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Die neue Dirty-Office-Romance von Vi Keeland jetzt exklusiv im E-Book!
Annalise liebt ihren Job als Creative Director bei einer erfolgreichen Werbeagentur in San Francisco. Als diese aber mit einem Konkurrenten fusioniert, findet sie sich plötzlich in einem erbitterten Wettstreit wieder. Die neue Agentur braucht nur einen Creative Director. Und Annalise hat drei Monate, um sich gegen Bennett Fox durchzusetzen. Bennett Fox, der irritierend attraktiv ist und mit allen Mitteln um die Stelle kämpft ...
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Seitenzahl: 467
Buch
Annalise liebt ihren Job als Creative Director bei einer erfolgreichen Werbeagentur in San Francisco. Als diese aber mit einem Konkurrenten fusioniert, findet sie sich plötzlich in einem erbitterten Wettstreit wieder. Die neue Agentur braucht nur einen Creative Director. Und Annalise hat drei Monate, um sich gegen Bennett Fox durchzusetzen. Bennett Fox, der irritierend attraktiv ist und mit allen Mitteln um die Stelle kämpft …
Weitere Informationen zu Vi Keeland
sowie zu lieferbaren Titeln der Autorin
finden Sie am Ende des Buches.
Vi Keeland
Just Business
Roman
Übersetzt von
Babette Schröder
Die amerikanische Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel »We Shouldn’t«.
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Deutsche Erstveröffentlichung Mai 2022
Copyright © der Originalausgabe by Vi Keeland
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2022
by Wilhelm Goldmann Verlag, München,
Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München
Umschlagmotiv: FinePic®, München
Redaktion: Antje Steinhäuser
MR · Herstellung: ik
Satz: KCFG – Medienagentur, Neuss
ISBN: 978-3-641-29716-9V001
www.goldmann-verlag.de
Der Grat zwischen Liebe und Hass mag schmal sein …
… aber es kann so viel Spaß machen, auf ihm zu wandeln.
Bennett
»Was zum Teufel macht sie da?«
Als die Ampel auf Grün schaltete, joggte ich auf der Stelle, anstatt die Straße zu überqueren. Die Szene, die sich auf der anderen Straßenseite abspielte, war einfach zu unterhaltsam. Mein Auto war vor dem Büro geparkt, und eine Blondine mit einer üppigen Mähne und umwerfenden Beinen lehnte über der Windschutzscheibe – ihr Haar hatte sich offenbar irgendwie in einem meiner Scheibenwischerblätter verfangen.
Aber warum? Ich hatte keine Ahnung. Aber sie schien ziemlich genervt zu sein, und es war ein lustiger Anblick, also hielt ich Abstand und wartete neugierig, wie sich das Ganze entwickelte.
Es war ein typisch windiger Tag in der Bay Area von San Francisco, und eine Bö wehte ihr langes Haar in alle Richtungen, während sie weiter mit meinem Scheibenwischer kämpfte. Das schien sie nur noch mehr zu verärgern. Frustriert zog sie an ihren Haaren, aber die Strähne, die sich um den Scheibenwischer gewickelt hatte, war zu dick und ließ sich dadurch nicht einfach lösen. Anstatt sie behutsam zu befreien, zog sie immer fester daran, wobei sie sich nun aufrichtete, während sie mit beiden Händen an ihrem Haar zerrte.
Das funktionierte. Ihr Haar war frei. Leider hing jedoch mein Scheibenwischerblatt nun an der Strähne und baumelte in der Luft. Sie grummelte etwas vor sich hin, vermutlich eine Reihe Flüche, und unternahm dann einen letzten vergeblichen Versuch, das Wirrwarr zu lösen. Die Leute, die die Straße überquert hatten, als ich es eigentlich auch hätte tun sollen, kamen nun in ihre Nähe, und Blondie schien plötzlich zu bemerken, dass sie jemand beobachten könnte.
Anstatt mich darüber zu ärgern, dass diese Verrückte meinen eine Woche alten Audi beschädigt hatte, musste ich lachen, als sie sich umschaute, dann ihren Regenmantel öffnete und den herunterhängenden Scheibenwischer hineinsteckte. Sie strich sich die Haare glatt, zog den Gürtel fest und wandte sich zum Gehen, als wäre nichts gewesen.
Ich dachte, das sei das Ende der Vorstellung, doch anscheinend überlegte sie noch mal, was sie getan hatte. Zumindest schien es so. Sie drehte sich um und kehrte zu meinem Auto zurück. Dann kramte sie in ihrer Tasche nach etwas und steckte es unter den verbliebenen Scheibenwischer, bevor sie davoneilte.
Als die Ampel wieder auf Grün sprang, überquerte ich die Straße und joggte zu meinem Auto, denn ich war neugierig, was auf ihrem Zettel stand. Sie musste schon eine Weile dort gewesen sein und ihn vorher geschrieben haben, denn solange ich sie beobachtet hatte, hatte sie keinen Stift gezückt.
Ich hob den verbliebenen Scheibenwischer an, holte den Zettel hervor und drehte ihn um, nur um festzustellen, dass mir die Blondine keine Entschuldigung geschrieben, sondern mir einen verdammten alten Strafzettel hinterlassen hatte.
Was für ein Morgen. Mein Auto mutwillig beschädigt, im Fitnessstudio neben dem Büro gab es kein heißes Wasser, und jetzt war auch noch erneut einer der Aufzüge ausgefallen. Der morgendliche Ansturm drängte sich in der einzigen funktionierenden Kabine zusammen wie Sardinen in einer Dose. Ich blickte auf meine Armbanduhr. Verdammt. Mein Meeting mit Jonas hätte vor fünf Minuten beginnen sollen.
Und wir hielten auf jeder verdammten Etage.
Die Türen öffneten sich im siebten Stock, ein Stockwerk unter meinem.
»Entschuldigung«, sagte eine Frau hinter mir.
Ich trat zur Seite, um Leute hinauszulassen, und als die Frau an mir vorüberging, erregte sie meine Aufmerksamkeit. Sie roch gut, nach Sonnencreme und Strand. Ich beobachtete, wie sie ausstieg. Gerade als die Fahrstuhltüren sich wieder zu schließen begannen, drehte sie sich noch einmal um, und unsere Blicke trafen sich für einen Sekundenbruchteil.
Wunderschöne blaue Augen lächelten mich an.
Ich lächelte zurück … und hielt dann inne, blinzelte und betrachtete das ganze Gesicht – und ihr Haar –, doch in dem Moment schlossen sich die Türen.
Heilige Scheiße. Die Frau von heute Morgen.
Ich versuchte, die Person, die auf der anderen Seite der Kabine vor der Bedientafel stand, dazu zu bringen, die Tür wieder zu öffnen, aber bevor sie überhaupt merkte, dass ich mit ihr sprach, hatten wir uns schon wieder in Bewegung gesetzt.
Perfekt. Einfach perfekt. Passte zum Rest des verdammten Tages.
Mit fast zehn Minuten Verspätung traf ich in Jonas’ Büro ein.
»Tut mir leid, dass ich zu spät bin. Bescheuerter Morgen.«
»Kein Problem. Wegen des Umzugs ist es hier heute ein bisschen hektisch.«
Ich setzte mich auf einen der Besucherstühle dem Chef gegenüber und atmete tief durch.
»Wie kommt dein Team mit dem heutigen Trubel zurecht?«, fragte er.
»So gut wie erwartet. Sie würden noch deutlich besser damit zurechtkommen, wenn ich allen sagen könnte, dass ihre Arbeitsplätze sicher sind.«
»Niemand verliert derzeit seinen Arbeitsplatz.«
»Wenn du das Wort derzeit streichen könntest, wäre das großartig.«
Jonas lehnte sich in seinem Stuhl zurück und seufzte. »Ich weiß, es ist nicht einfach. Aber am Ende ist diese Fusion gut für das Unternehmen. Wren mag zwar der kleinere Anbieter sein, aber sie haben ein schönes Portfolio an Kunden.«
Vor zwei Wochen hatte das Unternehmen, für das ich seit meinem Studienabschluss arbeitete, mit einer anderen großen Werbeagentur fusioniert. Seitdem waren alle nervös, weil sie nicht wussten, was die Übernahme von Wren Media für ihre Position bei Foster Burnett bedeutete. In den letzten zwei Wochen hatte ich halbe Vormittage damit verbracht, mein Team zu beruhigen, obwohl ich nicht die geringste Ahnung hatte, wie die Zukunft nach der Fusion zweier großer Werbeagenturen wohl aussehen mochte.
