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WENN NÄCHTE WIE CHAMPAGNER PRICKELN von SARAH MORGAN Selene ist die pure Versuchung. Und ausgerechnet zu ihm flieht sie vor ihrem tyrannischen Vater! Für Stefan Ziakas ist die süße Tochter seines Rivalen das ideale Rachewerkzeug. Aber als sie ihn auf seiner Party champagnerselig anstrahlt, ist all sein Zorn verflogen … IM GOLDENEN KÄFIG DES ITALIENERS von SHARON KENDRICK Was für eine Nacht! Und was für Folgen! Aber soll die schöne Sängerin Justina dem italienischen Millionär Dante D’Arezzo wirklich gestehen, dass sie ein Baby von ihm erwartet? Und ihre süße Freiheit gegen den goldenen Käfig eintauschen? IN JENEM SOMMER IN SPANIEN von CATHY WILLIAMS Ihr charmanter Habenichts Lucio ist der mächtige Gabriel Cruz? Ein Schock, der süße Erinnerungen in Alexandra weckt. Erinnerungen, die sie jetzt wohl endgültig wird vergessen müssen. Denn Gabriel ist Millionär, wird bald standesgemäß heiraten, und dass sie ein Kind von ihm bekam – das darf er jetzt erst recht nicht erfahren!
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Seitenzahl: 544
SARAH MORGAN, SHARON KENDRICK, CATHY WILLIAMS
JULIA JUBILÄUM BAND 13
IMPRESSUM
JULIA JUBILÄUM erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg
Neuauflage 2023 in der Reihe JULIA JUBILÄUM, Band 13
© 2013 by Sarah Morgan Originaltitel: „Sold to the Enemy“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Irmgard Sander Deutsche Erstausgabe 2013 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg,in der Reihe JULIA EXTRA, Band 373
© 2013 by Sharon Kendrick Originaltitel: „A Scandal, a Secret, a Baby“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Emma Luxx Deutsche Erstausgabe 2014 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg,in der Reihe JULIA EXTRA, Band 375
© 2010 by Cathy Williams Originaltitel: „The Secret Spanish Love-Child“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Marion Koppelmann Deutsche Erstausgabe 2011 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe JULIA, Band 1979
Abbildungen: inarik / Getty Images, alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 11/2023 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783751520072
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY
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„Niemand wird dir Geld leihen, Selene. Sie haben alle zu viel Angst vor deinem Vater.“
„Nicht alle.“ Selene setzte sich auf die Bettkante und streichelte ihrer Mutter über das Haar. „Mach dir keine Sorgen. Ich werde dich von hier wegbringen.“ Sie sagte „von hier“, meinte aber, wie sie beide wussten, „von ihm“.
„Das sollte eigentlich ich dir versprechen“, erwiderte ihre Mutter kläglich. „Ich hätte ihn schon vor Jahren verlassen sollen. Aber als ich deinen Vater kennengelernt habe, war er so charmant. Alle Frauen rissen sich um ihn, und er hatte nur Augen für mich. Kannst du dir vorstellen, was das für ein Gefühl ist?“
Wie sollte ich, wo ich doch den größten Teil meines Lebens auf dieser Insel gefangen gewesen bin? schoss es Selene durch den Kopf. Aber sie wollte ihrer Mutter nicht noch mehr wehtun. „Es muss sehr aufregend gewesen sein“, sagte sie deshalb. „Er war so reich und mächtig.“ Sie würde niemals den Fehler machen, sich von ihren Gefühlen über den wahren Charakter eines Mannes täuschen lassen.
„Ach, warum reden wir überhaupt von weggehen, wo wir doch genau wissen, dass er uns nie fortlassen wird? Er wird alles tun, um der Welt da draußen das Bild der perfekten Familie zu bieten.“ Ihre Mutter drehte sich mit dem Gesicht zur Wand.
„Wir fragen ihn gar nicht“, meinte Selene unbeirrt. „Es ist unsere Entscheidung. Höchste Zeit, der Welt zu zeigen, dass das Bild von der heilen Familie eine Lüge ist.“
Es wunderte sie nicht, dass ihre Mutter stumm blieb. Zu lange hatte ihr Vater ihr Leben diktiert und kontrolliert.
Trotz der drückenden Sommerhitze und der Tatsache, dass ihr festungsähnliches Heim keine Klimaanlage hatte, fröstelte Selene. Wie viele Jahre dauerte es, bis der Mensch den Glauben verlor, dass es sich lohnte, um sein Leben zu kämpfen? Wie viele Jahre, bevor sich Hoffnung zu Hilflosigkeit wandelte, Zorn zu Duldung und der Widerstandsgeist gebrochen wurde? Wie viele Jahre, bis auch sie sich wie ihre Mutter lieber im Bett mit dem Gesicht zur Wand drehen würde, anstatt sich dem Leben zu stellen?
Hinter den geschlossenen Fensterläden schien die Sonne an einem strahlend blauen Himmel, und das Mittelmeer glitzerte in unwahrscheinlichem Blau. Für viele Menschen waren die griechischen Inseln ein Paradies. Für manche der Inseln mochte das zutreffen. Selene kannte nur diese eine, und Antaxos war alles andere als ein Paradies. Abgeschnitten von den Nachbarinseln durch gefährliche Untiefen, in denen Felsen wie die spitzen Zähne eines Monsters aus dem Meer ragten, und durch den Angst einflößenden Ruf des Eigentümers, kam Antaxos eher der Hölle als dem Himmel gleich.
Fürsorglich deckte Selene ihre Mutter mit dem kühlen Laken zu. „Überlass alles mir.“
„Mach ihn nicht wütend.“
Eine verzweifelte Warnung, die Selene schon so oft gehört hatte, dass sie es gar nicht mehr zählen konnte.
Traurig betrachtete sie ihre Mutter. Deren kühle, nordische Schönheit hatte einst die Aufmerksamkeit des reichen Playboys Stavros Antaxos erregt, und geblendet von Reichtum und Macht, war sie seinem Charme erlegen, ohne zu erkennen, was für ein Despot er eigentlich war.
Eine falsche Wahl, dachte Selene. Ihre Mutter hatte eine falsche Wahl getroffen, und die Folgen hatten dafür gesorgt, dass sie im Lauf der Jahre all ihren Lebensmut verloren hatte. „Reden wir nicht über ihn“, sagte sie aufmunternd. „Ich habe diese Woche eine E-Mail von Hot Spa in Athen bekommen. Erinnerst du dich? Das ist diese gehobene Wellness-Hotelkette mit Häusern auf Kreta, Korfu und Santorini, an die ich Proben meiner Duftkerzen und Seifen geschickt habe. Anscheinend sind die Produkte so gut angekommen, dass drei der besten Kundinnen sogar darauf bestanden haben, sie gegen Zahlung eines beachtlichen Preises mit nach Hause zu nehmen. Hot Spa bittet jetzt, dass ich bei ihnen vorspreche, weil man wegen eines größeren Auftrags verhandeln möchte. Das ist der Durchbruch, auf den ich gehofft habe!“
Doch ihre Mutter schüttelte nur den Kopf. „Er wird das nie zulassen.“
„Ich brauche nicht seine Erlaubnis, um mein Leben so zu führen, wie ich es will.“
„Und wie willst du das anstellen? Um dein eigenes Geschäft zu gründen, brauchst du doch Geld. Und das wir er dir niemals geben, weil es uns ermöglichen würde, ihn zu verlassen.“
„Ich weiß. Genau deshalb habe ich auch nicht vor, ihn zu fragen. Ich habe einen anderen Plan.“ Mit einem Blick über die Schulter vergewisserte sie sich, dass die Tür geschlossen war und keiner mithörte. Obwohl sie wusste, dass er nicht einmal auf der Insel war. Aber die Erfahrung hatte sie gelehrt, dass im Haus ihres Vaters sogar die Wände Ohren haben konnten. „Ich reise heute Abend ab, und sage dir das jetzt nur, weil ich mich ein paar Tage nicht bei dir melden kann und du dir keine Sorgen machen sollst. Offiziell bin ich zu meiner gewohnten Woche der Ruhe und Besinnung im Kloster.“
„Wie willst du das anstellen? Selbst wenn du es schaffst, an seinen Sicherheitsvorkehrungen vorbei die Insel zu verlassen, wird man dich erkennen. Irgendjemand wir ihn anrufen, und er wird außer sich vor Zorn sein. Du weißt doch, wie besessen er davon ist, nach außen das Bild der perfekten Familie zu wahren.“
„Ausnahmsweise ist es vielleicht einmal ein Vorteil, dass ich als Tochter dieses allseits so gefürchteten Mannes abseits von aller Öffentlichkeit lebe. Niemand erwartet, mich zu sehen, und kaum einer wird mich erkennen. Zur Sicherheit habe ich aber auch noch eine Verkleidung.“ Genaueres verriet sie nicht einmal ihrer Mutter, die sie jetzt schon Panik erfüllt ansah.
