Kara Ben Nemsi - Neue Abenteuer 05: Das Geheimnis des Schut -  - E-Book

Kara Ben Nemsi - Neue Abenteuer 05: Das Geheimnis des Schut E-Book

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Beschreibung

Kara Ben Nemsi führt einen scheinbar aussichtslosen Kampf gegen die Übermacht seiner Feinde. Währenddessen offenbart sich das Geheimnis des Schut, das die ganze Welt in den Abgrund reißen kann.Die Printausgabe umfasst 208 Buchseiten.

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Hymer Georgy

DAS GEHEIMNIS DES SCHUT

In dieser Reihe bisher erschienen:

1801   Die Rückkehr des Schut von G. G. Grandt

1802   Die Rache des Schut von Hymer Georgy

1803   Der Fluch des Schut von Hymer Georgy

1804   In der Gewalt des Schut von Hymer Georgy

1805   Das Geheimnis des Schut

Hymer Georgy

Das Geheimnis des Schut

© 2016 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 Windeck

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Exposé: Guido Grandt

Titelbild: Mark Freier

Umschlaggestaltung: Mark Freier

Satz: Winfried Brand

Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-95719-115-1

VORREDE

Ohne es zu ahnen, hatten Hadschi Halef Omar und ich, Kara Ben Nemsi, mit einem Brief an Hamnd Memeh in Agadir eine Kette äußerst unheilvoller Ereignisse ausgelöst. Des Hadschis Vetter war daraufhin einem tödlichen Geheimnis des Explorations-Unternehmens Palangeur-Galingré auf die Spur gekommen, mit welchem der Schut und die intrigante Kalila in Verbindung standen. Nun war Hamnd Memehs mutiger Freund, genannt El Bachir, von dort aus auf dem Schiffsweg nach Tripolitanien, in der Hoffnung, uns informieren zu können. Erschwerend kam hinzu, dass neben Hadschi Halef Omar auch der beim Pascha von Tunis in Ungnade gefallene Krüger-Bei, sowie der abenteuerlustige Sir David Lindsay, aufgrund uns hinterlistig zur Last gelegter Verbrechen als vogelfrei galten. Die Spur der drei verlor sich wiederum gegenwärtig allerdings beim Wadi Sawfajjin, zweieinhalb Tagesritte südlich von Tripoli. Alles in allem keine guten Aussichten.

Ich selbst befand mich zuletzt über zehn Tage lang in der Gewalt des Schuts und der nördlichen Sanussia-Bruderschaft. In einer abgelegenen Oasensiedlung erlitt ich unmenschliche Qualen. Ausgerechnet jene teuflische Kalila, die mich zu einer fragwürdigen Mission jenseits des weit entfernten Tibesti-Gebirges verlocken wollte, verdankte ich es, überhaupt noch am Leben und nicht in einer Folterkammer des Verbrechers verdurstet zu sein. Nun jedoch war es mir möglich gewesen, einen ernstlichen Fluchtversuch zu wagen, um mein Wissen über die Pläne des Schuts zu dem deutschen Offizier Alexander von Krischlow zu bringen. Umringt von meinen zahlreichen Feinden hielt ich gegenwärtig dem Bruderschafts-Anführer Mutalar el-Dirza ein Messer an die Kehle, um meine Freiheit zu erzwingen. Der Schut richtete soeben den mir gehörenden Henry-Stutzen aus, bereit, auf mich und meine Geisel zu schießen. Und auch Khanar, jener schwarze Hüne mit den Bärenkräften, den ich zuvor im Zweikampf besiegte, würde kaum Gnade kennen ...

1. Ein Hauen und Stechen

Am Rande des Fessan, im Bani Waled, Oasensiedlung As Saddādah, Juni 1882{2}

Fieberhaft schossen mir die Gedanken durch den Kopf. Die Situation war völlig aufgeladen und konnte jeden Moment eskalieren. Um mich herum, wenn auch in gewissem Abstand, tobten aufgeregt ungefähr sechzig Sanussia, sonstige Bewohner der Siedlung und die Männer des Schuts. Fackeln und Laternen brannten, verursachten ein schauriges Spiel aus Licht und Schatten. Ich dachte freilich nicht daran, aufzugeben! So weit war ich nun gekommen. Ich hatte einiges in Erfahrung gebracht, das unbedingt seinen Weg nach al-Chums finden musste, zu Gehör des ehrenwerten Oberstleutnants Alexander von Krischlow. Jener agierte im Auftrage des Deutschen Kaiserreiches seit einer geraumen Weile in Tripolitanien.{3}

