht, dann hätten Sie Ihre … Ihre …“ Die Stimme versagte ihr ganz plötzlich.

„Geliebte mitbringen sollen? Wollten Sie das sagen, Melissa? Leider habe ich im Augenblick keine. Außerdem könnte ich hier auch gar keine Freundin brauchen. Ich fände es einfach nur schön, wenn Sie ein bisschen lockerer wären. Wir sind hier nicht im Büro, daran werden wir uns beide gewöhnen müssen.“

„Wir sind damals ein paar Mal hier an diesem Strand gewesen“, sagte Melissa schließlich. Hätte sie nicht nachgegeben, hätte er sie doch nicht in Ruhe gelassen, bis er bekommen hatte, was er wollte. Aber sie setzte sich nicht zu ihm. Das wäre doch ein bisschen zu locker für ihren Geschmack gewesen. Unwillkürlich stellte sie sich vor, wie ihr Schenkel seinen berührte, und das war nicht gerade die beste Voraussetzung für ein klar funktionierendes Gehirn. Sie musste sich zwingen weiterzusprechen.

„Die meisten Leute fahren zum Baden in die Maracas Bay, weil es dahin nicht so weit ist. Bis hierher ist es doch eine ziemlich lange Fahrt. Ich … Die Insel scheint sich ziemlich verändert zu haben. Vor vierzehn Jahren gab es noch keine Geschäfte, nur Gemüse- und Obstkarren an der Straße. Wenn man etwas anderes kaufen wollte, musste man in die Stadt fahren.“

Sie hatte selbst den Eindruck, dass sie dummes Zeug redete. Aber sie hatte mit einem Mal ein Bild im Kopf, wie sie eng aneinandergeschmiegt hier saßen. Sie spürte förmlich, wie sein harter muskulöser Körper sich anfühlte, wie seine Finger über ihren Bauch, die Schenkel und Brüste strichen … Sie schluckte, und auf einmal wurden ihre Knie weich, und sie musste sich setzen. Aber sie setzte sich nicht zu ihm auf sein Handtuch, sondern in gebührender Entfernung in den Sand. Sie zog die Knie an und umschlang sie mit beiden Armen.

„Es gibt immer noch keine Läden hier.“ Robert setzte sich auf. „Sie machen sich auf dem Sand ja ganz schmutzig. Übrigens, falls ich es Ihnen noch nicht gesagt habe: Raymonds Frau kommt jeden Tag zum Putzen und Kochen. Und – um auf Ihre Frage zurückzukommen: Ja, Sie werden mich zu einigen Geschäftsbesprechungen begleiten müssen, aber meistens werden Sie hier arbeiten. Es ist alles da, was Sie dafür brauchen – Faxgerät, Computer, Drucker. Morgen werden wir zusammen in die Stadt fahren. Ich habe einen Termin mit einem Anwalt. Falls Sie sich Sorgen machen, dass ich Sie ausnützen will und Sie ständig Überstunden machen müssen, können Sie beruhigt sein. Sie werden genauso lange arbeiten wie in England. Den Rest Ihrer Zeit können Sie machen, was Sie wollen. Sie werden sicher Freunde besuchen wollen.“

„Ich habe keine Freunde hier.“

„Warum nicht? Oder ist die Frage auch zu indiskret?“

„Auch? Wie meinen Sie das?“

„Wollen Sie das wirklich hören?“, fragte er leise. „Sagen wir so, Mel: Sie arbeiten schon über drei Jahre für mich und kennen mich vermutlich viel besser als all die anderen Frauen, mit denen ich zusammen bin. Aber ich weiß nicht das Geringste über Sie.“

„Was würde das ändern? Meine Arbeit bliebe dieselbe.“ Das Herz klopfte Melissa bis zum Hals.

„Das bezweifle ich auch nicht. Ich finde es nur ein bisschen seltsam. Fast könnte man den Eindruck haben, dass Sie etwas vor mir verbergen.“

„Dann ist Ihr Eindruck eben falsch. Ich habe schlicht und einfach keine Lust, mein Privatleben mit Ihnen zu besprechen.“ Melissa stand auf und klopfte den Sand von ihren Shorts. Ihre Hände zitterten. Sie sagten beide nichts, und dieses Schweigen löste fast körperliche Beklemmungen in ihr aus.

