Juliette Fortuna - Ingeburg Freigang - E-Book

Juliette Fortuna E-Book

Ingeburg Freigang

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Beschreibung

Der elfjährige Ele aus den Bergen Norditaliens gerät auf einem Ausflug mit seinem älteren Bruder Marco in ein ungewöhnlich schweres Unwetter. Im abgeschiedenen ‚essecatoio’, einem Trockenhäuschen für Kastanien, finden sie Unterschlupf. Hier begegnen sie einer geheimnisvollen Alten, die sie durch ihre Erzählkunst verwirrt und ängstigt, aber auch in Erstaunen versetzt. Schlagartig verändert sich Eles Leben und seltsame Dinge passieren...

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Für meine Töchter

Jana Beate & Manuala

Inhaltsverzeichnis

Kapitel:

1. Der rätselhafte Schatten

2. Land und Leute

3. Glitzern an den Hängen

4. Wackelpudding – ‚budino’

5. ‚Benvenuti’ Marco

6. ‚Miele’ und das Bienenvolk

7. Das große Staunen

8. Gefährliche Begegnung

9. Der Unfall – l’incidente

10. Das Trockenhäuschen – ‚siccatoio’

11. Die Hexen von Triora

12. Das große Geheimnis

13. Juliette

14. Der ‚Hohe Rat’

15. Eine andere Welt

16. Erste Begegnung

17. Das Versprechen

18. Die Berge kochen

19. Neuigkeiten

20. Die Knattertour

21. Der Abschied

22. Pieros Träume

23. Die Busfahrt

24. Der Sandschlucker

25. Chaos

26. Schäfchen gucken

Epilog – Geografisches, Historisches, Hintergründe

Legende – Übersetzung

Quellennachweis

Der rätselhafte Schatten

Emanuele hüpfte von einem Bein auf das andere und rieb sich die schmerzenden Finger.

„Selber schuld!“, lachte Piero. „Hättest du die ‚marroni’ liegen gelassen! Selber schuld, selber schuld!“

„Hör endlich auf mit deinem ‚selber schuld’ du ... ich bin doch nicht blöd oder denkst du ich will wieder Ärger riskieren, wie beim letzten Mal, he?!“

„Ach was Ele, du hast immer nur Angst!“

„Ich habe keine Angst, ich habe keine Lust auf ...“

Piero gab nicht auf, er hänselte immer weiter und gab keine Ruhe. Doch plötzlich wurde er stiller und flüsterte nur noch: „Wir dürfen uns nur nicht erwischen lassen.“ Auffallend starrte er horchend in die Leere, drückte den steif erhobenen Zeigefinger auf seine spitzen Lippen und verharrte in äußerster Anspannung.

„Ich will …“, wollte Emanuele gerade erwidern, doch da bemerkte auch er den dunklen Schatten hinter dem hängenden Bettlaken. Misstrauisch blickten beide auf das Wäschestück. Der Schatten rührte sich nicht vom Fleck. Wer war das? Was sollte das? Wurden sie etwa belauscht? Hmmm, na das wäre eine schöne Bescherung, dachte Ele.

Auch Pieros Lippen nahmen wieder normale Formen an. Dem sonst so abenteuerlustigen Piero war es nun doch etwas unheimlich! Schweigend beobachteten sie die schwarze Gestalt. Der Körper bewegte sich nicht, aber die Umrisse eines Menschen waren ohne Zweifel erkennbar. Mucksmäuschenstill standen sie wie angewurzelt vor dem Betttuch. Endlich, die mysteriöse Gestalt bewegte sich etwas zur Seite und das Abbild eines langen Zopfes wurde sichtbar.

„Ahhhhh, das könnte ... ich glaube, ich weiß, wer das ist.“

Doch plötzlich fuhr ein heftiger Windstoß in die volle Breitseite des Lakens und die Schattengestalt verschwand in dem flatternden Tuch. Der Stoff wickelte sich um den stöhnenden Körper und das Strampeln und Kreischen sah ganz nach einem Mädchen aus. Kein Junge würde jemals so ein Gezeter veranstalten, darin waren sie sich einig!