Wir waren das größere Unternehmen, das hatte ich den Leuten immer wieder vor Augen geführt. Heute fand die physische Zusammenlegung im Büro in San Francisco statt, wo ich arbeitete. Leute mit Kartons auf den Armen strömten in unsere Räumlichkeiten, und wir sollten lächeln und sie willkommen heißen. Das war verdammt schwer – vor allem, da mein eigener Job auf dem Spiel stand. Dieses Unternehmen brauchte keine zwei Kreativdirektoren, und Wren hatte sein eigenes Marketingteam, das genau in diesem Moment in unsere Räume einzog.
Jonas hatte mir zwar versichert, dass mein Arbeitsplatz in der Firma sicher sei, aber er hatte noch nicht gesagt, dass keiner von uns versetzt werden würde. Das Büro in Dallas war größer, und seit Kurzem machte das Gerücht die Runde, dass weitere Versetzungen anstanden.
Ich hatte nicht vor umzuziehen.
»Also, erzähl mir von der Frau, die ich verdrängen werde. Ich habe mich umgehört. Jim Falcon hat ein paar Jahre bei Wren gearbeitet und sagte, sie sei sowieso kurz vor der Rente. Ich hoffe, ich bringe nicht irgendeine ältere Dame mit bläulich gefärbten Haaren zum Weinen.«
Jonas zog die Augenbrauen zusammen. »Ruhestand? Annalise?«
»Jim hat mir erzählt, dass sie manchmal eine Gehhilfe benutzt, weil sie Probleme mit den Knien hat oder so einen Shit. Ich musste die Verwaltung auffordern, den Gang zwischen einzelnen Arbeitsplätzen zu verbreitern, damit sie hindurchkommt. Aber ich weigere mich, mich schuldig zu fühlen, weil ich diese Frau aus dem Rennen schlage, nur weil sie älter ist und gesundheitliche Probleme hat. Ich schicke sie nach Texas, wenn es sein muss.«
»Bennett … vielleicht ist Jim etwas verwirrt. Annalise hat keine Gehhilfe.«
Ich schüttelte den Kopf. »Machstdu Witze? Erzähl mir das bloß nicht. Es hat mich eine Flasche Johnny Walker Blue Label gekostet, damit mein Arbeitsauftrag bei der Verwaltung ganz oben auf der Liste landet.«
Jonas schüttelte den Kopf. »Annalise ist nicht …« Er brach mitten im Satz ab und sah über meinen Kopf hinweg zur Tür. »Gutes Timing. Da ist sie ja. Komm rein, Annalise. Ich möchte dir Bennett Fox vorstellen.«
Ich drehte mich in meinem Stuhl um, um meine neue Konkurrentin in Augenschein zu nehmen – die alte Schachtel, die ich gleich vernichten würde – und wäre fast umgefallen. Ich fuhr wieder zu Jonas herum.
»Wer ist das?«
»Das ist Annalise O’Neil, dein Gegenstück bei Wren. Jim Falcon hat sie wohl mit jemandem verwechselt.«
Ich wandte mich wieder der Frau zu, die auf mich zukam. Annalise O’Neil war ganz sicher nicht die alte Frau, die ich mir vorgestellt hatte. Nicht im Geringsten. Sie war bestenfalls Ende zwanzig. Und hinreißend – absolut hinreißend. Umwerfende lange, gebräunte Beine, Kurven, die einen Mann dazu bringen könnten, sich von einer Klippe zu stürzen, und eine wilde Mähne blonder Locken, die ein modelähnliches Gesicht umrahmten. Ohne Vorwarnung reagierte mein Körper – mein Schwanz, der sich im letzten Monat, seit die Nachricht von der Fusion bekannt geworden war, desinteressiert gegeben hatte, wurde plötzlich munter. Testosteron ließ mich die Schultern straffen und das Kinn anheben. Wäre ich ein Pfau, hätte ich mein buntes Gefieder weit aufgefächert.
Meine Wettbewerberin war eine verdammte Wucht.
Ich schüttelte den Kopf und lachte. Jim Falcon hatte sich nicht geirrt. Der Wichser hatte mich verarscht. Der Typ war ein Klugscheißer. Ich hätte es wissen müssen. Er musste sich ins Fäustchen gelacht haben, als ich die Jungs vom Hausmeisterservice die Arbeitskabinen auseinander- und wieder zusammenbauen ließ, um Platz für ihre Gehhilfe zu schaffen.
Was für ein Mistkerl. Es war allerdings ziemlich lustig. Ich war ihm auf den Leim gegangen, so viel stand fest.
Aber das war es nicht, was mich von einem Ohr zum anderen lächeln ließ.
Nope. Ganz und gar nicht.
Allmählich wurde die Sache interessant, und das hatte nichts damit zu tun, dass ich gegen eine Frau antreten würde, die keinerlei Gehprobleme hatte.
Meine Konkurrentin – Annalise O’Neil, die schöne Frau, die im Büro meines Chefs direkt vor mir stand, die Frau, mit der ich mich messen würde …
… war die Frau von heute Morgen, die mein Wischerblatt abgerissen und mir einen verdammten Strafzettel hinterlassen hatte – die lächelnde Frau aus dem Aufzug.
»Annalise, nicht wahr?« Ich stand auf, richtete meine Krawatte und nickte. »Bennett Fox.«
»Freut mich sehr, Bennett.«
»Oh, glaub mir, die Freude ist ganz meinerseits.«
Annalise
Das war ja klar.
Es war der umwerfende Typ, den ich im Aufzug gesehen hatte. Und ich dachte schon, zwischen uns hätte es gefunkt.
Bennett Fox grinste, als wäre er bereits zu meinem Chef ernannt worden, und reichte mir die Hand. »Willkommen bei Foster Burnett.«
Bah. Er sah nicht nur gut aus, er wusste es auch.
»Es heißt seit ein paar Wochen Foster Burnett und Wren, richtig?« Ich überzuckerte meine subtile Erinnerung daran, dass dies nun unser Arbeitsplatz war, mit einem Lächeln und war plötzlich dankbar, dass meine Eltern mir eine Zahnspange verpasst hatten, bis ich fast sechzehn war.
»Natürlich.« Mein neuer Erzfeind lächelte ebenso strahlend. Offenbar hatten seine Eltern auch eine kieferorthopädische Behandlung finanziert.
Bennett Fox war zudem groß. Ich hatte einmal in einem Artikel gelesen, dass die Durchschnittsgröße eines US-Amerikaners ein Meter einundachtzig betrage. Weniger als fünfzehn Prozent der Männer waren größer. Aber über achtundsechzig Prozent der Fortune-500-CEOs lagen über dieser Durchschnittsgröße. Unterbewusst setzten wir Größe mit Macht in Verbindung, und zwar nicht nur in Bezug auf Muskelkraft.
Andrew war einen Meter achtundachtzig groß. Dieser Typ hatte schätzungsweise seine Größe.
Bennett zog den Besucherstuhl neben sich. »Bitte, setz dich.«
Er war groß und hatte gute Umgangsformen. Ich mochte ihn bereits jetzt nicht.
Während der anschließenden zwanzigminütigen aufmunternden Rede von Jonas Stern, in der er versuchte, uns davon zu überzeugen, dass wir nicht um dieselbe Position konkurrierten, sondern stattdessen als Führungskräfte den Weg prägen würden, den die jetzt größte Werbeagentur der Vereinigten Staaten einschlug, warf ich einen Blick auf Bennett Fox.
Schuhe: eindeutig teuer. Konservativ, im Oxford-Stil, aber mit einem modernen gesteppten Rand. Ich würde auf Ferragamo tippen. Auch große Füße.
Anzug: dunkles Marineblau, maßgeschneidert für seine große, breite Statur. Die Art von unaufdringlichem Luxus, die sagte, dass er Geld hatte, aber es nicht zur Schau stellen musste, um andere zu beeindrucken.
Er hatte ein langes Bein lässig über das andere Knie gelegt, als würden wir über das Wetter reden und nicht darüber, dass alles, wofür wir zwölf Stunden am Tag und sechs Tage die Woche gearbeitet hatten, plötzlich drohte, umsonst gewesen zu sein.
Irgendwann hatte Jonas etwas gesagt, dem wir beide zustimmten, und wir sahen uns an und nickten. Als ich die Gelegenheit hatte, ihn näher zu betrachten, wanderte mein Blick über sein attraktives Gesicht. Kräftiger Kiefer, gerade perfekte Nase – die Art von Knochenbau, die von Generation zu Generation weitergegeben wurde und die besser und nützlicher war als jedes finanzielle Erbe. Aber seine Augen waren der absolute Hit: ein tiefes durchdringendes Grün, das aus seiner glatten, gebräunten Haut hervorstach. Aus diesen starrte er mich gerade an.
Ich wandte den Blick ab und richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf Jonas. »Und was passiert am Ende der neunzigtägigen Integrationsphase? Wird es dann zwei Kreativdirektoren an der Westküste geben?«
Jonas sah zwischen uns hin und her und seufzte. »Nein. Aber keiner verliert seinen Job. Ich wollte Bennett gerade die Nachricht überbringen. Rob Gatts hat angekündigt, dass er in ein paar Monaten in den Ruhestand geht. Es wird also eine Stelle für einen Kreativdirektor frei.«
Ich hatte keine Ahnung, was das bedeutete. Aber anscheinend wusste Bennett es.
