Kara Ben Nemsi - Neue Abenteuer 09: Das Vermächtnis aus der Felsenstadt -  - E-Book

Kara Ben Nemsi - Neue Abenteuer 09: Das Vermächtnis aus der Felsenstadt E-Book

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Beschreibung

Kara Ben Nemsi entdeckt geheimnisvolle Papyrusrollen, deren Inhalt Hoffnung und Segen oder Tod und Verderben bedeuten kann. Das Verhängnis nimmt seinen Lauf.Die Printausgabe umfasst 236 Buchseiten.

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Seitenzahl: 255

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Hymer GeorgyDAS VERMÄCHTNIS AUS DER FELSENSTADT

In dieser Reihe bisher erschienen

1801 Die Rückkehr des Schut von G. G. Grandt

1802 Die Rache des Schut von Hymer Georgy

1803 Der Fluch des Schut von Hymer Georgy

1804 In der Gewalt des Schut von Hymer Georgy

1805 Das Geheimnis des Schut von Hymer Georgy

1806 Der Krieg des Schut von Hymer Georgy & G. G. Grandt

1807 Die Schatzräuber und die Felsenstadt von R. S. Stone

1808 Das Königsgrab in der Felsenstadt von Hymer Georgy

1809 Das Vermächtnis aus der Felsenstadt von Hymer Georgy

Hymer Georgy

Das Vermächtnisaus der Felsenstadt

Eine Reiseerzählung nach den Charakterenvon Karl May

Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag, www.blitz-verlag.de, in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt bis zu einer Höhe von 23 %.

© 2017 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Mark FreierUmschlaggestaltung: Mark FreierSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenwww.BLITZ-Verlag.deISBN 978-3-95719-119-9

Inhaltsverzeichnis
Personenregister:
Karte der Felsenstadt Petra, um 1873.
Prolog
Kapitel 1 - Die Feder ist mächtiger als das Schwert
Kapitel 2 - Heimat, so fern
Kapitel 3 - Dreieinhalb Jahre später
Kapitel 4 - Zurück in der Felsenstadt
Kapitel 5 - Das Geheimnis des Papyrus
Kapitel 6 - Doppeltes Spiel
Kapitel 7 - Verblendung
Kapitel 8 - Die Schwarzen Seelen von Jaffa
EPILOG
Fußnoten
BLITZ-Vorschau
Personenregister:

Kara Ben Nemsi

Hadschi Halef Omar

Omar Ben Sadek

Konstantin Rügli - Ein Schweizer Archäologe und Schatzsucher.

Helena Rügli - Konstantins Schwester.

Abukar el Sayed - Ein einheimischer Vormann des Ausgrabungskorps

Ruben van der Veen - Ein Mitarbeiter Rüglis aus Belgien

Nassar ad Taruk - Ein einheimischer Führer und treuer Begleiter von Helena Rügli.

Ibrahim Nassur - Eine zwielichtige Gestalt.

Malek el Barujd - Ebenfalls ein arger Verbrecher

Yussuf ad Sharek - Ein Medizingelehrter.

Yasmin - Die Frau von Yussuf.

Yüzbaşı Huda, Mülazim Marcelin, Tschausch Tian - Drei Offiziere der osmanischen Armee.

Sir David Lindsay

Handlungszeitraum der Geschichte: Januar 1873 / August 1876

Karte der Felsenstadt Petra, um 1873.

Entwurf der Karte: Hymer Georgy

Anmerkungen zur Karte:

Die Felsenstadt Petra ist real und heutzutage die touristische Hauptattraktion Jordaniens (früher Teil des Vilâyet Hiyaz im syrischen Gebiets des Osmanischen Reiches). In den 1920er und 1930er Jahren erfolgte eine ganze Reihe von Ausgrabungen, die auch weiterhin noch oder wieder fortgesetzt werden. Erneut im Frühjahr des Jahres 2016 etwa wurde durch Luftbilder dort auch der Standort eines bisher nur vermuteten Opferplatzes wiederentdeckt. ­Petra dürfte also noch viele Geheimnisse bergen, und das heutige Petra weist wesentlich mehr Fundstellen auf, als aus den Aufzeichnungen des Schweizer Orientreisenden ­Burkhardts oder anderer zu entnehmen ist. Die beschriebenen Orte in dieser Geschichte sind sämtlich real. Die Fundstelle eines Königsgrabes bei der Westflanke des ­Jabal Madhbah ist allerdings eine reine Erfindung des Autors. Alle historisch fundierten Hintergründe in Bezug auf Nabatäer und Ägypter sind recherchiert und nach bestem Wissen wiedergegeben, in Bezug auf die „Fundstelle“ jedoch den dramaturgischen Notwendigkeiten angepasst.

