Ich bin nämlich eigentlich ganz anders, aber ich komme nur so selten dazu - Ödön von Horváth - E-Book

Ich bin nämlich eigentlich ganz anders, aber ich komme nur so selten dazu E-Book

Ödön von Horváth

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Beschreibung

Der selbsternannte Weltbürger Ödön von Horváth ist nicht nur ein Chronist seiner Zeit, sondern auch eine wichtige Stimme gegen den Faschismus und verfolgt in seinen Werken das Ziel der "Demaskierung des Bewußtseins". Er tritt als Gesellschafts- und Moralkritiker auf, indem er in seinen Stücken sozialpolitische Stoffe verarbeitet, indem er sich in die Welt des "Kleinbürgers" und Ottonormalverbrauchers hineindenkt und -fühlt. Seine große Gabe ist es, die von ihm beobachteten Menschen mit ihren Alltagsproblemen und ihrer Sprache aufs Papier zu bringen – "die Welt so zu schildern, wie sie halt leider ist." Damit füllt er die Funktion des Dichters aus, die Wahrheit zu sprechen und Zustände zu entlarven, die den Menschen trostlos machen. Die schonungslosen, kritischen und pointierten Aussagen des "Klassikers der Moderne" verfehlen ihre Wirkung in ihrer Unmittelbarkeit bis heute nicht.

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Ödön von Horváth (1901–1938)

Ödön von Horváth

Ich bin nämlich eigentlich ganz anders, aber ich komme nur so selten dazu

Gedanken eines Aufrechten

Herausgegeben von Anna Schloss

Und die Leute werden sagen

In fernen blauen Tagen

Wird es einmal recht

Was falsch ist und was echt

Was falsch ist, wird verkommen

Obwohl es heut regiert.

Was echt ist, das soll kommen

Obwohl es heut krepiert.

(Theoretisches, Briefe, Verse)

INHALT

I.Die Gesellschaft, Politisches und Soziales

II.Vom Wesen des Menschen

III.Von Liebe & Ehe, Männern & Frauen

IV.Über das Leben, das Schicksal und das Wesen der Dinge

V.Gedanken über Gott und den Glauben

VI.Zu Literatur, Kultur & dem Beruf des Schriftstellers

VII.Sportmärchen

VIII. Autobiographisches

Zeittafel

Nachwort

Editorische Notiz

I.

DIE GESELLSCHAFT, POLITISCHES UND SOZIALES

Das ist der Fluch speziell von uns Deutschen, daß wir uns nicht um Politik kümmern, wir sind kein politisches Volk – bei uns gibts noch massenweis Leut, die keine Ahnung haben, wer sie regiert.

(Italienische Nacht)

Aber wenn jemand wie ich die menschliche Gesellschaft beobachtet und die sozialen Umschichtungen nicht nur rein intellektuell, sondern auch gefühlsmäßig miterlebt, dann drückt sich das einem im Gesicht aus, überhaupt in der ganzen Haltung. Man wird gezeichnet.

(Geschichten aus dem Wiener Wald)

Ich finde nur, daß man sich als überlegener Mensch keiner Partei anschließen soll. Man muß auf einer höheren Zinne stehen.

(Geschichten aus dem Wiener Wald)

Ich kenne alle Parteien! Es gibt überhaupt keine Partei mehr, bei der ich noch nicht war, höchstens Splitter! Aber ich kann dir sagen, das ist alles nichts!

(Kasimir und Karoline)

Ich bin ein Mensch, der sich ganz auf das gesellschaftliche Problem konzentriert hat. Bei mir geht die Ökonomie vor der Erotik.

(Geschichten aus dem Wiener Wald)

Ich hab halt ein zu scharfes Auge. Ich seh, wie sich die Welt entwickelt, und dann denk ich mir, wenn ich nur ein paar Jahre jünger wär, dann könnt ich noch aktiv mittun an ihrer Verbesserung – aber ich bin halt verdorben. Und müd.

(Italienische Nacht)

»Das deutsche Volk einig in seinen Stämmen –« – mir, als sogenanntem Auslandsdeutschen, als von den garantiert echten Vaterländischen unter der Rubrik »Internationalist« Geführtem, mir wurd es übel, Zeuge dieser entarteten Heimatliebe zu sein.

(Erzählungen und Skizzen)

– Der schönste Tod ist ja allerdings der Tod für ein Ideal.

– Ich kenn kein Ideal, für das ich sterben möcht.

(Italienische Nacht)

Die Deutschen haben nämlich alle dicke Köpfe, natürlich nur im wahren Sinne des Wortes. Ich bin ja selbst so halb Deutscher. Was bin ich nicht halb? Alles bin ich halb! So ist das Leben!

(Der ewige Spießer)

Ich denk jetzt an meinen Abort. Siehst, früher da waren nur so erotische Sprüch an der Wand dringestanden, hernach im Krieg lauter patriotische und jetzt lauter politische – glaubs mir: so langs nicht wieder erotische werden, so lang wird das deutsche Volk nicht wieder gesunden –

(Italienische Nacht)

Man sieht die Erde unter sich und all die Menschen und den Schmutz und das Elend und wundert sich, daß die Menschen nicht mehr Frieden halten können.