„Was zappelt denn hier so wild? Was haben wir denn da im Netz? Woll’n doch mal sehen – und den großen Octopus befreien!“, jubilierte Piero. „Komm Ele, pack das Monster, greif es dir und dann ab mit dem Riesenkraken in die Wassertonne da drüben. Los Ele, avantiiiii!“

„Auu, verflixt, meine Hand, auuu!“

„Mammamia ... Ele, du jammerst doch mehr als dieses Krakentier hier in der Gefangenschaft!“

„Ach du, du hast ja keine Ahnung, wie weh das tut“, seufzte Ele, „und dieser Wildfang hier, dieses Biest ... tritt und strampelt wie verrückt. Lass uns tauschen Piero, los, schnapp die Tentakel!“

Sein Freund Piero war ganz in seinem Element und krakeelte schon wieder: „Das ist ein Prachtfund, ein Exemplar der Sonderklasse, fantastico. Na klar, es will schwimmen das kleine Monstertier!“

„Langsam Piero, auii ... hmm, Trockendeck ... ist nichts für gestrandete Meerestiere“, hechelte Ele. Es war ein strapaziöser Kampf mit der rätselhaften Person, doch beide waren in Höchstform!

„Gleich gibt’s eine Attraktion, ein Fest: daas Wassertonnenkrakenkracherfest! ‚Attenzione’, fertigmachen zum Wechseln! Und dann hinein mit dem Getier, avanti’, uno, due, tre …“ prustete Piero fast atemlos. Doch gerade, als der Wechsel stattfinden sollte, flog die Tür des ‚casella’, eines winzig kleinen Steinhäuschens auf und kreischend stürzte Clelia auf sie zu. „Wollt ihr wohl, ihr Lausbuben, ihr lumpiges Lumpengesindel ihr …! Ich mach euch Beine, na wartet!“

Ele und Piero ließen vor Schreck ihren Fang fallen. Wie ein Kartoffelsack plumpste der auf Clelias Radicchiobeet!

„Ich kenne euch, alle beide, wartet nur ... ihr fagabuti ... ihr entkommt mir nicht! So eine Schweinebande.

Ich kriege euch, iiiihr!“

Emanuele und Piero rannten, was die Beine hergaben und erst, als sie sich sicher waren, dass Clelia sie nicht mehr sehen konnte, ließen sie sich unter einen alten Olivenbaum fallen. Die Luft war knapp, sie atmeten beide schwer und brauchten eine ganze Weile, bis sie sich von dem Schreck erholt hatten.

„Puuuh, Glück gehabt Piero, hätte dumm ausgehen können!“

„Für wen, für den Kraken oder was meinst du? Der, oder besser gesagt ‚sie’, hat doch Glück gehabt!“

„Wir aber auch“, keuchte Ele, „wir hätten fast mit der Bohnenstange Bekanntschaft gemacht. Glaub mir, Clelia hätte die uns mächtig um die Ohren sausen lassen! Das hätte gesessen!“

„Aber nur bei dir Ele, ich hätte sie ausgetrickst, mein Boxtraining hätte mich gerettet. Die hätte mich nicht erwischt!“ Er sprang auf, trippelte auf dem bräunlich grünen Rasen herum, kickte drei kurze Boxschläge in die Luft und ließ sich der Länge nach unter den Olivenbaum fallen.

„Wieso bist du dir immer so sicher Piero? Ich wette ...“

„Ach, komm Ele, hör auf und sage mir lieber, wer das Krakenmonster war.“ Piero kniff die Augen zusammen und wartete auf eine Antwort.

„Hmmm ... weiß nicht, aber es könnte Fulvia gewesen sein, die komische Nichte vom bärtigen Ziegenbauern“, meinte Ele mit zweifelnder Gebärde. „Obwohl sie sonst nur in den Ferien hier hoch kommt ... in ihren komischen Röcken ... hi und ich habe sie noch nie reden gehört, die ist wirklich komisch ... echt zickig!“

„Na ja, als eine Verwandte vom Ziegenbart, was soll einem da schon einfallen? Der ist doch selbst so ein komischer Kauz, spricht mit niemandem, außer natürlich mit seinen Ziegen, mmääck ... mmää...“

Ele schmunzelte über Pieros Gesichtsakrobatik. Er kannte keinen, der so verrückte Grimassen schneiden konnte und dazu die kuriosesten Töne hervorbrachte. Das war echt unglaublich!