„Und wenn du es wirklich aufs Festland schaffst, was dann?“
„Keine Sorge, ich habe einen Plan. Aber du brauchst nichts davon zu wissen. Du musst mir nur vertrauen und darauf warten, dass ich zurückkomme und dich hole. Ich würde dich ja am liebsten gleich mitnehmen, aber wenn wir zu zweit reisen, erregen wir eher Aufmerksamkeit. Sobald ich das Geld und eine Unterkunft organisiert habe, hole ich dich nach.“
Ihre Mutter drückte ihre Hand. „Solltest du das wirklich schaffen, komm nicht zurück. Es ist zu spät für mich.“
„Das darfst du gar nicht erst sagen!“ Selene umarmte ihre Mutter. „Ich komme natürlich zurück, und wir gehen gemeinsam von hier fort. Soll er sich jemand anderen zum Tyrannisieren suchen.“
Es war einer der ersten und schlauesten Züge ihres Vaters gewesen, unmittelbar nach der Heirat dafür zu sorgen, dass ihre Mutter keine eigenen Einkünfte mehr besaß und in jeder Hinsicht von ihm abhängig war. Am Anfang hatte ihre Mutter das sogar romantisch gefunden … ein Mann, der ganz und gar für sie sorgen wollte. Nach und nach hatte sie jedoch erkannt, dass dahinter lediglich der Wunsch steckte, sie restlos zu kontrollieren. Aber als ihr dass bewusst wurde, hatte sie längst die Kraft verloren, um für ihre Unabhängigkeit zu kämpfen, weil er ihr Selbstbewusstsein systematisch und grausam unterminiert hatte.
„Ich habe genug Geld, um nach Athen zu gelangen. Und dann besorge ich mir einen Kredit, um mein Geschäft zu gründen“, beruhigte Selene ihre Mutter nun.
„Du weißt doch, dass er gute Kontakte hat, Selene! Keine Bank wird dir Geld leihen!“
„Deshalb werde ich mich auch gar nicht erst an eine Bank wenden.“
Ihre Mutter schüttelte den Kopf. „Nenn mir eine Person, die bereit ist, mit dir Geschäfte zu machen. Zeig mir den Mann, der den Mut hat, sich deinem Vater in den Weg zu stellen.“
„Es gibt ihn.“ Selene atmete tief ein. „Es gibt einen Mann, der vor nichts und niemandem Angst hat.“
„Wer?“
„Stefanos Ziakas“, antwortete sie betont ruhig. „Ihn werde ich aufsuchen.“
Bei der Nennung des Namens wurde ihr Mutter kreidebleich. „Ziakas ist auf seine Weise genau wie dein Vater. Ein skrupelloser, egoistischer Playboy. Lass dich nicht von seinem attraktiven Gesicht und seinem gewinnenden Lächeln täuschen. Er ist gewissenlos.“
„Nein, das stimmt nicht. Ich bin ihm vor Jahren einmal begegnet. Es war auf einer Party auf der Yacht – einer der typischen Anlässe, bei dem wir ‚heile Familie‘ spielen mussten. Er war sehr nett zu mir.“ Zu ihrem Ärger errötete Selene.
„Bestimmt nur, weil er wusste, dass es deinen Vater ärgern würde. Die beiden hassen sich bis aufs Blut!“
„Er wusste ja gar nicht, wer ich bin, als wir anfingen, uns zu unterhalten.“
„Ich erinnere mich an die Party. Du warst die einzige Siebzehnjährige, und jeder wusste wohl, wer du bist“, meinte ihre Mutter müde. „Überleg doch einmal, warum ein so weltgewandter Mann wie er seine Zeit mit dir vergeuden sollte, wenn er in Begleitung der Schauspielerin Anouk Blaire gekommen war.“
„Er meinte, dass sie langweilig sei. Eine Frau, die nur daran denkt, wie sie aussieht, wer über sie schreibt und dass es ihrer Karriere förderlich sei, sich mit ihm zu zeigen. Er fand, ich sei viel interessanter. Wir haben uns fast den ganzen Abend unterhalten.“ Über buchstäblich alles. Sie hatte ihm Dinge anvertraut, die sie noch keinem Menschen zuvor gesagt hatte. Natürlich nicht über ihre Familie – in diesem Punkt hatte ihr Vater sie gut indoktriniert –, aber über ihre Träume und Hoffnungen für die Zukunft. Und er hatte sie nicht ausgelacht, sondern ihr aufmerksam zugehört, wobei er sie mit seinen faszinierenden Augen so intensiv angesehen hatte. Als sie ihn dann schließlich gefragt hatte, ob er meine, sie könnte es eines Tages schaffen, ein eigenes Geschäft zu führen, hatte er etwas geantwortet, was sie nie vergessen hatte.
Du kannst alles schaffen, wenn du es nur genug willst.
Nun, sie wollte es wirklich.
Ihre Mutter seufzte. „Das Schulmädchen und der Milliardär. Und wegen dieses einen Gesprächs glaubst du, er wird dir helfen?“
Komm in fünf Jahren wieder, Selene Antaxos, dann reden wir vielleicht darüber.
Sie hatte viel mehr als nur mit ihm reden wollen, und sie vermutete, dass ihm das klar gewesen war. Genauso wie er vermutlich ahnte, in was für einem goldenen Käfig sie lebte. Noch nie hatte sie sich mit einem Menschen so verbunden gefühlt. Und an seine Worte hatte sie sich geklammert, wenn das Leben unerträglich zu werden drohte. Es war tröstlich gewesen, zu wissen, dass man sich an jemand wenden konnte, wenn die Lage verzweifelt war.
Und sie war verzweifelt. „Er wird mir helfen.“
„Viel eher wird er dir wehtun. Du hast keinerlei Erfahrung mit Männern wie Ziakas. Wenn ich einen Mann für dich aussuchen dürfte, würde er liebevoll und sanft sein.“
„Es würde mir gar nichts nützen, wenn er liebevoll und sanft wäre. Für meinen Plan muss er skrupellos sein. Wenn er nicht den Mumm hat, sich gegen meinen Vater zu behaupten, kann ich nicht auf Erfolg hoffen. Ich will mein eigenes Geschäft aufziehen, und Stefanos Ziakas weiß mehr darüber, wie man das anfängt, als jeder andere. Er hat sich alles ganz allein aufgebaut. Keiner hat ihm geholfen, als er in jungen Jahren seine Eltern verlor. Mit dreißig war er schon Milliardär, und er hat es ganz allein geschafft.“
Besorgt setzte sich ihre Mutter auf. „Glaubst du wirklich, du kannst einfach so bei einem Mann wie Stefanos Ziakas auftauchen und ihn um Geld bitten? Er lässt sich genauso von Sicherheitsleuten abschirmen wie dein Vater. Es wird so gut wie unmöglich sein, einen Termin bei ihm zu bekommen, vor allem so kurzfristig. Selbst wenn du es also schaffst, unbemerkt von der Insel wegzukommen, solange dein Vater fort ist, wird Ziakas dich gar nicht empfangen.“
„Er wird mich empfangen, und ich habe einen Weg gefunden, von der Insel wegzukommen.“ Doch Selene hielt es für klüger, ihrer Mutter nicht zu viel zu verraten, und stand entschlossen auf. „Morgen bin ich vielleicht schon wieder zurück, was uns genug Zeit gibt, weit weg zu sein, bevor er von seinem ‚Ausflug‘ zurückkehrt.“ Mit „Ausflug“ umschrieben sie und ihre Mutter die regelmäßige Abwesenheit ihres Vaters von der Insel, wobei es Selene immer wieder empörte, dass er sich keine große Mühe gab, seine Seitensprünge zu verheimlichen … und ihre Mutter sie anscheinend als Teil ihrer Ehe akzeptiert hatte.
Selene wollte nicht darüber nachdenken, was sie tun würde, sollte ihre Mutter sich … wieder einmal … weigern, die Insel zu verlassen. Sie wusste nur, dass sie keinen weiteren Tag auf Antaxos verbringen wollte, wo sie ihr gesamtes bisheriges Leben umgeben von schroffen Felsen gefangen gewesen war und sich nach einem anderen Leben gesehnt hatte. Sie konnte es nicht länger ertragen, die heile Fassade ihrer „Familie“ aufrechtzuerhalten. Und die Ereignisse der vergangenen Woche hatten sie noch mehr darin bestärkt.
Sie beugte sich hinunter und küsste ihre Mutter auf die Wange. „Träum davon, was du am ersten Tag deines neuen Lebens tun wirst. Du wirst wieder frei lachen können. Du wirst wieder malen, und die Leute werden deine Bilder kaufen wie früher.“
„Ach, ich habe seit Jahren nicht mehr gemalt. Der Antrieb ist mir abhanden gekommen.“
„Weil er nichts zulassen wollte, was dich von ihm getrennt hätte. Aber du wirst dein Leben zurückbekommen, ich verspreche es.“
„Und was, wenn dein Vater früher von Kreta zurückkommt und feststellt, dass du fort bist?“
Allein bei dem Gedanken tat sich vor ihr ein Abgrund auf. Doch Selene wollte sich nicht bange machen lassen. „Er wird nicht früher zurückkommen. Warum sollte er?“
Gelangweilt räkelte Stefan sich in seinem Sessel, die Füße auf der polierten Platte des Schreibtisches. Weit unterhalb, zu Füßen des Glasturms, der den Firmensitz seines Konzerns beherbergte, erwachte Athen ganz allmählich zum Leben. Eine Stadt voller Probleme, die versuchte, wirtschaftlich wieder auf die Beine zu kommen, während sie von aller Welt beobachtet wurde. Von allen Seiten wurde er bedrängt, seinen Hauptsitz doch in eine andere Stadt zu verlegen: New York. London. Irgendwohin, nur weg von der so schwer gebeutelten griechischen Hauptstadt.
Doch Stefan ignorierte diese Ratschläge. Er hatte nicht die Absicht, den Ort zu verlassen, an dem er das hatte werden können, was er war. Zu gut wusste er, was es bedeutete, alles zu haben und alles zu verlieren. Aus großem Wohlstand in bittere Armut abzustürzen. Er hatte am eigenen Leib Angst und Unsicherheit erlebt und welche Anstrengung nötig war, um sich vom Rande des Abgrundes zurückzuzerren. Ein Sieg war unter solchen Umständen noch befriedigender, und er hatte auf ganzer Front gesiegt. Längst besaß er mehr Geld und Macht, als sich manch einer vorstellen konnte.
