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IN DEN ARMEN DES SEXY TYCOONS von CATHY WILLIAMS Nach einer turbulenten Beziehung zieht Izzy sich in ihren kalifornischen Heimatort zurück. Aber wie soll sie zur Ruhe kommen, wenn sie dort Gabriel Ricci trifft? Der Immobilientycoon will ihr nicht nur das Zuhause nehmen, er weckt gegen jede Vernunft auch heißes Verlangen in ihr … NUR EINE NACHT IN VENEDIG? von CLARE CONNELLY Bea soll den umwerfend attraktiven Unternehmer Ares Lykaios zu einer Gala in Venedig begleiten? Nichts für eine zurückhaltende Frau wie sie! Doch Ares ist der wichtigste Kunde ihrer PR-Agentur und akzeptiert kein Nein. Als er sie mit erregenden Küssen überrascht, steht ihre Welt Kopf … VERFÜHRT VON EINEM KÖNIG von KELLY HUNTER Zwischen König Valentine und Pferdetrainerin Angelique sprühen unwiderstehlich sinnliche Funken. Auch wenn sie weiß, dass sie als Bürgerliche nie mehr als seine Geliebte sein kann, lässt sie sich zu einer leidenschaftlichen Liebesnacht verführen. Mit ungeahnt süßen Folgen … SOGAR EIN MILLIARDÄR BRAUCHT LIEBE von DANI COLLINS Liebe, heiraten, eine Familie gründen kommt für Milliardär Tsai Jun Li nicht infrage. Er genießt sein Junggesellenleben in vollen Zügen. Bis die betörende Ivy ihm nach einem unvergesslich erotischen One-Night-Stand gesteht, dass sie sein Kind unter dem Herzen trägt. Was jetzt?
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Seitenzahl: 701
Cathy Williams, Clare Connelly, Kelly Hunter, Dani Collins
JULIA EXTRA BAND 514
IMPRESSUM
JULIA EXTRA erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA EXTRA, Band 514 3/2022
© 2021 by Cathy Williams Originaltitel: „Promoted to the Italian’s Fiancée“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Svenja Tengs
© 2021 by Harlequin Books S.A. Originaltitel: „Cinderella’s Night in Venice“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Julia Przybyla
© 2021 by Kelly Hunter Originaltitel: „Pregnant in the King’s Palace“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Antje Harbeck
© 2021 by Dani Collins Originaltitel: „Her Impossible Baby Bombshell“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Emma Lux
Abbildungen: Harlequin Books S.A., iStock / Getty Images Plus, alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 3/2022 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783751512060
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY
Spontan gibt Tycoon Gabriel Ricci die hübsche Hotelmanagerin Izzy als seine Verlobte aus. Natürlich nur, um so das Sorgerecht für seine Tochter zu behalten. Nicht weil er Izzy insgeheim begehrt!
In ihrem Ballkleid sieht Bea so atemberaubend sexy aus, dass der griechische Unternehmer Ares Lykaios unwiderstehliches Verlangen verspürt. Auch wenn er der Liebe abgeschworen hat, muss er Bea küssen!
Als Bürgerliche war Angelique lange für König Valentine tabu. Doch jetzt hat er nichts mehr zu verlieren und verführt seine heimliche Jugendliebe zu einer Affäre, so leidenschaftlich wie skandalös …
Ivy ist hin- und hergerissen. Zwar macht der faszinierende Milliardär Jun Li ihr nach einer folgenreichen Nacht der Lust einen Antrag. Doch auf die magischen Worte der Liebe wartet sie vergeblich …
„Ich habe eine persönliche Einladung bekommen.“
Evelyn Scott schob die handgeschriebene Notiz über den Tisch zu Izzy. Der Salat, den Evelyn mit Zutaten aus dem Gemüsebeet in ihrem Garten zubereitet hatte, war aufgegessen, die hausgemachte Limonade ausgetrunken. Draußen kündigte ein tieforangener Himmel den Einbruch der Dämmerung an.
Hier im Napa Valley schien der Horizont grenzenlos zu sein. Der weite Himmel war eine Leinwand, auf der sich alle möglichen Farben wiederspiegelten, je nach Tageszeit und den Launen des Wetters. Izzy konnte stundenlang in einem Feld auf dem Rücken liegen, nur um die spektakuläre, sich stets verändernde Schönheit der Natur zu bewundern.
„Eine persönliche Einladung?“ Sie ergriff die Notiz und ihr wurde bewusst, dass Evelyn in den letzten anderthalb Stunden, in denen sie über Belanglosigkeiten geplaudert hatten, die ganze Zeit die Tatsache vor ihr verborgen hatte, dass sie krank vor Sorge war.
Izzy las das Schreiben. Es war auf schwerem, cremefarbenem Pergamentpapier verfasst, die Art von Papier, bei der sie gleich an aggressive Banker denken musste, die Kredite einforderten, oder an knallharte Anwälte, die mit Gefängnis drohten. Die Einladung bestätigte diesen ersten Eindruck und war in großer, schnörkelloser Handschrift verfasst. Evelyn wurde zum Tee eingeladen, um von „Angesicht zu Angesicht“ über den Verkauf des Landhauses zu sprechen. Der Brief glich eher einer Vorladung.
„Es ist das erste Mal, dass der Mann mich persönlich anschreibt.“ Evelyn erhob sich und begann, die Teller und Gläser abzuräumen, wobei sie Izzys Angebot, ihr zu helfen, abwinkte. „Du musst dich nicht mit den Problemen einer alten Frau herumschlagen. Deshalb bist du nicht hergekommen.“
„Evelyn, deine Probleme sind auch meine.“ Nach fast einem Monat fühlte es sich immer noch merkwürdig an, die ältere Frau mit „Evelyn“ statt mit Nanny Scott anzusprechen, wie ihre Mutter sie immer genannt hatte. Izzy erinnerte sich noch lebhaft daran, wie sie im Schlafzimmer ihrer Mutter saß, zusah, wie sich Beverley Stowe die Haare kämmte, Lippenstift auftrug, die Lippen aufeinander rieb, um die Farbe gleichmäßig zu verteilen, und ihr Gesicht aus jedem Winkel betrachtete, während sie ihr etwas erzählte. Izzy hörte aufmerksam zu. Sie hielt ihre Mutter für die schönste Frau der Welt und lauschte jeder ihrer Bemerkungen mit jener glühenden Verehrung, zu der nur Kinder fähig sind. Sie kannte tausende Geschichten über Nanny Scott. Izzy hatte sie auf ihrem ersten und letzten Trip nach Kalifornien kennengelernt, als sie neun Jahre alt gewesen war, ein Jahr bevor ihre Eltern bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen waren. Jene Reise hatte sich in ihr Gedächtnis gebrannt, weil sie nur selten mit ihren Eltern in Urlaub gefahren war. Sie wusste noch, wie begeistert sie darüber gewesen war, jenen heißen Sommermonat mit ihren Eltern verbringen zu können. Es fühlte sich an, als wäre es gestern gewesen und nicht schon dreizehn Jahre her. Als sie jetzt die Sorge auf Evelyns Gesicht sah, spürte Izzy Wut in sich aufsteigen über die Einschüchterungsversuche dieses Milliardärs, der die Neunundsiebzigjährige um ihr Landhaus bringen wollte, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, was danach mit ihr geschah. Er hatte seine Lakaien vorgeschickt, aber die Botschaft war wohl nicht zufriedenstellend übermittelt worden. Also war er gekommen, um zum Angriff überzugehen und das Cottage der alten Frau zu Geld zu machen.
„Nein“, sagte Evelyn entschlossen. Sie stellte einen Teller mit hausgemachtem Pumpkin Pie vor Izzy und setzte sich wieder. „Du hast schon genug um die Ohren, auch ohne diesen ganzen Unsinn. Niemand kann mich zu irgendetwas zwingen.“
„Im Moment ist mein Leben ziemlich ruhig“, antwortete Izzy.
„Dann hast du endlich meinen Rat befolgt und deinen Bruder angerufen, um mit ihm zu reden?“ Interesse blitzte in Evelyns braunen Augen auf. Ihre eigenen Probleme traten für einen Moment in den Hintergrund. „Ich wusste, dass du mir noch etwas zu erzählen hast. Eine alte Frau spürt so etwas.“
Izzy wollte jedoch auf keinen Fall nach Hawaii zurückkehren, solange die Situation hier nicht geklärt war. Sie war zwar nicht dazu verpflichtet, aber sie hatte sich entschieden, Evelyn zu helfen. Von Hawaii war sie ohnehin mit gebrochenem Herzen geflohen und hatte sich an den Ort geflüchtet, an dem ihre Mutter aufgewachsen war. Nach der verkorksten Beziehung mit Jefferson war sie nun von dem tiefen Bedürfnis erfüllt, ihrer Mum irgendwie nahe zu sein. Der Wunsch, den Geist ihrer Mutter einfach in ihrer Nähe zu spüren, war albern, kindisch und irrational, aber auch so überwältigend, dass sie ihm schließlich nachgegeben hatte.
