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WOVON EINE PRINZESSIN TRÄUMT von MICHELLE CELMER Garret Sutherland ist der Richtige! Schon nach fünf Minuten auf dem königlichen Ball ist Prinzessin Louisa sich sicher. Sie und der Selfmade-Millionär, das wird für immer und ewig sein. Eine königliche Verlobung aus Liebe! Doch auch eine Prinzessin kann sich täuschen … DU BIST MEINE PRINZESSIN von CATHIE LINZ Unerkannt bummelt Prinzessin Vanessa durch New York. Keine Pflichten, keine Termine – und an ihrer Seite der gut aussehende Mark Wilder. Schon träumt Vanessa vom großen Glück mit ihm. Doch sie ahnt nicht, dass ihr Begleiter heimlich für den König arbeitet … IM KÖNIGREICH DER LIEBE von ROBYN DONALD In einer zärtlichen Nacht vergisst die hübsche Melissa, Prinzessin von Illyria, in den Armen des Millionärs Hawke Kennedy den Hof, die Etikette und jede Vorsicht. Doch kaum glaubt sie an die wahre Liebe, erscheint überraschend eine Rivalin auf der Bildfläche!
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Seitenzahl: 564
Michelle Celmer, Cathie Linz, Robyn Donald
JULIA ROYAL BAND 27
IMPRESSUM
JULIA ROYAL erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg
Neuauflage 2024 in der Reihe JULIA ROYAL, Band 27
© 2010 by Michelle Celmer Originaltitel: Virgin Princess, Tycoon’s Temptation“ erschienen bei: Silhouette Books, Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Ute Augstein Deutsche Erstausgabe 2011 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe BACCARA, Band 1689
© 2001 by Cathie L. Baumgardner Originaltitel: „The Marine & The Princess“ erschienen bei: Silhouette Books, Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Alexa Christ Deutsche Erstausgabe 2004 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe JULIA EXTRA, Band 227
© 2006 by Robyn Donald Kingston Originaltitel: „The Rich Man’s Royal Mistress“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Sabine Reinemuth Deutsche Erstausgabe 2007 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe JULIA, Band 1788
Abbildungen: Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 06/2024 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783751525343
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY
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Da sie hoffnungslos romantisch veranlagt war, hatte Prinzessin Louisa Josephine Elisabeth Alexander im Grunde ihres Herzens schon immer geahnt, dass sie dem Mann ihrer Träume ganz sicher irgendwann begegnen würde – wenn sie nur lang genug wartete. Und als ihre Blicke sich im belebten Ballsaal unter einem rot und weiß beschienenen Baldachin trafen, achtete sie nicht mehr auf die roten und weißen Ballons in Herzform. Plötzlich schien die Welt stillzustehen.
Louisa wusste einfach, dass er der Richtige war.
Ihre Familienmitglieder hätten sie jetzt vermutlich daran erinnert, dass sie das schon mehrfach bei einem Mann gedacht hatte. Aaron hätte sie eine verträumte Romantikerin genannt. Chris, ihr ältester Bruder, hätte lediglich kopfschüttelnd gesagt: „Jetzt fängt das schon wieder an.“ Ihre Schwester Anne hätte wahrscheinlich geringschätzig geseufzt und Louisa als naiv bezeichnet. Doch dieses Mal war es anders, denn dieses Mal fühlte Louisa die kosmische Verbindung ihrer Seelen ganz deutlich.
Er war der faszinierendste, attraktivste und größte Mann auf dem Wohltätigkeitsball und hatte Louisas Aufmerksamkeit augenblicklich auf sich gezogen. Ihr waren sein rabenschwarzes Haar, der sonnengebräunte Teint und die umwerfend schönen Gesichtszüge sofort aufgefallen. Einen Mann wie ihn konnte man unmöglich übersehen.
War er ein italienischer Geschäftsmann oder ein Prinz aus dem Mittelmeerraum? Wer auch immer er war, es bestand kein Zweifel daran, dass er zu den Reichen und Mächtigen gehörte. Das erkannte Louisa an der teuren Kleidung und der selbstbewussten Ausstrahlung.
Die meisten hätten es nicht gewagt, ein Mitglied der königlichen Familie anzustarren. Aber dieser Mann sah Louisa unverhohlen mit seinen dunklen Augen an, als wären sie alte Bekannte – was mit Sicherheit nicht der Fall war. Louisa hätte sich garantiert an ihn erinnert. Vielleicht wusste er einfach nicht, dass sie ein Mitglied des Königshauses war, obwohl die diamantbesetzte Tiara eigentlich Bände hätten sprechen sollen.
Eine andere Frau hätte vielleicht darauf gewartet, dass er den ersten Schritt unternahm. Möglicherweise hätte sie dafür gesorgt, dass ihre Wege sich wie zufällig kreuzten – doch Louisa hielt nichts von solchen Spielchen, was ihren überbesorgten Geschwistern stets Verdruss bereitete. Da sie fünf Minuten später als ihre Zwillingsschwester auf die Welt gekommen war, war Louisa das jüngste Mitglied der königlichen Familie. Im Gegensatz zu ihren Geschwistern war Louisa davon überzeugt, dass nicht jeder sich ausschließlich für ihren Titel und Reichtum interessierte.
Sie stellte das Champagnerglas ab und ging auf den Fremden zu. Der Tellerrock ihres pinkfarbenen Kleides streifte dabei das Parkett. Keine Sekunde lang unterbrach der Mann den Blickkontakt.
Erst als sie fast vor ihm stand, senkte er den Kopf. „Eure Hoheit sieht heute Abend einfach bezaubernd aus“, sagte er mit tiefer und wohlklingender Stimme.
Das war ja gar nicht mal so schlecht für den Anfang. Seinem Akzent nach zu urteilen stammte er ebenfalls von Thomas Isle. „Sie haben mir etwas voraus“, erwiderte sie. „Sie wissen anscheinend, wer ich bin, aber ich glaube nicht, dass wir uns schon einmal begegnet sind.“
Die meisten Menschen hätten sich jetzt vermutlich dafür entschuldigt, Louisa derart angestarrt zu haben, doch dieser Mann wirkte nicht so, als würde er sich überhaupt jemals für etwas entschuldigen. „Das könnte daran liegen, dass wir uns tatsächlich noch nie begegnet sind“, antwortete er.
„Das klingt nach einer vernünftigen Erklärung“, entgegnete Louisa lächelnd.
Er war ein wenig älter, als sie zunächst angenommen hatte. So um die Mitte dreißig, etwa zehn Jahre älter als sie, schätzte Louisa. Sie bevorzugte Männer, die älter und erfahrener waren als sie. Außerdem war er größer, als sie gedacht hatte, denn sie reichte ihm kaum bis ans Kinn. Allerdings war nicht nur seine Größe beeindruckend. Er war grandios gebaut und schien kein Gramm Fett zu viel zu haben. Zudem trug er keinen Ehering.
Ohne Zweifel war diese Begegnung schicksalhaft. Louisa streckte die Hand aus. „Prinzessin Louisa Josephine Elisabeth Alexander.“
„Das ist ein ziemlich langer Name“, kommentierte er amüsiert.
Mit seiner großen Hand umfasste er Louisas zierliche Finger und führte sie an seinen Mund, um einen zarten Kuss darauf zu hauchen. Täuschte Louisa sich, oder bebte tatsächlich in diesem Moment der Boden unter ihren Füßen? „Und Sie sind …?“, fragte sie, während ihr das Herz bis zum Hals schlug.
„Geehrt, Sie zu treffen, Eure Hoheit.“
Entweder hatte er keinen Schimmer von der höfischen Etikette, oder er stellte sich dumm. „Haben Sie auch einen Namen?“, hakte Louisa nach.
Als sie sein herausforderndes Lächeln auffing, rieselte ihr ein warmer Schauer über den Rücken.
„Garrett Sutherland“, erwiderte er.
Sutherland? Plötzlich traf die Erkenntnis sie wie ein Schlag. Ihr Bruder hatte den Namen gelegentlich erwähnt. Mr. Sutherland war ein Großgrundbesitzer, der annähernd so viel Land wie die königliche Familie besaß. Er war nicht nur einer der reichsten, sondern auch einer der geheimnisvollsten Männer des Landes. So gut wie nie erschien er bei Veranstaltungen wie dieser und blieb lieber für sich allein, sofern es sich um kein Geschäftstreffen handelte. Garrett Sutherland war garantiert nicht auf Louisas Geld aus.
„Mr. Sutherland“, sagte sie. „Ihr Ruf eilt Ihnen voraus. Es ist mir eine Freude, Sie endlich persönlich kennenzulernen.“
„Die Freude ist ganz auf meiner Seite, Eure Hoheit. Wie Sie sicherlich wissen, meide ich Veranstaltungen wie diese hier normalerweise. Als ich jedoch erfahren habe, dass der Erlös der Herzforschung und somit auch Ihrem Vater zugutekommt, musste ich einfach kommen.“
Das beweist nur, wie freundlich und umsichtig dieser Mann ist, dachte Louisa. Jemand, den ich auf jeden Fall näher kennenlernen will.
Er sah sich suchend im Ballsaal um. „Ich habe den König heute Abend noch nicht gesehen. Es geht ihm hoffentlich gut?“
„Sehr gut, den Umständen entsprechend. Eigentlich hatte er auch hierherkommen wollen, aber sein Arzt hat ihm davon abgeraten.“
Louisas Vater, der König von Thomas Isle, litt unter einer Herzschwäche. Louisa war stolz darauf, dass die Idee für den Ball von ihr stammte. Normalerweise interessierte sich niemand in ihrer Familie für ihre Vorschläge, doch jetzt hatten sie die junge Prinzessin zum ersten Mal in ihrem Leben ernst genommen.