Lachend fügte Piero hinzu: „Der kann vielleicht nur Ziegisch!“, und blitzschnell rollte er sich um die eigene Achse!

„Was, wenn sie uns schon länger beobachtet und unseren Plan mitbekommen hat?“, fragte Ele nachdenklich.

„Nein, dann hätten wir sie doch schon längst entdeckt“, antwortete Piero. „Und wo, bitteschön, sollte sie sich versteckt haben, im casella? Da war Clelia und das Wohnhaus ist viel zu weit weg, um ein Gespräch zu belauschen. Weit und breit war nichts zu sehen, no, no! Das Bettlaken war die einzige Möglichkeit. Mir ist allerdings ein Rätsel, wann und wie sie sich heranschleichen konnte und wieso wir nichts bemerkt haben.“

„Hm, das frag ich mich gerade auch. Sie ist vielleicht ein Geist, huuuuuuu,“ fügte er zähneklappernd hinzu.

„Aber wahrscheinlich hast du recht Piero, sie hat nichts mitbekommen.“ Was Ele beruhigte.

Er blickte auf seine Armbanduhr und erschrak. „Oh, ist das schon spät, Hilfe! Weißt du was Piero, ich muss schnellstens nach Hause. Mein Bruder kommt heute aus dem Piemont und ich darf seine Ankunft nicht verpassen. Ich freue mich schon die ganze Woche auf ihn. Also, lass uns verschwinden!“

„Gut Ele, wann treffen wir uns wieder?“, wollte sein Freund wissen.

„Marco bleibt nur für ein paar Tage hier und ich melde mich, sobald er wieder abgereist ist. Mit unseren Klopfzeichen ... dreimal durch die Röhre ... du weißt schon. Wie immer!“

Mit großen Sprüngen eilte Ele zur Lichtung und verschwand schließlich hinter den alten Korkeichen. Piero schlenderte langsam durch den Olivenhain. Er hielt plötzlich inne. Unterhalb des Hanges entdeckte er den Ziegenhirten mit seiner Herde. Der hockte auf einem Baumstumpf, nahe seiner Brigascaziegen, aber von seinem Feriengast war weit und breit nichts zu sehen.

Sollte es doch nicht diese Fulvia gewesen sein? Er überlegte nicht lange und preschte den holprigen Eselspfad ins Tal hinunter.

Land und Tradition

Der Mittagswind trieb den Geruch des Herbstes durch das Tal. Die aromatische Mischung von typischen Düften ließ sich von ihm tragen. Die Mittagshitze heftete sich immer noch an die steilen Hänge, die erst gegen Abend von Kühle überdeckt wurden. Gut, dass die vielen Bäume Schatten spendeten und der Wind sein Spielchen mit den Blättern trieb, die ab und zu einen Lufthauch in die erhitzten Gesichter fächerte. Dies machte die heißen Tage etwas erträglicher.

Ele dachte an Marco und seine Gedanken waren im Norden Italiens, im ‚Piemont’ - da wo sein Bruder schon seit sieben Jahren arbeitete. Die große Erntezeit war in den flachen Ebenen schon vorbei. Von da aus konnte Marco die Berge sehen. Nördlich - die hohen Riesen der Schweizer Alpen und südwestlich - die Seealpen.

Piemont nannte man deshalb auch: „Am Fuße der Berge.“ Ausgebreitet lag der fruchtbare Boden zwischen großen Ortschaften, stattliche Bauerngehöfte säumten die ausgedehnte Weite. Immer wieder wechselten sich beckenförmige Wasserflächen mit bestelltem Ackerland ab. Erddämme hielten das Wasser in den Feldbecken zurück, in denen Reis wuchs. Ein Großteil der Anbauflächen war mit Flachs bestellt. Dieser wurde zu Seilen für die Bootsindustrie oder Stricke für die Landwirtschaft verarbeitet.

Aber ganz besonders brauchte ihn die Kleidungsindustrie. Deren Produkte wurden von den nahe gelegenen Häfen des Mittelmeeres – Genua, Andorra und Imperia - auf Handelsschiffe verladen und eroberten die Welt. Die feinen Stoffe und eleganten Kleider waren weltweit begehrt und verhalfen dem Norden Italiens zu internationalem Ansehen.