»Einer von uns wird also nach Dallas geschickt, um Rob im Südwesten zu ersetzen?«, fragte er.
Jonas’ Gesicht verriet, dass Bennett über die Aussicht, nach Texas zu gehen, nicht glücklich sein würde. »Ja.«
Das ließen wir alle drei einen Moment lang auf uns wirken. Die Aussicht, nach Texas umziehen zu müssen, setzte mein Gehirn jedoch wieder in Gang.
»Wer entscheidet darüber?«, fragte ich. »Denn offensichtlich habt ihr, du und Bennett, zusammengearbeitet …«
Jonas schüttelte den Kopf und winkte ab, bevor ich die Frage gestellt hatte. »Entscheidungen wie diese, bei denen zwei Führungspositionen zusammengelegt werden, werden vom Vorstand getroffen. Er bestimmt, wer am Ende die Wahl hat.«
Bennett war genauso verwirrt wie ich. »Die Vorstandsmitglieder arbeiten doch nicht täglich mit uns zusammen.«
»Nein, das stimmt. Darum haben sie sich eine Methode zur Entscheidungsfindung überlegt.«
»Und zwar?«
»Sie basiert auf drei großen Kunden-Pitches. Ihr werdet jeweils beide Kampagnen entwerfen und präsentieren. Die Kunden wählen dann aus, welche ihnen am besten gefällt.«
Bennett wirkte zum ersten Mal verunsichert. Seine Gelassenheit und sein Selbstvertrauen verloren etwas, als er sich nach vorn beugte und mit langen Fingern durch sein Haar fuhr.
»Das soll wohl ein Scherz sein. Mehr als zehn Jahre, und mein Job hier hängt von drei Pitches ab? Ich habe eine halbe Milliarde Dollar an Werbekunden für diese Agentur an Land gezogen.«
»Es tut mir leid, Bennett. Ehrlich. Aber eine der Bedingungen für die Fusion mit Wren war, dass die Wren-Mitarbeiter auf Positionen, die aufgrund von Doppelbesetzungen entfallen können, sorgfältig geprüft werden. Der Deal wäre beinahe nicht zustande gekommen, weil Mrs Wren die Firma ihres Mannes auf gar keinen Fall verkaufen wollte, nur damit das neue Unternehmen alle hart arbeitenden Wren-Mitarbeiter entlässt.«
Das brachte mich zum Lächeln. Mr Wren kümmerte sich über seinen Tod hinaus um seine Mitarbeiter.
»Ich bin bereit für die Herausforderung.« Ich sah Bennett an, der sichtlich genervt war. »Möge die beste Frau gewinnen.«
Er warf mir einen finsteren Blick zu. »Du meinst wohl der beste Mann.«
Wir saßen noch eine weitere Stunde zusammen, gingen alle unsere aktuellen Kunden durch und besprachen, welche neu verteilt werden sollten, damit wir uns auf die Integration unserer Teams und die Pitches konzentrieren konnten, die über unser Schicksal entschieden.
Als wir bei der Bianchi Winery ankamen, sagte Bennett: »Das ist in zwei Tagen. Ich bin bereit für diesen Pitch.«
Ich wusste, dass es außer mir noch zwei weitere Mitstreiter gab, die sich um den Auftrag bewarben. Verdammt, ich war diejenige, die vorgeschlagen hatte, ein Pitch zu veranstalten, um sicherzustellen, dass Bianchi die beste Werbung bekam. Aber mir war nicht bewusst, dass Foster Burnett eine der anderen beteiligten Firmen war. Und natürlich hatte die Fusion alles verändert. Das neue Management durfte nicht glauben, dass ich einen bestehenden Kunden verlieren konnte.
»Ich glaube nicht, dass es nötig ist, dass wir beide einen Vorschlag machen. Bianchi ist schon seit Jahren mein Kunde. Aufgrund meiner Beziehung zu ihnen war ich diejenige, die vorgeschlagen hat …«
Der Idiot unterbrach mich. »Mrs Bianchi war sehr interessiert an meinen ersten Ideen. Ich habe keinen Zweifel daran, dass sie sich für eines meiner Konzepte entscheiden wird.«
Gott, ist der Typ arrogant. »Ich bin sicher, deine Ideen sind großartig. Aber was ich sagen wollte, ist, dass ich eine Beziehung zu dem Weingut habe und mir sicher bin, dass sie ausschließlich mit mir zusammenarbeiten werden, wenn ich dort pitche, weil …«
Er unterbrach mich erneut. »Wenn du dir so sicher bist, warum lässt du dann nicht den Kunden entscheiden? Für mich klingt das so, als hättest du Angst vor einem kleinen Wettbewerb, als wärst du dir deiner Beziehung nicht so sicher.« Bennett sah Jonas an. »Der Kunde sollte beides sehen.«
»In Ordnung. In Ordnung«, sagte Jonas. »Wir sind jetzt ein Unternehmen. Ich würde eher sagen, für einen bestehenden Kunden reicht ein Pitch, aber da ihr beide bereits fertig seid, sehe ich keinen Nachteil darin, beide zu präsentieren. Solange ihr in der Lage seid, für Foster, Burnett und Wren als vereinte Front aufzutreten, sollten wir dem Kunden das Urteil überlassen.«
Ein widerwärtiges Lächeln glitt über Bennetts Gesicht. »Mir soll’s recht sein. Ich habe keine Angst vor einem kleinen Wettbewerb … im Gegensatz zu manch anderen Leuten.«
»Wir sind keine Konkurrenten mehr. Vielleicht ist das noch nicht in deinem Hirn angekommen.« Ich seufzte und murmelte vor mich hin: »Sieht aus, als müsste die Information eine Menge Haargel durchdringen, um dorthin zu gelangen.«
Bennett fuhr sich mit den Fingern durch seine üppige Mähne. »Dir ist also mein tolles Haar aufgefallen?«
Ich verdrehte die Augen.
Jonas schüttelte den Kopf. »Okay, ihr zwei. Ich sehe schon, das wird nicht einfach. Und es tut mir leid, dass ich euch das antun muss.« Er wandte sich an Bennett. »Wir haben lange Zeit zusammengearbeitet. Ich weiß, das muss wehtun. Aber du bist ein Profi, und ich weiß, dass du dein Bestes tun wirst, um das zu meistern.« Dann drehte er sich zu mir um. »Und wir haben uns zwar gerade erst kennengelernt, Annalise, aber über dich habe ich auch nur wunderbare Dinge gehört.«
Danach fragte Jonas Bennett, ob er ein freies Büro für mich finden könne, in dem ich mich erst einmal einrichten sollte. Offenbar zogen immer noch Leute um, und mein Büro, das ich dauerhaft beziehen sollte, war noch nicht fertig – nun ja, so dauerhaft, wie es unter diesen Umständen sein konnte. Ich blieb bis zum frühen Nachmittag, um mit Jonas einige meiner Kunden durchzugehen.
Als wir fertig waren, begleitete er mich zu Bennetts Büro. Die Räumlichkeiten von Foster Burnett waren eindeutig schöner als das, was ich von Wren gewohnt war. Bennetts Büro war elegant und modern, und es war doppelt so groß wie mein altes. Er war am Telefon, winkte uns aber herein.
»Ja, das kann ich machen. Wie wäre es mit Freitag gegen drei Uhr?« Bennett sah mich an, während er ins Telefon sprach.
Dann klingelte Jonas’ Telefon. Er entschuldigte sich und verließ das Büro, um das Gespräch draußen anzunehmen. Und als er zurückkehrte, legte Bennett gerade auf.
»Ich muss nach oben zu einem Meeting«, sagte Jonas. »Konntest du einen Platz für Annalise finden?«
»Ich habe den perfekten Platz für sie gefunden.«
Bennetts Antwort klang irgendwie etwas sarkastisch, aber ich kannte den Mann nicht gut, und Jonas schien es nicht zu bemerken.
»Großartig. Es war ein langer Tag, an dem ihr beide viel zu verkraften hattet. Bleibt heute Abend nicht zu lange.«
»Danke, Jonas«, sagte ich.
Ich sah ihm nach, dann wandte ich meine Aufmerksamkeit wieder Bennett zu. Offenbar hatten wir beide darauf gewartet, dass der andere zuerst sprach.
Schließlich brach ich das Schweigen. »Also … diese ganze Situation ist unangenehm.«
Bennett kam hinter seinem Schreibtisch hervor. »Jonas hat recht. Es war ein langer Tag. Soll ich dir zeigen, wo ich dich untergebracht habe? Ich glaube, ich gehe zur Abwechslung mal früh ins Bett.«
»Das wäre großartig. Danke.«
Ich folgte ihm den langen Flur hinunter, bis wir zu einer geschlossenen Tür kamen. An der Tür war ein Halter für ein Namensschild angebracht, doch er war leer.
