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MIT DIR AM STRAND DER LIEBE von MATHER, ANNE Joanna will nur noch eins von Millionär Matt: die Scheidung! Doch als sie ihren attraktiven Noch-Ehemann in seiner Luxusvilla am Atlantik trifft, verspürt sie gegen jede Vernunft immer noch heiße Lust - und eine letzte Nacht in seinen Armen hat ungeahnte Folgen … ITALIENISCHE NÄCHTE MIT DEM BOSS von COLLINS, DANI Als ein Skandal um seine sexy Angestellte Gwyn den Ruf seines Bankhauses gefährdet, versteckt Vittorio Donatelli sie auf seinem Anwesen am Comer See. Aber so sehr Gwyn sein Verlangen weckt, muss er sich zügeln! Was, wenn die pikanten Vorwürfe gegen sie wahr sind? AUF DER INSEL DES GRIECHISCHEN MILLIARDÄRS von MORGAN, SARAH Chantal schwebt im siebten Himmel: Milliardär Angelos Zouvelekis nimmt sie mit auf seine malerische Privatinsel in Griechenland. Doch während sie bald stürmisch verliebt ist, beschuldigt er sie, eine Mitgiftjägerin zu sein. Kann sie ihn jemals von ihrer Unschuld überzeugen?
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Seitenzahl: 613
Anne Mather, Dani Collins, Sarah Morgan
JULIA SOMMERLIEBE BAND 29
IMPRESSUM
JULIA SOMMERLIEBE erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA SOMMERLIEBEBand 29 - 2018 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
© 2017 by Anne Mather Originaltitel: „An Heir Made in the Marriage Bed“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Nicole Lacher
© 2016 by Dani Collins Originaltitel: „Bought by Her Italian Boss“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Elisabeth Hartmann
© 2008 by Sarah Morgan Originaltitel: „Bought: The Greek’s Innocent Virgin“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Dorothea Ghasemi
Abbildungen: Harlequin Books S. A., GettyImages / IakovKalinin, shutterstock / Hvoenok, alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 06/2018 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733711030
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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Selbst am späten Nachmittag brannte die Sonne noch zu heiß.
Ungeduldig verlagerte Matt Novak sein Gewicht auf der gepolsterten Liege, die ein Hausmädchen auf Anweisung von Adrienne Novak in den Schatten der Terrasse gestellt hatte. Die kakifarbenen Shorts, die er zu seinem schwarzen T-Shirt trug, waren verschwitzt. Trotzdem wollte er nachher noch in den Fitnessraum gehen. Er hatte das Nichtstun gründlich satt.
Vor ihm glitzerten die Sonnenstrahlen auf dem Kanal, dessen Wellen gegen die Ufermauern plätscherten. In der Bucht dahinter schien das Licht so grell, dass sogar Matts dunkle Sonnenbrille es nicht vollständig ausblenden konnte.
Die knotigen Äste des mächtigen Bengalischen Feigenbaums neben der Terrasse blieben unter den Blütenranken fast unsichtbar. Sanft schaukelte das Segelboot von Matts Vater, das am Steg festgebunden war, auf dem Wasser. Matt roch die Pflanzen, die entlang des Kanals wuchsen, und den unverwechselbaren Duft des Meeres.
Zweifellos war das alles sehr schön und friedlich, doch er hatte genug davon, dass man ihn wie einen Invaliden behandelte. Anfangs war es ja ganz angenehm gewesen, von vorne bis hinten bedient zu werden, aber allmählich ging ihm seine Mutter auf die Nerven. Adrienne Novak machte keinen Hehl aus ihrer Missbilligung, wenn er im Fitnessraum beim Bankdrücken sein eigenes Körpergewicht stemmte. Sie wollte einfach nicht akzeptieren, dass er sich gut fühlte. Selbst an den Computer ließ sie ihn nur widerstrebend.
Laptop und Handy waren ihm im Krankenhaus in Caracas gestohlen worden. Während seiner Reise nach Venezuela hatte er sich ein tropisches Fieber eingefangen und seine ganze Kraft aufbieten müssen, es zu überstehen. Adrienne wollte nicht einsehen, dass er jetzt über den Berg war, und setzte alle Hebel in Bewegung, damit er hier in Coral Gables blieb.
Für sie gab es nur einen einzigen Wermutstropfen: Ihr Mann hatte seinen Ruhestand aufgegeben, um wieder das New Yorker Büro von Novak Oil Exploration and Shipping zu leiten. Bis vor drei Monaten hatte Matt das getan.
Der blickte mürrisch drein, allerdings nicht, weil sein Vater für ihn einsprang. Er hatte ja ohnehin beschlossen, nicht den Rest seines Lebens in der Vorstandsetage zu verbringen. Jetzt musste er nur noch seine Eltern davon überzeugen, dass er es ernst meinte.
Zu schaffen machte ihm jedoch etwas anderes: Obwohl er Adrienne etliche Male gebeten hatte, seiner von ihm getrennt lebenden Ehefrau E-Mails nach London zu schicken, kam einfach keine Antwort von Joanna.
Bestimmt war sie nach wie vor wütend auf ihn. Aber kümmerte es sie denn gar nicht, ob er tot oder lebendig war? Offensichtlich nicht. Und da sie sich nach der Trennung eine neue Handynummer zugelegt hatte, schied ein Telefonat aus.
Theoretisch konnte er in der Galerie anrufen, für die sie arbeitete, doch womöglich ging dann David Bellamy an den Apparat. Matt war zu stolz, um zuzugeben, dass er die aktuelle Telefonnummer seiner Frau nicht kannte. Ende der Woche flog er nach London. Je eher er persönlich mit Joanna redete, desto besser.
Motorgeräusche brachen die Stille, und Matt blickte auf. Erwartete Adrienne Besuch? Da fiel es ihm ein: Sophie, seine Schwester, hatte eine Freundin nach Miami zum Flughafen gefahren. Allerdings hörte er mehr als ein Paar Absätze auf dem gepflasterten Weg, der von der Vorderseite des Hauses zur Terrasse führte. Wen zum Teufel hatte Sophie mitgebracht?
Hoffentlich nicht noch eine Frau, die er bewundern sollte. Inzwischen hatte seine Mutter oft genug versucht, sein Interesse an Töchtern aus guten Familien zu wecken. Joanna und er mochten Probleme haben, waren aber immer noch verheiratet. Und er glaubte fest daran, dass sie ihre Differenzen ausräumen konnten.
Die Besucherin war keine Freundin von Sophie. Oder nur indirekt.
Ihm selbst war die junge Frau, die seiner Schwester folgte, viel vertrauter. Groß und schlank, mit Rundungen an den richtigen Stellen. In der Seidenbluse und dem schwingenden kniekurzen Rock kamen ihre Kurven hervorragend zur Geltung. Blonde Locken, die sich nie richtig bändigen ließen, fielen ihr auf die Schultern. Verdutzt blickte Matt ihr in die veilchenblauen Augen, in denen er Argwohn las.
Zuletzt hatte er seine Ehefrau bei der Beerdigung ihres Vaters vor neun Monaten gesehen. Damals wusste sie nichts von seiner Anwesenheit. Kurz vorher war sie aus dem gemeinsamen Londoner Appartement gestürmt. Hatte geschworen, sie wolle ihn nie wieder sehen. Und jetzt war sie hier.
Halleluja!
„Sieh mal, wem ich am Flughafen über den Weg gelaufen bin!“, rief Sophie betont fröhlich, während Matt aufstand.
Joanna war nervös. Sie musste mit ihrem Mann sprechen, natürlich musste sie das. Aber sie hatte ein Zimmer in einem Hotel in Miami Beach reserviert und gehofft, Matt heute zum Dinner dort einladen zu können. Es war nicht ihre Absicht gewesen, unangekündigt im Haus seiner Eltern aufzukreuzen.
Bis Sophie sie über seine schwere Erkrankung informiert hatte.
Heute früh war Joanna von New York nach Miami geflogen – ohne zu wissen, ob sie ihren Mann überhaupt antraf. Fest stand nur, dass er sich weder in London noch in New York aufhielt.
Die Novak Corporation – oder NovCo, wie das Unternehmen an der Börse hieß – besaß Niederlassungen auf der ganzen Welt. Normalerweise arbeitete Matt entweder in London oder New York. Zunächst war Joanna deshalb aus London nach New York geflogen. Als sie erfuhr, dass lediglich Mr. Novak senior im Büro die Stellung hielt, beschloss sie, es in Miami zu versuchen.
Natürlich wunderte sie sich, weil Oliver Novak arbeitete. Ihr Schwiegervater hatte sich vor ein paar Jahren in Florida zur Ruhe gesetzt. Wenn er die Firma jetzt wieder leitete, musste etwas im Argen liegen. Allerdings war ihr nicht der Gedanke gekommen, dass es mit Matt zusammenhängen könnte.
Ich hätte fragen sollen, ob Oliver zu sprechen ist, dachte sie. Das wäre vernünftig gewesen. Doch obwohl sie ihn mochte, wollte sie ihren Schwiegervater nicht in diese persönliche Angelegenheit hineinziehen. Darüber musste sie mit ihrem Mann selbst reden.
Florida war ihr letzter Versuch. Vielleicht las Matt seine E-Mails nicht. Schwer zu glauben. Vielleicht ignorierte er ihre Forderungen auch einfach.
Auf das Wiedersehen mit seiner Mutter freute sie sich jedenfalls kein bisschen. Adrienne Novak hatte sie nie gemocht und war garantiert entzückt über die Trennung. In ihren Augen war Joanna nie gut genug für Matt gewesen. Die ältere Frau hatte keine Gelegenheit ausgelassen, um Zwietracht zwischen den beiden zu säen.