Zu Hause hatte sie die Schachtel mit den alten Fotos, den Postkarten und so ziemlich allem herausgekramt, was sie in den Jahren vor dem Tod ihrer Eltern gesammelt hatte. Sie brütete über verblassten Fotos von der weitläufigen Ranch, auf der ihre Mutter aufgewachsen war, bevor sie mit achtzehn ihr Elternhaus verlassen und ein neues Leben in England begonnen hatte. Sie starrte auf die Bilder von Nanny Scott, den Großeltern, die sie nur einmal getroffen hatte, und all den gutaussehenden jungen Leuten, die ihre Mutter als Jugendliche gekannt hatten. Das Herz schwer vor Traurigkeit, Schwermut und Nostalgie, hatte sie das Hotel, in dem sie arbeitete, und ihre beruflichen Pflichten hinter sich gelassen und war geradezu geflohen.
Natürlich fühlte sie sich schuldig, weil sie ihren Bruder im Stich gelassen hatte, aber sie hatte dafür gesorgt, dass alles auf dem aktuellen Stand war. Außerdem wusste sie, dass ihr Stellvertreter eine Zeit lang übernehmen konnte, dass Max von England nach Hawaii kommen und alles regeln würde, wie er es immer tat. Er war jemand, der mit eiserner Disziplin arbeitete, Befehle und Anweisungen erteilte und die Dinge regelte.
Sie war viel zu verletzt gewesen, um aus einem schlechten Gewissen heraus an einem Ort zu bleiben, an dem sie nicht mehr sein wollte, und einen Job zu erledigen, zu dem sie sich nicht mehr durchringen konnte – egal, was für ein Privileg es gewesen sein mochte, ihn überhaupt zu bekommen.
Es war, als hätte ihr geschundenes Herz sie gezwungen, sich all den Jahren zu stellen, in denen sie auf sich allein gestellt gewesen war, in denen sie gelernt hatte, ohne die Liebe und Unterstützung ihrer Eltern zurechtzukommen und in denen sie voller Neid ihre Freundinnen und deren Beziehung zu ihren Eltern beobachtet hatte.
Wie oft hatte sie in jungen Jahren einen Stich im Herzen gespürt, wenn sich ihre Freundinnen wieder einmal über ihre Eltern beschwerten, denn wenigstens hatten sie eine Mutter und einen Vater, über die sie meckern konnten. Ihre Brüder Max und James hatten beide ihr Bestmögliches für sie getan, aber auch sie konnten nur bedingt etwas ausrichten. Der Tod ihrer Eltern hatte eine Leere hinterlassen, die ihr immer noch zu schaffen machte. Nach Jefferson, der eine riesige Enttäuschung gewesen war, war sie von dem Wunsch getrieben gewesen, sich dem zu stellen und danach zu suchen, was ihr fehlte. Dummerweise hatte sie geglaubt, es dort finden zu können, wo ihre Mutter aufgewachsen war.
Sie wusste, dass das big house, wie ihre Mutter es genannt hatte, schon lange verkauft war, zusammen mit den Weinbergen, und war nicht mit der Erwartung dort angereist, in das Elternhaus ihrer Mutter hineinspazieren zu können. Doch allein der Gedanke, etwas Zeit in der Region zu verbringen, war beruhigend. Als sie das angrenzende Cottage besuchte und herausfand, dass Evelyn immer noch dort lebte, war sie ganz aus dem Häuschen gewesen.
Fast erwartete sie, ihr Bruder würde sie aufspüren. Er hatte genug Einfluss, um ihren Aufenthaltsort innerhalb von Sekunden ausfindig zu machen, aber das hatte er nicht getan, weshalb sie eine richtige Verbindung zu Evelyn aufbauen konnte. Seit mehreren Wochen befasste sie sich nun schon mit der schwierigen Lage, in der sich die ältere Dame befand: Sie wollte unbedingt in ihrem Cottage bleiben, wurde aber immer wieder dazu aufgefordert, an den Mann zu verkaufen, der das big house und das noch größere Nachbaranwesen gekauft hatte, um zwei mittelgroße Weingüter in ein riesiges Unternehmen zu verwandeln. Noch so ein gieriger Investor ohne Skrupel …
Evelyn hatte auch ein offenes Ohr für ihre Probleme gehabt. Jetzt, in der Stunde der Not, würde Izzy sie bestimmt nicht im Stich lassen.
Nicht, wenn sie etwas dagegen tun konnte.
„Ist doch so, oder?“, fragte Evelyn. „Ich bin es leid, über meine Probleme nachzudenken. Erzähl mir lieber etwas Gutes. Ich weiß, dass du Neuigkeiten hast. Ich bin vielleicht alt, aber ich sehe noch einwandfrei. Was hat dir dein Bruder gesagt? Liebes, ich wünschte, ich hätte euch alle kennenlernen können, damit ich mir die Gesichter zu den Namen vorstellen kann. Ich wüsste gern, wie James und Max in echt aussehen, nicht nur auf den Fotos, die du mir auf deinem Handy gezeigt hast.“
Izzy schob ihre Gedanken beiseite. Bereitwillig erzählte sie Evelyn von dem Telefonat, das sie in den letzten Stunden nicht erwähnt hatte. Ja, sie hatte mit Max gesprochen, nachdem sie es lange vor sich hergeschoben hatte. Er hatte sie nicht aufgespürt, sondern auf Mia gehört, Gott sei Dank, und sich entschieden, sich zurückzuhalten, wenn auch wahrscheinlich nur widerwillig.
Voller Angst hatte Izzy ihn angerufen, um ihm zu sagen, dass sie möglicherweise in Kalifornien bleiben würde, weil es Probleme mit Evelyns Haus gab. Sie hatte befürchtet, dass er an die Decke gehen würde, auf seine zurückgenommene, aggressive, angsteinflößende Art und Weise. Sie hatte erwartet, Anweisungen zu erhalten, dass sie zurückzukommen solle, und war auf einen Streit eingestellt gewesen. Doch er hatte toll reagiert. Er sagte, er wolle auf eine Insel-Hopping-Tour gehen, zu ihrem großen Erstaunen, weil sie sich nicht daran erinnern konnte, dass ihr Bruder jemals etwas gemacht hatte, das nichts mit einem Büro, einem Computer und einer Schar von Jasagern zu tun hatte, die Schlange standen, um seine Befehle auszuführen. Er versicherte ihr auch, dass alles geregelt sei. Er meinte, wenn sie zurückkäme, würden sie über ihre Wünsche reden, nicht darüber, was sie seiner Meinung nach tun sollte.
Doch anstatt weiter nachzufragen – wie?, wer?, was?, warum?, wann? – und zu riskieren, dass er seine Meinung änderte, hatte sie aufgelegt und ihr Glück nicht fassen können. Sie nahm wieder die Notiz und starrte drauf, bevor sie Evelyn ansah.
„Du musst dich nicht mit diesem Typen treffen“, sagte sie ruhig, aber bestimmt. Sie streckte die Arme über den Tisch aus und umfasste Evelyns Hände. Evelyn war spindeldürr. Izzy konnte die Adern untern der blassen durchsichtigen Haut fühlen. Sie war zwar recht kräftig und bekam durch das Gärtnern viel Bewegung, doch sie sah trotzdem so aus, als könnte ein Windhauch sie umblasen.
„Ich muss die Sache doch klären.“ Evelyn seufzte
„Nein“, sagte Izzy. „Du nicht. Ich.“
Gabriel Ricci sah auf seine Uhr und runzelte die Stirn, denn die Frau kam zu spät.
Er hatte sie für halb sechs eingeladen, in der Annahme, dass eine Person Ende siebzig dann wahrscheinlich nach einem Schläfchen am Nachmittag eine Tasse Tee, Kaffee oder heiße Schokolade trinken und ein Stück Kuchen essen würde. Eine Vermutung, die auf keinerlei konkreten Beweisen beruhte, denn er hatte noch nie in seinem Leben um halb sechs mit einer älteren Person Tee getrunken.
Um diese Zeit hatte er normalerweise am meisten zu tun. Tee und Kuchen waren dann das Letzte, woran er dachte, aber wenn es nicht anders ging … Dennoch ärgerte er sich darüber, dass man ihn warten ließ, denn er hatte in seinem Leben nicht so eine mächtige Stellung erreicht, um dann auf irgendwen warten zu müssen. Wenn er Leute zu sich bestellte, dann erschienen sie pflichtbewusst und überpünktlich.
Wie sich alles verändert hat, sann er vor sich hin. Er sah sich in dem prächtigen Wohnzimmer mit den hellen Farben und den kostbaren Kunstwerken um und schaute auf die Weinberge draußen, die sich Hektar um Hektar in perfekten, symmetrischen Reihen bis zum Horizont erstreckten.
Er konnte sich noch gut an das kleine Haus erinnern, in dem er aufgewachsen war, den schäbigen Anstrich, das spärliche Stückchen Rasen draußen, das an heißen Sommertagen in Brooklyn zugleich als Garten, Gemüsebeet und Platz zum Wäscheaufhängen gedient hatte. Seine Eltern und er hatten dicht an dicht mit ihren Nachbarn gelebt. In ihrem Viertel war es beengt und chaotisch gewesen. Ein Ort, an dem es nur die Harten schafften und die Schwachen entweder beschützt werden mussten oder auf der Strecke blieben.
Immer und immer wieder hatten seine liebevollen Eltern ihm eingetrichtert, wie wichtig Bildung war und dass er von dort weggehen musste, wenn er etwas aus sich machen wollte. Es gab viele Momente, in denen sich Gabriel geärgert hatte über die ständigen Vorhaltungen nach dem Motto: „Sei fleißig und mach etwas aus dir.“ Denn es war eine große Versuchung gewesen, die Dinge lockerer zu nehmen und Spaß zu haben, besonders als ihm bewusst wurde, dass er das Zeug zum Anführer der Gang hatte. Er war groß, scharfsinnig und furchtlos. Doch die Vorhaltungen blieben nicht ohne Wirkung. Außerdem empfand er zu viel Liebe und Respekt für seine hart arbeitenden Eltern italienischer Herkunft, um sich gegen sie zu wenden.