Wahrscheinlich hätte es die meisten Leute überrascht, wie wenig ihm Geld bedeutete. Macht war etwas anderes. Stefan hatte schon früh gelernt, dass Macht alles war. Macht öffnete Türen, die sonst verschlossen blieben.
Das Telefon läutete schon mindestens zum zehnten Mal auf seinem Privatanschluss, was er aber ignorierte.
Ein Klopfen an der Tür riss ihn kurz darauf aus seinen Gedanken. Maria, seine persönliche Assistentin schaute herein.
Verärgert über die Störung, sah Stefan sie missbilligend an.
„Ersparen Sie mir diesen Blick“, sagte sie ungerührt. „Ich weiß, dass Sie nicht gestört werden wollten, aber Sie gehen nicht an Ihren Privatanschluss.“ Sie seufzte. „Sonyas persönliche Assistentin hat versucht, Sie zu erreichen, und schließlich Sonya selbst. Sie ist nicht gerade guter Laune.“
„Und deswegen ruft sie an? Sonyas Launen interessieren mich kaum mehr als die Wettervorhersage.“
„Ich soll Ihnen ausrichten, dass sie auf Ihrer Party heute Abend nicht die Gastgeberin spielen wird, solange Sie nicht eine Entscheidung bezüglich Ihrer Beziehung getroffen haben. Die genauen Worte: entweder ganz oder gar nicht.“
„Gar nicht. Es ist vorbei, was ich ihr aber bereits unmissverständlich mitgeteilt habe.“ Gereizt nahm er sein Telefon und löschte alle eingegangenen Nachrichten, ohne sie sich anzuhören. Dann begegnete er lächelnd Marias kritischem Blick. „Sie arbeiten jetzt zwölf Jahre für mich. Warum das lange Gesicht?“
„Macht es Ihnen nie etwas aus, wenn eine Beziehung zu Ende geht?“
„Nie.“
Kopfschüttelnd räumte Maria zwei benutzte Kaffeetassen vom Schreibtisch. „Sie haben unter den Frauen die freie Auswahl und können nicht eine finden, bei der Sie bleiben wollen? So erfolgreich Sie in allen anderen Bereichen sind, Ihr Privatleben ist eine Katastrophe.“
„Im Gegenteil, mir gefällt es genau so.“
„Aber Sie müssen doch mehr von einer Beziehung erwarten.“
„Ich erwarte vor allem heißen, häufigen, unkomplizierten Sex.“ Er lächelte ungeniert. „Und ich suche mir Frauen aus, die das Gleiche wollen.“
„Die Liebe würde Ihnen die Augen öffnen.“
Liebe? Unwillkürlich spürte Stefan, wie bei ihm eine Klappe herunterging. Er schwang die Füße vom Schreibtisch. „Hat sich Ihre Job-Beschreibung geändert, ohne dass ich es bemerkt habe? Oder gibt es eine neue EU-Vorschrift, die verlangt, dass Sie die Gestaltung meines Privatlebens übernehmen?“
„Schön, ich habe verstanden. Es geht mich nichts an.“ Maria verschwand mit den beiden Kaffeetassen zur Tür hinaus, um im nächsten Moment zurückzukommen. „Da ist jemand, der Sie sprechen möchte. Vielleicht kann sie Sie ja überreden, menschlicher zu denken.“
„Sie? Ich dachte ich hätte meinen ersten Termin um zehn Uhr.“
„Diese Person hat keinen Termin, aber ich würde sie nur ungern abweisen.“
„Warum nicht? Ich bezahle Sie doch als Drache, der meine Tür bewacht.“
„Oh, ich kann durchaus, falls nötig, ein Drache sein, aber nicht, wenn es sich bei der vorsprechenden Person um eine Nonne handelt.“
„Eine Nonne? Sie machen Witze.“
„Sie sagt, sie hätte etwas Dringliches mit Ihnen zu besprechen.“
Stefan lächelte spöttisch. „Wenn sie gekommen ist, um meine Seele zu retten, sagen Sie ihr, es wäre leider zu spät.“
„Das werde ich nicht“, widersprach Maria entschieden. „Ich kann es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, eine Nonne wegzuschicken.“
„Ich hätte nie gedacht, dass Sie so leichtgläubig sind. Ist Ihnen nicht in den Sinn gekommen, dass sie wahrscheinlich nur eine verkleidete Stripperin ist?“
„Ich weiß, wie eine echte Nonnentracht aussieht. Ihr Zynismus schadet Ihnen nur.“
„Ganz im Gegenteil, mein Zynismus war mir seit Jahren ein guter Schutz und wird es auch weiterhin sein. Um so wichtiger, da Sie anscheinend weich werden.“
„Tut mir leid, aber ich werde auf keinen Fall eine Nonne abweisen. Und sie hat ein wirklich liebes Lächeln. Wenn Sie sie wegschicken wollen, müssen Sie es schon selber tun.“
„Schön, schicken Sie sie herein. Und dann erkundigen Sie sich im nächste Kostümverleih, wie leicht man sich ein Nonnenkostüm ausleihen kann.“
Maria verschwand, und Stefan wartete ungeduldig und auch etwas ärgerlich über diese zweifellos sinnlose Störung. Einen Augenblick später erschien tatsächlich eine Nonne in schwarzer Ordenstracht in der Tür zu seinem Büro. Ihr langes Gewand ließ erahnen, dass sie von schlanker Gestalt war, allerdings hielt sie den Kopf gesenkt, sodass er ihr blasses Gesicht nicht erkennen konnte.
Unbeeindruckt von ihrer frommen Haltung, lehnte Stefan sich in seinem Sessel zurück und betrachtete seine ungebetene Besucherin forschend. „Wenn Sie erwarten, dass ich Ihnen meine Sünden beichte, sollte ich Sie vielleicht darauf hinweisen, dass ich bereits in einer Stunde einen Termin habe und diese Zeit auf keinen Fall ausreicht, um all meine Verfehlungen aufzulisten. Wenn es Ihnen andererseits um Geld geht, sollten Sie wissen, dass ich all meine wohltätigen Spenden über meine Anwälte abwickeln lasse. Ich verdiene das Geld nur und überlasse es anderen, es auszugeben.“
Anstatt sich von seinem Ton abschrecken zu lassen, wandte sich die Nonne einfach nur um und schloss die Tür.
„Sie können die Tür ruhig auflassen“, sagte er kalt, „denn in wenigen Sekunden werden Sie dieses Zimmer sowieso wieder verlassen. Ich habe keine Ahnung, was Sie damit gewinnen wollen …“ Er verstummte, als sie in diesem Moment ihren Schleier abnahm und ihr Haar in goldblonden Kaskaden über die dunkle Tracht fiel.
„Ich bin kein Nonne, Mr. Ziakas.“ Ihre Stimme klang sanft und verführerisch, was einen aufregenden Kontrast zu ihrer strengen Nonnentracht bildete.
„Natürlich nicht.“ Sein Blick ruhte wie gebannt auf ihrem seidigen Haar. „Aber Sie haben es geschafft, meine gestählte persönliche Assistentin zu überzeugen, was wirklich nicht jedem gelingt.“ Es ärgerte ihn plötzlich, dass Maria sich so leicht hatte täuschen lassen. „Ich bin es ja gewöhnt, dass die Frauen einige Tricks anwenden, um mich kennenzulernen, aber noch keine ist dafür so tief gesunken, sich als Nonne zu auszugeben. Das riecht nach Verzweiflung.“
„Ich gebe mich als überhaupt niemand aus. Aber es war unbedingt notwendig, dass ich nicht auffalle.“
„Ich beraube Sie ja nur ungern Ihrer Illusionen, aber im Geschäftsviertel von Athen ist der Habit einer Nonne nicht gerade eine gute Tarnung. Sie fallen hier etwa so auf wie ein Pinguin in der Wüste. Wenn Sie nicht auffallen wollen, sollten Sie es das nächste Mal mit einem Anzug versuchen.“
„Ich konnte nicht riskieren, erkannt zu werden.“ Sie ging zu dem großen Panoramafenster und blickte hinunter auf die Stadt.
Stefan beobachtete sie gereizt. Wer sollte sie erkennen? Wer war sie überhaupt? Die Ehefrau von irgendjemandem?