Der Schut zeigte keinerlei Bedenken, erst Mutalar el-Dirza und anschließend mich zu erschießen, das musste ich freilich berücksichtigen. Doch als der Verbrecher auf mich und meine nur gegenüber den Sanussia taugliche Geisel anlegte, sah ich zu meiner Überraschung, dass Khanar sich diesem zuwandte. Offenbar befürchtete er wie ich zu Recht, dass der Schut nicht nur mich, sondern auch el-Dirza zu treffen bereit war. Khanar packte den hinteren Lauf des Stutzens, hob ihn samt des Schuts, der sich noch daran klammerte, unglaublicherweise etwas in die Höhe, und entriss ihm kraftvoll das Gewehr. Dann stieß Khanar den derart überraschten Schut nieder in den Staub, drehte das Gewehr herum und richtete es auf den nun dort Liegenden. Der Schut, seinerseits nun auch nicht eben einer der Schmächtigsten, erstarrte und glaubte wohl im selben Moment, sein endgültig letztes Stündlein habe geschlagen!

Die beiden Aladschy, eben noch im Begriff, sich mir von den Flanken her zu nähern und mit ihren Beilen Hackfleisch aus mir zu machen, hielten inne. Sogleich ließen sie von ihrer Idee ab und wollten ihrem niedergeschlagenen Anführer zur Hilfe eilen. Doch Khanar hatte sich zu seiner vollen Größe aufgebaut und rief laut ein arabisches Wort, das ich nicht kannte. Es musste sich um ein geheimes Zeichen handeln, das vorher vereinbart worden war. Denn augenblicklich griffen alle Sanussia zu ihren Waffen, welche sie auf meine Drohung hin, el-Dirza zu töten, hatten fallen lassen, während weiterhin mein Messer an der Kehle ihres Oberhauptes saß. Ich drückte etwas fester zu. Zu meinem Erstaunen legten die Bruderschaftler jedoch nun nicht etwa auf mich an, sondern auf die Männer des Schuts, die sich zwischen und neben ihnen aufhielten. Der Pockennarbige, ein übler Geselle des Schuts, ließ, gleich von vier Gewehrläufen aus allen Richtungen bedroht, seine weiteren Pistolen fallen, die er inzwischen fast unbemerkt gezogen hatte.

„Was verlangst du, Giaur?“, fragte der schwarze Khanar vom Stamme der Wadai nun in meine Richtung. Er hielt den Stutzen in der Hand, allerdings weiterhin, ohne auf mich anzulegen. Vielmehr bedrohte er damit fortwährend den Schut. Ich überlegte fieberhaft. Das Blatt schien sich ein wenig zu meinen Gunsten zu wenden. Gerade noch saß ich in der Falle, doch nun hatte ich Mutalar el-Dirza in meiner Gewalt! Im Gegensatz zum Schut waren die Sanussia keineswegs bereit, ihren heiligen Anführer zu opfern, um mich an der weiteren Flucht zu hindern. Ich musste mir aber sehr wohl überlegen, was ich jetzt sagte.

„Das Gewehr, das du da in deinen Händen hältst!“, gab ich in barschem Ton von mir, ohne meine Geisel auch nur einen Moment lang loszulassen.

„Was ist damit?“ Seine Stimme klang nicht freundlicher als meine zuvor.

„Es ist das Meinige! Der Schut hat es mir gestohlen. Gib es her.“ Es wäre ein Anfang, wenn er darauf einging, und sein Verhalten würde mir zeigen, ob er einen Trick zu versuchen anstrebte. Er warf einen Blick auf die Zauberflinte, mit der man fünfundzwanzig Mal schießen konnte, ohne nachzuladen – allerdings nur, wenn sich auch genügend Patronen darin befanden. Ein Grinsen flog über sein Gesicht.

„Lügner! Aber wenn das alles ist?“, zischte Khanar abfällig. „Meinst du, dir gelänge damit die Flucht? Gib auf, Giaur! Unsere Brüder werden dich in Stücke reißen, wenn du Mutalar el-Dirza etwas antust!“

„Und ich werde ihn töten, wenn ihr euch mir nähert.“ Freilich verfolgte ich nicht wirklich diese Absicht. Mord war mir zuwider – aber es sollte ernsten Willen genug erkennen lassen, sie davon abzuhalten, ihre augenblickliche Gesinnung zu ändern. Ich fuhr fort: „Ihr habt Wohl daran getan, indem ihr die Männer des Schuts hindertet, mich anzugreifen, obwohl euer Anführer in meiner Gewalt ist. Macht nun aber keinen Fehler!“

Der Schwarze nickte, während sein Grinsen langsam nachließ. Dann legte er den Stutzen auf die Erde und stieß ihn mit dem Fuß zu mir herüber über den flachen Sand. Der Schut bemerkte es mit gewissem Wohlgefallen, sah er sich doch nun nicht mehr so direkt bedroht wie zuvor. Allerdings nahm sofort ein anderer Sanussi neben ihm mit einer Flinte Aufstellung und hielt den Schut im Auge.