Besonders schmerzhaft war das für Joanna gewesen, als sie und Matt versucht hatten, ein Baby zu bekommen. Trotz Fruchtbarkeitskalender und Temperaturmessungen war sie nicht schwanger geworden. Daraufhin hatte Adrienne angedeutet, Matt als einziger Sohn der Novaks wolle selbstverständlich einen Erben. Und falls er den mit Joanna nicht bekommen könne …
Zu Ende sprach sie den Satz zwar nicht, doch Joanna wusste genau, was sie meinte. Immer wieder hatte Adrienne ihr Nadelstiche versetzt.
Die Begegnung mit Sophie am Flughafen war reiner Zufall gewesen. Ihre Schwägerin hatte gerade eine Bekannte verabschiedet und freute sich sehr über das unverhoffte Treffen.
Zu ihren New Yorker Zeiten waren die beiden jungen Frauen gute Freundinnen gewesen. Matts ältere Schwester unterschied sich erheblich von ihrer Mutter und fühlte mit Joanna, weil eine Schwangerschaft ausblieb. Und das, obwohl ihre eigene, von Adrienne eingefädelte Ehe damals gerade den Bach runterging.
Als sie hörte, dass Joanna wegen Matt hier war, schlug sie ihr vor, sie mitzunehmen. Den Einwand, ein Hotelzimmer sei reserviert, ließ sie nicht gelten. „Matt ist schon fast wieder ganz gesund“, erzählte sie arglos. „Er wird so froh sein, dich zu sehen. Du kennst ja Mutter. Obwohl er das tropische Fieber überstanden hat, will sie ihn noch zu Hause behalten.“
Joanna wusste nicht, was ihre Schwägerin meinte. Bestürzt hörte sie, dass ihr Mann sich von einer schweren Krankheit erholte, mit der er sich in Südamerika angesteckt hatte. Das erklärte, warum Oliver Novak wieder das New Yorker Büro leitete. Sie wünschte, jemand hätte ihr Bescheid gegeben.
Matt würde nicht wollen, dass seine Frau im Hotel übernachtete, beharrte Sophie. Joanna las die Neugierde in den Augen ihrer Schwägerin. Was Matt wohl über die Trennung erzählt hatte? Bestimmt hatte er seinen Verwandten erklärt, warum Joanna versuchte, ihn zu kontaktieren?
Anscheinend nicht. Auf jeden Fall wusste sie, dass sie in Coral Gables nicht willkommen sein würde. Egal, ob Matt sich dort aufhielt. Wenn man berücksichtigte, dass die Trennung schon fast ein Jahr zurücklag, war es erstaunlich, dass Adrienne ihren Sohn nicht längst gedrängt hatte, selbst die Scheidung einzureichen.
Sophie zog ihre eigenen Schlüsse. Sie vermutete, Joanna sei hier, um sich mit Matt zu versöhnen. „Ich weiß, ihr beide hattet Probleme. Aber sicher habt ihr mittlerweile erkannt, dass ihr einander braucht. Seit seiner Rückkehr aus Venezuela ist Matt ziemlich niedergeschlagen.“
Muss an der Krankheit liegen, sagte sich Joanna resolut. Es war unwahrscheinlich, dass seine gedrückte Stimmung mit ihr zusammenhing. Andererseits wollte sie ihre Schwägerin nicht vor den Kopf stoßen. Vielleicht war es sogar besser, wenn sie die Konfrontation – falls ihr denn eine bevorstand – so rasch wie möglich hinter sich brachte.
Matt trug eine dunkle Sonnenbrille. Er hatte abgenommen. Auch mit seinen achtunddreißig Jahren schauen ihm garantiert noch die Frauen hinterher, dachte Joanna. Sie kannte keinen Mann, der mehr Sex-Appeal ausstrahlte.
Du bist nicht hier, um dich an seinem Anblick sattzusehen, rief sie sich verärgert zur Ordnung. Gewiss war er nicht zu krank gewesen, um ihre E-Mails zu lesen?
Trotz des Gewichtsverlustes wirkte er fit. Genauso verstörend attraktiv wie früher. Er besaß eine unterschwellige Sinnlichkeit, die in Joanna schon immer ein verheißungsvolles Prickeln ausgelöst hatte. Auch heute, trotz allem, was passiert war. Das gefiel ihr ganz und gar nicht.
Matt sah dermaßen erotisch aus, dass sie sich seinem Bann nicht entziehen konnte. Aus dem Grund hatte sie ihm ja auch die E-Mails geschickt und gehofft, er möge aus der Ferne in die Scheidung einwilligen.
Sie wollte ihn nicht sehen, denn sie wusste, wie verletzlich sie nach wie vor in seiner Gegenwart war.
Es ärgerte sie zutiefst, dass ihr Atem kurz stockte, als Matt jetzt auf sie zukam. Fass mich nicht an! dachte sie erschrocken und hätte am liebsten die Flucht ergriffen.
„Jo.“ Er nahm die Sonnenbrille ab. Seine tiefe Stimme war nicht gerade geeignet, um Joannas Nervosität zu lindern. „Wie nett von dir vorbeizuschauen.“
Ist das etwa ein sarkastischer Unterton? Sie war sich nicht ganz sicher und ignorierte seine ausgestreckte rechte Hand. Er sollte nicht herausfinden, wie schnell ihr Herz schlug. Auch nicht, dass ihr ganz heiß wurde und die Hitze vom Brustkorb Richtung Hals kroch. Beklommen merkte sie, dass Matts forschendem Blick die winzigen verräterischen Schweißperlen zwischen ihren Brüsten nicht entgingen.
„Sophie sagt, du warst krank“, begann sie hastig. Hätte sie auf der Fahrt vom Flughafen hierher bloß nicht ihre Bluse aufgeknöpft! Das Kamisol, das sie darunter trug, war zwar angemessen für die hohen Temperaturen, allerdings eher freizügig. „Das tut mir leid. Geht es dir inzwischen besser?“
Matt ließ die Hand sinken und betrachtete Joanna verblüfft. Er kniff die Augen leicht zusammen.
Ich habe etwas Falsches gesagt – und vermutlich auch getan, schoss es ihr durch den Kopf. Wusste er denn nicht, dass man sie nicht über seine Erkrankung informiert hatte?
„Ich bin überrascht, weil du erst heute kommst“, erwiderte er und beantwortete damit ihre Frage.
Sophie merkte, dass irgendetwas nicht stimmte. „Wir haben uns zufällig am Flughafen getroffen“, versuchte sie das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken. „Joanna ist gerade erst aus New York angekommen. Sie wollte in ein Hotel, aber ich habe sie überredet, mit mir herzufahren.“
„Tatsächlich?“, fragte Matt auf eine Art, die seiner Noch-Ehefrau signalisierte, dass er alles andere als erfreut war. Er sah sie scharf an. „Warum wolltest du denn in ein Hotel?“
„Ich hielt es für die beste Lösung“, antwortete sie möglichst leichthin. „Immerhin ist dies das Haus deiner Eltern, und ich komme unangekündigt.“
„Hast du gedacht, du müsstest uns vorwarnen?“
„Sicher.“ Joanna wusste nicht, worauf er hinauswollte.
„Aber du hast doch die E-Mails meiner Mutter bekommen“, sagte er ungeduldig. „Ich muss zugeben, dass ich eine – wie soll ich es ausdrücken – mitfühlendere Reaktion erwartet hatte.“
Sophie beschloss, das Paar sich selbst zu überlassen. „Bis später dann!“ Sie winkte verlegen und huschte ins Haus.
Das macht die Dinge nicht leichter, fand Joanna. Unwillkürlich trat sie einen Schritt zurück, weil die Atmosphäre zum Zerreißen gespannt war. Welche E-Mails meinte Matt? Ihre eigenen ja wohl nicht.
„Ob du es glaubst oder nicht: Bei meinem Abflug aus New York wusste ich nichts von deiner Krankheit“, erklärte sie kopfschüttelnd. „Sonst hätte ich mich früher gemeldet. Als ich hörte, dass du nicht im New Yorker Büro bist, konnte ich nur raten, wo ich dich finde.“
„Hat mein Vater dir nichts erzählt?“ Oliver hätte mich informiert, wenn er Joanna begegnet wäre, überlegte Matt.
„Wir haben gar nicht miteinander gesprochen. Ich wollte mit dir reden.“
„Verstehe ich das richtig? Du hast keine Nachricht von mir bekommen?“
„Keine.“ Sie straffte die Schultern. „Warum sollte ich lügen?“
„Das frage ich mich auch.“
„Hättest du dir die Mühe gemacht, auch nur eine einzige meiner Mails zu lesen, wüsstest du, warum ich hier bin“, entgegnete sie ärgerlich.
„Deiner Mails?“
„Das ist doch lächerlich! Wir reden aneinander vorbei. Ich meine das halbe Dutzend E-Mails, das ich dir in den letzten Wochen geschickt habe.“ Sie wappnete sich, um Matt in die Augen zu sehen. „Ich kann nicht glauben, dass du keine davon kennst.“
„Aber genauso ist es. Erst war ich in Caracas im Krankenhaus, später in Miami. Anschließend hat sich meine Mutter um meine Korrespondenz gekümmert.“
Oh, warum nur überrascht mich das nicht? fragte sich Joanna mit einem Anflug von Bitterkeit. Jetzt fiel der Groschen. Welche Chance für Adrienne, einen weiteren Keil zwischen ihren Sohn und dessen Frau zu treiben!
