Kara Ben Nemsi - Neue Abenteuer 17: Der Karawanentod -  - E-Book

Kara Ben Nemsi - Neue Abenteuer 17: Der Karawanentod E-Book

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Beschreibung

Die Spur des Mädchenhändlers führt Kara ben Nemsi und Hadschi Halef Omar nach Mossul. In dem dort angrenzenden Ruinenfeld von Ninive stößt Anton durch Zufall auf das Versteck einer Räuberbande. Bei der Untersuchung des unterirdischen Verstecks werden die drei Gefährten entdeckt und eingesperrt.

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Kara Ben NemsiKARAWANENTOD

In dieser Reihe bisher erschienen

1801 Die Rückkehr des Schut

1802 Die Rache des Schut

1803 Der Fluch des Schut

1804 In der Gewalt des Schut

1805 Das Geheimnis des Schut

1806 Der Krieg des Schut

1807 Die Schatzräuber und die Felsenstadt

1808 Das Königsgrab in der Felsenstadt

1809 Das Vermächtnis aus der Felsenstadt

1810 Die Shejitana

1811 Im Reich der Shejitana

1812 Königin Shejitana

1813 Die Reise zum Toten Meer

1814 Die Stadt am Toten Meer

1815 In der roten Wüste

1816 Die El-Wahabiya-Bande

1817 Karawanentod

Kara Ben Nemsi

Karawanentod

Eine Reiseerzählung nach den Charakterenvon Karl May

Aufgeschrieben von Axel J. Halbach

Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2020 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Ralph KretschmannUmschlaggestaltung: Mario HeyerLogo: Mark FreierInnenillustration: Ralph KretschmannSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-127-4Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

1.

„Ninive aeterna ‒ das ewige Ninive! Endlich kann ich mir diesen Kindheitstraum erfüllen!“

Dies waren die letzten Worte von Anton, bevor er uns am folgenden Morgen mit einem leeren Sack über der Schulter, einer Fackel sowie Pickel und Schaufel verließ, um einen ersten Blick auf die wenigen Überreste dieser ehemaligen Königsstadt zu werfen. Ich hatte ihn zu großer Vorsicht ermahnt, denn irgendwo dort vermutete ich ‒ nach dem Erschrecken von Selim zu urteilen ‒ den geheimen Stützpunkt der El-Wahabiya-Bande. Andererseits nahm ich aber auch nicht an, dass ihm eine unmittelbare Gefahr drohte. Mustafa würde mit großer Wahrscheinlichkeit planen, uns alle drei gleichzeitig zu erwischen ‒ gegen Anton alleine vorzugehen, würde nur bei Halef und mir die Vorsicht verdoppeln, und das konnte nicht in seinem Interesse sein.

An dieser Stelle erscheint es angebracht, den Leser vorab ein wenig über das heutige Ninive ‒ wir schrieben das Jahr 1867 ‒ zu informieren. Ninive liegt von Mossul aus gesehen auf der gegenüberliegenden Seite des ­Tigris; nur mittels einer Fährverbindung kann der hier schon recht breite Fluss überquert werden. Unweit vom jenseitigen Ufer erhebt sich ein großer, annähernd rechteckiger Erdhügel, auf dem einst die Hauptpaläste und Tempel dieser alten Königsstadt standen. Bemerkenswert ist, dass es sich bei diesem hohen, zentralen Hügel um eine künstliche Erdaufschüttung handelt. Hier und da treten aus der Lehmerde Kieselsteinschichten als einzige Reste der früheren Bauten zutage. Die Oberfläche des Hügels ist heute mit spärlichem Gras bewachsen, das im Frühjahr unzählige Gänseblümchen zu einem fast weißen Teppich machen. Später im Jahr wechselt die Farbe und der Hügel erblüht rot von wildem Mohn.

Von dieser Akropolis aus ist die Lage der früheren Stadt deutlich erkennbar. Parallel zum Tigris erstreckt sich ein langer Wall vom Burgberg nach Norden und Süden mit vielen kleinen, halbkreisförmigen künstlichen Erdaufschüttungen auf der Landseite. Dies war die einstige Stadtbefestigung, die ein klares Bild von der Lage und Ausdehnung des ehemaligen Ninive vermittelt, auch wenn heute keinerlei Baureste mehr existieren. Die letzte Zerstörung der Stadt im Jahr 606 war eine vollständige ‒ über sie ist damals buchstäblich der Pflug hinweggegangen; heute erinnern nur noch Schutthügel an den vollständigen Zerfall dieser einstigen Metropole.

