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Gefesselt und mit einem Sack über dem Kopf wird Prinzessin Kenna in der Wüste ausgesetzt. Schnell erkennt sie, wohin man sie gebracht hat: Auf den Nachbar-Planeten Pribon, ein Ort, an dem es keine Gesetze gibt. Aber warum ist sie hier und wer ist für ihre Entführung verantwortlich? Kenna muss sich schnell anpassen, damit keiner entdeckt, wer sie in Wirklichkeit ist. Sie taucht bei einer Gruppe Straßenkindern unter und versucht einen Weg zu finden, um wieder auf ihren Heimatplaneten Mayon zu gelangen. Als sie dem zwielichtigen Zoyd begegnet, tun sich für Kenna neue Chancen auf. Gemeinsam begeben sie sich auf eine Reise und Kenna fühlt sich in Zoyds Gegenwart sicher. Doch sie ahnt nicht, dass auch er etwas zu verbergen hat ...
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Seitenzahl: 181
Veröffentlichungsjahr: 2024
Impressum neobooks
Rabea Blue
Kennas Flucht
SCIENCE-FICTION-NOVELLE
© 2021 1. Auflage (Re-Release »Pribon - Flucht vom wilden Planeten)
Autorin: Rabea Blue
Ringstraße 13b
64839 Altheim
Deutschland
Korrektorat: Julia Klump
Covergestaltung: Daniel Wacker
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»And you were the one who taught me that giving up was never an option«
aus »Enough is Enough« von Stick to your guns
Ich hatte mich gleich gewundert, dass es ungewöhnlich ruhig gewesen war, als ich schlafen gehen wollte. Wie jeden Abend fütterte ich vor dem Zubettgehen noch meine Liedspieler. Ich gab ihnen neuen Vitaminsaft in ihre Schälchen und betrachtete das vielfältige Farbenspiel ihrer Federn. Je nach Rasse war es ein kräftiges Blau, ein fluoreszierendes Gelbgrün oder ein glitzerndes Rot. Am liebsten hatte ich die Tiere, die so schwarz wie mein Blut waren. Normalerweise zwitscherten sie eines ihrer Lieder. Doch nicht heute. So ruhig waren sie sonst nur, wenn ein Sturm aufzog. Und das beunruhigte mich.
Von meinem Balkon aus hatte ich einen überwältigenden Ausblick über die gesamte Hauptstadt Mayons, dem wohlhabendsten und damit vorherrschenden Planeten unserer Galaxie, Festivy. Die vielen unterschiedlichen Lichter der schimmernden Hochhäuser erzeugten über der Stadt eine farbige Kuppel. In der Mitte ragte der Presseturm in die Höhe, als wäre die Stadt um ihn herum gebaut worden. Seine Spitze funkelte im Licht der Monde.
Hoch oben, weit über dem Boden, lebte der Adel und die reichsten Bewohner. Wer in niedriger gelegenen Häusern lebte, war meist nur Teil der Mittelschicht. Was auf Mayon allerdings gleichbedeutend mit den Armen war. Nichtsdestotrotz bestanden auch die Häuser in Bodenhöhe aus hochwertigen Materialien, waren ohne Makel und Kratzer. Die Stadt war ein durch und durch glänzender Ort.
Oft stand ich sehr lange hier und träumte vor mich hin. Vieles befand sich im Umbruch, da mein Vater, der König, gestorben war und es schon bald einen neuen Herrscher geben würde. Ich wusste, dass sich einiges ändern würde. Doch was genau, das stand in den Sternen. Ein wenig Angst hatte ich vor der Zukunft. Zugleich freute ich mich auf die Herausforderung, denn meine beiden Schwestern und ich würden ein wichtiger Teil dieser Zukunft sein.
Es ging ein leichter Wind. Fröstelnd zog ich meinen Morgenmantel bis ans Kinn und schlang meine Arme um meinen schmalen Körper. Für diese Saison wäre ein Unwetter nicht untypisch. Die Stürme auf Mayon waren sehr heftig, deswegen musste man rechtzeitig Fenster und Türen schließen. Jedoch war weit und breit nichts zu sehen. Keine Himmelselemente, keine flackernden Lichter.
Ich schloss den Käfig meiner Tiere, ging in mein Schlafzimmer und wandte mich dem Nachttisch zu, auf dem mein Kommunikator lag. Er würde mir anzeigen, ob ein Sturm in Aussicht war.