Bennett deutete mit dem Kopf darauf. »Ich rufe im Einkauf an und bestelle dir ein Schild, bevor ich heute Abend gehe.«
Nun, das war nett von ihm. Vielleicht würde es doch nicht so unangenehm zwischen uns werden.
»Danke.«
Er lächelte, öffnete die Tür und trat zur Seite, damit ich zuerst eintreten konnte. »Kein Problem. Hier, bitte sehr. Home sweet home.«
Ich trat ein, und Bennett schaltete das Licht ein.
Was zum Teufel?
In dem Raum standen ein Klapptisch und ein Stuhl, aber es war definitiv kein Büro. Bestenfalls eine kleine Materialkammer – und nicht einmal die nette Art mit ordentlichen Chromregalen, in denen Büromaterial gelagert wurde. Das hierwar eine Kammer für Putzmittel, in der es nach Badreiniger und abgestandenem muffigem Wischwasser roch, wahrscheinlich wegen des gelben Eimers und des nassen Mopps, die neben meinem neuen provisorischen Schreibtisch standen.
Ich wandte mich an Bennett. »Du erwartest, dass ich hier drin arbeite? So?«
Ein amüsiertes Funkeln tanzte in seinen Augen. »Nun, du brauchst natürlich noch Papier.«
Ich runzelte die Stirn. Macht er Witze?
Er griff in seine Tasche, ging zum Klapptisch und legte ein einzelnes Blatt Papier in die Mitte des Tisches. Als er sich zum Ausgang wandte, blieb er direkt vor mir stehen und zwinkerte mir zu.
»Ich wünsche dir einen schönen Abend. Ich werde jetzt mein Auto reparieren lassen.«
Verblüfft stand ich noch immer in der Kammer, als die Tür hinter ihm zuschlug. Der Luftzug, der beim Schließen entstand, ließ das Papier, das er zurückgelassen hatte, nach oben fliegen. Es schwebte ein paar Sekunden lang in der Luft und landete dann zu meinen Füßen.
Ich starrte zunächst mit leerem Blick darauf.
Als ich die Augen zusammenkniff, erkannte ich, dass etwas darauf geschrieben stand.
Er hat mir eine Nachricht hinterlassen? Ich bückte mich und hob das Blatt auf, um es genauer zu betrachten.
Was zum Teufel?
Bei dem Papier, das Bennett mir hinterlassen hatte, handelte es sich nicht etwa um eine Nachricht, sondern um einen Strafzettel.
Und zwar nicht um irgendeinen Strafzettel.
Sondern um meinen Strafzettel.
Denselben verdammten Strafzettel, den ich heute Morgen an der Windschutzscheibe von jemandem hinterlassen hatte.
Annalise
»Ich brauche so nötig einen Drink, das kannst du dir gar nicht vorstellen.« Ich zog einen Stuhl heraus und sah mich schon nach einem Kellner um, bevor ich mich überhaupt gesetzt hatte.
»Und ich dachte, du wolltest mit mir wegen meiner gewinnenden Persönlichkeit zusammen sein, nicht wegen des kostenlosen Essens, das du jede Woche bekommst.«
Meine beste Freundin Madison hatte den besten Job der Welt – sie war Gastrokritikerin für den San Francisco Observer. An vier Abenden in der Woche ging sie in ein anderes Restaurant, um eine Mahlzeit einzunehmen, über die sie dann eine Kritik schrieb. Donnerstags schloss ich mich ihr an. Im Grunde war sie meine Eintrittskarte für ein Gratisessen. Meistens war dies der einzige Tag, an dem ich das Büro vor neun Uhr verließ, und die einzige anständige Mahlzeit, die ich die ganze Woche über zu mir nahm, denn ich arbeitete oft sechzig Stunden in der Woche.
Und was hat es mir gebracht?
Der Kellner kam und reichte ihr die Weinkarte. Madison winkte ab. »Wir nehmen zwei Merlot … was immer Sie empfehlen.«
Diese Bestellung gehörte zu ihrem Standardrepertoire, und ich wusste, dass dies der erste Schritt war, um den Service des Restaurants zu testen. Sie bewertete gern, was der Kellner brachte. Fragte er sie nach ihrem Geschmack, damit er eine gute Wahl treffen konnte? Oder wählte er das teuerste Glas auf der Speisekarte, nur um sein Trinkgeld zu maximieren?
»Kein Problem. Ich suche etwas heraus.«
»Eigentlich.« Ich hob einen Finger. »Kann ich die Bestellung ändern, bitte? Einen Merlot bitte und ein Tito’s und ein Soda mit Limette.«
»Natürlich.«
Madison wartete kaum, bis der Kellner außer Hörweite war. »Oh, oh. Wodka Soda. Was ist passiert? Hat Andrew eine Freundin?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Schlimmer.«
Sie machte große Augen. »Schlimmer als Andrew, der sich in eine andere verliebt hat? Hattest du wieder einen Autounfall?«
Nun, vielleicht hatte ich ein wenig übertrieben. Wenn ich herausfinden würde, dass mein Freund, mit dem ich seit acht Jahren zusammen war, eine andere hätte, wäre ich auf jeden Fall am Boden zerstört. Vor drei Monaten hatte er mir gesagt, erbrauche eine Pause. Das waren nicht gerade die drei kleinen Worte, die ich am Ende unseres Abendessens am Valentinstag von ihm erwartet hatte. Aber ich hatte versucht, Verständnis zu zeigen. Im letzten Jahr hatte sich bei ihm viel verändert – sein zweiter Roman war ein Flop gewesen, bei seinem sechzigjährigen Vater wurde Leberkrebs diagnostiziert, an dem er drei Wochen nach der Diagnose starb, und seine Mutter beschloss, nur neun Monate nachdem sie Witwe geworden war, wieder zu heiraten.
Also stimmte ich der vorübergehenden Trennung zu, obwohl seine Vorstellung von einer Pause eher Ross als Rachel entsprach – wir konnten uns beide mit anderen Menschen treffen, wenn wir das wollten. Er hatte geschworen, dass es keine andere gab, und es war nicht seine Absicht, auszugehen und herumzuvögeln. Aber er hatte das Gefühl, wenn wir vereinbarten, uns nicht mit anderen zu treffen, würde uns das zu sehr binden und ihm nicht die Freiheit lassen, die er seiner Meinung nach brauchte.
Und wenn es ums Autofahren ging … Ich hasste es, seit ich einen Monat meinen Führerschein hatte, weil ich damals einen ziemlich schlimmen Unfall hatte und seither eine nervöse Fahrerin war. Erst letztes Jahr hatte ich einen kleinen Unfall mit Blechschaden auf einem Parkplatz gehabt, und die Angst, die ich überwunden zu haben meinte, war zurückgekehrt. Ein weiterer Unfall in so kurzer Zeit könnte zu viel sein.
»Vielleicht doch nicht ganz so schlimm«, sagte ich. »Aber so in der Gegend.«
»Was ist passiert? Schlechter erster Tag im neuen Büro? Und ich dachte schon, ich würde von all den heißen Typen am neuen Arbeitsplatz hören.«
Madison verstand nicht, dass Andrew eine Pause brauchte, und sie hatte mich ermutigt, wieder in die Dating-Welt einzusteigen und nach vorn zu schauen.
Der Kellner kam mit unseren Getränken, und Madison sagte ihm, dass wir noch nicht bereit seien zu bestellen. Sie bat ihn, uns zehn Minuten Zeit für unsere Entscheidung zu geben.
Ich nippte an meinem Wodka Soda, und er brannte in meiner Kehle. »Da war tatsächlich ein heißer Typ.«
Sie stützte die Ellbogen auf den Tisch und legte den Kopf auf die Hände. »Details. Erzähl mir Einzelheiten über ihn. Die Geschichte über deinen schlechten Tag kann warten.«
»Also … er ist groß, hat eine Figur, um die ihn ein Bildhauer beneiden würde, und strotzt vor Selbstvertrauen.«
»Wie riecht er?«
»Das weiß ich nicht. Ich bin nicht nah genug herangekommen, um das festzustellen.« Ich zupfte die Limette vom Rand meines Glases und drückte den Saft in meinen Drink. »Nun, das stimmt nicht. Aber als ich ihm so nah war, befanden wir uns in einer Materialkammer, und alles, was ich riechen konnte, waren Reinigungsmittel und muffiges Wasser.« Ich nahm noch einen Schluck.