Stattdessen ging er studieren und arbeitete hart. Er landete im Massachusetts Institute of Technology, wo er Ingenieurwesen studierte, und danach in Harvard, wo er seinen Doktor in Wirtschaft machte. Sein Ziel war es nicht, ein paar Stufen auf der Karriereleiter zu erklimmen. Das war ihm zu wenig. Er wollte es nach ganz oben schaffen. Das klang wie Musik in seinen Ohren. Er wollte nicht so leben wie sein Vater und sich von Leuten etwas sagen lassen, die dümmer waren als er, aber dafür über Geld, Herkunft und Kontakte verfügten. Es dauerte nicht lange, bis er sich nach oben gekämpft hatte und die Freiheit und den Respekt genoss, die mit großem Reichtum und noch größerer Macht einhergingen.
Während er auf seine neu erworbenen Weinberge schaute, musste Gabriel lächeln. Er hatte viel erreicht, jedenfalls genug, um nicht um knapp sechs hier zu sitzen und darauf zu warten, dass diese Evelyn Scott auftauchte. Er stand auf und wollte gerade anfangen, ungeduldig durch den Raum zu gehen, als die Tür zum Wohnzimmer geöffnet wurde. Er drehte sich um, sah erst Marie, seine Haushälterin, und dann direkt hinter ihr …
Wie angewurzelt blieb er stehen.
Er hatte eine Frau Ende siebzig erwartet. Er wusste, wie sie aussah, denn er hatte sich vor dem Treffen ein Foto von ihr mailen lassen. Stattdessen stand eine junge, gertenschlanke Frau vor ihm, mit silbrig-weißblondem Haar, das ihr in unbändigen Locken über Schultern und Rücken fiel. Ihre Haut war seidenglatt und ihre Augen kornblumenblau – so klar wie Kristall. Sie trug eine Latzhose. Einer der Träger war von der Schulter gerutscht und gab den Blick auf ein cremefarbenes Top frei, unter dem sich schemenhaft eine kleine Brust abzeichnete.
Er ärgerte sich über den plötzlichen Verlust seiner Selbstbeherrschung, doch auch als er sich zusammenriss, spürte er immer noch, wie ihn ein heftiges Verlangen durchfuhr. Ein ungebetener, völlig unangebrachter Gedanke drängte sich ihm auf, nämlich dass diese impulsive körperliche Reaktion überhaupt nicht zu ihm passte, was ihn nur noch wütender werden ließ.
Abrupt beendete er die Stille und trat vor.
„Und Sie sind?“
Seine Stimme war kühl und sanft. Bei ihrem Klang stellten sich Izzys Nackenhaare auf wie bei einer sich nähernden Gefahr.
Was hatte sie erwartet? Nicht das.
Das Haus, auf das sie zugelaufen war, ähnelte nur noch entfernt dem viel kleineren Gebäude, das ihren Großeltern gehört hatte und das auf den wenigen verblichenen Fotos zu sehen war, die Izzy wie einen Schatz aufbewahrte. Es hatte sich im Laufe der Jahre enorm vergrößert und war nun die passende Residenz eines Milliardärs, obwohl sie nicht ganz sicher war, wie lange es schon im Besitz dieses Mannes war.
Laut Evelyn war es zweimal verkauft worden. Am Abend zuvor hatte sie ihr erzählt, er sei der letzte Käufer und erst vor Kurzem auf der Bildfläche erschienen. Allerdings habe er alle notwendigen Renovierungsarbeiten durchgeführt.
Dennoch war Izzy von der Größe des Hauses beeindruckt gewesen, als sie es zum ersten Mal gesehen hatte. Es war riesig. Ein imposantes weißes Herrenhaus, auf dessen Hof man mühelos hundert Autos hätte parken können.
Sie hatte gestaunt, aber sich nicht entmutigen lassen. Mit großem Reichtum kannte sie sich aus. Sie wusste, was man mit Geld kaufen konnte und was nicht. Eine neunundsiebzigjährige Frau gehörte nicht dazu. Das würde sie ihm deutlich machen.
Eine junge, fröhliche Haushälterin hatte sie hereingeführt, ohne viele Worte zu verlieren. Eigentlich war sich Izzy sehr mutig vorgekommen, bis zu dem Moment, in dem sie in diesem prachtvollen Wohnzimmer stand, sich die Tür leise hinter ihr schloss und sie den schönsten Mann erblickte, den sie je gesehen hatte.
Er war groß, etwas über zwei Meter, mit einem schlanken, muskulösen Körper, so kräftig wie der eines Athleten. Er trug ein kurzärmeliges weißes Poloshirt und eine dunkle Hose, die gerade tief genug auf seinen schlanken Hüften saß, um seine schmale Taille und langen Beine zu betonen. Sein dunkles Haar war etwas zu lang und kräuselte sich am Kragen seines Polohemdes. Seine langen, dunklen Wimpern waren unfassbar schön und unterstrichen seine kühlen dunklen Augen. Er hatte einen bronzenen Teint. Der Mann war der absolute Wahnsinn.
Er raubte ihr den Atem. Die Zuversicht, mit der sie ins Haus geschlendert war, war wie verflogen.
„Nun?“
Izzy spürte, dass ihr Mund trocken war. Sie wandte den Blick ab, überwältigt von der Versuchung, ihn anzustarren. Leider sah sie ihn immer noch im Geist vor sich, so umwerfend schön mit seinem olivfarbenen Teint, seinen Augen, die so dunkel waren wie die Nacht, und seinen perfekt geformten Gesichtszügen, die sie für einen Moment fast seine eisige, unfreundliche Miene vergessen ließen.
Jedoch keine Sekunde länger, denn sein unwirscher Tonfall holte sie unsanft auf den Boden der Tatsachen zurück.
„Izzy Stowe“, sagte sie abrupt. Er ging auf sie zu, doch sie wich ein paar Zentimeter zurück und verschränkte die Arme in einer halb angriffslustigen, halb abwehrenden Geste.
„Und Sie stehen in meinem Wohnzimmer, weil …?“
„Sie haben Evelyn Scott einen Brief geschickt. Sie wollten sie in einem Gespräch zum Verkauf des Cottage drängen.“ Herausfordernde Worte, dachte sie, was genau das Gegenteil von dem war, was sie empfand. Eingeschüchtert traf es wohl am besten. Ihr wurde mulmig bei der Vorstellung, wie Evelyn mit der Situation zurechtgekommen wäre. Die ältere Frau war nicht auf den Kopf gefallen, aber nicht mehr die Jüngste und hätte sich von dieser Sorte Mann vielleicht beeindrucken lassen. Andererseits, wer nicht? Er wirkte wie jemand, der Kerker bauen ließ für jeden, der es wagte, sich ihm in den Weg zu stellen.
„Ich möchte mit niemandem außer Mrs. Scott sprechen. Sie wissen ja, wo die Tür ist, Miss Stowe.“
Mit großer Anstrengung gelang es Izzy, stehenzubleiben.
Wie unhöflich! Aber warum sollte sie das wundern? Jemand, der sich nicht davor scheute, Einschüchterungstaktiken bei einer alten Frau anzuwenden, gehörte wohl nicht gerade zu der Sorte Mensch, die sich viel aus guten Manieren und Höflichkeit machten.
„Ich habe die Erlaubnis von Evelyn, sie in dieser Sache zu vertreten.“ Sie blieb stehen, obwohl sie am liebsten auf dem Absatz kehrtgemacht und das Weite gesucht hätte.
„Und Sie sind dazu befugt, weil …?“
„Wir sind alte Freundinnen. Ich passe auf sie auf.“
„Ist sie dazu nicht selbst fähig? Sie schien sehr entschlossen, als sie meinem Anwaltsteam geantwortet hat.“
„Könnte ich mich setzen?“ Izzy sah ihn zögern und wusste, dass er seine Möglichkeiten durchging. Vermutlich war er ein vielbeschäftigter Mann, der zu wenig Zeit hatte, um einer alten Frau hinterherzurennen. Auf ein anderes Treffen zu warten würde die Sache nur unnötig in die Länge ziehen. Vielleicht wog er ab, wie wahrscheinlich es war, dass es auf dasselbe hinauslaufen würde: kein Gespräch mit Evelyn, sondern wieder mit ihr.
Mit dem Kopf deutete er auf einen der Stühle. Zögernd ging Izzy darauf zu, setzte sich und fühlte sich sofort im Nachteil, weil er immer noch stand, während ihr die Knie zitterten.
„Reden Sie.“
Zwei Worte aus seinem Mund, während er weiter vor ihr stand und sie aus schmalen Augen anstarrte.
Izzy bemerkte, dass die Einladung zum Tee offensichtlich nicht mehr galt, jetzt, da sie an Evelyns Stelle aufgetaucht war. Er hatte ihr nicht einmal ein Glas Wasser angeboten und machte keinerlei Anstalten, diese Unhöflichkeit wiedergutzumachen.