Etwas an ihrem Gesicht kam ihm bekannt vor. Er versuchte, sie sich ohne die Nonnentracht vorzustellen, aber in Gedanken eine Nonne auszuziehen, war selbst für ihn ein Schritt zu viel. „Kennen wir uns? In dem Fall müssen Sie meinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen. Wo? Wann? Ich muss zugeben, dass ich mir Namen nur schlecht merken kann.“
Sie drehte sich zu ihm um und blickte ihn mit ihren klaren grünen Augen direkt an. „Wo und wann was?“
„Wo und wann hatten wir Sex?“, ergänzte er unverblümt. „Ich bin sicher, es war fantastisch, aber Sie müssen mir helfen, mich an die Einzelheiten zu erinnern.“
Sie räusperte sich. „Ich hatte keinen Sex mit Ihnen.“
„Sind Sie sicher?“
„Den Gerüchten zufolge ist Sex mit Ihnen ein höchst denkwürdiges Ereignis, Mr. Ziakas. Glauben Sie wirklich, ich könnte es vergessen haben?“
Wider willen fasziniert, setzte Stefan sich in seinen Sessel. „Offensichtlich wissen Sie mehr über mich, als ich über Sie weiß. Was mich zu der naheliegenden Frage führt: Warum sind Sie hier?“
„Sie haben mir gesagt, ich solle in fünf Jahren wiederkommen. Die fünf Jahre sind vorbei. Genau genommen, waren Sie schon vergangene Woche abgelaufen. Sie waren sehr nett zu mir. Als Einziger.“
Ihr wehmütiger Ton ließ bei ihm Alarmglocken schrillen. Stefan ahnte Verletzlichkeit auf Meilen gegen den Wind und machte einen großen Bogen darum. „Dann müssen Sie mich wirklich verwechseln, denn ich bin niemals ‚nett‘ zu Frauen“, erwiderte er deutlich kühler. „Ganz im Gegenteil, denn dann kommen sie schnell auf dumme Gedanken. Sie wissen schon, Eheringe, Hochzeitsplaner und ein Haus auf dem Land. Das ist gar nicht mein Stil.“
Sie lächelte. „Aber Sie waren wirklich sehr nett zu mir. Ich glaube, ohne Sie wäre ich auf jener Party über Bord gesprungen. Sie haben sich die ganze Nacht mit mir unterhalten und mir neue Hoffnung gegeben.“
Stefan betrachtete ihr schimmerndes blondes Haar und kramte vergeblich in seinem Gedächtnis. „Es muss ein Irrtum sein, denn wenn ich Ihnen schon begegnet wäre, hätte ich bestimmt keine Nacht mit Reden vergeudet.“
„Sie haben mir gesagt, ich solle in fünf Jahren wiederkommen.“
Er stutzte, als sie das nun zum zweiten Mal sagte. „Ich bin beeindruckt, dass ich mich so beherrschen konnte.“
„Mein Vater hätte Sie umgebracht.“
Mein Vater hätte Sie umgebracht.
Plötzlich dämmerte es ihm. Diese klaren grünen Augen, wie er sie nur einmal zuvor gesehen hatte. „Selene? Selene Antaxos!“
„Sie erkennen mich also doch.“
„Kaum. Theé mou, mein Gott …“ Er betrachtete sie ungläubig. „Sie sind … erwachsen.“ Er hatte sie als ein schlaksiges blondes Mädchen in Erinnerung, ein linkischer Teenager, der völlig unter der Knute seines überfürsorglichen Vaters gestanden hatte. Eine verwöhnte Prinzessin, die sich nie aus ihrem schwer bewachten goldenen Käfig herauswagen durfte.
Halten Sie sich von meiner Tochter fern, Ziakas.
Diese unausgesprochene Drohung hatte ihn damals gerade veranlasst, sich mit ihr zu unterhalten.
Allein der Gedanke an den Namen Antaxos genügte gewöhnlich, um ihm den Tag zu verderben. Und jetzt stand seine Tochter hier vor ihm in seinem Büro. Widerstrebend rief er sich ins Gedächtnis, dass die Tochter nicht für die Sünden des Vaters verantwortlich war.
„Warum sind Sie wie eine Nonne gekleidet?“
„Ich musste irgendwie am Wachpersonal meines Vaters vorbeikommen.“
„Das war bestimmt nicht leicht. Allerdings, wenn Ihr Vater sich nicht so viele Feinde machen würde, bräuchte er keine Armee, um sich beschützen zu lassen.“ Stefan stand auf und kam um den Schreibtisch herum. „Was führt Sie hierher?“
Er erinnerte sich nur noch daran, dass sie ihm damals leidgetan hatte … und das vor allem, weil ihm so selten jemand leidtat. Obwohl er fest daran glaubte, dass jeder selbst für sein Schicksal verantwortlich war, war er bei ihrem Anblick doch zu dem Schluss gelangt, dass es wohl kaum etwas Schlimmeres geben konnte, als die Tochter von Stavros Antaxos zu sein.
„Ich werde es Ihnen gleich erklären.“ Sie bückte sich und griff nach dem Saum der schwarzen Ordenstracht. „Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich vorher das hier ausziehe? Es ist wirklich sehr heiß darin.“
„Wo haben Sie die Tracht überhaupt her? Aus einem Kostümverleih?“
„Nein, ich bin bei den Nonnen auf Poulos, unserer Nachbarinsel, zur Schule gegangen, und sie haben mir immer sehr geholfen. Deshalb haben sie mir auch die Tracht geliehen, aber jetzt brauche ich sie nicht mehr, weil ich bei Ihnen sicher bin.“
Kaum eine Frau hätte wohl behauptet, ausgerechnet bei ihm sicher zu sein! Ungläubig sah Stefan zu, wie sie sich das lange Gewand über den Kopf streifte und sich dann das zerzauste, golden schimmernde Haar schüttelte. Unter der sittsamen Nonnentracht trug sie eine weiße Seidenbluse kombiniert mit einem eleganten schwarzen Bleistiftrock, der sich eng an lange, wohlgeformte Beine schmiegte, deren Anblick jeden Mann auf dumme Gedanken gebracht hätte.
Stefan jedenfalls musste den Blick buchstäblich von ihren Beinen losreißen und richtete ihn wieder auf ihr Gesicht in dem vergeblichen Versuch, etwas von dem Teenager vor fünf Jahren wiederzuerkennen. „Sie … sehen ganz anders aus.“
„Das hoffe ich. Hoffentlich wie eine Geschäftsfrau, denn das bin ich jetzt.“ Aus ihrer großen Umhängetasche zog sie die leichte schwarze Kostümjacke, die zu dem Rock gehörte. Dann strich sie sich mit beiden Händen das lange Haar nach hinten und steckte es sich mit wenigen Handgriffen hoch. „Vor fünf Jahren hatte ich noch Sommersprossen und eine Zahnspange und sah scheußlich aus.“
Jetzt sah sie jedenfalls nicht scheußlich aus. „Weiß Ihr Vater, dass Sie hier sind?“
Ihre Antwort bestand in einem übermütigen Lächeln, das seinen Blick auf ihre aufregend sinnlichen Lippen lenkte.
„Ihr Vater muss einige schlaflose Nächte haben.“ Vergeblich versuchte Stefan in ihr das Mädchen von damals auf der Yacht zu erkennen. „Ich … sollte Ihnen etwas zu trinken anbieten. Möchten Sie …“, er überlegte, was wohl angemessen war, „… ein Glas Milch?“
Selene strich sich einige lose Strähnen aus dem Gesicht, was ebenso natürlich wie verführerisch wirkte. „Ich bin doch nicht sechs! Bieten Sie Ihren Besuchern oft Milch an?“
„Nein, aber normalerweise empfange ich auch keine Minderjährigen in meinem Büro.“
„Ich bin nicht mehr minderjährig, sondern erwachsen.“
„Ja, das ist nicht zu übersehen.“ Was war mit der Klimaanlage los? Ihm wurde plötzlich unerklärlich heiß. „Also, wie wär’s, wenn Sie mir jetzt erzählen, warum Sie hier sind?“ Wenn sie ihren Vater ruinieren wollte, teilten sie vielleicht das gleiche Ziel.
„Ich möchte Ihnen einen geschäftlichen Vorschlag machen.“
Er schaute ihr in die großen grünen Augen, deren Blick so hoffnungsvoll auf ihm ruhte, und wurde von heftigem Verlangen gepackt. Ein Gefühl, ebenso magisch wie unmissverständlich … und natürlich völlig unangemessen unter den gegebenen Umständen. Denn abgesehen von ihrem veränderten Aussehen wirkte sie noch genauso unschuldig wie an jenem Abend auf der Yacht. Es würde nur Ärger bringen, sich darauf einzulassen.
„Ich bin nicht bekannt dafür, dass ich Leuten einen Gefallen tue.“
„Das weiß ich. Und ich erwarte ja auch gar keinen Gefallen. Ich weiß viel über Sie … dass Sie privat ständig neue Affären haben und sich auf keine feste Beziehung einlassen und dass sie geschäftlich in dem Ruf stehen, skrupellos und eiskalt zu sein. Dazu dementieren Sie niemals die schlimmen Dinge, die man über Sie schreibt, und wehren sich nicht dagegen, dass man Sie als bösen Wolf hinstellt.“
„Trotzdem sind Sie hier.“
„Ich habe keine Angst vor Ihnen. Sie haben damals auf der Yacht sieben Stunden an meiner Seite gesessen und sich mit mir unterhalten, als sich sonst niemand um mich kümmern wollte.“ Selene faltete die Nonnentracht sorgfältig zusammen und steckte sie in ihre große Umhängetasche, ohne sich bewusst zu sein, dass sie dabei Stefan reizvolle Einblicke in ihr Dekolleté gewährte.
Vergeblich versuchte er, den Blick abzuwenden. „Sie waren niedlich“, sagte er ganz bewusst, um sein Verlangen nach ihr zu ersticken. Doch leider war genau das Gegenteil der Fall. Warum blickte sie ihn nur mit ihren schönen Augen so vertrauensvoll an?
Komm herein, Rotkäppchen, und mach die Tür hinter dir zu.