Madisons Augen leuchteten auf. »Das hast du nicht gemacht! Ihr zwei … in der Materialkammer an eurem ersten Tag im neuen Büro?«
»Doch. Aber es ist keineswegs so, wie du denkst.«
»Fang von vorn an.«
Ich grinste. »Na gut.«
Sicher ging sie davon aus, dass die Geschichte anders endete.
»Ich hatte einen Kofferraum voller Kartons mit Akten und Gerümpel aus meinem alten Büro, die in das neue Gebäude gebracht werden mussten. Ich habe versucht, einen Parkplatz zu finden, aber im Umkreis von mehreren Blocks gab es keinen … also habe ich illegal geparkt und ein paar Gänge hoch zum Büro gemacht. Nach meinem vorletzten Gang hatte ich einen Strafzettel an der Windschutzscheibe.«
»Wie nervig.«
»Wem sagst du das. Heutzutage kostet so etwas fast zweihundert Dollar.«
»Ein beschissener Start in den Tag«, stellte sie fest. »Aber es hätte schlimmer sein können, mit dir und den Autos.«
Ich musste lachen. »Oh, es wurde noch schlimmer. Das war der beste Teil meines Tages.«
»Was ist dann passiert?«
»Die Politesse stand ein paar Autos von mir entfernt und verteilte immer noch Strafzettel. Ich dachte, nachdem ich nun ohnehin schon einen bekommen hatte, könnte ich meinen Wagen auch in Ruhe zu Ende ausräumen. Ich trug die letzten Kartons in mein neues Büro, und als ich wieder nach unten kam, hatte jedes Auto einen Strafzettel. Bis auf eines. Das Auto, das direkt vor mir parkte.«
»Der Wagen war also gekommen, nachdem die Politesse schon weg war?«
»Nein. Ich bin mir sicher, dass er schon vor mir dort gestanden hat. Sie hat ihn einfach übersprungen. Ich bin mir sicher, weil es dieselbe Marke und dasselbe Modell wie mein Auto war, nur ein neueres Baujahr. Als ich das erste Mal daran vorbeikam, habe ich einen Blick hineingeworfen, um zu sehen, ob sich an der Innenausstattung des neuen Modells etwas geändert hat. Mir fiel auf, dass auf dem Vordersitz ein Paar Fahrerhandschuhe mit dem Porsche-Logo lagen. Ich wusste also, dass es derselbe Wagen war, der dort seit mehr als einer Stunde parkte, denn die Handschuhe waren noch da.«
Madison nippte an ihrem Wein und verzog das Gesicht.
»Ist der Wein nicht gut?«
»Doch. Aber Fahrerhandschuhe? Nur Rennwagenfahrer und aufgeblasene Wichtigtuer tragen Fahrerhandschuhe.«
Ich prostete ihr zu, bevor ich mein Glas an die Lippen führte. »Ganz genau! Genau das dachte ich auch, als ich sie sah. Also schenkte ich dem aufgeblasenen Idioten mein Parkticket. Mein Auto war von derselben Marke, es war dasselbe Modell und hatte die gleiche Farbe. Warum sollte ich zweihundert Dollar zahlen, wenn Mr Porsche-Handschuhe keinen Strafzettel bekommen hat? Auf dem Strafzettel stand kein Name, nur die Marke, das Modell und die Fahrgestellnummer des Autos, und das Nummernschild auf meinem Durchschlag war kaum lesbar. Ich dachte mir, dass er seine Fahrgestellnummer nicht kennt und wahrscheinlich bezahlen würde – er hat ja schließlich illegal geparkt.«
Meine beste Freundin lächelte von einem Ohr zum anderen. »Du bist meine Heldin.«
»Vielleicht solltest du mich die Geschichte erst zu Ende erzählen lassen, bevor du das sagst.«
Ihr Lächeln verblasste. »Hat man dich erwischt?«
»Ich dachte eigentlich nicht. Aber mir ist ein kleines Malheur passiert. Als ich mich vorbeugte und den Scheibenwischer anhob, um das Ticket darunterzuschieben, hat sich eine Haarsträhne darin verheddert.«
Madison runzelte die Stirn. »Im Wischerblatt?«
»Ich weiß. Seltsam. Aber heute war es so windig, und als ich sie abwickeln wollte, habe ich es noch schlimmer gemacht. Du kennst doch meine dicken Haare. Ich könnte ein paar Tage lang eine Haarbürste darin verlieren und niemand würde es merken. Diese Wellen haben ihren ganz eigenen Willen.«
»Wie hast du die Haare wieder herausbekommen?«
»Ich habe so lange an der Strähne gezerrt, bis sie sich gelöst hat. Doch als mir das gelungen war, hing schließlich der Scheibenwischer an meinem Haar anstatt an dem nagelneuen Audi, zu dem er gehörte.«
Madisons schlug sich eine Hand vor den Mund und brach in schallendes Gelächter aus. »Oh mein Gott.«
»Ja.«
»Hast du dem Besitzer eine Nachricht hinterlassen?«
Ich nahm einen kräftigen Schluck von meinem Drink, der zunehmend besser schmeckte, je mehr ich davon trank. »Zählt das Ticket als Nachricht?«
»Na ja … wenigstens gibt es eine positive Seite.«
»Und zwar? Sag es mir, denn jetzt, nach dem Tag, den ich hinter mir habe, sehe ich überhaupt nichts Positives mehr.«
»Im Büro gibt es einen griechischen Gott. Das ist doch gut. Wie lange ist es her, dass du ein Date hattest – acht Jahre?«
»Glaub mir. Der griechische Gott wird mich nicht um ein Date bitten.«
»Verheiratet?«
»Schlimmer.«
»Schwul?«
Ich lachte. »Nope. Er ist der Besitzer des Audi, den ich erst beschädigt und dem ich dann meinen Strafzettel vermacht habe, und anscheinend hat er mich dabei beobachtet.«
»Mist.«
»Ja. Mist. Oh, und ich muss täglich mit ihm arbeiten.«
»Oh Shit. Was macht er denn?«
»Er ist der hiesige Kreativdirektor des Unternehmens, mit dem wir fusioniert haben.«
»Moment mal. Ist das nicht dein Titel?«
»Ja. Und es ist nur Platz für einen von uns.«
Als ein Kellner, der eigentlich nicht für uns zuständig war, vorbeikam, streckte Madison die Hand aus und hielt ihn fest. »Wir brauchen noch einen Wodka Soda und ein Glas Merlot. Sofort.«
Am nächsten Morgen legte ich auf dem Weg ins Büro einen Zwischenstopp ein. Sosehr es mir auch widerstrebte, was mit meinem Job passierte, anscheinend musste ich in den nächsten Monaten mit Bennett zusammenarbeiten. Und … wenn ich ehrlich war, war ich im Unrecht. Ich hatte sein Auto beschädigt und statt einer Nachricht einen Strafzettel hinterlassen. Wenn das jemand mit mir gemacht hätte … Nun, ich bezweifelte, dass ich auch nur annähernd so höflich gewesen wäre, wie er es im Laufe des Tages gewesen war. Er hatte gewartet, bis wir allein waren, um mich wegen diesem Mist zur Rede zu stellen, obwohl er mich vor meinem neuen Chef hätte bloßstellen können.
Als ich ankam, stand sein Auto genauso illegal auf demselben Platz wie gestern. Als ich gestern Abend den Tag noch einmal hatte Revue passieren lassen, dachte ich, dass sein Wagen vielleicht versehentlich übersehen worden war, weil er genauso aussah wie meiner. Vielleicht meinte die Politesse, sie sei bei ihm schon gewesen. Aber wenn das der Fall war und er schon einmal davongekommen war, warum sollte er dann heute wieder dort parken und einen weiteren Strafzettel riskieren?
Es gab nur wenige logische Antworten. Erstens: Er war reich und arrogant. Zweitens: Er war ein Idiot. Oder drittens: Er wusste, dasser keinen Strafzettel bekommen würde.
Bennetts Bürotür war geschlossen, doch darunter schien Licht hervor. Ich hob die Hand, um zu klopfen, zögerte jedoch. Es wäre leichter, wenn er nicht so verdammt gut aussehen würde.
Zeig Rückgrat, Annalise.
Ich straffte die Schultern und richtete mich auf, dann klopfte ich laut an der Tür. Nach einer Minute überkam mich Erleichterung, als ich feststellte, dass Bennett nicht da war. Er musste sein Licht angelassen haben. Ich wollte mich gerade abwenden, als die Tür ohne Vorwarnung aufflog.
Vor Überraschung zuckte ich zusammen und fasste mir an die Brust. »Du hast mich zu Tode erschreckt.«
Bennett entfernte einen Ohrstöpsel aus seinem Ohr. »Hast du gerade gesagt, dass ich dich zu Tode erschreckt habe?«
»Ja. Ich habe nicht damit gerechnet, dass du die Tür öffnest.«
Er zog den anderen Ohrstöpsel heraus und ließ ihn um seinen Hals baumeln. Mit gerunzelter Stirn sagte er: »Du hast an meine Bürotür geklopft, aber nicht damit gerechnet, dass ich sie öffne?«
»Deine Tür war zu, und es war still. Ich habe nicht gedacht, dass du da bist.«
Bennett hielt sein iPhone hoch: »Ich bin gerade vom Laufen zurückgekommen und habe Musik gehört.«
Sie dröhnte noch aus den Ohrstöpseln, und ich erkannte den Song.
