Kara Ben Nemsi - Neue Abenteuer 10: Die Shejitana -  - E-Book

Kara Ben Nemsi - Neue Abenteuer 10: Die Shejitana E-Book

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Beschreibung

Auf Einladung der Österreichischen Geographischen Gesellschaft reist Kara ben Nemsi zu einem Kongress nach Wien. Er soll über seinen früheren Orientaufenthalt und die damals erfolgte Kartographie einer Nekropole berichten. Doch ein Überfall auf eine Frau wird Kara ben Nemsi zum Verhängnis. Bewusstlos geschlagen, erwacht Kara neben einer Leiche.Die Printausgabe umfasst 142 Buchseiten.

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Seitenzahl: 156

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Kara Ben NemsiDIE SHEJITANA

In dieser Reihe bisher erschienen

1801 Die Rückkehr des Schut

1802 Die Rache des Schut

1803 Der Fluch des Schut

1804 In der Gewalt des Schut

1805 Das Geheimnis des Schut

1806 Der Krieg des Schut

1807 Die Schatzräuber und die Felsenstadt

1808 Das Königsgrab in der Felsenstadt

1809 Das Vermächtnis aus der Felsenstadt

1810 Die Shejitana

1811 Im Reich der Shejitana

1812 Königin Shejitana

Kara Ben Nemsi

Die Shejitana

Eine Reiseerzählung nach den Charakterenvon Karl May

Aufgeschrieben von Thomas Ostwald

Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2018 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Thomas OstwaldTitelbild: Mark FreierUmschlaggestaltung: Mark FreierSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-120-5Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

1.

Endlich konnte ich die Abteiltür öffnen. Es war während der gesamten Strecke sehr warm im Zug geworden, und weil eine ältere Dame sich strikt weigerte, meinem Wunsch nach dem Öffnen eines Fensters zuzustimmen, musste ich ausharren. Mit strengem Blick betrachtete mich diese Dame, als ich es schließlich mit einer leichten Verbeugung zu ihr wagte, mein Jackett abzulegen und an einen der praktischen Haken zu hängen. Sie tuschelte aufgeregt mit ihrer Begleiterin und ich schnappte dabei ein paar Wortfetzen auf. „Scandaleux acte ...“1 war der eine Teil, den ich deutlich verstand, „crétin allemand“2 ein anderer.

Ich tat zunächst so, als hätte ich nicht verstanden, was die Dame zu ihrer Begleiterin gesagt hatte. Offenbar war die jüngere der beiden ihre Gesellschafterin und musste sich geradezu aufopfernd um die in ein kostbares Reisekleid aus schwarzer Seide gekleidete Dame kümmern. Madame trug einen etwas verwegenen Hut mit angedeutetem, kurzen Schleier, der für ihr Alter unpassend war. Offenbar wollte sie mit ihrem schneeweißen Gesicht, das während der Zugfahrt immer wieder überpudert werden musste, dem dezenten Dekolleté, einem kleinen Schönheitsfleck auf der Wange und ihrem gezierten Benehmen ein wenig ihr wahres Alter verschleiern.

Ihre Begleitung war ein eher farbloses junges Wesen, ebenfalls ganz in schwarz gekleidet, ebenso blass wie ­Madame, aber mit einem Hut, der ihr überhaupt nicht stand und sie eher wie eine Vogelscheuche wirken ließ. Ständig musste sie Madame ein Kissen im Nacken und ein weiteres im Rücken zurecht schieben, dann ihr ein Buch reichen, wenig später die Puderdose, dann die Tageszeitung, gleich darauf ein feines Batisttaschentuch, an dem Madame ein paar Stiche an einer kleinen Blume ausführte, um gleich darauf seufzend ihre Brille wieder abzusetzen und gelangweilt aus dem Fenster zu blicken.

Doch dabei nickte sie kurz ein, ihr Kopf kippte auf die Seite, und nach wenigen Minuten schlief auch ihre Gesellschafterin. Unbemerkt rutschte das kleine Buch, das zwischen den beiden Frauen gelegen hatte, herunter und fiel mir direkt vor die Füße.

Ich bückte mich und warf einen raschen Blick auf den Titel.