Arglos lächelte sie ihn an. „Ehrlich gesagt, ist es für mich etwas peinlich, mich daran zu erinnern. Ich war damals so aufgebracht, dass ich alles getan hätte, um meinen Vater wütend zu machen, aber Sie haben die Situation nicht ausgenutzt, obwohl Sie ihn hassen. Sie haben mich nicht ausgelacht, als ich mit Ihnen geflirtet habe, und auch nicht, als ich Ihnen verraten habe, dass ich mir ein eigenes Geschäft aufbauen wollte. Stattdessen haben Sie mir gesagt, ich solle in fünf Jahren wieder zu Ihnen kommen, was ich sehr taktvoll fand.“
Sie redete schnell, fast atemlos, und Stefan spürte, dass hier irgendetwas nicht stimmte. War es Verzweiflung oder Begeisterung, was aus ihr sprach? „Sind Sie sicher, dass Sie nichts trinken möchten?“, fragte er, um etwas Zeit zu gewinnen.
„Gern ein Glas Champagner!“
„Es ist noch nicht einmal zehn Uhr morgens.“
„Ich weiß. Aber ich habe ihn noch nie probiert und dachte, es wäre eine gute Gelegenheit. Laut Internet gehört Champagner zu Ihrem Lebensstil.“
Merkwürdig, er hätte gedacht, die Antaxos wären reich genug, um in Champagner zu baden! „Ob sie es glauben oder nicht, aber ich beschränke meinen Champagnerkonsum auf den Feierabend.“ Stefan rief seine Assistentin über die Gegensprechanlage. „Maria? Bringen Sie uns bitte eine Karaffe Wasser oder Limonade oder … irgendetwas Erfrischendes. Mit Eis“, fügte er rasch hinzu. „Viel Eis. Und etwas Gebäck.“
„Vielen Dank, wie aufmerksam. Ich bin halb verhungert.“
Stefan lehnte sich gegen den Schreibtisch, um eine sichere Distanz zu Selene zu wahren. „Sie haben also einen geschäftlichen Vorschlag. Erzählen Sie mir davon, und ich sage Ihnen, ob ich Ihnen helfen kann.“ Hatte er das wirklich gesagt? Wann hatte er je einem anderen geholfen außer sich selbst? Nicht umsonst war er schon sehr früh ganz auf sich allein gestellt gewesen.
„Ich möchte ein eigenes Geschäft aufbauen, so wie Sie es getan haben. An dem Abend auf der Yacht haben Sie mich dazu inspiriert. Sie haben mir erzählt, wie sie es ganz allein geschafft haben und was für ein tolles Gefühl es ist, von niemandem abhängig zu sein. Genau das will ich auch.“ Sie griff in ihre Umhängetasche und zog eine Mappe heraus. „Das ist mein Geschäftsplan. Ich habe mir sehr viel Mühe gegeben, ihn auszuarbeiten, und ich glaube, Sie werden beeindruckt sein.“
Stefan, der nur selten von den Geschäftsplänen anderer Leute beeindruckt war, nahm ihr die Mappe mit spitzen Fingern ab. „Gibt es auch eine elektronische Version?“
„Ich wollte es nicht auf dem Computer speichern, damit mein Vater es nicht findet. Letztendlich zählen doch die Berechnungen und nicht die Präsentation.“
Ihr Vater wusste also nichts davon, was vielleicht ihre Nervosität hinter all dem Überschwang und Optimismus erklärte. Mit wachsender Skepsis schlug Stefan die Mappe auf und überflog die erste Seite. Der Plan war erstaunlich professionell angelegt. „Kerzen? Das ist Ihre Geschäftsidee?“
„Nicht einfach bloß Kerzen. Duftkerzen und Seifen“, korrigierte Selene enthusiastisch. „Die Technik der Kerzenherstellung habe ich in dem Kloster gelernt, wo ich zur Schule gegangen bin. Irgendwann habe ich mit verschiedenen Düften experimentiert und schließlich drei Duftnoten kreiert, die ich zum Verkauf anbieten will.“
Kerzen! So ziemlich das langweiligste, unprofitabelste Produkt auf der Welt. Wie sollte er ihr das schonend beibringen? Er hatte keine Übung darin, Leute schonend abzuwimmeln. Zunächst einmal gab er sich alle Mühe, Interesse zu heucheln. „Warum erzählen Sie mir nicht, was an Ihren Kerzen so besonders ist? Ich meine, natürlich nicht alle Details.“ Lieber Himmel, bitte keine Details. Das Thema Kerzen war für ihn in etwa so interessant wie Smalltalk über das Wetter.
„Ich habe den drei Duftnoten Namen gegeben: Entspannung, Energie und …“, Selene errötete zart, „… Verführung.“
Unwillkürlich blickte er von der Mappe auf, sah, wie Selenes Augen vor Begeisterung leuchteten, und ahnte, dass seine erste Annahme richtig gewesen war. Selene war eine junge, gelangweilte Erbin, die ein wenig Geschäftsfrau spielen wollte.
Und plötzlich erinnerte er sich genau an jenen Abend auf der Yacht, als sie sich begegnet waren. Sie war damals ein unglücklicher, verwirrter, unsicherer Teenager gewesen. Ein hässliches Entlein inmitten einer Schar schöner Schwäne mit einem Vater, der sie vergötterte und kaum den Blick von ihr ließ. Keiner der anderen Männer hatte es gewagt, sie anzusprechen, keine der Frauen hatte Lust darauf verspürt. Also hatte sie so allein abseits gestanden, dass es kaum zu ertragen gewesen war.
Nun aber war sie kein linkischer Teenager mehr, sondern eine erwachsene Frau, und sie wusste es genau. Stavros Antaxos musste tatsächlich viele schlaflose Nächte haben.
Und jetzt blickte sie ausgerechnet ihn mit ihren großen Augen so vertrauensvoll an. Dabei hätte sie keinen Mann finden können, der ihr Vertrauen weniger wert gewesen wäre. Stefan fragte sich, wie viel sie über sein Verhältnis zu seinem Vater wusste. „Ihre Kerzen heißen also Entspannung, Energie und … Verführung?“
„Genau.“
„Und wie viel“, fragte er bedeutsam, „wissen Sie über Verführung?“
Na großartig. Von allen möglichen Fragen stellte er ausgerechnet diese! Nicht nach Markanteilen oder Wachstumsprognosen, sondern nach … Verführung.
Selene wahrte ihr geschäftsmäßiges Lächeln, wie sie es geübt hatte. Hinter ihrer Stirn arbeitet es fieberhaft. Was wusste sie über Verführung? Nichts. Und es war eine Fertigkeit, die sie auch niemals brauchen würde, sofern sich ihr Leben nicht grundlegend änderte. Was sie aber ganz sicher wusste, war, dass sie ohne Stefan Ziakas’ Hilfe ihre Mutter nie von der Insel wegbekommen würde. Und es lag an ihr, ihm zu beweisen, dass sie eine realisierbare Geschäftsidee hatte. „Was ich über Verführung weiß? Nun ja, nicht sehr viel. Aber wie heißt es so schön? Man muss nicht die Welt bereist haben, um Erdkunde zu unterrichten.“
Sie verkniff es sich, hinzuzufügen, dass sie natürlich ihre Fantasie hatte, die, gerade was ihn betraf, gerade mit ihr durchging.
Nachdem er damals so nett zu ihr gewesen war, hatte sie sich oft gefragt, ob sie ihn in ihrer Einsamkeit und in ihrer Teenager-Fantasie nicht zu einem wahren Gott hochstilisiert hatte. Aber jetzt, wo er vor ihr stand, war er noch genauso atemberaubend, wie sie ihn in Erinnerung hatte, und strahlte eine Kraft und unbändige Männlichkeit aus, die ihr Herz schneller klopfen ließ.
Doch es lag nicht allein an seiner stattlichen, athletischen Figur, dass er sie so tief beeindruckte, sondern vor allem auch an dem Gefühl, dass sich hinter dem maßgeschneiderten Anzug und den übrigen äußerlichen Erfolgssymbolen ein Mann verbarg, der sogar mehr Macht besaß als ihr Vater. Dieser erfolgsgewohnte, weltgewandte Geschäftsmann vor ihr hatte nicht viel mit dem freundlichen Fremden gemein, der sich damals auf jener unsäglichen Party so lieb um sie gekümmert hatte. Zunehmend verlegen beobachtete sie, wie er mit ausdrucksloser Miene ihren Geschäftsplan durchblätterte. Sicher hielt er ihn für Müll. Ihre Mutter hatte recht: Er würde ihr niemals helfen.
Selene nippte an ihrer Limonade und zwang sich zur Geduld, doch schließlich hielt sie es nicht mehr aus. „Also, was meinen Sie? Könnten Sie sich eine Investition vorstellen?“ Du liebe Güte, sie kam sich wie die letzte Hochstaplerin vor. Natürlich war es für ihn offensichtlich, dass sie noch nie eine echte Geschäftsverhandlung geführt hatte. Sie wartete nur darauf, dass er sie auslachen und aus seinem Büro werfen würde.
Stefan klappte die Mappe zu und legte sie hinter sich auf den Schreibtisch. Selene beobachtete ihn mit angehaltenem Atem. Er sah so sündhaft gut aus. Seit jener Party auf der Yacht hatte sie jede Nacht von ihm geträumt.
„Selene?“
Erschrocken riss sie sich zusammen. „Ja, ich höre.“
Sein intensiver Blick verriet ihr, dass er Übung darin hatte, die Gedanken anderer Menschen zu lesen. Wenn er erriet, was sie für ihn empfand, wollte sie auf der Stelle sterben!
Ihre Internet-Recherche hatte viel über seine zahlreichen Affären ergeben. Stefan Ziakas’ Leben war so weit von ihrem entfernt, dass es ihr wie eine Märchenwelt vorgekommen war: glitzernde Partys, Premieren, Oper, Ballet, Filmfestspiele. Die Liste war genauso endlos wie die der schönen Frauen an seiner Seite. Und während sie ihn jetzt ansah, konnte sie an nichts anderes denken.