„Darum ist mein Vater auch in New York. Als klar war, dass ich mich noch eine Weile erholen muss, hat er darauf bestanden, für mich einzuspringen. Ich schätze, der Ruhestand hat ihn gelangweilt. Er konnte es kaum erwarten, in das Flugzeug zu steigen und die Kontrolle zu übernehmen.“
Mit dem Kontrollieren kennen sich die Novaks bestens aus, dachte Joanna grimmig. Nach Olivers leichtem Schlaganfall vor zwei Jahren hatten die Ärzte ihm geraten, als Geschäftsführer von NovCo abzutreten.
Damals übernahm Matt den Posten. Joanna wollte ihren Vater, bei dem gerade Lungenkrebs diagnostiziert worden war, nicht allein lassen. Also beschloss Matt, zwischen der New Yorker Zentrale und der Londoner Niederlassung zu pendeln.
Ein zweischneidiges Schwert, räumte sie heute ein. Ihre Ehe hatte ohnehin darunter gelitten, dass sich kein Baby ankündigte und sie mit Matt nicht über ihre Gefühle sprechen mochte. Dass er oft Investoren und Investorinnen ausführte, war wenig hilfreich, obwohl diese Termine schon immer zu seinem Job gehört hatten.
Früher waren sie Joanna gleichgültig gewesen. Damals fühlte sie sich von Matt geliebt und vertraute ihm uneingeschränkt. Doch die Unfruchtbarkeit machte sie verletzlicher, als sie für möglich gehalten hatte.
„Davon wusste ich nichts.“ Sie schlang den Riemen ihrer Handtasche fester über die linke Schulter und blickte ihren Mann an. „Ich bin nämlich nicht gefühllos, weißt du?“
Sie konnte sich denken, was mit ihren E-Mails geschehen war: Adrienne musste sie gelesen haben. Allerdings erklärte das nicht, warum ihre Schwiegermutter Matt die Nachrichten vorenthalten hatte.
Wie dem auch sei, es änderte nichts an Joannas Gründen für diese Reise. Sie wollte die Scheidung. So einfach war das – und zugleich so kompliziert. Einfach, weil Matt lediglich erklären musste, die Scheidung nicht anzufechten. Und schwierig, weil er sie zur Aktionärin von NovCo gemacht hatte, als ihr Vater seine eigene kleine Firma an NovCo verkauft hatte.
Nicht, dass sie diese Aktien weiterhin behalten wollte. Trotzdem mussten die rechtlichen Aspekte geklärt werden.
Ich hätte auf David Bellamy hören sollen, dachte sie reumütig. David leitete die Galerie, in der sie gearbeitet hatte, als sie Matt begegnet war, und in der sie heute wieder ihre Brötchen verdiente. Ihr Chef hatte empfohlen, nur noch über einen Anwalt mit Matt zu kommunizieren. David mochte ihn nicht. Er hielt ihn für einen Mann, der daran gewöhnt war, dass ihm die Frauen zu Füßen lagen. Die Ehe wird nicht lange dauern, hatte er prophezeit.
Und recht behalten.
„Du kennst ihn doch“, hatte David mehr als einmal gesagt. „Er meint, er kann dich um den Finger wickeln. Willst du ihm wirklich Gelegenheit geben, dich umzustimmen?“
„Das schafft er auf keinen Fall“, hatte sie voller Überzeugung geantwortet.
Und es stimmt, sagte sie sich. Sie musste ja nur an ihren Vater denken, an dessen Qualen kurz vor dem Tod, um zu wissen, dass es kein Zurück gab.
Angus Carlyle war zwar schon vor neun Monaten gestorben, aber ihre Verbitterung Matt gegenüber existierte nach wie vor. Sie hatte sich sogar eingeredet, die Liebe zwischen ihnen wäre nichts als eine Illusion gewesen. Heute war Joanna eine selbstständige Frau, und so sollte es auch bleiben.
Deshalb die Scheidung.
Unabhängig davon traf sie die Nachricht von Matts Krankheit wie ein Schlag. Als sie am Flughafen davon erfuhr, strafte ihre Reaktion alle Vorsätze Lügen.
Joanna hatte tatsächlich geglaubt, immun gegen Matts Anziehungskraft zu sein. Ihn ansehen und mit ihm reden zu können, ohne seine verlockende Sinnlichkeit zu spüren.
Einmal mehr hatte sie sich geirrt.
Was bedeutete das? War sie etwa unsicher? Nein, rief Joanna sich zur Ordnung. Ihr Körper reagierte bloß auf den Sex-Appeal dieses Mannes. Nicht auf irgendwelche Gefühle, die möglicherweise noch nicht vollständig abgeklungen waren.
Nachdenklich betrachtete Matt sie. Offenbar brachte die Situation auch ihn aus dem Konzept. „Setz dich doch. Ich lasse uns etwas zu trinken kommen. Wenn du nicht hier bist, um zu erfahren, ob ich noch lebe – warum dann?“
Sie zögerte. Wollte sie ernsthaft so tun, als wäre dies ein x-beliebiger Besuch? Was sonst konnte sie unter diesen Umständen machen?
„Also gut“, sagte sie spontan.
Er rief einen Angestellten, bestellte Kaffee und eine Karaffe Eistee. Dann schlug er Joanna vor, auf der Liege neben seiner unter der gestreiften Markise Platz zu nehmen.
Sie fügte sich. Ihr Körper spannte sich an, als Matt sich setzte, das Fußteil seiner Liege herunterklappte und den so entstandenen Stuhl zur Seite rückte. Jetzt befanden sich seine nackten Knie nur wenige Zentimeter neben ihren.
Joanna stellte ihre Handtasche auf den Boden und strich sich die Haare aus dem Gesicht. Auf der Fahrt hierher im Cabrio hatte der Wind ihre Locken durcheinandergewirbelt. Sie wünschte, sie hätte sich Zeit zum Kämmen genommen, und steckte ein paar widerspenstige Strähnen hinter die Ohren.
Unwillkürlich dachte Matt daran, wie seidig ihre Haare waren. Wie weich sich ihre Haut unter seinen Handflächen anfühlte. Viel zu lange waren sie getrennt gewesen. Er wollte ihr unbedingt sagen, dass ihm die Trennung leidtat – egal, was davor passiert war.
Aber würde sie es heute lieber hören als das letzte Mal?
Wäre ich am Flughafen bloß nicht Sophie über den Weg gelaufen, dachte Joanna im selben Moment. Ein Anruf bei den Novaks, und sie hätte bestimmt auch so von Matts Krankheit erfahren. Vielleicht hätte sie bis morgen gewartet, um ihren Mann zu kontaktieren. Wäre er ihrer Einladung in das Hotel gefolgt, hätte sie sich wie die treibende Kraft fühlen können.
„Also …“ Fragend zog er eine Braue hoch. „Du hast mir wohl nicht verziehen?“
Joanna presste die Lippen aufeinander. Seine Frage kam völlig unerwartet. „Dachtest du, ich hätte es getan?“
„Seit dem Tod deines Vaters sind neun Monate vergangen“, antwortete er leise. „Ich bedaure den ganzen Vorfall, aber es war nicht meine Schuld.“
Sie starrte ihn an und sagte kühl: „Das sagtest du bereits. Wie auch immer, mein Vater hat dir vertraut.“
„Und ich ihm“, konterte er brüsk, unfähig, sich zu beherrschen. „Was zeigt, wie töricht ich war. Angus Carlyle hat niemandem vertraut. Sogar deine Mutter wusste das.“
„Lass meine Mutter aus dem Spiel! Sie war ja wohl kaum ein Vorbild. Schließlich hatte sie eine Affäre.“
„Nicht während ihrer Ehe mit deinem Vater. Glenys ist Lionel Avery erst begegnet, nachdem sie die Scheidung eingereicht hatte. Ich hoffe, du hältst ihr diesen Schritt nicht immer noch vor.“
„Meine Beziehung zu meiner Mutter geht dich nichts an.“
„Richtig. Aber Angus war eifersüchtig, Jo. Ihr Glück passte ihm nicht. Genauso wenig wie unsere Ehe.“
„Das stimmt nicht!“
„Natürlich stimmt es. Du warst sein kleines Mädchen, und er wollte, dass du es bleibst. Erstaunlich, dass er dir überhaupt erlaubt hat, in Bellamys Galerie zu arbeiten. Sicher wusste er nicht, dass der Typ in dich verliebt ist.“
„Was sagst du da?“ Joannas Kinnlade klappte herunter. „Lächerlich! David ist nicht in mich verliebt.“
Matt seufzte resigniert. Er legte eine Hand auf ihre und streichelte sie behutsam mit den Fingerspitzen. „Lass uns nicht über Bellamy oder deinen Vater reden, Jo. Was geschehen ist, ist geschehen. Ich möchte an die Zukunft denken.“
Sie hatte sich wie erstarrt gefühlt, bis er sie berührte. Jetzt riss sie ihre Hand unter seiner weg. „Wir haben keine Zukunft. Das musst du doch wissen.“
Finster blickte er sie an. „Ich weiß nichts dergleichen. Willst du zulassen, dass die Lügen deines Vaters dein ganzes Leben zerstören?“
„Mein Vater hat mich nicht belogen“, widersprach sie steif. „Er hat mir die Wahrheit gesagt.“
„Seine Wahrheit.“ Frustriert betrachtete Matt seine Frau. „Ich liebe dich, Jo. Sag mir, was ich tun kann, um alles in Ordnung zu bringen.“
Nur mit Mühe brach sie den Blickkontakt. „Ich bin nicht hier, um zu versuchen, unsere Differenzen zu überwinden.“
„Das habe ich mir schon gedacht.“
„Dann muss dir doch klar sein, dass …“
Bevor sie mit ihrem Wunsch nach einer Scheidung herausplatzen konnte, erschien der Angestellte mit den Getränken.