„Carl Humann, Erste archäologische Funde in ­Bergama“, las ich mit Erstaunen. Das Werk dieses deutschen Ingenieurs und Archäologen war mir gut vertraut. Ich hatte es vor meinem Reiseantritt noch einmal gelesen, weil es im aktuellen Bezug zu meiner Reise stand. Also verstand Madame durchaus meine Sprache und sprach vermutlich extra Französisch, um mich abzustrafen. Ich sah von dem Buch in meiner Hand auf und begegnete einem Zornesblitz aus den Augen der offenbar gerade erwachten Mitreisenden.

„Faites excuse, ma chère dame“, entschuldigte ich mich sofort und fuhr dann in französischer Sprache fort: „Das Buch war heruntergefallen, übrigens ein sehr ­interessanter Bericht von den neuesten Ausgrabungen in Pergamon.“ Ich benutzte bewusst den Namen der antiken Stadt, um festzustellen, ob mein Gegenüber bewandert war oder nur aus Langeweile in dem zufällig gegriffenen Titel blätterte.

„Ich bin nicht Ihre liebe Dame“, fauchte sie mich aber stattdessen auf Deutsch an, „und ich verbitte mir jede weitere Ansprache, mein Herr!“

Damit zog sie ein so fürchterlich abweisendes Gesicht, dass ich unwillkürlich lächeln musste. Aber das war Madame offenbar entgangen, denn von nun an starrte sie angestrengt aus dem Abteilfenster, bis der Zug in Wien den Bahnhof erreicht hatte.

„Bon voyages, mes dames!“, verabschiedete ich mich freundlich. Mein Jackett hatte ich längst wieder übergezogen, jetzt ergriff ich meine kleine Reisetasche und trat tief aufatmend auf den Bahnsteig hinaus.

Erst jetzt bemühte sich die junge Gesellschafterin, aus dem Abteil einem der Dienstmänner ein Zeichen zu geben, damit er die Koffer aus dem Gepäcknetz hob. Na, das konnte mir nun egal sein – wenn Madame es ablehnte, mit einem Kretin zu sprechen, musste ich auch nicht beim Aussteigen besonders höflich sein. Ich drückte meinen Hut etwas nach vorn, sah mich rasch um und ging dem Ausgang zu, als mich ein lauter Ausruf festhielt.

„Kara Ben Nemsi Effendi! Was für eine Freude! Es ist sehr lange her, dass wir uns gesehen haben, Inschallah!“ Der Mann, der mich auf so freundliche Weise und in einer Lautstärke begrüßte, die sofort die Aufmerksamkeit der Reisenden auf uns lenkte, war ein stattlicher Riese von fast zwei Metern Körpergröße und mächtig breiten Schultern, einem schwarz behaarten Gesicht, sehr buschigen Augenbrauen und einem Lachen dazu, das ehrlich und offen war.

„Hassan ben Khaifani, mein Freund! Welche eine Überraschung!“, antwortete ich, aber schon wurde ich von zwei mächtigen Armen umschlossen und an die Brust des Riesen gedrückt, sodass mir kurz der Atem wegblieb. Dabei drehte sich der Mann noch einmal um seine Achse und wirbelte mich um sich herum wie ein kleines Kind.

„Hassan, lass es gut sein, man wird schon auf uns aufmerksam!“, rief ich lachend aus, denn der Riese hätte wohl noch ein paar Runden, mich herumschleudernd, über den Bahnsteig getanzt. Auch er lachte so herzlich, dass ihm die Freudentränen die Wangen hinunter liefen.

„Ach Kara Ben Nemsi Effendi – was für ein Tag! Was für ein Wiedersehen!“

Ich warf einen raschen Blick auf die um uns herum eilende Menge und traf dabei auf so manchen fröhlichen Gesichtsausdruck, der sich aber rasch verlegen abwandte.

Während wir nun nebeneinander zum Ausgang gingen, sagte ich zu meinem Begleiter: „Dann verdanke ich also meine Einladung wirklich ihm?“

Erschrocken blieb Hassan stehen und schenkte mir aus seinen großen, braunen Augen einen so erschrockenen Blick, dass ich unwillkürlich erneut auflachen musste.

