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MEIN GELIEBTER, MEIN PRINZ von KENDRICK, SHARON Nico, Prinz von Mardivino, verliebt sich auf den ersten Blick in die hinreißende Engländerin Ella. Ein Urlaubsflirt - mehr darf es nicht sein! Immer wieder zögert er, ihr die Wahrheit zu gestehen: Er muss in seine Heimat zurückkehren, um zu heiraten … PLÖTZLICH WIRD EIN MÄRCHEN WAHR von LEE, MIRANDA Als Holly den vermögenden Richard Crawford kennenlernt, wird ein Märchen wahr! Der Multimillionär verwöhnt sie mit teuren Geschenken. Doch am meisten genießt Holly seine zärtlichen Küsse. Bis sie etwas Unfassbares erfährt … WO TAUSEND STERNE FUNKELN von DARCY, EMMA Auf einer abenteuerlichen Expedition im heißen Marokko findet Amanda die Liebe: In einer Nacht unter tausend Sternen zieht Ben Hasan sie leidenschaftlich in die Arme. Sie ahnt nicht, wer ihr geheimnisvoller Begleiter wirklich ist!
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Seitenzahl: 583
Sharon Kendrick, Miranda Lee, Emma Darcy
JULIA GOLD BAND 85
IMPRESSUM
JULIA GOLD erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
Neuauflage by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg, in der Reihe: JULIA GOLD, Band 85 – 2019
© 2004 by Sharon Kendrick Originaltitel: „The Mediterranean Prince’s Passion“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Dr. Susanne Hartmann Deutsche Erstausgabe 2007 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe JULIA, Band 1750
© 2005 by Miranda Lee Originaltitel: „Bought: One Bride“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Irmgard Sander Deutsche Erstausgabe 2006 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe JULIA, Band 1713
© 1995 by Emma Darcy Originaltitel: „Climax of Passion“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Charlotte Braun Deutsche Erstausgabe 1997 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe JULIA EXTRA, Band 136
Abbildungen: Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 03/2019 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733713133
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY
Ein strahlendes Weiß hob sich gegen das endlose Saphirblau ab. Die Sonne blendete sie jedoch zu sehr, als dass Ella irgendetwas deutlich hätte erkennen können. Das grelle Licht tat weh, und sie schloss die Augen. Vielleicht hatte sie es sich nur eingebildet. Wie bei jemandem in der Wüste, der halluzinierte und eine Oase sah, hatte möglicherweise nur ihre Vorstellungskraft ein Bild auf die Wasseroberfläche gezaubert. Noch ein weiteres Lebenszeichen neben den Vögeln, die am Himmel kreisten, der so tiefblau war wie das Meer.
„Mark.“ Heiser brachte sie den ungewohnten Namen über die völlig ausgetrockneten Lippen. „Mark, bist du da?“ Ella dachte angestrengt nach, bis ihr einer der Frauennamen einfiel. „Helen?“
Niemand antwortete, was wohl nicht weiter erstaunlich war, weil das Wummern lauter Musik unter Deck ihre geflüsterten Worte übertönte. Ella stöhnte verzweifelt auf. Wie lange? Seit wann hatte sie nichts mehr getrunken? Sie wusste, dass sie nach unten gehen und sich eine Flasche Wasser holen sollte, aber die Beine waren ihr bleischwer geworden. Mühsam hob Ella die Hand und versuchte vergeblich, sich das Haar aus dem Gesicht zu schieben, dann ließ sie die Hand wieder sinken.
Sie würde sterben. Ella spürte, wie ihr die Kräfte schwanden. In den Ohren rauschte es, und ihr Herz schlug viel zu schnell. Ihre Haut fühlte sich glühend heiß an, sie brannte … brannte … brannte …
Unter Deck lockte die kühle, schattige Kabine. Und dennoch hatte Ella dem Verlangen, der Sonne zu entkommen, die ganze Zeit über instinktiv nicht nachgegeben. Dort unten herrschte Chaos, und es gab keine Fluchtmöglichkeit. Hier oben an Deck bestand zumindest die Chance, dass jemand sie sah.
Das schwarze Haar vom sanften Wind zerzaust, der kräftige Körper völlig entspannt, blickte Nico aufs Meer und kniff plötzlich die Augen zusammen, als am Horizont irgendetwas aufblitzte.
Ein Boot? Wo keins sein sollte? Hier im Naturschutzgebiet vor der Nordküste von Mardivino? Gangster, die illegal in das Steuerparadies einreisen wollten, das die Superreichen so eifersüchtig hüteten? Oder versuchten Paparazzi auf die Insel zu kommen? Nicos Miene verfinsterte sich. Wo, zum Teufel, blieb die Küstenwache, wenn man sie brauchte?
Gleichzeitig ließ Nicos Abenteuerlust seinen Puls rasen vor Begeisterung. Die mögliche Gefahr ignorierend, sie fast genießend, gab Nico Gas, und der Jetski raste in einer Gischtwolke auf das Boot zu.
Als er näher kam, sah er an Deck eine Gestalt liegen. Er hielt den Jetski längsseits und erkannte, dass es eine Frau war, die sich anscheinend sonnte. Rötlich braunes Haar. Schlank und geschmeidig, mit den straffen, üppigen Rundungen der Jugend. In genau zwei Sekunden schätzte er ab, ob es eine Falle und die Frau der Lockvogel war. Diese uralte Methode kannte Nico von früher.
Die Frau sonnte sich nicht. Irgendetwas stimmte nicht mit ihr. Das erkannte er daran, wie zusammengekrümmt und reglos sie dalag.
Schnell machte er den Jetski fest und sprang an Bord. Einen Moment lang ließ er wachsam den Blick über das Deck gleiten und horchte angespannt. Er hörte das Wummern von Discomusik, aber anscheinend war die Frau allein an Deck.
Mit wenigen Schritten hatte Nico sie erreicht. Er beugte sich über sie, drehte sie auf den Rücken und unterdrückte eine spontane Reaktion darauf, wie sich ihre herrlichen Brüste unter dem knappen jadegrünen Bikinioberteil hoben und senkten.
Sie war krank.
Abschätzend sah er sie an. Sie atmete schnell und flach, die Augen hielt sie geschlossen, und ihre Haut war stark gerötet. Nico legte der Fremden die Hand auf die Stirn. Glühend heiß. Fieber. Wahrscheinlich Sonnenstich. Er schüttelte die junge Frau.
„Svegliti!“, befahl er, doch sie reagierte nicht. Also probierte er es auf Französisch: „Reveillez-vous!“ Und schließlich, lauter, auf Spanisch: „Despiértate!“
Durch den Traumnebel, der sie immer tiefer in die Bewusstlosigkeit zog, hörte Ella eine Stimme, die sie zurück an die Oberfläche drängte, zurück ans Licht. Aber das Licht tat ihren Augen weh, deshalb wollte sie da nicht hin.
„Wachen Sie auf!“
Ella öffnete die Augen. Ein Gesicht ragte über ihr, ein markantes, gut aussehendes Gesicht. Ein dunkelhaariger Engel. Sie musste tatsächlich träumen. Oder sie starb gerade.
„Oh nein!“, rief Nico und hob sie in die Arme. „Sie werden nicht wieder einschlafen! Hören Sie mich? Wachen Sie auf. Jetzt sofort. Ich verlange es!“
Die Stimme klang zu gebieterisch, als dass Ella sie hätte ignorieren können. Doch sie schaffte es nicht länger, Widerstand gegen das hohe Fieber zu leisten. „Gehen Sie weg“, murmelte sie und empfand nacktes Entsetzen, sobald der Mann sie wieder auf den Boden legte und genau das tat: Ihr vermeintlicher Retter ließ sie allein zurück. Sie stieß ein leises Wimmern aus.
Nico ging unter Deck, und der Krach traf ihn wie ein Schlag. Einen Moment lang stand er nur da und nahm die dekadente Szene in sich auf.
Er zählte fünf Leute, drei Männer und zwei Frauen, die alle sternhagelvoll waren. Eine der Frauen lag, oben ohne und schnarchend, auf dem Boden, während sich die andere wie eine schlechte Striptänzerin vor einem Betrunkenen drehte.
Nur einer der Männer bemerkte Nico. Er hob eine halb leere Flasche Scotch und nuschelte: „He! Wer sind Sie denn?“
Nico warf ihm einen wütenden Blick zu. „Sind Sie sich darüber im Klaren, dass Sie sich widerrechtlich hier aufhalten?“, fragte er scharf.
„Nein, Kumpel, ich glaube, dass Sie das tun. Ich habe mich für diese Yacht dumm und dämlich gezahlt, und …“, er zeigte nach oben, „… das Meer ist für alle da.“
„Hier nicht. Sie befinden sich in einer Sperrzone.“ Nico machte auf dem Absatz kehrt, ging zurück an Deck und nahm das Handy, das er beim Jetskifahren stets an einer Kette um den Hals trug. Nico tippte eine Nummer ein, die nur sehr wenigen Leuten bekannt war und ihn direkt mit dem Polizeichef verband. „Pronto? Si. Nicolo.“ Schnell erklärte er auf Italienisch, was er entdeckt hatte.
Ein kurzes Schweigen folgte.
„Möchten Sie, dass wir sie festnehmen, Prinz Nicolo?“, fragte der Polizeichef ruhig.
„Ja. Warum nicht? Nach einer Nacht in der Ausnüchterungszelle bringen sie hoffentlich nie wieder sich und andere in Gefahr.“ Nico schaltete das Handy aus und blickte nachdenklich auf die junge Frau. Sie war nicht betrunken, sondern krank.