Er war nicht allein. Eine ältere Dame in legerer grauer Seidenhose und passender Tunika trat aus der Villa.
„Matt“, begann die Frau missbilligend. „Was erzählt Aaron da von einer Besucherin, die Sophie mitgebracht hat?“ Sie sah Joanna und stockte. „Meine Güte“, stieß sie hervor. „Was machst du denn hier?“
Ein paar Stunden später betrachtete Joanna sich im langen Badezimmerspiegel einer der Gästesuiten.
Wie war sie bloß in diesen Schlamassel geraten? Sie hatte doch nur so lange wie unbedingt nötig im Haus der Novaks bleiben wollen. Trotzdem stand sie jetzt hier und hatte für das Dinner mit Matt und dessen Familie zugesagt. Zugesagt, den Abend damit zu verbringen, Adriennes Anfeindungen ebenso abzuwehren wie Matts geradezu magnetische Anziehungskraft.
Andererseits ging es nur um einen einzigen Abend. Auf das Angebot ihres Noch-Ehemannes hin, in der Villa zu übernachten, hatte sie ihr Zimmer im Hotel Corcovado ins Feld geführt. Wer weiß, was er sonst von ihr erwartet hätte. Vielleicht, dass sie seine Suite mit ihm teilte? Bei dieser Vorstellung überlief sie ein unwillkommener, aber angenehmer Schauer.
Adrienne ist schuld, entschied sie. Anscheinend hatte ihre Schwiegermutter nicht damit gerechnet, dass sie nach Miami kommen würde.
Die Lage hatte sich nicht gerade entspannt, als Matt seiner Mutter vorwarf, sich eingemischt zu haben. „Du wusstest, dass Joanna mich kontaktieren wollte“, sagte er barsch und stand auf. „Wann wolltest du mir eigentlich davon erzählen? Oh, und was ist aus den E-Mails geworden, die du Joanna auf meine Bitte hin schicken solltest? Die haben ihr Ziel wohl auch nie erreicht?“
„Sei nicht sarkastisch, Matthew!“ Adriennes Gesicht wurde noch röter als beim Anblick ihrer Schwiegertochter. „Ich wollte nicht, dass du so kurz nach deiner schweren Erkrankung nach London fliegst. Bei all meinen Entscheidungen hatte ich nur dein Wohl im Auge.“
Na, das erklärt wenigstens, warum sie nichts gesagt hat, räumte Joanna ein. Vielleicht hatte Adrienne unter den gegebenen Umständen sogar richtig entschieden.
„Also hast du meine E-Mails gelesen.“ Matt war nicht versöhnlich gestimmt.
Aus Adriennes Blick auf ihre Schwiegertochter sprach etwas von der Wut, die sie unbedingt verbergen wollte.
„Meiner Meinung nach ging es dir nicht gut genug, um dich mit den Problemen deiner Ehefrau zu beschäftigen. Ich hätte dich schon noch informiert, Matt. Dass sie uneingeladen hier auftauchen würde, konnte ich ja nicht ahnen.“
Joanna schnappte nach Luft und erhob sich. „Ich wollte nicht herkommen. Deine Tochter hat mich eingeladen. Sie war auch so freundlich, mich über Matts Krankheit aufzuklären.“
„Als würdest du dich darum scheren“, erwiderte Adrienne verächtlich.
„Das reicht“, schaltete Matt sich ein. „Joanna ist hier und verdient etwas Respekt. Unabhängig davon, ob du ihre Versuche, mich zu erreichen, vereitelt hast. Findest du nicht?“
Seine Mutter wusste, wann der Kampf aussichtslos war. Es musste ihr gehörig gegen den Strich gehen, dass Matt seine Frau verteidigte. Joanna spielte einen Moment lang sogar mit der Idee, beide Arme um seinen Nacken zu schlingen und so zu tun, als wäre sie hergekommen, um sich zu versöhnen.
Doch das wäre dumm gewesen. Ganz zu schweigen davon, dass sie Matt einen völlig falschen Eindruck vermittelt hätte. Sie musste auf Distanz bleiben. Wenn Adrienne bloß nicht so ein unvernünftiges Verlangen nach Rache in ihr wecken würde!
Joanna konnte Matts Einladung zum Dinner nicht abwehren.
„Ich muss mich umziehen“, versuchte sie sich aus der Affäre zu ziehen. „Mein Koffer ist noch in Sophies Auto. Am besten rufe ich mir ein Taxi, checke im Hotel ein und komme morgen wieder. Dann hast du Gelegenheit, meine E-Mails zu lesen. Anschließend können wir weiterreden.“
„Gute Idee“, pflichtete Adrienne ihr eifrig bei, doch Matt hatte davon nichts hören wollen.
„Ich bitte dich ja nicht, hier einzuziehen“, hatte er gesagt. „Bestimmt kannst du ein paar Sachen aus deinem Koffer nehmen. Dann duschst du und ruhst dich aus, bis das Essen fertig ist. Ich weiß, wie erschöpfend Jetlag ist.“
Reuevoll betrachtete Joanna jetzt ihr Spiegelbild. Sie hatte keine schicken Sachen eingepackt. Die schlichte salbeigrüne Seidentunika, die sie eigentlich erst morgen mit schwarzen Leggings auf dem Rückflug tragen wollte, endete ein paar Zentimeter über ihren Knien. Für Leggings war es zu heiß. Ihre Beine kamen ihr unangemessen nackt vor.
Adrienne würde die Tunika missfallen. Vielleicht dachte sie sogar, ihre Schwiegertochter kleide sich absichtlich provokativ. Absurd. Joanna wollte Matt um keinen Preis signalisieren, sie hätte Zweifel wegen der Scheidung.
Und doch, als er ihre Hand gestreichelt hatte …
Sie weigerte sich, den verräterischen Gedanken zu verfolgen. In ihrer Ehe hätte es auch ohne die Beteiligung ihres Vaters Probleme gegeben.
Der Graben zwischen Matt und ihr hatte sich aufgetan, als die Firma ihres Vaters in Schwierigkeiten geriet. Damals waren sie erst ein paar Jahre verheiratet, und Joanna wusste nicht, dass Carlyle Construction schon fast genauso lange Finanzprobleme hatte, wie ihre Ehe dauerte. Noch vor der Krebsdiagnose nahm Angus Carlyle erleichtert NovCos Unterstützung an. Nur so konnte er Insolvenz und Schulden abwenden.
Nach der Übernahme machte er die Wirtschaftskrise für seine prekäre Lage verantwortlich. Matt zufolge steckte Carlyle Construction hingegen schon lange vorher in der Klemme. Aus Dankbarkeit für die Hilfe ihres Mannes hatte Joanna sein Urteil nicht hinterfragt. Für sie zählte nur, dass Angus’ Geldprobleme gelöst waren und seine Firma erhalten blieb.
Bis zu der Katastrophe auf dem Ölfeld in Alaska.
Zwei Männer waren getötet worden und mehrere verletzt, als eine Bohrinsel von NovCo Feuer gefangen hatte. Der Vorfall machte Schlagzeilen auf beiden Seiten des Atlantiks. Fieberhaft versuchte Joanna, ihren Mann zu erreichen. Sie wollte sich vergewissern, dass es ihm gut ging, und erfahren, was genau passiert war. Doch er hatte in New York eine Besprechung nach der anderen mit Behörden und versprach ihr in einem kurzen Telefonat, nach seiner Rückkehr ausführlich mit ihr zu reden.
Sie besuchte ihren Vater im Krankenhaus. Angus sagte – höchst ungern, wie er betonte –, Matt drücke sich um ein Gespräch, weil er die Verantwortung für den Unfall auf Carlyle Construction abwälzen wolle.
Leider verging noch eine Woche bis zu Matts Rückkehr, und am Telefon mochte Joanna nicht über Angus’ Bemerkungen reden. Matt sagte, er liebe sie und sie solle vorläufig mit niemandem über den Unfall sprechen.
Als sie sich endlich wiedersahen, konfrontierte sie ihn sofort mit den Vorwürfen ihres Vaters. Sie war furchtbar aufgeregt. Im Nachhinein sagte sie sich, sie hätte offener für Matts Version der Geschichte sein sollen. Aber ihr Vater lag im Sterben, und sie ertrug es nicht, dass er glaubte, sein Schwiegersohn mache ihn für den Brand verantwortlich.
Matt reagierte bestürzt auf ihre Vorhaltungen. Er offenbarte ihr, Angus betreibe seit Jahren Pfusch. Carlyle Construction habe vor der Übernahme so schlecht dagestanden, weil Angus Geld ausgab, das er nicht besaß. Nun wolle er der Aufklärung des Unfalls zuvorkommen, weil er genau wisse, dass man ihn für schuldig befinden werde. Dabei sei NovCo auf Matts Wunsch hin bereit, die Verantwortung für den Brand zu übernehmen, um Angus’ Ruf zu schützen.
Joanna erzählte ihrem Vater davon. Der brach in Tränen aus – nicht vor Dankbarkeit, sondern weil Matt angeblich auch Joanna belog und Angus’ Namen in der Ölbranche in den Schmutz zog. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis NovCo ihm die Schuld in die Schuhe schiebe.
„Du bist doch meine Tochter“, appellierte er an Joanna.
Sie konnte nicht die Worte eines Mannes anzweifeln, der an Krebs im Endstadium litt. Zumal sie schon immer vermutet hatte, dass ihr Mann NovCo unbedingt schützen wollte.
Bei dem folgenden Streit warf Matt ihr vor, sie habe keine Ahnung, wozu Angus fähig sei. Im Gegenzug beschuldigte sie ihn, ihren Vater zu opfern, um NovCo aus der Sache rauszuhalten. Schließlich verkündete sie, sie wolle Matt nie wieder sehen, und stürmte aus dem gemeinsamen Appartement.