„Haben Sie Proben von Ihren Kerzen?“
„Ja, natürlich.“ Nervös kramte sie in ihrer Tasche. Wahrscheinlich lag es nur daran, dass sie bislang so wenig vom richtigen Leben kannte, dass sie so heftig auf ihn reagierte. Ganz bewusst bemühte sie sich um einen geschäftsmäßigen Ton: „Ich weiß, dass meine Idee Potential hat. Dies sind natürlich nur Verpackungsproben, die noch angepasst werden können. Wir leben in einer schnellen, stressigen Welt, in der ein bezahlbarer Luxus wie Duftkerzen und feine Seifen einen zunehmenden Markt findet. Gegenwärtig beträgt die Wachstumsrate vierzig Prozent.“
Stefan beugte sich vor und nahm ihr eine der Kerzen aus der Hand. „Ich soll glauben, dass man damit das große Geschäft machen kann?“
„Warum nicht? Mögen Sie keine Kerzen?“
Er lächelte unglaublich sexy. „Wollen Sie eine ehrliche Antwort?“
Selene rief sich in Erinnerung, dass dies kein Flirt, sondern ein Geschäftstreffen war. „Ja, selbstverständlich.“
„Ich bin ein Mann. Es gibt wohl nur zwei Anlässe, bei denen ein Mann etwas für Kerzen übrig hat: bei einem Stromausfall, wenn auch der Generator versagt, und wenn er mit einer hässlichen Frau essen geht.“
Eine Lage, in der er sich ganz bestimmt noch nie befunden hatte. „Aber Kerzen sind doch viel mehr als nur eine romantische Tischbeleuchtung. Die Sorte, die ich Verführung genannt habe, duftet zum Beispiel nach Lotusblüten und schafft die perfekte Atmosphäre für … für …“
„Für was?“
Sie bemerkte das Funkeln in seinen Augen und hatte das sichere Gefühl, dass er sich über sie lustig machte. „Für … Verführung eben“, vervollständigte sie wenig kreativ.
„Und das wissen Sie, weil …?“
Alles Lachen war jetzt aus seinen Augen verschwunden, und er sah sie so intensiv an, dass sie das Gefühl hatte, von der Glut seines Blickes verzehrt zu werden.
„Weil … man es mir erzählt hat.“
„Aber Sie haben es nie selbst ausprobiert.“ Es war eine Feststellung, keine Frage.
Selene errötete. „Ich habe Entspannung und Energie selbst getestet.“
„Also keine Marktforschung über Verführung?“
„Doch, nur eben keine persönliche Forschung.“
Stefan legte die Kerze langsam auf den Schreibtisch, bevor er sich wieder Selene zuwandte. „Lassen Sie mich Ihnen etwas über Verführung verraten“, sagte er mit einer Stimme, die verführerischer war, als es tausend Duftkerzen je hätten sein können. „Für Sie ist es nur ein Wort, aber es ist viel mehr als das. Bei Verführung geht es darum, zu reizen, zu verlocken, zu überreden, bis der andere verrückt vor Verlangen ist. Ja, auch der Duft ist dabei wichtig, aber nicht der künstliche Duft einer Kerze, sondern der Duft der Person, mit der man zusammen ist. Duft, Berührung, Hören, Sehen, Schmecken … Verführung benutzt alle Sinne, nicht nur einen. Es geht darum, Körper und Geist eines anderen Menschen so zu vereinnahmen, dass er keines vernünftigen Gedankens mehr fähig ist … bis er nur noch eines will, reduziert auf einen elementaren Zustand, in dem nur noch der Augenblick zählt.“
Selene schluckte überwältigt. „Vielleicht … sollte ich die Kerze besser umbenennen.“
„Oh, ich bin sicher, dass es auch Männer gibt, die gern auf Duftkerzen als Anreiz zurückgreifen. Nur ich zähle nicht dazu.“
Nein, er brauchte natürlich keine zusätzlichen Anreize, um eine Frau zu verführen. Sicher waren seine Hände und Lippen in der Liebeskunst geübt genug … Selene merkte plötzlich, wie ihre eigenen Hände zitterten, und faltete sie energisch. „Nur weil Sie nicht zu meiner Zielgruppe gehören, bedeutet das nicht, dass ich kein entwicklungsfähiges Produkt habe. Bringen Sie mir bei, was ich wissen muss?“ Sein vielsagender Blick ließ sie zu ihrem Ärger erröten. „Ich meine selbstverständlich über Marketing und Geschäftsführung.“
„Ich habe eine Frage.“
„Ja, natürlich. Fragen Sie mich alles, was Sie wissen wollen. Möchten Sie mehr über mein Produkt erfahren?“, erwiderte Selene eifrig. „Die Kerzen sind wirklich von sehr guter Qualität, aus echtem Bienenwachs, nicht rußend und praktisch nicht tropfend.“
„Wirklich beeindruckend.“ Er nahm die Kerze erneut zur Hand, aber Selene hatte das Gefühl, dass er in Gedanken immer noch bei der Verführung weilte. „Aber das war nicht meine Frage.“
„Oh, sicher möchten Sie mich nach den Umsatzprognosen fragen. Ich habe jetzt schon einen Auftrag über fünftausend Kerzen von Hot Spa. Das ist eine höchst exklusive Kette von Wellness-Luxushotels in Griechenland. Aber das wissen Sie natürlich …“, sie räusperte sich, „… weil Sie der Eigentümer sind.“
Stefan reichte ihr die Kerze zurück. „Das war auch nicht meine Frage.“
„Entschuldigen Sie. Ich rede einfach zu viel. Das mache ich immer, wenn ich …“, verzweifelt, „… aufgeregt bin.“
„Nun, meine erste Frage lautet, warum will jemand wie Sie ein eigenes Geschäft aufziehen? Langweilen Sie sich?“
Sie verkniff sich ein hysterisches Lachen. „Nein.“
„Aber Sie sind die Erbin eines großen Vermögens. Sie brauchen kein eigenes Geschäft.“
Er hatte ja keine Ahnung. „Ich will mich beweisen.“
Stefan musterte sie lange. „Was mich zu meiner zweiten Frage führt: Warum kommen Sie zu mir? Wenn Ihnen wirklich ernst mit dieser Sache ist, dann könnte Ihr Vater doch in Ihr Geschäft investieren.“
Sie lächelte standhaft. „Ich will aber nicht den Namen meines Vaters darauf sehen. Das ist mein Projekt, das mir ganz allein gehören soll. Und ich will nicht, dass mir irgendjemand einen Gefallen tut.“ Was natürlich gelogen war, denn sie brauchte jede Gefälligkeit, die sich ihr bot. „Ich kann mich aber auch nicht an eine Bank wenden, weil sie mir ohne die Erlaubnis meines Vaters keinen Kredit gewähren. Also habe ich mir überlegt, wer nicht von meinem Vater abhängig ist, und bin auf Sie gekommen. Sie haben mir gesagt, ich solle in fünf Jahren noch einmal zu Ihnen kommen …“
Ein beredtes Schweigen breitete sich aus. Während Selenes Blick am markanten Gesicht ihres Gegenübers hing, fühlte sie, wie ihre Zuversicht allmählich schwand. Schlagartig wurde ihr bewusst, dass sie wohl einen kapitalen Fehler begangen hatte. Beschämt stand sie auf. „Danke, dass Sie mir so geduldig zugehört haben.“
Stefan, der immer noch entspannt an der Schreibtischkante lehnte, richtete sich ebenfalls auf. „Sie sind wegen eines Geschäftsdarlehns zu mir gekommen. Möchten Sie nicht meine Antwort hören?“
„Natürlich.“ Sie senkte den Kopf, machte sich bereit für das unvermeidliche Nein.
„Meine Antwort lautet ja.“
Sie brauchte einen Moment, um zu begreifen. „Wirklich? Sie sagen das nicht nur, weil ich es Ihnen zu schwer gemacht habe, es abzulehnen?“
„Nein ist mein Lieblingswort. Es fällt mir nie schwer, es auszusprechen.“
„Ich … dachte nur, dass Sie vielleicht nur deshalb zustimmen, weil Sie nicht wollen, dass ich enttäuscht bin.“
Ein seltsamer Ausdruck huschte über sein Gesicht. „Das ist nicht der Grund.“
Sie sah, wie sein Blick auf ihren Lippen ruhte, und ihr Herz pochte schneller. Ich liege nachts wach und denke an dich.
Stefan ging schweigend zum Fenster und blickte auf die Stadt hinunter. „Ihr Vater wird außer sich sein. Kümmert Sie das gar nicht?“
Und ob es sie kümmerte! Ihre eigene Sicherheit und die Sicherheit ihrer Mutter standen auf Messers Schneide, weshalb sie ja unbedingt fort musste. Am liebsten hätte sie ihm die Wahrheit gesagt, aber das verbot ihr die Loyalität gegenüber ihrer Mutter. „Er muss begreifen, dass es mein Leben ist. Ich will unabhängig sein.“
„Also eine verspätete Teenager-Rebellion?“
Sollte er das ruhig glauben. „Ich weiß, dass Sie keine Angst haben, ihm die Stirn zu bieten. Es genügt, Ihren Namen zu erwähnen, und mein Vater hat tagelang schlechte Laune.“
Stefans Miene wirkte plötzlich wie versteinert. „Hat er Ihnen je gesagt, warum?“
„Natürlich nicht. Mein Vater würde nie mit einer Frau über Geschäfte sprechen. Ja, er wird sicher nicht erfreut über mein Handeln sein, aber er muss es akzeptieren.“ Der dumpfe Schmerz in ihrem Arm erinnerte sie unangenehm daran, wie wütend er sein würde. „Aber wenn es ein Problem für Sie ist, ihn zu verärgern …“
„Das ist kein Problem.“ Nach kurzem Zögern, wandte er sich wieder seinem Schreibtisch zu, drückte eine Taste am Telefon und wies im nächsten Moment jemand aus seiner Rechtsabteilung an, alle nötigen Vorkehrungen zu treffen, um ihr einen Kredit in der Höhe zu gewähren, die sie für erforderlich hielt.