Mein Schlafgemach war riesig dafür, dass ich lediglich nachts dort war und sich darin nur mein Bett, ein paar kleinere Kommoden und ein großer Schrank mit meinen Schlafkleidern befanden. Doch ich beklagte mich nicht. Die Größe des Raumes ließ ihn stets aufgeräumt wirken. Selbst, wenn ich wieder einmal meine Kleider umsortierte – eine heimliche Leidenschaft von mir.
Während ich die Meldungen und Nachrichten auf meinem Kommunikator prüfte, glaubte ich, schon wieder einen Lufthauch zu spüren. Seltsam, so weit von der Balkontür entfernt. Als ich ein Knacken direkt hinter mir hörte, war es schon zu spät.
Eine starke Hand packte mich und eine andere hielt mir den Mund zu. Mein Herz pochte vor Angst und ich versuchte, einen Anhaltspunkt zu bekommen, wer in meinen Turm eingedrungen war. Doch sie waren sehr gerissen – mehr als Schuhe konnte ich von meinen Peinigern nicht erkennen. Sofort wurden meine Hände auf dem Rücken fixiert, damit ich meine besondere Fähigkeit nicht wie gewohnt nutzen konnte. Panisch zappelte ich und versuchte, telekinetisch etwas auszurichten. Mein Bett konnte ich so verschieben, dass es einem der Fremden in die Seite krachte. Meinen großen Schrank warf ich vor die Tür. Obwohl der Fremde ächzte, als ihn das Bett traf, hielt er mich weiterhin fest.
Mir wurde ein Stück Stoff über den Kopf gestülpt, doch bevor ich die Gelegenheit nutzen konnte, lauthals nach Hilfe zu schreien, wurde mir erneut der Mund zugehalten und es kam nur ein Wimmern heraus. Ich versuchte weiterhin, mich mit Händen und Füßen zu wehren. Meine telekinetischen Kräfte konnte ich nicht mehr nutzen, ohne etwas zu sehen. Sie waren mindestens zu dritt und mussten Kampferfahrung haben, denn trotz meiner Selbstverteidigungskenntnisse konnte ich keinen von ihnen erwischen. Eine Person war an meinem Kopf, eine zweite trug meinen Oberkörper und noch jemand fixierte beim Tragen meine Beine.
Einer von ihnen ließ mich für eine kurze Zeit los. Dem Geräusch nach zu urteilen rückte er den Schrank zur Seite, sodass der Weg aus meinem Gemach frei war.
Ich merkte, wie sie sich mit mir in Bewegung setzten. Jegliches Zappeln und Winden war zwecklos, ich konnte nichts gegen meine Entführer tun. Also bewegte ich mich weniger und lauschte. Es waren Schritte zu vernehmen, außerdem war es sehr dunkel um uns herum, das konnte ich durch den Stoff erkennen. Dann wurde es plötzlich hell. Sekunden später hörte ich Töne, die den Tastengeräuschen des Aufzugs glichen. Doch den Code für den Fahrstuhl kannten nur die Familie und die Wachen. Woher wussten die Entführer, welcher Code benötigt wurde? Gab es einen Maulwurf? Und vor allem: Was wollten sie von mir?
Als wir den Aufzug verließen, konnte ich nur gedimmtes Licht erkennen. Wir befanden uns also nicht in der Empfangshalle. Als ich frische Luft spürte, war es offensichtlich, dass wir das Gebäude verlassen hatten.
Ich hatte keine Ahnung, wo ich hingebracht wurde, doch irgendwann hörte ich ein Rauschen, das mich an unsere Flotte erinnerte. Gleichzeitig wurde es kühler. Als ich ein Zischen wie von hydraulischen Türen hörte und es kurz darauf einen Ruck gab, bestätigte sich meine Vermutung: Sie entführten mich mit einem Flugschiff.
Ich wurde auf eine ebene Fläche gelegt und wie ein Stück Ware festgezurrt. Anhand des konstanten Surrens und dem Hauch von Helligkeit, der durch den dunklen Stoff drang, vermutete ich, dass sie mich mit einem der Lichtgurte festgeschnallt hatten, mit denen sonst schwere Kisten für den Transport gesichert wurden.
»Ihr feigen Mistkerle, lasst mich sofort gehen!«, schrie ich aus vollem Halse, als mir endlich nicht mehr der Mund zugehalten wurde. »Wachen! Wachen!«
Doch nur wenig später spürte ich ein Schwanken, das meinen Bauch kitzeln ließ. Von außerhalb würde mich während des Flugs niemand mehr retten können. Nicht einmal mein treuer Leibwächter Mius.