Wichtig ist auch noch etwas Anderes. Obwohl die Ausgrabungen in Ninive schon 1842 begannen, war die damals gewählte Methode alles andere als eine glück­liche und archäologisch zweckmäßige. Man hatte nämlich nicht versucht, die Fundamente von Bauten freizulegen, sondern grub nur teils mehr, teils weniger lange Stollen ohne Abstimmung, Ziel und Plan in den Schutthügel hinein und durchwühlte diesen in dieser Form nach beweglichen Fundstücken, ohne an wissenschaftliche Erhaltung oder gar Rekonstruktion zu denken. Was dort vor allem englische und französische Abenteurer anrichteten, war mehr Plünderung als Forschung und die zahlreichen Schachtgrabungen vereitelten weitgehend jede Hoffnung, doch noch klare Erkenntnisse über die seinerzeitigen örtlichen Verhältnisse zu gewinnen.

Auch die umgebende Landschaft bot nicht mehr das Bild früherer Jahrtausende. Zum Tal des Tigris hin ziehen sich mehrere Hügelreihen, über deren Buckel es auf und ab durch ein kahles, baumloses, völlig reizloses Land geht. Durch die Vernachlässigung des ehemaligen Kanalsystems, das damals die Bodenkultur erst ermöglichte, wurde der harte, trockene, wüstenhafte Lehm­boden unfruchtbar. Hier und da überragen öde Tafelberge die kahlen, scherbenübersäten oder vom Flugsand dünn überpuderten Ebenen. Einst fruchtbar und für damalige Verhältnisse dicht bevölkert, ist heute das weite Land der ehemaligen Reiche von Assyrien und Babylonien fast durchweg Wüste. Dies waren die äußeren Gegebenheiten, die sich Anton heute präsentieren würden; auf den Bericht nach seiner Rückkehr war ich deshalb sehr gespannt.

Trotz dieser im Vorhinein wenig erfreulichen Aussichten erstrahlten die Augen von Anton aber, als er schweißtriefend und staubbedeckt kurz vor Sonnenuntergang wieder bei uns in der Herberge eintraf.

„Perterritus et laetari idem sum ‒ ich bin erschüttert und entzückt zugleich: Was für eine wüste Stätte ‒ und was für ein Glück habe ich dennoch gehabt!“

Bei diesen Worten holte er aus seinem über die Schulter gehängten Sack einige kleinere Tonscherben, vor allem aber eine vollkommen erhaltene und reich verzierte Schale, ein ebenso unversehrtes krugähnliches Gefäß und schließlich sogar eine kleine weibliche Tonfigur heraus ‒ mehrere Tausend Jahre alte Fundstücke einer längst untergegangenen Kultur, die heute archäologisch von unschätzbarem Wert waren und ihn in höchstes Entzücken versetzten. Ich konnte seine Begeisterung verstehen, musste aber trotzdem einige eher praktische Fragen an ihn richten: „Ich freue mich, dass du mit deinen Funden so ein Glück gehabt hast ‒ vor allem aber auch, dass du heil und gesund zurück bist! Wie ist der Tag verlaufen? Ist dir irgendetwas Besonderes aufgefallen, ich meine ‒ im Hinblick auf El Wahabiya?“

„Ja ... und nein, Kara ben Nemsi ‒ aber ich will der Reihe nach erzählen! Von außen war absolut keine Spur irgendeiner menschlichen Anwesenheit zu entdecken ‒ aber natürlich habe ich heute auch zunächst nur einen kleinen Teil dieses von rotem Mohn übersäten Schutthügels überblicken können. Aber überall diese Löcher, Stollen, Gänge ‒ als ob Hunderte von Riesenmaulwürfen diesen ganzen Hügel kreuz und quer durchgraben hätten; tatsächlich war es ja auch wirklich so. Ohne die Fackel hätte ich sofort wieder umkehren müssen ‒ so aber konnte ich mit ihrer Hilfe in einige dieser Gänge eindringen und habe dann auch unter Zuhilfenahme der mitgenommenen Werkzeuge diese herrlichen Gegenstände entdeckt!“