Etwa zwei Schritte vor mir blieb der Stutzen liegen. Khanar hatte es geschickt eingerichtet, denn um ihn aufzunehmen, würde ich etwas näher zu ihm kommen und el-Dirza kurz loslassen müssen. Ich fiel freilich nicht drauf herein.

„Tretet alle zehn Schritte zurück!“, forderte ich nun, und fast meinte ich, in den Augen Khanars so etwas wie bewunderndes Anerkennen ausmachen zu können. Dieser Mann war wesentlich mehr als ein einfacher Leibwächter, davon war ich jetzt überzeugt! Er betrachtete mich ebenso wie sich selbst als gewieften Kämpfer, mich, dem es gelungen war, ihn im Faustkampf zu besiegen – wenn es dabei zuletzt auch des Kolbens eines Gewehres bedurfte.

Der Schut richtete sich langsam auf, nun, nachdem Khanar nicht mehr selbst mit dem Stutzen auf ihn zielte. Wenn Blicke allein zu töten vermochten, wäre es in diesem Augenblick um beide geschehen gewesen, so, wie sie sich gegenseitig ansahen. Auf ein Zeichen des Schwarzen hin bewegten sich alle, die Sanussia ihre Waffen weiterhin auf die Männer des Schuts angelegt, nach rückwärts von Haus und Olivenbaumhain fort, vor dem sich alles abspielte. Nur Khanar blieb in meiner Nähe. „Du auch!“, forderte ich ihn auf. Er jedoch schüttelte den Kopf. „Du verstehst, dass ich nicht anders kann, als meinen Herrn zu beschützen!“

„Du beschützt ihn am besten, indem du tust, was ich dir sage.“

„Was hast du vor?“

„Ich werde ihn mit mir nehmen.“

„Das kann ich nicht zulassen! Du würdest ihn töten, dich rächen wollen für das, was dir widerfahren ist!“

Ich überlegte. „Khanar. Stimmt es, dass ich dich im Zelte dort drüben besiegt habe?“, fragte ich dann.

„Ja“, gab er missmutig knurrend zu.

„Und stimmt es auch, dass es mir ein Leichtes gewesen wäre, dich zu töten, nachdem du bereits bewusstlos warst?“

„Auch das stimmt.“

„Und der andere Wachtposten, der ins Zelt kam, habe ich diesen umgebracht?“

„Nein, du schontest ihn und schlugst ihn ebenfalls nur nieder, um ihn zu knebeln.“

„Und tötete ich einen Mann, der eine Pistole auf mich richtete, mit deinem Wurfeisen?“

„Nein – es war mein eigener Wurf, der dich verfehlte und an deiner statt ihn traf, Giaur“, musste er eingestehen.

„Und als ihr mich jetzt bis hierher verfolgt habt, feuerte ich da gezielt auf euch, um euch zu töten?“

„Nein, du hast über unsere Köpfe hinweg geschossen. Nur einen hast du wohl in den Arm getroffen, als er dich mit dem Messer angriff. Aber das gebot dir die Selbstverteidigung, die jedem Manne gewährt ist, der sich in tödlicher Gefahr befindet.“

„Dann wirst du mir schließlich auch beipflichten, dass ich kein gemeiner Mörder bin, wie der Schut und Kalila es euch bislang einzureden vermocht hat.“

„Schon möglich. Ich kenne aus eigenem Erfahren nur deine Handlungen hier, und nicht solche, die du an anderen Orten, wie in Sliten, begangen haben magst.“

„So höre: Ich werde Mutalar el-Dirza mit mir nehmen! Aber ich werde ihn nicht töten und auch nicht an die Behörden in al-Chums übergeben. So, wie es eigentlich mein Wille sein müsste, nachdem eure Bruderschaft dort Mord und Totschlag begangen hat. Vielmehr werde ich ihn freilassen und zu euch zurücksenden, sobald ich in Sicherheit bin.“

„Warum sollte ich dir das glauben? Die Männer im Hafen von al-Chums, die wir töteten, waren überwiegend Deutsche, und auch du bist Deutscher, und die uns verhasste Armee des Sultans wird von den Deutschen unterstützt.“

Seine Worte machten mir klar, dass er in Kalilas Pläne noch nicht völlig eingeweiht sein konnte. Er misstraute den Deutschen, er misstraute mir. Weshalb sollte er uns, mich, in den Süden jenseits des Tibesti-Gebirges zu seinem Stamm führen, so wie Kalila es wollte? Es stand also noch bei ihr an, Khanar für ihre eigenen Pläne zu gewinnen. Ich sprach weiter: „Das ist wahr. Ich aber bin ein Mann des Friedens. Ich möchte der Eskalation ein Ende setzen. Was hat es euch denn bislang gebracht, mit dem Schut gemeinsame Sache zu machen?“

„Reichtum und Sieg!“, sagte er mit der Inbrunst der Überzeugung.