Er bückte sich und berührte sie an der Schulter. Die Frau schlug die Augen auf, die grün wie Frühlingsgras waren, und sah ihn verwirrt an.
Obwohl durch die gefährlich gestiegene Körpertemperatur desorientiert und der Bewusstlosigkeit nahe, erkannte Ella seine Kraft, sah einen Fels in der Brandung vor sich, einen sicheren Zufluchtsort und ihren einzigen Ausweg. „Lassen Sie mich nicht allein“, flüsterte sie.
Ihr flehender, verzweifelter Ton ließ Nico einen Moment lang bewegungslos verharren. Die Bitte war überflüssig, weil er seine Entscheidung schon getroffen hatte. „Ich habe nicht die Absicht, Sie hier zurückzulassen“, sagte er kurz angebunden und hob die Frau hoch, bevor sie protestieren konnte.
Nachdem sie ihm die Arme um den Nacken gelegt hatte, sackte sie auch schon in sich zusammen und sank schwer an Nicos Brust. Er umfasste sie fester und schaffte sie vorsichtig auf den Jetski. Die meisten Männer wären mit einer bewusstlosen Frau nur schwer fertig geworden. Nico hingegen liebte Herausforderungen – sie gehörten zu den wenigen Dingen im Leben, die ihn mit Energie erfüllten und in Hochstimmung versetzen konnten. Ein Lächeln umspielte seinen Mund, als er auf die Küste zuraste.
Ständig suchte er neuen Nervenkitzel, und er probierte immer alles aus, was Spannung und Aufregung versprach. Aber eine Frau in Not zu retten, das hatte Nico wirklich noch nie gemacht.
Herrlich kühles Wasser benetzte ihre Wangen, und Ella seufzte leise. „Hm, das ist schön!“
„Trinken Sie das!“
Wieder die tiefe Stimme, die einfach nicht weggehen wollte. Die Stimme, die kein Nein als Antwort akzeptierte und Ella ärgerlich oft ins Bewusstsein drang. Eine herrische, fremde, aber auch unwiderstehliche Stimme.
Gehorsam ließ Ella sich die kühle Flüssigkeit aus der Tasse, die ihr angeboten wurde, in den Mund laufen. Nur trank Ella diesmal begieriger als zuvor, sodass ihr das Wasser übers Kinn lief und sie aus der Verwirrtheit aufschreckte, die sie umhüllte.
„Schon besser. Trinken Sie noch mehr, und dann machen Sie die Augen auf.“
Ella tat, was ihr gesagt wurde, nur brachte sie das noch mehr durcheinander. Weil vor ihr ein Mann stand, den sie nicht kannte.
Oder doch?
Blinzelnd betrachtete sie sein Gesicht, und etwas höchst Seltsames passierte mit ihrem ohnehin schon unregelmäßigen Herzschlag. Denn der Mann war … absolut sensationell.
Die scharf geschnittenen Gesichtszüge ließen ihn hart, eigensinnig und arrogant aussehen, aber der sinnliche Mund schwächte diesen Eindruck ab. Dunkle Augen wurden von dichten schwarzen Wimpern umrahmt; sein Haar war schwarz, wellig und ein bisschen zu lang. Er wirkte stark und mächtig, vertraut und dennoch fremd. Seine Haut war gebräunt und hatte einen goldenen Schimmer. Jetzt erkannte Ella das Gesicht wieder, in das sie, fiebernd und desorientiert, geblickt hatte. Dieser Mann hatte ihr gut zugeredet und sie gekühlt. Ein dunkler Engel. Ein Schutzengel.
Also hatte sie keineswegs geträumt. Gestorben war sie anscheinend auch nicht.
Noch immer verwirrt blinzelnd, sah sie sich um. Sie befand sich in einem sehr einfachen Raum, der nur einen kleinen Holztisch und zwei alte Sessel enthielt. Wände und Fußboden waren aus Holz, und Ella hörte Meeresrauschen. Ein kleines Fenster ließ nur wenig Licht herein, dadurch war es angenehm kühl im Raum. Sie lag auf einem niedrigen Bett unter einem kratzigen Ding, das ihr für ein Laken zu dick und für eine Wolldecke zu dünn erschien. Langsam ließ Ella die Hand unter das Tuch gleiten.
Sie trug ein übergroßes T-Shirt und nichts darunter!
Der letzte Rest ihrer Lethargie verschwand schlagartig. Die Tagesdecke umklammernd, setzte Ella sich auf und blickte den Mann starr an, der vor ihr aufragte, seine Miene verschlossen und wachsam. Wer war er, und warum befand sie sich hier?
„Würden Sie mir bitte mal erklären, was, zum Teufel, hier eigentlich vor sich geht?“, fragte sie atemlos.
„Ich denke …“, er beobachtete sie aufmerksam, wie ein Jäger seine Beute fest im Blick behält, „… das sollte ich Sie fragen.“
Ihr Herz hämmerte. Er sprach Englisch mit einem leichten Akzent, seine Stimme klang sanft und sonor. Und anklagend. Wenn hier irgendwelche Beschuldigungen zu erheben waren, dann war doch wohl sie diejenige … Ella tastete unter der Tagesdecke ihren Körper ab, wie um zu überprüfen, ob alles heil war.
„Keine Sorge“, sagte Nico spöttisch. „Ihre Tugend ist unversehrt. Oder zumindest so unversehrt, wie sie war, als Sie hier angekommen sind.“ Nur der Himmel weiß, was ihr mit den Betrunkenen auf der Yacht vielleicht noch bevorgestanden hätte, überlegte Nico.
Ella versuchte, ihr störrisches Gedächtnis in Schwung zu bringen, hatte jedoch das seltsame Gefühl, dass ihr Hirn in Watte gehüllt war. Eine innere Stimme sagte Ella, dass sie dem Mann dankbar sein sollte. Allerdings war Dankbarkeit nicht das, was sie im Moment empfand: Seine geheimnisvolle, faszinierende Männlichkeit machte Ella plötzlich furchtbar schüchtern. „Was ist passiert?“
„Sie sind krank gewesen“, erklärte er, während seine Augen vor Argwohn funkelten.
Erneut blickte sich Ella im Raum um. Nichts daran war steril. In einem Krankenhaus lag sie jedenfalls nicht. Sie entdeckte Sand auf den Dielen, und in einer Ecke lag ein Kälteschutzanzug, wie ihn Taucher benutzten. Allmählich verflüchtigte sich Ellas Benommenheit. „Wo bin ich?“
„Ah! Endlich! Bei Ihnen dauert es ja ziemlich lange, bis Sie die traditionelle Frage stellen.“ Nico zog spöttisch die Augenbrauen hoch und sah Ella durchdringend an.
„Ich frage jetzt.“
So eine Antwort war er nicht gewohnt. „Sie wissen es nicht?“
„Wenn ich es wüsste, würde ich ja wohl nicht fragen.“
Es sei denn, sie hat einen ganz besonderen Plan, dachte Nico. Das konnte er erst herausfinden, wenn sie sich völlig erholt hatte. Wenn sie nicht mehr …
Hastig wandte er den Blick von ihren festen Brüsten ab, die sich unter dem T-Shirt abzeichneten und eine Versuchung darstellten, die sogar einen tugendhaften und asketischen Mann überfordert hätte – Nico war weder das eine noch das andere.
Stundenlang hatte sie sich im Fieberwahn hin und her geworfen und geschrien. Mit einem nassen Waschlappen hatte Nico sie abgerieben, ihr Wasser zu trinken gegeben und bis zur Morgendämmerung bei ihr gewacht.
Dass jemand auf ihn angewiesen war, stellte eine völlig neue Erfahrung für ihn dar. Die Hilflosigkeit der unbekannten jungen Frau weckte eine Fürsorglichkeit in ihm, wie er es noch nie vorher erlebt hatte. Bis …
Irgendwann schrie sie plötzlich wieder auf. Und gerade als er tröstliche Worte murmelte und ihr das Haar aus dem Gesicht streichen wollte, setzte sie sich ruckartig auf, sodass die Tagesdecke hinunterrutschte. Sein T-Shirt, das er der unbekannten Schönen übergezogen hatte, verbarg und enthüllte gleichzeitig. Die andeutungsweise darunter sichtbaren herrlichen Brüste boten einen unglaublich hinreißenden Anblick. Nico versuchte wegzurücken. Aber sie hob die Arme und klammerte sich mit der Kraft eines Menschen in Todesangst an ihn. Und dann war sie so nah. Oh … so … nah.
Als sie sich noch fester an ihn schmiegte, war Nico sofort erregt. Die Nerven zum Zerreißen gespannt, sah er ihr in die Augen, diese faszinierenden grünen Augen, aber der Blick der Fremden schien leer zu sein. Wen oder was auch immer sie sah, ihn nahm sie überhaupt nicht wahr.
„Legen Sie sich hin!“, hatte er scharf befohlen, und sie hatte unbewusst geschmollt.
Warum nicht ausnutzen, was so schön angeboten wird?, das hätten sicher manche Männer gedacht. Nico war anders. Selbst wenn es ihn nicht schon gelangweilt hätte, dass sich ihm Frauen immer willig hingegeben hatten. Niemals wäre es für ihn infrage gekommen, eine Frau zu lieben, die nicht wusste, was sie tat. So etwas konnte Nico einfach nicht tolerieren.