Hymer Georgy

Prolog

Auf der Suche nach dem Königsgrab in der Felsenstadt Petra, in dem sich ein sagenhafter Pharaonenschatz verbergen sollte, waren Hadschi Halef Omar, Omar Ben Sadek und ich, Kara Ben Nemsi, in eine Reihe gefährlicher Abenteuer verwickelt worden. Inzwischen stand fest, dass hinter dem dort vermuteten Schatz verschiedene Gruppen her waren: Malek el Barujd und Ibrahim Nassur mit ihren räuberischen Beduinen zum Beispiel, die wir zuletzt in einem heftigen Kampf zurückgedrängt hatten. Welche Rolle spielte Nassar ad Taruk wirklich, der mit einigen Glücksrittern wieder zu uns gestoßen war? Konnten wir Ruben Van der Veen, einem Freund und Mitarbeiter des Schweizer Schatzjägers Konstantin Rügli und dessen Schwester Helena, vertrauen? Und war Abukar el Sayed wirklich der Verbündete, für den ich ihn hielt?

Obwohl es mir gelang, in der kleinen Garnisonsstadt Karak Soldaten für den Schutz des bunt zusammengewürfelten Ausgrabungskorps zu erbitten, schienen mir auch Yüzbaşı Huda und Mülazim Marcelin keineswegs geheuer. Deren nicht ganz zwanzig Männer waren wieder abgerückt und hatten uns unserem Schicksal überlassen. Ruben Van der Veen war es nun auch gewesen, der den Zugang zum Grabmal jenes geheimnisvollen Pharao an der Westflanke des Jabal Madhbah fand – ganz so, wie es in den sechzig Jahre alten Aufzeichnungen des Vorfahren Konstantin Rüglis, Anton, zu lesen stand.

Wir waren schlussendlich in das einem gewaltigen Labyrinth ähnliche Felsengrab eingedrungen und unter vielfältigen Gefahren bis zur untersten Ebene vorgedrungen. Dort stießen wir auf die versteckte Grabkammer, von der Anton Rüglis Aufzeichnungen ebenso erzählten wie früher einmal ein alter Einsiedler, der allerdings längst nicht mehr unter den Lebenden weilte. Den Weg zur Kammer hatte Ruben Van der Veen in seiner Ungeduld soeben freigesprengt. Voller Erwartung, was uns hinter den Steinen erwartete, die den Eingang zuvor verbargen, traten wir ein, während der Staub der Explosion noch abzog. Das Licht unserer Laternen und Fackeln erfüllte die gesamte Szenerie.

Der Raum, der sich hier anschloss, war in seinen Ursprüngen vollständig erhalten geblieben. Er besaß in etwa die Ausmaße von sechzig Metern im Quadrat bei einer Höhe von vielleicht vier Metern. Auch hier bestand alles ringsum aus massivem Fels, und die Wände verliefen alles andere als geradlinig. Sie waren schroff, scharfkantig und schillerten in rötlichen Tönen. Was wir allerdings ebenfalls in dem Raum erblickten, musste jedem Glücksritter das Herz aufgehen lassen. Es raubte uns allen den Atem!

Dreifach ist der Schritt der Zeit.

Zögernd kommt die Zukunft hergezogen,

Pfeilschnell ist das Jetzt entflogen,

Ewig still steht die Vergangenheit.

Friedrich von Schiller (Sprüche des Konfuzius)

Kapitel 1 - Die Feder ist mächtiger als das Schwert

Felsenstadt Petra, im Grabbau des Thutmosis V., Januar 1873

Der Raum, in dem wir uns wiederfanden, schien seit rund dreitausend Jahren nicht mehr betreten worden zu sein. Jedenfalls erweckte es diesen Anschein. Alles darin wirkte auf eine seltsame Weise konserviert. Es gab weder Staubfäden noch Spinnweben. Die Fackeln und Laternen in den Händen der Männer warfen ihren flackernden Schein auf den umgebenden Fels, der hierdurch den Eindruck von Lebendigkeit erzeugte. Bedrohlich, mystisch, faszinierend.

Tatsächlich mochten wohl alle für den Zeitraum von nicht weniger als dem Fünftel einer Stunde so da gestanden und mit ungläubigen Blicken bei offenen Mündern alles ringsumher intensiv in sich aufgenommen haben.

„Das ist ja phantastisch!“, platzte Ruben van der Veen, der Belgier, als Erster heraus, nachdem er sich wieder gefasst hatte.

„Unglaublich!“, gab Konstantin Rügli von sich. Helena fasste ihren Bruder fassungslos fest am Arm, schüttelte nur leicht bei offenem Mund den Kopf und war im Übrigen so gut wie sprachlos. „Du hattest recht, Konstantin!“, stammelte sie vor sich hin. „Oh Gott, du hattest recht!“

„Cáifù! Wúliàng de cáifù!“ – „Reichtum! Unermesslicher Reichtum!“, rief der Chinese begeistert, dessen Name Shān de érzi übersetzt ungefähr so viel bedeutete wie Sohn des Berges, was ich im Laufe des letzten Tages erst herausgefunden hatte. Vergessen schien seine Trauer um den Angehörigen, den er in der Auseinandersetzung mit Maleks Beduinen verloren hatte.

„Alkunz! Hadha hu alkunz“ – „Der Schatz! Das ist der Schatz!“, kam es von Abukar El Sayed nicht minder ­enthusiastisch.