Wochen später erfuhr sie, dass NovCo tatsächlich die Verantwortung übernommen hatte. Es war nur ein kleiner Trost. Angus zufolge wollte Matt damit seine Ehe retten, weil ihm klar geworden war, dass er mit den Anschuldigungen gegen seinen Schwiegervater einen Fehler gemacht hatte. „Frag ihn doch, warum er meine E-Mails gehackt hat“, forderte er sie auf. „Dein Mann wollte Unterlagen fälschen, damit es so aussieht, als würde ich mit unseriösen Lieferanten kooperieren.“
Sie rief Matt an. Der bestritt, sich der Fälschung schuldig gemacht zu haben, räumte jedoch ein, dass er Angus’ finanzielle Transaktionen hatte überprüfen lassen. Statt einen Grund dafür zu nennen, bat er sie, ihren Vater danach zu fragen. Das aber konnte sie nicht tun, weil es Angus immer schlechter ging.
Aus Wochen der Trennung wurden Monate. Angus starb, und in Joannas Augen war es Matt gewesen, der die letzten Wochen seines Lebens ruiniert hatte. David Bellamy erwies sich als Fels in der Brandung. Er half, das Begräbnis zu organisieren, und bot ihr ihren alten Job an. Dankbar hatte sie zugesagt, denn ihr Vater war bei seinem Tod nahezu mittellos gewesen.
Jetzt kehrte sie dem Spiegel den Rücken zu, ging hinüber ins Schlafzimmer und lenkte sich ab, indem sie die geschmackvolle Einrichtung betrachtete. Die Wände waren elfenbeinfarben gestrichen; Läufer und die Tagesdecke aus Satin auf dem Bett hatten denselben Farbton. Exotisch gemusterte Kissen und Vorhänge bildeten bunte Tupfer. An der Wand erinnerten Gemälde indianischer Masken und anderer spiritueller Objekte an das Erbe der Ureinwohner Amerikas.
Das zweistöckige Haus der Novaks befand sich in der Sackgasse einer bewachten Wohnanlage. Es hatte ein rotes Ziegeldach und stand auf einem gut achttausend Quadratmeter großen Grundstück. Schmale Kanäle kreuzten das Gelände, und mit etwas Glück ließ sich die eine oder andere Sehkuh blicken. Die Auffahrt vor dem Haus endete an einem Springbrunnen im spanischen Kolonialstil. Wasser plätscherte über bemooste Steine und schuf einen friedlichen Rückzugsort von der geschäftigen Welt jenseits der Sackgasse.
Ohne die Störung durch Adrienne hätte Joanna gleich gesagt, was sie wollte, und sich dann aus dem Staub gemacht. So war es jedenfalls geplant gewesen. Doch nun wusste sie ja, was Matt noch immer für sie empfand. Vermutlich hätte er ihre Bitte um Scheidung abgelehnt.
Sie brauchte einen Plan B. Aber durch das Dinner mit den Novaks fehlte ihr die Zeit, sich einen zurechtzulegen, und morgen Nachmittag flog sie schon zurück nach London.
Durch die offenen Fenster drang eine warme Brise. Die elfenbeinfarbenen Gardinen bewegten sich sanft. Joanna zog sie zur Seite und ging durch die lange Glastür auf den Balkon.
Es duftete nach Lilien, Fuchsien und Jasmin. Wie immer im Frühsommer war die Luftfeuchtigkeit hoch.
Vielleicht sollte ich Schadensbegrenzung betreiben und einfach verschwinden, schoss es ihr durch den Kopf.
Bevor sie sich entscheiden konnte, klopfte ein Hausmädchen und informierte sie, dass im Erdgeschoss Drinks serviert wurden. Jetzt kommt es drauf an, sagte sich Joanna. Angriff oder Flucht? Nun, sie war kein Feigling, und Adriennes Bemerkungen konnten sie gewiss nicht mehr verletzen.
Sie ging die Marmortreppe hinunter, ohne jemandem zu begegnen. Auch im marmornen Foyer war niemand. Rechts lag das Wohnzimmer, ein gemütlicher Raum mit ledernen Sesseln und Sofas, einer Bar und einem eleganten Flügel neben den Fenstern.
Als sie auf der Schwelle stand, roch sie die Blumen, mit denen der gekachelte Kamin geschmückt war. Doch auch in diesem Zimmer sah sie niemanden.
Genau wie im Foyer schien hier gedämpftes Licht. Da trat eine Gestalt aus dem Schatten neben dem Kamin. Ein großer, schlanker Mann, dessen Anzug und Hemd so dunkelgrau waren, dass sie schwarz erschienen.
Matt.
Mit einem Mal fühlte sich Joannas Mund wie ausgetrocknet an. Das Dinner war doch sicher nicht nur für zwei Personen?
„Jo.“ Matt kam auf sie zu. Seine tiefe Stimme klang so vertraut und gleichzeitig so verstörend, dass sie die Luft anhielt. „Du siehst erholt aus. Konntest du dich ein bisschen ausruhen?“
„Ja“, schwindelte sie und versuchte, den frischen männlichen Duft zu ignorieren, der ihr in die Nase stieg. „Wo ist denn …“ Sie biss sich auf die Lippe. Fast hätte sie deine Mutter gesagt. Sie räusperte sich. „Wo ist denn der Rest deiner Familie?“
„Auf dem Weg hierher.“ Er musterte sie mit seinen dunklen ausdrucksstarken Augen. „Du siehst wunderschön aus.“
„Danke.“ Steif stand sie da und nestelte am tiefen Ausschnitt ihrer Tunika. Beinahe hätte sie den Saum etwas tiefer gezupft. „Seit wann ist Sophie denn schon hier?“, erkundigte sie sich, verzweifelt bemüht, die Unterhaltung nicht persönlich werden zu lassen. „Bleibt sie länger?“
„Solange meine Mutter es mit ihr aushält“, erwiderte er trocken. „Seit der Scheidung verbringt sie viel Zeit hier.“
Joanna nickte. Sophie und deren Ex-Mann hatten sich getrennt, bevor Matts Vater erkrankt war. Ob die Scheidung wohl zu Oliver Novaks Schlaganfall beigetragen hatte?
„Tja, es war nett, sie wiederzusehen“, fuhr sie fort, weil sie die Stille nicht ertrug. Sie beschloss, den Stier bei den Hörnern zu packen: „Hat deine Mutter dir inzwischen meine Mails gezeigt?“
Seine Augen verschatteten sich. „Damit willst du wohl fragen, ob ich jetzt weiß, warum du hier bist.“
Sie zuckte die Schultern. „Ich hätte lieber unter vier Augen mit dir gesprochen. Darum wollte ich ja auch im Hotel bleiben.“
„Kein Grund zur Eile“, meinte er leichthin. „Lass mich dir einen Drink holen. Er könnte dir helfen, dich zu entspannen.“
„Ich bin bereits entspannt.“ Was nicht stimmte. „Warum können wir nicht gleich zur Sache kommen?“
Matt schlenderte zur Bar und hielt fragend eine Flasche Chardonnay hoch. Trotz ihrer Bedenken nickte Joanna. „Du bist immer noch meine Frau“, sagte er, während er den Wein einschenkte. „Deswegen habe ich einige Vorrechte, finde ich.“
Er reichte ihr ein Glas. Sie nahm es vorsichtig, darauf bedacht, nicht seine Finger zu berühren. Nachdem sie genippt hatte, startete sie einen neuen Anlauf. „Du weißt, dass ich nicht herkommen wollte.“
„Das habe ich vermutet.“ Er seufzte. „Meinst du nicht, dass wir uns ein bisschen Zeit nehmen sollten, um über das Thema zu reden?“
„Was gibt es da zu reden?“, fragte sie zurück. „Ich will die Scheidung. Ganz einfach.“
„Wie schade. Ich hatte gehofft, du würdest ein paar Tage bleiben.“
Ungläubig starrte sie ihn an. „Du erwartest doch nicht ernsthaft, dass ich hierbleibe, obwohl …“
„Obwohl was?“
„Obwohl deine Mutter mich offenkundig nicht ausstehen kann.“
„Ist das der einzige Grund, warum du meine Einladung ablehnst?“
„Natürlich nicht. Ich finde es bloß sinnlos, die Sache auf die lange Bank zu schieben.“
Matt schwieg einen Moment. „Weißt du, ich könnte gut auf deine Feindseligkeit verzichten. Die letzten Wochen waren für mich die Hölle.“
„Das glaube ich dir, aber …“
„Aber es interessiert dich nicht“, unterbrach er sie ärgerlich. In der nächsten Sekunde stand er dicht vor ihr, packte ihre bloßen Oberarme und zog sie an sich. „Es ist nicht vorbei, Jo. Nicht einmal annähernd.“
Sie schaffte es gerade noch, nach Luft zu schnappen, da küsste er sie auch schon auf den Mund.
„Matt!“
Ihr Protest klang gedämpft. Fast hätte sie ihren Wein auf den indischen Teppich geschüttet. Sie wollte zurückweichen, doch Matt ließ es nicht zu. Er streifte ihre Lippen mit der Zungenspitze und stöhnte frustriert, weil Joanna nicht auf seine Provokation reagierte.
„Ich will dich noch immer“, sagte er und blickte sie so eindringlich an, dass ihre Knie trotz aller guten Vorsätze weich wurden.
