Kara Ben Nemsi - Neue Abenteuer 06: Der Krieg des Schut -  - E-Book

Kara Ben Nemsi - Neue Abenteuer 06: Der Krieg des Schut E-Book

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Beschreibung

Tod oder Leben?Krieg oder Frieden?Inmitten des Urabi-Aufstandes entscheidet sich das Schicksal der Welt. Und auch Kara Ben Nemsi und seine treuen Gefährten treten zum Showdown mit dem Schut und seinen Handlangern an.Abschlussband des Schut-ZyklusDie Printausgabe umfasst 208 Buchseiten.

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Hymer Georgy & G. G. Grandt

DER KRIEG DES SCHUT

In dieser Reihe bisher erschienen:

1801 Die Rückkehr des Schut von G. G. Grandt

1802 Die Rache des Schut von Hymer Georgy

1803 Der Fluch des Schut von Hymer Georgy

1804 In der Gewalt des Schut von Hymer Georgy

1805 Das Geheimnis des Schut von Hymer Georgy

1806 Der Krieg des Schut

Hymer Georgy & G. G. Grandt

Der Krieg des Schut

Eine Reiseerzählung nach den Charakteren

© 2017 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 Windeck

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Exposé: Guido Grandt

Titelbild: Mark Freier

Satz: Winfried Brand

Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-95719-116-8

Vorrede

Gemeinsam mit meinen Freunden Hadschi Halef Omar, dessen Sohn Kara Ben Halef, dem beim Pascha von Tunis in Ungnade gefallenen Krüger-Bei, dem abenteuerlustigen Sir David Lindsay, dem deutschen Gesandten im Geheimauftrag Oberstleutnant Alexander von Krischlow nebst Stab sowie dem versierten Schneider und Meisterdieb Bassam Al-Yahid befand ich mich an Bord des Dampfschiffes VENEZIA von Tripolitanien nach Ägypten.

Es war uns nicht nur gelungen, die Pläne des Schut und der teuflischen Kalila zu durchkreuzen, sondern auch ihr größtes Geheimnis zu lüften: Sie arbeiteten sämtlich für die Franzosen und versuchten in deren Auftrag, durch die Aufwiegelung von Berberstämmen und der Bevölkerung einen Krieg heraufzubeschwören. Frankreich winkten gewaltige Gebietsgewinne in Afrika, dem Schut hingegen viele Millionen Franc als Beteiligung an den zu erwartenden Rohstoffvorkommen in den neuen Kolonien.

1. Auf See gekapert

30. Juni 1882. Zwischen Tripolis und Tobruk. Noch zehn Tage bis zum Ablauf des Ultimatums in Alexandria.

Die Falle sollte so bald wie möglich zuschnappen, damit die verfluchten Hunde endlich zur Hölle fuhren! Dahin, wo sie längst schon hingehörten!

Diese Gedanken gingen dem reglos dasitzenden kleinen aber kräftigen Mann in dem edlen europäischen Anzug und der auffälligen Melone durch den Kopf. Missmutig sog er am Mundstück seiner teuren Meerschaumpfeife, inhalierte den aromatischen Rauch tief in seine Lungen, um ihn gleich darauf wieder durch seine Nasenlöcher auszustoßen. Dabei zitterten die Enden seines recht eigenwillig gestutzten Schnauzbartes wie die Flügel eines Schmetterlings. Zum wiederholten Male warf er einen Blick achtern hinüber zum Freideck, das den Passagieren der Ersten Klasse vorbehalten war. Doch um diese Zeit war dort keine Menschenseele mehr zu sehen. Das Abendessen war vorüber, die Passagiere hatten sich in ihre Kabinen oder in die Gesellschaftsräume zurückgezogen.

Noch immer lief die VENEZIA mit etwa vierzehn Knoten auf geradlinigem Ostkurs entlang der libyschen Küste. Längst schon hatte sich das Firmament über der quirligen See von einem strahlenden Blau in ein feuriges Rot verfärbt, bis schließlich die Schatten über das Licht siegten und der Tag endgültig der Nacht wich. Voll und rund stand der Mond über dem Mittelmeer, überschüttete es mit seinem milchigen fahlgelben Schein, wie eine Leuchte in vollkommener und ewiger Finsternis. Der Wind, der wie ein Fächer über das dunkle Wasser strich, hatte aufgefrischt. Die sanften Wellen klatschten gegen den Rumpf des Passagierdampfers, vermischten sich mit dem ständigen verächtlichen Murmeln des Meeres. Doch das stetige Geräusch ging im unermüdlichen Stampfen der Maschinen und dem Schnaufen aus den englischen Präzisionsdampfkesseln unter, mit denen die VENEZIA angetrieben wurde. Der grau wabernde Rauch, den die beiden schmalen, hohen Schornsteine ausspuckten, verschmolz mit dem Dunkel der Nacht.