Die meisten der ansonsten anwesenden Männer murmelten kaum verständliche, aber ausnahmslos begeisterte Worte. Auch mir verschlug es doch etwas die Sprache, denn das, was wir zu sehen bekamen, war in der Tat Großartiges. Ich begriff aber wohl als einer der Wenigsten bereits in diesem Augenblicke, was der Fund bedeuten mochte. Denn plötzlicher Reichtum hat noch niemals unbedingt zu Gutem geführt.

Der Raum, oder besser gesagt die kleine Halle, beherbergte in der Mitte einen großen Steinquader, der mit einer Platte abgedeckt war. Jener war von ähnlicher Gestalt wie derjenige, den wir auf der ersten Etage vorgefunden hatten. Allerdings gab es an diesem Quader eine wesentlich höhere Anzahl an feinen Verzierungen, an bildhaften Zeichen und Symbolen. Ringsumher auf Schemeln oder in Vertiefungen, die in die Wände gehauen waren, sowie auf der den Quader abdeckenden Platte, verteilten sich in einigermaßen ordentlicher Weise zahllose Kelche verschiedenster Größe aus Gold und Silber, und das derart, als habe sie erst gestern jemand dort abgestellt. Gefüllt waren sie bis an den Rand oder zum Teil auch gehäuft mit verschiedensten Edelsteinen, deren Feuer im Lichterschein erstrahlte. Dazwischen gab es nicht weniger wertvolle Gehänge und Ketten mit schweren Plaketten und Talismanen, sorgsam drapiert, als könne in jedem Augenblicke der Besitzer seinem Grabe leibhaftig entsteigen und seinen Anspruch geltend machen.

Es blitzte, es reflektierte, und wir waren alle gleichsam sofort in diesen eigentümlichen Bann gezogen worden. Ich selbst wurde erst so richtig wieder aus meiner eigenen Faszination gerissen, als einige der Glücksritter, die Nassar ad Taruk aus En Gedi mitgebracht hatte, heftig an den Geschwistern Rügli, van der Veen und mir vorbeidrängten. Sie stürzten sich förmlich auf all die Gegenstände. Das hier überstieg offenbar ihre kühnsten Erwartungen. In einer Mischung aus Habgier und Ungeduld wollten sie so schnell so viel wie möglich davon an sich raffen. Es mutete schließlich an wie auf einem Basar zur Hauptgeschäftszeit. Alles sprach durcheinander, hier und dort gab es gar ein kurzes Handgemenge um die womöglich wertvollsten Stücke. Einige der Kelche wurden dabei umgeworfen und ergossen ihren Inhalt über den Boden, aber es scherte niemanden; es stand ja noch genügend griffbereit umher.

„Nur die Ruhe!“, hörte ich Abukar El Sayed lauthals bestimmen. „Es bekommt ein jeder denselben Anteil davon!“ Er musste sich mehrfach wiederholen und ein paar Streithähne mit Gewalt voneinander trennen, bis er sich den üblichen Respekt verschafft hatte.

Ich griff nicht ein; mir war die Rangelei zuwider. Allerdings bemerkte ich durchaus, dass auch Halef, der unweit neben mir stand, einen gewissen gierigen Blick bekam, als er des Reichtums gewahr wurde, der sich hier offenbarte. Er sah kurz zu mir herüber und wollte etwas sagen, doch ich schüttelte leicht den Kopf. Mein Freund verstand mich auch ohne Worte, aber ich merkte, dass er innerlich hin- und hergerissen davon war, sich ebenfalls einiger wertvoller Steine zu bemächtigen, die als Grabbeigabe hier zurückgelassen worden waren. Er konnte sich nur mühsam im Zaume halten, und ich konnte es verstehen. Das, was hier an Kostbarkeiten offen herumlag, reichte aus, das Volk der Haddedihn jahrzehntelang zufriedenstellend zu ernähren. Er musste nur die Hand danach ausstrecken.

„Ich gehe nach oben, Sihdi!“, sagte Halef zu mir. „Vielleicht kann ich Omar bei der Wache ablösen.“ Es schien mir ersichtlich, dass er sich hier unten nicht mehr länger selbst in Versuchung führen lassen wollte und daher das Weite suchte. Ich ließ ihn ziehen.

Derweil spitzte sich die Situation zu. „Wieso Anteil?“, kam es aus dem Munde des Belgiers. Van der Veen schien äußerst empört, ließ die sich da noch balgenden Abenteurer aber gewähren und überließ Abukar die Wiederherstellung der Ordnung. „Wir haben euch nie einen Anteil versprochen. Und den Leuten, die Nassar ad Taruk mitgebracht hat, erst recht nicht!“

„Du solltest den Männern lieber ihren Anteil lassen, Ruben. Kara Ben Nemsi hat mich schon gewarnt, dass es so weit kommen würde“, meinte jedoch Konstantin Rügli mit überzeugter Stimme.

„Aber sie wurden doch bezahlt. Der Vertrag sieht keinerlei Beteiligung vor!“, murrte der Belgier weiter. „Mit Taruk und seinen Leuten haben wir nicht mal einen. Es war auch nicht abgesprochen, dass du weitere Männer mitbringst!“, fluchte van der Veen.