Emanuele kannte viele Geschichten über diese Schiffsreisen – von fremden Ländern und auch über die Arbeiten in den Fabriken aus dieser Region. Das fand er alles interessant.

Er freute sich riesig auf Marco, der endlich wieder einmal für einige Tage nach Hause kam. Wenn er nur schon da wäre, dachte Ele.

Hier oben, an den Steilhängen des Argentinatales, wo sie gemeinsam ihr Zuhause hatten, war vieles anders, als in der Poebene. Die schmalen Terrassenfelder ließen keine großen Anbauflächen zu. Auch durch die kühleren Temperaturen begannen die Haupternten erst viele Wochen später. Ende September bis Ende Dezember wurden die Kastanien geerntet.

Früher, viele jahrhundertelang, dienten sie als Lebensgrundlage der Bergbevölkerung. Sie lieferten das Mehl zur Herstellung von Backwaren und Pasta oder sie wurden im Ganzen gekocht und in deftigen Braten mitgegart. Aber ganz besonders schmeckten sie geröstet. Um sie als Lebensmittel verwenden zu können, mussten sie einem besonderen Prozess unterzogen werden.

Dazu legte man sie kurz nach der Ernte in Wasserbehälter, um die Schlechten von den Guten zu trennen, denn sie waren oft von Schädlingen befallen – von den Kastanienwicklern und vor allem von den Kastanienrüsselkäfern, mit ihren nadelförmigen Rüsseln, deren Larven sich in die jungen marroni bohren. Diese Löcher waren der Grund, dass sie dann im Wasser liegend, bald an die Oberfläche auftauchten. So konnten gesunde von befallenen Früchten getrennt werden.

Die einen wurden als Tierfutter verwendet und die anderen in gut belüfteten Räumen getrocknet und danach gelagert. Dafür gab es ganz in der Nähe des Wohnhauses extra ein Trockenhäuschen. Ein essiccatore oder hier im Argentinatal, oft noch im Dialekt – essicatoio – genannt. Dies war wegen der kurzen Wege bequem, da das erforderliche Feuer für die Trocknung unter den Kastanien ständig kontrolliert werden musste.

Aber die meisten seccatoio wurden direkt neben den Kastanienwäldern erbaut, um die Transportwege für Brennholz und Rohkastanien zu umgehen. Ganz wichtig waren auch die Baumstämme der Kastanien. Die Bäume wurden extra ganz dicht nebeneinander angepflanzt, damit sich das Astwerk nicht ausbreiten konnte.

Dadurch entstand ein Hochwald, der lange und gerade Stämme wachsen ließ. Sie wurden zu Brettern und Balken verarbeitet und waren wichtig für den Bau und Ausbau von Häusern und vielen anderen Dingen.

Aber auch als Heizmaterial waren sie unentbehrlich. Denn im Spätherbst konnte es abends schon recht kühl werden. Dann flackerten und tanzten die Flammen in den offenen Kaminen und es wurde wohlig warm in den unverputzten Steinhäusern, den rustici.

Ele erinnerte sich gern an diese gemütlichen Abende. Die Familie saß in der geräumig, duftenden Küche - in der cucina - und er beschäftigte sich mit seinen Lieblingsspielsachen. Viele hatte er davon! Seine alte Holzeisenbahn liebte er ganz besonders aber auch all die geschnitzten Tiere. Er besaß Häuser und Kirchen, einen Marktstand und Boote.

Den alten Fischkutter hatte er sogar selbst angestrichen. Türkis und dunkelbraun. Es gab kleine Kapellen und eine Riesenmenge an Bauklötzen. Ihm fiel gerade ein, dass er schon seit Ewigkeiten nicht mehr die alte Holzkiste mit den Bausteinen geöffnet hatte.

Hmm, wo ist die eigentlich, schoss es ihm durch den Kopf. Eigentlich könnte ich ... ach was, was soll ich mit dem Kinderkram!

An den hohen Kran, einen Minibagger und sogar an die Ape, ein honigfarbenes dreirädriges Auto, genau so eines wie sein Nonno besaß, erinnerte er sich sehr gern! Auch daran, dass er am liebsten lange, breite Straßen baute. Die vielen Marktstände begeisterten ihn stets immer wieder. Er dachte auch daran, wie er zu Hause heimlich aus dem Gemüsevorrat für seinen Markt stibitzt hatte.