Als ihr bewusst wurde, dass das Orchester ihren Lieblingswalzer spielte, fragte sie: „Würden Sie gerne tanzen, Mr. Sutherland?“
Verwundert zog er eine Augenbraue hoch. Vermutlich dachte er, dass die meisten Frauen nicht den ersten Schritt gemacht hätten – aber Louisa war nicht wie die meisten Frauen. Außerdem hatten sie es hier mit kosmischer Vorherbestimmung zu tun. Was konnte es schon schaden, dem Schicksal ein wenig auf die Sprünge zu helfen?
„Es wäre mir eine Ehre, Eure Hoheit“, erwiderte er und bot ihr den Arm an. Als er sie zur Tanzfläche führte, befürchtete Louisa, ihrer Schwester oder ihren Brüdern in die Arme zu laufen. Doch glücklicherweise waren Chris und seine hochschwangere Frau Melissa damit beschäftigt, das Königspaar während dessen Abwesenheit zu vertreten. Aaron klebte förmlich an der Seite seiner ihm frisch angetrauten Olivia, einer Vollblutwissenschaftlerin, die sich außerhalb eines Forschungslabors wie ein Fisch auf dem Trockenen fühlte.
Louisa erspähte auch ihre Schwester Anne und stellte überrascht fest, dass sie sich mit dem Sohn des Premierministers unterhielt. Eigentlich zählte Samuel Baldwin nicht gerade zu den Leuten, die Anne besonders schätzte.
Kein einziges Mitglied ihrer Familie schenkte Louisa Aufmerksamkeit, und sie konnte ihr Glück kaum fassen, dass sie im Begriff war, mit einem Mann zu tanzen, bevor ihn jemand in die Mangel nahm. Glückselig lag Louisa in Garrett Sutherlands Armen, während sie über die Tanzfläche wirbelten, die plötzlich ihnen beiden ganz allein gehörte – wenn man von den hundert anderen tanzenden Pärchen absah. Doch als Garrett Louisa dichter an sich zog und ihr tief in die Augen sah, gab es in diesem Moment für Louisa nur noch ihn und sich.
Er schmiegte sie enger an sich, als es sich für einen ersten Tanz geziemt hätte – zumindest, wenn man die höfische Etikette als Maßstab nahm. Doch es war irgendwie magisch, wie ihre Körper zueinanderpassten und sich in perfektem Einklang bewegten. Magisch, dass er ihr unentwegt in die Augen sah, als ob sie tatsächlich die Fenster zur Seele wären. Seine Augen waren dunkel und geheimnisvoll. Außerdem duftete Garrett wahnsinnig gut – würzig und frisch. Sein Haar sah so verführerisch weich aus, dass Louisa es am liebsten berührt hätte. Und sie brannte darauf herauszufinden, ob seine Lippen genauso köstlich schmeckten, wie sie es sich vorstellte. Im Grunde bezweifelte sie das keinen Moment.
Als der Walzer endete und ein langsameres Stück begann, tanzten sie eng umschlungen weiter, und aus zwei Tänzen wurden drei und schließlich vier. Keiner von ihnen sprach, denn Worte waren völlig überflüssig. Louisa las alles, was sie über Garretts Gefühle wissen musste, in seinem Blick und in seinem Lächeln.
Erst als das Orchester eine Pause einlegte, ließ er sie widerstrebend los und führte sie von der Tanzfläche. Aus dem Augenwinkel fiel Louisa auf, dass die Leute sie anstarrten. Vermutlich fragten sie sich, wer dieser geheimnisvolle Mann war, der mit der Prinzessin tanzte, und ob sie möglicherweise ein Paar waren. Bestimmt war auf den ersten Blick ersichtlich, dass sie füreinander bestimmt waren.
„Haben Sie Lust auf einen Spaziergang an der frischen Luft?“, fragte Louisa.
Er deutete auf die Terrassentüren. „Nach Ihnen, Eure Hoheit.“
Die Sonne war bereits untergegangen, und vom Steilufer wehte eine kühle, salzige Brise zu ihnen herüber. Abgesehen von den Wachen, die zu jeder Seite des Garteneingangs postiert waren, waren Louisa und Garrett allein.
„Was für eine schöne Nacht“, sagte er und sah zum sternenübersäten Himmel hinauf.
„Ja, das stimmt“, erwiderte Louisa. Der Juni war schon immer ihr Lieblingsmonat gewesen. Die Natur wirkte so lebendig und war voller Farben. Gab es eine bessere Jahreszeit, um ihren Seelenverwandten zu treffen? „Erzählen Sie mir etwas über sich, Mr. Sutherland!“
Lächelnd drehte er sich zu ihr um. „Was wollen Sie denn wissen?“
Einfach alles. „Sie leben auf Thomas Isle?“
„Seit meiner Geburt. Ich bin auf der anderen Seite der Insel aufgewachsen, in der Nähe von Varie.“
Varie war ein malerisches Städtchen. Sicher kein Ort, in dem Menschen mit fragwürdigem Lebensstil zu Hause waren. Allerdings spielte es für Louisa keine Rolle, woher er kam. Wichtig war nur, dass er hier war – mit ihr. „Was machen Ihre Eltern?“
„Mein Vater ist Farmer gewesen, meine Mutter Näherin. Jetzt sind sie beide im Ruhestand und leben bei meinem Bruder und seiner Familie in England.“
Louisa konnte sich nur schwer vorstellen, dass ein derart wohlhabender Geschäftsmann in derart bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen war. „Wie viele Geschwister haben Sie denn?“
„Drei Brüder.“
„Sind sie jünger oder älter?“
„Ich bin der älteste.“
Was hätte Louisa dafür gegeben, das auch einmal von sich behaupten zu können.
Der Wind frischte auf, und sie rieb die unbedeckten Arme. Sie sollten in den Palast zurückkehren, bevor sie sich noch eine Erkältung holte. Der geschwächte Gesundheitszustand ihres Vaters machte es erforderlich, dass alle Familienmitglieder gesund blieben, um das Risiko eines Infekts auszuschließen. Trotzdem bedauerte Louisa, hineingehen zu müssen, denn sie genoss die Zeit allein mit Garrett.
„Sie frieren“, stellte er fest.
„Ein bisschen“, gab sie zu und erwartete, dass er vorschlug, wieder in den Ballsaal zurückzukehren. Doch stattdessen zog er die Smokingjacke aus und legte sie ihr über die Schultern. Augenblicklich wurde Luisa von seiner Wärme und dem würzigen Duft seines Aftershaves umhüllt. Was hätte sie für einen Kuss und eine Umarmung gegeben! Sie wusste bereits, dass seine Lippen fest, aber zärtlich sein würden. Dass er fantastisch schmeckte. Seit ihrer Jugend hatte sie sich unzählige Male vorgestellt, wie dieser erste Kuss sein würde. Bisher hatte kein Mann ihre hohen Erwartungen erfüllen können, aber mit Garrett würde sich das ändern. Auch wenn das bedeutete, dass sie den ersten Schritt machen musste.
Sie zog gerade in Erwägung, genau das zu tun, als jemand in den Türdurchgang trat. Als sie sich umdrehte, erkannte Louisa ihren ältesten Bruder Chris, der sie mit ernster Miene beobachtete.
„Mr. Sutherland“, sagte er. „Es freut mich sehr, dass Sie endlich die Einladung angenommen haben, mit uns zu feiern.“
Garrett verneigte sich andeutungsweise. „Eure Hoheit.“
Chris trat vor, um ihm die Hand zu schütteln. „Wie ich sehe, haben Sie die Prinzessin bereits kennengelernt.“
Täuschte Louisa sich, oder klang er angespannt? Traute er Garrett etwa nicht? Oder spielte er nur wieder mal die Rolle des überbesorgten Bruders?
„Sie ist eine reizende junge Dame“, erwiderte Garrett. „Obwohl ich befürchte, dass ich zu viel von ihrer Zeit für mich beansprucht habe.“
Chris warf Louisa einen strengen Blick zu. „Sie hat Pflichten, denen sie nachkommen muss.“
Damit hatte er nicht ganz unrecht. Als Prinzessin gehörte es zu ihren Aufgaben, mit allen Gästen Small Talk zu halten. Pflicht ist Pflicht, dachte Louisa. Mit Garrett würde es zu einer anderen Zeit an einem anderen Ort weitergehen. Das allerdings ganz bestimmt.
„Noch eine Minute“, bat sie ihren Bruder.
Widerstrebend nickte er. „Einen schönen Abend noch“, sagte er an Mr. Sutherland gewandt und ging.
Entschuldigend lächelte Louisa Garrett an. „Es tut mir leid, wenn er ein wenig unhöflich gewirkt hat. Er übertreibt es ein wenig mit seinem Beschützerinstinkt für mich. Wie alle aus meiner Familie.“
Garrett erwiderte ihr Lächeln. „Wenn ich eine so reizende Schwester hätte, würde ich genauso handeln“, entgegnete er verständnisvoll.
„Ich muss jetzt wohl wieder hineingehen und mich unter die anderen Gäste mischen.“
Seinem Blick entnahm sie, dass er genauso enttäuscht war wie sie. „Das verstehe ich, Eure Hoheit.“
Sie zog die Anzugsjacke aus und reichte sie ihm. „Darf ich Sie vielleicht zum Dinner ins Schloss einladen?“
Ein weiteres Lächeln umspielte seine schönen Lippen. „Diese Einladung nehme ich sehr gern an.“
„Haben Sie am kommenden Freitag Zeit?“
„Falls nicht, nehme ich sie mir.“
„Wir essen um Punkt sieben. Kommen Sie doch ein bisschen früher, so gegen halb sieben?“
„Ich werde da sein.“ Er ergriff ihre Hand, um einen weiteren Kuss darauf zu hauchen. „Einen schönen Abend, Eure Hoheit.“
Ein letztes Mal warf er ihr ein umwerfendes Lächeln zu, bevor er wieder hineinging. Louisa blickte ihm sehnsüchtig hinterher, bis sie ihn in der Menschenmenge nicht mehr sah. Ihr war klar, dass die nächsten sechs Tage die längsten ihres Lebens werden würden.