Jetzt blickte er sie an und erkannte, dass der fiebrige Glanz aus ihren Augen verschwunden war. Insgeheim triumphierte er darüber, denn er hatte sie betreut, und nun war sie wieder gesund. „Haben Sie Hunger?“
Die Frage lenkte Ella von ihrer außergewöhnlichen Lage ab und veranlasste sie, sich stattdessen auf die Bedürfnisse ihres Körpers zu konzentrieren. Plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie fast umkam vor Hunger! „Ja“, erwiderte sie überrascht.
„Dann müssen Sie etwas essen.“
Als könnte er es kaum erwarten, Abstand zwischen sie beide zu bringen, entfernte er sich von ihr. „Nein! Bleiben Sie hier!“
Nico verharrte und machte ein verwirrtes Gesicht. Wie viele Jahre waren vergangen, seit ihm jemand einen dermaßen unhöflichen kurzen Befehl gegeben hatte? „Was ist?“
„Wie lange bin ich schon hier?“
„Nur einen Tag.“
Nur einen Tag! Ella strengte sich wieder an, einen klaren Kopf zu bekommen, und Erinnerungsfetzen kehrten zurück. Eine Yacht. Ein Yachtausflug mit Leuten, die, wie sich herausstellte, nicht das Geringste über Navigation, Seerecht oder Sicherheit auf See wussten. Die sich irgendwann sinnlos betranken. Ein Mann, der Ella eingeladen hatte und offensichtlich die Meinung vertrat, dass eine Frau für ein Luxuswochenende den „üblichen Preis“, bezahlen sollte.
Ella runzelte die Stirn. Wie war noch gleich sein Name gewesen? Mark! Ja, genau. „Wo ist Mark? Was ist mit ihm passiert?“
Dachte sie an den Typ, als sie sich an ihn geschmiegt hatte? Nico presste die Lippen zusammen. Oder war es für sie ganz normal, freigebig mit ihrem Körper zu sein? „Eigentlich …“, Nico sah auf seine Armbanduhr, „… müsste er in Kürze aus dem Gefängnis entlassen werden.“
„Gefängnis? Wieso das denn?“
„Weil ich die Polizei darüber verständigt habe, dass sie unbefugt in unsere Hoheitsgewässer eingedrungen sind“, erwiderte er kühl.
„Sie haben ihn verhaften lassen?“
„Nicht ihn“, verbesserte Nico. „Sie. Alle.“
Ella musste erst einmal schlucken. Wo war sie eigentlich? Und wer war dieser Mann? „Ist das nicht ziemlich übertrieben?“
„Ach ja? Die Rechtsverletzung einmal beiseite gelassen – finden Sie es akzeptabel, betrunken eine PS-starke Motoryacht zu führen und nicht nur sich selbst, sondern auch andere in Lebensgefahr zu bringen? Und das schließt Sie ein! Was, glauben Sie, wäre passiert, wenn ich nicht an Bord gekommen wäre?“
Die sachlich völlig korrekten Vorwürfe ließen ein Gefühl von Schuld und Verletzlichkeit in Ella aufsteigen. „Hören Sie, ich bin Ihnen wirklich dankbar für alles, was Sie getan haben“, sagte sie mit zitternder Stimme, „aber würden Sie mir bitte erklären, was hier vor sich geht? Ich verstehe nicht …“
Mit einer herrischen Handbewegung brachte er sie zum Schweigen. „Keine Fragen mehr. Nicht jetzt. Später können Sie mich fragen, was immer Sie wollen. Zuerst müssen Sie etwas essen. Sie waren krank, sind noch geschwächt und haben Hunger. Antworten bekommen Sie nach dem Essen.“
Ella wollte protestieren. Doch sie unterließ es, weil sie einsah, dass sie dazu nicht in der Lage wäre. Und selbst wenn Ella sich in einer besseren Position befunden hätte, ihr fehlte schlicht die Kraft. Er hatte recht. Sie fühlte sich noch ganz schwach.
Andererseits konnte niemand von ihr erwarten, dass sie einfach liegen blieb, während ihr der gut aussehende überlegene Fremde sagte, was sie tun durfte und was nicht. Und welche Alternative könnte sie wählen? Aufstehen, obwohl sie sich in seinem T-Shirt seltsam nackt vorkam?
Nico erkannte die Verwundbarkeit in ihrem Blick, die Ella daran hinderte, Einwände zu erheben. Nur musste Nico sich diesmal zwingen, darauf zu reagieren. Vorher war es leicht gewesen. Solange sie ihn im Fieber um etwas bat, hatte er sie so sanft anfassen können, wie er es mit einem Kind getan hätte. Jetzt, da sie wach war, ging das nicht mehr so ohne Weiteres. Weil er vor sich die bildschöne Frau sah und kein Kind.
Ohne sich bewusst dazu zu entscheiden, baute Nico wieder die gewohnten emotionalen Schranken auf, mit denen er sich ständig umgab.
„Möchten Sie sich vielleicht waschen?“
„Ja, bitte.“ Ella bemerkte, dass seine Stimme kühl geworden war.
Er zeigte auf einen Vorhang auf der anderen Seite des schmucklosen Raums. „Dahinter finden Sie ein einfaches Bad.“ Von einem Wandregal zog Nico ein frisches T-Shirt und warf es auf die Bettcouch. „Sie sollten das hier nehmen. Ihre ganzen Sachen sind noch auf dem Boot, und Ihr Bikini hängt draußen. Ich habe ihn gewaschen“, erklärte er und nahm mit Belustigung ihr kaum verhohlenes Entsetzen wahr. Hatte die schöne Fremde Angst, er würde erwarten, dass sie sich vor ihm umzog? Dann erinnerte sie sich offensichtlich nicht daran, wie das T-Shirt hochgerutscht war, während sie sich hin und her geworfen hatte. Wie er es als perfekter Gentleman wieder heruntergezerrt hatte. „Sie brauchen keine Hemmungen zu haben – ich bin draußen.“
Keine Hemmungen! Ella beobachtete, wie er hinausging. Dabei erhaschte sie durch eine zweite, genau gegenüberliegende offene Tür einen flüchtigen Blick auf ein strahlendes Blau und hörte das Rauschen der Wellen.
Anscheinend befand sie sich in irgendeiner Strandhütte. Aber wo genau?
Wie gebannt die geschlossene Tür betrachtend, dachte Ella einen Moment lang daran, hinter ihm herzulaufen und einige Antworten zu verlangen. Nur fühlte sie sich zu schwach, um irgendwohin zu laufen. Außerdem fühlte sich ihre Haut klebrig und sandig an. Sicherlich würde sie viel selbstbewusster und energischer Erklärungen fordern, nachdem sie sich gewaschen und das saubere T-Shirt übergestreift hatte.
Noch nie war Ella die Aussicht zu duschen so verlockend erschienen – der Anblick, der Ella hinter dem Vorhang erwartete, war allerdings nicht gerade vertrauenerweckend. Das „Badezimmer“ verfügte über ein kleines Steinwaschbecken, eine Toilette und eine altertümlich aussehende Dusche. Das Wasser strömte nicht, es tröpfelte, war jedoch immerhin halbwegs warm. Seife und Shampoo stachen in diesem spartanischen Rahmen als erstaunlich luxuriöse Marken hervor.
Einfach mochte die Ausstattung sein, trotzdem hatte Ella eine Dusche noch nie so genossen oder zu schätzen gewusst. Nachdem sie sich all das Salz von der Haut und aus den Haaren gewaschen hatte, rubbelte Ella sich kräftig trocken und schlüpfte in das saubere T-Shirt, das zum Glück – weil sein Besitzer so groß war – die Oberschenkel zumindest teilweise bedeckte. Nicht, dass sie sich anständig angezogen fühlte, aber es war besser als nichts.
Er stand in dem vorderen Raum an einem kleinen Holztisch und füllte irgendein ihr unbekanntes Gericht auf zwei Teller. Es roch so gut, dass ihr leerer Magen vor Hunger zu schmerzen begann. Die Tür stand noch immer offen, und Ella entdeckte, warum das Rauschen der Wellen derart laut war: Ihr bot sich die schönste Aussicht aufs Meer, die sie jemals gesehen hatte.
Saphirblaue Wellen mit weißem Kamm rollten auf den feinen mit Muscheln übersäten Sand. Funkelnd und glitzernd tanzte die Sonne auf dem Wasser, und das Licht durchflutete den Raum. Plötzlich jedoch schien die Umgebung zu flimmern und zu schwinden, denn Ella sah nur noch den breitschultrigen muskulösen Mann, dessen Silhouette sich gegen den strahlenden Hintergrund abhob.
Jetzt, da sie wieder auf den Beinen war, zeigte sich erst richtig, dass er sie überragte. Er beherrschte den kleinen Raum, sodass alles andere zu schrumpfen schien. Sein schwarzes Haar war zerzaust und wellte sich im Nacken. Dann sah der Mann auf und musterte Ella langsam von oben bis unten. Ihr war, als würde ihrem Herzen ein Stromstoß versetzt.
„Mein T-Shirt steht Ihnen.“
Das war ja eine durchaus harmlose Bemerkung. Seltsam, dass irgendetwas daran, wie er es sagte, Ella als Frau ansprach. Sie spürte den zarten Schmerz sehnsüchtigen Verlangens. So stark hatte sie noch nie auf einen Mann reagiert.
Unsicher, wie sie mit der Situation umgehen sollte, stellte sich Ella an die offene Tür. Schweigend atmete Ella die frische, salzige Luft ein und blickte aufs Wasser.
„Schön, nicht wahr?“, hörte sie seine Stimme dicht hinter ihr.