„Lass sie gewähren!“, forderte Rügli jedoch unbeirrt erneut. „Du weißt, dass wir nicht deshalb hergekommen sind!“, fügte er dann geheimnisvoll hinzu. „Zumindest nicht nur deshalb!“

*

„Können wir es öffnen?“, fragte Konstantin Rügli, nachdem sich die entstandene Aufregung gelegt hatte. Er leckte sich aufgeregt mit der Zungenspitze unterhalb seines schmalen Bärtchens quer über die Oberlippe.

Die meisten Männer waren inzwischen damit beschäftigt, den vorgefundenen Schatz halbwegs gesittet unter Abukars misstrauischer Aufsicht hinaufzubringen, in die Räume der obersten Etage. Dies, um ihn von dort aus später bequemer auf einen vorhandenen Wagen und Pferde zu verladen und abzutransportieren. Das würde sicher weitere Probleme aufwerfen, denn alle Wagen gehörten ja Rügli, sie waren sein Eigentum. Zudem warteten mit ziemlicher Sicherheit Malek el Barujds räuberische Beduinen nur darauf, dass wir das leicht zu verteidigende Felsplateau an der Westflanke des Jabal Madhbah verließen. Jedoch war dies nicht der Zeitpunkt, darüber genauer nachzudenken. Die Situation hier vor Ort war immer noch angespannt genug.

Rügli selbst und dessen Schwester beteiligten sich nicht an der Bergung. Nur zwei weitere Männer aus seinem Team außer van der Veen, die er aus Europa mitgebracht hatte, taten es ihm gleich, und harrten aus. Ich wusste, dass es sich bei diesen um einen Franzosen namens Esthète und um einen Italiener, der auf Dottore Giorgio hörte, handelte. Beides waren gefühlsmäßig eher wissenschaftliche Archäologen als Schatzsucher. Im Verlauf der Reise waren sie nicht besonders auffällig gewesen. Speziell bei den kämpferischen Auseinandersetzungen hielten sie sich sehr zurück, wodurch sie unverletzt blieben. Man konnte das Feigheit nennen oder aber auch Wissen um die eigene physische Unterlegenheit in einem Faustkampf. Der rundgesichtige Franzose trug eine Baskenmütze unter leicht lockig darunter hervordringendem Goldhaar. Er war nicht sonderlich groß gewachsen. Der Italiener mit einem langen Gesicht und spitzem Kinn benutzte keine Kopfbedeckung, sondern hielt sein strähniges langes Haupthaar zu einem groben Zopf im Nacken zusammengebunden. Seine Statur war länger und breiter, aber nicht muskulös, sondern eher vom guten Essen gebildet, was ihn nicht wirklich dick machte.

„Was öffnen?“, fragte ich, das Treiben, bei dem Abukar weiterhin für eine gewisse Ruhe sorgte, nun etwas gelassener verfolgend.

„Das Grab. Das Grab natürlich!“, rief Rügli aufgeregt.

„Ihr wollt es öffnen?“

„Natürlich will ich es öffnen. Deswegen bin ich hergekommen. Deswegen sind wir hergekommen.“ Er bezog sich in erster Linie auf seine Schwester. „Die Frage ist nur, ob wir es so einfach tun können.“

„Aber, der Schatz!“, mischte sich van der Veen allerdings erneut ein und deutete auf all das, was gegenwärtig noch in den Nischen verteilt war. In der anderen Hand hielt er einen Kelch, der bis zum Rand mit Rubinen gefüllt war, allein schon ein Vermögen wert! Zwei oder drei Steine purzelten daraus hinab auf den Boden, als er ihn etwas schräg in der Luft hielt. Er beachtete es nicht, niemand beachtete es. Andernorts hätten sich sofort gierige Leiber darauf gestürzt, doch hier gab es Rubine und Smaragde im Überfluss.

„Der Schatz? Du meinst, es sei mir tatsächlich um all das Gold, das Silber und die Edelsteine hier gegangen? So wie all den anderen?“

„Nicht?“, fragte van der Veen. Die Gier stand in seinen Augen.

„Nein!“, sagte Rügli bestimmt. Freilich, auch er war fasziniert gewesen vom Anblick all des Reichtums, der hier verborgen war. Doch nun hatte er seine Sicherheit wiedergewonnen. Seine Schwester sah ihn unverwandt an. „Das hier“, fuhr er fort und machte mir der Hand eine umfassende Geste, „ist lediglich ein Almosen im Vergleich mit dem, was hier wirklich zu finden ist.“

„Worum geht es Euch denn dann, Herr Rügli?“, fragte ich misstrauisch. Irgendetwas gefiel mir nicht. Ganz und gar nicht!

„Mir geht es um den Sarkophag.“ Der Schweizer deutete mit einer Hand auf den Quader in der Mitte, dessen Platte nun bereits von den vormals darauf abgestellten Gegenständen befreit war. „Mir ging es von Anfang an um den Sarkophag. Aber das habe ich natürlich niemandem gesagt.“

„Was glaubt Ihr darin zu finden, außer den sterblichen Überresten von Thutmosis dem Fünften?“, fragte ich.