Der Mann, der sich hier an Bord François Legrelle nannte, in Wirklichkeit aber Pierre Lagarde hieß, erhob sich nun und trat dicht an die Reling heran. Er nahm die Meerschaumpfeife aus dem Mund und klopfte sie an der Reling ab. Die herabrieselnde Asche schaffte es keineswegs bis hinunter in das quirlige Wasser, durch die der Schiffsbug schnitt, sondern wurde im sprichwörtlichen Sinne in alle Winde verweht. Der Blick des Franzosen fiel auf die Flagge des Königreichs Italien, die an einem der schräg hinauslaufenden Masten wehte. Die VENEZIA war der Stolz der Florio-Reederei, unter der sie fuhr.

Langsam wurde es Zeit, dachte Lagarde. Denn an Bord gab es Passagiere, die seinen letzten Informationen zufolge nach Tobruk wollten. Damit gemeint waren Kara Ben Nemsi mit seinem Gefolge, dem kleinen, dürren Araber Hadschi Halef Omar samt seinem Sohn Kara Ben Halef, dem spleenigen Engländer Sir David Lindsay, dem Oberst der Leibgarde des Beis von Tunis Krüger-Bei, sowie der Schneider und Meisterdieb Bassam Al-Yahid. Lagardes besonderes Augenmerk galt jedoch einem anderen Mann, für den sich sein Dienstherr, das Deuxième Bureau, der französische Geheimdienst, vor allem interessierte: Alexander von Krischlow, der preußische Oberstleutnant nebst seinem Stab, der eine Sondermission im Namen des Deutschen Kaiserreiches verfolgte. Genauso wie er selbst für Frankreich. Ebenso der Schut, der in den Akten des Deuxième Bureau unter dem Decknamen MonsieurJaune geführt wurde. Dieser befand sich zurzeit mit seiner Partnerin Kalila, den Aladschy Sandar und Bybar, dem Marokkaner Quahid, Lagardes Handlanger, sowie Gautier auf dem Zweimaster TOCHTER DER WINDE auf dem Weg nach Tobruk. Dort würde die VENEZIA ihren einzigen Zwischenstopp auf dem Weg nach Alexandria einlegen. Allerdings sollte sie nach Lagardes Plänen die Hafenstadt in der Kyrenaika nie erreichen. Denn schon zuvor wollte der Schut die verhassten Gegner mit Allahs Hilfe ein letztes Mal stellen. Bislang war es ihnen nicht gelungen, weder von Krischlow noch Kara Ben Nemsi auszuschalten, die sogar einem Anschlag in Tripoli entkommen waren.

Die TOCHTER DER WINDE war früher als der Passagierdampfer ausgelaufen, um die VENEZIA mitten auf See aufzubringen. Dazu wollte sich der Schut in der Nacht mit einem Lichtzeichen bemerkbar machen, damit Lagarde den Dampfer mit Waffengewalt unter Kontrolle bringen konnte, um ihn zu stoppen. Doch der Kapitän der VENEZIA hatte mutwillig und aus ihm bisher unbekannten Gründen seinen herkömmlichen Kurs geändert. So würden sie nicht einmal in die Nähe des Küstenseglers gelangen. Um jeden Preis wollte der Franzose verhindern, dass die beiden Deutschen samt ihren Gefährten überhaupt nach Tobruk gelangten. Dabei durfte er nichts dem Zufall überlassen, sondern musste handeln, bevor es zu spät war. Das hieß, eine entsprechende Kurskorrektur nun selbst in die Hand zu nehmen.

Mit einem tiefen Seufzer wandte sich der Mann mit der Melone von der Reling ab, strich über die Ordonnanzpistole unter seiner Anzugjacke und schickte sich an, die Kommandobrücke aufzusuchen. Mit der Waffe am Schädel würde er den Kapitän im wahrsten Sinne des Wortes wieder auf Kurs bringen. Davon war er fest überzeugt.

*

In dieser Nacht fand ich keine Ruhe. Meine Gedanken wirbelten so wild in meinem Kopf herum wie Baumblätter in einem Herbststurm in meiner fernen Heimat. Zu viel war geschehen. Zu viele Tote hatte es gegeben. Zu viele Intrigen waren gesponnen worden. Noch einmal kamen mir die wichtigsten Ereignisse und Erkenntnisse in den Sinn, die mir regelrecht den Schlaf raubten, was angesichts der Tragweite, der Dramatik und Tragödien, die dahinter steckten, wahrlich kein Wunder war.

Oberstleutnant Alexander Freiherr von Krischlow war in diplomatischer Mission und im Dienste des Deutschen Kaisers unterwegs. Mit seinem Stab sollte er alle notwendigen Maßnahmen und Vereinbarungen treffen, welche dienlich dazu waren, eine fruchtbare Allianz mit den Völkern des nördlichen Afrikas anzubahnen und einzugehen. So sollte den immerwährenden Feinden des Deutschen und des Osmanischen Reiches in ihrem Bestreben Einhalt geboten werden, sich den afrikanischen Kontinent zu eigen zu machen. Das alles hatte mir der Preuße verraten und noch einiges mehr. Er war geradezu von höchster Stelle dazu befugt, Verhandlungen mit den verschiedenen Stammesfürsten zu führen, welche an der Seite der Deutschen in einen Krieg eintreten könnten, falls ein solcher ausbrach. Deshalb wollte er auch nach Alexandria, um unter anderem bei einem Zweig der Sanussia-Bruderschaft an der ägyptischen Grenze für die Interessen seiner Auftraggeber zu werben. Allerdings waren inzwischen in Alexandria die Ausschreitungen eskaliert. Die Aufständischen, angeführt von Ahmad Urabi, hatten dort Fort Pharos sowie einige andere Festungen besetzt und drohten damit, alle Europäer umzubringen, wenn diese die Stadt nicht verließen. Möglicherweise waren sie jedoch von einer anderen Macht, als von ihren eigenen Absichten, dazu aufgestachelt worden. Eine militärische Eskalation an der Zufahrt zum Sues würde natürlich auch unmittelbar die Schifffahrt des Deutschen Reiches betreffen.

