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Seit einhundert Jahren verbindet man den Namen Khalil Gibran mit dem Buch DER PROPHET. Im 20. Jahrhundert zählte es zu den weltweit meistgelesenen Werken überhaupt. Inzwischen ist es stiller um diesen spirituellen Weisheitstext geworden, der gerade die Generation der Babyboomer durch ihre oft wilde Jugend begleitete. Kann man den PROPHETEN heute noch lesen, in einer durchdigitalisierten Welt und ihrer weltweit vernetzten und zunehmend von Künstlicher Intelligenz bestimmten Gesellschaft? Man kann, meint der Autor. Allerdings müsste der Text der heutigen Zeit angepasst werden, um gerade die junge Generation ansprechen zu können. Diesem Ziel dient diese Neuerzählung des Bestellers aus dem Jahre 1923.
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Seitenzahl: 51
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Nach 100 Jahren neu erzählt für unsere Zeit im Umbruch
Einführung
Die Ankunft des Schiffes
Von den Menschen
Von der Liebe
Von der Ehe
Von den Kindern
Vom Geben
Vom Essen und Trinken
Von der Arbeit
Von Spaß und Freude
Von Freude und Leid
Von den Häusern
Von den Kleidern
Vom Kaufen und Verkaufen
Von Verbrechen und Strafe
Von den Gesetzen
Von der Freiheit
Von Vernunft und Leidenschaft
Vom Schmerz
Von der Erkenntnis des Selbst
Vom Lehren
Von der Freundschaft
Vom Reden
Von der Zeit
Von Gut und Böse
Vom Gebet
Von der Schönheit
Von der Religion
Vom Tod
Der Abschied des Propheten
WIR BRAUCHEN GIBRAN, DENN ER IST EIN BOTSCHAFTER DES FRIEDENS UND DER HOFFNUNG IN DIESER AUS DEN FUGEN GERATENEN WELT. ER IST AUCH EIN BOTSCHAFTER DER LIEBE UND ICH GLAUBE, IN DIESEN SCHWIERIGEN ZEITEN BRAUCHEN WIR ALLE FRIEDEN, RUHE UND LIEBE.
Alexandre Najjar, libanesischer Schriftsteller, Literaturkritiker und Gibran-Biograph
Ende September des Jahres 1923 erscheint in New York ein Buch mit dem schlichten Titel „Der Prophet“. Autor ist der Exil-Libanese Khalil Gibran, der sich seit seiner Einwanderung aus dem Nahen Osten im Jahre 1895 als Dichter und Maler unter Intellektuellen an der US-amerikanischen Ostküste einen gewissen Namen gemacht hatte. Der Text ist aus literarischer Sicht schwer zu fassen, ist er doch weder Roman noch Erzählung. Seinem Aufbau, Stil und Inhalt nach könnte er aus einem der heiligen Bücher der Weltreligionen stammen, wohl am ehesten der Bibel.
„Der Prophet“ ist ein kleines, in poetischer Sprache verfasstes Buch mit spirituell-philosophischem Hintergrund. Ein Weiser namens Almustafa lebt zwölf Jahre lang in einer Stadt am Meer, als eines Tages ein Schiff eintrifft, das ihn in seine Heimat zurückbringen soll. Zum Abschied versammeln sich die Menschen der Stadt nochmals am Tempel, um ihn ein letztes Mal zu hören. In kurzen Reden spricht er über alltägliche Themen, die die Menschen umtreiben: die Arbeit, die Freundschaft, die Freiheit, die Ehe, die Erziehung, das Leid, die Liebe oder den Tod. Er tut dies mit Worten, die die Zuhörer im Herzen ansprechen. Die Sprache ist ausgesprochen blumig und bilderreich. In jeder der Reden finden sich Metaphern, Parabeln oder Allegorien. Der mystische Grundtenor der Aussagen ist, dass das Leben nur sinnvoll gelebt werden kann, wenn man es aus übergeordneter Sicht betrachtet. Aus einer solchen heraus erst könne man Zusammenhänge erkennen und das Gemeinsame hinter allen Gegensätzen verstehen. Der Prophet fordert die Menschen auf, sich vom „kleinen, niedrigen Selbst“ hin zum „großen, höheren Selbst“ zu entwickeln, in welchem er den Funken Gottes in der Seele erkennt.