Er dachte einen längeren Moment nach, bevor er antwortete, und währenddessen immer weitere Teile des vorgefundenen Schatzes hinaustransportiert wurden.

„Die Schriften von Siatum!“, sagte er dann bedächtig.

„Die Schriften von wem?“

„Siatum. Der Wesir von Thutmosis dem Fünften. Einer seiner Wesire zumindest. Der Oberwesir möglicherweise. Dessen Grab war es, das wir auf der oberen Etage gefunden haben.“

„Ich war dabei. Es war leer. Und Euch sagte der Name etwas?“

„Anton Rügli, mein Vorfahr, hat ihn ebenfalls in seinen Aufzeichnungen erwähnt.“

„Das würde bedeuten, dass Euer Vorfahr hier gewesen ist. Hier! Nicht nur in Petra. Sondern hier auf diesem Fels­plateau und in genau diesem Grab. Mit oder ohne Burkhardt. Oben, bei Siatums Sarkophag.“

„Das ist den Aufzeichnungen nach durchaus anzunehmen.“

„Und was hat es mit diesen Schriften auf sich, von denen Ihr sprecht?“

„Anton Rügli hat seinerzeit eine dieser Schriften gefunden. Eine Papyrusrolle, einen verwitterten Teil einer Papyrusrolle, um genau zu sein. Die Grabräuber, die lange zuvor Siatums Grab geplündert hatten, müssen das wohl zurückgelassen haben. Vielleicht hatten sie es ja sehr eilig.“

„Und Anton Rügli hat jenen Rollenschnipsel an sich genommen, ohne seinem guten Freund Burkhardt etwas davon zu sagen.“

„Kann sein. Vielleicht tat er es auch in dessen Einverständnis. Wir werden es möglicherweise nie erfahren. Beide sind seit Ewigkeiten tot, und in den Veröffentlichungen Burkhardts war darüber nichts zu finden.“1

„Und was stand darauf zu lesen? Auf jenem Papyrus, meine ich.“

„Das weiss ich auch nicht!“, sagte der Schweizer und zuckte mit den Schultern. Aber irgendwie konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass er in Wahrheit eine ganze Menge mehr wissen musste. Der Pharaonenschatz war nur ein Köder gewesen. Ein Köder, um die Expedition zu finanzieren, da war ich nun ziemlich sicher. Hinter was war Rügli her? Ich blickte ihn an, ließ aber die diesbezügliche Frage unausgesprochen. „Öffnen wir es!“, meinte er erneut, ohne weiter auf meine Frage einzugehen. Dann trat er einen Schritt vor, um selbst mit Hand anzulegen. Esthète, Dottore Giorgio und auch van der Veen gesellten sich zu ihm, doch waren noch zwei weitere Männer vonnöten, die schwere Steinplatte, die den Quader bedeckte, zu bewegen.

Ich selbst hielt mich zurück. Mein Bedürfnis, mich an der Entweihung der letzten Ruhestätte eines ägyptischen Pharao direkt zu beteiligen, hielt sich in Grenzen. Mein Gewissen machte sich bemerkbar. Ich hatte Rügli und sein Korps hierher geführt. Natürlich hätte ich wissen können, nein, wissen müssen, wo und wie das alles endet. In einem Grabraub! Nichts anderes fand hier statt! Denn zweifellos würde keines der Stücke in irgendeinem Museum landen. Und wenn es auch Rügli nicht vorrangig um all das Gold, das Silber und die Edelsteine ging, die von den Abenteurern in Besitz genommen wurden, so war es dennoch auch ihn betreffend ein Grabraub. Er besaß keine Lizenz. Was er tat, war mit keiner hiesigen Behörde abgesprochen!

Mit vereinten Kräften gelang es den sechs Männern, die gewaltige Grabplatte über eine Kante beiseite zu schieben. Schließlich bekam sie derart viel Überhang, dass sie zu einer Seite herabfiel und in drei Teile zerbarst, beinahe wie ein böses Omen. Dottore Giorgio gelang es gerade eben noch so, zur Seite zu springen, damit sie nicht auf seinen Füßen landete. Er wandte sich zum geöffneten Sarkophag hin und bekreuzigte sich.

„Santa Madre di Dio! – Heilige Mutter Gottes!“, gab er dabei mit heiserer Stimme von sich. Der Franzose hingegen, der weit genug vom Malheur entfernt stand, gab nur einen unchristlichen Fluch von sich.

Einen Moment lang harrten wir abermals schweigend aus, nur unterbrochen vom Erscheinen und Wiederverschwinden einiger Männer, die weitere Schatzstücke aus den Nischen an sich nahmen, ohne uns weiter zu beachten. Nur einer von ihnen gab sogar einen abfälligen Kommentar der Art von sich, dass er sich darüber wundere, wie wir uns verhielten, wo doch der Reichtum vor uns läge. Letztlich aber war es ihm egal, da dann, wie er sich ausdrückte, sein Anteil wohl umso größer ausfiele.