„Dann also bis morgen“, sagte sie endlich und räusperte sich.

„Bis morgen“, erwiderte er. „Ich habe einige Besprechungstermine vereinbart und möchte, dass Sie mich begleiten. Dann werden wir entscheiden, wie es weitergeht. Es hat keinen Sinn, Pläne zu machen, bevor wir mehr wissen. Das gilt übrigens auch für alles andere. Wer dumm genug ist, alles vorherzuplanen, wird vom Leben bestraft …“

3. KAPITEL

Melissa wachte früher auf als sonst. Zu Hause hatte sie den Wecker auf halb acht Uhr gestellt, aber jetzt war sie schon kurz vor sechs Uhr hellwach. Der leichte helle Vorhang ließ das Tageslicht fast ungehindert ins Zimmer strömen und machte ein Weiterschlafen unmöglich.

Ein paar Minuten lang genoss sie einfach nur den Luxus ihres Doppelbettes. Sie sah sich neugierig in ihrer neuen Umgebung um. Ihr Zimmer hatte einen hellen Holzboden, auf dem einige farbenfrohe Teppiche locker verteilt waren. Auch die Möbel waren hell, aus leichtem Rohr, an den blass pastellfarbenen Wänden hingen ein paar gefällige, aber nicht weiter aufregende Meeresbilder in muschelverzierten Holzrahmen. Es war ein freundliches Zimmer.

Die Versuchung war groß, einfach schnell in Shorts und ein T-Shirt zu schlüpfen und zum Strand hinunterzulaufen. Aber dabei riskierte sie, ihrem Chef zu begegnen. Dazu hatte sie nicht die geringste Lust. Sie traute ihm zu, dass er zu dieser frühen Stunde schon unterwegs war. Gestern Abend hatte sie noch lange vergebens darüber nachgedacht, warum sie wohl praktisch vom ersten Moment an, in dem sie das Haus betreten hatte, so aus dem Gleichgewicht geraten war. Sie konnte nicht einmal mehr genau sagen, ob Robert irgendwie anders gewesen war als sonst. Eigentlich hatte er sich genauso verhalten wie immer. Jedenfalls war ihr nichts Besonderes an ihm aufgefallen. Und an diese manchmal nervtötende Offenheit müsste sie doch wirklich allmählich gewöhnt sein, denn die pflegte er auch in London an den Tag zu legen.

Woher also kam es, dass seine Nähe mit einem Mal ihren Seelenfrieden so empfindlich störte? Gestern war sie vom Strand regelrecht zurück zum Haus geflüchtet, froh über die Dunkelheit – als wäre sie ein verängstigtes Kaninchen, das es gerade noch so geschafft hatte, einem Raubtier zu entkommen. Dabei kannte sie Robert und seine Stimmungen doch wirklich mehr als zur Genüge und wusste, dass sie nichts darauf geben sollte.

Melissa nahm sich Zeit mit der Morgentoilette und betrachtete sich im Spiegel. Sie hatte eine schöne glatte Haut und ein hübsches, wenn auch nicht besonders bemerkenswertes Gesicht. Ihr blondes Haar war voll und glänzend, aber von einer Löwenmähne konnte man beim besten Willen nicht sprechen. Und auch von aufregenden Kurven, wie sie die Frauen besaßen, mit denen ihr Chef sich gern umgab, konnte keine Rede sein. Es war also schlicht und einfach lächerlich, wenn sie auf die Idee kam, er könnte sie vielleicht in anderem Licht sehen, nur weil sie sich auf einer exotischen Insel aufhielten. Und umgekehrt galt das ganz genauso. Denn nicht Kleider oder die Umgebung machten einen Menschen aus, sondern sein Wesen.

Fünfzehn Minuten nach sechs Uhr schlich Melissa sich auf Zehenspitzen aus dem Zimmer und lauschte dabei auf mögliche Geräusche, die darauf schließen ließen, dass Robert auch schon auf war. Als sie nichts hörte, huschte sie mit einem Seufzer der Erleichterung aus dem Haus und lief zum Strand hinunter.

Jetzt, im frühen Licht des Tages, konnte sie erkennen, was die Dunkelheit gestern Abend verborgen hatte. Die üppigen Pflanzen zu beiden Seiten der Strandtreppe wucherten über das zierliche schmiedeeiserne Geländer, schienen es schier verschlingen zu wollen. Dazwischen wuchsen hohe schlanke Kokospalmen in den Himmel.