„Aber Effendi – wo denkst du hin? Nein, natürlich nicht! Der Khedive3 ist natürlich zum Kongress geladen, aber als Staatsmann und wichtiger Partner der Europäer bei dem neuen Projekt. Nein, Kara, du bist hier, weil man dich ehrt und deinen Rat möchte. Man hat dich aufgrund deines Wissens und deiner Tätigkeit eingeladen. Man will dich, Kara Ben Nemsi Effendi, ehren, und deine Rolle bei der Entdeckung der Nekropole herausstreichen. Ohne dich wäre niemals ...“

„Bitte!“, fiel ich meinem Freund ins Wort. „Kein Wort weiter hier an diesem Ort, Hassan, wo uns alle hören können. Was damals geschehen ist, wissen nur drei Menschen – der Khedive, du und ich. Und das ist auch genug. Wenn es Kreise ziehen sollte, habe ich Angst vor den Folgen, denn sollte das Wissen um die Weisen Räte in falsche Hände geraten ...“ Ich ließ meine Antwort ausklingen, weil ich das Gefühl hatte, dass uns zwei Männer folgten, die in den letzten Minuten dichter zu uns aufgeschlossen hatten. Ein rascher Blick zu Hassan, und er verstand meine Befürchtungen. Wir unterhielten uns in der arabischen Sprache und duzten uns natürlich.

„Habe sie bemerkt, Effendi. Es handelt sich um zwei Agenten des Österreichischen Geheimdienstes. Sind nicht sonderlich begabt, diese Burschen vom Institut der k. u. k. Polizeiagenten in Wien, wie sie sich seit einiger Zeit nennen. Wenn du erlaubst, werde ich mich ein wenig um sie kümmern.“

Bei diesen Worten schlug Hassan die geballte rechte Faust in die linke Handfläche.

„Ich glaube, das wird nicht nötig sein, Hassan. Lass mich das bitte regeln.“

Mit diesen Worten drehte ich mich mitten im Gehen auf dem Absatz herum und wäre um ein Haar mit den beiden Männern zusammengeprallt, die sich dicht hinter uns gehalten hatten.

„Meine Herren“, sprach ich sie an, wobei der erste von ihnen einen Schritt zurücktrat und so tat, als wolle er an mir vorübereilen. „Meine Herren, lassen Sie doch bitte das alberne Spiel. Mein Name ist Karl Winter, ich komme aus Dresden und wurde von der Österreichischen Geographischen Gesellschaft als Gastredner eingeladen. Mein Begleiter ist Hassan ben Khaifani, Offizier des ägyptischen Vizekönigs und zugleich Chef der Leibgarde. Wenn Sie meinen, dass wir uns auf dem Bahnhof verdächtig gemacht haben, so schreiben Sie Ihren Bericht, grüßen Sie Ihren Vorgesetzten und überlegen Sie Ihr weiteres Vorgehen. Es könnte zu schweren diplomatischen Konflikten zwischen Österreich und Ägypten führen. Und ich kenne Ismail Pascha, den Khedive, sehr gut und weiß, dass er äußerst empfindlich reagieren kann. Guten Tag!“

Damit ließ ich die beiden verblüfften Agenten einfach stehen, griff Hassan am Unterarm und führte ihn behutsam in eine andere Richtung. Schließlich vernahm ich ein befreiendes Lachen an meiner Seite und atmete selbst durch.

„Köstlich, Kara Ben Nemsi, ganz köstlich! Wie in alten Zeiten in Kairo. Ach, was freue ich mich, dass wir in den nächsten Tagen genügend Gelegenheit finden werden, unsere alte Freundschaft zu erneuern! Aber zunächst möchte ich dafür sorgen, dass du in dein Hotel kommst, ohne weitere Belästigungen zu ertragen. Dort drüben steht unser Fahrzeug!“

Er deutete in die Richtung der wartenden Kutschen, und ich hatte eine normale Droschke erwartet. Aber ­Hassan schien übermütig geworden zu sein, denn offensichtlich wartete einer der zahlreichen Fiaker auf uns, mit einem Kutscher, den ich niemals im Leben ausgesucht hätte, wenn ich die Wahl gehabt hätte. Die nummerierten Kutschen, von denen es inzwischen mehr als 1000 in Wien gab, waren zweispännige, offene Lohnkutschen, die insbesondere von den zahlreichen Reiselustigen gern gemietet wurden.