„Irdischen Reichtum und fragwürdigen Sieg“, korrigierte ich ihn. „Wenn ihr wirklich Männer des wahren Glaubens seid, Anhänger der Turuq, die zur wahren Lehre zurückkehren wollen, dann dürft ihr euch nicht mit jenen Ungläubigen verbünden, um euer eigenes irdisches Wohl zu mehren. Ja, genau das ist der Schut – er ist ein Ungläubiger, der die Religionen selbst nicht achtet und die Menschen verschiedenen Glaubens gegeneinander ausspielt. Und die Frau in seiner Begleitung, jene Kalila, ist nicht besserer Gesinnung als er selbst!“

Khanar schien mir ein halbwegs intelligenter Mann zu sein und ernstlich über meine Worte nachzudenken. „So nimm das Messer von der Kehle unseres Anführers und lass uns hier beratschlagen, was wir weiter tun sollen“, forderte er, aber ich musste mir denken, dass dies lediglich eine List war. Sobald ich el-Dirza frei gab, würden sie über mich herfallen. Allein schon, weil ich selbst ein Ungläubiger war, der es gewagt hatte, ihren verhinderten Heiligen gefangen zu nehmen.

„Nein!“, sagte ich daher äußerst scharf. „Es geschieht nach meinem Willen! Zurück also!“

Er sah wohl ein, dass ich mich so einfach nicht hereinlegen ließ.

„Nun gut!“, kam es ihm trotzig über die Lippen. Dann wich er zurück, nicht ganz so weit wie die anderen, aber doch so viele Schritte, dass ich mich mit Mutalar el-Dirza vorwärts bewegen und den Henry-Stutzen aufnehmen konnte. Vorher machte ich meiner Geisel durch ernstliche leise Worte klar, was geschehen würde, wenn er einen Fluchtversuch wagte, und so unterließ er jegliche Gegenwehr, als ich, um nach dem Gewehr zu greifen, ihn für einen kurzen Moment loslassen musste. Khanar erlaubte sich bei der Gelegenheit erneut einen kurzen Schritt nach vorne, aber es bedurfte nur eines strengen Blickes meinerseits, um ihn vom weiteren näherkommen abzuhalten.

Nachdem ich den Stutzen geschultert hatte, hielt ich el-Dirza wieder fest in den Händen. Keiner der Sanussia war auf die Idee verfallen, mich anzugreifen. Die Männer des Schuts wagten es ebenso nicht, da sie weiterhin in die Gewehrläufe der Bruderschaftler blickten und zuweilen auch selbst Messer an ihren Kehlen spürten. Einige besaßen zwar selbst noch Waffen, trauten sich allerdings gegenwärtig nicht, danach zu greifen.

Es wurde nun eine Gasse so weit gebildet, dass ich mich mit dem Anführer der Sanussia zu den Pferden hin bewegen konnte. Ich kommandierte zwei unbewaffnete ältere Dorfbewohner herbei und wies sie an, zwei derjenigen Tiere zu satteln, die mir einigermaßen geeignet schienen, uns über eine lange Strecke durch die Nacht zu tragen. Die wirklich viel besseren Tiere befanden sich unterwegs mit den jüngeren Dorfbewohnern zu den Berberspielen. Auch ein paar Wasserschläuche ließ ich aufladen. Die Männer verfuhren wie aufgefordert, ohne sich zu sträuben, obwohl während der gesamten Zeit äußerste Anspannung herrschte. Das vorherige Gejohle war inzwischen beinahe beängstigender Totenstille gewichen. Ständig musste ich damit rechnen, dass sie ihre Meinung änderten. Aber ihr Interesse galt noch der Sicherheit meiner Geisel.