Hinzu kamen noch verwinkelte diplomatische Verwicklungen, die mir von Krischlow unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut hatte. Bereits im Mai dieses Jahres unterzeichnete das Königreich Italien ein geheimes Verteidigungsbündnis mit dem Deutschen Kaiserreich sowie Österreich-Ungarn. So wurde aus einem ehemaligen Zweibund ein Dreibund. Die Italiener wollten damit der anglofranzösischen Vorherrschaft auf dem schwarzen Kontinent begegnen. Allerdings war diese delikate Angelegenheit viel komplizierter, als im ersten Moment vermutet. Das Königreich Italien hatte sich vertraglich ausbedungen, dass das Bündnis sich nicht direkt gegen die Interessen der Briten richten würde, welche wiederum einen weiteren Bündnispartner darstellen konnten. Denn die Italiener wetteiferten mit Frankreich um Nordafrika. Die Engländer hingegen vertrauten auf die französische Unterstützung in der Suesfrage gegen die Aufständischen im Norden. Ein Ränkespiel par excellence und für Außenstehende fast undurchschaubar.

Der geneigte Leser muss wissen, dass der wichtige Sueskanal zum Zankapfel unter den europäischen Nationen geworden war. Frankreich und Großbritannien hatten ihre Einflusssphären auf ein Drittel Afrikas ausgedehnt. Das Deutsche Kaiserreich hingegen besaß nur wenige Kolonien und Schutzgebiete wie etwa in Kamerun und Deutsch-Südwestafrika{1}. Allerdings streckte es bereits seine Hände nach Ostafrika aus. Sehr zum Missfallen der übrigen Kolonialmächte. Während Frankreich, Großbritannien, Spanien, Portugal, Belgien, die Niederlande und Italien ihre Bestrebungen immer weiter ausbauten, bröckelte das Osmanische Reich{2} zusehends. Tunesien, das seit dem 16. Jahrhundert ein Teil von ihm war, wurde 1881 von Frankreich besetzt. Auch das von ihm als Provinz militärisch kontrollierte Tripolitanien{3}, das in etwa die Mittelmeerküste zwischen Ägypten und Tunis umfasste sowie deren Hinterland einschließlich Gebiete in der Sahara bis zum Fessan und der Oasengruppe von Kufra, war dennoch eine eigene Region. Genauso wie die von der Sanussia-Bruderschaft beherrschte Kyrenaika. In Ägypten, ich erwähnte es bereits, brodelte es in Alexandria und weiter im Süden, im Sudan hatte der islamisch-politische Führer Muhammad Ahmad, der selbst ernannte Mahdi,einen Aufstand gegen den osmanischen Vizekönig von Ägypten angezettelt.

Es war wahrlich in diesem Teil der Erde eine unruhige Zeit voller Bedrohungen und Unwägbarkeiten. Und immer bestand die Gefahr eines weitreichenden Konflikts, eines Krieges zwischen den Kolonialmächten gar, der die übrige Welt mit in den Abgrund reißen konnte. Und nie war diese Gefahr größer, als durch den Aufruhr der Urabi in Alexandria. Aller Wahrscheinlichkeit nach war dieser von den Franzosen geschürt worden, um so gegen die Briten zu intervenieren, während sich die Italiener neutral und zurückhaltend verhielten. Nicht auszuschließen, dass durch das Deuxième Bureau weitere mohammedanische Nomadenstämme aufgewiegelt werden sollten. Als Werkzeuge dazu dienten der Schut und Kalila.

Ich erinnere daran, dass das Verbrecherpaar mich anstatt von Krischlow hinter den Tibesti verschleppen wollte, um Frieden zwischen den Wadai und den Kanem-Bornu herzustellen. So könnten schließlich die vereinten Stämme gegen die britischen Kolonialherren aufbegehren. Der Preuße selbst sollte in Alexandria dasselbe mit den Turuq machen, und genau das wollten sie mit verschiedenen Aktionen verhindern, wie die zurückliegenden Ereignisse gezeigt hatten. Denn aus Feindessicht durfte das Deutsche Reich den Franzosen mit seinen Verhandlungen keinesfalls zuvorkommen.