»Enter Sandman? Im Ernst?«, fragte ich amüsiert.
»Was ist falsch an Metallica?«
»Nichts. Überhaupt nichts. Du siehst nur nicht wie jemand aus, der Metallica hört.«
Er blinzelte. »Ach, und nach welcher Musik sehe ich aus?«
Ich betrachtete ihn eingehend. Er trug nicht den teuren Anzug und die Budapester von gestern. Aber auch in Freizeitkleidung – einem körperbetonten schwarzen Under-Armour-Shirt und einer tief sitzenden Jogginghose – hatte er etwas. Er strahlte etwas Vornehmes aus.
Obwohl die Art und Weise, wie sich die Ader in seinem Bizeps abzeichnete, im Moment eher vorzüglich als vornehm aussah. Ich schätzte Bennett älter als mich – vielleicht Anfang dreißig –, aber sein Körper war fest und muskulös, und ich stellte mir vor, dass er ohne dieses Shirt noch unglaublicher aussah.
Ich blinzelte, erwachte aus meinem Tagtraum und erinnerte mich, dass er mir eine Frage gestellt hatte. »Klassisch. Ich hätte dich eher für einen Klassikliebhaber gehalten als für einen Metallica-Fan.«
»Das ist ziemlich klischeehaft, oder? Was soll ich dann über dich für Vermutungen anstellen? Du bist blond und schön.«
»Ich bin nicht dumm.«
Er verschränkte die Arme vor der Brust und zog eine Augenbraue hoch. »Du hingst mit dem Kopf an der Windschutzscheibe meines Autos fest.«
Da hatte er nicht ganz unrecht. Und es war sicher kein guter Anfang, mich heute Morgen wieder mit ihm zu streiten. Um mich wieder auf die Spur zu bringen, hielt ich das lange schlanke Paket hoch, das ich auf dem Weg ins Büro besorgt hatte.
»Da fällt mir ein, ich wollte mich für gestern entschuldigen.«
Bennett schien mich einen Moment lang zu mustern. Dann nahm er mir das Wischerblatt aus der Hand. »Wie zum Teufel bist du überhaupt mit deinen Haaren an meinem Wagen hängen geblieben?«
Ich spürte, wie mein Gesicht heiß wurde. »Ich muss zuerst sagen, dass Autos nicht mein Ding sind. Ich fahre nicht gern mit ihnen und habe auch kein Glück, meist funktionieren sie nicht richtig. Zu meinem alten Büro konnte ich zu Fuß gehen. Jetzt muss ich jeden Tag fahren. Jedenfalls habe ich gestern Morgen einen Strafzettel bekommen, als ich Kartons aus meinem Auto nach oben getragen habe. Wir fahren zufällig dasselbe Modell in der gleichen Farbe von Audi. Deiner war ebenfalls illegal geparkt, aber du hattest keinen Strafzettel bekommen. Also habe ich versucht, meinen unter deinen Scheibenwischer zu schieben, in der Hoffnung, dass du ihn bezahlen würdest. Es kam ein Windstoß, und mein Haar verhedderte sich, als ich den Scheibenwischer anhob. Bei dem Versuch, es zu entwirren, habe ich es nur noch schlimmer gemacht. Ich wollte dein Auto wirklich nicht beschädigen.«
Seine Miene war undurchdringlich. »Du wolltest nur, dass ich deinen Strafzettel bezahle, aber nicht meinen Scheibenwischer zerstören.«
»Genau.«
Er grinste. »Jetzt ergibt natürlich alles einen Sinn.«
Bennett hatte eine Wasserflasche in der Hand, führte sie an seine Lippen und trank einen großen Schluck, ohne mich dabei aus den Augen zu lassen. Als er fertig war, nickte er.
»Entschuldigung angenommen.«
»Wirklich?«
»Wir müssen zusammenarbeiten. Also sollten wir das Ganze wohl professionell handhaben.«
Ich war erleichtert. »Danke.«
»Nach meinem Morgenlauf dusche ich unten im Fitnessstudio. Gib mir zwanzig Minuten, dann können wir anfangen, unsere Kunden durchzugehen.«
»Okay. Gut. Bis gleich.«
Vielleicht hatte ich Bennett unterschätzt. Nur weil er gut aussah, hatte ich ihn für einen Egoisten gehalten und angenommen, dass er mir meine verrückte Tat nie verzeihen würde. Als ich mein Büro in der Materialkammer erreichte, schob ich den Schlüssel ins Schloss. Zunächst ließ er sich nicht bewegen, doch schließlich klackte es, und die Tür ging auf. Sofort stieg mir der Geruch von Reinigungsmitteln in die Nase. Zumindest verstand ich jetzt, warum er mich hier reingesteckt hatte. Seufzend schaltete ich das Licht an und stellte überrascht fest, dass jemand eine Tüte auf meinem Schreibtisch hinterlassen hatte.
In der Annahme, dass es wahrscheinlich der Hausmeister war, hob ich sie auf, um sie zu den anderen Putzmitteln zu stellen, und entdeckte eine handgeschriebene Notiz darauf.
Den wirst du brauchen. – Bennett
Ein Geschenk für mich?
Ich stellte meinen Laptop und meine Handtasche ab und kramte in der Tüte. Sie war leicht – eindeutig kein Putzmittel –, und der Inhalt war in Seidenpapier eingewickelt.
Neugierig packte ich ihn aus.
Ein Cowboyhut?
Was?
Den wirst du brauchen.
Hmm …
Den wirst du brauchen.
Für meinen Job.
In Texas.
Vielleicht war Bennett doch nicht so reif.
Bennett
Morgen sollte ich ihr vielleicht Dessous hinlegen.
Pünktlich stolzierte Annalise mit einem großen Karton in mein Büro. Sie hatte den Cowboyhut auf, den ich ihr hingelegt hatte, um mich wie ein Arsch zu verhalten. Doch jetzt, wo sie ihn trug, dachte ich mit meinem Schwanz.
Sie sah verdammt sexy aus mit ihrem wilden blonden Haar, das darunter hervorlugte. Ich wette, in einem schwarzen Spitzenkorsett und ein paar hohen Absätzen zu dem Cowboyhut würde sie verdammt scharf aussehen. Ich schüttelte den Kopf, um diese Vorstellung aus meiner Fantasie zu vertreiben. Doch das ließ mein Verstand nicht zu. Er war damit beschäftigt, sich eine Million Arten auszudenken, wie sie ihn tragen könnte.
Während sie mich ritt.
Reverse Cowgirl.
Yeah, nicht schlau, Fox.
Ich wandte eine Minute den Blick ab, dann räusperte ich mich und ging zu ihr, um ihr den Karton abzunehmen. »Steht dir gut. In ein paar Monaten wirst du perfekt in das neue Büro passen.«
»Vielleicht habe ich da unten dann wenigstens ein Büro, in dem ich nicht den ganzen Tag high von dem Chemiegeruch bin.«
»Ich wollte dich nur ärgern. Dein richtiges Büro wird in diesem Moment für dich eingerichtet.«
»Oh. Wow. Danke.«
»Kein Problem. Durch den Urinstein von den Pissoirs riecht es im neuen Büro sicher viel besser.«
»Ich bin nicht …«
Ich hob die Hand und unterbrach sie. »Kleiner Scherz. Das Büro hat denselben Grundriss wie meines, nur zwei Türen weiter. Ich weiß, dass du gern näher bei mir wärst, aber das ist das Beste, was ich auftreiben konnte.«
»Bist du immer derart unausstehlich so früh am Morgen?« Sie hielt einen großen Kaffeebecher mit einem rosa glitzernden A darauf hoch. »Ich trinke nämlich gerade meinen zweiten Becher, und wenn das so ist, muss ich noch mehr Koffein zu mir nehmen, bevor ich herkomme.«
Ich lachte. »Ja, gewöhn dich dran. Mir wurde gesagt, dass ich morgens noch am erträglichsten bin, also solltest du diesen großen Becher nach dem Mittagessen vielleicht mit etwas Stärkerem füllen.«
Sie verdrehte die Augen.
Marina, meine Assistentin – unsere Assistentin –, kam herein und legte einen Umschlag auf meinen Schreibtisch. Sie schenkte Annalise ein Lächeln und sagte Guten Morgen, während sie so tat, als wäre ich nicht im Zimmer.