Fieberhaft überlegte ich, wie ich mich befreien konnte. Ob ich mir irgendwelche Details merken sollte, die auf meine Entführer schließen ließen oder sogar auf unser Ziel? Doch ich hörte nichts außer dem Dröhnen der Turbinen und konnte mich keinen Zentimeter bewegen. Ich war offenbar alleine in dem Bereich des Schiffes.
Obwohl ich vor Angst regelrecht zitterte, machte ich mir Mut. Komm schon, Kenna – du schaffst das, dachte ich mir. Durch Drehen meines Körpers versuchte ich, an die Feststelltaste des Lichtgurtes zu gelangen und mich so zu befreien. So sehr ich mich auch wand, ich konnte sie nicht erreichen. Also probierte ich, mich nach oben zu robben, um so meinen Fesseln zu entkommen. Leider war auch das nicht von Erfolg gekrönt.
Schließlich resignierte ich und begann zu weinen. Leise schluchzte ich vor mich hin. Gedämpft konnte ich die Stimme des Autopiloten aus dem Cockpit hören. Mit einem Mal erstarrte ich. Diese Stimme kannte ich. Mein Vater hatte sie damals in Auftrag gegeben. Also war dies nicht irgendein Schiff, sondern eines aus seiner Flotte.
Schon früh war mir beigebracht worden, dass für mich die Gefahr bestand, im Zusammenhang mit einer Lösegeldforderung entführt zu werden. Vater hatte großen Reichtum angehäuft, da war das naheliegend. Aber dass jemand aus den eigenen Reihen dazu in der Lage war, hätte ich niemals gedacht. Und warum war niemand da gewesen, um mir zu helfen? Was war mit Mius? Ging es meinen Schwestern gut? Allmählich stieg Wut in mir auf und verdrängte die Angst und die Hilflosigkeit. Der Reihe nach ging ich unsere Bediensteten durch und wog ab, ob sie Teil dieser Verschwörung sein konnten. Zu einem Ergebnis kam ich nicht.
Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis wir wieder landeten. Für einen kurzen Moment musste ich weggenickt sein, denn ich schrak zusammen, als sich eine Tür öffnete und Schritte näher kamen. Noch immer sprachen meine Entführer kein Wort. Als sich das Schiff nicht mehr bewegte, wurde ich von dem Lichtgurt befreit und erneut an Händen und Füßen gepackt. Den Mund hielt mir niemand mehr zu.
»Ihr Verräter, ich weiß ganz genau, wer ihr seid«, versuchte ich zu bluffen. »Egal, was ihr damit bezwecken wollt, ihr werdet es noch bereuen, mich jemals angefasst zu haben.« Ich trat um mich, aber meine Worte und Bewegungen schienen niemanden zu beeindrucken. Also gab ich die Kommunikation wieder auf. Stattdessen lauschte ich erneut auf Hinweise darauf, wo ich sein konnte.
Als ich wieder das Zischen der Flugschifftür hörte, spürte ich deutlich einen leichten Wind. Er ließ den Stoff über meinem Gesicht verrutschen und ich konnte sehen, dass wir uns nicht mehr auf Mayon befanden. Weit und breit keine Spur von Zivilisation, nicht einmal von Leben. Vollkommen anders als auf meinem Heimatplaneten. Deswegen hatte es also so lange gedauert.
Durch den kleinen Spalt, durch den ich nun blinzeln konnte, erkannte ich ödes Land mit staubigen Erdhügeln und Müllbergen.
Die Entführer sah ich nicht, und als einer von ihnen bemerkte, dass meine Sicht nicht mehr komplett verdeckt war, korrigierte er den Sitz des Stoffes und ich war wieder in Dunkelheit gehüllt.
Hören konnte ich wenig. Eine Art Kratzen drang hin und wieder an meine Ohren, dann entfernte Rufe und das Summen der zarten Flügel von Saftsaugern.
Nach einem kurzen Fußmarsch wurde ich auf dem Boden abgelegt. Nicht unbedingt vorsichtig, aber trotzdem nicht unsanft. Bewegungslos blieb ich liegen, um besser lauschen zu können. Ich hörte sich entfernende Schritte, bis ich schließlich nur noch von den Geräuschen der Umgebung umringt war. Kein Atmen meiner Entführer, kein Knirschen ihrer Stiefel – nichts.