Der Ausgangspunkt für die französischen Intrigen in Nordafrika war das Unternehmen Palangeur-GalingréSCA im marokkanischen Agadir, bei dem Hadschi Halef Omars Verwandter Hamnd Memeh vor seinem gewaltsamen Tod beschäftigt war. Vor acht Jahren war ich Henri Galingré auf dem Balkan begegnet, der dort in die Hände des Schut geriet. Es gelang, ihn aus dem unterirdischen Stollen bei Rugova zu befreien.{4} Was ich nicht wusste, war, dass er schon zu jener Zeit für den französischen Geheimdienst arbeitete, wie mir von Krischlow jüngst verraten hatte. Was dieser jedoch nun tat, wusste er nicht zu sagen. Galingrés Geschäftspartner Hubert Palangeur schien ebenfalls für die Franzosen zu arbeiten. Das Unternehmen trieb intensiv die Suche nach Rohstoffen voran. So lockten beispielsweise das Zink in Marokko oder das Kupfer im Sudan. Daher spielte Palangeur-Galingré auchbei der Besetzung in Tunis eine Rolle, in dem erhebliche Phosphatvorkommen vermutet wurden. Neben diesen Explorationen wiegelte das Unternehmen die Stämme gegen ihre größte Konkurrenz auf – die Briten.

Inzwischen wussten wir, dass der Schut alias Kara Nirwan alias Kara Saryk el Assfar alias Monsieur Jaune, so sein Deckname beim französischen Geheimdienst, für die Grande Nation arbeitete. Ihm winkten Beteiligungen an der späteren Rohstoffausbeute. Seine Partnerin Kalila alias Señorita Ángela Ximena de Toledo y Alvarez, die vom Deuxième Bureau als Ángela geführt wurde, war eine französische Agentin. Allerdings wurden wir noch nicht recht schlau aus ihr, ob sie vielleicht nicht doch nur den Schut benutzte, um ihr eigenes Spiel zu treiben. Verschiedene Überlegungen dazu hatten wir bereits angestellt, ohne zu wissen, ob diese letztlich zutrafen.

So hatten wir zwar das Geheimnis des Schut gelüftet, nicht jedoch herausgefunden, was die teuflische Kalila als Nächstes im Schilde führte. Hinzu kamen weitere Schufte, wie Quahid und Gautier, die ebenfalls zum Agentennetzwerk des Deuxième Bureau in Nordafrika gehörten. Der Letztgenannte hieß in Wirklichkeit Walter LaFontaine und war ein Verräter, ein Überläufer aus der preußischen Armee, wie von Krischlow behauptete, der ihm während der Belagerung von Paris zum ersten Mal begegnet war. Gautier und die Männer des Schut waren es auch, die mich, meine Gefährten sowie den Preußen und seine Männer in Tripoli angegriffen hatten. Dem Himmel sei Dank, dass wir sie unschädlich machen konnten. Bis auf Gautier, dem die Flucht gelungen war. Dabei fanden wir heraus, dass sich unter den Angreifern getarnte Fremdenlegionäre befanden. Ein erneuter Beleg dafür, mit welchen Mitteln die Franzosen bei ihrer Planung, ganz Nordafrika zu annektieren, vorgingen. Wir vermuteten, dass sie mithilfe der Verbrecherorganisation des Schut kleinere Legionärs-Einheiten in Tripolitanien und anderen Gegenden eingeschleust hatten, wie etwa im Fessan oder in Qasr al Zafraan. Zudem gab es eine weitere Person, die wir allerdings nicht zuordnen konnten, die sehr wahrscheinlich aber ebenfalls als Agent tätig war: Pierre Lagarde. Wir kannten lediglich dessen Namen, nicht jedoch sein Aussehen.

Jedenfalls waren wir nun auf dem Weg nach Ägypten, mit nur einem Zwischenstopp in Tobruk, der Hafenstadt in der Großprovinz Kyrenaika. Über die Jahrhunderte hinweg diente diese als wichtigste Station an der großen Karawanenstraße entlang der südlichen Mittelmeerküste. Unser eigentliches Ziel jedoch war Alexandria, das die Araber Al-Iskandarija nennen, das neben Kairo die bedeutendste Stadt des Nillandes war. Hier sollte – trotz der dort wachsenden Eskalation – unter der Leitung von Alexander von Krischlow ein Zusammentreffen mit jenen Stämmen stattfinden, die sich nicht am Urabi-Aufstand beteiligten. Diese sollten friedlich gehalten werden, um nicht gegen die Kolonialmächte aufzubegehren. Wie bereits dargelegt, hatte auch das Deutsche Kaiserreich Interessen in Ägypten. Keineswegs aber an einer kriegerischen Auseinandersetzung, die das Pulverfass in dieser Region vollends in die Luft jagen konnte. Zu allem Überdruss, und da war ich mir ziemlich sicher, würden der Schut, Kalila, die Aladschy und die Franzosen alles unternehmen, um uns weiter übel mitzuspielen. Was sage ich, vielleicht sogar verhindern wollen, dass wir unser Ziel jemals erreichen!

Kaum hatte ich diesen Gedanken zu Ende gebracht, als ein unerwartetes Rucken durch den Schiffsrumpf ging, das mich beinahe von meinem Kabinenbett geworfen hätte. Fast war es mir, als könne ich das protestierende Kreischen der Dampfmaschinen unter Deck vernehmen, was natürlich nur eine Einbildung war. Keine Illusion hingegen war, dass die VENEZIA urplötzlich ihre Fahrt stoppte. Das geschah so schlagartig, dass es dafür wohl nur eine höchst beunruhigende Erklärung geben konnte!