Selene, die sich insgeheim auf eine Ablehnung gefasst gemacht hatte, wollte ihren Ohren nicht trauen. Stefan Ziakas würde ihr das Geld leihen. Einfach so. Alle Angst und Sorge wich einem überwältigenden Glücksgefühl, sodass sie am liebsten durch das Büro getanzt wäre.
„Das wäre erledigt.“ Gelassen drehte Stefan sich wieder zu ihr um, wobei ihm die Wirkung seiner Entscheidung überhaupt nicht bewusst zu sein schien. „Meine einzige Bedingung ist, dass Sie mit einem meiner Manager für Geschäftsentwicklung zusammenarbeiten, der Ihnen Zugang zu allen hauseigenen Ressourcen der Ziakas Corporation verschaffen wird. Auf diese Weise ist der kontinuierliche Kontakt zu Zulieferern und Kunden gewährleistet und Sie können prinzipiell auf Geldmittel in jeder erforderlichen Höhe zurückgreifen.“
Selene sah ihn mit verklärten Augen an. Er war einfach wundervoll. Egal, was die Leute über seine Skrupellosigkeit erzählten und wie sehr sie ihn fürchteten, zu ihr war er immer nur freundlich und nett gewesen.
„Ich …“ Sie konnte es kaum fassen, dass sie jetzt tatsächlich ein eigenes Geschäft aufbauen konnte. Fast wäre sie ihm vor Freude um den Hals gefallen, aber sie erinnerte sich noch gerade rechtzeitig daran, dass dies eine Geschäftsbesprechung war. „Ich bedanke mich für Ihr großzügiges Entgegenkommen. Sie werden es nicht bereuen“, sagte sie deshalb würdevoll. Und ja, jetzt sollte sie ihm die Hand schütteln, um das Geschäfts zu besiegeln.
Kurz entschlossen ging sie auf ihn zu und reichte ihm die Hand.
Stark und warm schloss sich seine große Hand um ihre kleine, und aus dem Händeschütteln wurde rasch etwas ganz anderes. Selene roch den Duft seines exklusiven Aftershaves und hätte am liebsten das Gesicht an seinen Hals gepresst. Sie musste sich nur ein ganz klein wenig vorbeugen, um ihn zu küssen … erschrocken über ihre Gedanken, blickte sie hinunter auf seine Hand, die immer noch ihre hielt. Und plötzlich konnte sie an nichts anderes mehr denken als an Sex. Sex mit diesem atemberaubenden Mann. Dabei hatte sie gar keine Erfahrung.
Aber er sicher mehr als genug.
„Nachdem das nun geklärt ist“, meinte er sanft, „bleibt die Frage, wie weit Sie in Ihrem Streben nach Unabhängigkeit gehen wollen.“
Unwillkürlich malte sie sich aus, wie es wohl wäre, wenn seine starken Hände sie streicheln würden. „Warum … fragen Sie?“
„Weil ich heute Abend eine Party gebe und unerwartet keine Partnerin mehr habe. Was halten Sie davon, Ihre neu entdeckte Unabhängigkeit stilgerecht zu feiern?“
Sie blickte zu ihm auf. Das Funkeln in seinen Augen wirkte amüsiert … und eine Spur gefährlich.
Selene jagte ein Schauer der Erregung über den Rücken. Stefans glühender Blick raubte ihr buchstäblich den Atem. „Sie … laden mich zu einer Party ein?“ Bisher kannte sie nur die Feste ihres Vaters, wenn der wieder einmal entschieden hatte, dass es Zeit war, der Öffentlichkeit mal wieder seine Familie zu präsentieren. Das waren die schmerzlichsten und einsamsten Momente ihres Lebens, eine einzige Heuchelei. Noch nie hatte sie nur zum Spaß eine Party besucht, wo sie ganz sie selbst hatte sein können.
Warum lud Stefan sie ein? „Wenn ich ablehne, heißt das …?“
„Meine Zusage für den Kredit steht. Sie ist nicht von Ihrer Antwort abhängig.“
Die Verlockung war groß. „Was für eine Party ist es denn?“
„Nur für Erwachsene. Ganz ohne Wackelpudding oder Eiscreme.“
Eine Party. Mit ihm. „Und ich soll Ihre Partnerin sein?“
„Genau.“
Ihr Herz pochte aufgeregt. Natürlich war es klüger, sich zu verabschieden. Nachdem Stefan ihr seine Hilfe zugesagt hatte, sollte sie besser so schnell wie möglich nach Antaxos zurückkehren und ihre Mutter dort wegholen, lange bevor ihr Vater zurück sein würde.
Andererseits blieb ihr Vater immer eine Woche auf Kreta. Warum sollte sie sich nicht etwas Spaß gönnen? Zum ersten Mal in ihrem Leben war sie frei, selbst zu entscheiden … niemand bewachte sie und auch ihre Mutter war erst einmal sicher. Sie wollte zu dieser Party gehen, und sie konnte es. War das nicht der Sinn des Ganzen? Ihr Leben so zu führen, wie sie es wollte?
„Ich habe nichts anzuziehen“, sagte sie, ohne zu überlegen.
„Dem lässt sich leicht abhelfen.“
„Ich habe schon immer davon geträumt, ein aufregendes rotes Abendkleid zu trafen und Champagner aus einer Champagnerflöte zu trinken in Begleitung eines attraktiven Mannes im Smoking. Werden wir auf der Party Champagner trinken?“
Er lächelte geradezu sündhaft sexy. „Die ganze Nacht.“
„Und werden wir auch …?“
Seine Augen funkelten, und er beugte sich vertraulich zu ihr vor. „Wenn du wissen willst, was ich glaube, dass du wissen willst, dann lautete die Antwort: Ja, wir werden es ganz bestimmt tun.“
„Wie hat er es geschafft, dass all diese Kleider so schnell hierher geliefert wurden? Und wie konnte er meine Größe so genau erraten? Nein, warten Sie, das will ich lieber gar nicht wissen.“
Selene stand staunend vor einer Stange voll mit den schönsten Abendroben und fühlte sich, als wäre sie mitten in ein Hollywood-Filmset geraten.
„Wenn Stefan zum Telefon greift, reagieren die Leute in der Regel mit Überschallgeschwindigkeit“, antwortete Maria, die gerade ein elegantes Abendtäschchen auspackte. „Das sind die Vorteile, die man als mächtiger Mann genießt.“
„Mit der Einschränkung, dass Sie es waren, die herumtelefoniert hat.“
„Stimmt.“ Maria lächelte. „Stellvertretende Macht. Warum suchen Sie sich nicht ein Kleid aus? Stefan hat noch eine wichtige Besprechung.“
„Ich würde mich sowieso nicht trauen, mich vor ihm auszuziehen, und zusammen mit einer Frau macht das Aussuchen und Anprobieren viel mehr Spaß. Es war sehr rücksichtsvoll von ihm, Sie zu bitten, mir zu helfen.“ Selene bemerkte, wie Maria das Gesicht verzog. „Sie halten ihn nicht für rücksichtsvoll?“
Stefan Ziakas’ persönliche Assistentin nahm ein wunderschönes Paar High Heels aus einem Schuhbeutel. „Das ist sicherlich ein Wort, das ich noch nie in Zusammenhang mit ihm gehört habe.“
„Er steht an der Spitze eines großen Unternehmens und muss natürlich hart sein. Aber ich bin ihm bisher zweimal begegnet, und er war jedes Mal sehr freundlich und nett zu mir.“
Maria stellte die Schuhe vor ihr hin. „Sie ahnen ja nicht, wie sehr es mich freut, das zu hören. Wie wär’s, wenn Sie sich jetzt ein Kleid nehmen und es anprobieren? Denn er möchte bald los, wenn die Besprechung vorbei ist. Haben Sie schon auf irgendetwas ein Auge geworfen?“
„Das rote Kleid“, antwortete Selene, ohne zu überlegen. Keine andere Farbe passte so gut zu ihrer Stimmung. Gewagt. „So etwas habe ich noch nie in meinem Leben getragen.“ Bewundernd nahm sie das Kleid von der Stange: ein Traum aus schimmernder scharlachroter Seide, das trägerlose Top mit funkelnden Strasssteinen bestickt. „Es ist wundervoll. Aber wäre es zu übertrieben?“
„Nein, die Party wird glamourös sein, und dieses Kleid ist sehr mondän.“ Maria betrachtete es nachdenklich. „Sind Sie sicher, dass Sie nicht etwas anderes nehmen wollen? Vielleicht das blaue?“
„Sie glauben, dass es Stefan nicht gefallen wird?“
„Ich glaube, dass es ihm etwas zu gut gefallen könnte.“
„Wie könnte es ihm zu gut gefallen?“
„Selene …“ Maria seufzte. „Sind Sie ganz sicher, dass Sie auf diese Party gehen wollen?“
„Aber ja! Ich bin ganz verrückt darauf! Sie haben keine Ahnung, wie langweilig mein Leben bis jetzt war. Ich will mich herausputzen, Champagner trinken und mit Stefan eine fantastische Nacht verbringen.“
„Hauptsache, Ihnen ist klar, dass Sie nicht mehr als das erwarten können“, meinte Maria sanft. „Stefan ist ein Traummann, der sich für die meisten Frauen aber rasch als Albtraum entpuppt. Denn er ist nicht der Typ für den Traualtar, das ist ihnen doch klar, oder? Sie sind ein richtig nettes Mädchen, und es täte mir sehr leid, wenn er Ihnen wehtun würde.“
Selene wusste besser als jeder andere, was wehtun wirklich bedeutete. Eine kleine Enttäuschung konnte ihr keine Angst machen. „Keine Sorge, ich freue mich einfach nur darauf, endlich einmal Spaß zu haben und mich eine Nacht lang richtig zu amüsieren.“
„Ist das so etwas Ungewöhnliches für Sie?“
„Ich … habe einen überfürsorglichen Vater.“ Sie hielt es für klüger, nicht noch mehr zu verraten, und nahm das Kleid. „Ich werde es jetzt wohl besser anprobieren.“
Maria reichte ihr noch einige Schachteln. „Das sind die dazugehörigen Dessous. Probieren Sie alles an, und sagen Sie, wenn Sie Hilfe brauchen.“
Eine Stunde später war Selene die stolze Besitzerin eines atemberaubenden Abendkleides plus allem Notwendigen für eine Übernachtung in einer Luxusvilla auf einer griechischen Insel. Alle Besorgnis über eine vorzeitige Rückkehr ihres Vaters schob sie energisch beiseite. Das war so gut wie noch nie vorgekommen. Nein, sie würde auf diese aufregende Party mit Stefan gehen und noch reichlich Zeit haben, um ihre Mutter zu holen, bevor ihr Vater von Kreta zurückkam.