Ich steckte nun das Messer ein, nahm schnell den Stutzen von der Schulter und richtete ihn dann auf el-Dirzas Nacken. Dieser bestieg jenes der Pferde, das ich ihm zuwies, und ich folgte selbst nach einem sichernden Blick zu dem Pulk der Menschen hin auf das andere. Dann nahm ich seines beim Zügel, richtete abermals den Gewehrlauf auf el-Dirza und trieb beide Pferde etwas an, während ich seitwärts hinter mich blickte, um zu sehen, ob man etwa auf mich anlegte. Das war nicht der Fall, Khanar verhinderte es mit einem kurzen, grimmigen Seitenblick und knappem Kopfschütteln, als einer der Bruderschaftler dazu ansetzen wollte. Wenige Augenblicke später hatten wir die inzwischen völlig wache und durch zahllose Fackeln erleuchtete Oasensiedlung hinter uns gebracht.

*

„Ihnen nach! Ihnen nach!“, forderte laut rufend der Schut, doch Khanar gebot ihm wütend, zu schweigen. Da blickte der Schut erst zur einen, dann zur anderen Seite hin. Die beiden Aladschy, die sich nicht hatten entwaffnen lassen, fingen diesen Blick auf. Sie nickten zugleich, da sie wussten, was sie zu tun hatten. Der Schut hatte befürchtet, dass es irgendwann zu einer Auseinandersetzung zwischen den Sanussia und seinen Leuten kommen würde, und hatte sie daher entsprechend angewiesen. Das Signal erfolgte ebenso knapp wie eindeutig zwischen ihnen.

Sandar schlug genau wie Bybar plötzlich mit dem Beil zu und hackten den sie direkt umstehenden Sanussia in die Hände mit den Waffen. Es gab einen Knall, als sich ein Gewehr entlud. Die von den scharfen Beilen Getroffenen schrien auf, als sie die Stummel ihrer Finger und das Blut sahen. Dann ging alles sehr schnell, denn die Männer des Schuts warfen sich nun auf ihre Gegner. Es war dies der Mut der Verzweiflung, denn sie hatten allesamt die sie diskreditierenden Worte vernommen, welche Khanar und ich gewechselt hatten. Ihre Gedanken waren wohl klar: Wenn die Sanussia dem nemtsche mehr glaubten als dem Schut, war es sämtlich um sie geschehen!

In den nächsten Momenten begann ein brutales Hauen und Stechen, das sehr schnell Opfer auf beiden Seiten forderte. Die Aladschy wüteten wie die Berserker unter den Sanussia. Keiner in ihrer Umgebung, der nicht binnen kürzester Zeit verletzt war, ohne selbst auch nur eine Schramme davonzutragen. Bybar mit lediglich einer Hand und Sandar mit dem steifen Bein kämpften härter und stärker als jene Männer, die sich ihnen in den Weg stellten. Es war dies eine Folge der Erfahrung und der Rücksichtslosigkeit. Auch kam ihnen zugute, dass die jüngsten und kräftigsten der Männer des Dorfes zu den Berber-Reiterspielen fortgezogen waren, deren Vorbereitungen ich während meiner Gefangenschaft gesehen hatte.

Immer heftiger wurde das Gemetzel, das sich abspielte – sie brachten sich gegenseitig um. Jene Dorfbewohner, die nicht oder nur wenig bewaffnet waren, stoben auf und davon. Der von jeher schwerbewaffnete Pockennarbige zog eine weitere seiner Pistolen und feuerte damit mehrfach in die Menge, was zwei oder drei der Bruderschaftler zu Boden stürzen ließ. Der Schut ergriff sich einen, schlug ihn nieder und entwendete diesem das Gewehr. Damit legte er an und feuerte zweimal aus der Hüfte. Während er einen Sanussi traf, entging Khanar der ihm zugedachten Kugel und wollte sich dann auf den Schut stürzen. Jedoch wurde er von drei Männern desselben umringt und diese versuchten gemeinsam, ihn zu Boden zu bringen. Vergeblich freilich, denn nun spielte der Schwarze seine überlegene Körperstärke aus und schüttelte sie einen nach dem anderen ab. Auch er kämpfte mit aller Kraft. Seine Gegner flogen in hohem Bogen durch die Luft, blieben zumeist reglos liegen.

An einer anderen Stelle fand ein heftiges Säbelklirren statt. Beide Kontrahenten waren einander ebenbürtig, doch dann gewann der Mann des Schuts einen Vorteil, indem er sich auf die Umfassung des Dorfbrunnens schwang und von oben herab focht. Ein letzter Hieb fuhr dem Sanussia unterhalb in den Kopf, und dieser starb, noch während er fiel. Dann sprang der Mann des Schuts herab, um sogleich von einer hierher verirrten Kugel getroffen zu werden. An anderer Stelle fochten zwei gegen einen, und noch woanders gab es eine Schießerei auf kürzeste Distanz, nach der alle vier Beteiligten zusammensanken. Das Durcheinander nahm zu, und die Toten mehrten sich.