Der Strand war klein und halbmondförmig und wurde bei Flut, wie sie sich jetzt erinnerte, vollständig vom Wasser überspült. Aber jetzt herrschte Ebbe, und auf dem Sand lag das übliche Strandgut verstreut – Zweige, Holzstücke, vom Wasser glatt geschliffene Muscheln und Korallenbruchstücke, die in der Nacht von den Wellen angeschwemmt worden waren.

Melissa zog ihre Sandalen aus. Der Sand fühlte sich fest und feucht unter ihren nackten Füßen an.

„So früh hatte ich noch gar nicht mit Ihnen gerechnet!“

Die Stimme kam von irgendwo links. Der Sprecher war nicht zu sehen, aber dem Klang nach so nahe, dass sie unwillkürlich erstarrte.

Dann tauchte Robert hinter einer Ansammlung von Büschen auf. Er trug nur eine Badehose und hatte dazu lediglich ein Handtuch lässig über die Schulter geworfen. Sein Haar war noch feucht und stand vom Kopf ab. Er war muskulös und erstaunlich braun gebrannt. Melissa wurde von düsteren Vorahnungen erfasst. Wie konnte sie unter solchen Umständen vernünftig arbeiten? Es sollte verboten sein, dass Sekretärinnen ihre Chefs praktisch nackt zu Gesicht bekommen, dachte sie. Nadelstreifenanzüge hatten durchaus ihren Sinn. Sie schützten alle Beteiligten vor dieser lächerlichen Scheinvertrautheit.

„Wo ist Ihr Badeanzug?“, erkundigte er sich ein wenig vorwurfsvoll, als er Melissas knappe Shorts und ihr T-Shirt begutachtete. „Um diese Tageszeit ist es hier unten am schönsten.“ Ihm fiel die Peinlichkeit der Situation gar nicht auf, oder er empfand sie nicht. „Da ist es noch angenehm kühl und friedlich.“ Er massierte sich den Nacken und sah dann, wie Melissa fand, mit übertriebenem Pathos zum Himmel hoch. „Am frühen Morgen ist man noch eins mit der Natur.“

„Mir ist noch gar nicht aufgefallen, dass Sie einen Hang zur Esoterik haben“, bemerkte Melissa kühl und wandte sich von ihm ab. Sie lief zum Wasser, die Sandalen immer noch in der Hand. Robert war ihr gefolgt und blieb ein kleines Stück hinter ihr stehen.

„Ich habe Ihnen doch gesagt, dass Sie noch sehr viel nicht wissen.“

„Sie haben gesagt, ich wüsste alles über Sie und Sie nichts über mich“, berichtigte Melissa ihn.

Er gab sich erstaunt. „Sie scheinen mir ja tatsächlich zuzuhören.“ Er war ihr jetzt so nahe, dass sie seinen Atem im Nacken spürte. „Wer hätte das gedacht! Normalerweise schauen Sie mich an, als verstünden Sie nur Bahnhof, wenn ich es wage, eine persönliche Bemerkung zu machen.“

„Ach?“ Melissa wagte nicht, sich zu bewegen, um ihn nicht aus Versehen zu berühren. Wenn sie nur an diese Möglichkeit dachte, brach ihr der kalte Schweiß aus.

„Ja, ach. Sie werden es nicht glauben, aber privat bin ich genauso schüchtern wie Sie.“

Melissa drehte sich mit einem ungläubigen Lachen zu ihm um. „Verschonen Sie mich mit Ihren Märchen!“

„Aber es ist wahr“, behauptete er treuherzig, wenn auch wenig überzeugend.

„Seit wann das denn?“ Sie sah ihn mit einem Stirnrunzeln an und registrierte dabei ganz nebenbei, dass er sich nicht rasiert hatte. Die dunklen Stoppeln auf seinem Kinn verliehen ihm das romantisch verwegene Aussehen eines Piraten.

„Warum denn nicht?“, gab er statt einer Antwort zurück, verschränkte die Arme über der Brust und betrachtete seine Sekretärin interessiert.