Champagner trinkend schlenderte Garrett durch den Ballsaal, jedoch ohne den Gegenstand seines Interesses aus den Augen zu lassen. Alles verlief genauso, wie er es geplant hatte.
„Das nenn ich eine gelungene Vorstellung“, sagte jemand hinter ihm, und als Garrett sich umdrehte, erblickte er Weston Banes. Sein bester Freund, der auch gleichzeitig sein Geschäftsführer war, lächelte ironisch.
„Wer sagt denn, dass es eine Vorstellung gewesen ist?“, fragte Garrett betont unschuldig.
Wes warf ihm einen wissenden Blick zu. Vor zehn Jahren hatte Garrett sein erstes Stück Land erworben, und seitdem arbeiteten sie zusammen. Weston wusste besser als jeder andere, dass Garrett nie zu dem Empfang gegangen wäre, hätte er nicht irgendetwas im Schilde geführt.
„Ich bin an meine Grenzen gestoßen“, erklärte Garrett.
Wes runzelte die Stirn. „Das verstehe ich nicht.“
„Ich besitze jeden Flecken Land, der nicht im Besitz der königlichen Familie ist. Deshalb bleibt mir nur noch eins.“
„Und das wäre?“
„Mir jetzt den königlichen Grund und Boden anzueignen.“
„Und das kannst du nur, indem du in die Familie einheiratest“, ergänzte Wes.
„Genau.“ Garrett hatte zwei Möglichkeiten gesehen: entweder Prinzessin Anne, die hinter ihrem Rücken Xanthippe genannt wurde, oder ihre süße, unschuldige und gutgläubige Zwillingsschwester Prinzessin Louisa. Ihm war die Wahl nicht schwergefallen. Obwohl er sich fragte, ob sie tatsächlich so süß und unschuldig war, wie man ihr nachsagte. Ihr Blick und ihre Reaktion auf seine Berührungen ließen Garrett fast daran zweifeln.
Wes schüttelte den Kopf. „Das ist ziemlich rücksichtslos von dir, sogar für deine Verhältnisse. Alles fürs Geschäft, oder wie sehe ich das?“
Es ging dabei gar nicht um Geld, denn Garrett hatte mittlerweile mehr davon, als er jemals würde ausgeben können. Es ging vielmehr um Macht und Einfluss. Bevor er die Prinzessin heiraten konnte, würde man ihm zunächst einmal einen Titel verleihen – vermutlich würde man ihn zum Duke ernennen. Und dann gehörte er zum Königshaus. Der Sohn eines Farmers und einer Näherin würde auf diese Weise einer der einflussreichsten Männer des Landes werden. Wer hätte das gedacht? Wenn er seine Karten richtig ausspielte, könnte er eines Tages die gesamte Insel kontrollieren.
„Über die Einzelheiten können wir später sprechen“, schlug Garrett vor. „Ich würde gern deine Meinung hören. Möglicherweise wirst du auch in diese Angelegenheit verwickelt.“
„Und das kommt von dem Mann, der geschworen hat, niemals zu heiraten oder Kinder zu haben“, meinte Wes.
Garrett zuckte mit den Schultern. „Manchmal muss man eben Opfer bringen.“
„Und wie ist es gelaufen?“
„Ziemlich gut.“
„Und warum bist du dann hier, und sie ist da drüben?“
„Weil ich bereits habe, was ich wollte“, entgegnete Garrett und lächelte selbstbewusst.
„Ich trau mich ja fast nicht zu fragen, was das sein könnte.“
Garrett lachte leise. „Bloß keine schmutzigen Gedanken, bitte. Ich spreche von einer Einladung zum Dinner im Schloss.“
„Wirklich?“, fragte Wes verblüfft.
„Nächsten Freitagabend um halb sieben.“
„Verdammt.“ Ungläubig schüttelte Wes den Kopf. „Du bist gut.“
Garrett zuckte abermals mit den Schultern. „Es ist eine Gabe. Frauen können meinem Charme einfach nicht widerstehen. Frag mal deine Frau.“
Wes sah sich nach Tia um, die mit einem Pulk anderer Frauen in der Nähe der Bar stand. „Vermutlich sollte ich mal zu ihr gehen. Leistest du uns Gesellschaft?“
Garrett warf der Prinzessin, die in das Gespräch mit verschiedenen Staatsoberhäuptern vertieft war, einen letzten Blick zu. Schließlich nickte er und folgte Wes zur Bar. Er hatte schon alles vorgeplant: Was er sagen und was er nicht sagen würde, wenn sie sich zum ersten Mal küssten. Das Geheimnis bestand darin, dass man es bei Frauen wie diesen überaus langsam angehen lassen musste. Er bezweifelte nicht, dass Louisa ihm in kürzester Zeit – vermutlich schon nächsten Freitag – sprichwörtlich aus der Hand fressen würde.
Louisa hatte recht gehabt.
Die Woche verging quälend langsam. Es schien Ewigkeiten zu dauern, bis der Freitag kam. Als es endlich so weit war, schien sich der Tag wiederum ebenfalls unverhältnismäßig in die Länge zu ziehen. Als Louisa schließlich fest davon überzeugt war, keine Sekunde länger warten zu können, parkte ein schwarzer Sportwagen vor dem Schloss, und Garrett stieg aus.
Sie beobachtete ihn von der Bibliothek aus und wunderte sich darüber, dass jemand, der so reich war wie Garrett, keinen Chauffeur hatte. Vielleicht würde er Louisa ja eines Tages zu einem Ausflug in dem Wagen mitnehmen. Selbstverständlich würden ihre Bodyguards ihnen dicht folgen, da es keinem Mitglied der königlichen Familie gestattet war, das Schloss ohne Begleitschutz zu verlassen. Das galt besonders seit letztem Spätsommer, als die Drohungen begonnen hatten.
Louisa sah, wie Garrett zur Tür ging. In dem dunkelgrauen Nadelstreifenanzug wirkte er besonders attraktiv und stattlich. Und groß.
Ihr Bruder Chris hatte nicht besonders erfreut reagiert, als Louisa ihm an diesem Morgen mitgeteilt hatte, dass sie Garrett zum Dinner eingeladen hatte. Sie hatte es bewusst in letzter Sekunde erzählt. Denn Louisa wusste, dass ihre ganze Familie sie ansonsten schon die ganze Woche über genervt hätte. Und natürlich hatte Chris Garretts Motive infrage gestellt. Als ob der Mann sich lediglich für Louisas Geld und Beziehungen interessieren würde! Aaron hatte wiederum seine Bedenken wegen des Altersunterschieds von zehn Jahren deutlich gemacht. Anne, die seit dem Ball besonders unleidlich gewesen war, hatte Louisa gewarnt und gesagt, ein Mann wie Garrett Sutherland sei nur an einem interessiert. Louisa hätte gern gewusst, woher Anne das zu wissen glaubte. Schließlich kannte sie Garrett noch nicht einmal.
Ansonsten hatte Louisa sich inständig gewünscht, die anderen würden sich ausnahmsweise mal um die eigenen Probleme kümmern und sie in Ruhe lassen.
Als Chris eine illegitime Prinzessin geheiratet hatte, hatten es alle gelassen hingenommen. Auch als Aaron angekündigt hatte, eine amerikanische Wissenschaftlerin heiraten zu wollen, hatte kaum jemand Einwände vorgebracht. Warum hatten also alle ein Problem damit, dass Louisa sich mit einem reichen und erfolgreichen Geschäftsmann verabredete?
Aus Neugierde hatte sie in der vergangenen Woche Recherchen über ihn angestellt. Zwar hatte sie nicht viel über ihn herausgefunden, aber zumindest waren auch keine negativen Informationen dabei gewesen. Chris hatte sich bestimmt schon mit dem Sicherheitschef Randall Jenkins in Verbindung gesetzt. Der würde alles herausbekommen, was es über Garrett zu erfahren gab. Louisa machte sich allerdings keine Sorgen – sie wusste instinktiv, dass Garrett ein guter Mensch war. Ihre Menschenkenntnis hatte sie noch nie im Stich gelassen.
Als es läutete, hastete Louisa zum Sofa, während Geoffrey Garrett hineinließ. Sie setzte sich auf die Ecke des Polstersofas und strich die Falten aus ihrem roséfarbenen Sommerkleid. Louisa schlug das Herz bis zum Hals. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis die Tür zur Bibliothek geöffnet wurde und Garrett selbstbewusst in den Raum schlenderte. Louisa stand auf, um ihn zu begrüßen.
Er unterschied sich von den affektierten jungen Männern königlichen Geschlechts, die sie früher kennengelernt hatte und die sich etwas auf ihre Adelstitel einbildeten. Louisa und ihre Geschwister waren zwar auch privilegiert aufgewachsen, aber sie hatten gelernt, nichts für selbstverständlich zu halten. Das Leben war ein kostbares Gut – das wussten sie spätestens seit der Krankheit ihres Vaters –, und die Familie ging über alles.
Vielleicht war der Wunsch Vater des Gedankens, dennoch hatte Louisa das Gefühl, dass Garrett in dieser Beziehung ähnlich dachte.