„Hör auf.“ Sie hörte selbst, dass ihre Stimme rau klang, konnte aber nichts dagegen tun. „Dafür bin ich nicht nach Miami geflogen.“
„Ich weiß.“ Abrupt ließ er sie los und wandte sich ab, während sie kurz schwankte und sich vergewisserte, dass sie keinen Wein verschüttet hatte. „Ich glaube nur einfach nicht, dass unsere Ehe vorbei ist“, sagte er.
Joanna holte tief Luft. Sie ärgerte sich, weil sie sich beim Versuch, die Ruhe zu bewahren, auf die Zunge gebissen hatte. „Wir leben seit fast einem Jahr getrennt.“
„Was beweist das schon?“, schnaubte er. „Zugegeben, wir haben auf unterschiedlichen Kontinenten gelebt, aber die Verbindung zwischen uns beiden hing nie von räumlicher Entfernung ab, oder?“
„Matt, bitte! Das führt doch zu nichts.“ Sie tippte mit dem Zeigefinger an ihre Zungenspitze, weil sie Blut schmeckte. Ihr wurde erst bewusst, wie aufreizend diese Geste wirkte, als sie sah, dass Matt auf ihren Finger starrte.
Oh nein!
Schnell ließ sie die Hand sinken. „Trinkst du nichts?“, wechselte sie das Thema.
„Alkohol verträgt sich nicht mit Medikamenten. Also, warum willst du die Scheidung?“
Joanna trank noch einen Schluck Wein. „Diese Unterhaltung ist überflüssig, Matt.“
„Du weißt bestimmt, dass Scheidungen hierzulande schnell über die Bühne gehen.“ Pause. „Vorausgesetzt, beide Ehepartner willigen ein.“
„Ja, ich weiß.“
„Du möchtest, dass ich klein beigebe, richtig?“ Er musterte sie derart unverfroren von Kopf bis Fuß, dass Joanna die Tunika noch kürzer und dünner vorkam, als sie sowieso war. „Ich muss schon sagen, du verschwendest nicht viele Worte.“
Sie seufzte. Wahrscheinlich hatte Adrienne ihm eine der letzten E-Mails gezeigt. Darin hatte Joannas Ungeduld über ihr Taktgefühl gesiegt. „Von klein beigeben habe ich nichts geschrieben. Ich dachte, du ignorierst mich absichtlich.“
„Wie naheliegend“, erwiderte er ironisch. „Aber du bist meine Frau, und wenn es nach mir geht, bleibst du es auch.“
„Du kannst mich nicht dazu zwingen.“ Kaum hatte sie die kindische Bemerkung ausgesprochen, bereute sie ihre Worte.
Joanna wollte noch einen Schluck Wein trinken, stellte jedoch betroffen fest, dass ihr Glas leer war. Obwohl sie nur ein einziges getrunken hatte, ließ sie zu, dass Matt die Oberhand bekam!
Er zögerte. Sie befürchtete schon, er würde sie erneut anfassen, da hob er beide Hände, als würde er sich ergeben, und setzte sich an den Flügel.
Lässig spielte er einen alten Song von George Michael. „Warum hast du nichts von dem Geld abgehoben, das ich auf dein Londoner Konto überwiesen habe?“, wollte er wissen. „Du musst nicht in Bellamys Galerie arbeiten.“
„Ich will aber.“ Sie ertappte sich beim Griff nach der Weinflasche. „Dein Geld brauche ich nicht“, versicherte sie und schenkte sich ein. „Das habe ich dir gesagt, als …“
„Als du aus unserem Appartement gestürmt bist? Stell dir vor, ich erinnere mich, Jo. Deine Worte haben sich in meine Seele eingebrannt.“
Trotz des warmen Abends bekam sie eine Gänsehaut. „Hast du überhaupt eine Seele?“ Sie versuchte, flapsig zu klingen. In der nächsten Sekunde fuhr sie zusammen, denn er schlug den Klavierdeckel zu und stand auf.
„Darauf kannst du dein letztes Hemd verwetten“, schnappte er und ging auf sie zu, bis er direkt vor ihr stand. „Ich bin nicht der Leibhaftige, egal, welche Lügen dein Vater dir aufgetischt hat.“
„Zieh Daddy nicht mit rein.“
„Warum nicht? Soweit es mich betrifft, ist er in dieser Geschichte der Bösewicht.“
„Er ist tot. Du kannst keinen Toten für deine Fehler verantwortlich machen.“
„Meine Fehler?“, fragte Matt wütend. „Da greifst du ja tief in die Klischeekiste. Ständig lenkst du vom eigentlichen Thema ab, weil du Angus’ Taten rechtfertigen willst.“
„Er hat nichts falsch gemacht!“
„Oh, ich weiß, dass du das glaubst. Ich habe die Trauerreden bei seiner Beerdigung gehört. Das wusstest du nicht, oder? Mein Taktgefühl hat mir gesagt, dass du mich nicht sehen wolltest. Aber ich habe dich gesehen. Mit Bellamy.“
„David ist nur ein guter Freund.“
Matt kniff die Augen zusammen. Joanna hatte stets geleugnet, dass der Galeriebesitzer in sie verliebt war. Doch bei Bellamy hatte sie nach dem Tod ihres Vaters Unterstützung gesucht. Er hatte sie wieder eingestellt und ihr vermutlich auch eine Wohnung besorgt.
Sie war aus Matts und ihrem Londoner Appartement ausgezogen. Vielleicht, damit er nicht aufkreuzte und seine Rechte als Ehemann einforderte? Als hätte er auch nur ein einziges Mal gegen ihre Interessen gehandelt!
Jetzt verwandelte sich sein Zorn in Frust. Zu Joannas Entsetzen hob er eine Hand und legte sie ihr auf die Wange. Mit der Daumenkuppe strich er ihr über die Wange, die sich rot färbte, und fuhr dann die Konturen ihrer Lippen nach.
Obwohl er sie nur sanft berührte, fühlte sie eine übermächtige Hitze in sich aufsteigen. Wie von selbst öffnete sie die Lippen und streifte seinen Daumen mit der Zungenspitze. Die Wärme seiner Finger schien in ihren Hals zu strömen und hinunter zu ihren Brüsten, die ihr vor lauter Sehnsucht viel praller als sonst vorkamen.
In ihrer Magengrube kribbelte es. Jeder Muskel ihres Körpers spannte sich erwartungsvoll an. Sie atmete flacher, weil ihr bewusst wurde, wie verletzlich die Nähe dieses Mannes sie machte.
Joanna umklammerte das Glas, das in ihrer feuchten Hand zu rutschen begann. Sie war kurz davor, die Kontrolle zu verlieren.
Matt blickte ihr tief in die Augen. Das Feuer, das von Anfang an zwischen ihnen geschwelt hatte, flammte auf und drohte sie zu verbrennen. Sie wusste nicht, was passiert wäre, wenn eine kalte Stimme den Zauber nicht gebrochen hätte.
„Um Himmels willen, Matt! Was geht hier vor?“
Ihre Schwiegermutter klang schrill und anklagend. Joanna machte sich Vorwürfe, weil sie es so weit hatte kommen lassen. Jetzt unterstellte Adrienne ihr garantiert Hintergedanken.
Matt schien die Ankunft seiner Mutter nicht weiter zu stören. Er wich zwar zurück, sagte aber: „Halt dich da raus, Mutter. Das geht dich nichts an.“
„Matt!“, klagte sie gekränkt.
Offenbar wollte er daraus keine große Sache machen, denn er ließ Joanna jetzt los und fragte Adrienne: „Möchtest du einen Drink?“
Die ältere Frau entschied sich, einzulenken. „Wein, bitte.“ Nach einem kurzen Blick auf das Glas ihrer Schwiegertochter ergänzte sie: „Ich nehme lieber roten.“
Joanna war heilfroh, dass Matt zur Bar ging. Adrienne hatte sich in dem Jahr seit dem letzten Treffen kaum verändert. Bei den dunklen Haaren mochte der Friseur nachhelfen, doch durch ihre zierliche Figur wirkte sie jung. Wenn nur die gehässig zusammengepressten Lippen nicht gewesen wären …
Matt reichte seiner Mutter ein Glas und schenkte Joanna nach, ohne zu fragen. Was soll’s, dachte sie und trank einen großen Schluck. Was sie brauchte, war jetzt Mut, und da konnte Alkohol durchaus hilfreich sein.
Adrienne nippte am Rotwein. „Sophie zufolge übernachtest du im Corcovado. Wie lange bleibst du denn in Miami?“
„Bis morgen.“ Sie spürte Matts Unmut über ihre Antwort.
Ihre Schwiegermutter zwang sich zu einem halbherzigen Lächeln. „Vielleicht hättest du deinen Besuch ankündigen sollen.“
„Warum?“ Joanna hatte es satt, sich zu rechtfertigen. „Damit du Matt auch diese Nachricht hättest vorenthalten können?“
„Wie kannst du es wagen?“, entgegnete Adrienne empört.
„Das ist die Wahrheit, Mutter, und du weißt es“, unterbrach ihr Sohn sie. „Nachdem Jo und ich uns unterhalten haben, sage ich dir, wie lange sie bleibt.“
Er stellte die Flasche Chardonnay zurück und blickte seine Frau warnend an. Die hätte gern widersprochen, spürte aber auch eine gewisse Genugtuung, weil er seiner Mutter Kontra gab.
„Deinen E-Mails entnehme ich, dass du Matt um die Scheidung bitten willst“, sagte Adrienne kalt. „Was gibt es da noch zu besprechen?“
„Hättest du mir die E-Mails nicht verschwiegen, hätte ich Joanna anrufen können“, kam Matt seiner Frau zuvor. Wieder legte er ihr eine Hand auf den Rücken. „Nun werden wir die Gelegenheit zu einer persönlichen Unterhaltung nutzen.“
Joanna rückte ein Stückchen zur Seite, weil die Berührung sie durcheinanderbrachte. Sie gab es ungern zu, doch ihr Schweigen glich einem Zugeständnis, dass Matt bestimmte, wo es langging.