Mit dem Taschenmesser, was er von Piero gegen ein Ferrari Rennauto eingetauscht hatte, schnitt er dann minikleine Gemüsehäppchen heraus und bot sie zum Kauf an – was nicht immer auf Begeisterung stieß.

„Lebensmittel sind nicht zum Spielen da, Ele!“, hörte er die Mutter oft schimpfen!

Doch Großmutter sammelte seine nicht verkauften Produkte später ein. Sie landeten in ihrem Kochtopf oder bei den Hühnern, die sich mit lautem Gegacker darüber hermachten. Es wurde nie langweilig, und wenn Großmutter Zeit hatte, las sie ihm Geschichten vor. Sie spielten Karten oder Brettspiele miteinander und unterhielten sich nebenbei über viele Dinge.

Aus früheren Zeiten berichtete der Großvater gerne. Er hatte immer interessante Geschichten auf Lager. Diese, betonte er ausdrücklich, entsprächen alle der Wahrheit – was aber doch nicht selten angezweifelt wurde. Nonna rollte dann mit ihren großen, braunen Augen und begann zu kichern. Großvater war das immer sehr peinlich und räuspernd fand seine Geschichte danach ein jähes Ende! Nervös hämmerte er mit den Fingerknöcheln gegen die Tischkante und wischte sich verlegen übers Gesicht. Seine Miene verriet gekränkten Stolz und schwupp, verschwand er unter leisem Brabbeln in seiner geliebten Werkstatt.

Dort saß er eine Weile geknickt auf einem der Holzklötze. Kurz danach aber stand er schon wieder räkelnd vor der alten Hobelbank und begann sich zu beschäftigten.

Meist nahm er eines der Schnitzmesser zur Hand und werkelte vertieft an einem der Holzstücke herum. Er war ein Meister im Schnitzen. Auch Drechseln konnte er und im Körbeflechten war er ein großer Könner. Viele Stunden verbrachte der Großvater im Jahr damit. Diese Handwerkskünste verlangten viel Geschick und Ausdauer, bevor sie fertiggestellt waren.

Aufwendig waren zum Beispiel auch die beliebten Körbe. Schon wegen der langen Vorbereitungszeit, da sie aus dünn gespaltetem Kastanienholz gefertigt wurden.

Das dauerte Tage, bis diese schmalen Streifchen zur Weiterverarbeitung bereitlagen. Erst jetzt begann die eigentliche Arbeit am Korb. Wenn er dann endlich fertig war, bekam er einen langen, beweglichen Henkel aus Jute, und wenn einer ganz besonders gelingen sollte, einen Gurt aus Ziegenleder. Das war dann ein richtiges Schmuckstück. Mit den Körben konnten nützliche Dinge transportiert werden, wie Obst, Gemüse, Kastanien und sogar kleine Flusssteinchen.

Das Praktische aber war, dass die Hände frei blieben, weil der Korb schräg über den Schultern hing und für Bewegungsfreiheit sorgte. Das machte diese Korbart so begehrt und unentbehrlich.

Sogar Kater Mio fühlte sich in den Körben wohl. Eingerollt schlummerte er vor sich hin. Großvater blieb nach solch kleinen Zwischenfällen nie lange in der Werkstatt. Bald darauf stand er wieder in der Tür der cucina. Er hielt aus seiner reichhaltigen Sammlung für Nonna oder Ele ein Geschenk in der Hand, worauf seine kleinen „Übertreibungen“ schnell in Vergessenheit gerieten. Das war seine Art sich zu entschuldigen. Alle wussten das und liebten den bärtigen Nonno sehr!

Glitzern an den Hängen

Nach der Kastanienernte begannen die Vorbereitungen auf die Oliven. Sie waren der Stolz und Reichtum der Bewohner. Diese kleinen Steinfrüchte wurden auf eine ganz besondere Art und Weise geerntet. Mit langen Kastanienstangen schlugen die Olivenbauern und ihre Erntehelfer die reifen Früchte von den Bäumen, die dann in weit ausgebreitete Netze purzelten.

Mühevoll war die Arbeit und aufwendig ihre Pflege, die bis heute immer noch anstrengend geblieben ist.