„Ich verstehe deine Freude, Anton ‒ aber du hast auf meine Frage nicht nur nein, sondern auch ja gesagt. Was meintest du damit?“

„Als ich mich in einem dieser dunklen, verzweigten Stollen befand, war es mir, als käme von irgendwoher eine Art dumpfes Stimmengemurmel. Dies war aber sehr gedämpft, Einzelheiten konnte ich nicht verstehen ‒ aber es waren ohne jeden Zweifel Stimmen und außer mir befand sich niemand anders in diesem Gang!“

„Merkwürdig! Wie ist dies zu erklären? Vielleicht befanden sich andere Schatzsucher in einem nahen Gang nebenan?“

„Auch daran habe ich gedacht ‒ aber zurück ins Tageslicht sah ich, dass sich gerade an dieser Stelle weit und breit keine weiteren Stolleneingänge befanden. Stimmen aus einem benachbarten Gang können es also nicht gewesen sein.“

„Aber dann vielleicht doch nur eine Täuschung?“

„Nein ‒ ich bin natürlich noch einmal zurückgegangen bis zu der Stelle, wo mir dieses Stimmengemurmel aufgefallen war ‒ und genau dort vernahm ich es wieder! Andererseits ‒ einige Meter davor oder dahinter: Nichts! Ich habe die Stelle markiert ...“

„Tatsächlich ‒ das ist dann doch reichlich merkwürdig! Natürlich ist die Möglichkeit nicht auszuschließen, dass sich in diesem unterirdischen Stollengewirr weit entfernte Geräusche durch irgendwelche physikalischen Gesetze an eine ganz andere Stelle übertragen, ohne dass dort deren Ursprung zu ergründen ist. Ich schlage deshalb vor, dass wir morgen alle drei diesem geheimnisvollen Stollen einen Besuch abstatten und ihn näher untersuchen. Auf jeden Fall wissen wir dann mehr.“

Anton und Halef stimmten mir zu und letzterer meinte mit einem Seufzer der Erleichterung: „Allahu akbar! Die Kunst der weisen Überlegung und Tatkraft ist zu meinem Sihdi zurückgekehrt! Die Anspannung, die mich ergriffen und die meinen Körper von der Milz im Süden bis zu den Haaren im Norden erzittern ließ, beginnt einer wohligen Zuversicht zu weichen! Wir werden die Gänge der Maulwürfe durchwühlen, bis sich uns der Ursprung dieser geheimnisvollen Geräusche so klar wie ein Bergquell offenbart! Und sollte die El-Wahabiya-Bande dahinter stecken, dann werden wir dafür sorgen, dass sie für immer im dunklen Schlund dieser Höhlengänge verschwindet!“

Wie sich herausstellen sollte, war diese prophetische Vorhersage Halefs gar nicht so weit von der späteren Wirklichkeit entfernt ‒ nur schien seine Sicht in die Zukunft die davon betroffenen Personen verwechselt zu haben! Aber das Beste wird wohl sein, weiter der Reihe nach zu berichten ...

2.

Am folgenden Tag machten wir uns schon am frühen Morgen gemeinsam auf den Weg, überquerten den Tigris mittels der nur bei Bedarf verkehrenden Fähre und hatten dann nach einer guten halben Stunde Fußmarsch den von Anton bezeichneten Stolleneingang erreicht. Tatsächlich ‒ im Gegensatz zu den anderen Abschnitten dieses Schuttberges, die eher wie ein Schweizer Käse aussahen, war hier der Hügel noch weitgehend unversehrt. Offenbar war der von Anton mit so großem Erfolg durchsuchte Gang für andere Antiquitätenjäger vor ihm eher eine Enttäuschung gewesen, sodass man auf weitere Grabungen an dieser Stelle verzichtet hatte. Wir waren mit allen notwendigen Geräten ausgerüstet und verschwanden nacheinander, jeder mit einer brennenden Fackel in der Hand, in dem dunklen Loch. Zuvor aber mahnte ich noch: „Bitte so leise wie möglich! Wenn wir andere hören können, so ist dies auch umgekehrt der Fall! Kein Wort! Anton, du gehst voran und zeigst uns die Stelle, an der du gestern die Geräusche vernahmst.“