„Vielleicht weil Sie andere Leute so gern einschüchtern, wenn es Ihnen in den Kram passt?“, schlug Melissa vor. „Und streiten Sie es nicht ab, ich habe es oft genug miterlebt. Sie wissen sehr genau, wie Sie andere Leute manipulieren können. Irgendwelche Anzeichen von Schüchternheit sind mir bis jetzt noch nicht aufgefallen. Und was ist mit Ihren Freundinnen? Wie viele sind schon in Ihrem Büro aufgetaucht, unglücklich und verzweifelt, weil Sie beschlossen haben, dass ihr ‚Haltbarkeitsdatum‘ überschritten ist? Es scheint Sie herzlich wenig zu stören, dass im Büro praktisch alle über Ihr Privatleben Bescheid wissen.“

„Das scheint nur so“, meinte er ungerührt. „Wenn ich will und es mir wichtig ist, bin ich so verschlossen wie eine Auster. Dann erfährt niemand etwas.“

Melissas Skepsis war unübersehbar. Sie hielt den Kopf ein wenig schräg und spielte mit den Zehen im Sand. „Wenn Sie meinen.“

„Ich gebe ja zu, dass gelegentlich irgendwelche Frauen mich im Büro besucht haben. Aber das hat einen ganz einfachen Grund. Ich finde es nämlich ganz reizvoll, wenn mein loyales Personal ein bisschen über mein Liebesleben spekuliert. Es wäre natürlich ganz anders, wenn es mir mit der betreffenden Frau ernst wäre. Dann würde ich ihre Intimsphäre selbstverständlich schützen.“

„Ach ja?“ Melissa lachte nur. Sie schloss die Augen und hob das Gesicht der aufgehenden Sonne entgegen. Die Luft roch wunderbar würzig nach Meer und Salz, und die erste warme Brise strich fast zärtlich über ihre Wangen.

„Ja!“, bekräftigte Robert grimmig. „Sie würden sich wundern. Kommen Sie mit schwimmen. Die Arbeit kann noch warten.“

Melissa öffnete die Augen wieder. „Ich soll mit Ihnen schwimmen?“, fragte sie, als hätte er ihr einen unsittlichen Antrag gemacht.

„Warum denn nicht?“

„Weil … Na ja, weil …“

„Sie werden doch einen Badeanzug dabeihaben.“

„Schon, aber …“

„Aber was? Ich habe Sie schließlich nicht zu einem Striptease aufgefordert. Können Sie die Arbeit nicht mal für ein paar Minuten vergessen und einfach nur das Leben genießen? Ich fresse Sie schon nicht.“

„Das habe ich auch nicht behauptet.“ Melissa war errötet. Er hatte ja recht. „Ein bisschen schwimmen wäre wirklich schön.“

Eine Viertelstunde später tauchte sie zum zweiten Mal am Strand auf, diesmal in einem schwarzen Bikini unter einem weiten T-Shirt. Sie hatte ein Strandtuch dabei und breitete es ordentlich auf dem Sand aus, zog ihr T-Shirt über den Kopf, faltete es sorgfältig und legte es dazu. Dann sah sie aufs Meer hinaus. Die Sonne stieg ziemlich schnell, und es versprach, ein heißer Tag zu werden.

Sie ging zum Wasser und watete hinein, bis die Wellen ihre Knöchel umspielten. Weit draußen, hinter den Brechern, entdeckte sie Roberts Kopf.

„Los, kommen Sie schon“, schrie er und winkte. „Das Wasser ist ganz sicher. Ich habe es persönlich nach Haien untersucht!“

Wahrscheinlich sind sie in Panik vor ihm geflohen, dachte Melissa mit einem überraschenden Anflug von Zynismus.

Sie holte tief Atem, als sie sich immer weiter ins kalte Wasser vorwagte, bis es ihre Taille umspülte. Dann tauchte sie mit einem Satz unter einer Welle durch und begann mit langen Zügen in Roberts Richtung zu schwimmen. Sie war ziemlich außer Atem, als sie bei ihm ankam. Er trieb auf dem Rücken im Wasser, die Arme hinter dem Kopf verschränkt.