Ich wartete einen Moment ab, dann wand und krümmte ich mich auf dem Boden, versuchte mit allen Mitteln, mich von den Fesseln an meinen Händen und dem Sichtschutz über meinem Kopf zu befreien. Ich schaffte es schließlich, dass ich etwas sehen konnte, und setzte mich auf. Hektisch blickte ich hin und her.
Es sah fürchterlich aus. Verdorrte Büsche, an denen kaum Blätter hingen, geschweige denn Blüten. Tiefe Rillen breiter Reifen, in der Ferne eine Stadt, die aus heruntergekommenen kleinen bis mittelgroßen Häusern bestand. Nur wenige Meter neben mir türmte sich ein großer Hügel aus dunklem Sand gemischt mit Schrott. Von oben brannten unerbittlich die Strahlen der beiden Sonnen und ließen mich meine Augen zu Schlitzen zusammenkneifen. Ein Flugschiff war weit und breit nicht zu sehen, allerdings hörte ich ein entferntes Geräusch, das von einem Start herrühren konnte.
Mir lief ein Schauer über den Rücken. Ich wusste mit einem Mal genau, wo ich mich befand. Ich war noch nie zuvor an diesem Ort gewesen, doch ich hatte die Bilder schon oft gesehen: Meine Kidnapper hatten mich nach Pribon gebracht – auf den wilden Planeten. Die Vegetation war unverkennbar. Hier wurden Systembewohner hingebracht, die sich nicht an die Regeln des Königreichs hielten, die zu arm waren, um die Abgaben zu leisten oder die zu schwach waren, um auf dem Arbeitsplaneten Wenko zu arbeiten. Freiwillige Besucher dieses Planeten waren meist zwielichtige Gestalten, die zum Schmuggeln oder für verbotene Spiele und Geschäfte hierher kamen. So war es uns von unseren Lehrern stets eingebläut worden.
Erneut stieg Angst in mir hoch. Der wilde Planet der Gesetzlosen war kein Ort für ein Mädchen wie mich. Warum hatte man mich hierher gebracht? Was wollten die Entführer damit bezwecken?
Mit starrem Blick sah ich auf die schiefen Bauten der nahegelegenen Stadt, als ich plötzlich ein Geräusch hinter mir hörte. Panisch drehte ich mich um, auf alles gefasst, was mir gegenüberstehen könnte. Als ich ein Kind mit völlig verdrecktem Äußeren und einem Lumpen aus löchrigem Stoff vor mir stehen sah, der mehr an einen Sack als an ein Kleid erinnerte, atmete ich erleichtert auf. Es musste sich hinter dem Sandhügel an mich herangeschlichen haben, während ich von der Umgebung abgelenkt gewesen war. Seine Haare waren so verfilzt, dass ich in der Kombination mit dem fast schwarzen Gesicht nicht erkennen konnte, ob es männlich oder weiblich war. Mühsam drehte ich mich so, dass ich mein Gewicht auf meine Knie verlagern konnte, um besser aufstehen zu können. Doch ich musste kurz innehalten, als ich merkte, wie wackelig ich auf den Beinen war. Außerdem tat der harte Boden an meinen fast nackten Beinen weh. Dann sah ich hoch und realisierte, dass das schäbig aussehende Kind auf mich zukam.
Mit einem langen Messer in der Hand.
»Hallo, ich bin Kenna«, begann ich, wahrscheinlich mit panischem Blick, denn der Anblick des Kindes mit dem blitzenden Messer machte mir gehörige Angst. Mit einem Mal ärgerte ich mich darüber, dass ich an diesem Ort nicht bei jeder Kleinigkeit automatisch alarmiert reagierte. Wie so oft in Situationen, die ich nicht einschätzen konnte, plapperte ich einfach drauflos. »Kannst du mir vielleicht helfen? Oder hast du drei Leute weglaufen sehen? Sie haben mich hier abgeladen, doch ich weiß nicht einmal, wer sie waren. Wir sind hier auf Pribon, oder?«
Die kleine Gestalt hielt nicht an, als ich mit ihr sprach, sondern schritt unaufhörlich mit gezückter Klinge auf mich zu. Ich kam so schnell in meiner Panik nicht auf die Füße, also versuchte ich, auf den Knien weiter von dem Kind wegzurutschen. Doch ich war zu langsam. Schließlich war es bei mir angekommen und griff blitzschnell nach mir. Ich warf mich auf die Seite und begann, mit den Beinen um mich zu treten, in der Hoffnung, dass ich so mein Leben retten könnte. Dann spürte ich einen Druck auf meinen Rücken.