So vorsichtig wie möglich bewegten wir uns vorwärts. Der Stollen führte zunächst ziemlich gerade in den Berg hinein, machte dann aber nach etwa zwanzig Metern eine leichte Rechtskurve, führte erneut etwa zwanzig Meter weiter und endete dann abrupt. Im Licht unserer Fackeln war vor uns und an allen Seiten nur noch das nackte Erdreich zu sehen. Ganz wohl war mir in diesem unbefestigten, jeden bergbaulichen Sicherheitsvorschriften widersprechenden Gang nicht. Risse in den Wänden, vor allem aber an der Decke, und heruntergefallene kleinere, aber auch größere Erd- und Gesteinsbrocken wiesen auf langsamen Verfall hin. Zum Glück war jetzt Trockenzeit und das bei stärkeren Niederschlägen sicherlich bis in diese Tiefe aufgeweichte Erdreich hatte sich wieder fest mit dem ebenfalls hart gewordenen Lehm verbunden. Dennoch, wie schon gesagt: So ganz wohl war mir nicht!

Anton zeigte auf ein in den Lehm hineingeritztes kleines Kreuz einige Meter, bevor der Gang endete, und flüsterte: „Hier war es, genau hier!“

Wir vermieden jedes Geräusch und meinten sogar, den Atem anhalten zu müssen ‒ zu hören war aber nicht das Geringste.

„Irrst du dich auch nicht, Anton? Hier herrscht absolute Grabesstille!“

„Wie kann ich mich irren? Ihr habt doch das Kreuz gesehen! Wenn tatsächlich hinter dieser Wand Menschen gewesen sein sollten, dann müssen sie sich ja nicht für alle Ewigkeit dort aufhalten!“

„Womit du vollkommen recht hast, Anton!“

Noch einmal schwiegen wir und lauschten angestrengt in das Dunkel hinein: nichts, nicht der leiseste Laut. Auch von der Außenwelt drang absolut nichts, kein Windrauschen, kein Vogelzwitschern bis hierher in das Berg­innere. Nach ein paar schweigsamen Minuten sagte ich: „Gut ‒ wir können uns jetzt sicher sein: Sollte sich jenseits dieser Wand ein Hohlraum, besser gesagt ein Raum befinden, in dem sich offenbar manchmal Menschen aufhalten, dann ist dieser jetzt verlassen und wir können ohne Sorge zu Werke gehen!“

Wir hatten unter anderem eine spitz zulaufende ­Eisenstange von etwa zwei Zentimetern Durchmesser und einen Vorschlaghammer mitgenommen. Mit diesem trieben wir jetzt die Stange in das von Lehm, Kieseln und Mauerresten durchsetzte Erdreich hinein, was nicht schwierig war, denn unüberwindliche Hindernisse wie etwa gewachsener Fels waren nicht zu befürchten. Mit gleichmäßigen Schlägen trieben wir die Stange immer tiefer, dreißig, vierzig, fünfzig Zentimeter in die Seitenwand des Ganges hinein. Zentimeter um Zentimeter ging es weiter ‒ als plötzlich, bei etwa sechzig Zentimetern Tiefe, die Stange bei einem Schlag fast ganz in dem Loch verschwand: Wir waren durch! Vorsichtig zogen wir die Stange wieder heraus und ich sagte: „Tatsächlich ‒ hinter dieser Wand verbirgt sich ein freier Raum! Zu sehen wird aber wohl nichts sein.“

Durch mehrmaliges Hin- und Herschieben der Stange reinigte ich das enge Loch von kleineren, die Sicht behindernden Erdkrümeln und Kieseln und vergrößerte es ein wenig, bevor ich hindurch blickte, ohne allerdings etwas anderes als vollkommene Dunkelheit zu erwarten. Umso erstaunter fuhr ich zurück.

