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Mit dem Untertitel 'Ein Abend auf den Oktoberfest' wurde von Horvaths durchaus sozialkritisches Volksstück am 18. November 1932 im Leipziger Schauspielhaus uraufgeführt. 'Es ist die Ballade vom arbeitslosen Chauffeur Kasimir und seiner Braut ..., eine Ballade voll stiller Trauer, gemildert durch Humor, das heißt durch die alltägliche Erkenntnis 'Sterben müssen wir alle!'' Ödön von Horváth
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Seitenzahl: 71
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Motto
Und die Liebe höret nimmer auf.
Kasimir
Karoline
Rauch
Speer
Der Ausrufer
Der Liliputaner
Schürzinger
Der Merkl Franz
Dem Merkl Franz seine Erna
Elli
Maria
Der Mann mit dem Bulldoggkopf
Juanita
Die dicke Dame
Die Kellnerin
Der Sanitäter
Der Arzt
Abnormitäten und Oktoberfestleute
Dieses Volksstück spielt auf dem Münchener Oktoberfest, und zwar in unserer Zeit.
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Es wird dunkel im Zuschauerraum und das Orchester spielt die münchener Hymne »Solang der alte Peter«. Hierauf hebt sich der Vorhang.
Schauplatz: Gleich hinter dem Dorf der Lippennegerinnen. Links ein Eismann mit türkischem Honig und Luftballons. Rechts ein Haut-den-Lukas – (das ist so ein althergebrachter Kraftmesser, wo du unten mit einem Holzbeil auf einen Bolzen draufhaust, und dann saust ein anderer Bolzen an einer Stange in die Höhe, und wenn dann dieser andere Bolzen die Spitze der Stange erreicht, dann knallt es, und dann wirst du dekoriert, und zwar für jeden Knall mit einem Orden). Es ist bereits spät am Nachmittag und jetzt fliegt gerade der Zeppelin in einer ganz geringen Höhe über die Oktoberfestwiese – in der Ferne Geheul mit allgemeinem Musiktusch und Trommelwirbel.
Rauch Bravo Zeppelin! Bravo Eckener! Bravo!
Der Ausrufer Heil!
Speer Majestätisch. Hipp hipp hurrah!
Pause.
Der Liliputaner Wenn man bedenkt, wie weit es wir Menschen schon gebracht haben – Er winkt mit seinem Taschentuch. Pause.
Karoline Jetzt ist er gleich verschwunden, der Zeppelin –
Der Liliputaner Am Horizont.
Karoline Ich kann ihn kaum mehr sehen –
Der Liliputaner Ich seh ihn noch ganz scharf.
Karoline Jetzt seh ich nichts mehr. Sie erblickt Kasimir; lächelt. Du, Kasimir. Jetzt werden wir bald alle fliegen.
Kasimir Geh so lasse mich doch aus. Er wendet sich dem Lukas zu und haut ihn vor einem stumm interessierten Publikum – aber erst beim drittenmal knallt es, und dann zahlt der Kasimir und wird mit einem Orden dekoriert.
Karoline Ich gratuliere.
Kasimir Zu was denn?
Karoline Zu deiner Auszeichnung da.
Kasimir Danke. Stille.
Karoline Der Zeppelin, der fliegt jetzt nach Oberammergau, aber dann kommt er wieder zurück und wird einige Schleifen über uns beschreiben.
Kasimir Das ist mir wurscht! Da fliegen droben zwanzig Wirtschaftskapitäne und herunten verhungern derweil einige Millionen! Ich scheiß dir was auf den Zeppelin, ich kenne diesen Schwindel und hab mich damit auseinandergesetzt – Der Zeppelin, verstehst du mich, das ist ein Luftschiff und wenn einer von uns dieses Luftschiff sieht, dann hat er so ein Gefühl, als tät er auch mitfliegen – derweil haben wir bloß die schiefen Absätz und das Maul können wir uns an das Tischeck hinhaun!
Karoline Wenn du so traurig bist, dann werd ich auch traurig.
Kasimir Ich bin kein trauriger Mensch.
Karoline Doch. Du bist ein Pessimist.
Kasimir Das schon. Ein jeder intelligente Mensch ist ein Pessimist. Er läßt sie wieder stehen und haut abermals den Lukas; jetzt knallt es dreimal, er zahlt und bekommt drei Orden; dann nähert er sich wieder Karoline. Du kannst natürlich leicht lachen. Ich habe es dir doch gleich gesagt, daß ich heut unter gar keinen Umständen auf dein Oktoberfest geh. Gestern abgebaut und morgen stempeln, aber heut sich amüsieren, vielleicht sogar noch mit lachendem Gesicht!
Karoline Ich habe ja garnicht gelacht.
Kasimir Natürlich hast du gelacht. Und das darfst du ja auch – du verdienst ja noch was und lebst bei deinen Eltern, die wo pensionsberechtigt sind. Aber ich habe keine Eltern mehr und steh allein in der Welt, ganz und gar allein.