Schon im Jahre 1693 wurde in Wien die erste Lizenz für einen Fiaker erteilt. Das Wort stammte vom französischen Fiacre und wurde rasch zu einem festen Begriff, nicht zuletzt durch Baedekers Reiseführer. Die berühmten roten Bände wurden seit 1832 von Karl Baedeker im gleichnamigen Verlag herausgegeben. Mit der sechsten Auflage des erfolgreichen Reiseführers hatte man endlich Deutschland und Österreich getrennt, denn der Umfang eines solchen Bandes war mit über 600 Seiten bereits sehr unhandlich geworden. Ich selbst hatte mir die sechzehnte Auflage besorgt, die sich mit Österreich und Ungarn beschäftigte und 316 Seiten mit umfangreichen Informationen, Karten und Plänen aufwies. Das war ein Reiseführer ganz nach meinem Geschmack, mit zahlreichen Hinweisen auf Sehenswürdigkeiten, die ich wohl kaum auf meiner Reise aufsuchen würde – aber einem ausgezeichneten Stadtplan von Wien.

Wir fuhren direkt zur K. u. K. Österreichischen Geographischen Gesellschaft von 1867 in ein Gebäude, das man eigens für diese Tagung angemietet hatte. Im Mittelpunkt der Ausstellung, die unsere Tagung begleiten sollte, stand der Theatrum Orbis Terrarum von Abraham Ortelius aus dem Jahre 1571, aber jeder Teilnehmer wusste, dass die Ausstellung dieser Kostbarkeit nur vom eigentlichen Thema ablenken sollte.

Schließlich war der Ehrengast dieser Veranstaltung der Vizekönig von Ägypten, und dass dieser Mann nur ein recht mäßiges Interesse an dem Atlas aus Antwerpen hatte, galt als offenes Geheimnis.

Aber alle sollten sich in dieser Hinsicht sehr getäuscht haben.

2.

Im Hotel hatte ich mich frisch gemacht und ein sauberes Hemd angezogen. Bis zum offiziellen Empfang am Abend verblieben noch mehrere Stunden Zeit, um mich in Wien ein wenig umzusehen – und genau das tat ich jetzt auch, denn die Hauptstadt der K.-u.-K.-Monarchie interessierte mich brennend. Außerdem wollte ich mir den Ortelius-­Atlas in Ruhe ansehen. So nannte man den von Abraham Ortelius gezeichneten Theatrum Orbis Terrarum kurz, denn der Atlas wurde von ihm im Jahre 1570 erstmals in Antwerpen veröffentlicht. In Wien wurde allerdings eine spätere Ausgabe gezeigt, die mein Interesse geweckt hatte. Es handelte sich dabei um die 31. Auflage von 1612 mit nunmehr 162 Karten, dem mehr als doppelt so umfangreichem Werk nach der ersten Veröffentlichung. Der Atlas war eine unglaubliche Kostbarkeit, zeigte er doch die gesamte, damals bekannte Welt in einer vorzüglichen Kartenqualität.

Ich war gespannt auf die Ausstellung und betrat das Gebäude im 3. Wiener Bezirk. Während meines kurzen Spazierganges vom Hotel zum Versammlungshaus staunte ich über die umfangreichen Bauarbeiten in Wien. Überall waren Straßen aufgerissen, kündeten große Baustellen vom raschen Wachsen großer Mietshäuser, und an manchen Stellen sah ich auch bekümmert das Verschwinden herrlicher alter Fachwerkhäuser. Die Geographische Gesellschaft hatte eine prächtige Villa für ihre Tagung und die damit verbundene Ausstellung gemietet, die unmittelbar am ehemaligen Linienwall lag und in direkter Nachbarschaft zur Gaststätte Zum goldenen Posthorn. Das war vortrefflich, denn bei den herrschenden Temperaturen wurde mir durch den Fußweg schon wieder ordentlich warm und ich beschloss, nach meinem Besuch der Ausstellung dort etwas Kühles zu mir zu nehmen.