Als sie ging, schüttelte ich den Kopf. »Übrigens, ich muss dich warnen: Iss nicht aus Versehen das Mittagessen deiner neuen Assistentin.«
Annalise schien zu glauben, dass ich einen Scherz machte. »Okay.«
»Sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.«
Ich ging zu dem runden Tisch in der Ecke, an dem ich normalerweise kleine Besprechungen abhielt, und stellte den Karton ab. Als ich das Etikett bemerkte, sagte ich: »Bianchi Winery? Ich dachte, dass wir alle unsere Kunden durchgehen, um die Arbeitsbelastung auszugleichen und die Kunden zwischen unseren Teams aufzuteilen?«
»Genau. Aber ich dachte, es kann nicht schaden, wenn wir uns unsere Präsentationen für morgen gegenseitig zeigen. Vielleicht können wir uns darauf einigen, welche die beste ist, und müssen nicht gegeneinander antreten?«
Ich grinste. »Angst zu verlieren, was?«
Sie seufzte. »Vergiss es. Gehen wir einfach die Kunden durch, wie Jonas es verlangt hat.«
Gott, ist die empfindlich. »Na gut. Warum arbeiten wir nicht hier? Da haben wir mehr Platz, uns auszubreiten.«
Sie nickte und holte eine Fächermappe aus ihrem Karton. Als sie das Gummiband löste, das die Mappe ordentlich zusammenhielt, öffnete sich diese, und ein paar Dutzend Fächer kamen zum Vorschein. Jedes Fach hatte ein farblich gekennzeichnetes Etikett, auf dem etwas geschrieben stand.
»Was ist das?«
»Das ist mein Quick Kit.«
»Dein was?«
»Quick Kit.« Sie zog einen Stapel Papiere aus einem Fach und breitete sie auf dem Tisch aus. »Es gibt ein Kundenkontaktblatt mit Namen und Telefonnummern aller wichtigen Personen, ein Datenblatt mit einer Zusammenfassung der Produktlinien, die wir bewerben, eine Liste meiner Teammitglieder, die für den Kunden arbeiten, einige Budgetinformationen, Grafiken von den Logos des Kunden, eine Auflistung der bevorzugten Schriftarten und PMS-Farbcodes und eine Zusammenfassung des aktuellen Projekts.«
Ich starrte sie an.
»Was ist?«
»Wofür das alles?«
»Nun, ich bewahre das Quick Kit im Aktenschrank im Bereich des Großraumbüros der Marketingabteilung auf, sodass jeder, wenn ein Kunde anruft, die Informationen zur Hand hat und mit dem Kunden sprechen kann, nachdem er einen Blick auf die Dokumente geworfen hat. Ich verwende es auch, wenn ich zu Meetings gerufen werde, um dem Führungsteam aktuelle Informationen über den Kunden zu geben. Aber ich dachte mir, wir könnten es heute nutzen, wenn wir die Kunden durchgehen.«
Mist. So eine ist sie – super organisiert und neurotisch.
Ich richtete meinen Blick auf die Mappe. »Und was hat es mit den verschiedenen Farben auf sich?«
»Jede Kunde hat seine eigene Farbe, und alle Werbemittel und Dateien sind farblich gekennzeichnet, sodass es einfach ist, etwas abzulegen und Informationen zusammenzusuchen.«
Ich kratzte mich am Kinn. »Weißt du, ich habe eine Theorie über Menschen, die mit Farbmarkierungen arbeiten.«
»Ach ja? Und wie lautet die?«
»Sie sterben früh an Stress.«
Sie lachte, sah dann aber mein Gesicht.
»Oh, das war gar kein Witz, oder?«
Ich schüttelte langsam den Kopf.
Sie richtete ihren Ordner vor sich. »Also gut. Erzähl mir, warum Menschen, die ein Farbsystem benutzen, früher sterben?«
»Hab ich doch gesagt. Durch den Stress.«
»Das ist lächerlich. Wenn überhaupt, dann ist mein Stresspegel durch mein Farbleitsystem gesunken. Ich kann Dinge leichter finden und muss nicht mehr mühsam jede Schublade öffnen und alte Werbemittel durchforsten. Ich kann einfach nach einer Farbe scannen.«
»Das mag ja stimmen. Ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass du mich ein paarmal pro Woche Fuck rufen hörst, wenn ich etwas nicht finden kann.«
»Siehst du?«
Ich hob einen Finger. »Aber es ist nicht das Farbsystem an sich, das Stress verursacht. Es ist das ständige Bedürfnis nach Organisation, das zu Stress führt. Jemand, der nach Farben sortiert, denkt, dass alles seinen Platz hat, aber so funktioniert die Welt nicht. Nicht jeder will so organisiert sein, und wenn sich jemand nicht an dein System hält, führt das zwangsläufig zu Stress.«
»Ich glaube, du übertreibst. Nur weil ich gern Farben einsetze, heißt das nicht, dass ich ein neurotischer Organisationsfreak bin und mich aufrege, wenn etwas nicht an seinem Platz ist.«
»Ach ja? Gib mir dein Handy.«
»Wie bitte?«
»Gib mir dein Handy. Keine Sorge. Ich sehe es nicht durch und schaue mir all die Schmollmund-Selfies an, die du gespeichert hast. Ich möchte nur etwas nachprüfen.«
Zögernd hielt mir Annalise ihr Telefon hin. Alles war genau so, wie ich es vermutet hatte. Jede App war abgelegt und organisiert. Es gab sechs verschiedene Ordner, und die waren beschriftet: Social Media, Unterhaltung, Shopping, Reisen, Apps für die Arbeit und Dienstprogramme. Nicht eine einzige App befand sich außerhalb der kleinen organisierten Blasen. Ich klickte in die Social-Media-Blase, zog die Facebook-App heraus und ließ sie los. Dann ging ich in den Shopping-Ordner, nahm das Amazon-Symbol und zog es in die Social-Media-Blase. Ich zog die e-Art-App aus der Arbeitsblase und platzierte sie frei auf dem Display.
Als ich es ihr zurückgab, verzog sie das Gesicht. »Was soll das beweisen?«
»Deine Apps sind jetzt unsortiert. Das wird dich langsam verrückt machen. Jedes Mal, wenn du das Handy öffnest, um etwas zu tun, wirst du den starken Drang verspüren, die Symbole wieder dort abzulegen, wo sie hingehören. Am Ende der Woche wird dich das so sehr stressen, dass du nachgibst und alles in Ordnung bringst, um deinen Blutdruck zu senken.«
»Das ist doch lächerlich.«
Ich zuckte mit den Schultern. »Okay. Warten wir es ab.«
Annalise richtete sich auf ihrem Stuhl auf. »Und was genau ist dein System zur Kundenverwaltung? Was benutzt du, um die Kunden heute durchzugehen? Eine mit Bleistift auf die Rückseite eines Umschlags geschriebene Liste?«
»Nope. Ich brauche keine Liste.« Ich lehnte mich auf meinem Stuhl zurück und tippte mit dem Finger an meine Schläfe. »Fotografisches Gedächtnis. Es ist alles hier oben.«
»Gott steh uns bei, wenn dort alle Informationen sind«, murmelte sie.
Annalise verbrachte die nächsten zwei Stunden damit, alle ihre Kunden durchzugehen. Ich würde es nie laut zugeben, aber durch ihre hyperorganisierte Akte hatte sie Zugriff auf verdammt viele Daten und hatte sie sofort zur Hand. Sie war eindeutig die Beste in ihrem Fach.
Wir legten ein paar ihrer Übersichtsblätter beiseite, um zu notieren, welche Kunden sie neu verteilen wollte.
Als es an der Zeit war, über meine Kunden zu sprechen, wollte Annalise sich Notizen machen, anstatt wie ich nur zuzuhören. Das war wenig überraschend.
»Ich habe vergessen, einen Notizblock mitzubringen«, sagte sie. »Kann ich mir einen leihen?«
»Klar.« Um der Teamarbeit willen holte ich zwei Blöcke und einen Stift aus meiner Schreibtischschublade. Ohne mir etwas dabei zu denken, warf ich den einen vor ihr auf den Tisch und den anderen dorthin, wo ich gesessen hatte. Annalise bemerkte das Gekritzel auf der Vorderseite vor mir und drehte den Block zu sich herum.
Shit.