Diese Bäume sind den Kamelen ähnlich, ja es klingt spaßig, aber sie haben eine verblüffende Besonderheit. Sie bohren sich mit ihren Wurzeln in den kargen Boden, um das Wasser zu speichern und können sich in der größten Sommerhitze dadurch versorgen. Deshalb ist dieses Öl eines der besten Öle weltweit. Es ist aromatisch und hat alle guten Substanzen, die der menschliche Körper braucht.

In anderen Ländern, zum Beispiel in Griechenland, werden heute zum Teil Olivenbäume kultiviert, das heißt, sie werden bewässert. Dadurch verlieren sie die natürliche Gabe der Wasserspeicherung und die Oliven verlieren an Geschmack und Qualität. Sie sind dadurch von Menschhand abhängig und verbrauchen Mengen an Wasserreserven, die für Trinkwasser vielerorts dringend gebraucht würden!

Schlimm wurde es, wenn Frost in die Früchte kam. Das war für alle die bitterste Enttäuschung! In früheren Zeiten bedeutete das für die Menschen große Armut. Viele Familien erlitten dadurch Hunger und gerieten in Not!

Deshalb bangten alle Ölbauern um eine gute Ernte und freuten sich an den goldenen Kirschen, wie sie ihre kleinen Steinfrüchte nannten.

Dieses Öl war unverzichtbar für die Zubereitung vieler Speisen. Frische Salate und die wunderbaren Gemüsesorten erhielten damit einen unverwechselbaren Geschmack. Brote und Focaccia, die ähnlich wie eine Pizza zubereitet wurde, brauchten dieses Öl. Süßspeisen wurden zu wahren Gaumenfreuden und hier entstand auch das weltbekannte pesto, was mit dem Öl, den Pinienkernen, parmiggiano und den frischen Blättern des Basilikums, zu Pastagerichten gereicht wurde.

Sogar schmerzende Glieder wurden mit dem Öl eingerieben und fanden bald danach Linderung. Aus den Blättern bereitete man Tees zu, die gegen viele Beschwerden halfen. Auch Seifen wurden hergestellt. In vielen anderen Bereichen war und ist es nicht wegzudenken!

Diese Bäume konnten sehr, sehr alt werden – weit über hundert Jahre. Der älteste Olivenbaum Liguriens war über 800 Jahre alt geworden und stand auf dem Capo Nero, dem Schwarzen Kap, kurz vor San Remo. Eine Legende erzählt, er sei, bevor der Leuchtturm errichtet wurde, schon so groß gewesen, dass er den Seefahrern als Orientierung diente, um sicher in den Hafen einzulaufen.

Diese wunderschönen Olivenbäume flimmerten in ihrem mattgrünen Silberkleid auf schmalen Terrassen, die sich stufenförmig und steil die Hänge hinauf staffelten. Durch kunstvolle Trockenmauern abgetrennt und abgestützt, umspannt mit zarten Fangnetzen, die wie Schleier um die knorrigen Stämme und zwischen den Astgabeln befestigt wurden und bis zur Erntezeit die Bäume umschlangen. Dann endlich wurden die Netze herunter genommen und weit auf den Boden ausgebreitet und die kleinen Früchte purzelten in ihre Fänge.

Es gibt noch eine bemerkenswerte Besonderheit!

Wie ein Chamäleon können diese Bäume ihre Farbe wechseln. Bei bestimmtem Lichteinfall von schneehell über sämtliche Grünschattierungen bis zu einem Blau, sogar nachtschwarz können sie gegen den strahlenden Himmel erscheinen. Diese Verwandlungskünstler zaubern im Licht der Sonne und zu unterschiedlichen Tageszeiten faszinierende Farbspiele.

Die Bewohner dieser Gegend sind stolz auf ihre Ölbäume. Deshalb wurde auch die Straße, die sich längs des Tales an dem Wildbach der Argentina entlang schlängelt „Strada dell’Olio“ – Straße des Öls – benannt.

In vielen Orten links und rechts des Tals, bis zu den Füßen des höchsten Berges Liguriens, dem Monte Saccarallo und dem kleinen Örtchen Verdeggia, wo keine Straße mehr weiterführt und man nur zu Fuß und früher mit Eseln über die mächtigen Berggipfel gehen konnte, stehen diese Ölbäume.

Auch in die andere Richtung, bis zum Meer nach Arma di Taggia, wo sich der Fluss nach 39 Kilometern in das Mittelmeer verliert, gab es Ölbäume und Ölmühlen.