„Sie müssen zugeben, dass das Wasser herrlich erfrischend ist“, sagte er und sah in den Himmel hinauf. Melissa betrachtete sein Profil und paddelte eher unelegant mit den Armen, um sich über Wasser zu halten. „Nehmen Sie sich ein Beispiel an mir und lassen Sie sich einfach nur treiben. Sonst verausgaben Sie sich zu schnell.“

„Wann ist Ihre Besprechung?“

„Um elf Uhr. Wir haben also noch genügend Zeit. Stellen Sie sich vor, wie es jetzt in England ist – kalt, nass, grau … Ich spiele mit dem Gedanken, mich im Alter ganz hierher zurückzuziehen.“ Er machte eine winzige Pause. „Hatten Sie manchmal Heimweh nach Trinidad?“

Melissa drehte sich auf den Rücken und dachte über seine Frage nach – oder eher darüber, ob sie sie überhaupt beantworten sollte.

„Nicht sehr lange“, sagte sie schließlich. „Dazu war die Hektik viel zu groß. Ich musste mich an eine neue Schule gewöhnen, an ein neues Haus, ein ganz neues Leben …“ Sie seufzte unwillkürlich.

„Wieso an ein neues Leben? London war zwar sicher eine Umstellung, aber sonst haben Sie mit Ihrer Familie doch sicher so ähnlich weitergelebt wie vorher.“

„Nicht ganz.“ Melissa schloss die Augen und nahm sich Zeit. Langsam entspannte sie sich und konnte das schwerelose Treiben im Wasser genießen. „Hören Sie auf, mich auszufragen“, sagte sie nach einer Weile träge.

Er lachte neben ihr. „Warum sollte ich?“, fragte er liebenswürdig. „Wir sind nicht in England, wo Sie mir mit fristloser Kündigung drohen können.“ Das hatte sie einmal getan, als seine Neugier ihr zu weit gegangen war. „Sie sind mir ausgeliefert.“ Dem Klang seiner Stimme nach schien er sich köstlich zu amüsieren. „Hier können Sie mir nicht davonlaufen. Hier gibt es nur Sie und mich und die Chance, dass wir uns besser kennenlernen – viel besser.“ Vor lauter Schreck vergaß Melissa den Rücken durchzudrücken. Sie ging unter und verschluckte sich prompt.

Robert lachte fröhlich. „Entschuldigung“, sagte er, als sie prustend wieder auftauchte. „Das war vielleicht etwas unglücklich formuliert. So habe ich es nicht gemeint. Aber Sie tun immer so unnahbar, da kann ich der Versuchung manchmal einfach nicht widerstehen, Sie ein bisschen zu reizen.“ Er hatte die Augen vor der blendenden Sonne zusammengekniffen. „Sie sollten auf der Hut sein“, warnte er. Je unangenehmer Melissa das Thema zu werden schien, desto mehr erwärmte er sich dafür und genoss die Situation. Er sah ihr in die Augen. „Manche Männer finden diese viktorianische Zurückhaltung sehr aufreizend, viel spannender als zu viel Offenherzigkeit, die nichts der Fantasie überlässt.“

„Darf ich fragen, wie Sie das meinen?“, erkundigte Melissa sich spitz, aber er lachte sie nur an. „Ach, geben Sie sich keine Mühe“, sagte sie böse und wandte den Blick ab. „Mir reicht es.“ Damit tauchte sie ins Wasser und fing an, mit langen Zügen zum Strand zurückzuschwimmen. Neben sich hörte sie ein Plätschern, und als sie zur Seite blickte, sah sie Robert neben sich, der sie überholte. Sie schwamm absichtlich langsamer, um ihm Zeit zu geben, rechtzeitig vor ihr am Ziel zu sein – und vielleicht auch, um ihn beobachten zu können, wie er scheinbar mühelos unter den hohen Brechern vor der Küste durchtauchte und schließlich im knietiefen Wasser stehen blieb, um auf sie zu warten.

Vielleicht lenkte sein Anblick Melissa ab, jedenfalls schien die nächste Welle plötzlich aus dem Nirgendwo zu kommen und traf sie mit unerwarteter Wucht. Als sie versuchte, darunter durchzutauchen, wurde sie hochgehoben und herumgewirbelt, bis sie sich halb benommen neben Robert wiederfand. Sie sah zu ihm auf. Wenn er nicht bald aufhört zu grinsen, bekommt er noch Muskelkater, dachte sie böse.

„Ziemlich turbulent, das Wasser“, bemerkte er und betrachtete sie interessiert. „Man sieht es Ihnen teilweise an.“

Sie folgte seinem Blick und schrie erschrocken auf. Ihr Bikinioberteil war verrutscht, und eine Brust war mehr oder weniger unverhüllt. Hastig zerrte sie das winzige Stück Stoff an seinen Platz zurück und spürte gleichzeitig, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss.