Ich versuchte, ihn ihr aus der Hand zu nehmen, aber sie zog ihn weg, sodass ich nicht mehr an ihn herankam. »Was haben wir denn hier? Hast du das alles gemalt?«
Ich streckte die Hand aus. »Gib mir das.«
Sie ignorierte mich und studierte lieber weiter meine Kritzeleien. »Nein.«
Ich hob eine Braue. »Nein? Du willst mir meinen Notizblock nicht zurückgeben? Wie alt bist du?«
»Ähm … anscheinend …« Sie wedelte mit dem Notizblock in der Luft und zeigte auf meine Kunstwerke. »… im gleichen Alter wie der zwölfjährige Junge, der das gemalt hat. Wenn du das den ganzen Tag bei der Arbeit machst, weiß ich nicht, worüber ich mir Sorgen gemacht habe. Ich dachte, ich müsste mit einem erfahrenen Profi um den Job konkurrieren.«
Ich hatte die schlechte Angewohnheit herumzukritzeln, wenn ich Musik hörte. Das tat ich immer dann, wenn ich eine kreative Blockade hatte oder eine Lücke zwischen zwei Projekten füllen musste. Ich hatte keine verdammte Ahnung, warum, aber das gedankenlose Skizzieren half mir, den Kopf freizubekommen, was wiederum die Kreativität anregte. Die Angewohnheit wäre nicht so schlimm – vielleicht ein bisschen peinlich, dass ein einunddreißigjähriger Mann immer noch täglich Superhelden an seinem Schreibtisch zeichnete – und nichts, was mich in Schwierigkeiten bringen würde … wenn die Superhelden männlich gewesenwären. Das waren sie aber nicht. Meine Superhelden waren durchweg Frauen … mit ausgeprägten Körperteilen. So wie die Karikaturen, die man von einem Straßenkünstler zeichnen lassen konnte, auf denen der Kopf fünfmal so groß war wie der Körper und man Rollschuh fuhr oder surfte. Ihr wisst, was ich meine, oder?
Wahrscheinlich habt ihr ein Bild von euch auf einem Einrad irgendwo hinten in eurem Schrank versteckt. Es ist zerrissen und zerknittert, aber ihr habt das verdammte Ding immer noch nicht weggeschmissen. Nun, meine sind so ähnlich. Nur sind bei meinen Schöpfungen nicht die Köpfe übertrieben groß, sondern die Titten. Oder der Hintern. Gelegentlich auch die Lippen, wenn mir danach ist. Ihr versteht, was ich meine.
Jonas hatte mich erst kürzlich wieder davor gewarnt, das Zeug im Büro herumliegen zu lassen, nachdem es einen kleinen Zwischenfall mit einer Frau von der Personalabteilung gegeben hatte, die unerwartet vorbeigekommen war und einen Blick darauf geworfen hatte.
Ich schnappte Annalise den Block aus der Hand, riss die Seite heraus und knüllte sie zu einem Ball zusammen. »Ich zeichne, um mich zu entspannen. Ich habe nicht gemerkt, dass ich den Block mitgenommen habe. Normalerweise reiße ich die Seite ab und werfe sie weg, wenn ich fertig bin. Ich entschuldige mich.«
Sie legte den Kopf schief, als ob sie mich studieren würde. »Du entschuldigst dich? Was genau tut dir leid? Dass ich sie gesehen habe oder dass du während der Arbeitszeit Figuren gezeichnet hast, die Frauen als Objekte darstellen?«
Das ist vermutlich eine Fangfrage. Natürlich tat es mir nur leid, dass sie sie gesehen hatte. »Beides.«
Sie blinzelte und starrte mich an. »Quatsch.«
Ich ging zurück zu meinem Schreibtisch, öffnete die Schublade, legte das zusammengeknüllte Blatt mit den Zeichnungen hinein, schloss sie und sagte: »Ich glaube, du bist noch nicht qualifiziert zu wissen, wann ich Quatsch rede. Wir haben insgesamt etwa eine Stunde miteinander verbracht.«
»Ich will dich mal was fragen. Wenn ich ein Kerl wäre – sagen wir einer deiner Freunde hier, mit dem du wahrscheinlich ab und zu zur Happy Hour gehst –, hättest du dich bei ihm entschuldigt?«
Nein, natürlich nicht. Noch eine Fangfrage. Ich musste nachdenken, wie ich sie richtig beantwortete. Zum Glück hatte ich schon an einer Schulung der Personalabteilung zu Einfühlungsvermögen und sexueller Belästigung teilgenommen, sodass ich die richtige Antwort parat hatte.
»Wenn ich annähme, dass es ihn kränken würde, ja.« Ich ließ weg, dass es keinen der Jungs kränken würde, mit denen ich außerhalb des Büros zu tun hatte … vor allem, weil ich nicht mit Pussys herumhing. Ich dachte, Jonas würde sich über meine Zurückhaltung freuen, wenn er es wüsste.
»Du hast dich also bei mir entschuldigt, weil du dachtest, es könnte mich gekränkt haben?«
Das ist leicht. »Ja.«
Ich hoffte, dass die Diskussion damit beendet war, und setzte mich. Annalise tat es mir gleich. Aber so schnell gab sie keine Ruhe. »Es ist also in Ordnung, Frauen als Objekte zu betrachten, nur nicht, wenn man denkt, man könnte damit jemanden kränken?«
»Das habe ich nicht gesagt. Du nimmst an, dass ich Frauen zu Objekten mache. Ich glaube nicht, dass ich das tue.«
Sie warf mir einen Blick zu, der sagte, dass sie das für Blödsinn hielt.
»Ich glaube, du bistdiejenige, die Frauen zu Objekten macht.«
»Ich?« Ihre Augenbrauen zuckten in die Höhe. »Ich mache Frauen zu Objekten? Wie das?«
»Nun, diese Zeichnung zeigt eine Superheldin – die Frau hat die Kraft zu fliegen. Jeden Tag springt sie von hohen Gebäuden und bekämpft das Verbrechen wie ein knallharter Typ. Und du nimmst an, dass sie, nur weil sie einen großen Busen hat, eine verrückte Fantasie ist. Du hast nicht einmal in Erwägung gezogen, dass Savannah Storm einen IQ von 160 hat und erst gestern eine alte Dame davor bewahrt hat, von einem Bus überfahren zu werden.«
Annalise zog eine Augenbraue nach oben. »Savannah Storm?«
Ich zuckte die Achseln. »Sogar ihr Name ist knallhart, oder?«
Sie schüttelte den Kopf, und ich sah den Anflug eines Lächelns. »Und wie sollte ich anhand deiner Zeichnung sehen, was für ein knallharter Typ Savannah ist?«
Irgendwie gelang es mir, eine ernste Miene zu bewahren. »Sie trug einen Umhang, stimmt’s?«
Annalise knickte ein und lachte. »Tut mir leid. Diesen deutlichen Hinweis muss ich übersehen haben, weil jede ihrer Brüste größer war als mein Kopf. Ich meine, ihr IQ hätte durch den Umhang offensichtlich sein müssen.«
Ich zuckte mit den Schultern. »Das kommt vor. Aber du solltest dich hüten, voreilig zu urteilen. Manche Leute könnten beleidigt sein und denken, dass du Frauen zu Objekten machst.«
»Ich merk’s mir.«
»Gut. Dann können wir uns jetzt vielleicht den wichtigen Kunden zuwenden – nämlich meinen.«
Annalise
Ich hatte versucht, ihn zu warnen.
Auch gestern Abend, als wir damit fertig waren, unsere Kunden durchzugehen, hatte ich erneut versucht, das heutige Gespräch mit der Bianchi Winery anzusprechen. Aber der selbstgefällige Idiot unterbrach mich, bevor ich erklären konnte, warum ich wusste, dass er keine Chance hatte, den Auftrag zu bekommen.
Also egal, ich hoffe, er hat den ganzen Vormittag mit einer völlig unnötigen Präsentation verschwendet, murmelte ich vor mich hin, als ich den langen Feldweg hinunterfuhr und bei der riesigen Trauerweide parkte. Wenn ich hier war, überkam mich immer eine große Ruhe. Der Anblick von Reihen ordentlich gepflanzter Weinstöcke, sich wiegender Weiden und gestapelter Fässer ließ Gelassenheit durch meine Poren sickern. Als ich aus dem Auto stieg, schloss ich die Augen, atmete tief ein und den Stress der Woche aus. Frieden.
Das dachte ich zumindest.
Bis ich die Augen öffnete und ein Auto bemerkte, das rechts neben dem großen, alten grünen Traktor parkte. Und dieses Auto war fast identisch mit meinem.
Er ist immer noch hier.
Bennetts Termin war heute Morgen um zehn gewesen. Ich warf einen Blick auf meine Armbanduhr, um mich zu vergewissern, dass ich nicht Stunden zu früh dran war. Aber das war ich nicht. Es war fast drei Uhr nachmittags. Ich hatte angenommen, dass er längst weg sein würde, wenn ich eintraf. Worüber zum Teufel konnten sie sich fünf Stunden lang unterhalten haben?
Knox, der Leiter des Weinguts, kam gerade mit einer Kiste Wein aus dem kleinen Ladengeschäft, als ich meine Unterlagen aus dem Auto holte. Er hatte schon auf dem Weingut gearbeitet, bevor überhaupt die ersten Traubenkerne gesät wurden.
»Hey, Annie.« Er winkte.