Und plötzlich waren meine Hände frei.
Ungläubig sah ich das Kind an. Es stand einfach nur vor mir, stumm und noch immer mit gezücktem Messer. Schließlich steckte es die Klinge auf dem Rücken in eine Messerscheide an seinem Gürtel, drehte sich in Richtung des Hügels und winkte mir, dass ich mitkommen sollte. Mit einem letzten Blick auf die durchgeschnittenen Fesseln, die nun auf dem Boden lagen, rappelte ich mich auf, klopfte mir den Wüstenstaub von meinem kostbaren Nachthemd und lief dem Kind hinterher.
Im Grunde war es schwachsinnig, dass ich nicht einfach wegrannte, um mich zu verstecken – schließlich hatte ich keine Ahnung, was mich erwartete und was das Kind mit mir vorhatte. Aber es hatte mich befreit, deswegen war ich neugierig, was es mir zeigen wollte.
Als wir den großen Sandhügel zur Hälfte umrundet hatten, erblickte ich ein kleines Dorf, in dem noch weitere Kinder umherliefen, die dem, dem ich folgte, von der Kleidung her sehr ähnelten: grobmaschiger Stoff ohne Ärmel, der bis zu den Knien ging. An der Hüfte wurde er durch einen Gürtel fixiert. Allesamt waren die Kleider schmuddelig, mit Flecken und meist großen Rissen oder Löchern.
Das musste einer der Armenbezirke sein. Auch wenn viele glaubten, alle auf Pribon wären kriminell, so wusste ich von einem unserer Lehrer, dass dem nicht so war. Oftmals wurden Pribonianer einfach in die Armut hineingeboren und hatten kaum eine Chance, ihr zu entfliehen. Wie diese Kinder zum Beispiel. Anders konnte ich mir ihr vollkommen verwahrlostes Aussehen nicht erklären.
Das Dorf bestand aus etwa dreißig Behausungen, die kreisförmig angeordnet waren. Hin und wieder drehte sich das Kind um, um zu prüfen, ob ich ihm noch folgte. Etwa in der Mitte des Dorfes verschwand es in einer kleinen Hütte, die, wie die meisten anderen, aus zu einem Halbkreis gebogenen Ästen und fleckigen Lederlappen zu bestehen schien. Sie sahen aus wie kleine Kuppeln. Unschlüssig, ob ich ebenfalls die ärmliche Behausung betreten sollte, stand ich davor und kaute auf meiner Lippe.
Nach wenigen Sekunden kam eine schlanke Frau durch den Vorhang, der als Tür der Hütte diente, und musterte mich von oben bis unten. Ihre strähnigen Haare hingen ihr ins Gesicht und der Umhang, den sie trug, war genauso verschmutzt wie der des Kindes.
»Komm herein, bevor dich noch mehr Leute sehen«, sagte sie mit rauer Stimme und hielt den Vorhang so zur Seite, dass ich eintreten konnte. Nach kurzem Zögern tat ich, was sie sagte, obwohl mich ihre Worte verwirrten. Wieso sollte mich niemand sehen?
Innen wirkte die kleine Hütte viel geräumiger, als ich von außen erwartet hatte. Der Boden war mit einem ausgetretenen Teppich ausgelegt und an den Wänden hingen kleine Kunstwerke aus polierten Metallresten, die wie spitze Sterne aussahen. Mein zunächst beklommenes Gefühl löste sich schnell auf, denn es wirkte sehr einladend. Nichts deutete darauf hin, dass ich hier in Gefahr war. Ein paar Kerzen flackerten auf einem großen Leuchter, der in sicherer Entfernung unterhalb des Dachs in der Mitte der Hütte hing. Sie tauchten das Innere in ein warmes Licht.
Die Frau wartete, bis ich mich in der kleinen Behausung umgesehen hatte, ihr Gesicht war ausdruckslos. Das Kind mit dem Messer, das mich befreit hatte, stand direkt hinter ihr, ein wenig versteckt, und sah mich ebenfalls an.