Melissa war die Situation so peinlich, dass sie sich nicht traute, ihrem Boss in die Augen zu sehen. Während er sich köstlich amüsierte, blieb sie wie angewurzelt auf der Stelle stehen. Sie hatte das Gefühl, eine Ewigkeit so dazustehen, obwohl es wahrscheinlich nur ein paar Sekunden waren. Wenn sie mehr Erfahrung mit Männern gehabt hätte, wäre ihr vielleicht eine schlagfertige Bemerkung eingefallen und sie hätten zusammen über ihr kleines Missgeschick gelacht. Aber diese Erfahrung fehlte ihr.

„Sie brauchen sich nicht zu genieren. Mel“, meinte Robert milde. „Ich habe schon mehr nackte Frauen gesehen.“

„Darum geht es nicht! Jedenfalls haben Sie noch nie – noch nie …“ Sie verstummte.

„Sie meinen, ich hätte Sie noch nie so gesehen?“

„Das ist eine überaus lächerliche Unterhaltung“, erklärte Melissa böse. Ihr Gesicht brannte. Nie hatte sie sich weniger souverän gefühlt. Von der beherrschten Sekretärin, die sich durch nichts aus der Ruhe bringen ließ, war nicht mehr viel übrig. Sie hatte sich immer eingebildet, dass sie wusste, wie sie Robert behandeln musste. Aber sie lernte seit gestern im Schnellverfahren, dass sie noch sehr viel Erfahrung benötigte. In England war Robert anders, nicht so unbeschwert und gut gelaunt. Jetzt fühlte sie sich seiner Anziehungskraft wehrlos ausgeliefert. Sie war gegen seinen Charme keineswegs immun, wie sie immer gehofft hatte.

„Sie haben völlig recht“, pflichtete er ihr liebenswürdig bei, und sie war schon erleichtert, weil es klang, als wollte er das Thema fallen lassen. „Ich habe zwar viele Frauen nackt gesehen, aber Sie noch nicht. Das heißt natürlich nicht, dass ich es mir nicht vorgestellt hätte.“

Sie hatte sich zu früh gefreut! Melissa wollte ihm schon eine giftige Antwort geben, aber dann biss sie die Zähne zusammen. „Sie …!“, stieß sie frustriert aus.

„Ich weiß.“ Robert kam ihr verständnisvoll zu Hilfe. „Sie finden mich unwiderstehlich.“ Er lachte und wies zum Haus. „Wie wäre es mit dem Frühstück, bevor Sie mich auffressen?“ Damit ließ er ihr mit einer galanten Verbeugung den Vortritt, was sie in die unangenehme Lage brachte, vor ihm die Treppe zum Haus hinaufsteigen zu müssen. Dabei war ihr nur zu bewusst, worauf er seine Blicke konzentrierte.

Melissa beschloss, möglichst unverzüglich den alten Zustand zwischen ihnen wiederherzustellen. Denn Robert begann ihr schon auf eine Art und Weise unter die Haut zu gehen, die mehr als unheimlich war. Das musste an der exotischen Atmosphäre hier liegen. Das Arbeitsleben in London war viel hektischer. Es bestand aus ständig klingelnden Telefonen, unangemeldet auftauchenden Besuchern, förmlichen Essen mit Geschäftsfreunden, und überall musste sie als Sekretärin dabei sein und im Hintergrund wirken. Zeit für irgendwelche persönlichen Unterhaltungen blieb da kaum, und das hatte das Verhältnis zwischen ihnen sehr einfach gemacht. Alles, was nur entfernt hätte zu einem persönlicheren Kontakt führen können, war ohne weiteres im Vorfeld schon zu vermeiden.

Sie ärgerte sich über sich selbst, weil sie sich nicht genauer danach erkundigt hatte, wie diese Geschäftsreise im Einzelnen aussehen würde. Vieles hatte sie ganz einfach als selbstverständlich angenommen, zum Beispiel dass sie im Hotel und nicht in einem Haus wohnen würden, das so weit vom Schuss war.

Auf der obersten Treppenstufe blieb Melissa stehen, um Robert überholen zu lassen. Es machte sie nervös, wenn er hinter ihr ging.