Bevor sie sich umdrehte, setzte sie eine unschuldige Miene auf. „Ja, es ist unglaublich.“ Er war es auch. Oh, er war so toll! „Das … das riecht gut“, meinte Ella, um sich abzulenken.
„Hm.“ Nico hatte das Verlangen in ihrem Blick bemerkt und spürte, wie es ihn erregte. „Kommen Sie, und essen Sie“, forderte er sie gespielt gelassen auf. „Wir könnten unsere Teller mit nach draußen nehmen. Aber ich denke, Sie brauchen eine Pause von der Sonne. Deshalb setzen wir uns an den Tisch und betrachten von dort aus die Aussicht.“
Ella rührte sich nicht. „Sie haben gesagt, Sie würden meine Fragen beantworten, und ich hätte gern einige Erklärungen. Jetzt, bitte.“
Alles Neue reizte Nico. Und es kam nur sehr selten vor, dass jemand ohne Ehrerbietung mit ihm sprach. „Fragen und Antworten können warten, cara, Ihr Hunger nicht.“
Seine Worte klangen freundlich, Ella überhörte jedoch den stahlharten Unterton nicht. Als wäre der Mann es gewohnt, Befehle zu erteilen, und würde eine Missachtung seiner Anweisungen nicht dulden. Als der Duft des Essens in ihre Richtung zog, lief Ella das Wasser im Mund zusammen. Vielleicht hatte er recht. Wieder. Sie ging zum Tisch und setzte sich.
„Essen Sie“, kommandierte Nico und stellte fest, dass er es sich hätte sparen können. Denn sie aß bereits mit der Inbrunst der wirklich Hungrigen. Fasziniert beobachtete Nico sie. Auch dieses Verhalten war ihm neu. In seiner Gesellschaft stocherten die Leute eher nur im Essen herum. Bis Nico zu essen anfing, warteten sie gewöhnlich und beendeten die Mahlzeit, wenn er fertig war. Das gehörte zum Protokoll, von dem niemand abweichen durfte. Diese junge Frau nahm hingegen überhaupt keine Notiz von ihm!
Ella aß, ohne aufzusehen, ohne zwischendurch etwas zu sagen. Noch nie hatte sie eine Mahlzeit so genossen. Schließlich legte sie die Gabel hin und seufzte zufrieden.
„Gut?“
„Köstlich.“
„Hunger ist der beste Koch.“ Nico zeigte auf das Glas Rotwein, das vor ihr stand.
„Nein, danke.“ Ella trank einen Schluck Wasser, das neben dem Wein serviert worden war. Anschließend lehnte sie sich auf ihrem Stuhl zurück und sah den geheimnisvollen Fremden ruhig an. Seine Augen wirkten so dunkel wie eine mondlose Nacht, und er erwiderte Ellas Blick durchdringend. „Nun geht’s aber los mit den Erklärungen.“
Nico amüsierte sich. Und warum nicht? Er hatte den Retter gespielt, im Gegenzug dafür sollte ihm etwas Spaß vergönnt sein. „Was wollen Sie wissen?“
„Wer sind Sie? Ich weiß nicht einmal Ihren Namen, Mr. …?“
Ein Schweigen folgte, während er über die Frage nachdachte. Die junge Frau hatte durchaus aufrichtig geklungen. Andererseits konnte das angehängte „Mr.“ natürlich auch ein Trick sein, eben damit sie echt klang.
„Ich heiße Nico“, erwiderte er schließlich. Mit zusammengekniffenen Augen beobachtete er die junge Frau aufmerksam, entdeckte jedoch keine Spur von Erkennen in ihrem Blick. „Und Sie?“
„Ich bin Ella.“
Ella. Ja. „Ein hübscher Name.“
„Es ist die Kurzform von Gabriella.“
„Wie der Engel“, sagte Nico leise.
Da war es wieder, dieses gewisse Etwas in seiner Stimme, das seine Worte wie eine Liebkosung klingen ließen und Ella sehr bewusst machten, dass sie eine Frau war. Und er ein Mann. Ein Mann, der sie krank und nackt gesehen hatte. Aber der Engel war er. Ihr Schutzengel.
„Wo bin ich?“, fragte Ella langsam.
Jetzt wurde seine Miene skeptisch. „Sie wissen es wirklich nicht?“
„Wie lange wollen wir mit diesen Ratespielen noch weitermachen?“ Ella seufzte. „Natürlich weiß ich es nicht. Ich war auf einer Yacht, und dann bin ich plötzlich in einer Strandhütte und esse …“ Sie blickte auf ihren Teller. Das Gericht war ihr genauso fremd wie der Mann mit seinem seltsamen Akzent und dem erotischen Blick. „Was habe ich da gerade gegessen?“
„Kaninchen.“
„Kaninchen“, wiederholte sie matt. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie Kaninchen gegessen!
„Sie leben hier wild in den Bergen“, erklärte Nico. Dann, Ella noch immer aufmerksam beobachtend, fügte er hinzu: „Von Mardivino.“
„Das hier ist Mardivino?“
„Ja.“ Ohne sie aus den Augen zu lassen, trank Nico einen Schluck Rotwein. „Sie haben davon gehört?“
Ein weniger berühmtes Fürstentum. Eine sonnendurchflutete Mittelmeerinsel, Steueroase und Zuhause vieler Millionäre aus der ganzen Welt. Exklusiv und sehr, sehr schön. „Ich bin in Geografie ganz fit. Natürlich habe ich schon davon gehört.“
Seine Autorität verschaffte sich wieder Geltung. „Sie haben sich in einer Sperrzone aufgehalten. Auf diese Seite der Insel hätten Sie sich niemals wagen dürfen!“
Ella erinnerte sich, dass Mark und einer von den anderen mit ihren Navigationskünsten geprahlt hatten. Und dann darauf anstoßen wollten. Ella erinnerte sich daran, wie pure Angst sie ergriff. Wie sie stundenlang an Deck gestanden und die Sonne erbarmungslos auf sie hinuntergebrannt hatte. Ihr schauderte. „Aber wir hatten uns wirklich verfahren!“
„Ja.“ Nico glaubte ihr. Vor Mardivinos wilder Nordküste gab es Felsen und starke Fluten, die sogar einen sehr erfahrenen Seemann vor ernste Probleme stellten. Niemand konnte so dumm sein und sich bewusst in die Gefahr begeben, in der Nico sie entdeckt hatte. Durchdringend blickte er Ella an. „Diese Leute, mit denen Sie zusammen waren …“
„Was ist mit ihnen?“
„Ist einer von ihnen vielleicht Journalist?“, fragte Nico betont gleichgültig.
Ella runzelte die Stirn. „Ich kenne sie alle nicht besonders gut. Aber keiner hat etwas in der Richtung gesagt.“ Sie bemerkte, dass Nicos Blick hart und misstrauisch war. „Wie kommen Sie darauf?“
„Nur so“, erwiderte er schnell.
Sie hörte ihm an, dass er auswich. Als würde Ella ihn zum ersten Mal richtig sehen, haftete ihr Blick auf ihm. Nichts passte zusammen. Seine Sachen wirkten einfach, trotzdem war er ein Mann mit aristokratischem Auftreten. An seiner Körperhaltung erkannte Ella etwas, das sie so noch nie gesehen hatte: eine Selbstsicherheit, die eher angeboren als erlernt zu sein schien. Und dennoch trug er verwaschene Jeans und ein abgetragenes T-Shirt … Er hatte sie in diese Strandhütte gebracht, in der die Dusche nur tröpfelte, Seife und Shampoo allerdings zu den edelsten französischen Marken gehörten. Und er hatte sie cara genannt, stimmt’s?
„Sind Sie Italiener?“
Er schüttelte den Kopf.
„Spanier?“
„Nein.“
„Franzose?“
Er lächelte. „Noch immer nein.“
Ihr fielen Worte ein, die er gesagt hatte. „Aber Sie sprechen alle drei Sprachen?“
Wie viel sollte er ihr verraten? Wie lange wollte er mit diesem amüsanten Spiel noch fortfahren? Wie lange konnte er es? „Ja, allerdings.“
„Und Ihr Englisch ist perfekt.“
„Ich weiß“, gab er spöttisch zu.
Diesmal würde sie sich von der seidenweichen, verführerischen Stimme nicht verwirren lassen. Ella beugte sich über den Tisch und blickte Nico herausfordernd an. „Wer sind Sie wirklich?“
Das Seltsamste war, dass sich Nico tatsächlich großartig amüsierte. Weil ihm das Ganze wie ein Spiel erschien oder ein Roman – die Geschichte vom Prinz, der sich als Bettler verkleidete und von niemandem erkannt wurde.
Eine neue und unterhaltsame Wendung für einen Mann, der im Leben sowohl die Licht- als auch die Schattenseiten eines Märchens schon kennengelernt hatte. Und wenn er es ihr erzählte … Nie wieder wäre es so wie jetzt. Ihre Einstellung ihm gegenüber würde sich unwiderruflich ändern. Sie würde nicht mehr mit ihm sprechen, als wäre er ein ganz normaler Mann.
Hatte er sich als kleiner Junge nicht manchmal gewünscht, normal zu sein wie die anderen, wenn auch nur für einen Tag? Auf dem College in Amerika hatte er sein Bestes getan, sich anzupassen, nicht aufzufallen und Freundschaften zu schließen. Trotzdem hatten alle gewusst, wer er war. Denn bevor er am College aufgetaucht war, hatten sich schließlich schon Sicherheitsbeamte dort umgesehen und die Gebäude den nötigen Standards für einen Prinzen angepasst. Es war unvermeidlich gewesen.