Als er sie sah, schenkte er ihr ein umwerfendes Lächeln, bevor er den Kopf senkte. „Eure Hoheit, es ist eine Freude, Euch wiederzusehen.“
„Ich bin froh, dass Sie die Zeit gefunden haben“, erwiderte sie, obwohl sie sich keine Sekunde lang gefragt hatte, ob er der Einladung folgen würde. Denn was auf der Tanzfläche zwischen ihnen geschehen war, war einfach magisch gewesen. Louisa war fest davon überzeugt, dass sie und Garrett füreinander bestimmt waren.
„Darf ich Ihnen einen Drink anbieten, Sir?“, fragte Geoffrey.
„Einen Scotch, bitte“, entgegnete Garrett, und Louisa lächelte angesichts seines höflichen Benehmens. Sie verachtete Menschen, die Angestellte respektlos behandelten – besonders wenn es sich um Geoffrey handelte, der schon vor Louisas Geburt für die Familie gearbeitet hatte und mit fast spielerischer Leichtigkeit dafür sorgte, dass der königliche Haushalt so präzise funktionierte wie ein Uhrwerk.
„Weißwein für Sie, Eure Hoheit?“, fragte Geoffrey.
„Das wäre großartig, danke“, erwiderte Louisa. „Bitte, machen Sie es sich doch bequem“, forderte sie dann ihren Gast auf und deutete auf das Sofa.
Bemerkenswert entspannt nahm er auf der Couch Platz. Er wirkte fast, als würde er jeden Abend in königlicher Gesellschaft dinieren.
Louisa setzte sich auf das andere Ende der Couch und fühlte sich vor Aufregung ganz kribbelig. Nachdem er die Drinks eingeschenkt hatte, entschuldigte Geoffrey sich, und endlich waren sie allein. Keine Geschwister und keine Bodyguards. Louisa atmete tief ein. „Ich hatte mich darauf gefreut, Sie meinen Eltern vorzustellen, aber leider leisten sie uns heute Abend keine Gesellschaft beim Dinner.“
„Geht es Ihrem Vater nicht gut?“, erkundigte Garrett sich besorgt.
„Er muss sich bald einer Behandlung unterziehen und dafür gesundheitlich fit sein. Sein Immunsystem ist durch die Herzpumpe bereits etwas angegriffen.“
„Dann eben ein anderes Mal“, sagte Garrett.
Wollte er damit etwa andeuten, dass er vorhatte, sie wiederzusehen? Nicht dass sie daran gezweifelt hätte … „Ich warne Sie, Sie werden sich heute Abend vermutlich wie bei einer Inquisition beim Dinner vorkommen!“
Garrett lächelte. „Das habe ich erwartet. Und es gibt nichts, was ich verbergen müsste.“
„Ich habe nach Ihnen gegoogelt“, gestand sie ihm.
Ihre Aufrichtigkeit schien ihn zu erstaunen. „Ach, wirklich?“
„Ja, Anfang der Woche. Allerdings habe ich nicht viel gefunden.“
„Da gibt es auch nicht viel zu finden. Ich bin ein einfacher Mann, Eure Hoheit. Einige würden vielleicht sogar sagen, ich sei langweilig.“
Das bezweifelte sie ernsthaft. Alles an ihm wirkte einfach faszinierend auf sie. Er war derart ernsthaft und geheimnisvoll. Sein Lächeln war aufrichtig und einladend. Und Louisa mochte die zarten Lachfältchen um seine Augen und das Grübchen auf seiner linken Wange, das sie immer sah, wenn er lächelte. Sie wollte gerade erwidern, dass sie einen Mann wie ihn niemals als langweilig bezeichnen würde, als ihre Familie geschlossen die Bibliothek betrat. Was für ein verflucht schlechtes Timing! Als ob es zu viel verlangt war, dass man sie mal einen Moment allein mit dem Mann ließ, den sie heiraten wollte!
Während ihre Geschwister nacheinander eintraten, stand Garrett auf, und Louisa stellte ihn vor.
„Garrett, meine Brüder Prinz Christian und Prinz Aaron kennen Sie ja bereits.“
„Es ist eine Freude, Sie wiederzusehen.“ Garrett machte eine leichte Verbeugung, bevor er den Brüdern die Hand schüttelte. Aaron und Christian hatten zwar die Hand ausgestreckt, aber sie wirkten sehr geschäftsmäßig. Und sie machten keinen Hehl daraus, dass sie Garrett nicht aus den Augen lassen wollten.
„Und das ist meine Schwägerin Prinzessin Melissa“, sagte Louisa.
„Einfach nur Melissa“, ergänzte Melissa mit dem warmen Südstaatenakzent. Mit festem Händedruck schüttelte sie Garrett die Hand und strafte somit ihr zerbrechliches Äußeres Lügen. „Es ist eine große Freude, Sie endlich kennenzulernen, Mr. Sutherland. Ich habe schon viel von Ihnen gehört.“
„Bitte nennen Sie mich doch Garrett“, erwiderte er. „Ich habe gehört, dass Sie demnächst dreifache Mutter werden. Meine Glückwünsche.“
„Ist in meinem jetzigen Zustand auch schwer zu übersehen“, sagte sie scherzhaft, während sie sich die Hand auf den runden Bauch legte.
„Sie rechnen schon in Kürze mit der Entbindung?“
„Eigentlich sollte ich die vollen sechsunddreißig Wochen warten. Ich halte aber bestimmt keinen weiteren Monat aus.“
„Ich bin schon immer der Meinung gewesen, dass eine werdende Mutter das Schönste ist, was es auf der Welt gibt“, beteuerte Garrett.
Als Louisa Melissas breites Lächeln sah, wusste sie, dass Garrett ihre Schwägerin bereits um den Finger gewickelt hatte.
Aaron machte einen Schritt auf ihn zu. „Das ist meine Frau, Prinzessin Olivia.“
Liv lächelte schüchtern, sie hatte sich immer noch nicht richtig an die Rolle als Mitglied der königlichen Familie gewöhnt. Sie war Pflanzengenetikerin und äußerst zurückhaltend. Sie verbrachte ihre Zeit viel lieber im Labor mit ihren Forschungen, statt soziale Kontakte zu pflegen. „Schön, Sie kennenzulernen.“
Als Nächste trat Anne vor. „Ich bin Anne.“ Sie streckte Garrett die Hand hin und umfasste seine so kräftig, dass Louisa fast fürchtete, ihre Schwester wolle den Mann zum Armdrücken herausfordern. Was hatte sie nur für ein Problem?
Falls Anne mit einer negativen Reaktion auf ihre kühle Vorstellung gerechnet hatte, wurde sie enttäuscht.
„Es ist mir eine Freude, Sie kennenzulernen, Eure Hoheit“, erwiderte Garrett lächelnd und so voller Anmut, dass Louisa vor Stolz ganz warm ums Herz wurde. Die Situation hätte kaum unangenehmer sein können, und trotzdem hatte er sie mit Leichtigkeit und unter Berücksichtigung der Etikette gemeistert.
„Ich gestehe, dass ich ein wenig überrascht gewesen bin, als Louisa uns heute Morgen mitgeteilt hat, Sie würden uns beim Dinner Gesellschaft leisten“, sagte Chris, und Louisa stöhnte innerlich auf. Jetzt würde Garrett sich fragen, warum sie bis heute Morgen damit gewartet hatte, es ihrer Familie zu erzählen. Auf keinen Fall wollte sie, dass er auf falsche Gedanken kam und dachte, dass sie sich für ihn schämte oder sich wegen der Einladung unsicher war.
Doch anstatt beleidigt den Mund zu verziehen, warf Garrett ihr ein umwerfendes Lächeln zu. „Und ich bin ein wenig überrascht gewesen, als sie mich gefragt hat.“ Er sah ihr so intensiv in die Augen, dass Louisa das Gefühl hatte, unter seinem leidenschaftlichen Blick dahinzuschmelzen. „Ich habe mein Glück kaum fassen können, als mir die schönste Frau des Abends ihre Aufmerksamkeit geschenkt hat.“
Die Aufrichtigkeit, mit der er diese Worte aussprach, wärmte Louisa das Herz. Mit Freuden hätte sie sich ihm augenblicklich an den Hals geworfen und ihn geküsst, weil er so offen über seine Empfindungen für sie sprach – ganz besonders in Gegenwart ihrer Familie. Doch wer wünschte sich schon Zuschauer beim ersten Kuss?
„Das Dinner ist fertig“, verkündete Geoffrey in diesem Augenblick.
Melissa streckte Chris ihren Arm entgegen. „Wollen wir?“
„Geh schon einmal ohne mich vor. Ich würde gern kurz ungestört mit unserem Gast sprechen.“
Erschreckt überlegte Louisa, warum Chris wohl unter vier Augen mit Garrett reden wollte. Sie hoffte, dass er nichts Beschämendes erzählte oder versuchte, Garrett zu verschrecken.
Als Chris das Zögern seiner Frau bemerkte, fügte er hinzu: „Es dauert nur eine Minute.“
Louisa sah Garrett entschuldigend an. Überraschenderweise wirkte er völlig unbekümmert, während Melissa die anderen aus dem Raum führte. Mit etwas Glück kam Garrett nicht zu dem Schluss, dass es zu viele Unannehmlichkeiten bereitete, sich mit einer Prinzessin zu treffen. Louisa hoffte inständig, er würde das Date nicht beenden, bevor es überhaupt begonnen hatte.