„Ich möchte nur kurz duschen, bevor wir frühstücken und mit der Arbeit anfangen“, teilte sie ihm knapp mit.

„Ich werde die Akten bis dahin vorbereiten“, erwiderte er ebenso knapp. „Sie werden sicher gern hören, dass Raymonds Frau Denise den ganzen Tag da ist. Sie kocht und macht sauber und wirkt insgesamt als Anstandsdame.“

„Ich brauche keine Anstandsdame“, gab Melissa kühl zurück, ohne Robert dabei anzuschauen. „Ich bin als Ihre Sekretärin hier und als sonst gar nichts.“ Das wollte sie ihm doch noch deutlich sagen, falls er auf dumme Gedanken kam. Sie zog am besten gleich die Grenze, bevor sie wieder in eine Situation geriet, auf die sie nicht vorbereitet war.

„Ja, natürlich“, antwortete er ein wenig zu schnell.

„Gut.“ Sie hatten das Haus erreicht. Durch die offenen Türen konnte Melissa eine rundliche dunkelhäutige Frau sehen, die zielstrebig den gefliesten Boden bearbeitete.

„Außerdem …“ Robert beugte sich zu Melissa hinunter, gerade als Denise sich mit einem Willkommenslächeln aufrichtete. „Außerdem wollen wir doch die arme Denise nicht schockieren, oder?“ Und damit ließ er sie stehen und betrat mit einem fröhlichen Pfeifen das Haus.

4. KAPITEL

Melissa hatte eigentlich befürchtet, dass die eineinhalbstündige Fahrt nach Port of Spain auf so engem Raum unangenehm werden würde, aber zum Glück war es nicht so. Sie und Robert saßen auf dem Rücksitz des geräumigen Wagens, einen Aktenkoffer zwischen sich, und gingen dabei einen Stapel Papiere durch, um sich auf die bevorstehende Verhandlung vorzubereiten.

Sie machte sich in einer über die Zeit selbst entwickelten Kurzschrift Notizen und hob dabei kaum einmal den Blick. Robert antwortete knapp und sachlich auf ihre Fragen, und als sie schließlich die kurvenreiche Küstenstraße hinter sich gelassen hatten, hatte Melissa sich im Wesentlichen mit allen wichtigen Punkten vertraut gemacht.

„Ich verstehe immer noch nicht, warum Sie ausgerechnet auf Trinidad verfallen sind“, meinte sie und betrachtete die Architektenzeichnung auf ihren Knien. „Es kommen nur wenig Touristen hierher. Ein Hotel lohnt sich doch gar nicht.“

Sie schlug die Beine übereinander, zog züchtig den braven Blümchenrock über die Knie und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, die sich aus ihrer gewohnt strengen Frisur gelöst hatte.

„Genau das ist unsere Chance.“ Robert legte den Arm auf die Rückenlehne und kam ihr dabei mit der Hand gefährlich nahe.

Melissa fragte sich, ob sie vor einer Woche wohl auch schon so empfindlich darauf reagiert hätte. Wie oft waren sie schon zusammen im Taxi gefahren, ohne dass sie auf solche Dinge geachtet hatte? Und dabei hatte er sicher genauso dicht neben ihr gesessen wie jetzt. Warum nur fand sie es auf einmal so schwierig, sich auf irgendetwas anderes zu konzentrieren als auf die irritierende Möglichkeit, dass er sie vielleicht zufällig mit den Fingerspitzen im Nacken berühren könnte?

„Ich weiß nicht …“ Sie beugte sich ein wenig vor, um den drohenden Kontakt zu verhindern.

Als hätte er ihre Gedanken gelesen, zog er seinen Arm zurück, aber nur, um den Aktenkoffer auf dem Boden abzustellen, sodass er es sich bequemer machen konnte. Dann legte er den Arm wieder zurück – und Melissa versteifte den Rücken und saß kerzengerade da.

„Die Karibik ist völlig überlaufen, und es dauert nicht mehr lange, bis nirgends mehr Platz für ein neues Hotel ist. Und dann schauen sich die Touristen, die höhere Ansprüche haben, nach exklusiveren Zielen um.“

„Und dabei fällt ihr Auge auf diese praktisch jungfräuliche Insel, auf der wunderbarerweise Ihr Hotel auf sie wartet!“