Und hatte jemals irgendwer von ihm verlangt, Rechenschaft abzulegen, zu erklären, wer er war?
Noch nie.
Nico lehnte sich zurück. „Wie definiert sich ein Mensch? Durch seinen Besitz? Seine Leistungen?“
„Sind Sie nicht in der Lage, eine klare Antwort auf eine klare Frage zu geben?“ Ella warf ihm einen verwunderten Blick zu.
Wahrscheinlich, dachte Nico. In seiner Welt wurden ihm keine Fragen gestellt. Stattdessen überließ man es ihm, die Konversation ganz nach seiner Laune zu führen. Ein uralter Erlass, an dem immer noch festgehalten wurde, verbot es anderen, ein Gespräch mit ihm zu beginnen. Wenn er redete, hörten die Leute zu. Nico hatte niemals etwas anderes kennengelernt. Weil es einfach so war, hatte er es akzeptiert. Jetzt erkannte er jedoch, dass totale Ehrerbietung sein Leben einschränkte.
„Ich bin Nico“, sagte er langsam. „Ich bin achtundzwanzig Jahre alt und auf Mardivino geboren, also ein echter Einheimischer.“ Seine Augen funkelten. „Jetzt wissen Sie alles.“
„Alles und trotzdem nichts. Was machen Sie?“
„Machen?“ Wie hatte er vergessen können, dass es in Ellas Welt wichtig war, womit ein Mensch seinen Lebensunterhalt verdiente?
„Beruflich.“
„Ach, dies und das“, erwiderte er ausweichend. „Ich arbeite für einen sehr reichen Mann.“
Das könnte einiges erklären. Möglicherweise wirkt er deshalb dermaßen selbstbewusst, weil er sich das typische sichere Auftreten der Megareichen abgeguckt hatte, überlegte Ella. Sind die extravaganten Seifen im Badezimmer vielleicht Geschenke eines großzügigen reichen Mannes?
„Ist das hier Ihr Zuhause?“
Schweigen.
„Nein, ich wohne nicht hier“, antwortete Nico schließlich. „Die Hütte gehört meinem Boss.“
„Und der Jetski?“
„Daran erinnern Sie sich?“
Essen und Duschen hatten Wunder gewirkt. Ella hatte sich so gut erholt, dass jetzt immer mehr Erinnerungen zurückkehrten. Sie wusste, dass sie an einen harten, muskulösen Körper gedrückt worden war – und wie getröstet und sicher sie sich gefühlt hatte. An eine schnelle Fahrt und kühle Gischt auf der glühend heißen Haut. „Irgendwie schon, ja.“
„Und? Was soll damit sein?“, fragte Nico gespielt gleichgültig.
„Ist es Ihrer?“
Unerklärlicherweise enttäuschte ihn die Frage. Das war also wichtig? Ein Jetski der obersten Preisklasse bedeutete reichen Männern so viel wie jedes andere Spielzeug. Nicos Zynismus meldete sich. Natürlich spielten diese Dinge immer eine wichtige Rolle. Man wurde danach beurteilt, was und wie viel man besaß. Und was blieb übrig, wenn man die Statussymbole wegnahm? „Nein“, antwortete er ausdruckslos. „Ich benutze ihn nur.“
„Tja, ich hoffe, ich bringe Sie nicht in Schwierigkeiten“, wagte Ella zu sagen.
Seine zynischen Gedanken lösten sich in nichts auf, als sie ihn so anblickte. So … süß. So rein und unschuldig. Völlig entspannt in seiner Gegenwart. Und jetzt sorgte sie sich auch noch um ihn! Wann hatte das jemals irgendein Mensch getan?
Das inzwischen getrocknete mahagonifarbene Haar fiel ihr über die Schultern. Es war jedoch nicht so lang, dass es ihre üppigen Brüste verdeckte. Nicos Verlangen wurde stärker, als er sich vorstellte, sie mit den Fingerspitzen zart zu streicheln. „Nein, Sie bringen mich nicht in Schwierigkeiten“, erwiderte er leise. „Ich vermute, mein Boss hätte nichts dagegen gehabt, Sie selbst zu retten.“
Die Bemerkung zeigte Flirtcharakter, und fast unmerklich änderte sich die Atmosphäre. Eine vage erotische Spannung, die schon die ganze Zeit über zwischen ihnen geherrscht hatte, rückte in den Brennpunkt und verstärkte sich. Ella spürte, wie sich heißes Verlangen langsam und unaufhaltsam in ihr ausbreitete. Sie traute sich nicht, Nico anzublicken, nur … wohin sonst sollte sie schauen? Der Raum war so klein, und Nico so … so …
„Vielleicht sollte ich mir bald mal Gedanken darüber machen, wie ich nach Hause komme. Ich muss meine Sachen zurückhaben – zumindest die Handtasche, weil darin das Flugticket und mein Pass sind.“
Nico hatte Ellas Nervosität bemerkt und die Wachsamkeit in ihrem Blick erkannt. In dem Bewusstsein, dass er Ella vertreiben könnte, unterdrückte er seine Begierde. Sex war einfach. Den konnte er bekommen, wann immer er wollte. Eine außergewöhnliche Situation wie diese dagegen nicht. Und wie würde es sich anfühlen, mit einer Frau zu schlafen, die keine Ahnung hatte, wer er war?
„Später“, sagte er. „Sie haben mir noch nichts von sich erzählt.“
„Meinen Namen habe ich Ihnen schon verraten. Und ich bin sechsundzwanzig und in Somerset geboren.“ Ella lächelte herausfordernd. „Jetzt wissen Sie alles.“
„Alles und trotzdem nichts“, wiederholte er ihre Worte. „Und die Männer an Bord? Ist einer von ihnen vielleicht Ihr Liebhaber?“
Ella errötete. „So etwas können Sie mich nicht einfach fragen!“
„Warum nicht?“
„Ich dachte, wir sitzen hier und machen höflich Konversation. So eine Frage verstößt gegen alle Regeln!“
„Konversation machen? Nein, ich glaube nicht, cara mia. Wenn ein Mann und eine Frau miteinander reden, findet dabei immer auch ein verborgener Dialog statt. Man sagt niemals das, was man wirklich denkt.“ Sonst würde ich dir jetzt offenbaren, dass ich deinen nackten Körper an meinem spüren möchte, dass ich dich leidenschaftlich auf den Mund küssen und mit deiner Zunge spielen will, während ich dieses süße erste Mal zu dir komme, dachte Nico.
Einerseits wurde Ella bei seinen Worten noch vorsichtiger, andererseits steigerte Nico damit das Gefühl angespannter Erwartung. Was war mit ihr los? Inzwischen sollte sie sich doch wohl danach sehnen, hier wegzukommen. Anstatt auf seinen sinnlichen Mund zu blicken, seinen perfekten Körper ununterbrochen zu betrachten und dabei zu denken, wie herrlich dieser Mann ohne Kleidung aussehen musste!
„Also? Würden Sie gern zum Gefängnis rasen, um einen von ihnen abzuholen?“, nahm Nico den Gesprächsfaden wieder auf.
„Bäh, nein, danke!“ Ella schauderte. „Keiner von den Typen ist mein Liebhaber. Ich habe Mark durch meine Arbeit kennengelernt.“ Sie biss sich auf die Lippe, als ihr bewusst wurde, wie vertrauensselig sie sich benommen hatte. „Er hat mich zu einem Wochenende mit einigen seiner Freunde eingeladen. Nachdem wir an Bord waren, ist mir klar geworden, dass er sich unsere gemeinsame Zeit ganz anders vorstellte als ich.“
„Und was ist passiert?“
„Ich habe deutlich gemacht, dass ich nicht an ihm interessiert bin. Da hat er beschlossen, sich stattdessen mit einer Flasche Whisky zu vergnügen.“ Ella verzog das Gesicht. „Die anderen haben mitgetrunken.“
„Hat er Ihnen wehgetan?“ Nicos Miene verfinsterte sich.
Ella schüttelte den Kopf. „Nein. Ich habe mich von ihnen ferngehalten, so gut das auf einer eher kleinen Yacht eben geht. Sie haben dann angefangen, immer mehr zu trinken. Offensichtlich war keiner von ihnen mehr in der Lage, die Verantwortung für das Boot zu übernehmen.“ Ihre Stimme zitterte leicht. „Ich habe Angst bekommen und mich nicht mehr unter Deck getraut.“
Ihr herzzerreißendes leises Wimmern fiel Nico wieder ein. Und wie sie ihn angefleht hatte, sie nicht allein zu lassen. Eine schöne Frau zu retten konnte sehr starke und primitive Gefühle wecken – Gefühle, mit denen er nicht vertraut war. Und deren Macht in diesem Fall noch größer war, weil Ella seine wahre Identität nicht kannte.
Er wollte sie zu einem Bett führen und lieben, aber nicht jetzt. Nicht hier. In seinem eigenen Land mit einer Frau zu schlafen war immer problematisch. Und er wollte weder ihr Vertrauen zu ihm zerstören noch seine gesellschaftliche Stellung missbrauchen. Wenn er sich mit Ella der Leidenschaft hingab, sollten sie sich in Augenhöhe begegnen können. Dafür musste er sie zurück nach England schaffen, ohne Aufsehen zu erregen.
„Möchten Sie nach Hause?“, fragte er abrupt.