Der Ort Molini di Triora verdankte seinen Namen einst 23 dieser Ölmühlen, die durch Wasserkraft des Flusses die kleinen Steinfrüchte zu flüssigem Gold mahlten.

Hier in dieser schönen Gegend war das Zuhause von Emanuele, den alle nur Ele nannten. Schon mehrere Generationen der Familie lebten hier. Er kannte die Lebensgewohnheiten aus früheren Zeiten. Aus Erzählungen wusste er, dass es oft beschwerlich war und viele Einschränkungen das Leben hier oben bestimmten. In vielen Situationen ist es auch immer noch so. Aber er war glücklich in seinen Bergen und mit ihren Geheimnissen.

Wackelpudding – ‚il budino’

Kurz vor seinem Haus kam Ele ein wunderbarer Duft entgegen. Er wusste, dass Mamma schon seit Tagen in der Küche Vorbereitungen traf. Sie wollte Marco all seine Lieblingsspeisen auf den Tisch bringen und heute roch es herrlich nach ‚torta verde’.

Die Tür ging auf und die Mutter rief ihm schon entgegen: „Emanuele, endlich, wo warst du denn so lange? Schnell schau nach, ob die Hühner noch zwei, drei Eier für Marco gelegt haben.“

Ohne ein Wort drehte sich Ele auf dem Absatz um und ging schnurstracks in den Hühnerstall. Ein Ei lag gleich am Eingang, fast wäre er drauf getreten!

Dann suchte er alle Verstecke der Hennen ab, aber sie schienen wohl nichts zum Empfang für Marco beitragen zu wollen. „He, ihr faulen Flatterfrauen, wo habt ihr eure Ware versteckt? Heraus mit der Sprache, wo sind die weißen Kullermänner?“

„Doookokokoook!“ Ein Gegacker ohne Ende schreckte Ele aus seinem Dialog! Das Huhn war sichtlich erschrocken, mindestens so sehr wie Ele auch, der es trotz dessen Flatterkünste mit einer Hand packte und festhielt.

Er blickte ihm starr in die Augen und sprach: „He, Berta-Luise, ich will jetzt ein Ei, genauer gesagt‚ zwei! Aber ein bisschen fix! Verstanden? Ich lass dich jetzt los und zähle bis ‚sette’ und dann will ich etwas sehen, hast du verstanden? Strenge dich bitteschön an!“

Er ließ Berta-Luise los und diese flüchtete wie vom Fuchs verfolgt in Richtung alter Weinfässer, hüpfte und gackerte höchst aufgeregt – und, Ele konnte es nicht fassen, sie legte tatsächlich ein Ei! Gleich neben den ausgedienten Stiefeln von Papa Luigi flatterte und tänzelte sie docksend ins Freie!

Ele hob das warme Ei auf und rief: „Danke Frau Berta-Luise huiiiiaei, grazie für die Eilsendung!“

Er verließ auf dem gleichen Weg wie Berta – Luise den Stall und stolperte fast über ein Nest, in dem nochmals zwei Eier lagen. Er verstaute seinen Fund in den abgewetzten Filzhut des Großvaters und lief schnell zurück ins Haus. Die Mutter nahm 3 Eier und schlug sie eilig in die sprudelnde Suppe.

Hmmm, wie es hier duftete! Ele entdeckte auch schon die Nachspeise. ‚Fantastico, budino al rosto’ und ‚biscotti a mandele’, Mandelplätzchen. Wie gut, dass es nicht nur Marcos Lieblings – ‚dolce’ war, so kam er wenigstens auch auf seine Kosten! Leichten Schrittes schwebte er zu den budini und lüftete das darüber liegende Küchentuch.

„Ohhh, Maam-ma, was bist du für eine Köchin! Eine wahre Göttin der Genüsse!“

„Ele, ich warne dich, leg das Tuch zurück und bemühe dich nicht mit deinen Schmeicheleien. Es nützt dir nichts, ob ich eine gute oder schlechte Köchin bin ...“

„Oh Maam-ma, bei einer schlechten Köchin würde ich doch nicht solch ein Kompliment verteilen. Ich möchte nur schauen ... wirklich ... na ja, wenn ich nur mal kurz lecken ...“