Stille.
Karoline Vielleicht sind wir zu schwer füreinander – Kasimir Wie meinst du das jetzt?
Karoline Weil du halt ein Pessimist bist und ich neige auch zur Melancholie – Schau, zum Beispiel zuvor – beim Zeppelin– Kasimir Geh halt doch dein Maul mit dem Zeppelin!
Karoline Du sollst mich nicht immer so anschreien, das hab ich mir nicht verdient um dich!
Kasimir Habe mich gerne! Ab.
Karoline sieht ihm nach; wendet sich dann langsam dem Eismann zu, kauft sich eine Portion und schleckt daran gedankenvoll. Schürzinger schleckt bereits die zweite Portion.
Karoline Was schauns mich denn so blöd an?
Schürzinger Pardon! Ich habe an etwas ganz anderes gedacht.
Karoline Drum. Stille.
Schürzinger Ich habe gerade an den Zeppelin gedacht.
Stille.
Karoline Der Zeppelin, der fliegt jetzt nach Oberammergau.
Schürzinger Waren das Fräulein schon einmal in Oberammergau?
Karoline Schon dreimal.
Schürzinger Respekt!
Stille.
Karoline Aber die Oberammergauer sind auch keine Heiligen. Die Menschen sind halt überall schlechte Menschen.
Schürzinger Das darf man nicht sagen, Fräulein! Die Menschen sind weder gut noch böse. Allerdings werden sie durch unser heutiges wirtschaftliches System gezwungen, egoistischer zu sein, als sie es eigentlich wären, da sie doch schließlich vegetieren müssen. Verstehens mich?
Karoline Nein.
Schürzinger Sie werden mich schon gleich verstehen. Nehmen wir an, Sie lieben einen Mann. Und nehmen wir weiter an, dieser Mann wird nun arbeitslos. Dann läßt die Liebe nach, und zwar automatisch.
Karoline Also das glaub ich nicht!
Schürzinger Bestimmt!
Karoline Oh nein! Wenn es dem Manne schlecht geht, dann hängt das wertvolle Weib nur noch intensiver an ihm könnt ich mir schon vorstellen.
Schürzinger Ich nicht.
Stille.
Karoline Können Sie handlesen?
Schürzinger Nein.
Karoline Was sind denn der Herr eigentlich von Beruf?
Schürzinger Raten Sie doch mal.
Karoline Feinmechaniker?
Schürzinger Nein. Zuschneider.
Karoline Also das hätt ich jetzt nicht gedacht!
Schürzinger Und warum denn nicht?
Karoline Weil ich die Zuschneider nicht mag. Alle Zuschneider bilden sich gleich soviel ein. Stille.
Schürzinger Bei mir ist das eine Ausnahme. Ich hab mich mal mit dem Schicksalsproblem beschäftigt.
Karoline Essen Sie auch gern Eis?
Schürzinger Meine einzige Leidenschaft, wie man so zu sagen pflegt.
Karoline Die einzige?
Schürzinger Ja.
Karoline Schad!
Schürzinger Wieso?
Karoline Ich meine, da fehlt Ihnen doch dann was.
Kasimir erscheint wieder und winkt Karoline zu sich heran, Karoline folgt ihm.
Kasimir Wer ist denn das, mit dem du dort sprichst?
Karoline Ein Bekannter von mir.
Kasimir Seit wann denn?
Karoline Schon seit lang. Wir haben uns gerade ausnahmsweise getroffen. Glaubst du mir denn das nicht?
Kasimir Warum soll ich dir das nicht glauben?
Stille.
Karoline Was willst du? Stille.
Kasimir Wie hast du das zuvor gemeint, daß wir zwei zu schwer füreinander sind? Karoline schweigt boshaft. Soll das eventuell heißen, daß wir zwei eventuell nicht zueinander passen?
Karoline Eventuell.
Kasimir Also das soll dann eventuell heißen, daß wir uns eventuell trennen sollen – und daß du mit solchen Gedanken spielst?
Karoline So frag mich doch jetzt nicht!
Kasimir Und warum nicht, wenn man fragen darf?
Karoline Weil ich jetzt verärgert bin. Und in einer solchen Stimmung kann ich dir doch nichts Gescheites sagen!
Stille.
Kasimir So. Hm. Also das wird dann schon so sein. So und nicht anders. Da gibt es keine Ausnahmen. Lächerlich.
Karoline Was redest du denn da?
Kasimir Es ist schon so.
Karoline fixiert ihn: Wie?
Stille.
Kasimir Oder ist das vielleicht nicht eigenartig, daß es dir gerade an jenem Tage auffällt, daß wir zwei eventuell nicht zueinander passen – an jenem Tage, an welchem ich abgebaut worden bin?
Stille.
Karoline Ich versteh dich nicht, Kasimir.
Kasimir Denk nur nach. Denk nur nach, Fräulein!
Stille.