„Dad wäre enttäuscht, wenn wir Jo nicht gastfreundlich aufnehmen würden“, fuhr er nachsichtiger fort.
Weil er denkt, dass er sich durchsetzt, dachte Joanna.
„Er hat sich sehr gefreut, als er hörte, dass sie hier ist“, fügte Matt hinzu.
„Du hast mit deinem Vater gesprochen?“, fragte Adrienne betroffen. Joanna vermutete, dass sie ihren Mann wegen der E-Mails im Dunkeln lassen wollte.
„Natürlich“, antwortete Matt, als Sophie ins Zimmer kam. Er sah Joanna an. „Lass mich dir nachschenken.“
Verdutzt sah sie, dass ihr Glas schon wieder fast leer war. Sie war so nervös, dass sie gar nicht gemerkt hatte, wie sie einen Schluck nach dem anderen trank.
Im Gegensatz zu Matt hatte seine Schwester es nie geschafft, die Mutter um den kleinen Finger zu wickeln. Jetzt ließ Adrienne ihren Verdruss an Sophie aus, warf ihr vor, zu spät zu kommen, und mäkelte an dem schicken orangefarbenen Wickelkleid herum.
Ich hätte die Einladung ablehnen sollen, sagte sich Joanna. Höflichkeit brachte sie nicht weiter. Und was auch immer sie tat: Adrienne würde nie freundlicher zu ihr sein.
Das Tischgespräch im Esszimmer mit Blick auf die beleuchtete Terrasse lief schleppend.
Als Sophie sich nach der Galerie erkundigte, blickten sowohl Matt als auch seine Mutter missbilligend drein.
„Meine Arbeit gefällt mir sehr“, sagte Joanna trotz des warnenden Blickes ihres Mannes. „Ich bin zwar keine Malerin, aber ich habe gelernt, Talent zu erkennen. Wir – der Galeriebesitzer und ich – stellen immer mal wieder Werke unbekannter Maler aus. Du wärst überrascht, wie viele dieser Leute professionelle Künstler werden.“
Sophie nickte. „Ich beneide dich. Vor meiner Hochzeit habe ich ja in der Ölbranche gearbeitet, und es hat mir wirklich Spaß gemacht. Vielleicht sollte ich das nicht ganz aus den Augen verlieren.“
„Ich drücke dir die Daumen.“ Joanna lächelte ihre Schwägerin an. „Mir würde meine Arbeit auch fehlen, das weiß ich genau.“
„In New York gibt es jede Menge Galerien“, sagte Sophie eifrig. „Jetzt, wo du nicht mehr an London gebunden bist, könntest du doch in Amerika arbeiten. Nicht wahr, Matt?“
Er schwieg.
„Wohl kaum“, widersprach Adrienne ungeduldig. „Joanna bleibt nicht in Miami. Sie ist hier, um mit Matt eine … persönliche Angelegenheit zu klären.“
Die Enttäuschung war Sophie deutlich anzumerken. Jetzt begriff sie. Mit offenem Mund drehte sie sich zu ihrem Bruder um. „Darum hat Joanna ein Zimmer im Corcovado reserviert, oder?“, fragte sie scharf. „Sag bloß, du willst dich von ihr scheiden lassen?“
„Ich will mich nicht scheiden lassen“, erwiderte er schroff. „Wobei dich das auch nicht das Geringste anginge, Sophie.“
Mitfühlend sah Joanna ihre Schwägerin an. „Ich will die Scheidung. Das ist ja kein Geheimnis“, sagte sie mit einem trotzigen Blick in Matts Richtung. „Aber danke für deine Unterstützung.“
„Auf jedem Fall sollte über dieses Thema nicht in Hörweite des Personals gesprochen werden“, rügte Adrienne eisig.
„Die Entscheidung liegt wohl kaum bei dir“, widersprach Joanna. „Oder bist du der Überzeugung, du solltest das letzte Wort behalten, weil du die E-Mails an meinen Mann gelesen hast?“
„Hätte ich das letzte Wort, wärst du nicht hier!“, entgegnete Adrienne und schaute ihren Sohn an, als erwartete sie Rückendeckung.
Doch der stand einfach auf, ging zu dem Rollwagen mit den Getränken und goss sich Mineralwasser ein.
„Tja, ich werde euch nicht länger stören“, sagte Joanna. „Entschuldigt mich bitte.“
Obwohl sie kaum etwas gegessen hatte, war ihr übel. Sie hatte den grünen Salat mit Kräutern und Parmesan und die delikaten Meeresfrüchte-Ravioli nicht gebührend genossen, weil sie das Ende dieses quälenden Dinners herbeigesehnt hatte. Ihr Entschluss stand fest: Sie würde ihren Londoner Anwälten alle weiteren Verhandlungen überlassen und so schnell wie möglich nach England zurückfliegen.
Auf ihrem Weg aus dem Esszimmer spürte sie, dass sowohl Sophie als auch Adrienne damit rechneten, Matt würde sie aufhalten. Doch er tat es nicht, schaute ihr nur nach. Erleichtert lief sie durch das Foyer und die Treppe hinauf.
In der Gästesuite angekommen, zitterten ihr die Knie. Gleich würde sie per Handy ein Taxi rufen, das sie zum Hotel brachte. Um die diplomatischen Folgen im Hause Novak konnte sich ihr Noch-Ehemann kümmern, darin war er sehr gut.
Jemand hatte das Bett aufgedeckt. Vielleicht Matt. Er war auch sehr gut darin, ihre Gefühle zu ignorieren.
Sie ging ins Bad. Zu viel Wein, dachte sie und spähte in den Spiegel. Hoffentlich schaffte sie es bis ins Hotel, ohne sich zu übergeben.
Mit geschlossenen Augen stützte sie sich auf das Waschbecken, da hörte sie eine Stimme.
„Bist du in Ordnung?“
Erschrocken riss sie die Augen auf. Matt lehnte am Türrahmen. Er sah leicht besorgt aus. Dieses Gesicht habe ich früher geliebt, dachte sie und schalt sich in der nächsten Sekunde für die Erinnerung. Hatte der Mann, dem dieses Gesicht gehörte, sie und ihren Vater skrupellos betrogen?
Matt hatte inzwischen Jackett und Krawatte abgelegt und die Manschetten seines Hemdes umgeschlagen. Darunter erspähte Joanna starke braune Unterarme mit feinen dunklen Härchen. Trotz ihrer Verärgerung konnte er mit seiner Ausstrahlung etwas tief in ihr erbeben lassen. Was sie auch tat, wie sie auch empfand – ihr Körper reagierte auf seine sexuelle Anziehungskraft.
Das geht gar nicht, rief sie sich zur Ordnung und versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. „Was machst du hier? Ich kann mich nicht erinnern, dich hereingebeten zu haben.“
Als er die breiten Schultern zuckte, bewegten sich die Muskeln unter dem dunklen Seidenhemd. „Hast du auch nicht.“ Er musste zur Seite treten, weil sie an ihm vorbei ins Schlafzimmer ging. „Um deine Gesundheit ist es besser bestellt als um dein Temperament, wie ich sehe.“
Joanna reckte das Kinn vor. „Mach dich nicht über mich lustig.“
„Ich habe mich um dich gesorgt, ob du es nun glaubst oder nicht.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust, um nicht dem Drang nachzugeben, seine Frau zu berühren. „Geht es dir auch wirklich gut? Du warst eben ziemlich blass.“
„Ich dachte nicht, dass es dir auffällt.“
„Es ist mir aber aufgefallen.“
Sie wappnete sich für eine Niederlage. Gegen Matt würde sie nie gewinnen. Trotzdem. Hätte sie geahnt, dass er ihr folgen würde, hätte sie lieber die Tür verriegelt, statt sich einem weiteren Streit zu stellen.
„Warum lässt du mich nicht in Ruhe?“, fragte sie erschöpft, aber entschlossen, die drohenden demütigenden Tränen zurückzudrängen. „Ich habe schon ein Taxi bestellt.“
„Dazu hattest du keine Zeit“, stellte er sachlich fest. „Du bestehst also darauf, in dein Hotel zu fahren?“
„Natürlich. Hier bin ich nicht willkommen.“
„Ich will, dass du bleibst.“
„Ja, ich weiß, was du willst. Aber dies ist das Haus deiner Mutter, und ich bleibe nur noch so lange, bis mich ein Taxi abholt.“
„Es ist das Haus meines Vaters, aber das nur nebenbei. Stornier das Hotelzimmer und bleib hier. Bitte. Wir müssen reden.“
„Wir haben geredet, Matt.“
„Nicht genug.“ Er zog die Brauen zusammen. „Hast du Angst vor mir, Jo?“
„Nein“, schwindelte sie, obwohl sie sehr wohl Angst hatte – vor ihrer eigenen Verletzlichkeit in der Nähe dieses Mannes.
„Und dennoch bestehst du darauf, mich zu verlassen. Zum zweiten Mal.“
Joanna zögerte. „Na gut.“ Sie wusste, dass sie ihre Worte bereuen würde. „Wir reden. Komm morgen zum Hotel, und wir frühstücken zusammen, okay?“
Eine halbe Stunde später schaute sie aus dem Beifahrerfenster der eleganten Mercedes-Limousine. Erstaunlich, wie ruhig die Straßen abends wirkten.
Ich hätte wissen sollen, dass er mich nicht einfach gehen lässt, dachte sie. Sie hatte sich den Protest gespart, als er darauf bestand, sie selbst zum Hotel zu fahren.