Jene Männer, die der Schut von seiner kürzlich erfolgten Reise nach Qasr al Zaafran mitgebracht hatte, erwiesen sich als äußerst brutal und schlagkräftig. Fast konnte man meinen, dass sie irgendeine Art von soldatischer Ausbildung absolviert hatten. Sie kämpften, im Unterschied zu den Sanussia, mit besonderer Raffinesse und Härte. Der Heftigkeit folgten Rage und Verzweiflung, auf beiden Seiten. Bald war der Boden bedeckt von leblosen Körpern oder solchen, die in letzten Regungen zuckten. Kriegerische Schlachtfelder in Europa oder im Bürgerkrieg Amerikas konnten nicht entsetzlicher ausgesehen haben. Der Sand wurde mehr und mehr mit dem Blute der erbitterten Gegner getränkt.

Weitere Schüsse fielen, nun zahlreich, in nicht enden wollender Folge. Klingen stießen heftig aufeinander, unvorsichtig fallengelassene Fackeln und Laternen setzten vereinzelte trockene Büschel Grases, auch mal eine einfache Hütte, oder sonstiges in Brand. Bald setzte sich der Kampf ringsherum, in die Häuser und in den Olivenhain hinein, fort. Das Gatter, in welchem sich die Rindviecher befanden, wurde beschädigt. Die in ihrer Ruhe gestörten Tiere schreckten hoch, sammelten sich, um dann durch die Umzäunung zu brechen. Sie bahnten sich ihren Weg durch die Kämpfenden, hier und da wurden die Menschen Opfer spitzer Hörner. Es war den Bullen dabei völlig egal, ob es sich um Sanussia oder Männer des Schuts handelte. Alles, was im Weg stand, wurde unter wilder Stampede niedergetrampelt. Mit lautem Gebrüll entfernten die Tiere sich über die Hauptstraße des Dorfes, um in der Dunkelheit zu verschwinden.

Zwar wurde der Kampf zuletzt insgesamt nicht mehr von außerordentlich vielen Männern geführt, doch diejenigen, die noch beteiligt waren, verstanden sich über alle Maßen darauf, die Waffen zu führen. So dauerte es länger, als man gemeinhin annehmen konnte, der nahende Sieg wogte zwischen beiden Parteien hin und her, es schien beinahe so, als würde am Ende gar niemand mehr übrig bleiben, außer einigen verängstigten Frauen, Kindern und Alten in den Häusern oder Hütten.

Schließlich aber hatten beide Seiten einander so weit dezimiert, dass nur noch wenige Kämpfende übrig blieben. Auf Seiten des Schuts waren dies vor allem Sandar und Bybar, sowie einige der härtesten Neulinge. Die restlichen Männer der Bruderschaft wurden weiterhin von Khanar angetrieben. Gerade hatte der Schwarze den Pockennarbigen gepackt und drückte diesem den Hals zusammen. Die Augen quollen ihm sichtlich aus den Höhlen, dann zerquetschte ihm der Leibwächter el-Dirzas den Kehlkopf. Der Pockennarbige sank tot zu Boden. Schnell drehte Khanar sich um und konnte gerade noch einem tückischen Beilhieb Bybars ausweichen. Dann wurde der einhändige Aladschy in den Kampf mit zwei anderen verbliebenen Sanussia verwickelt. Auch Khanar sah sich einem weiteren Mann des Schuts gegenüber, mit dem er jedoch sehr schnell fertig wurde. Ein einziger Fausthieb genügte, dem Angreifer mehrere Rippen zu brechen und ihn zu Boden zu werfen. Dort, wo sie sich inzwischen befanden, lagen bereits weitere Tote. Einem von ihnen steckte das Shongo noch in der Brust, das Khanar bereits vor der jetzigen Auseinandersetzung einmal warf, aber damit versehentlich den eigenen Mann tötete. Khanar beugte sich herab und zog die Waffe kraftvoll heraus. Damit konnte er umgehen, und schon fielen zwei weitere zuvor heftig kämpfende Männer des Schuts des Shongos äußerst scharfen Klingen zum Opfer.

