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Unsichtbare Fäden umspinnen das jetzige Leben Loredana Sánchez, eine attraktive spanische Anwältin, bricht aus ihrem Eheleben aus und gerät immer wieder an den gleichen Männertypus - Macho durch und durch. Warum fällt es ihr so schwer, dieses Muster zu durchbrechen? Sarah Breuner, erfolgreiche Therapeutin mit eigener Praxis, fühlt sich immer wieder "unsichtbar", ohne zu verstehen, woher dieses Gefühl kommt. Und wieso träumt sie immer wieder von Russland, obwohl sie noch nie dort gewesen ist? Beide Frauen kennen eine einschneidende, alles durchdringende sibirische Kälte, die den ganzen Körper erfasst. Aber keine von ihnen ist jemals nach Sibirien gereist. Woher kommt diese Empfindung? Sind es lange vergangene Geschehnisse, von denen ihr Bewusstsein nichts ahnt, die ihr jetziges Leben beeinflussen? Und in welcher Beziehung stehen die beiden zueinander? Der Reinkarnationstherapeutin und Fachbuchautorin Ulrike Vinmann ist es im vorliegenden Roman grandios gelungen, dem Leser aus einer übergeordneten Perspektive die Zusammenhänge verschiedener Leben nahezubringen. Alle Begebenheiten - egal aus welchem Leben - bleiben gespeichert. Aber: Wir sind den verborgenen Erinnerungen nicht machtlos ausgeliefert. Alles - wirklich alles - kann bereinigt werden.
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Seitenzahl: 584
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Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen
Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,
die sich über die Dinge ziehn.
Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,
aber versuchen will ich ihn.
Ich kreise um Gott, um den uralten Turm,
und ich kreise jahrtausendelang;
und ich weiß noch nicht: bin ich ein Falke,
ein Sturm oder ein großer Gesang.
Die blonde Frau saß mit dem Baby in der Küche. Es war Frühling in der Schweiz, aber er zeigte sich noch nicht wirklich. Immer noch war es kalt und die Knospen der ersten Frühlingsboten kamen nur zögerlich aus dem gefrorenen Boden heraus.
Sie schaute aus dem Fenster in die beginnende Dämmerung. Immer wenn es dunkel wurde, kamen ihre Beklemmungen wieder, das Herzstechen und die Angst. Und mit diesen Gefühlen kamen auch die Bilder wieder, Bilder, die sie vergessen wollte. Bilder vom Lazarett in Astrakhan an der Grenze zwischen Russland und Kasachstan. Immer wieder sah sie die blutigen Körper der verletzten Männer vor sich, hörte sie ihr Stöhnen und roch den Geruch von fauligem Fleisch.
»Wann ist es endlich vorbei?«, fragte sie sich, während sie ihr acht Monate altes Baby ansah. Sie hatte Schuldgefühle und dachte, dass sie ihre Tochter lieben sollte, aber sie konnte es nicht. Zu groß war die Last der Vergangenheit.
Es hatte ein paar Momente in den letzten Wochen gegeben, in denen sie versucht gewesen war, ihrem Mann alles zu erzählen. Aber es ging nicht. Wenn sie den Mund öffnen wollte, war es so, als wäre ein Knoten in ihren Stimmbändern, der es ihr verbot weiterzusprechen. Und außerdem trug er eine ebenso schwere Last aus seiner Vergangenheit wie sie. Sie wollte ihn nicht auch noch mit ihren Geschichten belasten.
Irgendwann hatte er aufgehört sie zu fragen. Jetzt führten sie eine zwar nach außen harmonische, aber nach innen erkaltete Ehe. Wenn sie nachts wach wurde und die Schreie der Männer aus Astrakhan hörte, wünschte sie sich zu sterben, nur damit sie die Schreie nicht mehr hören musste und die Bilder endlich aus ihrem Kopf verschwänden.
Ihre Tochter sah sie mit großen Augen an. Es war so, als spüre das Kind die Angst der Mutter.
Erneut begann ihr Herz zu stechen und sie griff in die Schublade, um noch eine Valium herauszunehmen. Als sie die Tablette schluckte, hatte sie ein schlechtes Gewissen. Sie nahm die Medikamente heimlich, ohne Wissen ihres Mannes. Sie dachte: »Irgendwann werden mich diese ganzen Pillen umbringen – aber vielleicht ist es genau das, was ich will.«
Sie dachte an ihre Familie in Russland, die sie seit über zwanzig Jahren nicht mehr gesehen hatte, und der Schmerz war so tief, dass er ihr fast das Herz zerriss.
Dann stand sie seufzend auf, versorgte mechanisch ihr Baby, das sie immer nur mit großen Augen ansah, und brachte es ins Bett.
Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass es 17.30 Uhr war. In einer Stunde würde ihr Mann nach Hause kommen. Es war Zeit, das Abendessen vorzubereiten. Wie in Trance fing sie an, Kartoffeln zu schälen und den Salat zu machen. Das Valium dämpfte all ihre Gefühle, nicht nur die Angst. Sie dachte: »Ja, das ist es, was ich will. Ich will einfach gar nichts mehr fühlen.«
Als die Kartoffeln auf dem Herd standen und der Salat auf dem Tisch, nahm das Herzstechen zu. Sie schaute zu ihrem Kind und sah, dass das Baby in seinem Bettchen eingeschlafen war. Sie begann zu keuchen und setzte sich in den Sessel neben dem Ofen.
Dort fand sie ihr Mann, als er eine halbe Stunde später nach Hause kam. Da war sie schon tot.
In Pokrowsk herrschte eisige Kälte an diesem Februartag des Jahres 1918.
Tatjana packte alles zusammen, was in den kleinen Leiterwagen passte. Ihr Mann Dimitrij war damit beschäftigt, die Papiere zu ordnen, die sie mitnehmen mussten. Die drei Töchter Anastasija, Irina und Jekaterina saßen aneinandergekauert in einer Ecke des kleinen Hauses. Anastasija und Irina waren Zwillingsschwestern. Sie waren fünf Jahre alt. Jekaterina war ein Jahr älter.
Die Mädchen hatten große Angst. Tatjana hatte ihnen nur gesagt, dass sie nach Amerika auswandern würden. Was das bedeutete, konnten die Mädchen in diesem Augenblick nicht im Entferntesten ermessen.
Dimitrij und Tatjana waren Wolgadeutsche und lebten auf einem Bauernhof in der Nähe von Pokrowsk. Ihre Vorfahren waren im Jahr 1764 auf den Ruf von Zarin Katharina II aus Deutschland nach Russland gekommen. Seit die Bolschewiken im Oktober 1917 die Macht ergriffen hatten, war die Familie immer größer werdenden Repressalien ausgesetzt, denn die neue Regierung betrachtete die Wolgadeutschen als Feinde.
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