Jetzt fängt es also an, dachte Garrett, als der Rest der Familie hinter Melissa die Bibliothek verließ und ihn mit Prinz Christian allein ließ. Er konnte nicht anders und fragte sich, ob der Prinz diese private Unterredung auch für erforderlich gehalten hätte, hätte er genauso königliches Blut in den Adern gehabt wie er. Na, es wird ja nicht mehr lange dauern, sagte Garrett sich. Dann habe ich einen Adelstitel, der mir den Respekt einbringt, den ich verdient habe. Obwohl Zeit eigentlich keine Rolle spielte, wollte er sich trotzdem um eine schnelle Verlobung kümmern. Je früher sie verheiratet sein würden, desto eher konnte er sich entspannen und die Früchte seiner Arbeit genießen.
„Unter normalen Umständen würde der König dieses Gespräch mit Ihnen führen“, erklärte Chris.
Doch weil es dem König gesundheitlich nicht besonders gut ging, stand Garrett jetzt dem Kronprinzen gegenüber. Er wusste noch nicht, ob er das gut oder schlecht finden sollte. „Ich verstehe“, antwortete er.
Der Prinz deutete auf das Sofa. Nachdem Garrett sich gesetzt hatte, nahm er auf dem Sessel gegenüber Platz. „Sicherheitshalber habe ich veranlasst, dass Ihre Vergangenheit überprüft wird.“
Damit hatte Garrett gerechnet. Doch wie er bereits zu Prinzessin Louisa gesagt hatte, hatte er nichts zu verbergen. „Und haben Sie etwas Interessantes herausgefunden?“
„Um ehrlich zu sein, wurde eigentlich kaum etwas herausgefunden. Zwar sind Sie ein knallharter Geschäftsmann, aber Sie scheinen sich immer an das Gesetz zu halten und sich moralisch anständig zu verhalten. Man sagt Ihnen nach, dass sie ein fairer Arbeitgeber sind. Einen Teil Ihres Einkommens spenden Sie gemeinnützigen Einrichtungen – die meisten davon kümmern sich um sozial Schwächergestellte – und mit dem Gesetz sind Sie auch nicht in Konflikt geraten. Sie haben noch nicht einmal einen Strafzettel für Falschparken bekommen.“
„Sie klingen überrascht.“
„Ich glaube, dass ein so mysteriöser Mann etwas zu verbergen hat.“
„Ich bin ganz bestimmt nicht mysteriös“, erwiderte Garrett. „Ich führe lediglich ein unkompliziertes Leben. Meine Leidenschaft ist meine Arbeit.“
„Es sieht ganz danach aus. Sie haben hervorragende Erfolge erzielt.“
„Vielen Dank.“
Der Prinz schwieg einen Moment und wirkte beinah, als wäre ihm unangenehm, was er jetzt zu sagen hatte. „Obwohl ich also keinen offensichtlichen Grund zur Besorgnis sehe, ist es trotzdem meine Pflicht, Sie im Namen des Königs zu fragen, was Ihre Intentionen in Bezug auf Prinzessin Louisa sind.“
Es kam Garrett lächerlich vor, dass Louisa im Alter von siebenundzwanzig Jahren nicht selbst entscheiden durfte, mit wem sie Umgang pflegte. „Ihre Hoheit hat mich zum Dinner eingeladen, und ich habe diese Einladung angenommen.“
Diese einfache Antwort schien den Prinzen zu erstaunen. „Und das ist alles?“
„Ich gebe zu, dass ich Ihre Schwester faszinierend finde.“
„Louisa ist … etwas Besonderes.“
So wie er es sagte, klang es eher nach einer Behinderung. Garrett verspürte seltsamerweise den Impuls, Louisas Ehre zu verteidigen. Das war wirklich eine ungewöhnliche Anwandlung, wenn man bedachte, dass er sie kaum kannte.
„Ich bin noch nie jemandem wie ihr begegnet“, erklärte er schließlich.
„Wenn es um das andere Geschlecht geht, neigt sie dazu, ein bisschen naiv zu sein.“
Wenn ihre Familie einmal aufhören würde, sie abzuschirmen, wäre Louisa bestimmt auch nicht so leichtgläubig, dachte Garrett. Wie auch immer – ihm kam Louisas Leichtgläubigkeit jedenfalls sehr zupass. „Seien Sie versichert, dass ich der Prinzessin den größten Respekt entgegenbringe. Ich bin sehr stolz darauf, ein ehrenwerter Mann zu sein. Ich würde nie etwas tun, das die Ehre der Prinzessin gefährden könnte.“
„Ich bin froh, dass Sie das sagen“, erwiderte Chris. „Aber natürlich werde ich die Angelegenheit mit dem König besprechen.“
„Selbstverständlich, Eure Hoheit.“
Chris lächelte schwach. „Wir kennen uns jetzt schon eine Weile, Garrett. Nennen Sie mich doch Chris.“
Diese Aufforderung war ein sicheres Zeichen für Garrett, dass er es so gut wie geschafft hatte. Dass Chris mit seinem Vater über ihn reden würde, war eine reine Formsache. „Ich freue mich sehr darauf, Sie besser kennenzulernen“, meinte Garrett.
„Ganz meinerseits.“ Chris hielt plötzlich inne und machte wieder ein sehr ernstes Gesicht. „Falls Sie jedoch einen Vorteil aus der Bekanntschaft mit meiner Schwester ziehen wollen, dann wären die Folgen für Sie … sagen wir … unglücklich.“
Garrett zuckte mit keiner Wimper. Er würde eben überaus vorsichtig sein, während er Louisa den Hof machte.
„Wollen wir den anderen Gesellschaft leisten?“, fragte Chris und stand auf.
Garrett folgte ihm in den Speisesaal. Der erste Gang war bereits serviert. Sobald sie den Raum betraten, sprang Louisa von ihrem Sitz auf und deutete auf den freien Platz neben sich. Als sie sich wieder gesetzt hatten, beugte sie sich zu Garrett herüber. „Es tut mir leid, dass er das getan hat“, flüsterte sie. „Ich hoffe nur, dass es nicht zu hart für Sie gewesen ist.“
Er lächelte ihr beruhigend zu. „Nicht im Geringsten.“
Doch falls er geglaubt hatte, dass das Schlimmste bereits überstanden war, wurde er jetzt eines Besseren belehrt. Denn es fing gerade erst an. Ihm blieb kaum Gelegenheit, die Suppe zu probieren, als Anne mit der Inquisition begann.
„Ich habe gehört, dass Ihr Vater Farmer gewesen ist“, bemerkte sie in einem äußerst abschätzigen Tonfall.
Es war lediglich eine Frage der Zeit gewesen, bis ihn jemand auf seine bescheidene Herkunft ansprechen würde. Aber Garrett schämte sich seiner Vergangenheit nicht. Im Gegenteil, er war stolz auf das, was er geleistet hatte. „Sein ganzes Leben lang“, antwortete er. „Ich weiß noch, wie ich als Kind mit ihm auf dem Feld gearbeitet habe.“
„Und trotzdem sind Sie nicht in seine Fußstapfen getreten“, stellte Anne in fast anklagendem Ton fest. Sie klang beinah wie sein Vater, als er ihm damals mitgeteilt hatte, dass er die Insel verlassen würde, um zu studieren.
„Nein, ich wollte lieber an die Uni.“
„Und was hat Ihr Vater davon gehalten?“
„Anne!“, wies Louisa sie zurecht, weil sie sich offensichtlich für das Verhalten ihrer Schwester schämte.
„Was ist denn?“, fragte Anne viel zu unschuldig, um glaubhaft zu wirken. Garrett war nicht sicher, ob sie auf Louisa eifersüchtig war oder sich einfach so unfreundlich gab, weil es ihre Art war. Eines wusste Garrett aber mit Sicherheit: Er hatte sich definitiv für die richtige Schwester entschieden. Mit Anne hätte ihn wohl eher ein trauriges Eheleben erwartet.
„Sei nicht so neugierig!“, entgegnete Louisa.
Anne zuckte mit den Schultern. „Wie sollen wir Mr. Sutherland sonst kennenlernen?“
„Bitte, nennen Sie mich doch Garrett“, bat er Anne. „Und um Ihre Frage zu beantworten: Mein Vater ist mit meiner Entscheidung nicht allzu glücklich gewesen. Er hatte erwartet, dass ich die Farm übernehme, wenn er in den Ruhestand geht. Ich wollte allerdings mehr mit meinem Leben anfangen.“
„Was Ihnen ja auch gelungen ist“, erwiderte Chris.
„Wenn ich eines gelernt habe“, meinte Garrett, „dann das: Man kann sein Leben nicht führen, um anderen zu gefallen.“ Er sah Louisa in die Augen. „Man sollte immer dem eigenen Herz folgen.“
„Daran glaube ich auch“, sagte Olivia und legte ihrem Mann die Hand auf den Arm. „Aaron will ab Herbst Medizin studieren.“
„Davon habe ich gehört.“ Garrett hatte sorgfältig recherchiert. Und er wusste, dass er die Lücke füllen konnte, wenn Aaron sich aus dem Familiengeschäft zurückzog.
„Er wird ein großartiger Arzt“, erzählte Olivia stolz. Wenn sie lächelte, war sie überaus hübsch. Darüber hinaus wusste Garrett von ihr, dass sie eine brillante Wissenschaftlerin war. Im vergangenen Herbst hatte eine unbekannte Pflanzenfäule die gesamte Getreideernte auf der Insel bedroht. Das hätte fatale Auswirkungen auf den Getreideexport gehabt, die Haupteinnahmequelle der Insel. Olivia war von der königlichen Familie mit der Suche nach einem biologisch verträglichen Gegenmittel für die Seuche beauftragt worden.
„Mir ist zu Ohren gekommen, dass Ihre Brillanz allen Landbesitzern auf dieser Insel die Lebensgrundlage gerettet hat“, entgegnete Garrett. „Mich eingeschlossen.“
Olivia lächelte und errötete verlegen. Ihm erschien es, als hätte er wenigstens drei Viertel der anwesenden Frauen auf seine Seite gezogen. Anne war wohl eher ein hoffnungsloser Fall. Bei Chris und Aaron war Garrett nicht sicher, aber es sah vielversprechend aus. Jetzt war es allerdings an der Zeit, das Gesprächsthema zu wechseln, und Garrett hatte seine Hausaufgaben gemacht.