In dem klobigen Quader befand sich ein kleinerer Sarkophag, der schon eher dem entsprach, was man in einem ägyptischen Grabmal erwartete. Das, was wir dort sahen und Rügli als Totenlade bezeichnete, hatte in etwa den Umfang und das Aussehen einer übergroßen stilisierten menschlichen Gestalt. Sie war vielleicht etwas mehr als zwei Meter lang, vornehmlich goldener und purpurner Farbe und besaß ein schmuckvoll-schönes, beinahe weibisches Antlitz. Über dem Kopfende befand sich etwas, das man als hedjet2 bezeichnen mochte. Allerdings war dieser hier ebenfalls in Gold und Purpur gehalten. Die erhaben auf dem Gehäuse angebrachten Armdarstellungen lagen überkreuz vor der Brust. In den goldenen Händen befand sich zur einen eine im Material ausgeprägte Schriftrolle und in der anderen etwas, das man als herrschaftliches Zepter bezeichnen mochte.

„Er ist nicht aufgestellt. Wieso hat man ihn eigentlich nicht aufgestellt?“, fragte van der Veen ein wenig irritiert.

„Was meint Ihr?“

„Die Ägypter vor dreitausend Jahren pflegten ihre Toten im Sarkophag aufrecht stehend aufzubewahren. Dieser hier wurde aber im Liegen aufgebahrt, und noch dazu in einer zweiten zwar geschmückten, für einen hohen König jedoch eher unscheinbaren äußeren Hülle.“

„Du meinst, das hier sei nicht Thutmosis?“, fragte Rügli.

„Ich bin mir nicht sicher“, entgegnete van der Veen. „Ich habe ja oben schon gezweifelt. Andererseits, die ganzen Beigaben ringsum sprechen für einen bedeutenden Herrscher. Aber das Ganze hier entspricht eben nicht einem üblichen ägyptischen Königsgrab.“

Das, was sich an Wertvollem im materiellen Sinne in der Gruft befunden hatte, war nun allerdings bereits gänzlich verschwunden. Die Männer hatten schnell gearbeitet. Abukar El Sayed trat zu uns hin, ebenfalls nun mit einem unbestimmten Leuchten in seinen Augen. „Fertig. Es ist alles oben in der Kammer. Sie müssen es nur noch auf den Karren verladen“, sagte er.

„Und was soll das bedeuten?“, fragte Rügli. „Die Karren gehören mir!“

„Dass die Männer übereingekommen sind, von hier so schnell wie möglich zu verschwinden. Ohne Blutvergießen werden wir sie nicht daran hindern können.“

„Sie alle wurden bezahlt, mich hier zu unterstützen! Auch, um für die Sicherheit der Ausgrabungen zu sorgen!“, protestierte der Schweizer. Dann fügte er, mit dem Zeigefinger auf Abukar deutend hinzu: „Du auch!“

„Wir wurden bezahlt bis zu dem Augenblicke, als wir den Schatz vorfanden“, gab dieser langsam von sich. „Über den Zeitraum danach wurde gar nichts vereinbart.“

„Es wurde auch nicht vereinbart, dass ihr eine Beteiligung an dem Schatz erhieltet. Gleichwohl habt ihr euch bereits alles genommen.“

„Wer hätte uns denn aufhalten sollen? Aber keine Sorge, ihr erhaltet denselben Anteil wie alle Männer!“

„Du willst sie begleiten?“

„Das allerdings weiß ich noch nicht genau. Vielleicht gibt es ja hier noch viel mehr zu finden“, gab er mit gewissem Unterton von sich und warf erst einen Blick auf die Totenlade und danach einen Blick auf Rügli. Mir entging nicht, dass dieser es kommentarlos im Raume stehen ließ und zu seinen eigenen Fußspitzen herabsah. Was wusste er? Was wusste Abukar? Ich sollte es in Erfahrung bringen!

„Ich sehe, nun zeigst du wieder dein altes Gesicht, Abukar El Sayed!“, mischte ich mich ein. „Habe ich dich nicht einen Freund genannt? Könnte ich mich in dir getäuscht haben?“ Dabei erwartete ich, dass er es auf eine neuerliche Auseinandersetzung abgesehen hatte, doch er blieb erstaunlich ruhig.

„Nein, Kara Ben Nemsi! Ich bin es nicht, der sich hier die ganze Zeit über verstellt hat“, gab der Ägypter von sich. Sein Blick wich dem Meinen nicht aus, als ich ihn scharf musterte.

„Sondern?“, fragte ich betont scharf.

„Mir war schon in Jaffa bewusst geworden, dass der Rügli Effendi noch andere Absichten verfolgt, als jene, hier einen Schatz zu finden. Er hatte die Absicht, den Sarkophag des Königs zu entweihen!“

„Was weißt du denn über den König hier?“, meldete sich der Schweizer selbst zu Wort.

Abukar wandte den Kopf in dessen Richtung, aber ich bemerkte, dass er dabei aus den Augenwinkeln heraus durchaus auch die anderen im Raume beobachtete. „Vielleicht viel mehr, als Ihr es erahnt. Ich bin schließlich Ägypter!“, antwortete er.