»Du gehörst hier nicht her«, begann die Frau schroff, als ich ihr schließlich ins Gesicht blickte. »Das sieht man dir sofort an.«
Ich ignorierte ihre abweisende Art, denn ich hatte das Gefühl, dass sie mir helfen wollte. »Das stimmt – ich komme von …«
Sie unterbrach mich sofort. »Es ist mir egal, woher du kommst. Wahrscheinlich ist es am sichersten für uns alle, wenn ich es nicht weiß. Doch ich gebe dir einen Rat: Verschwinde von hier. Oder tauche unter. Mach dich für die Leute unsichtbar oder sonst irgendwas. Ansonsten wirst du in wenigen Stunden tot sein.«
Unwillkürlich stiegen mir Tränen in die Augen. Mein Blick huschte zu dem Kind, das mich hierher geführt hatte. Ich wollte nicht weinen. Nicht hier, nicht jetzt. Also riss ich mich zusammen.
»Ich bin zäher, als ich aussehen mag«, gab ich ruhig zurück, bemüht, meine Stimme nicht zittern zu lassen.
Die Frau lachte kurz auf. »Das mag sein, aber du bist zu auffällig. Dein Kleid, dein Schmuck, deine Verzierungen im Gesicht – man kann meilenweit erkennen, dass man mit dir Geld verdienen kann, wenn man dich fängt. Oder sogar tötet. Man kann dich sogar gegen den Wind riechen, so sehr duftest du nach Vermögen.«
Jetzt kullerte mir doch eine Träne die Wange hinunter. Schnell wischte ich sie mit meinem Handrücken weg.
Sie hatte Recht. Ich hatte ein Nachthemd an, das sich selbst auf Mayon nur wenige leisten konnten. Das lag an den Stalax-Pailletten und dem Namen der Designerin, die es gefertigt hatte. Außerdem trug ich den typischen Schmuck und die traditionellen Bemalungen im Gesicht, die jedes weibliche Mitglied der Königsfamilie hatte. Die Zeichen bestanden aus Punkten, Dreiecken und Strichen.
»Warum ist das so außergewöhnlich? Und was bedeutet das: Geld mit mir verdienen?«
Die Frau neigte den Kopf zur Seite. »Auf Pribon verlassen die Leute mit Geld nicht die Städte, sie haben dafür ihre Handlanger. Es kommt nicht einfach so vor, dass jemand von ihnen in der Wüste umherirrt. Und wenn es doch vorkommt, dann ist auf den Kopf dieser Person ein gehöriges Kopfgeld ausgesetzt. Deswegen würde ich dir dringend raten, dein Aussehen zu ändern.«
Ich sah mich um. Wie sollte ich mich tarnen, wenn ich nichts hatte? Diese Leute hier waren zu arm, als dass ich etwas von ihnen nehmen wollte und außerdem hatte das Kind schon genug für mich getan. Wer wusste, was mit mir passiert wäre, wenn ich dort noch eine Weile gelegen hätte – gefesselt und somit allem und jedem ausgeliefert, mitten in der Wüste.
Die Frau sah mich eine Weile nachdenklich an. Dann ging sie zu einem Vorhang, der einen weiteren Bereich der Hütte abtrennte, und hielt ihn seitlich auf.
»Hier entlang – meine Tochter Zyra wird dir helfen«, war das Einzige, was sie sagte, und sie machte mit ihrem Kopf eine Bewegung zum Zeichen, dass ich den Nebenraum betreten sollte.
Zyra winkte mich zu sich und ging voraus. Als ich den Vorhang passiert hatte, ließ ihre Mutter den Stoff wieder los und wir waren allein.
Der Raum hinter dem Vorhang war klein, aber ansehnlich eingerichtet. An der hinteren Hüttenwand standen mehrere Kleiderständer aus Metall, an denen viele unterschiedliche Kleidungsstücke hingen. Ich wunderte mich, dass hier alles gepflegt aussah, wo doch Zyra und ihre Mutter einen so schmuddeligen Eindruck machten. Aber offenbar war auch das nur Fassade. Genauso wie die Hütte, die von außen ärmlich aussah, das Innere jedoch sehr viel mehr bot, als man erwartete.
Zyra ging zu einer Kommode, auf der eine kleine Metallschale mit angezündetem Feuer stand, die man normalerweise dazu benutzte, Essen warmzuhalten. Darauf befand sich Waschflüssigkeit in einem kleinen Topf. Zyra tunkte ein sauberes Stück Stoff hinein und drehte sich zu mir um.
»Hast du etwas dagegen, wenn ich deine königlichen Bemalungen abwasche?«, fragte sie, und es war seltsam, ihre Stimme das erste Mal zu hören. Ich konnte ihr Alter schlecht schätzen, aber die Art, wie sie redete, ließ sie älter wirken, als es ihr Aussehen tat.