„Ich habe gehört, dass Sie lange in den Vereinigten Staaten gelebt haben“, sagte er zu Melissa.
„Ich bin auf Morgan Island geboren worden, aber in New Orleans aufgewachsen“, antwortete sie.
„Eine wunderschöne Stadt“, bemerkte Garrett.
„Sind Sie schon einmal dort gewesen?“
Er nickte. „Sogar schon ein paar Mal – aus geschäftlichen Gründen. Es ist furchtbar, was der Hurrikan dort angerichtet hat.“
„Ja. Ich habe eine Stiftung gegründet, um den Wiederaufbau der Stadt zu unterstützen.“
„Oh, das habe ich nicht gewusst. Ich würde gerne was spenden.“
Melissa lächelte. „Das wäre ganz reizend, danke schön.“
„Nächste Woche lasse ich Ihnen einen Scheck zukommen.“
„Wo sind Sie denn sonst noch so gewesen?“, erkundigte Louisa sich und leitete damit ein anregendes Gespräch über Auslandsreisen ein.
Garrett stellte erfreut fest, dass alle außer Anne sehr freundlich und nicht annähernd so stocksteif waren, wie er befürchtet hatte. Die Gespräche, die er als Junge beim Abendbrot am Tisch seiner Familie geführt hatte, waren ähnlich unbeschwert gewesen. Als der Nachtisch serviert wurde, musste Garrett sich eingestehen, dass er sogar Spaß an dem Abend hatte.
Louisa sagte zwar nicht viel, hing aber wie gebannt an seinen Lippen.
Nach dem Dinner stand Chris auf. „Haben Sie Lust auf eine Runde Poker?“, fragte er Garrett. „Wir spielen jeden Freitagabend.“
Bevor er antworten konnte, erklärte Louisa: „Garrett und ich gehen im Garten spazieren.“
Das verstand als er diskreten Hinweis darauf, das Angebot ihres Bruders abzulehnen. Im Grunde hätte Garrett viel lieber Karten gespielt, als im Garten herumzulaufen. Doch im Augenblick war es wichtiger für ihn, bei Louisa Sympathiepunkte zu sammeln.
„Ein anderes Mal vielleicht“, entschuldigte er sich bei Chris.
„Selbstverständlich.“ Chris wandte sich mit ernstem Gesichtsausdruck an Louisa. „Nicht zu weit weg! Ich möchte, dass ihr bei Sonnenuntergang wieder im Schloss seid.“
„Weiß ich doch“, entgegnete Louisa leicht verärgert, wofür Garrett ihr keinen Vorwurf machen konnte. Er wusste, dass ihre Familie ein strenges Regime führte. Trotzdem fand er es lächerlich, einer Siebenundzwanzigjährigen vorzuschreiben, dass sie sich nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr im Freien aufhalten sollte.
Louisa legte ihren Arm unter seinen und lächelte ihn an. „Fertig?“
Nachdem er sich bei der Familie für das Dinner bedankt hatte, ließ er sich von Louisa durch das Schloss auf die Terrasse führen, von der aus sie in die prächtige Gartenanlage gelangten. Louisa hielt Garretts Arm fest, während sie den Pfad entlanggingen. Sie wirkte fast, als befürchtete sie, Garrett würde sich bei der erstbesten Gelegenheit aus dem Staub machen.
„Ich muss mich wirklich für meine Familie entschuldigen“, sagte sie. „Wie Ihnen sicher schon aufgefallen ist, werde ich wie ein Kind behandelt.“
„Sie sind alle ein wenig … fürsorglich.“
„Es ist richtig peinlich. Meine Geschwister denken, ich wäre jung und dumm.“
Vielleicht liegen sie mit dieser Einschätzung gar nicht mal so weit daneben, dachte er ironisch. Vertrauensselig war sie seinem Charme erlegen. Natürlich würde er sie auch niemals schlecht behandeln oder ihre Ehre aufs Spiel setzen. Nein, als seiner Ehefrau würde es ihr an nichts fehlen.
„Bestimmt meinen sie es nur gut“, versicherte er Louisa. „Es wäre wohl viel schlimmer, wenn sie sich gar nichts aus Ihnen machen würden.“
„Wahrscheinlich haben Sie recht. Aber seit die Drohungen begonnen haben, sind alle doppelt so aufmerksam. Sie glauben, dass jeder meiner neuen Bekannten ein Spion oder so etwas ist.“
„In den Nachrichten wurde darüber berichtet, dass in London in das Krankenhauszimmer Ihres Vaters eingebrochen worden sei.“
„Der Täter nennt sich der Lebkuchenmann.“
„Wirklich?“
„Ziemlich seltsam, oder? Im vergangenen Sommer hat es mit E-Mails angefangen. Er hat sich in unser Computersystem gehackt und uns über unsere privaten Accounts Drohmails gesendet. Das waren ziemlich verdrehte Versionen von Kinderreimen.“
„Kinderreime?“ Das klang für seine Ohren eigentlich nicht sehr bedrohlich.
„Meiner geht so: ‚Ich lieb‘ dich, ein Scheffel und ’n Kuss. Ein Scheffel und ’n Kuss und ’ne Schlinge noch zum Schluss. Mit ’ner Schlinge noch zum Schluss fällst du in einen Haufen. Du fällst in einen Haufen und hörst auf zu schnaufen.“ Ironisch lächelte sie ihm zu. „Ich habe das auswendig gelernt.“
Bei näherer Betrachtung kamen Garrett die Worte doch etwas unheilvoll vor. „Und wie haben die anderen Botschaften gelautet?“
„Ich kann sie nicht Wort für Wort wiedergeben, aber sie hatten alle etwas damit zu tun, bei lebendigem Leibe verbrennen zu müssen.“
Hoppla. Kein Wunder, dass ihre Familie so übervorsichtig war.
„Anfangs haben wir ja noch gedacht, dass es sich um einen ausgefeilten Schabernack handelt. Aber dann ist der Lebkuchenmann trotz unserer Sicherheitskräfte auf dieses Grundstück gelangt. Vermutlich ist er die Steilküste heraufgeklettert.“
Das erklärte die leicht übertrieben wirkenden Sicherheitsmaßnahmen am Abend des Wohltätigkeitsballes. „Ist denn jemand zu Schaden gekommen?“
„Nein, aber der Unbekannte hat eine Nachricht hinterlassen. Sie lautet: ‚Rennt, rennt, so schnell, wie Ihr könnt. Doch Ihr kriegt mich nicht. Ich bin der Mann mit dem Lebkuchengesicht.‘ In der letzten Zeit haben wir nichts mehr von ihm gehört, was nicht bedeutet, dass er aufgegeben hat. Vielleicht will er, dass wir uns in Sicherheit wiegen, bevor er wieder zuschlägt. Zu Silvester hat er einen Präsentkorb mit verdorbenen Früchten geschickt. Melissa und Chris hat er Blumen geschickt und zur Schwangerschaft gratuliert – Wochen vor der offiziellen Bekanntgabe. Er hat sogar gewusst, dass sie Drillinge erwarten.“
„Klingt nach Insiderwissen.“
„Das haben wir auch gedacht. Allerdings sind alle überprüft worden.“
Garrett hoffte nur, dass die Vorsichtsmaßnahmen seinen Plänen nicht zuwiderliefen. Es konnte sich als schwierig erweisen, einer Frau den Hof zu machen, die noch nicht einmal von zu Hause fort durfte.
„Jetzt haben wir aber genug über mich geredet“, sagte Louisa. „Wie ist denn Ihre Familie so?“
„Einfach“, erwiderte er und fügte rasch hinzu. „Nicht intellektuell, meine ich. Aber meine Familie hat einen eher bescheidenen Lebensstil.“ Einen, der nichts für Garrett war.
„Was machen Ihre Brüder?“
„Zwei von ihnen führen gemeinsam ein Geschäft in England. Sie verkaufen Landwirtschaftszubehör. Mein jüngster Bruder ist ziemlich umtriebig. Als ich das letzte Mal von ihm gehört habe, hat er auf einer schottischen Rinderfarm gearbeitet.“
„Ich würde sie gerne kennenlernen“, erklärte Louisa plötzlich mit einer Ernsthaftigkeit, die ihn überraschte. „Vielleicht können sie uns ja alle einmal hier im Schloss besuchen.“
Da er vorhatte, Eindruck bei der königlichen Familie zu schinden, hielt er das für keine sehr schlaue Idee. „Ich weiß nicht, ob das so gut wäre.“
„Schämen Sie sich etwa für Ihre Familie?“, fragte sie stirnrunzelnd.
Wieder einmal überraschte ihre Offenheit ihn. „Ich fürchte, dass eher das Gegenteil der Fall sein dürfte.“
Aus großen Augen sah sie ihn an. „Ihre Familie schämt sich für Sie?“
„Vielleicht ist schämen nicht der richtige Ausdruck, aber sie sind nicht wirklich damit einverstanden, welchen Weg ich eingeschlagen habe.“
„Wie kann das sein? Sie haben doch so viel im Leben erreicht. Wie kann Ihre Familie da nicht stolz auf Sie sein?“
Das hatte er sich selbst auch schon unzählige Male gefragt. Aber irgendwann hatte er aufgegeben, es verstehen zu wollen. Er kümmerte sich nicht länger darum, was seine Angehörigen über ihn dachten. „Es ist kompliziert.“
Sanft berührte sie ihn am Arm. „Wie dem auch sei, ich jedenfalls finde Sie erstaunlich. Vom ersten Augenblick an habe ich gewusst, dass Sie etwas Besonderes sind.“
Ihr war deutlich anzusehen, dass sie meinte, was sie sagte. Seltsamerweise wünschte Garrett sich, dass er dasselbe über Louisa sagen könnte. Er war sicher, dass sie auf ihre Weise einzigartig war, und hoffte, dass er das eines Tages zu schätzen lernte.