Der Schut selbst hatte sich, einen erbeuteten Revolver in der Hand, mehr und mehr aus dem Zentrum des Kampfes zurückgezogen. Gerade erschoss er einen seiner Widersacher auf kürzeste Distanz und wollte einen weiteren auf Abstand töten, als der Hahn der Waffe nur noch auf leere Kammern stieß. Er warf sie wütend weg. Genau in diesem Augenblick erschien Khanar in des Schuts Nähe. Der Schwarze fletschte siegesgewiss die Zähne. Mit seinem Shongo trat Khanar dichter zum Schut, um diesem den halben Kopf abzuschlagen. Freilich, die Bruderschaft im Zweig unter Mutalar el-Dirza war nicht des Glaubens reine Lehre – aber Kara Ben Nemsi hatte recht gehabt, dachte der Schwarze: Dieser Mann, der Schut und seine Geliebte, waren des Teufels!

Khanar hob die blitzenden Klingen an ihrem geschwungenen Griff, und sie sausten hernieder, bevor der Schut auszuweichen vermochte. Doch im selben Moment ging ein kurzes Zucken durch den Körper des gewaltigen Schwarzen. Als wäre er von einem plötzlichen Schwindelanfall betroffen, taumelte er einen Schritt nach vorn, und so ging der Hieb einigermaßen fehl, knapp über sein wehrloses Opfer hinweg. Lediglich ein größeres Haarbüschel und ein Stück der Kopfhaut wurden messerscharf hinfort rasiert.

Der Schut rollte herum und kam mühsam auf die Beine, ohne dass Khanar einen weiteren Versuch anstrengte, sein tödliches Werk zu vollenden. Das Muskelpaket drehte sich langsam um, sehr langsam, für seine sonst so geschickte Gewandtheit, die er nunmehr im Kampf erneut bewiesen hatte. Das Shongo entglitt seiner geöffneten Faust und fiel zu Boden. Ungläubig starrte er auf die Person, die sich einen Schritt von ihr entfernt aufhielt: Kalila! Wo kam sie plötzlich her?, schien er noch zu denken. Er wollte etwas sagen, doch keine Silbe glitt über seine Lippen.

Die Geliebte des Schuts hielt ihr Bussaadi in der Hand, welches sie soeben dem Schwarzen mit aller ihr möglichen Gewalt in den Rücken gestoßen hatte. Durch dessen Bewegung beim Schlag gegen den Schut war es sogleich aus der beigebrachten Wunde wieder herausgerissen, und so lag es nun bluttropfend zwischen ihren eigenen Fingern, besudelte selbige wie des leibhaftigen Teufels Schandmal. Sie wich zurück, als könne sich Khanar sogleich für die heimtückische Attacke zu rächen versuchen. Und tatsächlich machte er erst einen Schritt, dann noch einen, auf sie zu. Seine weißen Augen wurden größer und größer, erstrahlten noch einmal wie sterbende Sterne in der Dunkelheit. Er versuchte Kalila zu packen, allerdings vergebens. Dann knickte er ein, auf die Knie. Er wollte im Fallen einen seiner mächtigen Arme zum Schlag erheben, doch das Leben entrann ihm schneller, als sein Gehirn den Muskeln Befehle zu erteilen vermochte. Ein röchelnder Laut entfuhr seinem Munde, dann stürzte er mit dem Oberkörper nach vorn zu Boden und blieb liegen.

Kalila stand mit grimmiger Miene da, gegenwärtig keiner besonderen Regung fähig, und blickte hinab auf denjenigen, den sie soeben getötet hatte. Sie trug ein weites Kleid, das sie wohl in der Eile angezogen hatte, kein Kopftuch verhüllte sie, und ihr Haar fiel weich bis hinab über ihre Schultern. Der Blick, der in ihren Augen lag, mochte die Hölle zu Eis gefrieren lassen. Sie sagte kein Wort, stand nur da, atmete heftig, zitterte ein wenig, aber nicht etwa vor Furcht, sondern mehr vor mordlustiger Erregung.

Der Schut fasste schnell nach dem Shongo, das Khanar hatte fallen lassen, sprang auf und trat über Kalilas Opfer, doch er erkannte sogleich, dass es nicht notwendig war, selbst nochmals damit zuzuschlagen. Das Bussaadi war Khanar im Rücken zwischen die Rippen eingedrungen, genau dort, wo das Herz im Rumpf zu finden war. Nur ein ganz kleiner, leicht blutender Riss war dort in der Haut zu sehen. Kaum wahrnehmbar, aber sehr exakt angebracht! Khanar musste beinahe augenblicklich den Tod gefunden haben und innerlich verblutet sein.

„Sollte Khanar nicht unser Führer in den Süden sein, zu den Wadai?“, fragte der Schut, noch deutlich außer Atem vom Kampf. Er war blutbesudelt, aber bei ihm war es das Blut seiner Feinde.