Behände sprang ich die Treppen zum Eingang hinauf und wurde Zeuge einer interessanten Szene. Zwei vollkommen schwarz gekleidete Damen befanden sich in einem Disput mit einem Uniformierten, der ihnen offenbar den Zugang verweigerte. Ich hatte meine beiden Zugbegleiterinnen sofort erkannt, lüftete artig meinen Hut und verbeugte mich vor den Damen.

„Grüß Gott, Mesdames, wenn ich mich einmischen darf? Ich würde Ihnen gern meinen Arm anbieten und mit Ihnen die Ausstellung besuchen.“

Die ältere der beiden Damen fuhr so plötzlich zu mir herum, dass sie mich beinahe berührte. Dabei traf mich ein vernichtender Blick, und ein empörtes Zischen der Dame wurde noch ergänzt durch ein zwischen den Zähnen herausgestoßenes: „Wagen Sie es ja nicht!“

Im nächsten Augenblick rauschte Madame an mir vorbei, gefolgt von ihrer Gesellschafterin, die mir einen verzweifelten Blick zuwarf. Ich verbeugte mich lächelnd hinter den beiden Frauen und reichte dem Uniformierten meine Einladung nebst beigefügter Karte, die mir ausdrücklich den Zugang zu sämtlichen Exponaten ermöglichte. Mehr noch, auf Wunsch des Karteninhabers wurde jedes Teil in einem besonderen Raum zur näheren Einsichtnahme bereitgestellt. Unterschrieben wurde dieses besondere Dokument persönlich vom Präsidenten der Gesellschaft, Karl Bernhard Freiherr von Hietzinger.

Ich hatte den Herrn zwar noch nie kennengelernt, aber meine kleine Abhandlung über die Schienenstrecken im Amerikanischen Westen, die ich während meiner Zeit als Landvermesser angefertigt hatte und die von verschiedenen, deutschsprachigen Zeitschriften abgedruckt wurde, brachte mir vonseiten des Präsidiums bereits allerhöchstes Lob ein. Aber das war nicht der eigentliche Grund für meine Anwesenheit.4

„Herzlich willkommen in unserem Hause, Herr Professor!“, grüßte mich der Uniformierte überschwänglich. Ich lächelte über diesen Titel und nickte dem Mann huldvoll zu, als er mir schwungvoll die wertvolle Einladung zurückreichte. „Man wird sich Ihrer Wünsche sehr gern annehmen, Herr Professor. Und wenn Sie im Studierzimmer einen Einspänner genießen möchten, werde ich das gern für Sie veranlassen!“

Ich trat in die etwas düstere Atmosphäre des Hauses ein, das allerdings angenehm kühl war, und schmunzelte noch immer. Einen Einspänner im Studierzimmer, ja, warum nicht gar? Dann fiel mir ein, dass diese Wiener Kaffeehausspezialität auf die Fiaker-Kutscher zurückging, die ihren Kaffee in der einen Hand, die Zügel in der anderen Hand hielten. Durch die dicke Sahnehaube – Schlagobers – blieb der Kaffee auch im Freien lange heiß. Ach, es war einfach herrlich, dieses Wien – schon nach den ersten Stunden fühlte ich mich wohl und hatte das Gefühl, dass jeder meiner Mitmenschen in mir etwas Besonderes sah. Und wem schmeichelt das nicht?

Es waren zu dieser frühen Nachmittagsstunde nur wenige Besucher anwesend, die an den Schränken mit den dicken Glasscheiben vorüberschlenderten, sich die gerahmten Karten und Stiche ansahen, leise miteinander tuschelten oder zum Hauptwerk der diesjährigen Versammlung drängten: dem Atlas. Durch eine weit geöffnete Doppeltür, die von zwei bewaffneten Uniformierten flankiert wurde, trat ich ein und bemerkte eine flache Glasvitrine in der Mitte, die von mehreren Personen bereits umgeben war. Hier waren nur Männer in dunklen Gehröcken, schneeweißen Hemden und blitzenden Manschettenknöpfen anwesend, offenbar der Geldadel von Wien, denn selten habe ich bei Männern am Nachmittag so auffallend gezeigten Reichtum gesehen. Einer schien den anderen mit der Größe seiner Diamanten an den Krawattennadeln übertreffen zu wollen, dazu gab es dicke, goldene Uhrketten, ergänzt durch Berlocken mit Anhängern aus Gold, Elfenbein oder dicken Edelsteinen. Mir schwindelte, wenn ich rasch überschlug, was hier um die Vitrine mit dem kostbaren Atlas an Werten versammelt war.