„Sagen Sie die Wahrheit!“, forderte sie ihn jetzt auf. „Hat meine Familie Sie abgeschreckt?“
Ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen machte sie sich darüber aufrichtig Sorgen, aber Garrett hatte schließlich einen Plan. Es brauchte schon mehr als bohrende Fragen ihrer Geschwister, um ihn in die Flucht zu schlagen. Sacht drückte er ihren Arm. „Auf gar keinen Fall.“
Erleichtert lächelte sie. „Das ist gut. Ich mag Sie nämlich wirklich, Garrett.“
Nie zuvor war er einer Frau begegnet, die so offenherzig mit ihren Gefühlen umging und sich dermaßen aus dem Fenster lehnte. Einerseits mochte er diese Eigenschaft an Louisa sehr, andererseits fühlte er sich deswegen unwohl. Sein Vater hatte ihm beigebracht, dass es ein Zeichen von Schwäche war, seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen. In dieser Hinsicht war sein Vater ihm mit gutem Beispiel vorangegangen: Falls er seine Söhne liebte, hatte er es zumindest nie gesagt.
Garrett ahnte, dass er lernen musste, ein wenig freizügiger mit seinen Gefühlsäußerungen umzugehen, wenn er wollte, dass diese Beziehung funktionierte. Zumindest so lange, bis er einen Adelstitel in der Tasche und Louisa seinen Ring am Finger hatte.
Lächelnd erwiderte er: „Das beruht ganz auf Gegenseitigkeit, Eure Hoheit.“
Als Louisa zu Garrett aufsah, wirkte sie so süß und unschuldig. Fast bekam er Gewissensbisse, weil er sie so täuschte.
„Ich finde, dass wir uns gut genug kennen, um uns zu duzen“, schlug sie vor.
„Sehr gern, Louisa.“
„Können wir offen miteinander reden?“
„Machst du das nicht immer?“
Sie errötete leicht, was ganz reizend aussah, und biss sich auf die Lippe. „Verzeihung. Es ist eine dumme Angewohnheit von mir, alles zu sagen, was mir gerade in den Sinn kommt. Das treibt jeden in den Wahnsinn.“
„Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Ich finde das sehr ehrlich.“ Es sei denn, das ist Louisas besondere Masche, dachte er. Er wusste jedoch instinktiv, dass sie überhaupt nicht dazu in der Lage war, etwas Unaufrichtiges zu tun oder zu sagen.
„Du musst wissen, dass ich keineswegs auf eine kurze Beziehung aus bin. Ich möchte eine Familie gründen.“ Sie blieb stehen und sah ihn an. „Ich muss unbedingt wissen, ob du dasselbe oder einfach nur deinen Spaß haben willst.“
„Ich bin siebenunddreißig Jahre alt, Louisa. Ich hatte schon genügend Spaß in meinem Leben.“
„Wenn das so ist, sollte ich noch etwas preisgeben.“
Warum beschlich ihn nur plötzlich das Gefühl, dass ihm nicht gefallen würde, was sie zu sagen hatte?
„Wir sollten über Kinder reden.“
Er atmete auf. Sie war in der Tat alles andere als zurückhaltend, doch seltsamerweise mochte er das. „Was ist mit Kindern?“
„Ich will eine große Familie.“
Misstrauisch sah er sie an. „Wie groß?“
Sie verstärkte den Griff um seinen Arm, als ob sie befürchtete, Garrett könne jetzt doch noch die Flucht ergreifen. „Wenigstens sechs Kinder. Vielleicht auch mehr.“
Einen Augenblick lang dachte er, dass sie einen Scherz gemacht hatte. Dann wurde ihm jedoch klar, dass sie es todernst meinte.
Sechs Kinder? Grundgütiger, jetzt wunderte ihn nicht, dass sie immer noch Single war. Wer wollte heutzutage schon noch so viele Kinder? Er hatte noch nicht einmal den Wunsch nach einem Kind verspürt, geschweige denn nach einem halben Dutzend Kinder! Von einem Mitglied der königlichen Familie erwartete man wenigstens einen Erben – seinetwegen auch zwei. Aber gleich sechs?
Er sah Louisa an, dass dieser Punkt für sie nicht verhandelbar war. Und trotz seines Entsetzens wählte er seine Worte mit Bedacht. „Ich gebe zu, dass ich noch nie daran gedacht habe, eine so große Familie zu haben. Aber wie sagt man so schön? Alles ist möglich.“
Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln, und er sah ihr die Erleichterung an. Unwillkürlich fühlte er sich wieder schuldig. Er schüttelte dieses Gefühl jedoch rasch ab. Hier ging es ums Geschäftliche. Wenn sie erst einmal verheiratet waren, würde er den Ton angeben und darauf bestehen, dass zwei Kinder das höchste der Gefühle waren. Louisa musste dann eben lernen, damit zu leben. Vielleicht würde sie ihre Meinung nach den ersten beiden Kindern auch von sich aus ändern.
Verträumt sah sie ihn an. „Es wäre okay, wenn du mich jetzt küssen würdest“, sagte sie und fügte hinzu: „Natürlich nur, wenn du willst.“
Oh, und wie er wollte – so sehr, dass es ihn selbst ein wenig überraschte. Eigentlich hatte er mit dem ersten Kuss bis zum zweiten Date warten wollen, um die Spannung aufrechtzuerhalten. Hatte sie eigentlich vor, jede Einzelheit seines sorgfältig durchdachten Plans über den Haufen zu werfen? „Wenn du das wirklich willst?“, erwiderte er.
„Nur weil meine Familie mich wie ein Kind behandelt, heißt das noch lange nicht, dass ich auch eins bin.“
Rein gar nichts an ihr war kindlich – das stellte sie umso mehr unter Beweis, als sie noch nicht einmal wartete, bis Garrett den ersten Schritt machte. Stattdessen schlang Louisa ihm die Arme um den Nacken, sodass er den Kopf zu ihr herunterbeugen musste, und küsste ihn. Ihre Lippen waren zart, aber fordernd, und sie duftete fantastisch.
Obwohl er den Kuss so schnell wie möglich hatte beenden wollen, um die Dinge langsam anzugehen, zog er sie plötzlich dichter an sich. Ihm kam es fast vor, als würde er von einem unsichtbaren Seil, das tief in seiner Brust verankert war, an Louisa herangezogen. Er schlang die Arme um sie, und als er ihren nackten Rücken berührte, begannen seine Fingerspitzen zu kribbeln. Auch Louisa musste es gefühlt haben, denn sie griff aufseufzend in sein Haar. Dann spürte er, wie sie mit ihrer warmen Zungenspitze seinen Mundwinkel liebkoste – und er wusste, dass er sie einfach küssen musste. Dabei stellte er fest, wie wunderbar, wie zuckersüß sie schmeckte.
Er ahnte, dass das hier viel zu schnell und zu weit ging. Doch als Louisa sich dichter an ihn schmiegte und ihren Körper eng an seinen presste, war Garrett nicht imstande, sie zurückzuweisen. Nie zuvor hatte es ihn dermaßen erregt, eine Frau einfach nur zu küssen. Louisa schien mit Herz und Seele bei diesem Kuss zu sein.
Eigentlich war Garrett ein Meister der Selbstbeherrschung. Aber Luisa schien ganz genau zu wissen, wie sie ihn manipulieren konnte. Und das hätte er nun ganz und gar nicht von einer Frau erwartet, der man nachgesagt wurde, süß und naiv zu sein. Langsam stieg der Verdacht in ihm auf, dass sie absolut nicht so unschuldig war, wie alle glaubten.
Sie streichelte seine Schultern und fasste schließlich unter sein Jackett, um seine Brust zärtlich zu berühren. Das war mehr, als Garrett ertragen konnte. Atemlos und verwirrt unterbrach er mit wild hämmerndem Herzen den Kuss.
Louisa atmete leise aus und lehnte den Kopf an Garretts Brust. „Also, das nenn ich einen Kuss.“
Dagegen konnte er nichts einwenden. Allerdings hatte er ihre Familie mit seinem Besuch davon überzeugen wollen, dass seine Absichten ehrenwert waren. Und jetzt verschlang er Louisa förmlich mit Haut und Haaren – in aller Öffentlichkeit.
Sie schmiegte die Wange an seine Brust, und er spürte ihren warmen Atem durch das Hemd hindurch. Garrett musste die Hände zu Fäusten ballen, um sich daran zu hindern, weiterhin Louisas Haar zu streicheln und sie abermals zu küssen. Er wollte ihre Lippen, ihren Hals liebkosen und an ihren Ohrläppchen knabbern. Eigentlich konnte er die Hände überhaupt nicht von ihr lassen und hätte sie am liebsten überall berührt.