(Kasimir und Karoline)

Ich hab mir das alles genau überlegt, das mit dem Staat, Krieg, Friede, diese ganze Ungerechtigkeit. Man muß dahinter kommen, es gibt da ein ganz bestimmtes Gesetz. Es ist immer dasselbe. Ein ganz bestimmter Plan, das ist klar, sonst wär ja alles sinnlos. Das ist das große Geheimnis der Welt.

(Sladek oder Die schwarze Armee)

Kultur oder nicht Kultur – Krieg ist ein Naturgesetz!

(Geschichten aus dem Wiener Wald)

Ich wäre glücklich, wenn wir ein internationales Strafgesetzbuch hätten, das die Macht besäße, den Krieg zu sühnen genau wie den Mord. Daß es trotzdem Kriege geben wird, nehme ich als unerbittliche Tatsache, aber nicht als Ausrede.

(Sladek oder Die schwarze Armee)

Daß ich aus Europa will, das hat einen sogenannten bevölkerungspolitischen Grund. Es ist nämlich zu eng hier – ich hab zum Beispiel immer das Gefühl, man muß ein Fenster aufmachen, damit frische Luft herein kann, es ist zu dumpf hier.

(Sladek oder Die schwarze Armee)

– Der Kommunismus kommt.

– Man spricht aber vom Nationalismus.

– Lächerlich! Der Kommunismus ist unausbleiblich – das sind so Schwankungen! Es ist doch unmöglich, daß die Industrie herrscht! Nicht? Einfach unmöglich! Ist doch ganz klar! Kapitalismus ist doch eine prähistorische Erscheinung!

– Aber meine Generation hat drunter zu leiden!

(Himmelwärts)

Man muß durch Marx unbedingt hindurchgegangen sein.

(Der ewige Spießer)

Am Anfang war die Tat, sagt Goethe und schrieb den Faust. Am Anfang war das Wort, sagt Wilhelm der Zweite und führte uns herrlichen Zeiten entgegen, am Anfang war, das kümmert mich nicht, sagt Lenin. Jetzt kommt die Tat oder das Wort. Ich bin, sagt Lenin. Ich lebe.

(Charlotte)

Des Grundübel, des is die kapitalistische Produktionsweise. Solang da a solche Anarchie herrscht, solang darfst wartn mit den Idealen des Menschengeschlechts.

(Revolte auf Côte 3018)

Die Leute, die da vom Untergang des Kapitalismus reden, haben recht. Ich sage das als Kapitalist. Es ist ein unmöglicher Zustand. Er hat sich überlebt. Das System ist ganz morsch.

(Szenisches)

Die Zeitungen sollen endlich aufhören, die Völker gegeneinander zu hetzen. Es hat doch gar keinen Sinn.

(Sladek oder Die schwarze Armee)

Ich versteh die Leut nicht mit ihrem Kollektivismus. Das ist doch alles anders. Der Mensch ist auf sich gestellt – auf sich allein, besonders der Deutsche. Indem, daß wir heut die Lage sehen – wie lange werden wir noch brauchen, bis wir kollektiv denken können? Ich werds ja nimmer erleben –

(Sladek oder Die schwarze Armee)

Wie kommt es, daß die Menschen, die heute nichts haben, statt sich sozialistischen Gewerkschaften anzuschließen, in die Kreise der schwarzen Reichswehr geraten?

(Theoretisches, Briefe, Verse)

Es wird auf der Welt nichts besser gehaßt und verachtet als ein redlicher Mann mit Verstand, und da gibt’s nur einen Ausweg. Du hast dich zu entscheiden: Redlichkeit oder Verstand. Bist du nur redlich, mußt du opfern, hast du nur Verstand, wird dir geopfert.

(Figaro läßt sich scheiden)

Die Gerechtigkeit ist zwar eine schöne Sache, eine gute Sache, aber wer die Macht hat, braucht sie nicht.

(Ein Dorf ohne Männer)

Der Begriff »Vaterland«, nationalistisch gefälscht, ist mir fremd. Mein Vaterland ist das Volk.

(Autobiographisches)

Sortiert nach Sprache, Rasse und Nation stehen die Haufen nebeneinander und fixieren sich, wer größer ist.

Sie stinken, daß sich jeder einzelne die Nase zuhalten muß.

Lauter Dreck! Alles Dreck!

(Jugend ohne Gott)

Worauf es ankommt, ist die Bekämpfung des Nationalismus zum Besten der Menschheit.

(Autobiographisches)

Es widerfuhr mir das große Glück erkennen zu dürfen, daß die Ausrottung der nationalistischen Verbrechen nur durch die völlige Umschichtung der Gesellschaft ermöglicht werden wird. Das ist mein Glaube.

(Autobiographisches)

Denn das Herz der Völker schlägt im gleichen Takt, es gibt ja nur Dialekte als Grenzen.

(Autobiographisches)

Bekanntlich ist halt jede Revolution ein pädagogisches Problem, aber auch die Pädagogik ist ein revolutionäres Problem. Wie sie sehen, ist das sehr kompliziert.