*

Wie ein Schatten huschte Pierre Lagarde den Freigang mit den zierlichen Arkaden entlang, vorbei an den mit Vorhängen verhüllten Fenstern der Suiten und Großkabinen der Ersten Klasse der VENEZIA. Achtern befand sich das Freideck, unter ihm, auf dem Zwischendeck, waren die Zweite und Dritte Klasse, die Mannschaftsräume und der Frachtraum untergebracht. In der Mitte des Rumpfs die Gesellschaftsräume, der Speisesaal und in unmittelbarer Umgebung der Schornsteine die beiden Kombüsen und die Vorratsräume. Im Vorschiff waren die Schlafunterkünfte der Zwischendeckspassagiere angeordnet. Tief in den Eingeweiden des Schiffskörpers, im Maschinenraum, der neben dem Kohlenbunker und dem Kesselraum lag, stampften die dreizylindrigen Verbunddampfmaschinen eintönig daher. Lagarde interessierte sich jedoch nur für die Kommandobrücke, auf der er hoffte, den Kapitän trotz bereits vorangeschrittener Stunde anzutreffen. Doch er täuschte sich. Ein heimlicher Blick durch die Scheibe des Ruderhauses zeigte ihm, dass sich lediglich der Steuermann, der Erste Offizier und zwei weitere Diensthabende dort aufhielten. Es würde ihm nichts nützen, diese Männer als Geiseln zu nehmen. Er musste sich des rangobersten Schiffsoffiziers bemächtigen, um den nötigen Druck auszuüben.

Unverzüglich suchte Lagarde die Kapitänsräumlichkeiten auf. Während der Reise hatte er die Schiffsbeschreibung eingehend studiert und wusste deshalb, dass diese im vorderen Bereich des Promenadendecks lagen. Vor der Tür verharrte er für einen Moment, zog die Ordonnanzpistole unter seiner Anzugjacke hervor und rief sich die Anordnung der Unterkunft ins Gedächtnis. Rechter Hand war das Bad, links davon der Kleider- und Ankleideraum, dahinter der Salon und das Schlafzimmer. Nun konnte er nur noch hoffen, dass der Kapitän alleine war. Doch für einen Rückzieher blieb keine Zeit mehr. Angesichts dessen, dass sich die TOCHTER DER WINDE aufgrund des unverhofften Kurswechsels weit weg von der VENEZIA befand, war konsequentes Handeln unerlässlich. Wenn sie Tobruk anliefen, war es zu spät. Der Passagierdampfer musste seine Route ändern, um auf den Küstensegler zu treffen, damit der Schut und seine Männer übersetzen konnten.

Wie der Franzose bei einem belanglosen Gespräch mit einem Steward herausgefunden hatte, galt CapitanoGiuseppe Di Stefano bei seiner Mannschaft als tüchtiger, viel befahrener Seemann. Ein seelenguter Mensch, der für seine Passagiere und Untergebenen wie ein Vater sorgte. Seit drei Jahren stand er im Dienste der neapolitanischen Reederei Florio, wie der Commandante den Passagieren der Ersten Klasse beim letzten Dinner verraten hatte. Die Fahrt von Tripolis nach Tobruk sollte er jedoch nie mehr in seinem Leben vergessen. Dafür wollte der französische Agent sorgen. Barsch klopfte er mit dem Kolben der Pistole gegen die Tür der Kapitänsunterkunft. »Kommen Sie, Commandante, es ist etwas Schreckliches geschehen!«, rief er gerade so laut, dass seine Worte zwar drinnen gehört werden konnten, in den weiter davor liegenden Offiziersräumen allerdings nicht. Es dauerte nicht lange, bis er dumpfe Schritte vernahm, die sich rasch näherten. Gleich darauf wurde die Tür aufgezogen. Ein Mann mittleren Alters stand auf der Schwelle, der von der Statur her noch kleiner als der Franzose war, außerdem so schmal wie ein halb ausgebreitetes Handtuch. Bekleidet war er mit einem hellen Uniformhemd, dessen Ärmel bis zu den Ellbogen hochgekrempelt waren, sowie einer dazugehörigen dunklen Hose. Seine winzigen pechschwarzen Augen saßen über einer mächtigen Nase. Sein angegrauter Backenbart war struppig wie ein Katzenfell und doch gepflegt. Als er den Passagier mit der Waffe unmittelbar vor sich sah, verzogen sich die dünnen Lippen und entblößten ein marmorweiße Gebiss. Es sah geradewegs so aus, als würde ein ausgehungerter Wolf die Zähne blecken.

»Dannazione – verdammt, wer seid Ihr?«, fragte er seltsam gefasst, als würde er einer solchen Situation nicht zum ersten Mal ausgesetzt sein.

»Das spielt keine Rolle, Commandante! Wenn Ihr genau das tut, was ich Euch sage, dann könnt Ihr sehr schnell wieder in Eure Kabine zurückkehren und weiterhin Seemannsgarn spinnen«, entgegnete Lagarde mit frostiger Stimme. »Aber jetzt folgt mir auf die Brücke!« Um seine Worte zu unterstreichen, hob er die Mündung seiner Pistole an, sodass sie mitten auf die Stirn seines Gegenübers zielte.