„Wahrscheinlich ist es ungehörig, so etwas zu sagen“, meinte Louisa. „Aber ich kann es kaum erwarten, dich nackt zu sehen.“
Lieber Himmel! Bevor er noch etwas wirklich Dummes tat, trat er einen Schritt zurück und hielt eine Armlänge Sicherheitsabstand. Sonst hätte er sie womöglich hinter einen Busch gezerrt und wilden, leidenschaftlichen Sex mit ihr gehabt. „Sagst du eigentlich jemals nicht, was dir gerade in den Sinn kommt?“
„Dabei habe ich schon zensiert, was ich gerade gedacht habe“, erwiderte sie und lächelte vielsagend. „Willst du wissen, was ich eigentlich denke?“
Natürlich wollte er das, aber es war weder die richtige Zeit noch der richtige Ort dafür. „Ich benutze einfach meine Fantasie“, erwiderte er, bevor er zum Abendhimmel aufsah. „Es ist schon spät. Ich sollte dich lieber ins Schloss zurückbringen.“
„Bevor ich mich noch in einen Kürbis verwandle“, entgegnete sie, seufzte tief auf und griff nach Garretts Hand, als würden sie sich schon seit Jahren kennen. Gemeinsam schlenderten sie den Pfad zum Schloss zurück.
„Der Abend heute ist sehr schön gewesen“, meinte Garrett zum Abschied.
„Mir hat es auch gefallen. Obwohl ich das Gefühl nicht loswerde, dass ich nicht ganz so bin, wie du es erwartet hast.“
„Nein, das bist du nicht. Du bist faszinierender und unwiderstehlicher, als ich es mir je erträumt habe.“
Als sie ihn lächelnd ansah, erkannte er, dass diese Worte vermutlich das Aufrichtigste waren, was er den ganzen Abend über gesagt hatte.
Louisa stand im Arbeitszimmer und beobachtete, wie Garretts Wagen die Auffahrt hinunterfuhr und die Rücklichter schließlich beim vorderen Tor leuchteten. Dann waren sie nicht mehr zu sehen.
Seufzend lehnte sie die Stirn gegen das kühle Glas der Fensterscheibe. Es war der bisher beste Abend ihres Lebens gewesen. Garrett zu küssen war ihr wie Magie vorgekommen – auch wenn sie den ersten Schritt hatte tun müssen. Später hatte er sie zum Abschied derart süß und zärtlich geküsst, dass Louisa förmlich dahingeschmolzen war. Ohne Zweifel war er der Richtige.
„Er nutzt dich aus.“
Louisa wirbelte herum. Anne stand an die Tür des Arbeitszimmers gelehnt und hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Sie wirkte so mürrisch wie stets – na ja, zumindest wie in den vergangenen ein oder zwei Wochen.
„Warum denkst du das?“, fragte Louisa.
„Weil Männer wie er so etwas eben tun – sie benutzen Frauen wie uns. Erst überhäufen sie uns mit Lügen, und dann würdigen sie uns keines Blickes mehr.“
Louisa wusste zwar, dass Anne mit Männern nicht unbedingt Glück gehabt hatte, aber diese Schlussfolgerung war sogar für Anne ziemlich negativ. „Ist alles in Ordnung, Anne?“
„Er wird dir wehtun.“
Louisa schüttelte den Kopf. „Garrett ist anders.“
„Und woher weißt du das?“
„Woher weißt du, dass er es nicht ist?“
Anne seufzte, als würde sie ihre arme, leichtgläubige Schwester bemitleiden. Hätte Louisa nicht gewusst, dass Anne auf diese Weise einfach nur Dampf abließ, hätte sie sich darüber aufgeregt. Allerdings war sie es allmählich leid, für ihre Schwester als Punchingball herhalten zu müssen.
„Ich kann auf mich selbst aufpassen“, stellte Louisa klar.
Anne zuckte nur mit den Schultern, als ob es ihr so oder so gleichgültig wäre. Aber es war ihr wohl nicht ganz egal, sonst hätte sie gar nicht erst etwas gesagt. „Sag hinterher bloß nicht, ich hätte dich nicht gewarnt!“
„Hast du irgendwas?“, erkundigte Louisa sich. Sie hätte schwören können, für einen kurzen Moment Schmerz in Annes Blick aufflackern zu sehen.
Verärgert sah Anne sie an. „Du glaubst also, dass mit mir etwas nicht stimmt, nur weil ich Garrett nicht leiden kann?“
„Du kannst mir alles erzählen, Anne. Ich möchte dir gern helfen.“
„Du bist diejenige, die Hilfe braucht, wenn du glaubst, dass dieser Mann etwas für dich empfindet“, rief Anne, bevor sie mit einem letzten kummervollen Kopfschütteln den Raum verließ.
Louisa empfand Mitleid. Offenbar war ihre Schwester tief verletzt worden. Doch sie wünschte inständig, Anne würde aufhören, ihre Stimmung mit herunterziehen zu wollen. Warum konnte sie sich nicht einmal für Louisa freuen?
Vielleicht war sie ja eifersüchtig … Vielleicht wollte sie Garrett für sich selbst. Oder sie wünschte sich einfach jemanden, der sie so liebte, wie sie war. Genau das tat Louisa jedenfalls. Und auch wenn Anne manchmal ziemlich nervtötend sein konnte, hatte sie eine liebenswerte Seite. Und sie war in ihrer Liebe zu denen, die ihr am Herzen lagen, bedingungslos loyal.
„Auch du wirst jemandem begegnen“, flüsterte Louisa, obwohl Anne schon längst gegangen war. Dennoch wusste sie aus tiefstem Herzen, dass ihre Prophezeiung sich erfüllen würde. Selbst für die pessimistische und gelegentlich etwas launische Anne gab es jemanden, der sie für das lieben würde, was sie war – genauso wie Garrett mich liebt, dachte Louisa.
In Gedanken bei ihrer Schwester, machte Louisa sich auf den Weg, um ihren Shih Tzu Muffin abzuholen, der den Nachmittag beim Hundefriseur und dann bei dem Verhaltenstrainer verbracht hatte. Im Foyer begegnete sie Chris.
„Ist die Pokerrunde schon vorbei?“ Normalerweise spielten ihre Geschwister bis nach elf Uhr abends.
„Melissa ist müde, und Liv wollte zurück ins Labor. Irgend so ein Forschungsprojekt, an dem sie arbeitet. Ich gehe davon aus, dass dein Abend schön gewesen ist.“
Lächelnd nickte sie.
„Hast du einen Augenblick Zeit?“
„Eigentlich wollte ich gerade Muffin abholen.“
Seine Miene wurde ernst. „Du hast wahrscheinlich schon gehört, was deine kleine Ratte mit den Sofakissen in der Bibliothek angestellt hat. Das Füllmaterial hat überall herumgelegen.“
Louisa zuckte zusammen. „Ja, das tut mir leid.“
„Einen Tag vorher hat er sich Aarons Schuhe geschnappt.“
„Ich weiß. Ich habe Aaron schon angeboten, ihm neue zu kaufen.“
„Er ist eine Plage.“
Louisa lächelte entschuldigend. „Er möchte nur mehr Aufmerksamkeit.“
„Wenn er so weitermacht, bekommt er eine schöne Hundehütte im Garten.“
„Ich passe besser auf ihn auf“, versprach sie ihrem Bruder. „Worüber willst du denn mit mir reden?“
Statt zu antworten, sagte Chris: „Komm, wir gehen ins Arbeitszimmer.“
Louisa wurde den Verdacht nicht los, dass es um Garrett ging.
Während Chris sich einen Drink einschenkte, setzte sie sich aufs Sofa. In Vorbereitung auf seine spätere Rolle als König hatte Chris schon sehr früh Verantwortung übernommen – und machte aus seiner Meinung selten einen Hehl. Louisa war immer noch sehr davon beeindruckt, wie gut es Chris gelungen war, den Herrscher während seiner Krankheit zu vertreten. Zweifellos würde Chris ein guter König sein, falls ihr Vater nicht mehr gesund würde – woran Louisa gar nicht denken mochte. Ihr Vater würde wieder gesund werden – er musste einfach.
„Ich finde es nicht gut“, begann Chris, während er ihr immer noch den Rücken zuwandte, „dass du mir erst heute Morgen von Garretts Besuch erzählt hast.“
Das war also der Grund für dieses Gespräch. Chris wollte ihr die Leviten lesen. „Kannst du mir das vorwerfen? Hätte ich es früher erzählt, hättet ihr mir die ganze Zeit deswegen in den Ohren gelegen.“
Er drehte sich zu ihr um und trank einen Schluck. „Du hättest die Familie in Gefahr bringen können“, sagte er schließlich.
Genervt verdrehte sie die Augen. „Das klingt ja so, als wäre Garrett ein völlig Fremder. Wenn er gefährlich wäre, hätten wir es doch schon längst herausgefunden.“
„Du musst dich aber an die Regeln halten. Wir alle müssen Opfer bringen, Louisa.“
Als wäre ihr das nicht bewusst! Sie hatte sich nur aus einem Grund dazu entschieden, es in letzter Minute zu sagen: weil ihre Geschwister sie immer wie ein Kind behandelten. Deshalb war es eindeutig die Schuld ihrer Familie. Sie zwangen Louisa förmlich zu so einem Verhalten. Und manchmal hatte sie es einfach satt, die folgsame Prinzessin zu sein.
„Ich gehe davon aus, dass er die Prüfung bestanden hat“, entgegnete sie kühl. „Ansonsten wäre er wohl kaum durch das Haupttor gekommen.“
„Ja, das stimmt.“
„Siehst du? Das habe ich gewusst. Und dafür brauche ich keine Sicherheitsleute.“
Chris schüttelte den Kopf, als wolle er damit sagen, dass Louisa ein hoffnungsloser Fall wäre. Dann nahm er neben ihr auf dem Sofa Platz. „Ich habe vorhin mit Vater darüber gesprochen.“
Louisa stockte der Atem. Falls der König etwas gegen den Mann hatte, mit dem sie sich traf, durfte sie Garrett nicht wiedersehen. So waren die Regeln nun einmal. „Und?“
„Er hat gesagt, dass ich nach eigenem Ermessen handeln soll.“