„Ein Licht! Dort drüben brennt eine Lampe, irgendeine kleine Ölfunzel, die man offenbar vergessen hat zu löschen! Der Blick durch dieses Loch richtet sich genau auf dieses Licht! Jetzt gibt es wirklich keine Zweifel mehr: In dem Raum jenseits dieser Wand haben sich Menschen aufgehalten. Natürlich kann es sich wie bei Anton um Schatzgräber handeln ‒ aber wer sich so tief im Inneren eines Berges verbirgt ‒ nun, irgendwie werden wir dieses Geheimnis wohl lüften müssen!“

Anton und Halef stimmten mir zu, wobei letzterer meinte, nachdem auch er das flackernde Licht gesehen hatte: „Sihdi ‒ niemand darf wissen, was wir entdeckt haben! Wir müssen das Loch wieder verstopfen, sonst ...“

„Vollkommen richtig, Halef ‒ die heutige Entdeckung soll uns erst einmal genügen! Wir werden in Mossul überlegen, wie es weitergehen soll. Mir geht es nicht aus dem Kopf, was uns dieser Habulam von einem heiligen Marabut in Ninive erzählt hat ‒ ich meine, auf diesen sollten sich zunächst unsere weiteren Nachforschungen konzentrieren.“

So gut es ging, verstopften wir das Loch wieder mit lockerem Sand, Lehm und Kies, wobei sich allerdings nicht vermeiden ließ, dass in dem Raum, zu dem wir durchgestoßen waren, einige Erdkrümel auf unsere Tätigkeit hindeuten mussten. Da hier aber überall ein leichtes Abbröckeln von den Wänden und Decken zu beobachten war, nahm ich nicht an, dass dies besondere Aufmerksamkeit finden würde. Noch am gleichen Tag suchten wir Erdin auf, der uns wieder eine große Hilfe war, als wir ihn zu diesem angeblichen Marabut befragten.

„Es ist wirklich so ‒ in Ninive, auf der vom Tigris abgewandten Seite des Hügels, werdet ihr ein kleines, viereckiges, weißes Gemäuer von vielleicht nicht mehr als vier, fünf Metern im Quadrat sehen mit einer gewölbten Kuppel als Dach. Derartige Andenken an islamische Heilige sind in ihrer Konstruktion immer sehr ähnlich; der viereckige Bau symbolisiert die Verbundenheit mit der Erde, mit den dort Lebenden, die gewölbte Kuppel stellt die Verbindung zum Jenseits dar. Normalerweise werden solche Gedenkstätten erst nach dem Tod der jeweiligen Person errichtet, an die sie dann erinnern sollen; einige dieser Bauten können dann auch zum Ziel regelrechter Wallfahrten werden. Bei diesem Bau allerdings ist das weniger der Fall, zumal er sich auch noch in anderer Hinsicht von den üblichen Marabut-­Gedenkstätten unterscheidet: Der Marabut, der sie errichtet hat, lebt noch ‒ ein höchst seltener Fall! Merkwürdig ist auch, dass er sich nur relativ selten dort aufhält, um die Bitten einzelner Gläubiger entgegenzunehmen und an Allah weiterzuleiten.“

„Wie ist es denn überhaupt zu erklären, dass dieser islamische Heilige, dieser Marabut, von der Bevölkerung als heilig angesehen wird? Und das auch noch zu Lebzeiten?“

„Von Zeit zu Zeit hält sich dieser Marabut in der Medina von Mossul auf, am liebsten in der Hafengegend, wobei er dann den besonders Bedürftigen bei bestimmten Anlässen Geld zukommen lässt. Obwohl es sich dabei nie um große Beträge handeln soll, hat ihn dies in den Augen der Armen und Glücklosen dieser Welt zu einem Heiligen werden lassen. Allerdings ‒ die Marabut-­Gedenkstätte hat sich dieser etwas seltsame Heilige vor einigen Jahren selbst erbaut ‒ sein Ansehen als Marabut gewann er erst danach im Zusammenhang mit seinen gelegentlichen Geldspenden. Was interessiert dich an diesem Marabut so?“

„Ich habe den Verdacht, dass eben dieser Marabut mit dem Anführer der Mädchenhändlerbande identisch ist, von der ich dir erzählt habe.“

„Nein! Das ist unmöglich, das ist ungeheuerlich! Wie kommst du zu dieser unglaublichen Behauptung?“

„Murad Habulam hat zugegeben, dass er viele der von ihm weiterverkauften jungen Damen von einem Unterhändler eben dieses Marabuts übernommen hat ‒ was auch erklären würde, woher dieser Heilige das Geld hat, mit dem er sich anscheinend bei Teilen der Bevölkerung Achtung und Wohlwollen erkauft hat.“