„Könnten Sie sich bitte setzen?“, fragte sie. „Ich möchte mir ungern den Hals verrenken, während wir reden.“
Fast erwartete sie, dass er sie ignorieren würde, aber stattdessen zog er einen Hocker heran und stellte ihn direkt vor sie, sodass ihr keine andere Wahl blieb, als ihn anzusehen. Nun wirkte er noch abweisender, aus der Nähe betrachtet – so nah, dass sie den warmen, holzigen Duft seines Aftershaves einatmen konnte, und definitiv nahe genug, um die unversöhnliche Kälte in seinen dunklen Augen zu bemerken.
„Evelyn hat erzählt, in was für einer Lage sie sich befindet.“ Izzy sprach in einem gleichmäßigen, ruhigen Ton. Seine Augen waren pechschwarz und beunruhigend wachsam. Sie spürte, wie jedes ihrer Worte sorgfältig auseinandergenommen und von allen Seiten untersucht wurde. Sie zitterte.
„Sind Sie mit Mrs. Scott verwandt?“
„Miss Scott. Evelyn hat nie geheiratet.“
„Das spielt keine Rolle.“
„Finden Sie, Mr. Ricci?“, fragte Izzy leise. „Evelyn hat in diesem Cottage die meiste Zeit ihres Erwachsenenlebens verbracht. Weit über fünfzig Jahre. Es ist alles, was sie hat. Sie hat weder einen Ehemann, noch einen Partner noch Kinder. Glauben Sie wirklich, dass sie vor Freude in die Luft springt bei dem Gedanken, den einzigen Ort auf der Welt zu verlassen, der für sie Stabilität bedeutet? Außerdem wohnen alle ihre Freunde nur wenige Fahrminuten entfernt, doch Sie wollen sie von dem einzigen Ort vertreiben, den sie je ihr Zuhause nennen konnte.“
„Eine sehr mitreißende Rede, Miss Stowe, aber ich mache mir nichts aus Rührseligkeiten. Ich habe niemanden unter Druck gesetzt und will niemanden vertreiben. Es geht mich auch nichts an, ob die Frau verheiratet war oder nicht.“
„Sie wollen ihr Cottage kaufen!“
„Zu einem Preis, der weit über dem Marktwert liegt.“
„Kein Preis ist hoch genug, um jemanden aus seinem Zuhause zu vertreiben, dem einzigen, das er je hatte.“
„Da bin ich anderer Meinung.“
Ohne Vorwarnung sprang er auf. Izzy beobachtete, wie er geschmeidig zu einem Knopf an der Wand ging und ihn drückte. Nach wenigen Sekunden klopfte die junge Frau an, die sie ins Wohnzimmer geführt hatte.
„Etwas zu trinken, Miss Stowe? Bevor ich Sie davon überzeuge, dass es in Miss Scotts bestem Interesse ist, mein Angebot anzunehmen und sich geschlagen zu geben.“
Die Arroganz dieses Mannes ist unglaublich, dachte Izzy. Er war bereit, sie anzuhören, aber es war offensichtlich, dass er seine Entscheidung bereits getroffen hatte. Allerdings hatte Evelyn recht: Niemand konnte sie zu irgendetwas zwingen. Wahrscheinlich war er davon ausgegangen, weiterzukommen, wenn er von Angesicht zu Angesicht mit Evelyn sprach, offene oder verschleierte Drohungen ausstieß und dann einfach darauf wartete, dass sie vor Angst einknickte.
Gabriel Ricci verkörpert alles, was Izzy an Menschen nicht ausstehen konnte. Er war unhöflich, rücksichtslos, arrogant und vollkommen unfähig, auf die Interessen anderer einzugehen.
Ihr schlechtes Gewissen meldete sich, als ihr bewusst wurde, dass er sie in vielerlei Hinsicht an Max erinnerte, obwohl ihr Bruder seine Gründe hatte, so zu sein, wie er war.
Früher, nach dem Tod ihrer Eltern, war sie viel zu jung gewesen, um die Schwierigkeit ihrer Lage vollends zu begreifen. Sie hatte ihren älteren Bruder für seine unflexible, bevormundende Art zutiefst gehasst. Unerbittlich hatte er alles überwacht, was sie tat, sie gezwungen, sich an die Regeln zu halten, und ihr all die kleinen Freiheiten verweigert, die ihre Freundinnen genossen. Für die kleinsten Ausflüge musste sie um Erlaubnis fragen. Als sie ein Teenager wurde, war er noch strenger geworden.
Erst als James sich eines Nachmittags mit ihr zusammengesetzt und ihr behutsam zu erklären versucht hatte, warum Max sie auf diese Weise beschützen musste, hatte sie begonnen, seine unnachgiebige Art zu verstehen. Auf einen Schlag war er zum Oberhaupt der Familie geworden und musste dafür sorgen, dass sich für James und sie so wenig wie möglich änderte. Er musste die Firma leiten, bis James in der Lage war, ihn zu unterstützen. Deshalb hatte er mit eiserner Faust über ihr Leben bestimmt. Erst seit Kurzem fragte sie sich, was er dabei alles verpasst hatte.
Aber was hatte dieser Mann für einen Grund, so ein Mistkerl zu sein?
Es war offensichtlich, dass ihm das Schicksal der Besitzerin des Cottage vollkommen gleichgültig war. Dies war das erste Mal, dass er sich überhaupt dazu herabgelassen hatte, Evelyn persönlich zu kontaktieren. Davor hatte er die unangenehme Angelegenheit seinen Handlangern überlassen.
„Ich nehme ein Glas Wasser“, sagte sie kühl. Er zuckte mit den Schultern und wandte sich an die junge Frau.
„Ein Glas Wasser. Und eine Flasche Cabernet Sauvignon, mit zwei Gläsern.“
„Ich trinke keinen Wein“, informierte Izzy ihn unverzüglich. „Ich bin nicht hier, um etwas mit Ihnen zu trinken, Mr. Ricci, sondern um Ihnen mitzuteilen, dass Evelyn das Haus nicht verkaufen wird. Wenn Sie nicht aufhören, sie zu belästigen, bleibt mir nichts anderes übrig, als einen Anwalt einzuschalten.“
„Dieser spezielle Cabernet ist extrem gut. Kraftvoll, doch elegant, und hundert Prozent biologisch.“
„Haben Sie ein Wort von dem gehört, was ich gerade gesagt habe?“ Sie verfiel in wütendes Schweigen, bis die Haushälterin mit den Getränken zurückkam. Sie schenkte Gabriel vorsichtig ein Glas Wein ein und reichte Izzy ihr Wasser.
Izzy hätte platzen können vor Wut über seine Gleichgültigkeit.
„Was jetzt?“, fragte sie gereizt, als er in Ruhe seinen Wein kostete.
„Das ist meine erste Unternehmung ins Weingeschäft“, sagte er, schwenkte sein Glas und trank einen Schluck, während er sie kühl über den Rand des Glases hinweg ansah. Er schlenderte zum Fenster und starrte ein paar Sekunden hinaus, bevor er sich zu ihr umdrehte.
Izzy sagte nichts. Hinter ihrer Wut und ihrem Ohnmachtsgefühl stand die widerstrebende Erkenntnis, dass dieser Mann etwas Faszinierendes an sich hatte. Ihr lagen alle möglichen Wörter auf der Zunge, doch sie durfte auf keinen Fall ihre Selbstbeherrschung verlieren, denn ihr Bauchgefühl sagte ihr, dass er es ausnutzen würde, wenn er nur den Hauch von Schwäche witterte. Dieser Mann war das geborene Raubtier, schnell und rücksichtslos.
„Ich mag diesen Teil des Tals und auch die Weite der Weinberge. Zusammen mit dem Nachbargrundstück verfüge ich über eine sehr vielversprechende Anbaufläche.“ Er machte eine Pause, um einen weiteren Schluck Wein zu trinken, und schlenderte dann zu seinem Platz zurück. Diesmal lehnte er sich zu ihr vor und füllte den Raum zwischen ihnen mit so viel unbändiger Kraft aus, dass Izzy automatisch ein Stück zurückwich. Leider konnte man sich mit Wasser keinen Mut antrinken.
„Die Sache ist die“, sagte er leise, „ihre Freundin wohnt auf einem Stück Land, das mitten in meinen Weinbergen liegt. Ich bin mir sicher, dass es jetzt noch eine Oase der Ruhe ist. Auch wenn Miss Scott nicht verkauft, werde ich das angrenzende Land um ihr Cottage herum aufkaufen. Dieses Haus hier will ich für mich behalten, als mein Zuhause, egal, ob ich gerade hier bin oder nicht, aber ich brauche eine angemessene Unterkunft für den Gutsleiter und seine Mitarbeiter. Es wird nicht gerade ein kleines Gut.
Am Anfang wird das reinste Chaos herrschen, wegen der Sanierungsarbeiten. Ich fürchte, Ihre Freundin wird sich in einem Getümmel aus Menschen wiederfinden, die kommen und gehen. Es wird keine Oase der Ruhe mehr sein. Irgendwann will ich expandieren und ein Boutique-Hotel auf dem Anwesen bauen lassen, für eine Handvoll Weinkenner, die sich ein Bild von der Arbeit auf dem Weingut machen, die Weine kosten und den Prozess von der Traube bis zum Fass miterleben wollen.“ Er zuckte unbekümmert mit den Schultern. „So ist leider der Lauf der Dinge. Nichts bleibt, wie es ist.“
Izzy konnte nicht anders, als fasziniert und ungläubig das Szenario auf sich wirken zu lassen, das er ihr gerade beschrieben hatte. Jedes Wort, das er sagte, ließ keinen Zweifel daran, dass sich das Leben, wie Evelyn es kannte, von Grund auf verändern würde. Nicht allein wegen des Kaufs der Weingüter, auch wenn durch die vermehrte Produktion sicherlich mehr los wäre, aber wenn er das Land um sie herum aufkaufen sollte, würde sie keine ruhige Minute mehr haben.