Seine Frage überrumpelte Ella, und sie hoffte, dass ihr die Enttäuschung nicht anzumerken war. Was hatte Ella erwartet? Dass sie auf unbestimmte Zeit an diesem schönen Ort bleiben würde, zusammen mit ihrem starken, gut aussehenden Retter? Sie rang sich ein Lächeln ab. „Tja, ich sollte wohl besser.“
Nico hörte ihr an, dass sie keineswegs wild darauf war, von hier wegzukommen, und das steigerte sein Verlangen. Aber, wie er selbst gesagt hatte: Hunger war der beste Koch …
„Ich werde das Nötige arrangieren.“ Er zog eins der neusten Handymodelle aus der Hosentasche und ging nach draußen.
Ella erkannte, dass er das Gespräch auf Spanisch führte. Nach wenigen Minuten kam er wieder herein.
„Mein Arbeitgeber hat gute Beziehungen zum Polizeichef und veranlasst, dass Ihre Sachen zum Flughafen gebracht werden. Wir können in einer Stunde in der Luft sein.“
„So schnell?“, fragte Ella verwirrt. „Aber mein Ticket geht ab Nizza, und das ist meilenweit weg.“
„Wir fliegen mit einem Privatjet.“
Ihr Stirnrunzeln vertiefte sich. „Wie das?“
Nico erkannte, dass ihr Blick vorsichtig und wachsam wurde. Die Anonymität bereitete Nico jedoch zu viel Spaß, als dass er sie schon aufgeben wollte. Außerdem log er Ella ja nicht direkt an. Er präsentierte die Wahrheit nur in einer leicht veränderten Form. „Mein Boss ist ein sehr reicher und großzügiger Mann. Und ich habe einen Pilotenschein. Also kann ich Sie nach Hause fliegen. Das heißt, natürlich nur, wenn Sie darauf vertrauen, dass ich Sie heil und gesund nach Hause bringe, cara.“
Er hatte sie gerettet und dafür gesorgt, dass sie nicht zusammen mit den anderen festgenommen wurde, er hatte sie gepflegt, während sie sich mit Fieber im Bett hin und her geworfen hatte. Gab es irgendeinen Grund, Nico nicht zu vertrauen?
Und wenn er sie mit so sanfter Stimme cara nannte …
„Stört es Ihren Chef denn überhaupt nicht, wenn Sie plötzlich mal eben ins Ausland fliegen wollen?“
„Ich hätte nächste Woche sowieso einige geschäftliche Angelegenheiten in England erledigen müssen, und ich kann die Termine ohne Weiteres auf diese Woche vorverlegen.“
Seine dunklen Augen funkelten vor Vorfreude, und sein Lächeln war unwiderstehlich. Ella bekam Herzklopfen. „Das ist ganz … reizend von Ihnen.“
Die Frage, warum er sich so zuvorkommend verhielt, hing unausgesprochen im Raum.
Noch nie in seinem Leben war dieser sehr englische Ausdruck auf ihn angewendet worden. „Reizend? Nein, ich bin einfach für die Verlockungen strahlend grüner Augen und rosenzarter Lippen ebenso empfänglich wie jeder andere Mann.“
Ella spürte, wie ihr die Hitze ins Gesicht stieg. Das war eindeutig ein Angebot! Und was sollte sie damit anfangen? Was hatte sie denn gemeinsam mit diesem superaktiven Ausländer, der Jetski fuhr, einen Pilotenschein hatte und in einer primitiven Hütte ein köstliches Essen zaubern konnte? Der auf einer Mittelmeerinsel lebte, weit entfernt von ihrer Welt …
„Vielleicht möchten Sie in England mit mir zu Abend essen?“, fragte Nico lächelnd. Frühstück wäre ihm lieber, aber das würde dann sowieso folgen.
So, wie ihr Herz jetzt hämmerte, kam es Ella vor, sie wäre noch nie zum Dinner eingeladen worden. Denn genauso fühlte sie sich. Als wären alle bisherigen Einladungen nur Probeläufe für diesen Moment gewesen.
Strahlend erwiderte sie sein Lächeln. „Danke, gern.“
Es ist nur eine Verabredung zum Abendessen, sagte sich Ella.
Also warum war sie so nervös? Warum zitterten ihr die Hände, als sie das Kleid über den Hüften glatt strich? Sie trug Lipgloss auf und betrachtete sich dann kritisch im Spiegel.
Das schwarze Seidenkleid schmiegte sich schimmernd an ihre Rundungen, was einen provozierenden Kontrast zu den winzigen, mit grauem Samt überzogenen Knöpfen schuf, die eine gerade Linie vom Hals bis zu den Knien bildeten. Die schwarzen Sandaletten brachten Ellas Beine vorteilhaft zur Geltung. Als einzigen Schmuck trug Ella ein dunkelgraues Samtband mit einem eingefassten tiefschwarz funkelnden Gagat am Hals.
Zum x-ten Mal blickte Ella nervös auf die Uhr und zog am Saum des Kleids. Noch einmal ging Ella die außergewöhnlichen Ereignisse der vergangenen zwei Tage durch. Die Stunden, in denen Nico sie mit einem Privatjet nach Hause geflogen hatte, krönten die bisherigen Erlebnisse.
Ungläubig hatte Ella sich in der Kabine umgesehen. Womit auch immer Nicos Boss sein Geld verdiente, er musste enorm erfolgreich sein, wenn er sich so eine Luxusmaschine leisten konnte.
Und warum wunderte sie sich überhaupt noch über irgendetwas? Sie hatte sich gefragt, wie sie – nur mit Nicos T-Shirt bekleidet, ohne Schuhe – zum Flughafen kommen sollte. Doch auf einem befestigten Weg oberhalb des Strands hatte ein glänzender schwarzer Geländewagen gestanden. Auf einer Küstenstraße gelangten sie zum Ziel, ohne irgendeine Ortschaft zu durchqueren. Am Flughafen wurden sie abseits des Terminals von einem Wachmann durch ein Tor gewinkt und direkt aufs Rollfeld gefahren, wo Nico den Wagen einfach stehen ließ. Sein Arbeitgeber musste neben Millionen auch über großen Einfluss verfügen.
Während des Flugs nippte Ella an einem Fruchtcocktail und blickte immer wieder zum Cockpit, wo Nico den Steuerknüppel so vorsichtig bewegte, als lägen seine Hände auf dem Körper einer Frau. Unwillkürlich erschauerte Ella. Ein Mann, der ein Flugzeug lenken konnte, war ausgesprochen sexy. Aber andererseits hatte sie bisher noch keinen Piloten getroffen, geschweige denn einen beim Fliegen beobachtet! Dieser Mann wirkte dabei jedenfalls sehr erotisch.
„Bitte schön. Zu Hause.“ Nach der Landung kam Nico mit einem Leuchten in den Augen in die Kabine. Wenn er in einem Cockpit saß, war er immer glücklich. Genauso gut fühlte er sich beim Motorradfahren, Segeln, Bergsteigen oder Tauchen. Manche Leute nannten es „gefährlich leben“, er nannte es einfach „leben“.
„Danke“, sagte Ella ruhig und hoffte, dass er die Einladung zum Abendessen ernst gemeint hatte. „Es war ein schöner Flug.“
„Wann sehen wir uns?“, fragte Nico. „Heute Abend?“
Sie schüttelte den Kopf, auch wenn es ihr schwerfiel. Schließlich sollte er sie keinesfalls für leicht zu haben halten – darauf achtete nun wirklich jede Frau! „Nein, heute passt es mir leider nicht. Ich muss eine Menge Arbeit nachholen.“
Nico zog die Augenbrauen hoch. „Verschieben Sie es auf morgen“, befahl er arrogant.
Offenbar ist er daran gewöhnt, dachte Ella. Schnell aufreißen, schnell abservieren. Tja, wenn er nicht einmal bereit war, einen Tag zu warten, dann verschwendete er seine Zeit. „Tut mir leid“, erwiderte sie kühl. „Ich kann nicht. Zumindest muss ich schauen, was während meiner Abwesenheit los gewesen ist.“
Mühsam verbarg er seine Verärgerung und zuckte die Schultern. „Sicher. Und wann? Morgen Abend? Oder haben Sie dann auch viel zu tun?“
Ella hörte den Sarkasmus in seiner Stimme. „Morgen passt mir gut“, sagte sie ruhig. Obwohl sie sich behauptet hatte, steigerte der kleine Sieg ihre Besorgnis nur. Weil sie es nicht mit dem Typ Mann zu tun hatte, mit dem sie normalerweise Kontakt pflegte. Nico war anders. Er sah atemberaubend gut aus, steuerte Flugzeuge, fuhr Jetski und rettete Frauen von Booten. Ganz klar erkannte Ella, dass vor ihr ein echtes Alphatier stand, mit den entsprechenden Begierden, und sie war nicht sicher, wie sie mit ihm umgehen sollte …
„Geben Sie mir Ihre Adresse. Ich hole Sie gegen acht ab. Wir gehen in ein Restaurant in der Gegend. Oder wäre es Ihnen lieber, wenn wir uns in London treffen?“
In London würden ganz spezielle Probleme auftauchen. Zum Beispiel, wie Ella nach dem Essen spätabends nach Hause kommen sollte, wenn sie den letzten Zug verpasste. Wie sie reagieren sollte, wenn Nico ihr vorschlagen würde, in einem Hotel zu übernachten. Ella gehörte nicht zu den Frauen, die gleich beim ersten Date mit einem Mann ins Bett gingen. Erschrocken über ihre Gedanken, schüttelte Ella den Kopf, bevor sie Nico antwortete. „In meinem Dorf gibt es ein gutes Restaurant. Ich werde Sie dorthin ausführen, als Dankeschön für alles, was Sie für mich getan haben.“
Um zwei Minuten nach acht drückte Nico auf den Klingelknopf. Blumenduft hing in der warmen Luft und hüllte ihn ein. Rund um die Haustür blühten Sommerrosen in Hülle und Fülle. Ellas Cottage sah so hübsch und romantisch aus – wie die auf altmodischen Pralinenschachteln abgebildeten Cottages.