„Du bist ein Großmaul! Und das wirst du auch immer bleiben“, wurde Abukar nun von van der Veen angefahren. Der Belgier hatte die Pistolentasche an seinem Gürtel geöffnet und die Hand am Kolben. Doch Rügli gab ihm mit einer Hand und leichtem Kopfschütteln Zeichen, sich zu beherrschen, was allerdings beiden sichtlich schwerfiel. Möglicherweise war dies besser für den Belgier, denn mir war wiederum klar, dass Abukar leichtes Spiel mit ihm haben würde, falls es hier unten zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung kam.

„Also?“, fragte Rügli allerdings, mindestens so scharf wie ich zuvor.

„Als Ihr in Jaffa die Leute anwarbt, um mit Euch hierher zu ziehen – glaubt Ihr, es sei ein Zufall gewesen, dass Ihr dabei auf mich gestoßen seid?“, fragte Abukar zurück.

„War es keiner?“

„Ich bin Euch bereits gefolgt, seitdem Ihr Kairo verlassen habt, um Euch mit Eurer Schwester zu treffen.“

„Du bist mir von Kairo her gefolgt? Ich habe dich nie bemerkt!“

„Ja. Euch und dem Sajid van der Veen dort“, bestätigte Abukar, ohne weiter darauf einzugehen, warum er nicht bemerkt worden war. Aufgrund seiner Statur und seines sonst üblichen Gehabes musste er eigentlich auffallen. Mir kam in den Sinn, dass sein Auftreten zu Beginn der Reise in Jerusalem vielleicht nur gespielt gewesen war. Sehr schnell hatte er ja nach der Auseinandersetzung mit mir klein beigegeben und hoch und heilig versprochen, ein besserer Mensch zu werden. Was steckte wirklich dahinter?

„Aus welchem Grunde bist du uns gefolgt?“, hakte Rügli allerdings nach.

„Ich erfuhr in Kairo von Euren Absichten, hierher zu gehen, um das Vermächtnis Eures Vorfahren anzutreten. Zunächst war es freilich ebenfalls der Schatz, der mich reizte“, behauptete Abukar. „Aber nach und nach bekam ich heraus, warum Ihr wirklich hierher wolltet.“

„Da bin ich ja mal gespannt.“

„Wegen der Schriftrollen von Siatum.“

„Ein paar Worte, die du hier erst aufgeschnappt hast, und die für dich nicht die geringste Bedeutung haben!“, tat es van der Veen mit einer wegwerfenden Handbewegung ab und lachte kurz auf. Die Hand hatte er aber vom Pistolenkolben genommen, was mich etwas beruhigte.

„Was hat es mit diesen Schriftrollen auf sich, Herr Rügli?“, fragte ich bedächtig. Mir bereitete durchaus Sorge, dass die Situation hier unten tief im Inneren des Grabes womöglich eskalieren konnte. Auch mir hatte der Schweizer schließlich aufgetischt, dass es um einen sagenhaften Pharaonenschatz ginge. Den hatten wir tatsächlich gefunden. Aber hatten wir ihn wirklich gefunden? Ging es wirklich um das rein Materielle? „Ihr spracht vorhin von Eurem Vorfahr, der eine Schriftrolle oder einen Rest davon mit sich genommen habe, aber Ihr strittet ab, deren Inhalt zu kennen.“

„Ich habe nicht abgestritten, den Inhalt zu kennen. Ich habe nur gesagt, dass ich nicht weiß, was er bedeutet.“

„Aber dennoch haltet Ihr ihn für immens wichtig.“

„Ich halte ihn für einen Hinweis.“

„Für einen Hinweis? Was für einen Hinweis?“

„Einen Hinweis darauf, welches Geheimnis sich hinter dieser Stadt verbirgt. Ein Geheimnis, seit biblischen Zeiten bewahrt, weitergegeben von Kultur zu Kultur. Von den Ägyptern wiederentdeckt, von den Nabatäern verheimlicht, von den Arabern verzweifelt gesucht, von den Kreuzrittern gefürchtet, von den Muselmanen verehrt!“, gab Rügli bedeutungsvoll von sich.

„Aber um was es dabei genau geht, das wisst Ihr nicht.“

„Nein, ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass Anton Rügli es für so bedeutend hielt, dass er den Besitz der Schrift bis zu seinem Tode geheim hielt und niemandem davon erzählte. Es war mehr ein Zufall, dass ich darauf gestoßen bin. Einen ersten weiterführenden Hinweis fand ich damals, nachdem man das verschollene Grab Burkhardts wiederentdeckte,3 und ich mit ein paar Herrschaften ins Gespräch kam, die dessen Veröffentlichungen gelesen hatten.“

Ich warf einen kurzen Blick in den offenen schlichteren Sarkophag, in dem sich die golden-purpurne Totenlade befand.