„Ich habe Miss Scott einen sehr guten Deal angeboten“, fuhr Gabriel fort. „Ich werde persönlich dafür sorgen, dass sie jedes Haus in Napa bekommt, das sie sich wünscht. Ihre Freundinnen wohnen dort, oder? Sie könnte näher bei ihnen wohnen. Außerdem werde ich mich darum kümmern, dass ihr Haus so viel Garten hat, wie sie es sich wünscht, damit sie weiterhin nach Herzenslust gärtnern kann.“
„Aber es wird nicht ihr Zuhause sein“, flüsterte Izzy und kämpfte gegen die Versuchung an, sich von ihm und seinem Angebot um den Finger wickeln zu lassen.
„Man kann sich auch anderswo zu Hause fühlen, Miss Stowe. Sollte sie mein Angebot ablehnen, werde ich sie nicht mehr belästigen, aber sie könnte später feststellen, dass ihr Haus auf dem freien Markt nicht mal ein Viertel dessen wert ist, was ich ihr jetzt anbiete. Wer will schon ein altmodisches Cottage kaufen, das von fremden Ländereien umgeben ist, noch dazu mit so viel Lärm? Ich mit Sicherheit nicht mehr, falls sie später doch noch, wenn die Ernüchterung einsetzt, auf den Gedanken kommt, an mich zu verkaufen.“
Er lehnte sich zurück und neigte den Kopf zur Seite. „Ich sollte betonen, dass dies eine einmalige Gelegenheit ist, Miss Stowe. Richten Sie ihr das aus. Ich werde noch zwei Wochen hier sein, aber ich brauche die Entscheidung bis Ende der Woche. Dann werde ich mit Ferguson über den Kauf seines Landes reden. Sobald das in die Wege geleitet ist, gilt mein Angebot nicht mehr.“
Damit bat er sie, zu gehen. Sie konnte es in seinem Gesichtsausdruck lesen. Er hatte ihr ihren kleinen Moment gelassen, in der Gewissheit, dass seine schlagkräftigen Argumente sie aus dem Konzept bringen würden, was auch der Fall war.
„Ich habe keine Angst vor Ihren Drohungen, Mr. Ricci.“ Sie erhob sich, immer noch wackelig auf den Beinen.
„Ich spreche nur selten Drohungen aus. Ich finde diese Taktik nicht sehr gewinnbringend.“
Izzy starrte ihn an. Er sah so absurd gut aus, doch zugleich lief es ihr kalt den Rücken herunter, denn er strahlte nichts Warmes, noch nicht mal etwas Menschliches aus.
In der angespannten Stille waren schnelle Schritte zu hören. Im nächsten Moment flog die Tür zum Wohnzimmer auf und ein Kind blieb wie angewurzelt stehen.
„Rosa!“
Gabriel sah seine Tochter, die atemlos in der Tür stand, und gleich darauf den erstaunten Ausdruck in Izzys Gesicht. Über beides ärgerte er sich – in unterschiedlichem Ausmaß und aus verschiedenen Gründen.
Über seine Tochter, weil sie eigentlich längst im Bett sein sollte.
Wo zum Teufel steckte dieser Drachen von Nanny? Sie wurde gut bezahlt, um dafür zu sorgen, dass sich der Tagesablauf des Kindes nicht veränderte, auch wenn Rosa nicht bei ihrer Mutter in New York war. Normalerweise war sie nicht so nachlässig.
Und über Izzy, weil sich ihr Besuch nicht mit seinem Privatleben vermischen sollte. Sie war da, um sich über den Kauf des Cottage zu beschweren. In Gabriels Welt durfte Geschäftliches nie in bestimmte Bereiche seines Lebens eindringen. Rosa war seine sechsjährige Tochter. Er wollte nicht, dass die Frau wegen ihrer Neugier den eigentlichen Grund vergaß, weshalb sie hier in seinem Wohnzimmer saß.
Denn sie war neugierig. Er konnte es klar in ihren aquamarinblauen Augen sehen.
„Was machst du hier unten?“ Gabriel hatte sich schnell wieder gefasst und hob nun seine Tochter hoch. Sie schlang ihre Beine um seine Taille, während sie aufgedreht über seine Schulter zu Izzy blickte, die sie weiterhin mit unverhohlenem Interesse anstarrte. „Wer ist das?“, fragte Rosa zurück.
Gabriel runzelte die Stirn, denn er wollte nicht mit ihr über Izzy reden.
„Sie … wollte gerade gehen“, sagte er, stellte seine Tochter wieder auf dem Boden ab und hielt ihr seine Hand hin. Die Kleine ergriff sie, drehte sich jedoch wieder zu Izzy um und sah sie prüfend an. „Wo ist Bella?“
Es verblüffte ihn immer wieder, dass eine Frau, die so unattraktiv war wie das Kindermädchen seiner Tochter, einen Namen haben konnte, der auf Italienisch „schön“ bedeutete.
Bella Esposito war Mitte sechzig und schon seit drei Jahren Rosas Nanny. Die pensionierte stellvertretende Leiterin einer Mädchenschule in Downtown Manhattan war von seiner Ex-Frau Bianca eingestellt worden und führte ihre Arbeit mit dem Eifer einer Despotin aus, die es gewohnt war, dass man ihr gehorchte.
„Sie ist die Einzige, die ich mir für den Job vorstellen kann“, hatte Bianca verkündet, nachdem sie das vorherige Kindermädchen innerhalb von fünf Minuten entlassen hatte, weil sie den Job nicht ernst genug genommen hatte. „Wir sind verwandt. Ich vertraue ihr vollkommen. Junge Frauen haben nicht die Disziplin, die Rosa braucht.“
Bella war die Cousine einer Tante. Was Disziplin anging, gab es tatsächlich niemanden, der sie besser hätte vermitteln können.
Für alles gab es strenge Regeln. Befehle wurden erteilt, Schlafenszeiten auf die Sekunde genau eingehalten, Snacks waren verboten und Freizeitaktivitäten wurden streng überwacht.
Insgeheim hatte Gabriel etwas gegen die Frau, aber was sollte er tun? Nicht nur wegen seiner Arbeit war er auf ein Kindermädchen angewiesen, wenn Rosa bei ihm war, sondern ihm waren auch die Hände gebunden.
Bianca tat nichts lieber, als ihm das Leben schwer zu machen. Ein Streit um die Nanny, und sie würde versuchen, ihm seine Tochter wegzunehmen, egal, wie das Sorgerecht aufgeteilt war. Momentan neigte sie dazu, Termine fast ohne Vorankündigung platzen zu lassen. Wenn er sich beschwerte, drohte sie damit, wieder vor Gericht zu ziehen und das volle Sorgerecht einzuklagen. Würde sie das tun? Das Risiko wollte er nicht eingehen. Auch war er nicht bereit, seine Ex so zu verärgern, dass sie sich über ihre ahnungslose Tochter an ihm rächen würde.
Er wusste nicht mehr, wie oft er schon den Wunsch unterdrückt hatte, seinen Einfluss geltend zu machen.
Momentan war Rosa für drei Wochen in den Sommerferien bei ihm. Er spürte, dass ein Streit in der Luft lag, konnte jedoch nichts dagegen tun. Erst vor zwei Wochen hatte Bianca ihm mitgeteilt, sie wolle unbedingt nach Italien zurückkehren. Ihre Mutter brauche sie, hatte sie mit Unschuldsmiene erklärt, was wohl ein Witz sein sollte, denn ihre Mutter und sie standen sich so nahe wie zwei Kämpfer im Boxring.
Hatte sie es auf noch mehr Geld abgesehen? Oder meinte sie es ernst? Sie hatte zwar nicht die geringste Chance, seine Tochter von ihm fernzuhalten, aber er wollte kein Risiko eingehen. Er musste sich zurückhalten, so schwer es ihm auch fiel, und sie mit Überredungskunst von der Idee abbringen, New York zu verlassen.
Ehrlich gesagt, waren seine Arbeitstage lang und sein Lebensstil nicht gerade ideal, um ein sechsjähriges Kind großzuziehen, auch wenn sein Antrieb bei der Arbeit darin bestand, seiner Tochter nur das Beste bieten zu können.
Er tat sein Bestes, wenn Rosa bei ihm war, aber manchmal konnte er die Arbeit nicht einfach liegen lassen, was seine Ex-Frau nur zu gut wusste. Auch über sein Liebesleben war sie im Bilde. Aber wer war das nicht? Mehr als einmal hatte man ihn mit einer Schönheit am Arm fotografiert, die bewundernd zu ihm aufschaute, ohne zu ahnen, dass sie sich bald in die Reihe ihrer Vorgängerinnen einordnen und nicht mehr als eine Randnotiz in seinem Liebesleben sein würde.
Abgesehen davon spielte Gabriel in der obersten Liga mit. In der Geschäftswelt hatte er das Sagen. Er war der Liebling der Financial Times und landete immer wieder auf der Titelseite von allen möglichen Zeitschriftensparten – von Business bis Klatsch.