Wie losgelöst von der Wirklichkeit fühlte Nico sich. Als würde er nicht so recht begreifen, wo er war und was er hier machte – eine Million Meilen entfernt von seiner Welt und all ihren Zwängen und Regeln.
Die Tür ging auf, und plötzlich konnte Nico kaum noch klar denken, denn Ella sah einfach sensationell aus. Sie trug ein figurbetontes schwarzes Kleid, das ihren Körper wie mit Lakritze überzogen wirken ließ, die er gern kosten wollte …
„Ciao, Ella“, sagte er langsam.
Ohne einen Ton herauszubringen, blickte sie Nico starr an, weil … Oh, er war wirklich toll.
Auf Mardivino hatten seine eindrucksvolle Körperkraft und sein umwerfend gutes Aussehen sie fasziniert, und jetzt waren diese Eigenschaften irgendwie tausendfach verstärkt. Vielleicht lag es daran, dass Ella ihn fern von seiner natürlichen Umgebung sah, als hätte man eine exotische Blüte gepflückt und sie in einem englischen Dorf wieder eingepflanzt.
Seine Größe ließ ihr Cottage einem Puppenhaus ähneln, neben ihm schienen sogar die leuchtenden Farben der Gartenblumen zu verblassen. In der Abendsonne schimmerte seine gebräunte Haut. Nico trug ein weiches, kühles Leinenjackett, das seine durchtrainierte, muskulöse Figur betonte. Die dunklen Augen funkelten, und er strahlte eine fast unanständige Stärke und Vitalität aus, als wäre jeder andere Mann auf der Welt neben ihm nur eine halbe Portion.
Ihr Herz begann zu hämmern. „Hallo, Nico“, stieß sie mühsam hervor.
Plötzlich kam ihm der Gedanke, dass sie vielleicht bereits Nachforschungen über Mardivino angestellt und sich schon alles unwiderruflich geändert hatte. Wusste sie Bescheid? Während er sie eingehend musterte, konnte er kein Anzeichen dafür entdecken, dass Ella es herausgefunden hatte. Fragend zog er die Augenbrauen hoch. „Hungrig?“
Sie hatte das Gefühl, dass sie keinen Bissen herunterbringen könnte – aber das vor einer Dinnerverabredung zu äußern war wohl nicht gerade diplomatisch. „Ich … ich hoffe, das Restaurant gefällt Ihnen“, sagte sie nach Atem ringend, denn sein männlicher Duft schien wie Fingerspitzen liebkosend über ihre Haut zu gleiten.
Ihre Reaktion ließ Nico zufrieden lächeln. Die unausgesprochene Frage war beantwortet. Vor Freude weiteten sich Ellas Pupillen, ihre Augen leuchteten wie Smaragde. Das überzeugte Nico davon, dass er für Ella noch immer einfach „Nico“ war.
„Sie sehen wunderschön aus, Ella.“
Anstatt sie zu bezaubern und noch mehr zu verwirren – was er vermutlich bezweckte –, hatte die Schmeichelei genau die entgegengesetzte Wirkung: Wie ernüchtert sah Ella die Dinge nun so, wie sie wirklich waren. An einem guten Tag konnte jemand sie mit Recht attraktiv nennen, aber schön fand Ella sich nicht.
„Südländer können besser Komplimente machen als englische Männer“, erwiderte sie kühl.
„Was vielleicht erklärt, warum Südländerinnen sie charmanter annehmen“, konterte Nico trocken.
Oh, wenn sie nur die Uhr zurückdrehen und diese Szene noch einmal durchspielen könnte. Ella ruinierte den Abend, bevor er überhaupt angefangen hatte! Entschuldigend lächelte sie Nico an. „Sie haben recht.“
„Wollen wir es noch einmal versuchen?“, fragte er amüsiert. „Sie sehen wunderschön aus, Ella.“
„Danke.“
„Bitte sehr.“
Ihr blieb fast das Herz stehen. Wenn er sie so anblickte, wünschte sie … Sie wünschte, er würde sie an sich ziehen und küssen. Er war so unglaublich attraktiv, dass sie ihm die Hand auf die Wange legen wollte, um sich zu vergewissern, dass er aus Fleisch und Blut war und nicht nur in ihrer Einbildung existierte.
„Möchten Sie … zuerst einen Drink?“, fragte sie nervös. „Oder wollen wir sofort losgehen?“
Sie ist wie eine Löwin, die ihre Höhle beschützt, dachte Nico. Offensichtlich fürchtete Ella sich davor, ihn über die Türschwelle zu lassen. Noch nie hatte Nico nach den Regeln anderer Männer spielen müssen, und jetzt begann er die Nachteile zu erkennen.
„Nein, gehen wir gleich essen“, erwiderte er, weil er einsah, dass er Ella zunächst auf neutralen Boden bringen musste.
Es war so warm, dass sie keinen Mantel oder Schal brauchte. Darum hängte Ella sich nur die kleine schwarze Handtasche über die Schulter und schloss die Haustür hinter sich. Die untergehende Sonne tauchte die Dorfstraße in ein bernsteinfarbenes Licht. Ein alter Mann, der in seinem Vorgarten die Rosen beschnitt, lächelte Ella und Nico freundlich an, als sie vorbeigingen.
„Ein schöner Abend, stimmt’s?“
„Ja, wundervoll“, sagte Ella und warf einen verstohlenen Blick auf Nicos markantes Profil.
Das kleine Restaurant lag in einer Biegung an der Hauptstraße, direkt neben der Kirche. Zwar führte ein enthusiastischer Hobbykoch das Lokal, aber die leichten Speisen aus ausnahmslos frischen Zutaten waren sehr beliebt. Während der Hochsaison konnte es leicht passieren, dass man alle Plätze belegt fand und keine Reservierung bekam. An schönen Abenden wurden allerdings zusätzliche Tische auf die Terrasse und den Rasen davor gestellt, wie an diesem Abend.
Während Nico und Ella zu einem Tisch unter einem Kastanienbaum gingen, bemerkte Ella, dass sich einige Frauen nach ihnen umdrehten. Nicht, dass sie sich darüber wunderte. Nico war außergewöhnlich attraktiv, und er ragte wirklich aus der Menge heraus. Außerdem zogen nicht gerade viele sexy Südländer durch ein Dorf wie Greenhampton.
„Sie müssen für mich bestellen“, sagte Nico energisch und gab der Serviererin die Speisekarte sofort zurück.
„Was mögen Sie denn gern?“
„Alles.“ Er sah Ella unverwandt an. „Ich habe einen sehr vielseitigen Geschmack.“
Oh, du liebe Güte … Gefangen gehalten von seinem sanften Blick, war sich Ella der plötzlichen Sehnsucht nur allzu bewusst, die sie durchflutete. Das war ja verrückt! Sie reagierte, als wäre sie noch nie von einem Mann angesehen worden. Andererseits, wenn sie es recht bedachte … Noch nie hatte ein Mann ihr mit einem einzigen Blick eine so deutliche sinnliche Mitteilung zukommen lassen. Obwohl Nico ohne Worte heftig mit ihr flirtete, wirkte er kühl und beherrscht. Zusammen mit seinem warmen, südländischen Aussehen wirkte die Kombination auf Ella höchst irritierend.
Ella bestellte Spargel mit Garnelen und einen gekühlten trockenen Weißwein. Als die Serviererin Nico einen koketten Blick zuwarf, beobachtete Ella zufrieden, dass ihr Begleiter überhaupt nicht darauf reagierte.
Die letzten Sonnenstrahlen dämpften das helle Wedgewoodblau des Himmels, indem sie aprikosenfarbene Reflexe darüberwarfen. Sporadisches Vogelgezwitscher und das Zirpen der Grillen waren zu hören. Nico hatte sich bewusst mit dem Rücken zu den anderen Gästen gesetzt. Während Nico einen Schluck Wein trank und leise seufzte, verschwand die Anspannung aus seinem Körper. „Der Wein ist gut.“
„Ich weiß. Deshalb habe ich ihn bestellt.“
Nico lachte. „Und? Leben Sie schon lange hier?“
„Seit drei Jahren. Ich bin in der Nähe zur Universität gegangen, und die Gegend hat mir gefallen. In das Cottage bin ich aber erst gezogen, als mir klar war, was ich beruflich machen wollte.“
Nachdenklich strich er mit den Fingerspitzen über das Glas. „Eigentlich weiß ich überhaupt nichts über Sie.“
„Das kommt vielleicht daher, dass wir auf so seltsame Art zusammengefunden haben.“
In dem Wort, das sie gewählt hatte, schwang etwas Dauerhaftes mit, und Nico wurde argwöhnisch. Bis er sich daran erinnerte, dass Frauen romantische Begegnungen gern mit „Romeo und Julia“ oder anderen großen Liebesgeschichten in Verbindung brachten. Wenn er Ella wollte, dann sollte er sicherlich nachsichtig mit ihr sein.
„Erzählen Sie mir von sich“, forderte er sie auf.