Di Stefano schien zu erahnen, dass es dem gewaltbereiten Mann gewiss ernst mit seiner Absicht war. Widerstandslos kam er dessen aufforderndem Wink mit der Waffe nach, drückte sich an ihm vorbei und schritt hastig vor ihm her. Unterwegs begegnete ihnen keine Menschenseele. Bis auf die wachhabenden Offiziere und einige Seeleuten niederen Ranges, die auch zur nächtlichen Stunde die verschiedensten Tätigkeiten ausführten, um die VENEZIA in Gang zu halten, war das Schiff in einem tiefen Schlummer versunken. Ausnahmen waren die Maschinen- und Kesselräume unter Deck, in denen um jede Tages- und Nachtzeit bis zur Erschöpfung geschuftet wurde.

Lagarde und der Kapitän erreichten die Kommandobrücke. Streng genommen war diese ein Brückendeck, auf dem das geschlossene Ruder- oder Steuerhaus angebracht war. Es bot den wachhabenden Offizieren einen vor Seewasser und dem Wetter geschützten Standpunkt zum Manövrieren. Dem Ruderhaus schloss sich eine Brückennock an, ein nicht überdachter Teil, von wo aus das Schiff ebenfalls geführt werden konnte. Darauf übte zumeist der nautische Offizier seine Tätigkeiten aus, wie etwa die Überwachung des vorgegebenen Reiseweges durch eine fortlaufende Positionsbestimmung. Oder die Berücksichtigung von Schifffahrtshindernissen sowie in der Umgebung befindlichen anderen Seefahrzeugen.

Die Diensthabenden auf der Kommandobrücke konnten es kaum glauben, als sie sich mit dem Passagier konfrontiert sahen, der den Kapitän bedrohte.

»Lasst die Maschinen stoppen, Commandante!«, befahl Lagarde hart.

Anstatt dieser Aufforderung sogleich nachzukommen, wechselte Di Stefano vielmehr einen schnellen Blick mit dem Ersten Offizier Leonardo Catania, einem schmalgesichtigen hageren Mann mit sauber gestutztem Schnurr- und Kinnbart.

»Na los doch, bouffon!« Der Franzose verstärkte den Druck der Waffenmündung auf dem schmalen Rücken des Kapitäns, bis dieser den Befehl an den Steuermann und durch ein Sprachrohrsystem an den Chefmaschinisten weitergab. Als die Maschinen abrupt erstarben, ging ein starkes Rucken durch das Schiff. Fast so, als würde es sich dagegen aufbäumen. Die Anwesenden hatten Mühe, sich auf den Beinen zu halten.

»Und was nun?«, wollte Di Stefano wissen.

»Warum habt Ihr euren ursprünglichen Kurs geändert, Commandante?«

»Wir wurden darüber informiert, dass auf dieser Route Piraten ihr Unwesen treiben ...«

»Ihr korrigiert ihn unverzüglich wieder!«, unterbrach ihn Lagarde.

»Dazu hätten wir die Maschinen nicht stoppen sollen! Nur während der Fahrt kann ein Kurs geändert werden!«, warf der Kapitän böse ein. Doch Lagarde ging nicht darauf ein, um sich seinen Fehler nicht einzugestehen, sondern diktierte ihm vielmehr die neuen Koordinaten, die er im Kopf behalten hatte. Mit der Androhung von Waffengewalt half er nach, dass seinem Befehl dieses Mal sofort nachgekommen wurde. Danach wedelte der Franzose erneut mit seiner Ordonnanzpistole herum. »Was ist das für eine Kammer da?«, fragte er mit einem schnellen Blick auf eine Tür in der Nähe des gigantischen Steuerrads.

»Der Raum, in dem die Seekarten lagern«, sprudelte es über die Lippen eines jungenhaften Fähnrichs, der furchtsam die unwirkliche Szenerie beobachtete.

»Alle Mann da rein!«, befahl Lagarde. »Bis auf den Kapitän und den Steuermann!«

Angesichts der Waffe, die noch immer auf Di Stefano gerichtet war, ergaben sich die Seeleute widerstandslos ihrem Schicksal. Bis auf den Ersten Offizier, der das heißblütige Gemüt eines stolzen Rennpferdes besaß. Als er auf dem Weg in den Kartenraum bis auf zwei Mannslängen an dem Franzosen vorbeikam, blitzte es jäh in seinen dunklen Augen auf. Mit einem fast unmenschlichen Schrei wirbelte er herum, um sich auf Lagarde zu stürzen. Doch dieser war auf einen solchen Angriff vorbereitet. Bevor ihn der schmalgesichtige Sizilianer packen konnte, zog er ihm den Lauf seiner Pistole quer über den Schädel. Mit einem herzzerreißenden Stöhnen ging Catania zu Boden und blieb benommen liegen.