Für dieses Leben hatte er viele Opfer gebracht, aber er war sich sehr wohl bewusst, dass sich hinter der Selbstsicherheit, die ein wichtiger Teil seiner Persönlichkeit war, unangenehme Schuldgefühle verbargen.
Mit sechsundzwanzig hatte er geheiratet und sich mit dreißig scheiden lassen. Bianca stammte aus einem italienischen Adelsgeschlecht und hatte nichts mit seiner eigenen, von Armut geprägten Herkunft zu tun. Sie war extravagant, schön und verlangte viel Aufmerksamkeit, doch für ihn hatte die Arbeit immer an erster Stelle gestanden. Während sie nach Partys, gesellschaftlichen Anlässen und Gelegenheiten suchte, ihre üppige Schönheit zur Schau zu stellen, hatte er ihr Diamanten und Perlen geschenkt, ohne sich um ihre emotionalen Bedürfnisse zu kümmern. Er hatte getan, was er seit jeher am besten konnte, sich auf sein Business-Imperium konzentrieren, und sie damit in die Arme eines anderen getrieben.
Wer konnte es ihr verdenken? Diese Frage hielt ihn manchmal immer noch in den frühen Morgenstunden wach. Der toughe Junge aus Brooklyn, für den harte Arbeit das Ticket in die Freiheit gewesen war, hatte sich als hartnäckiger erwiesen als der reiche, urbane Unternehmer, in den sie sich verliebt und für den sie sich entschieden hatte.
Schlimmer noch war die Erkenntnis, dass er erleichtert über das Scheitern ihrer Ehe war und Bianca ihn fast vom ersten Tag an tierisch genervt hatte.
Er wollte jedoch verhindern, dass die Scheidung auf dem Rücken seiner Tochter ausgetragen wurde. Deshalb hielt er sich an alle Regeln, getrieben von Gewissensbissen in Anbetracht seines Lebensstils.
Es war ein Riesenschlamassel.
Jetzt noch ein bisschen mehr.
Seine Tochter riss ihn aus seinen Gedanken, als er sie flüstern hörte, dass es Nanny Bella nicht gut gehe.
Gabriel erstarrte. Er drehte sich halb um und warf einen Seitenblick auf Izzy, die vorgeblich in ein Wirtschaftsmagazin vertieft war, das auf dem Nussbaumtisch vor dem Sofa gelegen hatte. Trotz ihrer anfänglichen Neugierde achtete sie nicht weiter auf die Szene, die sich vor ihr abspielte.
„Ist sie krank?“ Gibt es einen Keim auf diesem Planeten, der den Panzer dieser Frau durchbrechen kann, fragte er sich.
Doch Krankheit hin oder her, wo zum Teufel steckte sie? Sonst kam Rosa nie allein nach unten, während Bella auf sie aufpasste.
Er zögerte, unsicher darüber, ob er sein Privatleben ausnahmsweise einmal öffnen und Izzy bitten sollte, ein Auge auf Rosa zu haben, oder ob er seine leicht zu beeindruckende Tochter mit nach oben nehmen sollte, um herauszufinden, was vor sich ging.
„Würde es Ihnen etwas ausmachen …?“ Er führte Rosa durch den Raum und blieb mit ihr vor Izzy stehen. Sie sah zu ihm auf. „Meine Tochter …“, sagte er schweren Herzens, fuhr sich mit den Fingern durch das dunkle Haar und blickte kurz weg. „Es gibt ein Problem mit ihrer Nanny …“
„Ich bin Rosa“, sagte sie hilfsbereit und streckte eine Hand aus. „Wer bist du?“
„Ich bin Izzy.“
„Ich mag deine Haare.“
Izzy lächelte und sah in Gabriels mitternachtsschwarze Augen. „Kein Problem. Ich bleibe hier bei Ihrer Tochter, wenn Sie nachsehen wollen, was mit der Nanny ist.“
Eigentlich wollte er das nicht. Izzy konnte den Widerwillen in seinem finsteren, markanten Gesicht sehen. Er hatte nicht erwartet, dass seine Tochter gerade in dem Moment hereinplatzen würde, als er sich von ihr verabschieden wollte. Er hatte auch sicher nicht damit gerechnet, die beiden allein zurücklassen zu müssen, während er nach dem Kindermädchen sah.
Er steckte in einer wenig beneidenswerten Lage. Izzy vermutete, dass er die Sorte Mann war, die gern alles unter ihrer Kontrolle hatte.
Sie konnte nicht umhin, eine gewisse Schadenfreude darüber zu empfinden, ihn so verwirrt zu sehen.
Es hatte ihre ganze Willenskraft erfordert, um sich in das langweilige Wirtschaftsmagazin zu vertiefen, das vor ihr auf dem Tisch gelegen hatte. Sie hatte es aus Höflichkeit getan, um nicht allzu unverhohlen das hübsche Kind anzustarren, das in den Raum gestürmt war, oder sich darüber zu wundern, dass dieser eiskalte Mann Vater sein konnte, und zwar anscheinend ein besorgter und liebevoller.
Das eindimensionale Bild, das sie sich von ihm gemacht hatte, schien nicht mehr richtig zu stimmen.
„Wie geht’s?“
Izzy grinste, denn ihr gefiel Rosas frühreife Art. Sie war ein bildschönes Kind mit langen, dunklen Haaren, die sie sich hinter die Ohren geklemmt hatte, einem olivfarbenen Teint und großen dunklen Augen. Auf ihrem bunten Pyjama waren eine Menge Dinosaurier abbildet. Izzy nickte zur Hand der Kleinen, in der sie einige Blätter Papier festhielt.
„Was hast du da?“, fragte sie interessiert.
„Bilder. Für Dad.“ Sie hielt sie ihr hin. Mehrere Minuten lang bewunderte Izzy die Kunstwerke und gab anerkennende Geräusche von sich, während sie nach Schritten auf dem Holzboden lauschte.
„Bist du übers Wochenende hier?“ Sie lächelte und griff, ohne nachzudenken, nach dem Buntstift in Rosas Hand.
„Drei Wochen. Mum ist zum Haus in der Toskana gefahren. Ich bleibe bei Dad, solange sie weg ist.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Es ist seine Zeit. Ich bin sowieso lieber bei ihm, auch wenn er viel arbeiten muss.“
„Und Bella ist die Frau, die auf dich aufpasst?“
Das geht mich nichts an, dachte Izzy, während sie gedankenverloren über das leere Blatt strich. Sie malte einen der Dinosaurier von Rosas Pyjama und verpasste ihm mehr Ausdruck, Bewegung und ein Outfit. Ich bin hier, um eine Angelegenheit zu klären, um Evelyn zu helfen. Dieser Mann ist skrupellos und das Letzte, was ich brauche, ist, in seine Familiendynamik hineingezogen zu werden.
„Bella ist keine Frau“, sagte Rosa verächtlich. „Sie ist eine Hexe, und ich hasse sie. Wow, ich mag deinen Dino! Kannst du noch mehr malen?“ Die Abneigung gegenüber ihrer Nanny schien sie vergessen zu haben und war nun voller aufgeregter Bewunderung für Izzys Bild. Aber Izzy hatte keine Zeit, etwas zu erwidern, weil die Tür aufflog. Diesmal stand Gabriel in der Tür, so wie Rosa kurz zuvor, doch sein Ausdruck war nicht mehr so kühl und gelassen.
„Bella ist zusammengebrochen“, rief er unvermittelt. Er schaute Rosa an. „Ich könnte einen Krankenwagen rufen, aber es dauert vielleicht zu lange, bis der hier ist. Wahrscheinlich würde es schneller gehen, wenn ich sie ins Krankenhaus fahre.“
„Was ist passiert?“ Izzy sprang erschrocken auf.
„Ich tippe auf Blinddarmentzündung, nach dem, was sie sagen konnte. Möglicherweise ein Blinddarmdurchbruch. Ich muss los. Rosa …“ Er fuhr sich frustriert mit den Fingern durchs dunkle Haar, von Anspannung und Ungeduld erfüllt. „Ein Krankenhaus ist nicht der richtige Ort für ein … Ich muss mit Ärzten sprechen.“
„Ich kann mitkommen.“ Das Angebot war ihr über die Lippen gekommen, bevor sie darüber nachdenken konnte. Sie sah, wie er mit sich rang, aber die Zeit drängte und er nickte.
„Das wäre sehr hilfreich. Ich komme in ein paar Minuten nach unten. Wenn Sie mit Rosa an der Eingangstür auf mich warten könnten … Wir müssen uns beeilen.“
Izzy tat, worum er sie gebeten hatte. Sie dachte kaum nach, als sie mit Rosa zur Haustür eilte. Schnell schnappte sie sich die Buntstifte und das Papier und stopfte sie in ihre Tasche, denn irgendwie musste sie das Kind ja beschäftigen, während sich der Vater um alles kümmerte.
Sie hätte mit Rosa in dem Haus bleiben können, aber darum hatte er sie nicht gebeten. Warum auch? Er hatte keine Ahnung, wer sie war.
Was für eine Ironie, dass Izzy mit gebrochenem Herzen hierhergekommen war, um dem Geist ihrer Mutter nahe zu sein und in der Erinnerung Trost zu finden, aber in ihrem Elternhaus nichts als Gabriels überwältigende Präsenz wahrnehmen konnte! Hier war sie jetzt, von einer Welle unerwarteter Umstände mitgerissen, und hatte keine Zeit mehr für Befindlichkeiten. Sie hätte sich weigern und ihn mit dem kranken Kindermädchen und seiner Tochter im Schlepptau allein lassen können, aber diese Möglichkeit kam ihr nicht einmal in den Sinn.