(Der ewige Spießer)

»Wer sichs halt nicht leisten kann, der soll halt unter Gottes Sternenhimmel wohnen oder im Asyl. Was braucht der Mensch a Wohnung, wenn ers nicht bezahlen kann!« so argumentiert das Bürgertum.

(Der ewige Spießer)

Ich bin aus purem Pessimismus manchmal direkt reaktionär!

(Der ewige Spießer)

Ich taug nicht zum Beamten, das bietet nämlich keine Entfaltungsmöglichkeiten. Die Arbeit im alten Sinne rentiert sich nicht mehr. Wer heutzutag vorwärts kommen will, muß mit der Arbeit der anderen arbeiten. Ich hab mich selbständig gemacht. Finanzierungsgeschäfte und so –

(Geschichten aus dem Wiener Wald)

Wenn ich was geworden wär, wär ich Komiker geworden. Man muß sich nur auslachen lassen und verdient Geld.

(Sladek oder Die schwarze Armee)

Man muß die Politik nach den Regeln des gesunden Menschenverstandes, nüchtern und nach Geschäftsprinzipien betreiben.

(Der ewige Spießer)

Wenns nur nach der Vernunft ginge, dann könnte man sich ja leicht verständigen, aber es spielen da noch einige Gefühlsmomente eine Rolle, und zwar eine entscheidende Rolle!

(Der ewige Spießer)

Merken Sie sich: wir sind Kaufleute. Also nicht naiv.

(Revolte auf Côte 3018)

Denn die wirklich vornehmen Leute essen bekanntlich, als hätten sie es gar nicht nötig zu essen, als wären sie der Materie entwachsen. Als wären sie vergeistigt und sie sind doch nur satt.

(Der ewige Spießer)

In den Hotelgärten saßen lauter vornehme Menschen und ahnten nicht, daß sie aufreizend lächerlich wirken, sowie man mehrere ihrer Art beisammen sieht.

(Der ewige Spießer)

Der Spießer ist bekanntlich ein hypochondrischer Egoist, und so trachtet er danach, sich überall feige anzupassen und jede neue Formulierung der Idee zu verfälschen, indem er sie sich aneignet.

(Der ewige Spießer)

Seit es Götter und Menschen, Kaiser und Knechte, Herren und Hörige, Beichtväter und Beichtkinder, Adelige und Bürger, Aufsichtsräte und Arbeiter, Abteilungschefs und Verkäuferinnen, Familienväter und Dienstmädchen, Generaldirektoren und Privatsekräterinnen – kurz: Herrscher und Beherrschte gibt, seit der Zeit gilt der Satz: »Im Anfang war die Prostitution!«

(Der ewige Spießer)

Wer wagt es also die heute herrschende Bourgeoisie anzuklagen, daß sie nicht nur die Arbeit, sondern auch das Verhältnis zwischen Mann und Weib der bemäntelnden Lügen und des erhabenen Selbstbetruges entblößt, indem sie schlicht die Frage stellt: »Na was kostet schon die Liebe?«

Kann man ihr einen Vorwurf machen, weil sie dies im Bewußtsein ihrer wirtschaftlichen Macht der billigeren Buchführung wegen tut? Nein, das kann man nicht.

Die Bourgeoisie ist nämlich überaus ehrlich.

Sie spricht ihre Erkenntnis offen aus, daß die wahre Liebe zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten Prostitution ist. Daß die Ausgebeuteten unter sich auch ohne Prostitution lieben könnten, das bezweifelt die Bourgeoisie nicht, denn sie hält die Ausgebeuteten für noch dümmer, da sie sich ja sonst nicht ausbeuten ließen.

Die Bourgeoisie ist nämlich überaus intelligent.

Sie hat auch erkannt, daß es selbst unter Ausbeutern nur Ausbeutung gibt. Nämlich, daß die ganze Liebe nur eine Frage der kaufmännischen Intelligenz ist.

Kann man also die Bourgeoisie anklagen, weil sie alles auf den Besitzstandpunkt zurückführt?

Nein, das kann man nicht.

(Der ewige Spießer)

Zu guter Letzt ist halt diese ganze Prostitution etwas sehr trauriges, aber man kann sie halt nicht abschaffen.

(Der ewige Spießer)

Ich betrachte auch die Prostitution von einem höhern Standpunkt aus. Ich hab mir jetzt grad überlegt, daß wir Menschen, seitdem wir da sind, eigentlich nur drei Triebe, nämlich Inzest, Kannibalismus und Mordgier unterdrückt haben, und nicht einmal diese drei haben wir total unterdrückt, wie das uns in letzter Zeit wieder mal der Weltkrieg bewiesen hat.

(Der ewige Spießer)

Als ich den ersten Schnaps getrunken hatte, dachte ich, man müßte eine Waffe erfinden, mit der man jede Waffe um ihren Effekt bringen könnte, gewissermaßen also: das Gegenteil einer Waffe – ach, wenn ich nur ein Erfinder wär, was würde ich nicht alles erfinden! Wie glücklich wär die Welt!

(Jugend ohne Gott)