„Woher er das Geld hat ‒ diese Frage habe ich mir auch schon gestellt, ohne aber ernsthaft darüber nachzudenken. Aber ... dennoch ... das Ganze ist unglaublich, kaum vorstellbar! Und jetzt wollt ihr ...“

„Bis jetzt ist es nur ein Verdacht, wenn auch meiner Meinung nach ein sehr begründeter, dem ich unbedingt nachgehen will! Ich danke dir, Erdin ‒ deine Auskünfte haben uns sehr geholfen. Morgen werden wir dieser Sache auf den Grund gehen.“

*

In einer Hafenkneipe Mossuls befand sich an einem von den übrigen Sitzgelegenheiten etwas abgesonderten Tisch eine Gruppe von insgesamt sechs Männern, von denen einer nicht nur durch seinen besonders dichten, schwarzen Vollbart auffiel, sondern auch durch seine sehr vornehme Kleidung: Sein reich bestickter Kaftan und ein auffälliger grüner Turban wiesen auf dessen besonders enge Verbindung zum islamischen Glauben und zu Mohammed hin, während die anderen Männer, von denen er sich deutlich unterschied, übliche Alltagskleidung trugen. Soweit andere Anwesende diesem Tisch nahekamen, zeigten sie dem bärtigen Moslem stets ihre besondere Hochachtung. Richtig, wir kennen diesen Burschen schon: Es handelte sich um niemanden anders als um Mustafa in seiner Marabut-Tracht, begleitet von den anderen Mitgliedern seiner Bande. Vor jedem dieser Männer stand ein Humpen Wein, dem man offenbar schon seit geraumer Zeit ganz ordentlich zugesprochen hatte, denn es herrschte eine aufgeräumte, lockere Stimmung. Dennoch achtete man auf eine nur sehr gedämpfte Unterhaltung, um von den Nachbartischen aus nicht verstanden werden zu können. Eben meinte Mustafa: „Noch einmal, Selim, Ahmed, Suleiman: Alles ist wie besprochen vorbereitet? Es gibt keinen Zweifel mehr, dass unser Plan funktioniert?“

„Nicht den geringsten, rais1! Wir haben noch einmal alles überprüft. Du kannst ganz sicher sein: Diesmal wird dem Kara ben Nemsi und den anderen elenden Aasgeiern ihre letzte Stunde schlagen!“

„Gut ‒ ich bin auch selbst überzeugt davon. Wichtig ist für uns aber natürlich auch, was du, Yussuf, zu berichten hast! Sind die drei noch in Mossul? Es wäre wirklich fatal, wenn sie doch noch verschwinden würden, ohne zuvor mir ‒ wie angekündigt ‒ einen Besuch abzustatten!“

„Sie sind noch in Mossul, rais, und planen offenbar auch nicht ihre baldige Abreise. Aber etwas ist mir doch merkwürdig erschienen ...“

„Sprich ‒ was ist dir aufgefallen?“

„Dieser kleine Beduine, Halef heißt er wohl, hat Fatima gekauft.“

„Wie bitte ... was ... was kann das bedeuten? Sollte vielleicht ...?“

„Ich kann es mir selbst nicht erklären.“

„Vielleicht ... oft ist der naheliegendste Gedanke der richtige ... ja, ich bin mir fast sicher: Dieser Halef hatte möglicherweise von Anfang an die Absicht, sich in Mossul nach einem neuen Mitglied seines Harems umzusehen, auch wenn wir ihm dabei zeitweise ein wenig in die Quere kamen. Durch uns aber wurde er auf Fatima aufmerksam ‒ und dass er sie dann auch wählte, ist bei dem Liebreiz dieses Mädels wahrlich nicht erstaunlich. Verdammt ... wenn das ihr Ziel in Mossul war, dann könnten sie jetzt doch ...“

„Nein, das glaube ich nicht! Dieser Kara ben Nemsi ist unglaublich hartnäckig. Du hast doch von der Vernichtung der Raubkarawane gehört?“