Von der Fahrt ins Krankenhaus bekam sie nicht viel mit. Rosa klammerte sich auf dem Rücksitz des schwarzen SUV an sie, verängstigt und stumm vor Anspannung. Vorne stöhnte Bella, während Gabriel über die Straßen raste, doch seine Körpersprache drückte nichts als Konzentration aus. Als sie das Krankenhaus erreichten, sagte er zu Izzy – zwischen Anweisungen, dass man einen Rollstuhl für Bella holen solle –, dass er sie so schnell wie möglich im Wartebereich treffen würde. Er umarmte Rosa, beugte sich vor, um ihr ein paar beruhigende Worte ins Ohr zu flüstern, und löste sich von ihr. Dann sah er zu Izzy auf, die ihn anstarrte.
„Danke“, sagte er unwirsch.
Dann verschwand er in der allgemeinen Hektik.
Es war nach zehn und sie war bereits eingeschlafen, mit Rosa im Arm, als Gabriel zurückkam und sie sanft weckte.
Izzy blinzelte, unterdrückte ein Gähnen und hob Rosa hoch, damit sie sich aufrichten konnte.
Er sah erschöpft aus. Zum ersten Mal seit ihrer ersten Begegnung hatten seine Züge fast etwas Menschliches.
„Haben Sie …? Ist alles in Ordnung?“
„Danke, dass Sie bei Rosa geblieben sind. Ich weiß das sehr zu schätzen.“ Er hob Rosa hoch, die immer noch schlief, schmiegte sie an sich und wartete auf Izzy, damit sie gehen konnten. Er erklärte kurz, was passiert war, während sie zu seinem Wagen gingen, der schon für sie bereitstand. Er musste jemanden gebeten haben, ihn vor das Gebäude zu fahren.
„Ich muss nach Hause.“ Izzy zögerte und sah ihn verstohlen an. Ihr stockte der Atem. Er sieht unfassbar gut aus, dachte sie zerstreut, besonders jetzt, wo Rosa sich an ihn schmiegt.
Sie hätte sich erweichen lassen können, weil der Anblick eines Vaters mit seinem Kind immer etwas Rührseliges hat, aber das spielte keine Rolle. Nur weil er für ein paar Stunden wegen eines Notfalls nicht mehr so unverfroren war wie zuvor, hatte er deshalb noch lange keine Persönlichkeitsveränderung durchlaufen.
„Sie haben nichts zu Abend gegessen.“
„Es geht mir gut.“ Sie errötete und wandte den Blick ab, aber er öffnete ihr bereits die Tür, nachdem er Rosa auf den Rücksitz gesetzt hatte.
„Wie lief es mit Rosa?“
Izzy zögerte. Dann setzte sie sich auf den Beifahrersitz und wartete, dass er den Motor anließ, bevor sie sprach.
Auf der Rückfahrt zu seiner Villa hielten sie eine Art Waffenruhe ein. Izzy erzählte ihm, wie sie mit Rosa gemalt hatte und die Kleine anschließend auf ihrem Schoß eingeschlafen war. Als sie im Haus angekommen waren, erschien es ihr wie ein unnötiger Kraftakt, sofort wieder zu gehen und das angebotene Essen abzulehnen. Sie war müde und hungrig. Vielleicht wäre er nun, da sie ihm diesen Gefallen getan hatte, eher dazu bereit, sie anzuhören und ihren Standpunkt bezüglich Evelyn zu verstehen.
Sie würde sich weder mit dem Mann anfreunden noch sich von ihm umstimmen lassen, nur weil sie eine Seite an ihm gesehen hatte, die nicht vollkommen verwerflich war.
Sie wartete am Küchentisch und erstarrte gegen ihren Willen, als er wieder hereinschlenderte. Er begann, den Kühlschrank und die Schränke zu durchwühlen, um wahllos Lebensmittel herauszuholen. Auf der Arbeitsoberfläche stapelten sich Brot, Käse, Tomaten und verschiedene andere Dinge in Plastikbechern.
Kennt er sich in seiner eigenen Küche überhaupt aus, fragte sich Izzy, während er weiter Schubladen öffnete, bis er Besteck und zwei Weingläser fand.
„Nein, danke.“ Sie bedeckte das Glas mit der Hand. „Ich kann wirklich nicht lange bleiben.“
Gabriel zuckte mit den Schultern und begann, das Brot in ungleichmäßige Scheiben zu schneiden.
„Möchten Sie auch etwas, oder wollen Sie einfach nur so schnell wie möglich wieder weg, trotz des Hungers?“
„Ich bin nur mitgekommen, weil Sie wissen wollten, wie es Rosa geht, Mr. Ricci. Es erschien mir nur fair, Ihnen zu sagen, dass alles gut gelaufen ist. Meine Einstellung zu Ihnen hat sich aber nicht verändert. Ich will Sie weiter davon überzeugen, dass Ihr Vorhaben mit Evelyn eine schreckliche Idee ist.“
„Sie haben meine Tochter kennengelernt. Ich denke, wir können auf die Förmlichkeiten verzichten. Ich heiße Gabriel.“
„Izzy“, erwiderte sie.
„Rosa mag dich. Als ich sie ins Bett gebracht habe, war sie lange genug wach, um mir das zu sagen.“
Ihr war unwohl zumute, denn sie wollte sich nicht auf zwangloses Geplauder einlassen, doch er stürzte sich nur so auf das Essen und lenkte das Gespräch vom Cottage weg.
„Sie ist wirklich sehr süß.“
„Ich bin mir nicht sicher, ob Bella dir zustimmen würde“, sagte Gabriel ironisch. „Aber um fair zu sein, hat sie ihrem Kindermädchen das Leben nicht gerade leicht gemacht. Spring über deinen Schatten und iss etwas, Izzy. Es ist nicht viel, aber du bist bestimmt am Verhungern.“
„Danke, mir geht’s gut, Mr. … Gabriel. Ich möchte nur nicht, dass der Eindruck entsteht, als wäre alles in Ordnung, als wäre der Grund für mein Kommen wegen der Sache mit der Nanny vergessen. Du sollst nicht denken, dass ich wegen deinen Drohungen einknicken werde.“
„Man sollte sich gut überlegen, wann es Sinn macht, zu kämpfen, und wann nicht“, erwiderte er leise und sah sie an. „Diesen Kampf wirst du nicht gewinnen.“ Er deutete mit dem Kopf zum Essen, doch sie ignorierte ihn. Ihr Taxi würde gleich da sein – sie hatte sich gerade eins bestellt –, aber wohin sollte das alles führen?
„Würdest du wenigstens mal zum Cottage kommen?“, fragte sie. Wenn Evelyn standhaft blieb und Izzy kein neues Treffen mit ihm vereinbarte, würde er die ältere Frau im nächsten Schreiben wahrscheinlich darüber informieren, dass er mit dem Kauf der restlichen Ländereien rund um das Cottage begonnen hatte und sie bald mit Bauarbeiten rechnen mussten.
„Warum sollte ich?“ Sie sahen sich an. Hellblau traf auf Pechschwarz. Wieder spürte sie ein Kribbeln, einen Hauch von Gefahr, der nichts mehr mit dem Cottage und seinen subtilen Drohungen zu tun hatte. Er verwirrte und erschütterte sie, denn sie konnte seine Anwesenheit förmlich spüren. Als sein Blick auf ihr ruhte, stieg viel mehr als nur Wut in ihr auf. Sie fühlte sich … verunsichert, als würde ein Teil von ihr die merkwürdigen, unbegreiflichen Empfindungen genießen, die er tief in ihr auslöste.
Sie hasste es, dass er sie auf körperlicher Ebene so durcheinanderbrachte, denn es lenkte sie auch von ihrem eigentlichen Anliegen ab.
„Wenn du Evelyn kennenlernst, wirst du vielleicht …“
„Das hätte ich ja …“ Er lehnte sich zurück und sah sie kühl an. „Wenn du nicht beschlossen hättest, ihr zu Hilfe zu eilen und sie zu vertreten. In welcher Beziehung stehst du eigentlich zu ihr? Ich glaube, das hast du noch nicht gesagt.“
„Ich glaub schon“, antwortete Izzy. „Ich bin eine Freundin.“ Sollte sie ihm von ihrer Verbindung zu seinem Haus erzählen? Was hätte das für einen Sinn? Es war nicht so, als hätte das Haus irgendetwas in ihr wachgerufen. Abgesehen von der Tatsache, dass ihre Mutter hier aufgewachsen war, hätte es irgendein x-beliebiges Herrenhaus sein können. Zu viel hatte sich verändert, seit ihre Mutter jene alten Fotos vor all den Jahren aufgenommen hatte.
Wohingegen das Cottage – und Evelyn – Gefühle in ihr weckten, die sie in die Vergangenheit zurückversetzten und ihr halfen, sich an ihre Mutter zu erinnern. Wollte sie es aus diesem Grund beschützen und verhindern, dass es verändert wurde und fremde Menschen darin einzogen? Wahrscheinlich würde Gabriel es ohnehin dem Erdboden gleichmachen und durch etwas Kaltes, Nichtssagendes und Funktionales ersetzen.