„Sie dürfen nicht mit diesem Mädchen auf die Party gehen. Das ist unmoralisch!“
Stefan blickte zu seiner persönlichen Assistentin auf, die sich zornig vor seinem Schreibtisch aufgebaut hatte.
„So sollten Sie besser unerwünschte Besucher verschrecken!“ Er legte seinen Stift beiseite. „Muss ich Sie daran erinnern, dass Sie sie überhaupt erst in die Höhle des Löwen vorgelassen haben?“
„Es ist mir ernst, Stefan. Sie ist ein unschuldiges Ding und Ihnen nicht gewachsen.“
„Sie ist erwachsen und weiß genau, was sie tut.“ Er wandte sich wieder seinen Papieren zu.
„Sie ist eine Idealistin und Träumerin, die meint, Sie wären rücksichtsvoll und nett!“
„Ich weiß“, erwiderte er lächelnd. „Ausnahmsweise bin ich einmal der Gute. Eine ungewohnte Rolle, aber ich muss zugeben, sie macht mir Spaß.“
„Sie behandeln sie wie ein schönes, neues Spielzeug. Schicken Sie sie nach Hause zu ihrem Vater zurück.“
„Wissen Sie, wer ihr Vater ist?“, fragte Stefan betont beiläufig.
„Nein, sie sagte nur, er wäre überfürsorglich.“
„Ist das ein passendes Synonym für ‚despotisch‘? Ihr Vater ist Stavros Antaxos.“ Er sah, dass Maria blass wurde. „Ja, genau“, fügte er eisig hinzu. Allein diesen Namen auszusprechen wühlte all die Gefühle auf, die er über zwei Jahrzehnte lang gelernt hatte zu beherrschen.
„Wie kann ein so schrecklicher Mann ein so zauberhaftes Geschöpf wie Selene hervorbringen?“
Die Frage hatte er sich auch schon gestellt. „Ich nehme an, sie kommt nach ihrer Mutter.“
„Aber warum sollte sie sich ausgerechnet an Sie wenden?“
Auch diese Frage hatte sich ihm aufgedrängt. „Ich bin ein Held. Wussten Sie das nicht? Der erste Mann, der Frauen in den Sinn kommt, wenn sie in Schwierigkeiten stecken.“
„Sie sind ein Mann, der Frauen nur in Schwierigkeiten bringt.“
„Autsch! Das ist hart.“ Er lehnte sich entspannt zurück. „Hier stehe ich, das Schwert in der Hand, um zur Rettung der schönen Jungfrau dem Drachen den Kopf abzuschlagen, und Sie untergraben so mein Selbstbewusstsein.“
Maria schien das nicht lustig zu finden. „Ist es nicht vielmehr so, dass Sie die schöne Jungfrau benutzen wollen, um den bösen Drachen zu reizen? Weiß sie, wie sehr ihr Vater Sie hasst? Kennt sie die Geschichte?“
Keiner kannte die ganze Geschichte, nicht einmal Maria, der er mehr vertraute als irgendeinem anderen Menschen. Maria glaubte, dass es sich lediglich um eine extreme Rivalität zwischen zwei geschäftlichen Konkurrenten handelte, zwei Alphamännchen, die sich gegenseitig nichts gönnten und das Revier streitig machten. Sie hatte keine Ahnung, wie weit es tatsächlich zurückreichte und wie tief die Narben waren. Wie sollte sie? Er achtete sehr darauf, nichts davon nach außen dringen zu lassen.
„Sie ist gerade wegen meiner Beziehung zu ihrem Vater auf mich gekommen.“
„Nennt man das nicht, vom Regen in die Traufe?“, meinte Maria missbilligend.
„Wollen Sie damit sagen, dass ich genauso schlimm bin wie Antaxos? Sie haben aber keine schmeichelnde Meinung von Ihrem Boss.“
„Was Ihre geschäftlichen Fähigkeiten betrifft, kennt meine Bewunderung keine Grenzen, aber für Frauen sind Sie Gift. Was genau haben Sie mit der Kleinen vor?“
„Bei Frauen mache ich nie große Pläne. Das sollten Sie doch wissen. Denn ‚Pläne‘ bedeuten ‚Zukunft‘, und wir wissen beide, dass das bei Frauen für mich kein Thema ist. Ich habe mich entschlossen, ihr bei der Verwirklichung ihrer Geschäftsidee zu helfen, die mir bemerkenswert gut durchdacht zu sein scheint. Und ich nehme sie mit auf eine Party und sorge dafür, dass sie mehr Spaß haben wird als in ihrem ganzen bisherigen Leben. Sie ist zweiundzwanzig, strebt nach Unabhängigkeit und kann selbst entscheiden, wie sie ihre Zeit verbringt.“
„Sie ist noch sehr unerfahren.“
„Ja, was ich ungewöhnlich reizvoll finde.“
„Hat das vielleicht auch etwas mit der Tatsache zu tun, dass Sie ganz bestimmt der letzte Mann wären, den ihr Vater sich an ihrer Seite wünscht? Allein die Vorstellung, dass sie mit Ihnen zusammen ist, wird ihn wahnsinnig machen.“
Stefan lächelte. „Darin besteht ein zusätzlicher Reiz.“
„Ich mache mir Sorgen um sie, Stefan“, beharrte Maria.
„Sie ist zu mir gekommen. Sie hat mich um Hilfe gebeten. Ich helfe ihr.“ Natürlich hatte auch er gemerkt, dass da noch irgendetwas dahintersteckte. Er wusste nicht genau, was für ein Spiel sie spielte, aber gerade das machte es so spannend. „Ich kann mich nicht erinnern, dass Sie sich schon einmal so schützend vor eine Frau gestellt haben, mit der ich verabredet war.“
„Weil Sie sich normalerweise mit Frauen treffen, die keinen Schutz benötigen.“
„Höchste Zeit für etwas Abwechslung.“ Stefan stand auf. „Wie lange braucht sie noch, bis sie fertig ist?“
„Oh, sie wusste in weniger als fünf Sekunden, welches Kleid sie wollte, und hat auch nicht viel mehr gebraucht, um es anzuprobieren.“
„Sie gefällt mir immer besser“, meinte Stefan beeindruckt.
„Und sie hat eine sehr hohe Meinung von Ihnen.“
„Ich weiß.“ Er ging zur Tür.
„Wo bleibt Ihr Gewissen?“, rief Maria ihm frustriert nach.
Er nahm sein Jackett. „Ich habe kein Gewissen.“
Staunend betrat Selene Stefans Villa, einen luftigen Bau mit hohen Decken und großen Glasfronten. In diesem Bekenntnis zur modernen Architektur war kein Platz für düstere Ecken oder bedrückende Finsternis, sondern nur Helligkeit und Licht, das sich in den Marmorböden spiegelte und die warmen, mediterranen Farben zum Strahlen brachte, die das betont schlicht eingerichtete Interieur in ein luxuriöses und dennoch wohnliches Heim verwandelten.
Draußen gelangte man über eine angenehm schattige, von dichtem Wein berankte Terrasse in einen üppig blühenden Garten, der sanft zu einer kleinen Bucht mit Sandstrand abfiel. Selbst hier kannte die Idylle noch kein Ende. Denn anders als auf Antaxos, wo die bedrohlichen Felsen wie Monsterzähne aus Untiefen aufragten, die jeden zu verschlingen drohten, der sich der Küste der Insel zu nähern wagte, gab es hier nur feinsten Sand und flaches, klares Wasser, in dem silberne Fischchen glitzerten.
„Deshalb sind die griechischen Inseln also bei den Touristen so beliebt“, bemerkte sie versonnen.
Stefan schaute sie fragend an. „Gab es einen Grund, daran zu zweifeln?“