„Natürlich ‒ was hat es damit auf sich?“

„Diesem Kara ben Nemsi ist es gelungen ‒ wie auch immer! ‒, die Identität des Karawanentods aufzudecken! Es handelt sich um einen reichen Kaufmann hier in Mossul ‒ Abdulrahman er Sayari ‒, der sich jetzt auf der Flucht befindet, sein Vermögen wurde vom Khediven beschlagnahmt ...“

„Tausend Teufel! Ich habe mich schon immer gefragt, wer hinter diesem Karawanentod steckt! Aber ... inwiefern ist das für uns von besonderer Bedeutung?“

„Nun ‒ es zeigt einmal, dass es für diesen Kara ben Nemsi offenbar keine halben Sachen gibt ‒ und zum anderen, dass das, was diesem Karawanentod passiert ist, auch uns widerfahren könnte!“

„Bist du verrückt, von allen guten Geistern verlassen? Im Gegenteil ‒ diese Nachricht von dir ist für mich Gold wert, denn nun können wir sicher sein, dass diese drei verdammten Schnüffler nicht verschwinden werden, ohne uns vorher einen Besuch abgestattet zu haben ‒ und genau dieser Besuch wird zu ihrem endgültigen Verschwinden führen! Hast du auch noch Neuigkeiten, was den Dritten, unseren ehemaligen Gefangenen, betrifft?“

„Dieser Bursche scheint mir tatsächlich nur ein sogenannter Altertumsforscher zu sein, denn er ist in den verschiedensten Stollen im Hügel von Ninive herumgekrochen und hat dabei allerlei wertloses Zeug gesammelt, über das er aber in höchstes Entzücken geriet.“

„Hervorragend! Besser kann die Ausgangslage für uns gar nicht sein! Ein weiterer Krug Wein scheint mir jetzt angebracht, denn nun werden die Mitwisser unseres einträglichen Geschäfts bald nicht mehr unter uns weilen und wir können unser Unternehmen weiterführen wie bisher!“

Ein weiterer Krug des kräftigen roten Traubensaftes versetzte die sechs Männer in eine noch fröhlichere Stimmung. Man prostete sich zu und ließ hin und wieder unter lautem Gelächter eine Anspielung darauf fallen, welches Schicksal Kara ben Nemsi und seine Freunde erwartete, deren letzte Stunden man sich äußerst genüsslich ausmalte.

*

Unser Plan für den folgenden Tag stand fest: Anton würde zunächst auf weitere Grabungsversuche verzichten müssen, denn wir wollten gemeinsam diesem angeblichen Marabut in seiner Behausung einen Besuch abstatten. Ich nahm zwar kaum an, ihn dort selbst ‒ beziehungsweise unseren Schwarzbart Mustafa ‒ anzutreffen, versprach mir aber von einer näheren Untersuchung seiner Gedenkstätte den einen oder anderen Hinweis, der uns auf der Suche nach seiner Bande weiterführen würde.

Da sich unser Ziel, die Behausung des Marabuts, auf der dem Tigris abgewandten Seite des Hügels von Ninive befand, hatten wir diesmal einen etwas längeren Fußmarsch vor uns und brachen deshalb schon früh am Morgen auf, um zumindest auf dem Hinweg der größten Tageshitze zu entgehen. Während wir auf der dem Fluss zugewandten Seite des Hügels ab und zu ein paar einheimische Fischer sahen und auch auf den einen oder anderen Schatzsucher stießen, war die Rückseite dieser antiken Ruinenstätte praktisch menschenleer. Schon von Weitem war jetzt das grüne, gewölbte Kuppeldach der Marabut-Gedenkstätte zu erkennen, da keinerlei Bäume oder entsprechender Buschbewuchs die Sicht behinderten. Je näher wir dem kleinen Gebäude kamen, umso vorsichtiger setzten wir unsere Schritte auf die nur von Gras, hartblättrigen Kräutern und rotem Klatschmohn bestandene Fläche. Meinen Henrystutzen hielt ich schussbereit in der Hand. Erst etwas entfernter im Hintergrund ließen einige Bäume und dichter stehende Büsche auf ein reichlicher vorhandenes Grundwasser schließen. Es geschah aber nichts ‒ alles blieb ruhig und schließlich standen wir unmittelbar vor dem Eingang der Gedenkstätte, deren Innenraum vielleicht zwanzig Quadratmeter umfasste.