„Aber hier ist nichts. Außer einer dreitausend Jahre alten königlichen Leiche“, bemerkte ich sarkastischer, als es meine eigentliche Absicht war. „Was glaubtet Ihr, hier zu finden?“

„Weitere Papyrusschriften natürlich. Abukar hat da schon Recht. Aus der einen, die ich bei den Sachen Anton Rüglis gefunden habe, geht zumindest hervor, dass es noch mehr davon geben muss. Viele mehr!“

„Wie kommt Ihr darauf?“

„Es handelte sich bei dem Rollenfragment womöglich um einen Auszug der Dienstanweisungen eines Wesirs. Allerdings waren sie nicht in ägyptischer Hieroglyphenschrift verfasst, und es ließ sich nur sehr wenig entziffern, selbst von den erfahrensten Ägyptologen.“

„Wenn aber das in der obersten Etage doch das Grab jenes Siatum war, und Anton Rügli dort jene Schriftrolle fand, die er mit sich nahm, so ist doch eher zu vermuten, dass dort auch die übrigen Rollen von dort verschwunden sind. Woraus zieht Ihr den Schluss, dass sich weitere Rollen hier unten befinden müssen, in der Grabkammer des Pharao?“

„Die Logik, mein lieber Kara Ben Nemsi. Die reine Logik!“ Er unterbrach sich einen Moment, strich über sein Bärtchen und fragte dann: „Seid Ihr mit den ägyptischen Dynastien und den Aufgaben eines Wesirs vertraut?“

„Eines ägyptischen Wesirs?“

„Ja.“

„Ich kenne den Titel und die Bedeutung eines Wesirs im hiesigen Raume. Dort war und ist er, in den Reichen der Seldschuken, der Ghaznawiden in Persien, also im Osmanischen Reich, bei den Safawiden und im Mogulreich, der zweite Mann im Staate, nach dem eigentlichen Herrscher. Deswegen heißt er auch Großwesir oder einfach nur Der Erste. Der Titel bedeutete früher noch viel größere persönliche Ehren, als er es heute noch tut. So wurden etwa den Großwesiren des Osmanischen Reiches auch bei gewöhnlichen Anlässen als Rangabzeichen fünf, den Wesiren drei Tugh4 vorangetragen. Diese alten Bräuche wurden allerdings von Sultan Mahmud II. irgendwann in den Zwanziger oder Dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts abgeschafft.“

Rügli nickte anerkennend. Dann meinte er: „In Ägypten gestaltete es sich etwas anders.“ Er wandte sich an den Belgier: „Erklär du es ihm, Ruben.“

Van der Veen ließ sich nicht lange bitten, behielt aber selbst Abukar dabei im Auge. „In der Wissenschaft, die sich mit Ägypten befasst, wird der Titel Tjati mit Wesir übersetzt!“, begann er. „Das Amt war schon in Altägypten bekannt. Es handelte sich auch dort um den ersten und obersten Beamten, welcher der zweite Mann im Staat nach dem Pharao war. Im Alten Reich und im Mittleren Reich Ägyptens gab es jeweils eigentlich nur einen solchen Wesir.“

„Eigentlich?“

„Es ist noch nicht weiter erforscht.“

„Aber?“

„Im Neuen Reich gab es für Oberägypten, also von Abu Simbel bis über Abydos hinauf nach Tell-El-Amarna, das sogenannte schmale Land, sowie für Unterägypten, das Nildelta, jeweils einen eigenen Wesir. Diese Zweiteilung des Amtes gilt inzwischen als wissenschaftlich gesichert, auch wenn man in Teilen unserer Fachwelt darüber noch diskutiert.“

„Zwei Wesire. Interessant für Völkerkundler. Und?“

„Die Wesire galten in Ägypten als eine Art oberste Minister. Sie erfüllten im Alltäglichen Aufgaben, die dem Pharao gebührten, und mussten diesem stetigen Bericht erstatten. Sie kontrollierten den gesamten Beamtenapparat und waren für die Steuereinnahmen zuständig. Die Wesire hatten die Aufsicht über das Militär, sie rekrutierten Soldaten, sie verfügten über den Handel mit den Nachbarn, sie waren Bauherren, ranghöchste Richter, und so weiter, und so weiter, in Personalunion. Daneben mussten sie auch Naturereignisse wie den Aufgang des Sirius oder die Nilschwemme melden, also alles, was in irgendeiner Weise praktischen oder mystischen Hintergrund besaß.“

„Eine ebenso verantwortungsvolle wie vielfältige Aufgabe.“

„Und eine sehr mächtige.“

„Ja. Aber was hat das damit zu tun, dass Ihr die weiteren Rollen im Grab des Pharao glaubt, und nicht zusammen mit allem Übrigen aus dem Grab des Wesirs verschwunden?“

„Darauf komme ich noch.“

„Na schön. Es gab also zwei Wesire. Einen für den nördlicheren und einen für den südlicheren Teil Ägyptens.“

„Ja, genau! Aber was war mit den Ländereien hier, nach dem Feldzuge von Thutmosis dem Dritten um das östliche Mittelmeer herum?“

„Sie fielen in den organisatorischen Bereich des Wesirs für den Norden, nehme ich an – also für Unterägypten, und waren diesem tributpflichtig.“

„Das ist die gegenwärtige wissenschaftliche Meinung“, gab van der Veen herablassend von sich.

„Naheliegend. Ihr seid aber nicht dieser Auffassung?“

„Ich glaube vielmehr, dass es noch einen dritten Wesir gab.“

„Einen dritten Wesir?“