»Ich werde diesen räudigen Hund über den Haufen schießen!«, geiferte der Franzose außer sich vor Wut. Normalerweise verlor er niemals auf solch primitive Art die Beherrschung. Ein Zeichen dafür, wie angespannt seine Nerven waren. Sein Gesicht war rot angelaufen und Speichel benetzte seinen Schnauzbart. Sekunden nur, und er würde abdrücken.

»Si prega di non fare – bitte nicht!« Di Stefano stellte sich heldenmütig in die Schusslinie. »Erschießt mich, aber lasst meinen Ersten Offizier am Leben!«

Noch immer zitterte Lagardes Finger um den Abzug. Für einen entsetzlich langen Moment glaubten die Anwesenden, dass er ihn betätigte. Doch schließlich entspannte sich der Franzose genauso abrupt, wie sein Wutanfall aufgeklungen war. »Rein mit euch!«, krächzte er rau und deutete auf den Kartenraum. Dieses Mal kamen die Seeleute dem Befehl unverzüglich nach, schleiften den besinnungslosen Leonardo Catania an den Armen mit hinein. Der Franzose verriegelte die Kammer und wandte sich an den Steuermann. »Wenn du einen anderen Kurs einschlägst, als den von mir genannten, werde ich zuerst den Commandanteund dann dich zum Teufel schicken! Ist das klar?«

Der Rudergänger, ein blasser Mann, so hager wie ein Windhund, nickte ein paarmal schnell hintereinander. Er würde zweifellos darauf bedacht sein, den neuen Kurs streng einzuhalten. Danach fesselte Lagarde die Hände des Kapitäns mit einem Strick und stieß ihn neben dem Steuerrad zu Boden.

Fürs Erste war der Franzose zufrieden. Nun hieß es die TOCHTER DER WINDE zu kreuzen, um den Plan, Kara Ben Nemsi und Alexander von Krischlow endlich habhaft zu werden, in die Tat umzusetzen. Dabei stand nicht mehr und nicht weniger auf dem Spiel als das Schicksal der gesamten Welt!

*

Nachdem die VENEZIA so unverhofft ihre Fahrt gestoppt hatte, kleidete ich mich rasch an und stürmte aus meiner Kabine hinaus. Meine Gefährten waren ebenfalls aus ihren Unterkünften gekommen, die neben der meinen lagen. Allen voran Halef. Während dieser irgendetwas Unverständliches in seinen fast nicht vorhandenen Bart schnatterte, meinte Krüger-Bei auf Deutsch: »Dunderwetter! Ick habe mir jerade beinahe den Hals jebrochen!« Alexander von Krischlow nickte, ebenso Sir Lindsay, obwohl der Letztgenannte diese Worte gewiss nicht verstehen konnte. Nur Bassam Al-Yahid zeigte überhaupt keine Regung. Nacheinander traten nun auch die Männer aus dem Stab des Preußen heran.

Ich ersparte mir einen Kommentar und eilte, mit meinen Freunden im Schlepptau, zum Aufstieg, um an Deck nach dem Rechten zu sehen. Nur der Hadschi blieb mit seinem Sohn Kara Ben Halef zurück. Nicht noch einmal wollte er ihn unbeaufsichtigt lassen, gleich gar nicht erneut in Gefahr bringen. Inzwischen strömten die übrigen aufgeschreckten Passagiere aus ihren Kajüten, sprachen aufgeregt durcheinander und verstopften zusehends die schmalen Gänge. Schließlich schafften wir es auf das Zwischendeck. Ein angenehmer, nach Salz schmeckender Wind schlug uns entgegen. Zu unserem Erstaunen nahm die VENEZIA jetzt wieder ihre Fahrt auf. Allerdings folgte sie einer anderen Route, wie das scharfe Eindrehen des Schiffes zeigte.

Ich wollte hinauf zur Brücke, um den wachhabenden Offizier nach dem Grund für den so unerwarteten Stopp zu fragen, als ein Decksmann, wie ich an den Aufschlägen seiner Uniform erkannte, an uns vorbeirannte. Sein fülliges Gesicht war bleich wie der Tod. Bevor dieser entschwinden konnte, fasste ich ihn am Arm und hielt ihn zurück. Er fuhr zu mir herum und ich las in seinen Augen nicht nur Beklommenheit, sondern richtiggehende Furcht.

»Was ist geschehen, Matrose?«, fragte ich ihn geradeheraus, so wie mir der Schnabel gewachsen war.

»Der Capitano ...«, begann der Decksmann, musste dabei tief Luft holen, bevor er fortfuhr. »Er wird ... er wird ...«

»Wat wird der?«, wollte Krüger-Bei nun wissen, dem der Geduldsfaden riss, während meine anderen Gefährten schwiegen. In diesem Moment schien ihm nicht bewusst, dass der Seemann kein Deutsch verstand, gleich gar nicht sein verklausuliertes.

»Der Capitano ... er wird als ... Geisel ... festgehalten ...«, stotterte der Matrose noch immer vom Schock ergriffen, als wäre einem frommen Mohammedaner soeben die Jungfrau Maria erschienen.

»Von wem?« Ich verstärkte den Druck meiner rechten Hand an seinem Arm.