„Du bist hier im Urlaub …“
Er legte den Kopf schief. Seine Miene war träge, scharfsinnig und berechnend zugleich. „Weit weg von zu Hause, deinem Akzent nach zu urteilen. Da du immer wieder davon anfängst: Hast du dich aus heiterem Himmel dazu entschlossen, Miss Scott einen Besuch abzustatten?“
Sie holte tief Luft. „Wozu all die Fragen? Es spielt doch keine Rolle, warum ich hier bin, oder?“ Sie hielt inne. „Ich wäre dir sehr dankbar, wenn du zum Cottage kommen und Evelyn kennenlernen würdest“, sagte sie leise. „Vielleicht änderst du dann deine Meinung.“
Gabriel zog die Augenbrauen hoch. „Ich kann dir versichern, Izzy, ich ändere nie meine Meinung.“
„Das ist nichts, womit man angeben sollte“, murmelte sie.
Sie hatte zu viel Zeit ihres Lebens damit vergeudet, das zu tun, was Max von ihr verlangt hatte: hart zu arbeiten, um gute Noten zu bekommen, ein Studium abzuschließen, das sie kaum interessierte, weil es sinnvoll gewesen war und einen klaren Karriereweg vorgab, alle Komplikationen zu vermeiden, die mit Beziehungen zu Männern einhergingen, weil sie nicht abgelenkt werden durfte. Am Ende war es ihr gelungen, sich über Max’ Ideen für das Hotel hinwegzusetzen und für ihre eigenen einzutreten. Da sie endlich ihre Stimme gefunden hatte, war sie fest entschlossen, sie auch weiter zu benutzen.
Was machte es schon, dass ihr Standpunkt ein wenig wackelig war? Als sie ihrem Bruder gesagt hatte, dass sie mit seinen Visionen nicht einverstanden war, hatte er sie dafür respektiert. „Es geschehen noch Zeichen und Wunder“, hatte er sogar gesagt, was ihr viel Aufwind gegeben hatte.
Jetzt zog sie daraus den Mut, nicht vor einem Mann zurückzuweichen, der zweifelsfrei daran gewöhnt war, seinen Willen zu bekommen.
„Wie bitte?“
„Ich sagte …“, Izzy sah ihn herausfordernd an, „dass es nicht cool ist, so unflexibel zu sein.“
Gabriel traute seinen Ohren nicht.
Er war erschöpft nach dem langen Tag. Er hatte alles in seiner Macht Stehende getan, um für Bella die bestmögliche medizinische Versorgung sicherzustellen. Wie er vermutet hatte, war es ein Blinddarmdurchbruch und es würde mindestens eine Woche – wenn nicht länger – dauern, bis sie wieder gesund war.
Er hatte Bianca angerufen, um ihr die Situation zu erklären, jedoch zu seiner Überraschung festgestellt, dass sie in die Villa in der Toskana gereist war. Natürlich hatte Bianca nichts als Schadenfreude dafür übriggehabt, dass er ohne Kindermädchen dastand. Sie hatte über den schlechten Gesundheitszustand ihrer Mutter geklagt und ihm erklärt, wie sehr man sie in der Toskana brauche. Aber vielleicht, hatte sie in spitzem Ton fallen lassen, täte es ihm ganz gut, zur Abwechslung einmal allein mit Rosa zu sein und seine ach so wichtige Arbeit hintanzustellen.
Das Letzte, was er brauchte, war dieses Gespräch mit Izzy. Die Tatsache, dass er die eigensinnige, kleine Blondine vor ihm nicht ansehen konnte, ohne von seinen körperlichen Reaktionen übermannt zu werden, war ein äußerst irritierendes Gefühl, eine Ablenkung, auf die er gut und gern verzichten konnte.
Und doch …
Sie hatte etwas an sich, das ihn zögern ließ, obwohl er noch nie eine Frau kennengelernt hatte, die so streitlustig war und ihm dabei so auf die Nerven ging.
„Glaubst du wirklich, dass du mich mit Beleidigungen dazu bringen kannst, dir in dieser Sache entgegenzukommen?“, fragte Gabriel. Er schob den Teller zur Seite, rückte seinen Stuhl vom Tisch weg und stützte sich darauf ab, um seine Beine auszustrecken.
Bei jeder noch so kleinen Bewegung konnte sie nicht anders, als ihn anzusehen.
„Ich wollte dich nicht beleidigen, aber ich denke, es ist gut, wenn man alle Perspektiven in seine Entscheidung einbezieht und … äh … anderen Leuten die Chance gibt, ihre Meinung zu sagen und für ihre Interessen einzutreten. Ich denke …“
Sie schaute sich um, betrachtete die beeindruckenden Gemälde an den Wänden, die hellen, teuren Möbel und den verblichenen, eleganten Perserteppich auf dem Holzboden. „Ich weiß, du hast wahrscheinlich keine Lust auf dieses Gespräch, aber hast du es wirklich nötig, deinen Reichtum zu vergrößern?“
Hinter ihrer Frage steckte echte Neugier, denn trotz ihrer privilegierten Herkunft hatte sie die Geldgier anderer Menschen nie ganz verstanden. Wenn überhaupt, dann brachte ein großes Vermögen seine eigenen Probleme mit sich. Denn woher sollte man als reicher Mensch wissen, ob andere einen wegen des Geldes oder um einen selbst willen mochten?
Vermutlich stammte Gabriel aus einem reichen Elternhaus. Er verhielt sich wie jemand, der in großem Reichtum aufgewachsen war. Er hatte diese Art von Selbstvertrauen, diese Überheblichkeit von jemandem, der annahm, dass die Leute nach seiner Pfeife tanzten, was für einen reichen Hintergrund sprach.
Für Izzy war das abschreckend.
Gabriel sagte erstaunt: „Willst du mir eine Moralpredigt darüber halten, wie ich mein Leben zu führen habe? Es stimmt, ich habe keine Lust auf dieses Gespräch.“
Izzy beschloss, seine letzten Worte zu ignorieren. „Für jemandem mit reichen Eltern ist es wahrscheinlich nur schwer nachvollziehbar, wie die Menschen fühlen und denken, die nicht so aufgewachsen sind.“ Nachdenklich blickte sie in die Ferne. Dann schaute sie stirnrunzelnd auf ihr Handy, denn das Taxi brauchte länger als erwartet.
„Du bist ganz schön anstrengend“, erwiderte Gabriel zähneknirschend.
Izzy wollte gerade erwidern, dass er nicht weniger anstrengend war, wurde dann jedoch knallrot, denn seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen schien er genau zu wissen, was ihr durch den Kopf ging.
Ihr Telefon summte. Das Taxi war endlich da. Sie sprang auf, erleichtert, dass sie gehen konnte. Sie müsste noch einmal darüber nachdenken, wie sie ihr Anliegen am besten vortragen konnte, denn der Mann war starrköpfig.
Alle ihre Hoffnungen waren zerschlagen. Wenn sie ihn nicht davon überzeugen konnte, sich selbst ein Bild davon zu machen, welche Konsequenzen sein Handeln für Evelyn hätte, dann müsste sie der Nanny ihrer Mum dabei helfen, sich in ihrem Alter an ein neues Leben zu gewöhnen.
Als er sie zur Tür begleitete, war sie sich seiner Nähe nur allzu bewusst. Er hatte eine kraftvoll-männliche Ausstrahlung, bei der sich ihr die Nackenhaare aufstellten und von der sie Gänsehaut bekam. Er sieht gut aus, dachte sie, aber das ist es nicht. So oberflächlich war sie nicht. Jefferson hatte auch gut ausgesehen, auf seine Weise: blond, grüne Augen, Surfer-Typ. Am meisten hatte sie jedoch seine witzige, freigeistige Art angezogen.
In der Nähe dieses Mannes erschauerte sie, weil er etwas Gefährliches ausstrahlte. So würde es jedem gehen. Eine Armee auf dem Vormarsch würde bei seinem Anblick wie angewurzelt stehen bleiben. Die Tatsache, dass er umwerfend gut aussah, spielte nur eine untergeordnete Rolle.
„Wie lange hast du vor, in der Gegend zu bleiben?“
Der tiefe Klang seiner Stimme riss sie aus ihren fiebrigen Gedanken. Mit gesenkten Wimpern, sah sie ihn von der Seite an.
„Ich hatte vor, zu bleiben … Die Sache zu Ende zu bringen … Evelyn zu helfen …“
„Hast du keinen Job, zu dem du zurück musst? Eine Familie? Eine bessere Hälfte?“
„Ich …“ Sie starrte ihn an. Aus seinem Mund klang es so, als wäre ihr Leben kahl und leer. Wie er da stand, an die Tür gelehnt, und sie träge beobachtete … Sie war zwar erst zweiundzwanzig, aber ihr war durchaus bewusst, dass sie wenige Freunde hatte und definitiv keine bessere Hälfte. Bis auf Jefferson hatte es nie jemanden von Bedeutung gegeben, nicht einmal eine erste Teenie-Liebe. Sie hatte sich auf die Beziehung mit Jefferson gestürzt, berauscht von einem Gefühl der Freiheit und der Idee, endlich verliebt zu sein. Doch jetzt stand sie hier und war immer noch Jungfrau, weil einfach gar nichts funktioniert hatte. Tief in ihrem Inneren fragte sie sich, ob es je mit irgendwem funktionieren würde. Wer wusste das schon? Sie war sich nur einer Sache sicher: dass Jefferson ihr Zweifel in den Kopf gesetzt hatte, die vorher nicht da gewesen waren.
„Mein Taxi ist da“, sagte sie kühl.
„Das kann warten.“
„Echt jetzt?“