Niemand achtete auf mich, als ich mich über die aufgeschlagene Karte beugte und begeistert erkannte, dass es sich um das achte Segment handelte, eine Karte von ­Constantinopolis. Ich fischte meine Lupe aus der Westentasche und klappte sie auf, um die Details besser bewundern zu können. Das gedämpfte Licht im Raum trug nicht gerade zum deutlichen Erkennen bei, aber dann traten einige der Herren beiseite, um sich leise zu unterhalten. Dadurch fiel etwas mehr Licht der Deckenbeleuchtung auf die Karte, und ich bewunderte die Details der Ausführung.

Die Kartenzeichnung selbst erfolgte mit brauner Tinte, die Straßen waren mit roten Linien ausgeführt, die Namen der Städte mit dunkler Tinte. Ich schreckte aus meinen Betrachtungen auf, als plötzlich eine Gruppe neu hereintretender Männer auf ungehörig laute Art ausrief: „Ah, da ist ja der Codex Vindobonensis, aber in einer schrecklichen Beleuchtung! Kann man das Gas nicht ein wenig höher drehen, um das Meisterwerk besser zu betrachten?“

Ein Blick zu der Gruppe zeigte mir eine Auswahl junger Stutzer, die mit ihrer lauten Art offenbar nicht gelernt hatte, sich in der Öffentlichkeit zu benehmen. Eine der nicht uniformierten Aufsichten trat wie aus dem Nichts hervor und hob beschwichtigend die Hände.

„Meine Herren, bitte nicht so laut. Das Licht ist gedämpft, um die kostbare Auslage zu schonen, das verstehen Sie doch sicher!“

„Verstehen? Nein, keinesfalls, wie soll man sich da diese Kostbarkeit genauer ansehen können, wenn man wie im Tunnel durch die Gegend tappt?“, lautete die Antwort des ersten Sprechers. Als er jetzt dicht neben mir herantrat, bemerkte ich den Alkoholgeruch, der den jungen Mann umwehte. Auch seine Bewegungen schienen fahrig zu sein, und als er sich jetzt über das Glas beugte, schwankte er deutlich hin und her. Angewidert drehte ich mich ab und ging zur gegenüberliegenden Wand, an der einige frühe Kartendrucke ausgestellt waren.

Doch damit war ich den jungen Herren noch nicht entkommen. Sie unterhielten sich unangemessen laut über den ausgestellten Atlas, dann traten sie ebenfalls an die Karten heran und kommentierten jede einzelne von ihnen. Das zeigte mir zumindest einen gewissen Sachverstand, aber ich schätzte die Gruppe auf Studenten der Geographie, die vermutlich kurz vor ihrem Abschluss standen, wenn ich das Alter der angetrunkenen Schar berücksichtigte.

Jetzt trat erneut einer der Aufseher zu ihnen heran, es gab ein heftiges Wortgefecht, und gleich darauf stieß der Mann einen lauten Ruf aus. Das war offenbar das Zeichen, die Burschen gewaltsam aus der Ausstellung zu entfernen, denn nun liefen plötzlich vier Uniformierte herein, griffen sich jeweils einen der Burschen am Arm und zogen sie mit sich. Als einer von ihnen lautstark protestierte, schnauzte ihn der Uniformierte barsch an, und augenblicklich herrschte Ruhe.

Mir hatte dieser Auftritt den Ausstellungsbesuch gründlich verleidet. Ich wollte zu einem späteren Zeitpunkt zurückkehren und verließ kurz hinter den Flegeln die Villa, um hinüber zum Goldenen Posthorn zu spazieren.

3.