Gibrans „Prophet“ entwickelt sich über Nacht zum Bestseller und wird schnell in andere Sprachen übersetzt. Bereits 1925 erscheint der Text auf Deutsch. Der Erfolg macht Khalil Gibran weltweit bekannt. Sein Text sollte sich im Laufe der Jahre millionenfach verkaufen und zu einem der meistverkauften literarischen Werke überhaupt werden. Dem gegenüber steht die Tatsache, dass „Der Prophet“ und sein Autor in der Welt der Literatur und Literaturkritik kaum Resonanz hervorgerufen haben. Man findet ihn nur selten rezipiert. Einzig der Literaturkritiker Denis Scheck hat die Werke Gibrans in seinen „Kanon der Weltliteratur“ aufgenommen. Er erkennt in ihm einen Seelenverwandten von Friedrich Nietzsche und Hermann Hesse und meint: „Als Brückenbauer zwischen Orient und Okzident siedelt der rätselhafte Khalil Gibran genau auf der Grenze zwischen dem literarischen Territorium, wo die Esoterik-Abzocker wohnen und den Stammlanden jener Stimmen, die seit den Zeiten der Vorsokratiker von den Erkenntnissen, Höhenflügen und Höllenreisen der menschlichen Seele singen.“
Jedoch stellt Denis Scheck die kritische Frage, ob so ein „künderischer Ton“ heute noch statthaft ist und den Leserinnen und Lesern plausibel gemacht werden kann. Die Frage ist berechtigt. Können die mit teilweise überbordender poetischer Wucht entworfenen Bilder die Menschen heute noch so treffen wie in Zeiten der Hippies und des New Age zwischen den 1960er- und 1980er-Jahren, als „Der Prophet“ Kultstatus hatte? Richtig ist, dass der Hype um Khalil Gibran und sein Werk seit dieser Zeit abgeflacht ist. „Der Prophet“ wurde ins Regal eingeordnet, wo sein Buchrücken davon kündet, dass man auch dieses berühmte Buch kennt und besitzt – ob gelesen oder nicht. Man zitiert ihn noch gerne zu Hochzeiten („Wenn die Liebe euch ruft, folgt ihr“) oder zu Taufen („Eure Kinder sind nicht eure Kinder“), aber man liest das Buch nicht mehr als Inspirationsquelle – es sei denn in bestimmten spirituellen und esoterischen Kreisen.
Die jungen Menschen der spirituellen und ökologischen Aufbruchszeit sind alt geworden. Den neuen Jungen des 21. Jahrhunderts ist das Denken und Fühlen jener Zeit meist fremd. Viele lehnen es auch als irrational und unwissenschaftlich ab. Seit 1923 sind einhundert Jahre vergangen und die Welt hat sich grundlegend verändert. Sie ist digital geworden und ihre Kommunikationsmittel und -wege sind völlig andere. Den technischen Möglichkeiten scheinen keine Grenzen mehr gesetzt werden zu können und die Menschheit hat den Schritt in eine Welt gewagt, wo sie Maschinen Intelligenz verleiht – und damit Macht. Gleichzeitig steht der Planet vor dem ökologischen Kollaps und die Frage gilt inzwischen nicht mehr als abwegig, wann wir unsere Lebensgrundlagen unwiderruflich zerstört haben werden.
In dieser kollabierenden Welt wachsen die Kinder und Jugendlichen heran und finden keine Orientierung mehr. Ihre Leitbilder kommen aus YouTube, TikTok und Instagram. Diese entscheiden, was gut, schön und erstrebenswert ist. Pornos und Gewaltvideos finden ungehindert den Weg auf die Smartphones von Zehnjährigen und Hass oder üble Nachrede stacheln sie zu virtuellem Mobbing an. Die Gesellschaft verroht und mit ihr ihre Kinder.
Alle wissen darum, dass Orientierung nun dringend notwendig ist, nur, wo soll man sie heute finden? Die Kirchen schaufeln gerade selbst ihr Grab, in der Philosophie spinnt man nicht selten Luftgespinste in Ebenen, die kaum jemanden aus der breiten Masse des „einfachen Volkes“ erreichen und manche Esoteriker locken mit spirituellen Rundum-Lösungen für alle Probleme, die das Leben so mit sich bringt. Dabei sind sie nicht selten ihrem eigenen Ego näher als der allumfassenden Liebe, von der sie in permanenter Dauerschleife säuseln.