„Hoffentlich sehen wir uns bald wieder“, hatte Sophie beim Abschied gesagt. „Bitte gib Matt nicht die Schuld für das Verhalten meiner Mutter. Sie ist lächerlich besitzergreifend, wenn es um ihren einzigen Sohn geht.“
Wie Joanna bereits wusste.
Es dauerte nicht lange, bis sie in Miami Beach ankamen, wo das Corcovado einen traumhaften Blick über das Meer bot. Zu dem Hotel gehörten weitläufige Terrassen mit Palmen, Cafés und Bars und ein Schwimmbecken von olympischen Ausmaßen.
Als Joanna aus dem Wagen stieg, kam ihr die Luftfeuchtigkeit noch höher vor als bei der Landung in Florida. Matt hatte unter dem Vordach am Hoteleingang geparkt.
Mit einem lässigen „Bis morgen“ wollte sie Fakten schaffen und steuerte zügig auf die breiten Türen zu. Doch kaum dass sie hindurchgetreten war, spürte sie auch schon, dass jemand ihr folgte.
Sie blickte über ihre Schulter und war nicht überrascht, Matt zu sehen. „Was willst du denn jetzt noch?“ Sie wurde rot, weil andere Gäste sie hörten. „Ich habe zugesagt, dich morgen früh zu treffen, und ich halte mein Versprechen ein.“
„Dachtest du, ich würde dich nicht zu deinem Zimmer begleiten?“
„Ich brauche keine Begleitung.“ Joanna merkte, dass sie von zwei Frauen an der Rezeption beobachtet wurden.
Wobei die Blicke vor allem auf Matt gerichtet waren.
Ihren Mann.
Kein Wunder. Ohne Jackett, das Hemd wegen der Hitze halb aufgeknöpft, wirkte er in dieser luxuriösen Umgebung viel mehr zu Hause als sie. Er war groß und schlank, mit milchkaffeebrauner Haut, die er seinen Vorfahren verdankte, und beherrschte die Lage.
Sie versuchte, ihn nicht anzusehen, was sich als schwierig erwies. Wie von selbst heftete sich ihr Blick auf das Dreieck nackter Haut mit feinen dunklen Härchen unter dem Hals. Ihr Körper reagierte sofort auf seinen leicht geöffneten Mund, wusste sie doch genau, wie zärtlich und weich, aber auch wie fordernd diese Lippen sein konnten.
Joanna schluckte. Matt stand regungslos da, und sie wollte keine Szene. „In Ordnung“, gab sie nach und kramte in ihrer Tasche nach dem Handy, auf dem sie die Reservierung gespeichert hatte. „Du kannst mich zum Aufzug bringen, aber das ist es dann.“
Schlagartig fiel ihr ein, dass sie noch gar nicht eingecheckt hatte. Am Flughafen von Miami hatte sie die Buchung bestätigen und die Anzahlung überweisen wollen, es jedoch nach dem unverhofften Wiedersehen mit Sophie vergessen.
Was, wenn das Hotel ihr Zimmer anderweitig vergeben hatte?
Verflixt!
„Ich muss noch einchecken“, sagte sie. „An der Rezeption ist eine Schlange. Du musst wirklich nicht länger bleiben.“
„Bist du sicher, dass man hier ein Zimmer für dich reserviert hat?“
„Natürlich bin ich sicher!“ An die Alternative wollte sie nicht einmal denken. „Ich habe das Hotel ja vom Flughafen aus angerufen.“
„Vom Flughafen aus?“, wiederholte er ungläubig.
Sie straffte die Schultern. „Als ich in New York abgeflogen bin, wusste ich nicht, ob du in Miami bist. Ich brauchte einen Platz zum Schlafen und habe mich daran erinnert, dass …“
„Ja?“
„Dass wir mal hier übernachtet haben.“
„Ich fühle mich geschmeichelt, dass du es nicht vergessen hast.“
„Sei nicht sarkastisch.“ Sie seufzte. „Ich wollte dich hierher zum Dinner einladen.“
„Um zu reden, schätze ich.“ Er klang immer noch sarkastisch.
„Ich dachte, das wäre in deinem Sinne.“
„Und Sophie hat deine Meinung geändert?“
„Ja. Sie hat mir von deiner Krankheit erzählt, und … Ich war besorgt.“
„Wie rührend!“ Er lachte spöttisch.
Seine Reaktion ärgerte Joanna. „Ich würde mir um jeden Menschen in so einer Lage Sorgen machen“, erklärte sie und wich dem Blick aus seinen schönen Augen aus. „Nur, weil du mir leidgetan hast …“
Er verzog den Mund. „Ich brauche kein Mitleid. Davon hatte ich bereits mehr als genug.“
Ungeduldig reihte sie sich in die Schlange vor der Rezeption ein. „Warum gehst du nicht einfach? Hier verschwendest du nur deine Zeit.“
„Das sehe ich anders.“
„Na gut“, erwiderte sie genervt und kehrte ihm den Rücken zu. „Aber du wirst warten müssen. Ich habe noch nicht eingecheckt.“
„Ja, das erwähntest du schon“, meinte er nachdenklich und ging.
Joanna redete sich ein, dass sie erleichtert war. Schließlich hatte sie nicht gewollt, dass er ihr über die Schulter guckte, während sie das Anmeldeformular ausfüllte.
Wenig später legte ihr jemand eine Hand auf den Arm. Sie fuhr herum, in der Erwartung, Matt wäre zurückgekehrt. Stattdessen sah sie sich einem gedrungenen glatzköpfigen Mann mit Vollbart gegenüber. Das Namensschild an seinem Jackett wies ihn als George Szudek, Hotelmanager, aus.
Lächelnd begrüßte er sie und führte sie durch die Lobby in sein Büro.
„Mrs. Novak, ich glaube, ich kann Ihnen und Ihrem Ehemann zu Diensten sein.“
Ich hätte es ahnen müssen, als Matt verschwunden ist, dachte Joanna. Denn natürlich wartete er in dem Büro.
Er stand am Fenster und schaute auf den gepflegten Golfplatz, beide Hände in die Hosentaschen geschoben. Das von der Hitze feuchte Seidenhemd betonte seine breiten Schultern.
Entgegen all ihrer Vorsätze spürte Joanna einen Stich in der Herzgegend – wie damals, als Matt mit seinem Vater zum ersten Mal in die Galerie gekommen war.
Dort fand eine Vernissage mit Werken des Nachwuchskünstlers Damon Ford statt. Zahlreiche Gäste gingen mit einem Glas Wein herum und kommentierten die Bilder mehr oder weniger leise.
Und ich habe das alles organisiert, dachte Joanna stolz.
„Gute Arbeit“, lobte David Bellamy, Inhaber der Galerie und ihr Chef. „Damon dürfte sich freuen.“
Sie lächelte. „Er ist begeistert, weil seine Werke auf so viel Interesse stoßen. Natürlich hängt viel davon ab, ob jemand die Bilder kauft, aber eben war der Kunstredakteur der Evening Gazette hier. Und zwar sichtlich beeindruckt.“
Ihr Blick blieb an zwei Männern hängen, die gerade hereinkamen. Beide groß und dunkelhaarig, wobei der Jüngere seinen Begleiter leicht überragte. Eindringlich schaute er sich mit seinen dunklen Augen um – und ertappte Joanna dabei, wie sie ihn anstarrte.
Oh nein! Verlegen schaute sie zur Seite, davon überzeugt, dass sie knallrot anlief. Sie spürte ein unvertrautes Prickeln und legte sich nervös eine Hand auf den Bauch. Der Mann musste doch glauben, dass sie seine Aufmerksamkeit erregen wollte!
Trotzdem gelang es ihr, ruhig zu wirken, als er sich einen Weg durch die Gästeschar bahnte und vor ihr stehen blieb.
„Hallo“, sagte er mit einem leichten Lächeln, das ihr eine köstliche Gänsehaut bescherte. „Wie ich höre, sind Sie die Künstlerin.“
Er hatte einen amerikanischen Akzent. „Nein“, stellte sie rasch klar. „Nein, ich habe nur mitgeholfen, diesen Abend zu organisieren.“
„Genau das meinte ich. Die Ausstellung hat Stil.“
„Finden Sie?“ Joanna konnte nicht umhin, sich geschmeichelt zu fühlen. Dass David ihr gute Arbeit bescheinigte, war eine Sache. Dass ein Gast sie lobte, eine andere.
„Unbedingt.“ Er blickte sich um. „Wie wäre es, wenn Sie mir zeigen, wo ich hier einen Drink bekommen kann?“
Jetzt ist kein guter Zeitpunkt, um mich in der Vergangenheit zu verlieren …
Joanna war drauf und dran, auf dem Absatz kehrtzumachen, als Matt sich zu ihr umdrehte. Sie widerstand dem Impuls – nicht nur aus Trotz, sondern auch, um den Manager nicht in Verlegenheit zu bringen.
Deshalb öffnete George Szudek wenig später eine Suite im achtzehnten Stock und führte das Ehepaar hinein, als würden beide hier übernachten.
„Falls ich noch etwas für Sie tun kann, Mr. Novak, melden Sie sich bitte jederzeit.“ Zu Joannas Unmut sprach er Matt an. Nun reichte er ihm auch noch die Zimmerkarte. „Ich bin sicher, dass Sie sich hier wohlfühlen werden.“
„Das werden wir bestimmt“, versicherte Matt und schob Joanna sanft in die Suite – eine stumme Warnung, keine Diskussion anzufangen. „Vielen Dank, George. Ich werde Ihre Hilfsbereitschaft nicht vergessen.“