»Ein ... ein Passagier ...«

»Kennst du ihn?«

»Ja ... es ist ... Monsieur François Legrelle ...«

Bei der Nennung dieses Namens ging in den dunklen Windungen meines Gehirns ein Lichtlein auf. Warum, das ahnte ich noch nicht. Vielleicht, weil mir in dieser Sekunde ein weiterer französischer Name in den Sinn kam, obwohl ich viel zu wenig über diese Person wusste. Das würdee sich jedoch in Kürze ändern, wie sich herausstellen sollte.

Lagarde!

»Und was will dieser Monsieur Legrelle?«, ließ ich nicht locker.

»Das ... das weiß ich nicht«, stammelte der Decksmann. »Jedenfalls hat er die Maschinen stoppen lassen und dann das Schiff auf eine andere Route befohlen!«

Ich gab den Arm des Seemanns wieder frei, der unverrichteter Dinge zu den Mannschaftsräumen eilte, wohl um die entsetzliche Nachricht weiterzugeben. Auch wir wollten umkehren, um unsere Waffen aus den Kabinen zu holen. Doch eine eisige Stimme, die vom freien aber überdachten Teil des Ruderhauses, der Brückennock, zu uns herüberschallte, ließ uns innehalten.

»Kara Ben Nemsi und Alexander von Krischlow!«

Verwundert erblickten wir eine kleine, kräftige Gestalt in eleganter europäischer Kleidung und einer Melone auf dem Kopf, die mit vorgehaltener Pistole den Kapitän in Schach hielt. Dieser stand direkt und inzwischen an den Händen gefesselt neben ihm.

Legrelle!

Der Preuße neben mir schnaufte wie ein waidwunder Hirsch. Ihm gingen wohl gerade dieselben Gedanken durch den Sinn wie mir.

Legrelle – Lagarde.

Mit großer Wahrscheinlichkeit handelte es sich um ein und dieselbe Person! Nicht nur die Namensähnlichkeit, sondern auch die gewalttätigen Umstände sprachen dafür, dass der Mann ein Gesinnungsgenosse des Schut war. Vielleicht sogar ein Agent des französischen Geheimdienstes. Zudem hatte er mich und von Krischlow soeben persönlich angerufen, was bei jemandem, der nichts mit den zurückliegenden Ereignissen zu tun hatte, höchst unwahrscheinlich war. Es schien so, als würde er uns kennen.

»Wer seid Ihr und was wollt Ihr von uns?«, rief ich deshalb zu dem elegant gekleideten Franzosen hinauf, der dies mit einem gehässigen Lachen quittierte.

»Wenn einer Fragen stellt, dann bin ich das, Kara Ben Nemsi!«, gab er zurück. Er wandte sich an den Kapitän und sagte etwas zu ihm, das ich nicht verstehen konnte. Die schmächtige Gestalt Di Stefanos straffte sich gleich darauf. »Nehmt die Männer in Gewahrsam!«, befahl er sogleich den Matrosen, die sich inzwischen auf dem Zwischendeck versammelt hatten, und deutete dabei auf mich und meine Gefährten.

Noch bevor wir reagieren konnten, zischte Lagarde: »Solltet Ihr Widerstand leisten, werde ich zuerst den Steuermann und dann den Commandante erschießen!«

Der preußische Stab, der mit Säbeln und Pistolen bewaffnet war, wollte aufbegehren, doch ein Blick ihres Oberstleutnants ließ sie innehalten. Um das Leben des Kapitäns und seines Rudergängers nicht zu gefährden, blieb uns nichts anderes übrig, als uns von den Seeleuten fesseln zu lassen. Ich dachte an Halef, der sich mit seinem Sohn in der Kabine befand und wahrscheinlich von alledem erst etwas mitbekam, wenn die Kunde davon die Runde im Schiff machte.

»Und nun bringt Kara Ben Nemsi und den Preußen herauf!«, wies Lagarde die Matrosen an. Als wir schließlich vor dem kleinen, kräftigen Franzosen standen, sah ich Triumph in seinen Augen leuchten. Das, was weder dem Schut noch den anderen Gegnern gelungen war, hatte er geschafft. Die Seeleute, die uns heraufgebracht hatten, verließen die Brücke wieder. Außer Lagarde, dem Kapitän, dem Steuermann und uns befand sich niemand mehr im Ruderhaus.

»Was nun?«, fragte ich mit trockener Kehle.

»Wir warten.«

»Warten, worauf?«, wollte von Krischlow wissen.

Der Franzose bugsierte mich und die beiden anderen Gefangenen in eine Ecke des Ruderhauses. Daneben lag, das konnte ich an einem an der Tür angebrachten Symbol erkennen, der Kartenraum, aus dem dumpfe Geräusche erklangen. Wahrscheinlich befanden sich darin die übrigen wachhabenden Offiziere, die in dieser Nacht Dienst geschoben hatten und dort eingesperrt worden waren.

Erst jetzt bemüßigte sich Lagarde zu einer Antwort. »Wir warten auf die TOCHTER DER WINDE. Darauf befinden sich Euch wohlbekannte Gesellen!« Wieder lachte er höhnisch.

Natürlich ahnten wir, wen er damit meinte: den Schut, Kalila, seinen Handlanger, den Marokkaner Quahid sowie Gautier, vielleicht auch die Aladschy.