„Hätte ich ihn dir vielleicht den Kopf abschlagen lassen sollen?“, entgegnete Kalila trocken. Natürlich ging es ihr gegen den Strich, dass sie den Schwarzen hatte töten müssen. Aber die ursprünglichen Pläne hatten sich mit der Flucht Kara Ben Nemsis wohl ohnehin erledigt. Sie fluchte auf übelste Weise in ihrer Muttersprache. Dann besann sie sich. Zumindest sie selbst musste einen klaren Kopf bewahren! Noch war nicht alles verloren!

„Hauptsache, ich erhalte trotzdem meinen Lohn!“, rief der Schut gleichwohl erregt. „Es ist schließlich nicht meine Schuld, dass Kara Ben Nemsi entkommen ist, sondern deine!“

Sobald die noch verbliebenen Sanussia bemerkten, dass der Leibwächter und engste Vertraute Mutalar el-Dirzas gefallen war, ließ deren Entschlossenheit und Kampfeswille freilich schlagartig nach. Wenige Momente später waren sie von den übrigen Gefolgsleuten des Schuts endgültig überwältigt, und, wenn nicht getötet, so doch kampfunfähig gemacht und entwaffnet.

Mālik al-maut, der Engel des Todes,

2. Des Schicksals tückische Wendungen

Kaum war ich mit Mutalar el-Dirza losgeritten, fielen hinter uns zahlreiche Schüsse, und Kampfesgeschrei ertönte. Mir wurde sofort klar, dass der Schut und die Sanussia wegen meiner Flucht einander ernstlich in die Haare geraten sein mussten. Sollten sie! Auch wenn ich ein wenig Mitleid verspürte – auf diese Weise würde uns so schnell niemand folgen!

Wir drehten uns beide auf unseren Reittieren kurz um und blickten zurück, konnten aber freilich auf die angewachsene Entfernung in der Nacht nichts Genaues erkennen. Nun also brachten sich alle Mörder und Verbrecher gegenseitig um. Gut? – Mit leichtem Entsetzen musste ich einen Moment später daran denken, was wohl mit den einfachen Dorfbewohnern geschehen konnte, falls die Gefolgsleute des Schuts obsiegten – obwohl letztere deutliche Unterzahl litten.

Irgendwann verstummten die Schüsse hinter uns. Ich trieb, noch nichts wissend vom Ausgang der Geschehnisse dort, Mutalar el-Dirza auf dem Pferd vor mir her zur Eile. Es entging mir nicht, dass er versuchte, den Ritt zu verzögern. Allerdings war der Henry-Stutzen in meiner Hand ein überzeugendes Argument, selbiges halbwegs bleiben zu lassen. Der Sanussia-Anführer wagte keinen aktiven Widerstand. Er glaubte mir zwar längst noch nicht, dass ich ihn laufen lassen würde, sobald ich in Sicherheit war, aber er versuchte auch nicht die Flucht. Das machte es einigermaßen einfach, mit ihm umzugehen. Ich hatte ihn nicht einmal an den Händen gebunden, um ihn nicht auch noch des letzten Quantums seiner Würde zu berauben, war er doch ohnehin nicht vollständig bekleidet. Zu überraschend gestaltete sich zuvor unsere Begegnung während meiner Flucht für ihn. Er schien es zudem nicht gewohnt, auf einem Pferd zu reiten, und vermisste sein ihm treues weißes Kamel.

Mutalar el-Dirza schien absolut überzeugt davon, dass seine Leute die obsiegenden wären, da der Prophet auf deren Seite sei und ihnen Beistand gewähren würde gegen jene Ungläubigen, denen sie für eine Weile für etwas irdischen Reichtum gefällig gewesen waren. In der Tat waren es ja seine Bruderschaftler gewesen, welche die Waffen in den Händen hielten, als wir As Saddādah verließen. Trotzdem hatte ich, dies, wie sich später ja noch erweisen sollte, zu Recht, ein absolut ungutes Gefühl. Wer aber auch immer obsiegte: Weshalb folgten sie uns dann nicht sogleich?

Ich wagte keinen Moment der Unaufmerksamkeit. Noch lag die Dunkelheit über der Wüstengegend, doch schon bald graute der Morgen, und dann würden uns zweifellos die Häscher auf den Fersen sein! Entweder die Sanussia oder aber die Leute des Schuts, je nachdem, wer derer beider Auseinandersetzung überlebt haben mochte. Keine der Gruppen würde mein Leben verschonen: die Sanussia nicht, nachdem ich sie derart blamiert hatte, indem ich ihren Anführer zu meiner Geisel machte, und der Schut schon gar nicht, dem seine Rache immer noch etwas mehr zu bedeuten schien als der unfassbare Reichtum, den Kalila ihm offenbar versprach.