„Ich habe Geschichte studiert.“ Ella erzählte ihm, wie sie nach ihrem Abschluss ständig den Job gewechselt hatte, mit keiner Arbeit so richtig zufrieden gewesen war und sich einfach nicht für einen Beruf hatte entscheiden können. Bis sich eines Tages ein amerikanischer Cousin von Ella beschwert hatte, es sei unmöglich, das „wahre England“ zu entdecken, überall werde nur ein künstliches Teestubenerlebnis geboten. Viele ausländische Besucher würden gern Orte abseits der Touristenwege entdecken, Orte von historischem Interesse genauso wie Gärten und Parks, in denen es nicht von Tagesausflüglern mit Kameras wimmele.
„Und da haben Sie eine Marktlücke gesehen?“, erriet Nico.
„Genau. Ich habe die schönsten kleinen Schlösser und Landsitze ausfindig gemacht und die Besitzer gefragt, ob sie bereit wären, Einzelpersonen oder Gruppen von höchstens zehn Leuten herumzuführen. Danach habe ich komfortable ländlichere Hotels gesucht, die nicht zu einer Kette gehören; und Restaurants wie dieses hier, Lokale, die ein Tourist normalerweise nicht findet. Tja, und dann habe ich einen Kredit aufgenommen und die ‚Real England Tour Company‘ gegründet. Ich hatte sofort großen Erfolg. Inzwischen habe ich sogar eine Mitarbeiterin.“
„Wow!“ Nicos Augen funkelten. „Ich bin beeindruckt.“
„Also, das war alles Wichtige über mich.“ Ella stützte die Ellbogen auf den Tisch und beugte sich vor. „Was ist mit Ihnen?“
Schweigend warteten sie, während die Kellnerin das Essen vor sie hinstellte, beide blickten die Frau an, als bereite sie ihnen eine unwillkommene Störung.
Nicht aus Hunger, sondern weil es ungehörig wäre, die Speisen ungerührt stehen zu lassen, aß Nico eine Garnele und eine Spargelstange. „Ich habe selbst mit Tourismus zu tun, aber anders als Sie.“
„Wirklich? Wie denn?“
„Tja, die Sache ist ziemlich kompliziert. Es würde Stunden dauern, es Ihnen zu erklären.“ Und er hatte nicht stundenlang Zeit. Nicht um mit Ella zu reden. Er beugte sich vor, und der schwache Duft von spanischem Flieder hüllte ihn ein. „Sprechen wir doch nicht über so langweiligen Kram wie Jobs, Ella. Das, was wir nicht sagen, macht uns doch an einem Abend wie diesem fast taub. Hören Sie es nicht?“
Sie blickte ihm in die Augen und schmolz förmlich dahin. Natürlich wusste sie, was als Nächstes kommen würde. Einerseits fürchtete sie sich davor, andererseits sehnte sie sich danach. „Was, zum Beispiel?“
„Zum Beispiel, dass ich nicht länger warten kann und dich jetzt küssen will. Und dass es reine Verschwendung wäre, noch einen Gang zu bestellen. Weil ich dich lieber sofort nach Hause bringen würde, wo ich dich küssen kann, ohne dass uns die Leute zusehen.“ Sein Blick haftete, während er sprach, auf ihren Lippen. „Schockiert?“, fragte er gedehnt.
„Nein, schockiert bin ich nicht“, erwiderte Ella langsam. Seine Worte hatten all ihre Sinne geschärft und ein schmerzhaftes Verlangen in ihr geweckt. Selbstverständlich hatte es früher schon Männer gegeben, die Ella begehrt hatte. Aber niemals so, nicht mit einer derart starken Sehnsucht, dass Atmung, Herzschlag und Verstand gleichzeitig auszusetzen schienen.
„Wenn du nicht schockiert bist, was dann?“, fragte Nico leise.
Sein Blick war wie eine Liebkosung, und Ella spürte, wie ihr das Blut warm in den Adern pochte. Süße Erregung drängte sie, zwang sie, ihm zu verraten, was sie sich wünschte. „Ungeduldig“, sagte sie heiser.
Von ihrer Reaktion überrascht, kniff Nico die Augen zusammen. Das Unerwartete war ein sehr starkes Aphrodisiakum. Ohne länger zu zögern, nahm er seine Brieftasche heraus und warf mehrere Geldscheine auf den Tisch.
„Das Abendessen sollte auf meine Rechnung gehen, als Dankeschön für deine Hilfe!“, protestierte Ella.
„Halt den Mund.“ Nico stand auf.
„Und du hast viel zu viel dagelassen.“
„Dann wird sich die Serviererin freuen.“
Ella hoffte, dass er es sich leisten konnte und nicht eine überschwängliche Geste machte, um sie zu beeindrucken. Andererseits durfte Ella bei einem Arbeitgeber wie Nicos wohl davon ausgehen, dass er gut verdiente.
Einen Moment später waren diese Gedanken vergessen, als Nico ihr den Arm um die Schultern legte und sie nur noch an seine Berührung denken konnte, sobald seine Finger ihre nackte Haut streiften.
Außer Atem gingen sie über die Terrasse und durch den ebenfalls voll besetzten Speiseraum, bevor sie die Straße betraten. Nico wartete gerade so lange, bis sie außer Sicht der Restaurantgäste waren. Dann schob er Ella in eine dunkle Mauernische, um die Frau an seiner Seite hart an sich zu ziehen.
Der kurze Weg war Nico unendlich lang vorgekommen. Aber jetzt war sie endlich in seinen Armen, Nico küsste Ella, und sie erwiderte seinen Kuss, und plötzlich gerieten die Dinge außer Kontrolle.
„Nico!“ Erschrocken über ihre leidenschaftliche, gefügige Reaktion auf seinen Kuss, rang Ella nach Atem.
„Si? Che cosa?“, flüsterte er ungeduldig. Er rieb die Hüften an ihren und hörte triumphierend, wie Ella aufseufzte.
„Wir können das nicht tun!“ Sie schloss die Augen, als er sich unverfroren an sie presste und sie seine Erregung spürte. „Nicht hier!“
Nico bewegte sich nicht. Sie dachte, er wollte sie hier nehmen? Seinen Reißverschluss aufmachen, ihr den Slip hinunterschieben und es an einer Mauer tun? Bei der Vorstellung verlor er beinahe völlig die Kontrolle über sein Verlangen. Er löste sich von Ella und versuchte verzweifelt, wieder normal zu atmen.
„Los, gehen wir“, stieß er hervor und nahm ihre Hand.
Total durcheinander, lief Ella blindlings neben ihm her zurück zum Cottage, als kenne er den Weg wie seine Westentasche und nicht sie.
Ihr zitterten so sehr die Hände, dass sie die Tür nicht aufbekam und Nico schließlich aufschloss. In der Diele hob er Ellas Kinn an und betrachtete stirnrunzelnd ihr gequältes Gesicht. „Was hast du?“
„Was musst du von mir denken?“
Ah! Er unterdrückte ein Lächeln. Das Spiel kannte er. Frauen wollten Sex ebenso sehr wie Männer, hatten gleichwohl immer das Bedürfnis, das körperliche Begehren als etwas Anständiges zu betrachten … falls das überhaupt möglich war.
„Ich finde dich wunderschön, cara. Und ich möchte sehr gern mit dir schlafen.“
Ihre Augen waren dunkler geworden vor Verlangen. Doch das jahrelange Einüben eines bestimmten Verhaltens konnte offenbar nicht in zwei Stunden zunichte gemacht werden. Ella trat zurück und zeigte zur Küche. „Vielleicht … vielleicht sollte ich uns Kaffee kochen?“
Nico konnte es nicht glauben. Vor wenigen Augenblicken hatte sie ihm in den Armen gelegen, kurz davor, sich ihm hinzugeben. Und jetzt ging sie auf Abstand? Das war ja unerhört! So etwas war ihm noch nie untergekommen. Würde sie die Willenskraft aufbringen, sich noch einmal zurückzuziehen, wenn er sie wieder berührte? Wahrscheinlich nicht … oder?
Nicht nur der Gedanke, dass sie bei ihrem Entschluss bleiben könnte, hielt Nico ab. Nein, die verlockende Aussicht, einmal zu erleben, was anderen Männern passierte, drängte ihn dazu. Einmal für das kämpfen zu müssen, was er erreichen wollte, das reizte Nico.
Jetzt lagen nicht alle Vorteile auf seiner Seite. Hatte er sich nicht immer gefragt, wie es sein würde, wenn eine Frau ihn wie einen ganz normalen Mann behandelte? Jetzt hatte Nico die Gelegenheit, es herauszufinden.
Schließlich hatten ihm die Götter ja nicht nur gleichzeitig die Ehre und Last seines Geburtsrechts beschert, sondern auch gutes Aussehen und Intelligenz. Also würde er eben herausfinden, ob beides allein genügte, um zu bekommen, was er sich so sehnsüchtig wünschte.
„Ja, du solltest vielleicht einen Kaffee zubereiten“, sagte er seidenweich.
Ella biss sich auf die Lippe. Teilweise hatte sie gehofft, er würde sich arrogant über ihre Bedenken und Ängste hinwegsetzen und sie einfach wieder in die Arme nehmen und küssen. „Möchtest du welchen?“ Zu ihrem Entsetzen begann sie, heftig zu zittern.
Nachdem er sie einen Moment lang aufmerksam beobachtet hatte, hob Nico die Hand und zeichnete mit dem Zeigefinger nachdenklich ihren Mund nach. „Weißt du, was ich glaube, Ella?“, flüsterte er.
Sie schüttelte den Kopf.
„Ich glaube, du hast deinen weiblichen Standpunkt klargemacht. Du hast deine Ehre gewahrt, aber jetzt willst du, dass ich dich wieder küsse. Habe ich recht, cara mia?“
Ja, dachte Ella, küss mich, küss mich jetzt sofort.